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  <title>Syrakus</title>
</head>
<body>

<!-- pb n="[242]" facs="#f0268"/ -->

<div class="chapter" id="Syrakus2">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div>

<div class="poem"> 
Heute will ich fröhlich fröhlich seyn,<br />
Keine Weise, keine Sitte hören;<br />
Will mich walzen und vor Freude schreyn:<br />
Und der König soll mir das nicht wehren.<br />
</div> 

<p> <span class="initial">S</span>o singt Asmus den ersten
May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den
ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich
gleich vor einigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe
ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich
auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt
und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die
Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bisschen
Unordnung.</p>

<p>So wie ich zum Thore herein war und eine Strasse herauf
schlenderte, &mdash; wohlzumerken, mein Sack hielt keine
grosse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt
leicht in den Taschen bergen &mdash; so rief mir ein Mann
aus einer Bude zu: <span class="italic">Vous etes etranger,
Monsieur, et Vous cherchés une auberge</span>?
&mdash; <span class="italic">Vous l'avés touché,
Monsieur!</span> sagte ich. <span class="italic">Aiés la
bonté d'entrer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur
de Vous servir</span>. Ich trat ein. Der Mann war ein
Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren
ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich
leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das
beste nannte. Die Nahrung, wenig<!-- pb n="243" facs="#f0269"/ -->stens 
das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, dass mein
Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von
Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina
das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer
Fes<!-- supplied>t</supplied -->ung kann ich doch gutwillig nicht
bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus
an den Hafen, nehmlich an den grossen, oder an den
Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den
Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel
auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich
ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das
Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abtheilung des
Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief
gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden
gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den
punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach
Afrika, machte grosse Beute in Utika, und war den dritten
Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war,
von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Livius Bescheid
geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, dass ich,
wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen
Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido
mitmachen könnte.</p>

<p>Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus,
und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines
Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpfgegend hielt mich
auf; sonst wäre ich wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem
Rückwege setzte ich
<!-- pb n="244" facs="#f0270"/ --> mich ein Viertelstündchen
an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel
des Jupiter Olympius gelten. Hier liess Dionysius dem Gott
den goldenen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den
Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener
schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein
ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte
des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber
war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und
so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand
noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte
den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka!
An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der
Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich
dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte
nun rechts umzukehren um keinen zu grossen Umweg zu machen;
und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch
etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich
fürchtete man möchte das Thor schliessen; wo man denn eben
so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich
mich doch mit vielem Schweiss in einem nicht gar erbaulichen
Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluss
herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause
wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir
nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die
Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer
der Herrn verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den
Syraka, denkt wie ich, ist aber
<!-- pb n="245" facs="#f0271"/ --> nicht so glücklich, und
sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht
heraus bringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr
um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach
vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit
Stricken herausziehen. Lass Dir es also nicht einfallen,
wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber
nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege,
sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.</p>

<hr class="hr5" /> 

<p>Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina
zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das
ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er
ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme
mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weisst, dass er
Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in
meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen
ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in
Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke
Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus
bis nach Epipolä, wo wir unsere Pferde liessen und nach den
äussersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen
zu Fusse gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den
Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden
kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die
ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey
Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie
<!-- pb n="246" facs="#f0272"/ --> bey ihm, Landolina
gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten
uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung
nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses
halbe Stündchen für eines der schönsten die ich genossen
habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte,
die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah
man die ganze grosse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt,
die nun halb als Ruine und halb als Wildniss da liegt.
Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem
Syraka und dem Hafen: links hinab ging bis ans Meer die
gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche
Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen
liess. Von beyden sieht man noch den Gang durch die
Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke
aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das
Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Grösse des
ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet.
Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen
hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette
des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag
der <span class="italic">mons crinitus</span>, wo die
Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen
Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer,
welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das
Haus des Timoleon, wo man bey der kleinen Mühle noch die
Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein,
drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo
der schöpferische Geist Archimeds mit dem
<!-- pb n="247" facs="#f0273"/ --> Feuer des Himmels seine
Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange
nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken
Besatzung der Aussenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter
links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der
Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab
lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern
Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem
Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind
vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der
Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen
und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde
eine angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die
Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an
Solidität und Grösse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen.
Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie
derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren
es durch die Lage bloss sehr feste Aussenwerke, deren
Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt
hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite
des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich
zu geringe und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr.
Die Römer drangen durch die grosse Linie links. Wäre diese
Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die
Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre
vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht
gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen
Schlacht zum Manöver benutzen kann.</p>

<!-- pb n="248" facs="#f0274"/ -->
<p>Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner
Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das
Vergnügen theilen, so würde es grösser werden. Mein eigenes
Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo
gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir
mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm
Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Geschenk von
Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las
nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas
magisches. &mdash; Sey nur ruhig, ich habe jetzt zu viel
Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du
sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.</p>

<p>Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina
zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis,
die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste
enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen
Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge
Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage
genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und
besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze
gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts
weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser
aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die
jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen
Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen
Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf
ist das alte grosse griechische Theater,
<!-- pb n="249" facs="#f0275"/ --> fast rund herum in Felsen
gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug
hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es
natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren
Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich
deutlich zu lesen. Es lässt sich viel dawider sagen, und sie
beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin
Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der
aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung
geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemahls
auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig
gewesen, so dass ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der
Inschrift floss, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war.
Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen,
schalt den Müller und liess es auf der Stelle abändern.
Gegen über steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das
Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freylich
nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, dass
wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und dass
vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der grosse Mann
begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnissweg
hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis
fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die
verschiedenen Gestalten der kleinen und grössern
Begräbnisskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den
Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius.
Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne
Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,
<!-- pb n="250" facs="#f0276"/ --> das man am Eingange
zerreisst, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man
stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen
Büchsenschuss, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die
ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir
vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber
als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob
sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die
Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine
Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl
vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe
ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingruben
des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so
vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob
Dionysius dasselbe habe hauen lassen, liesse sich noch
bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint;
aber dass er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen,
hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein
schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in
dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige
durchgebrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn
mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen
anzuschliessen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am
Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemahls für das
Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel
Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin
zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina
erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt
habe. Die<!-- pb n="251" facs="#f0277"/ -->ses
Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle
selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade
geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine
eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen
in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich;
und es lässt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als
eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten
Gang in das Gefängniss geführt, durch welche der Tyrann
selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem
Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl
nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir,
er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen
Engländern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und
eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein
verworrenes dumpfes Geräusch.</p>

<p>Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den
hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend
räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche
Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu soll
das Kämmerchen oben gewesen seyn? Zum Anfange einer neuen
Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an
einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit
bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst
entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage
nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts
deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass man ehedem
nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange
vieles zertrümmert und ein<!-- pb n="252" facs="#f0278"/ -->gestürzt, 
also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man
sagt, Dionysius habe hier in dieser Gegend der Stadt keinen
Pallast gehabt. Zugegeben dass dieses wahr sey, so war
dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen
Gegenwart zu entfernen. Er konnte desswegen bey wichtigen
Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu
kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und
Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen
sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, dass er
draussen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt
haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in
Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des
ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem
Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von
Syrakus schliesst er nicht ganz übel.</p>

<p>In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler
ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der
Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von
Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein
anderer Steinbruch, der einer wahren Feerey gleicht. Er ist
von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als
nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den
der Besitzer hat verschliessen lassen. Von oben kann man das
ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den
niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen
Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt
in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den
vaterländischen Baum
<!-- pb n="253" facs="#f0279"/ --> zu finden, den ich fast
in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier
in dem heisseren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das
vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch
sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach
vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand.
Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen
Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die
Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur
machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der
Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu
halten; da diese Röhren vermuthlich Luft von aussen
empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der
enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese
Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte
Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut
erhalten ist, dass, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in
Gang gesetzt werden könnte.</p>

<p>Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen
Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die
furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im
peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich
lange darin herum gewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre
Gärten darin angelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn
würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf
gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Gefahr zehn tausend
ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege
mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt
haben;
<!-- pb n="254" facs="#f0280"/ --> dieses war nun das
grösste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit
schönen Orangen, und bedauerten, dass die Engländer schon
die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten
aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür
erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen
Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen
Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht
ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem
Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum
spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes
und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn
man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze
ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem
Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet.
Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die
bekannte Anekdote, dass viele Gefangene sich aus der
traurigen Lage bloss durch einige Verse des Euripides zogen:
und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter
gebracht worden.</p>

<p>In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia
ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte
Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man
auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute
noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht
giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie
doch gewiss von dem festen Lande der Insel; und schon dieser
Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es
den Dichtern auf einige Grade Er<!-- pb n="255" facs="#f0281"/ -->höhung 
nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine
ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen,
die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus
der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen
Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag
zusammen getragen hat. In Sicilien und Italien dankt niemand
für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von
Europa zu wünschen, dass sie bekannter würde. Vielleicht
lässt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist
durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine
Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die
mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die
vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie
quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen
ganz weg, so dass man trocken tief in die Höhle hinein gehen
kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen
physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie
vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu
glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem
Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort
herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu
denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht:
das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen
willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet
man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem
Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist.
Seitdem ist das Wasser süss geblieben, heisst es. Ich fand
eine
<!-- pb n="256" facs="#f0282"/ --> Menge Wäscherinnen an der
reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und
hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich
stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der
hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es
schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser
der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muss
also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich
wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat
die nehmliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich
durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt
Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich
bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der
nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es etwas
salziger: das mag vielleicht von der grossen Tiefe und dem
beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es
für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen
Tempeln fand. Sehr möglich; es lässt sich gegen die
Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein
gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn?
Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse
in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiss die Insel
machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt
aus. Man hatte ausser der Arethuse wenig Wasser in den
Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr
bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder
zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz
auf diesen Fall zu verschaffen und ihn
<!-- pb n="257" facs="#f0283"/ -->
vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich
will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben
so wenig hartnäckig behaupten.</p>

<p>Als ich hier in der Kirche sass, die eben ausgebessert
wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete,
gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein
Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen
Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals
mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht.
Wenn man diesen Mann von der Regierung und der
Kirchendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom
Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mögen. Alles
bestätigte seine Erzählung, und Unzufriedenheit und Murrsinn
schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen.
Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner
Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten
Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller
Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit
einem kleinen Ablassgelde in Ordnung gebracht und
fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich
der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum
Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer
profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet
sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die
ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der
Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die
jedermann wisse, und nannte mir mit grosser Freymüthigkeit
zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich
<!-- pb n="258" facs="#f0284"/ --> gern wieder vergessen
habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die
Glossen.</p>

<p>Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz
machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen
Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine
ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so
dass nur noch von innen und aussen der griechische
Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen
Stil schön und gross, sticht aber gegen die alte griechische
Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.</p>

<p>Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines
Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche
singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war
mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und
ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein
Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über
seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen
eigentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz
unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine
Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das
entmannte Bild so in Wuth, dass er mit dem Messer auf den
Geiger zuschoss und ihn erstochen haben würde, wäre dieser
durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden.
Auch der Sänger konnte die Aergerniss durchaus nicht
verdauen und entfernte sich.</p>

<p>Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem
Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherrn gelten,
und die ich also wohl eben so verdienst<!-- pb n="259" facs="#f0285"/ -->los 
verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft
und halb mit gefischt. Ich fuhr nehmlich heute nach Mittage
mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um
das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane
links bald in einer solchen Menge, dass wir das Boot kaum
durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich
nicht erreichen. Es war zu spät; wir mussten fürchten
verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich
etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch
und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am
Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir
durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für
meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu
bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den
Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus
meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie
weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König
selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen
liesse. Die Leute beguckten mich und liessen mich abziehen.
Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zu
zubereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich
glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar
keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit
entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser
schlechtes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste
Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien
gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den
Kommentar
<!-- pb n="260" facs="#f0286"/ -->
des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das
Interesse des Alterthums.</p>

<p>Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen,
welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir
der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler
Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem
alten griechischen Theater sassen und ausruhten. Landolina
machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer
Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte,
eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine
Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise
interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes
irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise,
die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache,
welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und
hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, dass man
über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich
und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht
erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es
selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich
nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere
ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die
bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange
sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar
geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manchmal,
setzte Landolina sehr launig hinzu.</p>

<p>Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von
denen zu Neapel. Was beyde ursprüng<!-- pb n="261" facs="#f0287"/ -->lich 
gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber
dass beyde in der Folge zu Begräbnissplätzen gedient haben,
ist ausgemacht. Von den syrakusischen liesse sich vielleicht
aus dem Bau mehr behaupten, dass sie ursprünglich dazu
gehauen wurden. Der grosse Unterschied der neapolitanischen
und syrakusischen besteht darin, dass in den
neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts,
und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort
sind unten die grössern und dann an der Wand herauf die
kleinern Behälter; hier sind vorn die grössern und dann
weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so dass in
Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in
Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist.
Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr
Umstände; ich weiss nicht ob ich Dir deutlich geworden bin.
Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel
lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf,
unten die grösseren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus
in den Felsen hinein, vorn grössere und hinterwärts immer
kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als
Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch
zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens
nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine
alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten
Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige
Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und
Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das
erste Mal, als wir kamen,
<!-- pb n="262" facs="#f0288"/ --> war er nicht zu Hause,
sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten,
begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder
mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen
Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug.
Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig um
seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also,
da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von
drey und zwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des
Lebens konnte natürlich die grosse Tour nicht aushalten. Der
Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die
Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in
angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden
wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster
aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf
die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine
abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr
gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt;
vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein
Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo
noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und
schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen
Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen
; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer
griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können:
das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser
verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis
nach Ka<!-- pb n="263" facs="#f0289"/ -->tanien gehen;
vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden
haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der
Baumannshöhle versichert, dass sie sich bis nach Gosslar
erstrecke.</p>

<p>Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchterlich seyn;
denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde,
den man <span class="italic">il ponente</span> nennt,
welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch
alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume
entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein
kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in
einem solchen Grade alles verdorret, dass man es sogleich zu
Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch
der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf,
dass er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume
nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey
gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die
Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der
vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen
Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige
Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest,
besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse
Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den
Gipfeln ferner Berge.</p>

<p>Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall; die
Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur
zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben
mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr
melancholische Viertelstunde, als
<!-- pb n="264" facs="#f0290"/ --> ich mit Landolina oben
auf der Felsenspitze von Euryalus sass, der würdige
patriotisch eifernde Mann über das grosse traurige Feld
seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und
sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das
kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der
vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und
liebenswürdigsten Charakter gefunden, und er sprach mit
schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter
und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und
von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein
hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur
der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich
schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und
Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es
durchaus. Ehemals schickte man bey der grossen Bevölkerung
Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der
Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget
gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit
die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger
litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung
und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der
physischen Verschlimmerung des Landes durch die
Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle
fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der
Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige
Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden,
wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese
verschrieenen Ge<!-- pb n="265" facs="#f0291"/ -->genden, 
geben reichlich, wenn man fleissig ist. Sicilien ist ein
Land des Fleisses, der Arbeit und der Ausdauer. Man will
jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu
arbeiten. Es sind freylich wenig grosse Striche hier, die so
schwelgerisch fruchtbar wären wie das Kampanerthal: aber es
könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.</p>

<p>Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der
schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium
und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und
hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als
im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel
zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht
tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir
unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum
hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus
ausser Stande zu seyn schnell zu handeln, lässt alle Kaliber
der Kugeln durch einander werfen und die Munition in
Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach
Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die
Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem
Verdruss. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser
verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel
anzugreifen; mit zehn tausend Mann hätten sie dieselbe mit
ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger
Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere
Maassregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre
zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er<!-- pb  n="266" facs="#f0292"/ -->griffen 
haben. &mdash; Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus.
Bloss im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die
Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen.
Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der
Ankommenden beständig wieder.</p>

<p>Noch etwas literarisches muss ich Dir doch aus dem
südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest ich sey
ganz und gar unter die Analphabeten getreten. Landolina
lässt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher
er beweist, dass der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein
der &#x03BF;&#x03B9;&#x03C5;&#x03BF;&#x03C2;
&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;
oder &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; der
Alten sey. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube
ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in
seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im
Homer heisst es, dass an den Weinstöcken reife Trauben und
grünende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich
unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen
nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus
kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des
Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur
die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums,
dass sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher
Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zunächst
aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen.
Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit
wichtiger seyn, als mir Abaccheveten. Er hat mir noch manche
nicht unange<!-- pb n="267" facs="#f0293"/ -->nehme
philologische Bemerkung über manche griechische Stelle
gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank
wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt
hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser
sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, dass
Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu
urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse,
vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey,
weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik
gegen die Insel äussere.</p>

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