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  <title>Messina</title>
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<body>

<!-- pb n="[281]" facs="#f0307"/ -->

<div class="chapter" id="Messina">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Messina</span>.</span></div>

<p> <span class="initial">I</span>ch muss mich etwas fassen,
dass ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit
mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich
Geduld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar
schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in
Katanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand und der
sich als einen sehr guten Hodegeten ankündigte, besorgte mir
eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Thiere, der mit mir
die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll
Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken
durchritt ehe ich am Sandkloster ankam, weiss ich nicht
mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen
Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen
Layenbruder haben, welcher die Oekonomie besorgt denn sie
haben rund umher weite Distrikte von Weinbergen. Bey den
Mönchen gilt selten das Sprichwort, im Weine ist Wahrheit;
sondern im Weine ist Schlauheit. Ich kann mir nicht helfen,
und wenn mich die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen,
je grösser das Kloster, desto grösser die Sottise. Die
Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonsequente und
Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut
fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren
freundlich und höflich. Der Layenbruder hier im Sande war
etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen
Empfehlungsbrief, betrachtete ihn und sagte mir ganz
trocken: Der Abt,
<!-- pb n="282" facs="#f0308"/ --> mein Vorgesetzter, hat
ihn nicht unterschrieben; er geht mich also nichts an. Das
ist schlimm für mich, sagte ich: Ja wohl! sagte er. Was soll
ich nun thun? fragte ich: Was Sie wollen; antwortete er. Er
besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen
auf. Er fragte mich, ob ich mit essen wollte; und ich machte
natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war.
Wir setzten uns und über Tische ward mein Wirth
freundlicher. Mein Maulesel mit dem Führer wurde nach dem
nächsten Orte Nikolosi geschickt und mir Quartier und Pflege
gesichert. Man meldete, dass eine fremde sehr vornehme
Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen
wollte: das war mir lieb. Wir assen dreyerley Fische. Denke
Dir, ein Layenbruder der Benediktiner in der höchsten
Wohnung am Aetna zur Fasten dreyerley Fische! Denn über
diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber,
und weiter nichts mehr in der Waldregion bis hinauf an die
alte Geisshöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern
Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns
trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von
Geistlichen zu seyn. Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche
und liess ihn den andern vorlesen: da ergab sich mir denn
erst, dass der Herr Layenbruder wohl gar nicht lesen konnte.
Der Brief lautete ungefähr, dass der Pater Sekretär ihm im
Namen und auf Befehl des Abtes schreibe, dem deutschen
reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre,
nach Würden bestens zu bewirthen. Von meiner Entfernung war
nun gar nicht mehr die
<!-- pb n="283" facs="#f0309"/ --> Rede. Der Bruder erzählte
mir seine Reisen und seine Schicksale, und dass ihn der
Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerey und segnete
sich. Er liess sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch
etwas angelegener seyn, als der palermitanische
Steuerrevisor in Agrigent, fand mich aber ganz
refraktarisch: er musste mich mit seinem besten Futter in
die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er
brauchte, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch
einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seyen auf dem Berge
schon viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt
gefunden würde, nicht einmahl christlich begraben werden.
Das war nun freylich ein triftiges Argument; denn bey diesen
Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so
sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im
ähnlichen Falle aus bat, man möchte ihm nach dem Tode einen
Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann
schüttelte den Kopf und &mdash; trank sein Glas. Nun wurde
mir ein Führer bestellt, der theuer genug war, und auf alle
Fälle alles in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft
nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung getroffen
worden war, wurde gemeldet, dass die Engländer nicht kommen
würden, sondern in Nikolosi blieben. Darüber war der Mann
Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft, wie Elisa der
Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Katanien
und oben in Nikolosi. Ich machte eine Ausflucht gegen über
auf die <span class="italic">Monti rossi</span>, die sich
bey der letzten grossen Eruption gebildet haben, vermuthlich
von der Farbe
<!-- pb n="284" facs="#f0310"/ --> den Namen tragen und von
ihren Gipfeln eine herrliche Aussicht geben. Man hat eine
starke Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen
sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuern Lavastrom der
hier ausbrach, alles umwälzte und zernichtete, einen grossen
Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als
eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiss wohl,
dass Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so
von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche
ziemlich unterrichtete Männer waren. Als ich herunter stieg,
begegnete ich zwey Engländern von der Parthie aus Nikolosi,
die den nehmlichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer
waren fünfe, lauter Offiziere von der Garnison aus Malta,
die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mit sehen
wollten; ein Major, ein Hauptmann und drey Lieutenants. Sie
freuten sich noch einen zur Parthie zu bekommen, und ich
holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den
Engländern ins Wirthshaus nach Nikolosi, wo schon vorher
mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte ein finsteres
Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige
Flüche über uns Ketzer alle: ich dankte und ging.</p>

<p>Hier trieben wir nun, die fünf Britten und Dein Freund,
unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hatten den Wirth
vom goldenen Löwen aus Katanien mitgebracht; ich trat zur
Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich,
und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die
Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante,
von der Themse
<!-- pb n="285" facs="#f0311"/ --> und vom Nil, und bald
traf die Kritik einen General bald ein Mädchen. Vorzüglich
war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse
originelle Trompetersfrau, die sie nach allen Prädikamenten
zur Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen
Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze
Karavane zu Maulesel; sechs <span class="italic">Signori
Forestieri</span>, zwey Führer mit Laternen und ein
Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten
April zu Mitternacht, oder den siebenten des Morgens. Den
vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend
ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf so wie wir aus
dem Wirthshause zogen. Wir gingen bey meinem Mönch in
Sankt <span class="italic">Nicolas del bosco ove della
rena</span> vorbey. Es war frisch und ward bald kalt, und
dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm. Dann
deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann sangen
wir <span class="italic">God save the king</span>, nach
Händel, und
<span class="italic">Britannia, rule the waves</span>, und
andere englischpatriotische Sachen. Jeder gab seinen
Schnak. <span class="italic">We are already pretty
high</span>, sagte der Eine; <span class="italic">it is a
bitter nipping cald</span>, der
Andere. <span class="italic">Methinnks, I hear the dogstar
bark, and Mars meets Venus in the dark</span>; fuhr ein
Dritter fort. <span class="italic">Is that not smoke
there?</span> fragte ein subalterner
Myops; <span class="italic">I believe I see already old Nock
smoking his pipe. But, my dear</span>, sagte der
Major, <span class="italic">You are purblind upon your
starboard eye; it is an oaktree</span>. So war es; das gab
Gelächter, und wir ritten weiter. Bald kamen wir aus der
bebauten Region in die waldige, und gingen nun unter den
Eichen immer bergauf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der
Gegend
<!-- pb n="286" facs="#f0312"/ --> der Geisshöhle an, die
aber jetzt ausser Uebung kommt. Der Fürst von Paterno hat
dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bey
einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und
ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht
besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als
nichts und vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben
wir eine kleine Halbestunde, bestiegen wieder unsere
Maulthiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den
Schnee hinein. Ungefähr eine Viertelstunde über dem Hause
und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee
fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her hier und
da neu und alt lag. Wir mussten nun absteigen und unsere
Maulthiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und
das Steigen sehr beschwerlich. Unsere Führer riethen uns nur
langsam zu gehen, und sie hatten Recht: aber die Herren
ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht
Recht.
<span class="italic">Methinks I smell the morning
air</span>, sagte der Major, und fuhr ganz drollig fort, als
ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein
Lavastück fiel und über den Fuss
klagte: <span class="italic">Alack</span>, <span class="italic">what
dangers do inviron the man that meddles with cold
iron!</span> Die Kälte des Morgens ward schneidend und die
Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche
Parthie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die
Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des so
genannten Philosophenthurms, und die Sonne stieg eben
glühend über die Berge von Kalabrien herauf und vergoldete
was wir von der Meerenge sehen konnten, die
<!-- pb n="287" facs="#f0313"/ --> ganze See und den Taurus
zu unsern Füssen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne
Wolken; um desto magischer war die Scene. Hinter uns lag
noch alles in Nacht und vor uns tanzten hier und da
Nebelgestalten auf dem Ocean. Wer kann beschreiben? Nimm
deinen Benda, und lass auf silbernem Flügel dem Mädchen auf
Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht Etwas von unserm
Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns
Titan auf; aber wir waren über dem werdenden Gewitter: es
konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend
und hoch aufschreyend um die Trümmern herum; denn er hatte
die Finger erfroren. Wir halfen mit Schnee und rieben und
wuschen, und arbeiteten uns endlich zu dem Gipfel des Berges
hinauf. Mich däucht, man müsste bis zum Philosophenthurm
reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die
Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich desswegen nicht
von der Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr
gehen; man muss steigen, und zuweilen klettern, und zuweilen
klimmen. Es scheint noch eine Viertelstunde bis zur höchsten
Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stündchen Arbeit.
Die Britten letzten sich mit Rum, und da ich von dergleichen
Zeug nichts trinke, ass ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine
aus der Tasche. Sie waren ziemlich gefroren; aber ich habe
nie so etwas köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen
mehr hatte, denn der Appetit war stark, stillte ich den
Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre
der deutschen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande
<!-- pb n="288" facs="#f0314"/ --> der grossen ungeheuern
Schlucht, in welcher der Krater liegt. Einer der Führer kam
nach mir, dann der Major, dann der zweyte Führer, dann die
ganze kleine Karavane bis auf den Herrn mit den erfrorenen
Fingern. Hier standen und sassen und lagen wir, halb in dem
Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes eingehüllt und keiner
sprach ein Wort und jeder staunte in den furchtbaren Schlund
hinab, aus welchem es in dunkeln und weisslichen Wolken
dumpf und wüthend herauftobte. &mdash; Endlich sagte der
Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft
machte: <span class="italic">Now it is indeed worth a young
man's while to mount and see it; for such a sight is not to
be met with in the parks of old England</span>. Mehr kannst
Du von einem ächten Britten nicht erwarten, dessen
patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter
ambrosisch bewirthet.</p>

<p>Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag
vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen
Felsenwand, und bückten uns über eine steile Kluft von
vielleicht sechzig bis siebzig Klaftern hinaus. Einige
legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe vor
Schwindel zu sichern. In dieser Schlucht lag tief der
Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der
entgegengesetzten Seite hinüber warf. Der Wind kam von der
Morgensonne und wir standen noch ziemlich sicher vor dem
Dampfe; nur dass hier und da etwas durch die Felsenspalten
heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit vor den
ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinunter ganz nahe
an den Rand des eigentlichen Schlun<!-- pb n="289" facs="#f0315"/ -->des 
zu kommen. Bloss von der Seite von Taormina, wo eine sehr
grosse Vertiefung ausgeht, muss man hinein steigen können,
wenn man Zeit und Muth genug hat, die Gefahr zu bestehen:
denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödtlich
werden, und man erstickt wie Plinius. Uebrigens würde man
wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich
drey Tage Zeit und einen entschlossenen, der Gegend ganz
kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben
unten gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müsste
aber mit viel grösserer Schwierigkeit von Taormina hinauf
steigen.</p>

<p>Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt
hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht
mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon
ziemlich hell. Wir sahen das ganze grosse schöne herrliche
Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten
Theil desselben. Alles was um den Berg herum liegt, das
ganze Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit allen
Städten und Flecken und Flüssen, war wie in magischen Duft
gewebt. Vorzüglich reitzend zog sich der Simäthus aus den
Bergen durch die schöne Fläche lang lang hinab in das Meer,
und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer
hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel
durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, dass die
Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für
unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in
die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und
die Dünste des Himmels,
<!-- pb n="290" facs="#f0316"/ --> der doch fast unbewölkt
war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht
gesehen; und mich däucht, man kann es von hier nicht sehen:
es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge
müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen,
sondern nur die Berge umher. Von den Liparen sahen wir nur
etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund umher genug
hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich zu etwas
Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer
Sitte: <span class="italic">Now be sure, we needs must give
a shout at the top down the gulf;</span> und so stimmten wir
denn drey Mahl ein mächtiges Freudengeschrey an, dass die
Höhlen des furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer
uns warnten, wir möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht
die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit
etwas verändertem Mythus: <span class="italic">la casa del
diavolo</span> und das Echo in den
Klüften <span class="italic">la sua risposta.</span></p>

<p>Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag
ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und
brauste, und wüthete und tobte und stürmte unaufhörlich aus
ihm herauf. Einen zweyten Krater habe ich nicht gesehen; der
dicke Rauch müsste vielleicht ganz seinen Eingang decken,
oder dieser zweyte Schlund müsste auf der andern Seite der
Felsen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf
dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir
nicht ganz vom Rauche frey; die rothe Uniform der Engländer
mit den goldenen Achselbändern war ganz schwarzgrau
geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich
geändert.</p>

<p><!-- pb n="291" facs="#f0317"/ -->
Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee
gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter
salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom
Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben, den ich für
todten Schwefel hielt. Er war heiss und wir konnten unsere
Füsse darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und
sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach
Katanien und Paterno hinab. Die <span class="italic">Monti
rossi</span> bey Nikolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und
die ganze grosse ausgestorbene Familie des alten lebendigen
Vaters, lag rund umher. Nur er selbst wirkte mit ewigem
Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche ungeheuere
Werkstatt muss er haben! Der letzte grosse Ausbruch war fast
drey deutsche Meilen vom Gipfel hinab bey Nikolosi. Wenn er
wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von
Taormina, wo nun die Erdschicht am dünsten zu seyn scheint.
Die Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne doch
sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen
war vielleicht noch belohnender als der Aufenthalt auf dem
obersten Gipfel. Bis zum Philosophenthurm war viel
Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger
angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer
griffen zur Rumflasche und ich hielt mich zum gebratenen
Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziemlich
hart gefroren, aber der heisse Hunger thaute es bald auf.
Indem wir assen, genossen wir das schönste Schauspiel, das
vielleicht das Auge eines Menschen geniessen kann. Der
Himmel war fast ganz hell, und
<!-- pb n="292" facs="#f0318"/ --> nur hinter uns über dem
Simäthus hingen einige kleine lichte Wolken. Die Sonne stand
schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war
glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine
Fleckchen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie
Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich was
folgen würde. Die Flecken wurden zusehens grösser, bildeten
flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen
zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut
und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu
Moment annahmen. Es schoss in die Höhe und glich einem Walde
mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Gestalten,
war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und
die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf
das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste
deckte und das wir tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing
an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag
das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem
unnennbaren Halblichte, so dass wir nur noch den See von
Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles und die
Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordostseite, war
das Werk einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so
geschmückte Scene wahrscheinlich in meinem Leben nicht
wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen und auch hier sehr
selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst
desswegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten
dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts
mehr von dem Gipfel des Berges; alles war
<!-- pb n="293" facs="#f0319"/ --> in undurchdringlichem
Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir
im Hinaufsteigen gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne
den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer
halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter
uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir
traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her
nach Katanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte
Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns
an das Feuer setzten; nehmlich diejenigen, die es wagen
durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise eine
eigene Vorkehrung getroffen. Weiss der Himmel, wer es ihnen
mag gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in
Nikolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe,
und über diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen
Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie
sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft
hatten. Der Aufzug liess sonderbar genug; sie sahen mit den
grossen Aetnastöcken, von unten auf alle ziemlich aus, wie
samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen
Reisezeug mit gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen
festen Stiefeln. Schon hinaufwärts waren einige holländische
Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und
die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie
natürlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest
ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir
fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte Einer der
jungen Herren die Unvorsichtigkeit ge<!-- pb n="294" facs="#f0320"/ -->habt, 
sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu
setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie
Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel
mitgenommen. Vermuthlich wird er in Katanien oder Malta zu
kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende
Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in der Gegend ist:
unten bey Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste
stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und
Füsse. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die
Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche
Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in
Katanien kontraktmässg angeschaft hatte. Wir nahmen
Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich
meines Weges hierher nach Taormina.</p>

<p>Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so
vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine Höhe kann
ich nicht bestimmen. In einem geographischen Verzeichniss
wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten
Alpen: das mögen die mathematischen Geographen ausmachen.
Der Professor Gambino aus Katanien will diesen August mit
einer Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere
Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das Sprichwort
vom Aetna: <span class="italic">On le voit toujours le
cha</span><span class="italic">peau blanc et la pipe à la
bouche.</span> &mdash; Der Schnee soll nie ganz schmelzen;
das ist in einem so sehr südlichen Klima viel. Man nennt ihn
in Sicilien meistens, wie
bekannt, <span class="italic">Monte Gibello</span>: aber man
nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von
Si<!-- pb n="295" facs="#f0321"/ -->cilien oder
geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe
ich am häufigsten und zwar auch unten an der südlichen Küste
gefunden. Mir scheint es überhaupt, dass man jetzt anfängt,
die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So
habe ich den Fluss unten nie anders als Simäthus nennen
hören.</p>

<p>Bis an das Bergkloster der Benediktiner, ist der Aetna
von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut bebaut; weiter
hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt noch
alle kahl standen; und nicht weit von der Geisshöhle oder
dem jetzigen Hause von Paterno, hört die Vegetation auf. Wir
fanden von dort an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute
Region giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten
mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieblichsten
Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle
Orangengeschlechter wachsen und blühen in goldenem Glanze.
Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oehlbaum, dann
die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie; und dann
nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fusse triffst Du alles
dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen
dazu.</p>

<p>Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur
auf Einem Punkte, den alten grossen berühmten Kastanienbaum
in der Ferne. Kaum kann ich sagen, dass ich ihn gesehen
habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die
Nacht musste ich in einem kleinen elenden Dörfchen bleiben.
Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten, besonders
einige Millien vor der Stadt. Dieser
<!-- pb n="296" facs="#f0322"/ --> Ort, welcher ehemahls
unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus
steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten,
vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke
der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das
fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit
hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich
ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung
durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen
gesetzt, scheint aber dabey nach sehr willkührlichen
Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der
erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich,
aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und
doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von
den Barbaren gelitten. Das alte Schloss, welches noch höher
als die Stadt liegt, muss schwer zu nehmen seyn. Die heilige
Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen,
wenn ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären.
Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den
Kommandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht
honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am
Fusse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter
ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und
hätte ich oben ein Wirthshaus finden können, so wäre ich dem
Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern
sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr
Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte
hier meinen Mauleseltreiber fort und wan<!-- pb n="297" facs="#f0323"/ -->derte 
wieder allein zu Fusse weiter: denn an der See hinauf,
dachte ich, kann ich nun Messina nicht verfehlen. Ein alter
Sergeant von Taormina, der mir dort den Cicerone machte,
wollte mir eine Order an den Kommandanten von Sankt Alexis,
einen unter ihm stehenden Korporal, mit geben, dass er mir
das Schloss auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte
ihm aber mit der Entschuldigung, dass ich nicht Zeit haben
würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas
halsbrechend, und hat einige schöne, gut bebaute Schluchten.
Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur
zwey kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen und Fische
und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche
alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus einige
Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte.
Einen gar sonderbaren, langgezogenen, nicht unsonorischen
Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich
noch zum nächsten Orte habe, erhielt ich die
Antwort: <span class="italic">Saruhn incuhra cinquuh
migliah</span>; welches jeder ohne Noten verstehen wird.</p>

<p>Diese Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube
ich, Giumarrinese hiess, und noch achtzehn Millien von
Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen
Tage that mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich
aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut
sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, dass
man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien
vor Messina fand ich wieder Fuhrgleise,
<!-- pb n="298" facs="#f0324"/ --> welches mir ordentlich
eine Wohlthat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen
gesehen. In Syrakus kann man nur eine Viertelstunde an der
See bis an ein Kloster vor der Stadt fahren: und eine
geistliche Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den
Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf, war
alles was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.</p>

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