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<title>Ankona</title>
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<body>
<!-- pb n="[119]" facs="#f0145"/ -->
<div class="chapter" id="Ankona">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Ankona</span>.</span></div>
<p> <span class="initial">V</span>on Bologna geht es auf dem
alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr
wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Bloss von
Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse.
Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren;
der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte
ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den
Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone
schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in
Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Strassen herum.
Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Männer
und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine
Erscheinung mochte für die Leute freylich etwas
hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Kleidung, ein
Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein
grosser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade
hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt.
Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand
lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die
ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit;
einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freylich nicht
auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den
possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mich
hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don
Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein
anderes
<!-- pb n="120" facs="#f0146"/ --> Bocksgesicht setzte sich
hinter mich, um von seinem Attribut der Klystierspritze
Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von
halb Imola vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer
Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch
nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas aus dem
Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muss ich Dir sagen,
dass mein Bart wirklich über drey Tage lang war und dass ich
von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt
war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge
zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleideter
Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte
mich durch einige Strassen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das
war nun freylich kein erbaulicher Name; indessen ich war
ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch
einmahl durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirthshaus
zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem
ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu
dem Haufen; und nun muss ich den Farcenspielern die
Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie sich, so weit es
ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig
betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich
in drey verschiedenen Sprachen, in der deutschen,
französischen und italiänischen, anredete, verliess mich mit
seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige
französische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in
ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste
Tummelplatz der Maskierten, die in
<!-- pb n="121" facs="#f0147"/ --> hundert lächerlichen
Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder
liefen. Ein siedend heisser politischer Imolait schloss sich
an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene
Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich,
wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der
Wahrheit gemäss, ganz ruhig. <span class="italic">On les a
bien forcé à coups de bayonettes à être en repos</span>;
sagte er. <span class="italic">Apparemment</span>; sagte
ich. — <span class="italic">C'est toujours la
meilleure maniere de disposer les gens à se conformer à la
raison</span>. — <span class="italic">Mais oui</span>,
entgegnete ich, <span class="italic">après en avoir essayé
les autres</span>; <span class="italic">pourvù toute
fois</span>, <span class="italic">qu' il y ait de la raison
et de la justice au fond de l'affaire</span>
— <span class="italic">Estce que vous en doutés pour
la notre</span>? — <span class="italic">On ne peut pas
repondre à cela en deux mots</span>. Nun wollte er eine
Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich
entschuldigte mich mit meiner alten
Formel: <span class="italic">Quand on
commence</span>, <span class="italic">il faut toujours
commencer par le commencement</span>; da würde sich denn
ergeben das alte <span class="italic">Iliacos intra muros
peccatur et extra</span>. Der Abend rief mich zum Essen und
zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich indem er
meinte: Wenn es auf uns beyde angekommen wäre, würde wohl
kein Krieg entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für
mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle
Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft
schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum
Papst bilden kann?</p>
<p>In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und
in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts zu sehen wäre:
Antiquare und Künstler finden daselbst
<!-- pb n="122" facs="#f0148"/ --> reichliche Unterhaltung
für ihre Liebslingsfächer. Aber ich dachte weder an alte
noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus,
das <span class="italic">Hotel de Naples</span>. Auf mein
ltaliänisch war man nicht ausserordentlich höflich,
vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war.
<span class="italic">Ne pourrai je pas parler au maitre de
la maison?</span> fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen
Tornister abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und
alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so
oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In
Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren
etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir
über mich mit lautem Gelächter etwas zu
erlustigen. <span class="italic">Qu'est ce qu'il y a là,
Messieurs?</span> fragte ich mit einer enrhumierten rauhen
Stimme. <span class="italic">Niente, Signore,</span> war die
Antwort; und alles trat still in eine bescheidnere
Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten
können. Ich fand in dem <span class="italic">Hotel de
Naples</span> zwey Kaufleute und drey Schiffer; der Kellner
war ein jovialischer Mensch; man begrüsste mich in einer
Minute zehn Mahl mit dem
Prädikate <span class="italic">cittadino</span>, gab mir den
Ehrenplatz und fütterte mich <span class="italic">à qui
mieux</span> mit den besten Gerichten. Es machte keinen
Unterschied als man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so
sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung.
Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war,
um den Kamin her, machten einen traulichen freundlichen
Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten
Jungen, der wie ein Toast
<!-- pb n="123" facs="#f0149"/ -->
der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den
Knien des Andern ging.</p>
<p>Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten
<span class="italic">Forum Pompilii</span>, und die Trümmer
einer Brücke, welche auch alt zu seyn scheint. Ich sah von
allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke
gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bey den
Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in
dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt
mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und
also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde
ich von dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit
aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich
ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter
nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen
geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas
ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu
besuchen, und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen
umquartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus
versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: Man habe mich
für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität
logiert würde: nun pflegte die Munizipalität seit geraumer
Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu
bezahlen; man könnte es also nicht übel deuten, dass sie auf
diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche.
Aber ein Galantuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient
werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause
waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als
<!-- pb n="124" facs="#f0150"/ --> man in Ehren nur
verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir
Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im
mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er
bedauerte, dass es Friede sey und der Schleichhandel nicht
mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr
verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute
Bewirthung ausserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine
alte sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte
Freyheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des
fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste
muss für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde
ihm weit rühmlicher seyn, als der verunglückte Pallast für
seinen verdienstlosen Nepoten.</p>
<p>Vor Savignano ging ich, nicht wie Cäsar, über den
Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher
hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten
entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit
seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu
eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der
Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu
bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Hass verdienen. Ich
erinnere mich, dass es mir in einem solchen moralischen
Kampfe einmahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste
Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeusserung hätte
mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät
zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus
sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz
Liebenswürdigkeit. So, so; <span class="italic">bien vous
fasse!</span> Ihr
<!-- pb n="125" facs="#f0151"/ --> seyd werth, Cäsarn mit
seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen
Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich
nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu
vertheidigen. Also hier gingen wir beyde über den Rubikon,
Cäsar und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einander
gemein, als dass wir — nach Rimini gingen.</p>
<p>In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten,
die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen.
Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem
Speisehause. Er besah mich ganz misstrauisch, schaute nach
meinem Huthe und da er rund herum keine Kokarde entdeckte,
ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der
höflichen Formel weiter: <span class="italic">Andate al
diavolo!</span> Das war der Revers von Cesena. So gehts zu
Revolutionszeiten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt,
dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.</p>
<p>In Rimini schlief ich gewiss ruhiger, als der mächtige
Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag. Vor der
Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem
Platze <span class="italic">della Fontana</span> steht der
heilige <span class="italic">Gaudentius</span> von Bronze,
der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul,
ich weiss nicht welcher, hat hier ein Monument für eine
Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen liess.
Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der
wichtigsten Werke und für eine der grössten Wohlthaten; und
hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht
schöne wohlthätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast
vergeben, dass er Papst ist. Auf dem andern Platze stand
<!-- pb n="126" facs="#f0152"/ --> der Baum mit der Mütze
und der
Inschrift: <span class="italic">L</span>' <span class="italic">Union
des Fran</span>ç<span class="italic">ois et des
Cisalpins</span>. Aber welche Union! das mag der heilige
Bartholomäus in Mayland sagen.</p>
<p>Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender
wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge
gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu
besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die
Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber
ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die
Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini
den Meister gespielt; desswegen gingen die rechtgläubigen
Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten
ihre muthige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht,
wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer
grossen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu
Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas
abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen.
In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher
Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten
besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir
antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann
hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden,
ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich,
was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner
Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu
frieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte
selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an
oft der Fall, dass der
<!-- pb n="127" facs="#f0153"/ --> Herr Wirth sich
hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete
und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz
leise, dass die gottlosen Franzosen viere der schönsten
Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern
Morgen im Kaffeehause sass und mein Frühstück verzehrte,
liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich
einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein
Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz
sein Kreuz machte, sein Stossgebetchen sagte, seine Messe
brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen
Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen
so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in
vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre
solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und
Vernichtung für das Konsequenteste halten: denn solche
Seelen können nicht fort leben.</p>
<p>Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend
ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den
Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden
Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel
machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus
den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluss, und hat
eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man
wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo
Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber
nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den
alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist
gewiss, dass sie hier in
<!-- pb n="128" facs="#f0154"/ --> der Gegend und am Flusse
vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte
es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau
aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italie
kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr
bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen
Konsuln selig!</p>
<p>Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage:
vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gärten der
Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich hatte hier das
Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht zu sehen, wo die
Hunde ziemlich hoch geworfen wurden und ziemlich blutig
wegkamen, und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc
hien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich
weiter bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit des
Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war
schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungen
Weitzen und Oehlbäumen geschmückt. Vor Ankona blühten den
neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge
rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oehl und
Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ankona mag
für die Alten ausserordentlich gut gewesen seyn; für die
Neuern ist er es nicht mehr in dem Grade: und wenn nicht der
Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig
mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig grosse Schiffe
sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange des alten
Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans von weissem Marmor,
der aus den Antiquitätenbüchern
<!-- pb n="129" facs="#f0155"/ --> hinlänglich bekannt ist.
Die Schrift fängt an ziemlich zu verwittern, und man muss
schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es
müsste denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der
Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Van
Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig
da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor
demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo
hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke
decken oder wehren bloss den Eingang von der Seite von
Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man
in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die
Besatzung ziemlich stark ist. <span class="italic">Est ce
qu'il est permis de monter la tour pour voir la
contrée?</span> fragte ich. <span class="italic">Non</span>;
war die Antwort: ich musste also zurückgehen und die Berge
rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht theilweise haben
wollte, die ich hier ganz hätte haben können. Es mag
freylich wohl der beste militärische Augenpunkt seyn. Das
Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege
von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein
sehr schönes Gebäude ganz im Meere, so dass eine Brücke
hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schöner bequemer
Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch
Röhren vom Berge und ein ziemlich grosses Waarenhaus. Auch
das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges
Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung
hebt sich nur sehr langsam durch die Massregel des römischen
Hofes, dass man Ankona zu einem Frey<!-- pb n="130" facs="#f0156"/ -->hafen
erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte
Kathedralkirche, wo ausser dem unverweslichen heiligen
Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen,
deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne
prächtige, funkelnagelneue Inskription, dass Pius der
Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die
Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des
Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem
dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist
dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark
Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen
errichtet worden.
<span class="italic">O sancta!</span></p>
<p>Die Börse ist ein grosser, schöner, gewölbter Saal mitten
in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten Gemählden
und Statüen, welche moralische und bürgerliche Tugenden
vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man
mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.</p>
<p>Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster,
gar nicht übel; und das italiänische Talent zur Burleske mit
dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich
hier sehr vortheilhaft. Ich kann nicht umhin, Dir hier
einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne
zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, dass sie etwas von der
Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist
bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den
Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, dass dieses
eine schöne ästhetische Wir<!-- pb n="131" facs="#f0157"/ -->kung
thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; wenigstens für
mich muss ich bekennen, dass mir nichts langweiliger und
peinlicher wird als eine solche Zärtlichkeitsscene. Ein Kuss
ist alles, und ein Kuss ist nichts; und hier ist er weniger
als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört
durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der
Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn
er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiss die
Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie
alle zu beantworten. Der Italiäner weiss durch die feinen
Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere
Küsse. Es versteht sich, dass seltene Ausnahmen Statt
finden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell
behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf
dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer
Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir
unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers
Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und
der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten
Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das
Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum
unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man
zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als
ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet
getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, dass ich da in
dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man
Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.</p>
<!-- pb n="132" facs="#f0158"/ -->
<p>Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo
es so theuer wäre wie in Ankona; selbst nicht das theure
Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen
Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld
schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den
Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr
gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem
Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür wollte
er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit
Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewaltige
Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte,
da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht
nicht leicht wieder zu finden glaubte. Er pflanzte sich im
Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen
Impertinenzen; und dafür musste ich ihm die Entree bezahlen
und zwey Paolo Nachschuss für die Nachtstunden. Die Barbiere
bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von
Lehrling, der das Becken trägt und das Bartscheren von dem
grossen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der
That so geräumig, dass man bequem einige Ferkel darin
abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr,
dass die erhitzte Phantasie Don Quischotts so etwas für
einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so
kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in
Ordnung gelegt hat und fodert
etwas <span class="italic">della bona mano</span>,
<span class="italic">della bona grazia</span>, und macht zu
einer Kleinigkeit kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart
hat mich bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und
<!-- pb n="133" facs="#f0159"/ -->
wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die
Bequemlichkeit der Kapuziner halten.</p>
<p>Die Leute klagten über Noth und hielten bey hellem Tage
durch die ganze Stadt Faschingsmummereyen, dass die
Franzosen die Polizeywache verdoppeln mussten, damit das
Volk einander nur nicht todt trat, so voll waren die Gassen
gepfropft. Da gab es denn eben so possierliche Auftritte,
wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine
sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz
vorbey zog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen
weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich
eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter
den Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld
ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten
und mit den soliden Fuhrleuten in ernsthafte
Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter
den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen
Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit
Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche
zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man
in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort zum Verkauf
trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehen Scheffel
sammeln können. Freylich lesen den andern Tag die Armen auf,
was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit
entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr
närrisch lustige Art Almosen auszutheilen.</p>
<p>Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man
trifft daselbst immer sehr angenehme unter<!-- pb n="134" facs="#f0160"/ -->haltende
Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare
Erscheinung muss die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege
gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa,
Oestreicher, Engländer, Russen, Italiäner und Türken gegen
die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen
Anstrengungen der Herren endlich doch darin behaupteten, und
die nun bloss durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer
Machthaber daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiss in
jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen
Posten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am
ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lautete mein Pass
von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italiänischen
Kanzley ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber
hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Pass
zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen
besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Dawider liess
sich nun freylich kein mathematischer Beweis führen: ich
machte den guten freundschaftlichen Leuten aber deutlich,
dass meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die
sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke
suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts
schlägt man doch nirgends die Leute todt.</p>
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