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‚Hier können unentgeltlich Ziegelsteine abgefahren werden. Nachfragen beim Bauführer.‘ Das sind die Steine der alten Jannowitzbrücke, die abgebrochen wird, weil mitten in der alten Hafenstadt Cölln am Wasser vieles neu werden soll. Eine Untergrundbahn wird hinübergetunnelt. Es zischt und stampft um Stahlgerüste und Walzen. Durch Schutt und an Sperren entlang schlängle ich mich an die Abfahrtsstelle der Dampfer, die spreeaufwärts fahren. Vergnügungsdampfer mit Musik. Das möchte ich erleben; steht doch auch im Baedeker, den ich jetzt immer so neugierig studiere, unter 4. Tag, nachmittags: Dampferfahrt nach Grünau. Aber der Mann am Schalter der Schiffahrtsgesellschaft will, daß ich statt nach Grünau nach der Woltersdorfer Schleuse fahre, ich weiß nicht weshalb, er ist streng mit mir, wie viele seinesgleichen in Berlin. Er erlaubt mir, erst noch im Restaurant am Wasser zu essen. Inzwischen füllt sich der Dampfer, die besten Plätze werden besetzt. Ich gedenke mit dem zweiten zu fahren, der eine Viertelstunde später abgehen soll, werde aber im entscheidenden Augenblick in den ersten beordert und verfrachtet. Da bin ich wieder einmal ins Altertümliche geraten. Hier sitzen nämlich die Leute, die noch dick sind. In raschen Motorbooten treibt die schlanke sportliche Jugend von heute an uns vorbei; wir aber sitzen, feiste Herren in den besten Jahren und Madam’s in umfangreichen Stoffbergen wie auf Altberliner Scherzbildern. Qualvoll langsam schleichen wir vorwärts, überflüssig und müßig zwischen all dem Fleiß der Eisenhallen, Schornsteine und Krane an den Ufern.
Da sind Weizenmühlen mit mächtigen Elevatoren, die das Getreide aus dem Lastkahn heben, andre, die es mit Exhaustoren aus den Kähnen saugen. So kommt es in die Mühle hinein, wird gewogen, gesiebt, gewaschen, getrocknet, gequetscht, gemahlen und wieder gesiebt, in Säcke gefüllt, alles am laufenden Band und in gleicher Weise als fertiges Mehl für den Weitertransport zum Kahn zurückgeleitet. Wir kommen unter der Oberbaumbrücke hindurch. Von den backsteinernen neu-altmärkischen Warttürmen seh ich hinüber zu dem großen Kühlhaus, das hinter seinen Gerüsten schon fast vollendet über den Osthafen ragt. In weiten Lagerräumen sollen dort Tausende und Tausende von Eiern, Riesenfrachten von Gemüse, Obst und Fleisch in Kühlzellen bis zum Verbrauch aufgehoben werden. Drüben am Treptower Strand kommt grüner Park ans Wasser. Ich möchte am liebsten aussteigen und zu den Kindern gehn, die da hinten in fliegenden Kästen, auf schwingenden Seilen sich vergnügen. Da muß doch wohl noch die Liliputeisenbahn sein, die auf ihrer Schiene rundum fuhr gleich der, die man im Kinderzimmer aufbaute und aufdrehte. Es waren drei offne Aussichtswagen, die gingen hinter kleinem Rauch zweimal im Kreise mit Läuten und Pfeifen über Feld und durch die beiden Tunnel. ‚Klettermaxe‘ hieß die Lokomotive, darin der Zugführer saß. Eierhäuschen heißt das Etablissement und die Straße dahinter führt zur großen Sternwarte. Da breitet sich auch der Rasen, auf dem das Volk frei lagern darf wie in Versailles auf unverbotnem Gras. Ich möchte aussteigen, aber unser Dampfer hält nicht. Zu unserer Linken taucht nun das ‚Gelsenkirchen an der Spree‘ auf, Oberschöneweide und dahinter Rummelsburg. Am Ufer Zillen, die Schlacke laden, dahinter Metallwerke, die rote Textilfabrik, das Transformatorenwerk und fern noch einmal die Riesenschornsteine des Großkraftwerks Klingenberg. All dieser rauchende ragende Fleiß beschämt unsre fette Ruhe, unser elendes Schneckentempo. Jetzt machen wir gar Musik!
Es geht an Köpenick vorbei. Das verlockt weniger zum Aussteigen. Ich weiß zwar, hinter dem alten Burggraben, der jetzt Ententümpel ist, erheben sich Schloß und Kapelle. Es ist das Schloß, in dem der Kurfürst Joachim mit der schönen Spandowerin Anna Sydow gehaust hat, das Schloß, an dessen Tür sein Todfeind, der Ritter von Otterstedt, die berühmten Worte anschlug:
‚Jochimke, Jochimke, hüte dy.Fange wy dy, so hange wy dy‘.
Aber um dahin zu gelangen, muß man durch die übliche Langweile trister Miethausblöcke und Kaiser Wilhelmsplätze. Hinterm Schloß gäbe es allerdings dann den Wendenkietz mit Fischerhütten, Reusen und Netzen, und verwitterndes Mauerwerk um den Alten Markt… Es sitzt aber alles Volk so unbeweglich um mich herum, ganz der Dampfermusik und dem künstlichen Feiertag hingegeben. Ich kann nicht durch. Mitleidig winkt uns aus den vielen Bootshäusern, Badeanstalten und Freibädern junges Volk zu. Und rings um mich wird dauernd wieder gewinkt. Winken ist die Haupttätigkeit des Dampferpublikums.
Nun werden wir über den See transportiert und halten vor einem Gasthaus, wo wir Rieseneisbeine essen sollen, das steht diktatorisch angeschrieben. Und da hier viele aussteigen, brauche ich nun auch nicht mehr bis zur Woltersdorfer Schleuse durchzuhalten; ich klettere mit den andern die angelegte Treppe hinunter, begebe mich unter Preisgabe meines Retourbilletts an den Eisbeingeboten vorbei rasch in den Wald und gehe sandige Wege unter Föhren, die im Nachmittagslicht chinesische Silhouetten bekommen.
Als ich dann auf die Chaussee kam, hatte ich doch noch Glück. Ein Auto taucht auf, das ich erkenne: es ist der Graham-Paige des Freundes. Ich winke wie ein Schiffbrüchiger. Und nun darf ich nach all der feisten Nachbarschaft auf dem Dampfer neben der schlanksten der jungen Berlinerinnen sitzen, die einen Kinderballon bunt flattern läßt, den sie von Treptow mitgenommen hat. In erfrischendem Tempo fahren wir an hockenden Dorfhäusern vorbei zwischen Kornfeldern und zart ansteigenden Höhen. Da ist Königswusterhausen. Der Turm der Telefunkenstation aus eisernem Spinnweb. Das schöne gelbe Vorgebäude des Jagdschlosses, in dem das Tabakkollegium tagte. Wir kennen den Tisch der Rauchkumpane aus dem Zimmer im Hohenzollernmuseum. Ich beschreibe meiner Nachbarin des Königs Hofnarren, den Professor Gundling in seiner parodierten Zeremonienmeistertracht, rotem, samten ausgeschlagenem Leibrock mit Goldknopflöchern, gestickter Weste und mächtiger Staatsperücke aus weißem Ziegenhaar. Obendrauf ein Straußenfedernhut, unten dran strohfarbene Beinkleider, rotseidne Strümpfe mit Goldzwickeln und Schuhe mit roten Absätzen. Während wir von diesem armen Narren und seiner Welt plaudern, geht es weiter die lange Straße nach Storkow und in halber Nacht Waldwege nach dem Scharmützelsee.
Spät sitzen wir auf der Terrasse des Hotels von Saarow. Oben wird getanzt. Am Wasser ist Rampenbeleuchtung, die ein Stück See aus der Nacht hebt.
Zur Nacht werden wir hier bleiben und morgen wird der weite See in unsern Fenstern sein. Und dann fahren wir über Pieskow hinaus und steigen aus bei den hübschen, im Grünen versteckten Häusern der Schauspielerkolonie ‚Meckerndorf‘. Und machen in Saarow selbst Besuch in einem der kühngiebeligen Häuser der Malerkolonie. Werden wir den See hinauf in ferne Uferwinkel Motorboot fahren? Oder zu Fuß durch die Wälder gehn bis zu den Markgrafensteinen? Oder Pfade so nah als möglich am Wasser?
Schade, daß es zum Baden schon zu spät im Jahre ist.