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<title>Neapel</title>
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<div class="chapter" id="Neapel2">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div>
<p> <span class="initial">D</span>u musst und wirst von mir
nicht erwarten, dass ich Dir eine topische, statistische,
literarische oder vollständig kosmische Beschreibung von den
Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist
mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisenden von
Profession oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften
gewiss besser bekommen. Ich erzähle Dir nur
freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht
beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf
Mont Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oehlberges kommt
weiss ich nicht; er ist aber einer der besten Strassen der
Stadt, nicht weit von Toledo, mit welchem er sich oben
vereiniget. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin,
die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen
zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache
zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die
<!-- pb n="187" facs="#f0213"/ --> Gesellschaft besteht
meistens aus Fremden, Engländern, Deutschen und Franzosen;
die letzten machen jetzt hier die grösste Anzahl aus.</p>
<p>Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Genuesen, der
halb Europa kennt und hier den Lohnbedienten und ein Stück
von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte
Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute
und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon
über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Gegend umher,
und bemerkte mit censorischer Strenge, dass sie das
Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich,
wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe,
wer auf seinem Casino die ausgesuchtesten Vergnügen geniesse
und geniessen lasse, und weiteifere sich oft zur
Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und
Vermögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein
kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf
eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das
erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft
abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des
Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so
herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen
Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine
bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind
einige merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen.
Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen
muss; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den
Katakomben. In den Katakomben kroch ich über
<!-- pb n="188" facs="#f0214"/ --> eine Stunde herum, und
beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die
Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner
des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des
Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine
Menge Wunder, die die Heiligen Januarius und Severus hier
ganz gewiss gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen
Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da
lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und
zuweilen ganze grosse Haufen von Knochen, wie man sagte, von
der Zeit der grossen Pest. Die römischen Katakomben habe ich
nicht gesehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil
mich verständige Männer und Kenner versicherten, dass man
dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht
sey, dass das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben
gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem
Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das
wahrscheinlichste.</p>
<p>Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der
Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die
Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen
sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre
Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen
gesucht. Mein alter Genuese, der ein grosser Hermenevte in
der Kirchengeschichte ist, erzählte mir bey dieser
Gelegenheit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine
Schande macht, und dessen Würdigung ich den Kennern
überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenossin des
heiligen Franciskus und des heiligen Domini<!-- pb n="189" facs="#f0215"/ -->kus;
und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbesondere
glauben lassen, sie sey jedem ausschliesslich mit sehr
feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in
ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Jeder der beyden
Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen
auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein
grosser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des
Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr
ein ätherischer sentimentaler Stutzer, der auch seine
Talente zu gebrauchen wusste. Nun sollen auch die heiligen
Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitäten
lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen
Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen
Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu körperlich vorkam;
er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein
Bratspiess war, und stiess damit so grimmig auf den
unbefugten Himmelsführer los, dass er den armen schwachen
Franz fast vor der Zeit dahin geschickt hätte. Indess der
Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung
entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen
Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich
habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt,
und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt gesehen. Mein
Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins
Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine
Glosse darüber machen, als dass ihm halb unwillkührlich
entfuhr: <span class="italic">Quelles betises on nous donne
à digerer! Chacun les prend à sa façon.</span></p>
<!-- pb n="190" facs="#f0216"/ -->
<p>Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die umständliche
Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein
romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu
glauben, der Dichter sey hier begraben gewesen, die Urne mag
nun hingekommen seyn, wohin sie wolle. Das Gebäudchen ist
wohl nichts anders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange
der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der
schönen Gegend. Ich weiss nicht, warum man sich nun mit
allem Fleiss bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt
zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der
Vesuv nicht sein Nachbar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber
die ganze Behauptung, dass er dort drüben liege, beruht doch
wohl nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begraben
worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der
Berg ist gerade gegen über: in einigen Stunden war er dort,
wenn er zu Lande ging, und setzte er sich in ein Boot, so
ging es noch schneller. Die Entfernung eines solchen
Nachbars, wie Vesuv ist, wird nicht eben so genau genommen.
Alle übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt.
Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die
vorzüglichsten Niederlassungen der römischen Grossen,
vornehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des
Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokrators und ein
Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und
Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die
Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war
überhaupt der Spielraum seiner liebsten Phantasie.
Wahrscheinlich hat er hier gewohnt,
<!-- pb n="191" facs="#f0217"/ --> und wahrscheinlich ist er
hier begraben. Donat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst
erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte
davon Augenzeuge gewesen seyn, dass das Monument noch ganz
und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem
Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übrigen zu geben, und
dieses ist der Ort seiner Angabe; zwey Steine von der Stadt,
an dem Wege nach Puteoli, nicht weit von dem Eingange in die
Grotte. Ich will nun auch einmal glauben; man hat für
manchen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glaube
ich, dass dieses Maros Grab sey. Den Lorber suchst Du nun
umsonst; die gottlosen Afterverehrer haben ihn so lange
bezupft, dass kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich
nahm mir die Mühe hinauf zu steigen und fand nichts als
einige wild verschlungene Kräuter. Der Gärtner beklagte
sich, dass die gottlosen vandalischen Franzosen ihm den
allerletzten Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben.
Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch
wohl etwas in die Welt erschollen, dass der Lorber von dem
Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sey.
Vielleicht schlägt er dort am Grabe des Mantuaners wieder
aus. Man sollte wenigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel
das seinige beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den
Rath.</p>
<p>Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit davon in
der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger
Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienstfertigkeit mir die
Antiquitäten erklären zu wollen, dass
<!-- pb n="192" facs="#f0218"/ --> er durchaus nicht eher
von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine
Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm.
Ich habe mich nicht enthalten können bey dieser Gelegenheit
wahres Mitleid mit dem grossen Cicero zu haben, dass sein
Name hier so erbärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen
sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer
unwissender und abenteuerlicher als der andere. Den
vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir
auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duzzend von
Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise
kommentirte.</p>
<p>Ich versuchte es an dem Fusse des Posilippo an dem
Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es war aber
nicht möglich weiter als ungefähr eine Stunde zu kommen:
dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da
aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von
ungefähr einer Viertelstunde zwey alte Gebäude, die man für
Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr
berüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich
zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es
liesse sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient
haben könnte. Zwischen diesen beyden alten leeren Gebäuden
liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er
beständig den Vesuv vor Augen hatte; und man thut ihm
vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner
Vergnügungen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der
schönen Königin schliesst, die von der bösen Geschichte doch
wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als
<!-- pb n="193" facs="#f0219"/ --> sie war. Ich war
genöthigt wieder zurück zu gehen, und nicht weit von der
Villa reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag,
die mich an die Spitze hinaus rudern wollten. Es schien mir
zu spät zu seyn, desswegen wollte ich nichts hören. Aber man
griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die
See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing,
und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte, das
wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen,
ich bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und
setzte mich mit meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich
erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch
mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin.
Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm
heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber und die Wogen
machten rechts eine furchtbare Brandung; das Wasser füllte
reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen
die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um
das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht
möglich: wir mussten, als wir einige hundert Schritte vor
dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere Zuflucht in
ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von
der Stadt aus zuweilen Wasserparthien macht, wo es aber
jetzt traurig genug aussah. Indessen fütterte uns doch der
Wirth mit Makkaroni und gutem Käse. Nicht weit von hier,
nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus sich
einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten
Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen
<!-- pb n="194" facs="#f0220"/ --> und die man gewöhnlich
nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl
sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr
wahrscheinlich, dass er hier oft gearbeitet haben mag. Es
ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen
Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann.
Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er
hatte hier um sich her einen grossen Theil von dem Theater
seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel
und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach
Surrent.</p>
<p>Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo
ich einkehrte, stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna,
von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind.
Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet
und es der Madonna <span class="italic">della fortuna</span>
geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in
den christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das
Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht
umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in
der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes
Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese
Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten
noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit
für die Fischhälter des Pollio annimmt, und in dieser
Meinung eine grosse marmorne Tafel an der Thür angebracht
hat, auf welcher lateinisch alle Gräuel abscheulich genug
beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn
natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen
<!-- pb n="195" facs="#f0221"/ --> ächt kardinalisch
gepriesen wird. Ich weiss nicht, ob man nicht vielleicht mit
dem brittischen Klagemann sagen
sollte: <span class="italic">A bitter change, feverer for
fevere!</span> Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den
Pollio in den Teich werfen könnte.</p>
<p>Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht
wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden,
einen andern Weg nach der Stadt zurück zu kehren. Ich zahlte
also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des
Posilippo nach Neapel. Diese Promenade musst du durchaus
machen, wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der
schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann.
Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von Neapel und Bajä
rechts und links im Gesicht, geniesst sodann die schöne
Uebersicht auf die Parthie jenseit des Berges nach Puzzuoli,
welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur
Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier
Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils
Grabe wieder herunter auf die Strasse. Der Spaziergang ist
freylich etwas wild, aber desto schöner.</p>
<p>Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Strasse
rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach
Puzzuoli führen, so dass man nicht nöthig hätte, durch die
Grotte und die etwas ungesunde Gegend jenseits derselben zu
fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das würde in der That
einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe
Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische
Regierung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und
<!-- pb n="196" facs="#f0222"/ -->
Polizey besorgte; das andere würde sich nach und
nach schon machen.</p>
<p>Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter
liegenden Karthause für die schönste Parthie gehalten; und
sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den
Vesuv oder zu den Kamaldulensern bemühen wollen. Es ist ein
ziemlicher Spaziergang; auf die Karthause, den unser
schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine grosse
Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher
vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll
Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote
sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey den
Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muss vorher dazu
die Erlaubniss haben. Man sieht in der Karthause fast eben
so viel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig
Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König
ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist
jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in
Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne
Gemälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz
vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal
hat noch Stücke von guten Meistern.</p>
<p>Um die schönste Aussicht zu haben musst Du zu den
Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution
etwas decimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer
empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige
Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde
Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die
Parthie nicht von
<!-- pb n="197" facs="#f0223"/ --> sehr vielen gemacht. Wir
verirrten uns, mein Genuese und ich, in den Feigengärten und
Kastanienwäldern, und ich musste dem alten Kerl noch mit
meiner Topographie im Orientieren helfen. Das ärgerte mich
gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht
hübsche Parthien nach allen Seiten. Es gab Stellen, wo man
bis nach Kajeta hinüber sehen konnte. Da wir uns verspätet
hatten, mussten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum
Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit nehmen.
Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge
über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu
geniessen als die Aussicht; die Kirche hat nichts
merkwürdiges. Ein Layenbruder führte mich mit vieler
Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an
eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige
perennierende Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in
ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil
es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil
von Elmo, Belvedere und einige andere Stückchen sind
sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische
klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava
der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv
mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent,
Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida,
der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend,
Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter
ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bey heiterm Wetter
die Berge von Kumä, der
<!-- pb n="198" facs="#f0224"/ --> Gaurus und weiter hin die
beschneyten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte,
deren Eingang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der
neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge,
ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue Städte,
Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest Du mit
Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief tief in
der Ferne sieht man noch Ponza und einige kleinere Inseln.
Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn
Du einmal hörst, dass ich unbegreiflich verschwunden bin, so
bringe mit unter Deine Muthmassungen, dass ich vielleicht
der schönsten Natur die grösste Sottise zum Opfer gebracht
habe und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer
und Virgil, den Thucydides und etwas von der attischen
Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und Juvenal; so
könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das
Bisschen Vernunft bey sich behalten: denn diese wird jetzt
doch überall wieder konterband. Also gehe zu den
Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey
ihnen oben zu bleiben.</p>
<p>Jetzt schliesse ich und schreibe Dir vermuthlich noch
einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme;
denn eben muss ich zu Schiffe nach Palermo.</p>
</div> <!-- chapter -->
</body>
</html>
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