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diff --git a/OEBPS/Text/05-hildebrandslied.xhtml b/OEBPS/Text/05-hildebrandslied.xhtml new file mode 100644 index 0000000..3b23451 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05-hildebrandslied.xhtml @@ -0,0 +1,85 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Hildebrandslied</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">HILDEBRANDSLIED</h3> + +<p> +<span class="initial">E</span>S wird berichtet, daß eine Stimme sprach gegen +Iskandar Zualkarnain und ihm befahl, seine +Lenden todwärts zu gürten. Und da er auf seinen +Reisen alle Gegenden und Menschen genossen hatte +sagte er vor sich hin: »O blinder Sklave des +Geschickes, wohlan, freue dich endlich, denn nun wirst du +erfahren, was nach diesem kleinen Leben sein wird.« +Also haderte er nicht mit jener Stimme letzten Befehls, +sondern gebot Sklaven, ihm seine zwei Hörner wie für +ein Fest zu putzen. Und nachdem er noch +vorsichtshalber einen ganzen Wildesel verzehrt hatte, bestieg +er ein Eilkamel, um nicht zu säumen und so zu +beleidigen den Ruf des ehrwürdigen Todes. Aber seine +Dichter, die Nachtigalleulen, begannen auf eine schöne +Weise zu klagen und versuchten, sein gleichgültig +schauendes Herz mit ihren gelinden Traurigkeiten zu +erfüllen und den der neuen Sache Beflissenen wieder +an die knappen Habseligkeiten des Lebens zu binden. +Das Eilkamel jedoch in seiner Weisheit erinnerte sich +verzehrter Dattelkerne, und indem es den Dichtern +warmen Mist des Lebens ließ für die rauhen Nächte +der Zukunft, verschwand es mit dem König der Zeit +im Walde. Er aber sprach zu seinem Barte: »Nicht +begreife ich die sachte Trauer der Gefährten meines +Atemholens. Wenn ich ihnen entgleite, so können sie +mich doch zurückhalten in den Bogen und Windungen +ihrer schlangengleichen Gedichte. Ich aber habe es +schwerer als diese Gezähmten: ich muß etwas tun. +Nun habe ich einen ganzen Wildesel gegessen, denn +es ist nicht gut, dem Tod angstvoll und mit +hungerndem Magen entgegenzutreten. Sollte er mir nicht +gefallen, so kann ich, ein Herr, ihm wenigstens +mancherlei ins Gesicht rülpsen, wie es sich gebührt. Doch +noch sehe ich hier niemanden, der mich töten könnte.« +Indem er also seinen Unwillen, auf den Tod warten +zu müssen, ärgerlich kundgab, erschien auf dem Wege +ein weiser Wildkater und klärte ihn auf: »Nicht dies +ist der Weg zum Tode, o König Zweihorn; du +könntest allerdings, wenn du schneller ans Ziel +gelangen willst, gegen die Bäume reiten. Aber du reite +lieber diese zwei Wälder hier seitwärts durch, und +wenn du an der letzten Lichtung meine Frau siehst, +so sage ihr, daß ich sie noch heute besuchen werde.« +Da dankte der König dem liebenswürdigen Kater, und +als er einen halben Kamelritt weiter wirklich die Katze +erblickte, grüßte er sie höflich und richtete seine +Botschaft aus. Dafür belehrte ihn die Wildkatze +freundlich über die nahe Möglichkeit eines annehmbaren +Todes — nur eine Parasange weit!</p> + +<p> +Und als er sich über diese Strecke hinweggesetzt +hatte, traf er richtig dort einen Mann, an Stärke gleich +einem ausgewachsenen Löwen. »Nächstens lasse mich +nicht so lange warten,« brüllte der Mann. »Ich bin +dein Vater Rustan, und da ich dich ins Leben +gepflanzt habe, schickt es sich auch, daß ich dich töte.« +Begann auch sogleich dem unpünktlichen Sohne die +Hörner aus dem Kopf zu drehen, und Iskandar +Zualkarnain ehrte den Vater, getreu dem Gesetze des +Propheten. Er wagte es nicht, diesen Tod am Barte +zu zupfen, noch auch ihm den vorbereiteten Esel ins +Gesicht zu rülpsen. So benommen war er von den +Schmerzen des Lebens. +</p> + +</div> +</body> +</html> |