Caput XXVI.


Die Wangen der Göttinn glühten so roth,
(Ich glaube in die Krone
Stieg ihr der Rum) und sie sprach zu mir
In sehr wehmüthigem Tone:

„Ich werde alt. Geboren bin ich
Am Tage von Hamburgs Begründung.
Die Mutter war Schellfischköniginn
Hier an der Elbe Mündung.

„Mein Vater war ein großer Monarch,
Carolus Magnus geheißen,
Er war noch mächt'ger und klüger sogar
Als Friedrich der Große von Preußen.

„Der Stuhl ist zu Aachen, auf welchem er
Am Tage der Krönung ruhte;
Den Stuhl worauf er saß in der Nacht,
Den erbte die Mutter, die gute.

„Die Mutter hinterließ ihn mir,
Ein Möbel von scheinlosem Aeußern,
Doch böte mir Rothschild all' sein Geld,
Ich würde ihn nicht veräußern.

„Siehst du, dort in dem Winkel steht
Ein alter Sessel, zerrissen
Das Leder der Lehne, von Mottenfraß
Zernagt das Polsterkissen.

„Doch gehe hin und hebe auf
Das Kissen von dem Sessel,
Du schaust eine runde Oeffnung dann,
Darunter einen Kessel —

„Das ist ein Zauberkessel worin
Die magischen Kräfte brauen,
Und steckst du in die Ründung den Kopf,
So wirst du die Zukunft schauen —

„Die Zukunft Deutschlands erblickst du hier,
Gleich wogenden Phantasmen,
Doch schaudre nicht, wenn aus dem Wust
Aufsteigen die Miasmen!“

Sie sprach's und lachte sonderbar,
Ich aber ließ mich nicht schrecken,
Neugierig eilte ich den Kopf
In die furchtbare Ründung zu stecken.

Was ich gesehn, verrathe ich nicht,
Ich habe zu schweigen versprochen,
Erlaubt ist mir zu sagen kaum,
O Gott! was ich gerochen! — — —

Ich denke mit Widerwillen noch
An jene schnöden, verfluchten
Vorspielgerüche, das schien ein Gemisch
Von altem Kohl und Juchten.

Entsetzlich waren die Düfte, o Gott!
Die sich nachher erhuben;
Es war als fegte man den Mist
Aus sechs und dreißig Gruben. — — —

Ich weiß wohl was Saint-Just gesagt
Weiland im Wohlfahrtsausschuß:
Man heile die große Krankheit nicht
Mit Rosenöl und Moschus —

Doch dieser deutsche Zukunftsduft
Mocht alles überragen
Was meine Nase je geahnt —
Ich konnt es nicht länger ertragen — — —

Mir schwanden die Sinne, und als ich aufschlug
Die Augen, saß ich an der Seite
Der Göttin noch immer, es lehnte mein Haupt
An ihre Brust, die breite.

Es blitzte ihr Blick, es glühte ihr Mund,
Es zuckten die Nüstern der Nase,
Bachantisch umschlang sie den Dichter und sang
Mit schauerlich wilder Extase:

„Bleib bei mir in Hamburg, ich liebe dich,
Wir wollen trinken und essen
Den Wein und die Austern der Gegenwart,
Und die dunkle Zukunft vergessen.

„Den Deckel darauf! damit uns nicht
Der Mißduft die Freude vertrübet —
Ich liebe dich, wie je ein Weib
Einen deutschen Poeten geliebet!

„Ich küsse dich, und ich fühle wie mich
Dein Genius begeistert;
Es hat ein wunderbarer Rausch
Sich meiner Seele bemeistert.

„Mir ist, als ob ich auf der Straß'
Die Nachtwächter singen hörte —
Es sind Hymeneen, Hochzeitmusik,
Mein süßer Lustgefährte!

„Jetzt kommen die reitenden Diener auch,
Mit üppig lodernden Fackeln,
Sie tanzen ehrbar den Fackeltanz,
Sie springen und hüpfen und wackeln.

„Es kommt der hoch- und wohlweise Senat,
Es kommen die Oberalten;
Der Bürgermeister räuspert sich
Und will eine Rede halten.

„In glänzender Uniform erscheint
Das Corps der Diplomaten;
Sie gratuliren mit Vorbehalt
Im Namen der Nachbarstaaten.

„Es kommt die geistliche Deputazion,
Rabiner und Pastöre —
Doch ach! da kommt der Hoffmann auch
Mit seiner Censorscheere!

„Die Scheere klirrt in seiner Hand,
Es rückt der wilde Geselle
Dir auf den Leib — Er schneidet in's Fleisch —
Es war die beste Stelle.“