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<title>Mailand</title>
</head>
<body>
<!-- pb n="[384]" facs="#f0412"/ -->
<div class="chapter" id="Mailand">
<div class="dateline"><span class="right">Mailand.</span></div>
<p> <span class="initial">V</span>on Rom hierher ging ich
halb im Wagen, halb zu Fusse; im Wagen so weit ich musste,
zu so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts
in Rom auf der Strasse von Florenz Kouriere geplündert,
Soldaten erschossen und grosse Summen geraubt. Es wäre
Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht
geradezu ein Bettler war, und sich durch
das <span class="italic">cantabit vacuus</span> sichern
konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz.
Von Ronciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den
Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts
hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht
hinüber nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach
Otrikoli, und weiter hin in die noch beschneyten Apenninen.
Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten
den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich
doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fusse
voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns
eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung, die ich
schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher
Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen
fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht
erkundigen.</p>
<p>Du kannst denken, dass ich auf Thümmels Empfehlung in
Montefiaskone den Estest nicht vergass. Er ist für mich der
erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches
Blut: zwey Flaschen trank
<!-- pb n="385 " facs="#f0413"/ --> ich den Manen unsers
Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hinein zu bemühen in
die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte:
der Wirth erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen
Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein
Kompliment. Es war gut, dass ich nicht hier bleiben konnte;
ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe geworden. Aus
dem Munde des Wirths lautete die
Grabschrift: <span class="italic">Est est
est</span>, <span class="italic">et propter nimium est
dominus Fuggerus spanc mortuus est</span>. Ob nun der Herr
Bischof, der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige
Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht
dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen
Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach
Bolsena zu, am See hin nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte
Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist
romantisch. Dass unten Altlorenzo so ausserordentlich
ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint
nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn.</p>
<p>Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die
Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich
selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer
durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen
Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste
dem Minister überreicht haben. Weiss der Himmel wie viel
daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon
in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien
war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man laut sagte aus
Furcht vor Unruhen in Neapel, und
<!-- pb n="386 " facs="#f0414"/ --> wohnte im Pallast
Kolonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabey in ihrem
Ingrimm ihre gewöhnliche alte unüberlegte Strenge gebraucht.
In Montefiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und
zwanzig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger
Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurück
gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist diese ganze
Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen.
Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun,
da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen
und mein Alter in Ruhe geniessen. Der Mann sagte dieses
alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur
Uebersetzer.</p>
<p>Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne Parthie und
ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt.
Was das für eine närrische Benennung der Oerter ist, sagte
ein Engländer, Aquapendente und Montefiaskone; es muss
heissen Montependente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an
der Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier
geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey
umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des
Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus dem Wirthshause zu
gehen. Er ist der nehmliche Herr, der zur Zeit Josephs des
Zweyten päbstlicher Legat in den Niederlanden war, und
daselbst allem Guten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in
der Revolution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft
ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der Franzosen
den Glauben gewonnen haben, dass sie
<!-- pb n="387 " facs="#f0415"/ --> auch Menschen seyn, und
sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben.
Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu
Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht
und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen.
Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein
Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht
ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens weigerte sich
standhaft gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die
Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit
lebendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog,
gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen
Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.</p>
<p>Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg;
und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer
besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem
letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von
Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana
gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die
Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in
Rom. Der allgemeine grosse Wohlstand, der durch die
östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden
war, wird indess nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen
und Fleiss zusammen. Der neue König wird nicht geachtet;
jedermann sieht ihn als nicht existierend an: bloss der
römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser
Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein
ungehorsamer Sohn,
<!-- pb n="388 " facs="#f0416"/ --> das durch den Willen des
heiligen Vaters und das Ansehen der
Kirche <span class="italic">ipso jure</span> null ist. Du
kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
schwach man die am Arno halten muss, dass man eine solche
Sprache wagt. Aber sie wissen, dass sie mit dem Herrn in
Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt
vielleicht ihre Kühnheit. Die grösste Anzahl seufzt hier
nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf
Verbindung mit den Herren jenseit des Berges, oder gar mit
den Franzosen; die jezzige Regierung hat den kleinsten
Anhang. Der König ist nicht gemacht ihn zu vergrössern: das
hat man sehr wohl gewusst, sonst hätte man ihn nicht zum
Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die
Anekdote sehr laut herum, dass er in seinem Privattheater
den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich
darüber.</p>
<p>Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bonapartes
Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas
näher kennen muss, soll darüber ganz eigene Berichtigungen
gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich
vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war als
Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen
Umstand und den individuellen Charakter des korsischen
Franzosen liess sich schon etwas bauen. Du siehst es ist
gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst
und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises
noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus
der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das
andere. In
<!-- pb n="389 " facs="#f0417"/ --> eine eigene Verlegenheit
kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto,
welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten.
Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich
gefürchtet, dass sie das heilige Wunderbild wegführen
würden; desswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür
hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den
Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne dass man in Rom
sogleich etwas davon erfährt. — Ich habe es in Loretto
selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des
andern wenig bekümmert. — Nun unterhandelt man in Rom
über das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue
zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun
fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie
das andere, und beyde thun natürlich Wunder in die
Wette.</p>
<p>Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste in
Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe und die
besten Bilder; doch hat die Gallerie immer noch sehr
interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der
Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich
wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft auch dieses
Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In
Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause
gegessen, wo oben die Schätze unter Schloss und Siegel und
Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der
Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte
Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die
Stücke zeigen. In Rom und Neapel
<!-- pb n="390 " facs="#f0418"/ --> wusste man öffentlich
gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich
ausgesprengt, das Schiff, welches alles von Livorno nach
Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sey zu
Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen
abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine
gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft
nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner
hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl
keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches
Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reitzen als
beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat
seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk
ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die
Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig,
dass es die gewöhnlichste ist, in welche sich die
Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand
fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich
selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beyspiel davon,
das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der Russische
Hauptmann Graf Dessessarts — Gott tröste seine Seele,
er ist wie ich höre an dem Versuche in Quiberon gestorben,
den ich ihm nicht gerathen habe — er und ich, wir
gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort
fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein,
und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von ungefähr
sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch
gelegenheitlich zu sehen ob Geschäfte zu machen wären. Wir
waren beyde etwas
<!-- pb n="391 " facs="#f0419"/ --> zu ernsthaft. Das arme
artige Geschöpfchen dauert mich, sagte der Graf; aber der
Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz
verläugnen. <span class="italic">Je voudrais pourtant la
voir toute entiere</span>, sagte er, und machte ihr den
Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und
bekannte, dass sie für einen Dukaten in der letzten Instanz
gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht
verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik, brachte mit
feiner Schmeicheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab
endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr
Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die
nehmliche Stellung. <span class="italic">Voilà la coquine de
Medicis</span>! sagte der Graf. Es war ein gemeines
pohlnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für
ihren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte; eine
Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den
Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal ist mir
bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Pohlin eingefallen
und meine Konjunktur kam zurück; und mancher Künstler war
nicht übel Willens meiner Meinung beyzutreten. Urania könnte
in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken
an diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken
könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.</p>
<p>Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze
Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leidet durch
die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der
Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muss es
brauchen: aber mich däucht, dass Sokrates sodann seine
Grazien mit Recht
<!-- pb n="392 " facs="#f0420"/ --> bekleidete. Kabinette
und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte;
denn es geht nur hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas
über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in
Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich
die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist
es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in
unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das hässlichste
Bild der Aphrodite Pandemos mit den hässlichsten Attributen
zuweilen aufgestellt sieht. Das heisst die Sittenlosigkeit
auf der Strasse predigen; und bloss ein tiefes Gefühl für
Freyheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die
schändlichen Missgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe
des Flusses zu stürzen.</p>
<p>Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte ich
nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek der
Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten
Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger in der Kirche
Santa Croce die Monumente einiger grossen Männer
aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen
Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das
Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter auf der nehmlichen
Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es
verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so
vortrefflicher Männer nahe beysammen.</p>
<p>Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation
jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preussische
Geheime Rath Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem
rechtlichen Charakter
<!-- pb n="393 " facs="#f0421"/ --> und vielen feinen
Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für
Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er
besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein
anderer Privatmann. Was ich bey ihm gesehen habe, war
vorzüglich, eine komplette alte römische Toilette von
Silber; ein grosses altes silbernes ziemlich kubisches
Gefäss, welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und
Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier
Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur
Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche
abgebildet. Dieses ist vielleicht das grösste silberne
Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er
vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen
Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die
Konsuln oder vielleicht auch die andern kurrulischen
Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel
führten. Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt
er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit
Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind
seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von
seltenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen;
mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze
Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis Augustulus.
Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst dass
dieses eine Liebhaberey nicht für jedermann ist. Ich
schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich
vielleicht interessiert und Du es noch nicht in Büchern
findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt.</p>
<!-- pb n="394 " facs="#f0422"/ -->
<p>Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an
dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest
gewiss nicht, dass ich als Spaziergänger Dir alle die andern
Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir
traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und
Geschicklichkeit. Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die
Amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas
bey mir in Kredit gesetzt, dass sie diesen Kodex nicht
genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten
Schlosse einer Akademie der Georgophilen bey. Hier hielt man
eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der
Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der
Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System.
Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben
meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur
durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über
eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut,
dass mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie
ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in
Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu
werden.</p>
<p>Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen
Vetturino verdungen und fand im Wagen einen französischen
Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine
italiänische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schosse;
und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit
einem furchtbar grossen Säbel, der in Handelsgeschäf<!-- pb n="395 " facs="#f0423"/ -->ten
seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von
Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz
allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben
von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren
Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch
Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes
Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er
die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft
lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf
dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen
im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen
mussten das nehmliche meinen; denn die Gruppierung fand
Beyfall und der Junge war gern bey mir.</p>
<p>Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast
auf die grösste Höhe. Du kannst denken, dass ich viel zu
Fusse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen
Gesellschaft. Der Schweizer mit dem grosen Säbel kam selten
aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem
Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, dass man hier
jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die
Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas
weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf;
denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von
Kreuzen seyn. Ich muss Dir bekennen, dass ich von dem Kreuze
gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres
aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und
weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um
<!-- pb n="396 " facs="#f0424"/ --> alles kühne Emporstteben
der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken,
und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der
Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Grossmuth
und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth
ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die
zweydeutigste aller Tugenden. In der alten
griechischen <!-- choice><sic -->uud<!-- /sic><corr>und</corr></choice -->
römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die
Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im
Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich
selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch
philosophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber
es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als
beydes: mit Muth und Kraft verhindern, dass durchaus kein
Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das
Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen
hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch
noch etwas besser vor. Christus hat gewiss seiner Religion
keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie
nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat.
Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen
zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre
Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, dass
keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des
Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen.
Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.</p>
<p>Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan
nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den
<!-- pb n="397 " facs="#f0425"/ --> Felsen lag und der Wagen
nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen
Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie
nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf
der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun
wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit
des Bergs schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein
alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine grosse Freude
mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel
herum, als man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der
Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die
Kaffeehäuser als in die Museen. Ein pohlnischer Hauptmann
von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, sich selbst
einige Grade avanciert und hier geheirathet hatte, schloss
sich geflissentlich an uns an und freute sich mit Deutschen
deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher
Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sey in seinem
Leben kein Republikaner gewesen, das liess sich von einem
pohlnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sey nun
froh, dass die H—e von Freyheit nach und nach wieder
abgeschaft werde. Man hatte eben das Wappen über dem
Generalzollhause geändert, und anstatt der Freyheit die
Gerechtigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die
wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur
behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerechtigkeiten.
Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der
Pohlen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich
also nicht zweifelte.</p>
<p>Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna
<!-- pb n="398 " facs="#f0426"/ --> noch zu sehen genöthigt
war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist
nicht gross, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey
Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren
in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der
Sammlung, und nach einigen die beste Arbeit von Guido Reni,
ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses
Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr
beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den
Mythus gefasst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern,
nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar
ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebietendes Weib, das
in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der
Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter
seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine
boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben
Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen
Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheilhaft
auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter
gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm
der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit
Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn,
so viele Unsittlichkeiten in Beyspielen und Vorschriften,
dass ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen pflege, der
Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons
Weisheit behüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht,
wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein
Gewebe menschlicher Thorheiten und
<!-- pb n="399 " facs="#f0427"/ --> Tugenden, als einen
Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und
hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde
unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der
Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon
nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu
entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres
dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die
Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind
freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten
Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger
Geist als Wahrheit stempeln.</p>
<p>Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die
Schulter und pilgerte durch die grosse schöne Ebene herüber
nach Mailand. In Modena gefiel mirs sehr wohl, ohne dass ich
den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und
lebendig und lachend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind
gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein einziges
Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man
wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und
wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena,
der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode
Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in
der Gegend geplündert worden; der General liess sie
arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
<!-- pb n="400 " facs="#f0428"/ -->
Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen
das Geld zu ersetzen, und man liess die Fremden ziehen. Ich finde darin,
wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht,
keine Ungerechtigkeit.</p>
<p>In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein
Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte und
ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen
preussischen Pass zu sehen, den ich mir von dem preussischen
Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht
zu meiner Absicht für den besten hielt.</p>
<p>Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder
zwey Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe
von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen
gebracht wurde. Am Thore wurde ich den achten Juny mit
vieler Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem
Gefreyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die
Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten Mal
begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die
gutaussehenden Kaffeehäuser und sass schon im Geist bey
einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt.
Die Parmesaner sassen gemüthlich dort und schienen viel
Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein
breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der
Hauptwache las der Offizier meinen Pass, rief einen andern
Gefreyten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich
sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon
auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien.
Aber der Zug dauerte mir sehr lan<!-- pb n="401 " facs="#f0429"/ -->ge;
ich fragte und erfuhr, ich müsste zum Thore hinaus, ich
dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs
Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so
entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten
Merletons, so gross wie das Kattegat. Ich foderte, man
sollte mich zum Kommandanten
bringen. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
caro</span>, <span class="italic">non posso mica</span>;
sagte er. Ich drang
darauf. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
caro</span>, <span class="italic">non
sa</span><span class="italic">pete il
servizio</span>; <span class="italic">questo</span>, <span class="italic">non
posso mica</span>. Ich alter Kriegsknecht musste mir die
Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der
Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den
Offizier, indem ich ihm meinen Pass wies, ob das eine humane
Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an,
sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich
verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden;
ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die
Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres
Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der
Offizier war
unschlüssig: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
caro</span>,
<span class="italic">non possiamo mica</span>, sagte der
Gefreyte von der Hauptwache, der noch dabey stand. Der
Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen, ich
könne morgen wieder herein kommen und dann thun was ich
wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der
Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von Parma und
den Parmesanern geben
können: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
caro</span>, <span class="italic">non possono mica</span>.
Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine
gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine
aufmerksame besorg<!-- pb n="402 " facs="#f0430"/ -->liche
Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen lassen, ein
reines feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet.
Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und
Terranuova, und ihre nicht problematischen Landsleute
zwischen Gensano und Aricia hatten zwar bey ihrer braven
Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber
dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter
Gesellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich zog
einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisdor
Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor
betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartier in der
Stadt. Und nun denkst Du, dass ich den andern Morgen hinein
ging und mich des fernern erkundigte? Das liess ich hübsch
bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich
nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich
ass gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den
Weg nach Piacenza ein. Man merkte, dass die Leute hier in
Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer
Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele
Dolche und Schiessgewehre, wie bey den ächten Italiänern
jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herrlich und
so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe
eines so konfiscierten Orts noch einen Ton anschlagen
konnten. Aber sie schlugen fort und endlich vergass ich das
Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu.
Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange
über den Fluss aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler
<!-- pb n="403 " facs="#f0431"/ --> war hier gewesen und
hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der
Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren.
Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluss macht schöne
Parthien.</p>
<p>In Lodi ass ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte,
wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm erwarb, und konnte
gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte.
Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten
Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich
das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch
wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden:
wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathhause
behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches
Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter
andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius,
der sehr geistreich das Mass nahm.</p>
<p>Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin
schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen
blühn. In Rom sagte man, dass das Erdbeben vorigen Monat den
Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein
herunter geworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet
vielleicht mit dem Münster in Strassburg um den Vorzug, ob
es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie
werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht
alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du
weisst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators.
Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu
sagen. Man scheint
<!-- pb n="404 " facs="#f0432"/ --> hier der goldenen
Freyheit nicht durchaus ausserordentlich hold zu seyn. Einer
meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und
unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen
Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der
geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den
Schultern hangend. Er gilt für eine grässlich schöne
Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete ihn einige
Minuten: das sin<span class="spaced">d</span> wir, sagte er
endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser
Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade
vor dem Pallast der Republik: nur wird es mir schwer, die
allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa
gezittert hat. Das alte weitläufige Schloss vor der Stadt
wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte
gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.</p>
<p>Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte
Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der
heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das
Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der
Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall.
Das Stück ist einige Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt
gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der
Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey
euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen.
Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen
Zustande ist mir das Original noch weit lieber als der
Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht
etwas willkührlich bey
<!-- pb n="405 " facs="#f0433"/ --> der Kopierung zu Werke
gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe
ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die
Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der
übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler
den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die
ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast
schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er
sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht
ganz unzufriedener Finanzminister, der einen grossen Streich
wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch
psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein
Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er
glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte
freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise
in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht,
weil ich nicht so viel Glauben habe als er. — Jetzt
muss man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der
untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch
feuchte dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher
durch andere üble Behandlung.</p>
<p>Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder
das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil
acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater
geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater
nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so
schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, dass ich
gar nicht Lust bekam eins zu su<!-- pb n="406 " facs="#f0434"/ -->chen.
Man sagt, das Haus sey hier eben so gross, als das grosse in
Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet und für das
grosse Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote
von der Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie
Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns
etwas ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur dass weder
unser Missfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging als
die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die
Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bey
ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so
sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, dass man
sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor musste
erscheinen und es sich als eine grosse Gefälligkeit für sich
selbst erbitten, dass man ihr nur eine einzige Scene
erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die
Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt und ging nun
in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung
des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die
Sängerin durch einen grossen Theil der Stadt nach Hause. Es
wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das
aufrichtige Bekenntniss der Weiber zu hören, ob sie das
zweyte für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat
keine Stimme mehr über die Sache.</p>
<p>Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man
arbeitete mit einer grossen Menge Gewehr und sogar mit
Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem grossen Raume
sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich
bei der Mutter. Man
<!-- pb n="407 " facs="#f0435"/ --> hatte gute Springer,
aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze
nicht mit Einer Seele arbeitet. Ich habe nie wieder so gute
Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs
Poniatowsky. An ihm ist ein grosser Balletmeister verloren
gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.</p>
<p>In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den
General Dombrowsky erhalten und er nahm mich mit vieler
Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreyheit
auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier
fand ich mit ihm und andern von Pohlen aus Berührung. Ich
hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und
er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen
noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die
die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest
bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen
andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freyer
strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das
Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche
Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter
Kupferstiche von den Köpfen grosser Männer; besonders ist
darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und
charakteristisch ist und auf den er viel hält. Eine Anekdote
aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht
unangenehm seyn. Dombrowsky liebt Schillers dreyssigjährigen
Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey
Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch
lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet
Ich habe das durchschlagene Exem<!-- pb n="408 " facs="#f0436"/ -->plar
selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken
geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des
Generals. Er sagte mir lachend, Schiller hat mich gerettet,
aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die
Kugel hat eine Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort,
die Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten: das
ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen haben nie für
Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen wir noch für unser
Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren
ist. Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich
meinte, es wäre voraus zu sehen gewesen, dass für Pohlen
keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer
noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der
furchtbaren Tripleallianz bloss stellen, um ein Zwitterding
von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun
gar kein Interesse mehr hatten. Die Eifersucht zwischen den
grossen mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen
vortheilhaft. Wenn die Pohlen noch unter einem einzigen
Herrn wären, so liesse sich durch eben diese Eifersucht noch
Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen,
und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt
war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu kommen. Ich
weiss selbst, dass ich als russischer Offizier in Posen vor
der Hauptwache vor den preussischen Kanonen von einem
Dutzend junger Pohlen belagert wurde, die mirs nahe ans Herz
legten, dass doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie
sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so
wollten
<!-- pb n="409 " facs="#f0437"/ --> sie die Preussen
zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe,
warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten;
aber die wahren verbargen sie gewiss. Sie dachten
unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch
irgend eine Konjunktur bald wieder politische Existenz
gewinnen. Der General fand die Schlussfolge ziemlich bündig,
sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache
Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und
edel.</p>
<p>Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Organisation
und tragen ihre alten Abzeichen, so dass man die alten
Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im
Kriege muss in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es
wurde erzählt, dass einmal die Portion des Soldaten auf acht
Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die
Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art
militärisch drolliger Vertraulichkeit geäussert. So sagten
die Franzosen von den Pohlen: <span class="italic">Ah ce
sont de braves coquins</span>;
<span class="italic">ils mangent comme les
loups</span>, <span class="italic">boivent
diablement</span>, <span class="italic">et se battent comme
les lions</span>. Die Pohlnischen Offiziere konnten den
französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren
Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam.
Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiss alle Mal
ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, dass das
Pohlnische Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann
stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil
davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen,
als ob Bonaparte alle Truppen, die
<!-- pb n="410 " facs="#f0438"/ --> ihm zu seinen Absichten
in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute
kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und
da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort
vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als
wohl sonst die französische Energie vermöchte.</p>
<p>Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere
Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in
den Mussenstunden lese ich mit viel Genuss Wielands Oberon,
den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man
mich im Wirthshause mit einem gewissen Misstrauen wie einen
gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich
zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige
Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich
wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln liess, ward
das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger
ungewöhnlich artig. Noch muss ich Dir bemerken, dass ich in
Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten
Weiber gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenommen.
Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich
sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun
vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen
reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise
behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft
protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit
behaupten, so war ich immer <span class="italic">Signor
Inglese</span> und <span class="italic">Eccellenza</span>;
und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man
auch nach verjüngtem Massstabe in Mailand denken. Die
<!-- pb n="411 " facs="#f0439"/ --> Industrie ist
mancherley. Ich sass an einem Sonntag Morgens recht ruhig in
meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den
Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat
ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne
Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne
Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten
Hetärenkünste berechnet zu haben. Ich will durch ihre
Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als
Philosoph zu erhöhen suchen. <span class="italic">Signore
comanda qualche cosa?</span> fragte sie in lieblich
lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem
Körbchen spielen liess und Miene machte es zu öffnen. Ich
sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
ehe ich etwas unschlüssig <span class="italic">No</span>
antwortete. <span class="italic">Niente?</span> fragte sie,
und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich
warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im
Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir
schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige
gab. <span class="italic">Niente</span>, brummte ich
grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin
nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiss, ob
ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn
die Teufelin zum dritten Mal mit der nehmlichen Stimme
gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein
Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt
haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zufrieden zum
General.</p>
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</html>
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