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  <title>Agrigent</title>
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<body>

<div class="chapter" id="Agrigent">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Agrigent</span>.</span></div>

<p> <span class="initial">S</span>iehst Du, soweit bin ich
nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen
nicht jedermanns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste
hinzustreichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn
ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so
würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
<!-- pb n="208" facs="#f0234"/ --> versehen. Ich wollte
nehmlich von Palermo über Trapani, Alcamo und Sciakka gehen,
um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die
noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn
ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre
doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in
Palermo mit einem neapolitanischen Offizier, einem Herrn
Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und
breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen
Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu
besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit
keiner Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an
den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in grösster
Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach
aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir einfällt, dass ich
doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber
versicherte mich aber sehr ehrlich, das sey der rechte
gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich bin wieder einige Millien
zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati an, und ich
finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und
erklärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, dass sich
der Eseltreiber dem Henker um meine Promenade bekümmert
hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die
Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da
war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand
wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht
mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und den
andern Weg zu machen. Das
<!-- pb n="209" facs="#f0235"/ --> war meiner Börse zu viel;
ich entschloss mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so
fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu
überlassen, die vielleicht auch ihren Werth besser zu
würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die
Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts
ab. Die Parthien sind angenehm und könnten noch angenehmer
seyn, wenn die Leute etwas fleissiger wären. So wie man sich
von der Hauptstadt entfernt, wird es ziemlich wild. Wir
kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der
Abfall der Kultur und des äusserlichen Wohlstandes war
ziemlich grell. Alles war weit theurer, als in der
Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich
erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden
liess. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der
Anhöhe ein altes Schloss liegen, das man Torre di Diana
nannte, und wo die Saracenen mit den Christen viel
Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu
zeitig bey den schönen Brüdern zu bleiben, zumal da das
Wirthshaus gerade zu der Revers des Namens war; wir ritten
also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war
auch nicht ein Stückchen Brot, auch nicht einmal Makkaronen
zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber
und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte,
fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch
wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt Joseph nicht
weit von einem Flusse ankamen, dessen Namen ich vergessen
habe.</p>

<p>Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber
<!-- pb n="210" facs="#f0236"/ --> aus allen Theilen der
Insel, und doch wenigstens Makkaronen. Aus Vorsicht hatte
ich für mich in Palermo Brot gekauft, das beste und
schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es
mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den
Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein
Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige
Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das
nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine
Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte meinen Unwillen
kaum bergen.</p>

<p>Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Makkaronen.
Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, dass ich wohl ihre
Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in
Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken lässt. Da erhob
sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die
Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der
Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die
Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von
Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der
Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von
Palermo hörte königlich zu und sagte &mdash; nichts. Ihr
könnt euch auch gross machen, sagte der Treiber von Katanien
zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen,
der nicht einmal euer ist, und fing an auch die Alterthümer
seiner Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde,
heraus zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergass
der in ihrem Theater geredet habe. Du musst wissen,
Margarethe heisst bey den Siciliern durchaus ein
gefäl<!-- pb n="211" facs="#f0237"/ -->liges feiles Mädchen:
das war für die Mutter des frommen Mannes der Aeneide kein
sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du
hieraus, das<!-- supplied>s</supplied --> die sicilischen
Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache
gleich nicht immer ausserordentlich genau nehmen: denn der
Agrigentiner rechnete den benachbarten Makaluba zu den
Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne dass seine Gegner
protestierten; und hätte der Streit länger gedauert, so
hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit
aufgezählt.</p>

<p>Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen
heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich
eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so
entsetzlich denken können. Die Insel sieht im Innern
furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber
das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so
schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause
durchaus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler kamen in
den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen
auf der Treppe des <span class="spaced">spanischen</span>
Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht,
sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit
Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst
küsste man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich
blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden,
und hätte in diesem Augenblicke alle sicilische Barone und
Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche
stellen können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in
Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei<!-- pb n="212" facs="#f0238"/ -->len, 
recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist
so vernachlässiget, dass mir der Wein sehr willkommen war.
Ich musste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was
man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach
unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen
Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das
beste war hier ein grosser schöner herrlicher Orangengarten,
wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust
hatte, ohne dass es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich
die köstlichsten hochglühenden Früchte von der Grösse einer
kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera
traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern
Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die
Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich
keinen Fuss vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht
helfen, wenn ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen
gleich machte.</p>

<p>Der Fluss ohne Brücke, über den ich in einem Strich von
ungefähr drey deutschen Meilen wohl funfzehn Mahl hatte
reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits
gehet, ward diesen Morgen ziemlich gross; und das letzte
Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit
Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus
bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme,
trugen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und
suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Verdienst recht
gross zu machen: ich hätte gerade zu Fusse durchgehen
wollen, und wäre nicht schlimmer
<!-- pb n="113 " facs="#f0239"/ --> daran gewesen, als am
Ende der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Foderung
war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich
möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig
würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen,
jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder gerade zu mit
dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die
Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten
nicht weiter. Der Fluss geht nun rechts durch die Gebirge in
die See. Ich habe seinen eigentlichen Namen nicht gefasst;
man nannte ihn bald so bald anders, nach der Gegend; am
häufigsten nannten ihn die
Einwohner <span class="italic">Fiume di San Pietro</span>.
Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent
abwechselnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich
bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege
ab aufsuchte, ist sie etwas mager.</p>

<p>Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder vielmehr das
Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz unbeträchtlich, und sein
Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rund umher sind
in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge,
so dass ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für
Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen,
aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des
Orts ist verhältnissmässig doch zu gross, und es giebt rund
umher tiefere Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am
wenigsten liesse sich seine periodische Wuth erklären. Wo
ich hinauf stieg fand ich einen einzelnen drey Ellen hohen
Kegel aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben
eine
<!-- pb n="214" facs="#f0240"/ --> Oeffnung hatte, aus
welcher die Masse immer heraus quoll und herab floss und so
den Kegel vergrösserte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs
grössere Oeffnungen, aus denen beständig die Masse hervor
drang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse
flüssiger war. Ich stiess in einige meinen Knotenstock
gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die
Seiten berührte war der Boden hart. In der Mitte und
ziemlich auf der grössten Höhe desselben war die grösste
Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der
Boden nicht trug und ich befürchten musste zu versinken.
Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll
man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich
sah der Oeffnungen rund umher, grössere und kleinere,
ungefähr dreyssig. Einige waren so klein, dass sie nur ganz
kleine Bläschen in Ringelchen ausstiessen, und ich konnte
meinen Stock nur mit Widerstand etwas hinein zwingen. Die
Ausbrüche und die Regenstürme ändern das Ansehen des
Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer als
seine grössern Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer
Entfernung von ungefähr zwey Stunden auf einer
beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich
hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna heisst.
Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe liegenden kleinen
Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drey Wochen sehr in
Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig
gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber diessmahl bey
dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv -Vulkan bis hierher
<!-- pb n="215" facs="#f0241"/ -->
sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich
rauhe Gegend über mehrere Berge,</p>

<p>Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine gewaltig
starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als ich das Haus
betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben
würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich
wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe
ich mirs versah, schoss ein junger starker Kerl aus einer
Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den
höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der
Gurgel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäusten aus
allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden so gut
ich konnte, und er liess den armen Teufel endlich los, der
auch sogleich abmarschierte. Ich sagte dem Fausthelden so
glimpflich als möglich, dass ich diese Art von Willkommen
etwas zu handgreiflich fände; da trat er ganz friedlich und
sanft vor mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine
Mutter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden.
Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es
auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen: und
damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich
den Ritter Canella, den Onkel meines militärischen Freundes
in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde waren sehr
artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich
sogar in meinem Gasthause. Raimondi, welcher Direktor der
dortigen Schule ist, führte mich in die alte gothische
Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah und das
akustische Kunststück
<!-- pb n="216" facs="#f0242"/ --> nicht hören konnte, da er
den Schlüssel zu der verschlossenen Stelle vergessen hatte
und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit
noch einmahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der
Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern
Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort desswegen
verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden
belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des
Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt
genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, dass
Dorville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus
ausserordentlich richtig gezeichnet hat.</p>

<p>Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in
Alikata. Mein Mauleseltreiber kam beständig und machte den
Bedienten und Cicerone. <span class="italic">Jo saggio
tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,</span> sagte
er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich
eben so wenig einwenden liess, als wider die Infallibilität
des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon
ziemlich kannte, hatte ich weiter nichts gegen die
Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr
neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten
Stadt schon aus den Fenstern des Herrn Raimondi übersehen,
steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die
Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten
der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die
Vergänglichkeit aller weltlichen Grösse helfen? Ich sah da
die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters<!-- pb n="217" facs="#f0243"/ -->tempels, 
und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie
nehmlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht etwas zu
bestimmen. Die Trümmern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern
Karuben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und
gross gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem
fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und
sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein
weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen
Gebälke durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin
und her, dass der Agrigentiner, der doch ein Mauleseltreiber
war, vor Angst blass ward, an der Celle blieb und sich
niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten auf dem Gesimms,
bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus
der Tasche und hielt ein Frühstück, das gewiss Scipio auf
den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich
konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht
erwehren, als ich über die Stelle des alten grossen reichen
Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger
unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und jedem die
üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlängelt sich der kleine
Akragas, der der Stadt den Namen gab, hinunter in die See;
und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer
steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt
wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des
feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt die Stadt
steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil der Akropolis. Nun
ging ich noch etwas weiter hin<!-- pb n="218" facs="#f0244"/
-->auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übrigen Resten,
unter denen man mehrere Tage sehr eparnorthotisch hin und
her wandeln könnte. Die systematischen Reisenden mögen Dir
das übrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der
jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den
Konkordientempel schaffen lassen und dafür die schöne alte
Front mit der pompösen Inschrift
entstellt: <span class="italic">Ferdi</span><span class="italic">nandus
IV. Rex Restaurauit</span>. Ich hätte den Giebel herunter
werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.</p>

<p>Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel stehen nicht
weit von den alten Mauern, in deren solidem Felsen eine
Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiss was
man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es
wahrscheinlicher vor, dass es Schlafstellen für die Wache
sind, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur
aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern,
so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind
doch als Felsen beträchtlich genug, dass man von der See aus
die Stadt das hohe Akragas nennen konnte; und noch jetzt
würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben
eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht ohne
Grund geschehen, dass man die schönsten Tempel der Mauer so
nahe baute. Sie waren das Heiligthum der Stadt; ihre Nähe
beym Angriff musste anfeuern, wo, die Bürger wirklich
augenscheinlich <span class="italic">pro aris et
focis</span> schlugen. Auch der Tempel des Herkules muss
unten nicht weit von der Mauer gestanden
<!-- pb n="219" facs="#f0245"/ --> haben. Dort sind aber die
Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort
nicht so unterstützte; eben desswegen setzte man vermuthlich
dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der
schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erinnern: eben
desswegen liegen wahrscheinlich dort Tempel und Mauer in
Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl
eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl
Hierons machen soll, weiss ich nicht; ich überlasse es mit
dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt
zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem
Mauleseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt:
<span class="italic">Kischt' è il lempiò di San Gregoli;
Kischta Madonna è antica:</span> und wer es nicht glauben
will, <span class="italic">anathema sit</span>. Der gute
Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und
meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft
alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun
interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur
&#x03F0;&#x03B1;&#x03C4;&#x0315;
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ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rapport halb
unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären
Schweinställe! Weiss der Himmel, was der fromme Kerl
verstanden haben mochte; <span class="italic">Si si</span>,
<span class="italic">Signore</span>, <span class="italic">dice
bene</span>, sagte er
treuherzig; <span class="italic">kischt' è la cosa</span>.
Er rechnete es mir hoch an, dass er italiänisch sprach und
nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht
fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in
ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der
heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt
nicht weit von
<!-- pb n="220" facs="#f0246"/ --> hier nach Alcamo hinab in
dem Gebirge, wo die Leute griechisch sprächen oder gar
türkisch, so dass man sie gar nicht verstehen könnte, wie
das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier
führte er eine Menge Wörter an, die ich leider wieder
vergessen habe. <span class="italic">Non sono cosi boni
latini, come noi autri,</span> sagte er. Du siehst der
Mensch hat Ehre im Leibe.</p>

<p>Den musikalischen Talenten und der musikalischen Neigung
der Italiäner kann ich bis jetzt eben keine grossen
Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem
Lande und in den Städten, auch noch keine einzige Melodie
gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern
Ländern manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch
von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent,
der eine Art Liebesliedchen sang und sehr emphatisch drollig
genug immer wiederholte
; <span class="italic">Kisch</span>t<span class="italic">a</span>
nu<span class="italic">tte, kischta nutte in verru, iu
verru. (Questa notte io verro.)</span></p>

<p>Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier
italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg dahin ist
sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen und Mandelgärten.
Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in
Sicilien zu einer ausserordentlichen Grösse wachsen; noch
häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September
reif werden und von denen ich das Stück, so selten sind sie
jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen musste,
da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karuben oder
Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir
bey uns gar keine Begriffe <!-- pb n="221" facs="#f0247"/ --> 
haben. Sie sind so haufig, dass in einigen Gegenden des
südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der
Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem
Fünften gebaut. Bonaparte lag einige Tage hier und auf der
Rhede, als er nach Aegypten ging: und damahls kamen auch
einige Franzosen hinauf in die Stadt, wo gar keine Garnison
liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn
der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen.
Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona, und keiner der besten.
Nicht weit davon sind eine Menge unterirdische
Getreidebehälter, weil von Agrigent sehr viel ausgeführt
wird. Die politische Stimmung durch ganz Sicilien ist gar
sonderbar, und ich behalte mir vor Dir an einem andern Orte
noch einige Worte darüber zu sagen.</p>

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</body>
</html>