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  <title>Messina</title>
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<body>

<!-- pb n="[299]" facs="#f0325"/ -->

<div class="chapter" id="Messina2">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Messina</span>.</span></div>

<p> <span class="initial">I</span>n der langen Vorstadt von
Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen, mit
pompösen lateinischen Inschriften, worin ein Brunnen mit
Recht als eine grosse Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade,
dass sie kein Wasser hatten. Die Hafenseite ist noch eine
furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe Spaziergang
für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze
muss gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die Messinesen
haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sey in der Welt
nicht so etwas prächtiges mehr gewesen, als ihre Fassade an
dem Hafen, die sie nur vorzugsweise den Pallast nannten, und
ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal
scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht
gegeben zu haben: Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem
Fleiss in Jahrhunderten; und das kann ich in einem Momente!
Die Monumente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits
und diesseits wurde zerrüttet! &mdash; Nur die
Heiligennischen an den Enden werden wieder aufgebaut und
Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut
einzutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und
sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekommen durchaus
nicht mehr als zwey Stockwerke, um bey künftigen
Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden.
Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbaren
Erdbeben überall wenig gelitten.</p>

<!-- pb n="300" facs="#f0326"/ -->
<p>Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen
einige nicht schlecht sind. Ich habe stundenlang vor dem
Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus
seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf;
und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von
so einem Kopfe genommen zu haben. Die heilige Jungfrau ist
bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du
kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren
Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erdbeben hilft,
so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen
freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben
Gelegenheit, eine grosse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren
zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich
ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das
Palmenfest. Mich wundert nicht, dass die Palmen in Sicilien
nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man
sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plündert. Alles
trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben
konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen.
Der Aufzug wäre possierlich gewesen, wenn er nicht zu
ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der
Kathedralkirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau
und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern
Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo
selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen
mögen: <span class="italic">Credat Judaeus apella!</span>
Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten
vergoldeten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln,
stieg
<!-- pb n="301" facs="#f0327"/ --> aus und segnete das Volk
und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem
Bau nichts merkwürdiges als die Säulen, die aus dem alten
Neptunustempel am Pharus sind. Der grosse, prächtige Altar
war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wunder der
Arbeit und des Reichthums. Man machte mir Hoffnung, dass ich
ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, dass mir
die Sache so gleichgültig schien.</p>

<p>Man sagt, die Hafenseite liege desswegen noch so ganz in
Trümmern, weil die Regierung sie durchaus eben so schön nach
dem alten Plan aufgebaut wissen wolle, und die Bürger sie
nur mit dem übrigen gleich, zwey Stock hoch, aufzuführen
gesonnen seyen. Mich däucht, das Ganze, ob ich es gleich von
sehr unterrichteten Leuten gehört habe, sey doch nur ein
Gerücht: und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten soliden
Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der
Regierung. Die Statue des jetzigen Königs, Ferdinand des
vierten, hat man noch 1792 mitten unter die Trümmern
gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen
Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was
die Leute bey der Aufstellung der Statue eben hier mögen
gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder
eine solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient. Die
Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man
aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier
englische Fregatten, und es scheint als ob die Britten über
die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ihnen die Lage
derselben vorkommen. Es sind schöne
<!-- pb n="302" facs="#f0328"/ --> herrliche Schiffe, und so
oft ich etwas von der englischen Flotte gesehen habe, habe
ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern ihr
stolzes <span class="italic">Britannia</span>,
<span class="italic">rule the waves</span> verziehen; eben
so wie dem Pariser Didot
sein <span class="italic">Excudebam</span>, wenn ich die
Arbeit selbst betrachtete.</p>

<p>Von der Wasserseite möchte es immer etwas kosten, Messina
anzugreifen: aber zu Lande, von Skaletta her, würde man so
ziemlich gleich gegen gleich fechten, und der Ort würde sich
nicht halten. Ich war hier an einen Präpositus in einem
Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit aber
ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem
guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muss. Er
begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und
wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte schon in
der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die Kirche des
heiligen Gregorius auf einer ziemlichen Anhöhe ist reich an
Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist
als dieses, sie giebt von ihrer Fassade links und rechts die
schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen; und mit
einem guten Glase muss man hier sehen können, was gegen über
am Ufer in Italien und in Rhegio auf den Gassen geschieht.
In dem Hause des Herrn Marini, eines Patriciers der Stadt,
steht als neuestes Alterthum ein Stück einer alten Säule mit
Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat
auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, ihre
Inschrift sey griechisch; aber niemand ist da, der sie
erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so
konnte ich
<!-- pb n="303" facs="#f0329"/ --> doch nicht einmal heraus
bringen, ob es nur griechichische Lettern waren. Vielleicht
ist es altes phönizisches Griechisch, und in diesem Falle
vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor
haben sehr gelitten, da sie so lange unter der Erde gelegen
haben. Das Stück ist, so viel ich weiss, noch nicht bekannt,
und wird sorgfältig aufgehoben. Ich empfehle es Männern, die
gelehrter sind als ich; da es doch vielleicht für irgend
einen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.</p>

<p>Die Herren des Klosters luden mich ein zum Fasttage bey
ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in
Italien bey Italiänern genossen habe; und sie war stattlich.
Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten,
aber nichts zu essen. Das ist nun so die italiänische Weise,
die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand
nur aus wenigen Geistlichen: der Layenbrüder, welche die
Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz
und war sehr artig und ich sollte dankbar seyn: aber erst
für Humanität &mdash; <span class="italic">magis amica
veritas</span>. Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muss
sie Dir hier nennen, damit Du siehst, wie man an einem
sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe
mit jungen Erbsen und jungem Kohlraby; sodann kamen
Makkaronen mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen,
Oliven, Kapern und starken aromatischen Kräutern; ferner ein
Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige grosse
herrliche goldgelbe Fische aus der See, die ich für die
beste Art von Börsen hielt; weiter hochgewürzte vor<!-- pb n="304" facs="#f0330"/ -->trefliche 
Artischocken: das Dessert bestand aus Lattichsallat, den
schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Kastanien und Nüssen:
alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität,
und schon einzeln <span class="italic">quantum satis
superque</span>. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends
so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich
Dich, heisst das nicht, mit diesen Fasten einem ehrlichen
Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bey
dieser Diät muss man freylich orthodoxen Glauben gewinnen,
der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige
Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber
die Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das
nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag. Meine
fusswandelnde Person war wohl nicht so wichtig, dass man
desswegen eine Aenderung in der Klosterregel sollte gemacht
haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster
herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man
dazu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum
Heil der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden.
Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen haben, weiss ich
nicht; die Herren zeigten mir nichts mehr von ihren übrigen
Herrlichkeiten. Hier las man mir ein Manuskript von einem
Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der
Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte: aber
nach dem zu urtheilen, was davon gelesen wurde, brauchen wir
es nicht zu bedauern, dass der Schatz im Kloster liegt; die
Abhandlung scheint bloss für Mönche pragmatisch.</p>

<!-- pb n="305" facs="#f0331"/ -->
<p>Die Festung zu sehen, muss man Erlaubniss haben, welches
etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich
schon so viel aus der Anlage sahe, dass man mit zwey tausend
braven Grenadieren ohne Erlaubniss hinein gehen könnte.
Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der
Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo
ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe.
Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich
mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig
durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige
Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren
will, gewiss eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind
die Gestalten vieler Nationen durch einander gruppiert.
Schon in der Stadt selbst wohnt eine grosse Verschiedenheit,
und der Fremden sind eine Menge. Einen der schönsten
Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch
über die Menschen mich fast der Freudenthränen nicht
enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem
mittelländischen Meer die Meerenge herab. Ich weiss nicht,
ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten
hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest
sehen sollen, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast
übermenschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen
Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeiteten, um
die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzosen, Engländer,
Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe:
sie waren glücklich und
<!-- pb n="306" facs="#f0332"/ --> brachtern alles ohne
Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich
fast, dass ich nicht reich war, hier den Rettern ein
menschliches Fest zu geben: aber ein zweyter Augenblick gab
mir Besinnung; es war so schöner. Das brave bunte Gewimmel
war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glücklich,
dass ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, Wurde ich an
einer Heiligennische <span class="italic">per la santa
vergine</span> um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann
forschend an und er fuhr fort: <span class="italic">Date
nella vostra idea</span>,
<span class="italic">date pure; sara bene impiegato</span>.
Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn
auch betrügen sollte; ich gab.</p>

</div> <!-- chapter -->

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</html>