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+
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+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Das Martyrium Homers</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">DAS MARTYRIUM HOMERS</h3>
+
+<p>
+ <span class="initial">I</span>CH protestiere feierlich gegen die unerhört kurzfristige
+Prophezeiung des genialen Dandy Ovid: »Vivet Maeonides,
+Tenedos dum stabit et Ida, dum rapidas Simois in mare volvet
+aquas.« Als ob Homer diese lausigen, durch das nächstfällige
+Erdbeben gehandikapten Örtlichkeiten nicht um Äonen
+überleben würde!</p>
+
+<p>
+Ich protestiere ferner gegen die tolle Verdrehung meines
+zynischen Freundes Lukian, Homer sei während des
+Trojanischen Krieges (1193—1184 v. Chr.) Dromedar in
+Baktrien gewesen. Wahr ist vielmehr das Trottelwort
+archaischer Pädagogen: »Sieben Städte stritten sich um die
+Ehre, Homer geboren zu haben: Smyrna, Rhodos, Kolophon,
+Salamis, Chios, Skyros, Athenai.«</p>
+
+<p>
+Warum sich aber die diversen Stadtväter so hartnäckig
+stritten, erfährt die leichtgläubig betrogene Nachwelt
+allerdings erst durch diesen Film.</p>
+
+<div class="center">1. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Homer dichtet die Ilias und die Odyssee; der alte Mann geht
+vor seinem Zelte, skandierend und die Leier schlagend, auf
+und nieder.</p>
+
+<div class="center">2. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Landgut des Odysseus: Homer trägt seinem König einiges vor.
+Odysseus läßt dem Sänger durch Sklaven einen Becher Wein
+reichen und ein Ehrengeschenk übergeben: eine
+milchstrotzende Kuh. Homer dankt freudig für die wandelnde
+Gabe, läßt sie durch einen Sklaven heimführen, trinkt und
+erklärt stolz, weinbesessen, kein Wesen hätte die Gabe mehr
+verdient als er. Und auf eine Statue des Phoibos Apollon
+deutend, versichert er, selbst dieser Gott hätte nicht
+besser, höchstens ebensogut dichten können wie er. Denn
+Apollon sei nur ein Stämmling des amusischen Zeus, er aber
+habe die Dichtkunst geerbt, ihn hätten Sänger, Phemios mit
+Demodokos, gezeugt.</p>
+
+<div class="center">3. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Auf dem Olymp, von den neun Musen umtanzt, hört Phoibos
+Apollon diese frevle Selbstanzeige des Dichters und stürmt
+durch den weißen Bergnebel nach Ithaka: über die Schultern
+den Bogen gelegt und den Köcher voll tosender Pfeile.</p>
+
+<div class="center">4. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Drohende Gebärden. Es kommt zum Wettkampf. Odysseus soll
+zwischen den Dichtern Apollon und Homer entscheiden. Apoll
+greift nach der Leier Homers. (Was der junge Gott singt,
+zeigt das)</p>
+
+<div class="center">5. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Achilleus lehnt seinen leuchtenden Schild gegen die Mauer
+und versucht, mit seinem ungeheuren Eschenspeer anrennend,
+die Tore Trojas zu durchbrechen. Der Speer zersplittert. Der
+rasende Achill will die Tore mit seinen Händen aus den
+Angeln heben. Vergebens warnt, von der Mauer her dräuend,
+Apollon, der Pelide läßt nicht ab, und wie er des alten
+Troja mürbe Tore auf seine Simsonschultern lädt, benützt ein
+Pfeil des Gottes die Achillesferse. Griechen und Troer
+kämpfen in den bekannten malerischen Posen um den Leichnam
+Achills. Während der dicke Aias die kühnsten Troer tötet,
+trägt Odysseus, schwer bedrängt, den Leichnam hinab zu den
+Schiffen... Dankbar verleiht Achills Mutter Thetis dem
+Odysseus die Waffen des Achill.</p>
+
+<div class="center">6. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Odysseus vernimmt diesen bestechenden Lobgesang mit Rührung,
+doch Homer bleibt unbewegt, sein Lied</p>
+
+<div class="center">7. BILD</div>
+<p class="margintop0">
+schildert die Liebe Apolls zu Daphne. Wie der verliebte Gott
+die sich über einer Quelle kämmende Nymphe beschleicht,
+belauscht, waldein, waldaus verfolgt — die fast Erhaschte im
+letzten Augenblick zu ihrer Mutter, der Erde, bittend die
+Hände erhebt und abwärts neigt, und von ihr in dürren
+Strauch verwandelt wird. So daß der Gott statt des süßen
+Mädchens den bitteren Lorbeer (daphne laurus) umfängt.</p>
+
+<div class="center">8. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Als Homer geendet, wird in Apollon der Schmerz um die
+geliebte Daphne neu, er verhüllt sein Haupt, gleichgültig
+gibt der weinende Gott zu, daß ihn Odysseus für besiegt
+erklärt, drückt mitleidsvoll die Hand Homers, fährt ihm
+bedauernd über Augen, Wangen und Schultern, und erklärt, da
+er besiegt sei, habe er nicht die Macht, von Homers Haupt
+das Schicksal eines Dichters abzuhalten.</p>
+
+<div class="center">9. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Odysseus, ein Ruder auf den Schultern, verabschiedet sich
+von Homer. Poseidon, dem er den Sohn Polyphemos geblendet
+hatte, zu versöhnen, muß Odysseus eine Wallfahrt
+unternehmen, die so lange dauern soll, bis er ein Binnenvolk
+erreicht, das sein Ruder für eine Schaufel hält. Odysseus
+empfiehlt den Dichter der Fürsorge Telemachs und
+Penelopes.</p>
+
+<div class="center">10. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Aber Telemach ist immer auf der Wildziegenjagd. Und Penelope
+gibt dem Dichter, da er sich im Hauswesen nicht sehr
+nützlich macht (ihrer schwersten, blaumaschigen, zahmen
+Lieblingsstopfgans einen Fuß zertritt), stets kleinere
+Portionen, bis er endlich schweren Herzens, halb und halb
+gedrängt durch einen Konkurrenten, den Hausbettler Iros, den
+Entschluß faßt, den Palast zu verlassen. Penelope schmiert
+ihm zwei Käsestullen, und Homer geht auf die
+Wanderschaft.</p>
+
+<div class="center">11. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Da er in frühester Kindheit die Eltern verlor, und seine
+Vaterstadt, die ihn im Greisenalter zu ernähren hätte, nicht
+kennt, begibt er sich zunächst nach Reich-Asien. Phöniker,
+denen er dafür die von Odysseus geschenkte Kuh gibt, nehmen
+ihn mit auf ihrem Schiff.</p>
+
+<div class="center">DIE ACHT LEIDENSSTATIONEN.<br />
+12. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+1. Smyrna. Bevor der von langer Seefahrt und Entbehrungen
+geschwächte Dichter die Stadt betritt, färbt er sein
+ergrautes Haupthaar und den Bart. Singt auf den Plätzen ums
+liebe Brot. Aber das Volk verlacht ihn — die Haarfarbe war
+schlecht gewesen, hatte ihm grüne Haar- und Bartlocken
+geliefert. Erschöpft setzt sich der arme, von höhnenden
+Kindern verfolgte Bettelmusikant im Stadtpark von Smyrna auf
+eine Bank und schläft ein, an die niedrige Stadtmauer
+gelehnt. Nicht gerührt durch die Tafel »Diese Anlagen sind
+dem Schutze des Publikums empfohlen« langt ein Kamel über
+die Mauer und frißt, durch die grüne Farbe verlockt, Homers
+Schädel rattenkahl. Seitdem trägt er eine Perücke,</p>
+
+<div class="center">13. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+2. Kolophon. Infolge zu starken Kolophoniumgebrauchs und
+unausgesetzten Harfenschlagens beginnen Homers Finger zu
+eitern. Er fürchtet, die Hand werde ihm abfaulen, sehnt sich
+nach Ruhe, Pflege. Geht halb verzweifelt, halb sehnsüchtig
+einem schönen Weibe nach in den Tempel des Apollon
+Kourotrophos. Beugt sich und fleht den Gott an, das Weib
+möge wilde Liebesnächte und frische Jünglinge verschmähen
+und sich seiner erbarmen. Aber sie neigt sich einem
+Tempeldiener, und Homer bleibt nichts anderes übrig, als
+auch weiterhin die Ilias sowie die Odyssee zu verfassen.</p>
+
+<div class="center">14. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+3. Rhodos. Enttäuscht verläßt Homer Asien. Auf Rhodos wird
+ihm anfangs guter Empfang bereitet. Aber dann wird er in die
+Königsburg geführt und, auf einen sanft verblödenden Greis
+deutend, versichert man ihm, dies sei der Heraklide
+Tlepolemos, den er in der Ilias von Sarpedons Hand habe
+fallen lassen. Hierauf erklärt ein Sohn des idiotischen
+Greises, ein Tlepolemiker, wütend, Homer habe einen
+Schlüsselroman geschrieben, und dem Dichter wird der
+fernerweitige Aufenthalt auf der Insel behördlich
+untersagt.</p>
+
+<div class="center">15. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+4. Chios. Der gute Wein dieser Insel hebt wieder Homers
+Stimmung. Er singt seine Lieder vor sich hin. Da nähert sich
+dem Vertrauensseligen ein Jüngling semitischen Aussehens:
+Phron. Bittet den Homer, ihm noch einiges vorzudeklamieren.
+Der Dichter tut es. Phron lobt ihn, bietet ihm an, selbst
+auch Homers Gesänge vorzutragen, und zwar allenthalben. Aber
+Homers Name sei noch jung und unbekannt, an Propaganda werde
+zwar alles Erdenkliche geschehen, doch dergleichen sei sehr
+kostspielig, kurz er nast ihm als »Entschädigung und
+Kostenbeitrag« den pramnischen Käse ab, den ein Bauer dem
+Dichter geschenkt, mäkelt dann noch an dem Käse und
+verschwindet auf Nimmerwiedersehn. Phron war — der erste
+Verleger.</p>
+
+<div class="center">16. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+5. Skyros. Die Skyrioten feiern die Hochzeit des Peliden
+Neoptolemos mit Helenas und Menelaus' Tochter Hermione. Der
+Sänger Achills wird vom nichtbesungenen, trunkenen Pyrrhus
+mit Hunden fortgehetzt.</p>
+
+<div class="center">17. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+6. Salamis. Homer kommt hier gerade zurecht, um einer zu
+Ehren des dicken Alias und des HEILIGEN Teukros abgehaltenen
+Prozession als Zuschauer beiwohnen zu können. Da der
+Kurzsichtige vor den Priestern die Perücke nicht abnimmt,
+wird er unter Pöbelgeheul von der Insel verjagt.</p>
+
+<div class="center">18. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+7. Athen. Als Homer vom Prytaneion ausgespeist zu werden
+verlangt, beantragt Platon, der Sohn des Kassner, den
+Rhapsoden, da der in seinen übrigens hypermodernen Gesängen
+Athen zu wenig genannt und auch sonst zu sehr der Unzucht
+gefrönt, unsittliche Vereinigungen des Zeus mit der Hera,
+des Ares mit der Aphrodite geschildert habe, durch das
+Scherbengericht aus Athen zu verbannen. Geschieht.</p>
+
+<div class="center">19. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+8. Jos. Halb erblindet und auf Vieren wankend, hier
+und da von mitleidigen Schiffern aufgenommen, irrt
+Homer von Stadt zu Stadt, von Insel zu Insel. Keine
+Bürgerschaft will ihn ernähren, er wird immer wieder
+als lästiger Ausländer abgeschoben, die Stadtväter
+jeglicher Gemeinde verwahren sich energisch dagegen, daß
+dieser krüppelhafte Kerl ihrer Polis entsprossen sei.
+Am Strande von Jos ruht er endlich erschöpft aus.
+Fischerknaben, leere Netze auf den Schultern, steigen
+aus Booten und necken ihn. Geben ihm ein Rätsel
+auf: »Was wir gefangen haben, ließen wir zurück.
+Was wir nicht gefangen haben, tragen wir bei uns.«
+Homer sinnt verzweifelt, kann die Lösung nicht finden.
+Ein Phron ähnlicher Knabe: der Sohn des Phron, klärt
+ihn auf, da sie keine Fische zu fangen vermocht, hätten
+sie sich am Strande die Läuse gesucht, die Gefangenen
+getötet, die Nichtgefangenen unfreiwillig nach Hause
+mitgenommen... Die Lausbuben ziehen ab. Homer
+schüttelt klagend das Haupt, vor Gram, nun auch
+geistig gealtert über das einfache Rätsel der Jungen
+gestrauchelt zu sein, stürzt er sich von den Klippen ins Meer.</p>
+
+<div class="center">20. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Das arme Grab Homers auf Jos. Inschrift: »Hier
+deckt die Erde das heilige Haupt Homers, der in
+seinen Liedern die Helden sang.«</p>
+
+<div class="center">21. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Zeigt den Bauch des Regierungsrats Professor
+Methusalem Leichenstil, der, um schneller zu avancieren,
+sich allen bildlichen Schmuck des achilleischen Schilds
+auf den Bauch tätowieren ließ.</p>
+
+<div class="center">22. BILD.</div>
+<p class="margintop0">
+Unterrichtsstunde bei Professor Leichenstil. Neben
+dem Katheder steht, Phron und dessen das Rätsel
+erklärendem Sohne sehr ähnlich sehend, der Primus Eugen
+Pelideles. Schnattert: Sieben Städte stritten sich um die
+Ehre, Homer geboren zu haben: »Smyrna, Rhodos,
+Kolophon, Salamis, Chios, Skyros, Athenai.«</p>
+
+<p>
+Meer wogt gegen das Kathederpodium, auf den Wogen
+daher treibt ein Leichnam: Homer. Wie der Blick seiner
+toten Augen auf Pelideles fällt, beginnen seine
+Wunden zu bluten... und über alles und alle stürzt das
+Wasser der Zeit.</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Der Fluch des Magiers Anateiresiotidas</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">DER FLUCH DES MAGIERS ANATEIRESIOTIDAS</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">I</span>N einer alten Handschrift, an
+hundert Jahre vergilbter als die Stormschen zu sein pflegen,
+habe ich folgende wahre Geschichte gefunden, welche uneben
+und ruppig erzählt zu haben meine einzige Hoffnung ist, wenn
+nicht der Trost meines Greisenalters.</p>
+
+<p>
+Es war einmal eine Königstochter, Jezaide geheißen, aus dem
+uralten Geschlecht der Sirvermor. Über ihre Familie war, wie
+sonst nur in Märchen gebräuchlich, ein enormer Fluch
+verhängt. O geiziger König Zizipê der Siebenundsiebenzigste,
+warum hast du, als einst zur Taufe deines Erstgeborenen
+dreizehn glückwünschende Zauberer erschienen waren, und der
+Hofjuwelier, eingedenk trauriger Erfahrungen und Abzüge,
+erklärte, die goldenen Stiefelzieher nur mehr dutzendweise
+abgeben zu können, warum hast du damals die verhängnisvollen
+Worte gesprochen: »Ach was, der eine wird sich halt so
+gefretten!«</p>
+
+<p>
+Ja, er begnügte sich diesmal mit einem silbernen
+Stiefelknecht, der große Magier Anateiresiotidas, ingrimmig
+zwar, und so gewaltige Sprüche in seinen Bart brummend, daß
+der vor Schreck jeden Moment die Farbe wechselte. Mit einem
+violetten Bart erschien er bei der königlichen Tarockpartie,
+zu der er geladen war, und alle anderen Zauberer wußten,
+wieviel es geschlagen hatte. Nur der König bemerkte die
+Anzeichen fürchterlich aufziehenden Gewitters nicht, derart
+war er mit der Mondjagd beschäftigt. Er bot ihm in der Hitze
+des Gefechts weder die Teilnahme, noch einen Stuhl an,
+vielleicht um sich durch solche Höflichkeit nicht noch einen
+Hexenmeister zum Feinde zu machen. Und so mußte
+Anateiresiotidas kiebitzen, stehend kiebitzen. Auch dies
+hätte der Zauberer vielleicht noch ruhig hingenommen, aber
+ihm offerierte Zigarren trugen zwar die Leibbinden
+importiertester Havanna, waren jedoch mörderische
+Schusterkuba. Diesmal hatte wiederum Hoftrafikant Motschker
+die Upman nicht in minimalen Quantitäten zum Engrospreise
+liefern wollen und der königliche Geizhals daraus alberne
+Konsequenzen gezogen. Nur daß ein anständiger Hexenmeister
+in punkto Zigarren keinen Spaß versteht. Mit einem Griff
+hatte der Beleidigte seine Sprechwerkzeuge auf den Tisch
+gelegt und sich entfernt. Kein besserer Zauberer hat so viel
+Zeit und Geduld, seine eigenen Reden anzuhören. Und jetzt
+kam der Fluch: »Von nun an werden alle Kinder aus dem Hause
+Sirvermor, je nach dem Geschlecht, mit dem Ding oder Wesen,
+das ihrem Vater oder ihrer Mutter am liebsten ist, zur Welt
+kommen. Bis einst ein Jurist erscheint, dessen Namen
+dieselben Buchstaben wie »Sirvermor« besitzt, und nicht
+genug daran: ohne das geringste Plagiat ein Buch über
+Rechtsphilosophie schreibt!«</p>
+
+<p>
+»Wer gibt?« fragte guter Laune der König, dessen geheimen
+Gram es längst gebildet hatte, daß justament auf seinem
+Stamm kein vornehmer Erbfluch lag. Und ehe noch die
+Sprechwerkzeuge des Anateiresiotidas aus dem Spielzimmer
+ihrem Inhaber nachgeflogen waren, gab es bereits einen
+Solovalatpagatultimo, wie er in solcher Schönheit
+ohnstreitig noch nie dagewesen. Das aber hatten die anderen
+Zauberer getan, um den König zu trösten.</p>
+
+<p>
+Denn eines Trostes bedurfte Haus Sirvermor. Da doch
+gemeinhin die Männer sich und die Frauen am liebsten haben
+und umgekehrt — wenn wenigstens, jenem Fluche nach,
+Gebärmänner: Hermaphroditen zur Welt gekommen wären! Die
+Dynastie hätte zwar zum längsten bestanden, aber Skandal,
+durch Jahrhunderte fortgesetzter Skandal wäre vermieden
+worden. Nein, deutlich getrennt von dem jeweiligen Kinde:
+für sich bestehend stieg das dem Vater oder der Mutter
+geliebteste Ding oder Wesen ans Tageslicht.</p>
+
+<p>
+Wo soll ich anfangen, wo soll ich enden! Mit dir, Dolgoruki,
+dem sein Weib außer einem Nachfolger eine ewig volle
+Kognakflasche gebar? Solches wäre lustig anzuhören, aber wem
+geraten nicht unwillkürlich die Tränen in die Augen, wenn er
+von dir vernimmt, Seeheld Aquavit? Wohl wurde dir deinem
+Wunsch gemäß ein Überdreadnought geschenkt, aber starb nicht
+dein Weib daran, ohne daß ein anderes sich hätte finden
+lassen, todesverachtend genug, bald oder später ein
+ähnliches Ende nehmen zu wollen? Starbst nicht bald hernach
+du selbst infolgedessen räudig an den Leibschneiden und
+Weltschmerzen der Langenweile, bloß weil keiner deiner
+ungeschickten Ingenieure im stande war, Weibautomaten zu
+fabrizieren?! Allerdings gelang bald nachher deinem
+Leiberfinder Heureka die Herstellung jenes Instruments, dem
+wir alle unser Leben verdanken, die Herstellung des
+Fernzeugers. Doch waren damit die Leiden dieser Tantaliden
+abgeschlossen?</p>
+
+<p>
+Panjimama, unter dessen glorreicher Regierung Apabauru und
+Tenteriki an Sirvermor kamen, geriet eben wegen dieser für
+den Ackerbau seines Landes äußerst wichtigen Guanoplätze in
+Streit mit dem Oberkaiser Adikran von Alazir und den
+Zentralkönigen von Lygien. Als gar zu dieser an sich
+übermächtigen Liga Araumenes der Große von Paphlagonien
+seine sieggewohnten Truppen stoßen ließ, und die Kunde
+schrecklicher Gefahren in Sirvermor sich wie Posaunenschall
+und Tubaklang ergoß, was konnte da der verzweifelte
+Landesvater anderes tun, als sein Weib eines mit den
+erforderlichen Kanonen und Vorräten ausgerüsteten Heeres von
+soviel Millionen Mann genesen zu lassen, daß sogar Rabelais
+darüber sein weißes Haupt schüttelte und den heiratsfähigen
+Königstöchtern der Erde den Rat gab, bevor sie sich mit
+Prinzen von Sirvermor in Verbindungen einließen, den Herren
+einen Eid abzunehmen, laut dem diese in Zukunft von derart
+gattinnenmörderischen Liebhabereien abzusehen hätten. Und
+als einem Herrscher, der, wie es scheint, sich selbst am
+meisten liebte, die Gemahlin einen Doppelgänger getragen
+hatte, worauf bemeldeter Monarch elendiglich in Wahnsinn
+verfiel, unwissend, wen er am meisten liebe und welcher der
+beiden eigentlich er sei, ein andermal ein in sich
+verzücktes Liebespaar ein Doppelgänger-Liebespaar
+hervorrief, was unendlichen Jammer und blutige Bürgerkriege
+erregte — da, von Grauen überwältigt, bildeten die
+Fürstinnen den ihnen anempfohlenen Trust. Das wird ihnen
+niemand verargen! Man rufe sich's ins Gedächtnis zurück, daß
+neben dem jeweils Regierenden in Sirvermor noch eine Menge
+Prinzen existiert! Und wie rasch zarte Prinzessinnen müde
+werden, Ballettratten, Vollblutrennpferde, Küchenchefs,
+Äbtissinnen und Jagdhunde in die Welt zu setzen, das läßt
+sich denken. Waren nun zwar die Prinzessinnen vor einem
+durch die Neigungen ihrer Gesponsen bewirkten frühen Tode
+sicher, so hatten nach dem Vertrag ihre Gebietiger den
+Leidenskelch bis zur Neige zu leeren. Wenn dies nicht früher
+der Fall gewesen war, lag das daran: die Gemahlinnen derer
+von Sirvermor blieben den Männern merkwürdigerweise immer
+genau eine Sothisperiode lang treu, dann waren sie wieder
+untreu. Und der gesetzmäßige Umschwung trat zufällig erst
+jetzt ein, somit das von einem hochweisen und vorsichtigen
+Rate erlassene Verbot, betreffend Ehen zwischen den
+Operntänzerinnen männlicherseits und etwa zu erwartenden
+Stierkämpfern weiblicherseits: dieses sogleich nach dem
+Fluche angeschlagene Verbot fand dergestalt niemals
+Gelegenheit, in Kraft und Wirkung zu treten.</p>
+
+<p>
+Vorerst machte sich keine Veränderung bemerkbar. Auf dem
+Throne saß gerade Frau Ordilschnut — die Urgroßmutter
+Jezaidens und Schwester der berühmteren Ordilgund von
+Undulur — ein Mägdlein annoch, so unschuldig, daß sie außer
+einem Töchterlein namens Bamalip nur einer Puppe das Leben
+schenkte, worüber sich der ganze Hof vor Lachen fast
+ausschütten wollte. Das zweite Mal — ich will nicht lügen —
+kam sie mit einem Mops und Zwillingen nieder, die jenem
+Töchterchen Bamalip aus der Maßen ähnlich sahen. Man nannte
+sie daher auch Barbara und Fresapo, und alle drei spielten,
+wie man weiß, in der sirvermorschen Geschichte nachmalen
+eine außerordentliche Rolle. Ihr Gatte war ein in der
+Räucherkammer der Zeit früh grau und faltig gewordener Herr
+in den kalten Vierzigern, den sie nicht lieben konnte und
+der durchaus und eigensinnig noch selbst etwas für die
+Thronfolge tun wollte. Als er die junge Königin in Armen
+hielt, klammerte sich die Bedauernswerte, schaudernd wie vor
+dem Tode, in der Angst an das wenige Liebe, das sie besaß,
+an ihr Töchterchen Bamalip und etwa noch an einen kleinen
+Mops, der sie in ihrer Einsamkeit zerstreut hatte. Als
+Aspramont die Zeichen der Kälte seiner Lebensgefährtin sah,
+die Kinder, deren Mutter sozusagen auch Bamalip war, schlug
+er ob dieser Blutschande die Hände über dem Kopf zusammen,
+ja, er hätte Ordilschnut verstoßen, wenn nicht letzte
+Überlegung für sie gesprochen hätte, die doch noch ein Kind
+war. Und so zog er denn in den Krieg wider die Orilanen,
+Menschen, denen der Bart auf der Nase entkeimt, und die sehr
+sonderbare Speisegesetze haben — gebratene Eidechsen essen
+sie unter keinen Umständen, Sauerkraut mit Leberwurst
+hingegen ist ihnen erwünscht.</p>
+
+<p>
+Nach der über diese Leute verhängten Züchtigung, auf dem
+Rückwege geriet Aspramont — wenn die sirvermorischen Annalen
+nicht trügen — mit den Sultanen von Marabu und Talili in
+einen Kampf um die Weltherrschaft, und die Heimkehr
+verzögerte sich dadurch. Inmitten des gewaltigen
+Schlachtenlärmes hatte man es wenig beachtet, daß die
+Königin glücklich von einem Eunuchen entbunden wurde. Dies
+hätte eine Warnung sein sollen, war es aber nicht.
+Ordilschnut ergab sich einem ungezügelten Lebenswandel: eine
+Liebelei mit dem Prinzen Karfiol von der Mondscheinküste
+blieb nicht die einzige, die Leute vom Hofstaat wagten keine
+Vorstellungen, die Königin als die Höherstehende
+betrachtend, weil nicht sie durch einen Eid zur Entsagung
+verurteilt war, sondern der Gatte.</p>
+
+<p>
+Die kurze Pause eines mittlerweile eingetretenen
+Waffenstillstandes benützend, um an das abermalige
+erfreuliche Wochenbett der geliebten Gemahlin zu eilen,
+welche Überraschungen wurden da dem guten, alten Aspramont
+zuteil! Reitknechte, Tenore, Schwergewichtsathleten,
+Chauffeure, französische Sprachlehrer! Und so oft der
+besorgte Gatte: »Halt ein« oder strenger: »Jetzt aber
+Schluß« rufen wollte, kam noch irgendein Kaminfeger,
+Leutnant, Fleischhacker oder Kammerdiener zum Vorschein, bis
+Aspramont die Hand, die schwertesschwere, wider die
+Pflichtvergessene erhob und zustieß. Fiel aber dann selbst
+im Duell mit dem Leutnant.</p>
+
+<p>
+Es wird niemanden wundernehmen, wenn, durch
+so entsetzliche Ereignisse im höchsten Grade
+beunruhigt, geradezu außer Atem infolge wiederholt
+eintretender ähnlicher Vorfälle, die immerhin nicht so
+drastisch, weil sie auf die Hervorbringung eines
+einzelnen Jünglings beschränkt blieben, doch keinerdings
+ohne einige Mitwirkung höchstgeborener Prinzessinnen
+von statten gingen, ich sage, es wird niemanden
+wundernehmen, wenn eine löbliche Priesterschaft von
+Sirvermor sich da ins Mittel zu legen beschloß. Waren
+doch an diesen Begebenheiten Weltgesetze zuschanden
+geworden, vor allem jenes eine, gefaßt in das weiseste
+Wahrwort, welches je über die Lippen eines Lateiners
+kam: Pater semper incertus.</p>
+
+<p>
+Außerdem waren die Privilegien der Gottesdiener
+durch Attaches und Ausländer lädiert worden, deren,
+mangels Einheimischer, Ordilschnut sich zur
+Befriedigung ihrer Lüste bedient hatte. Sirvermor nämlich
+gehört zu den Ländern, wo, den Satzungen der Religion
+entsprechend — die Prinzen des königlichen Hauses
+ausgenommen — die Epheben sich kastrieren, und die
+Fortpflanzung auf eine wunderbare Weise durch die
+Priester der Göttin Kibla bewerkstelligt wird.</p>
+
+<p>
+Begünstigt ward das Vorhaben der Geschädigten, in
+ihren heiligsten Rechten Geschädigten, durch die
+übereinstimmenden Erklärungen der Mohnkipfelbeschwörer.
+Es nahe die Zeit, da das allerhöchste Herrscherhaus
+von dem Fluche befreit sein werde — dies gaben sie
+vor, in den Sternen und Wurstabschnitzeln gelesen zu
+haben. Wie jedoch den Prinzessinnen kälteres Blut
+beibringen, ein Gefühlsniveau, das den ans beste
+Mannsfutter gewöhnten Damen sogar Juristen annehmbar
+erscheinen ließ?</p>
+
+<p>
+Auf die erste Nachricht von so entsetzlicher
+Zumutung ging wie ein verhaltener Wutschrei ein
+gewaltiges Rauschen des Zornes durch die Kleider der
+Betroffenen, ja, sie hätten mit einem Fächerschlag
+der Entrüstung ihre Zimmer verlassen, wenn nur
+jemand darinnen gewesen wäre. Ihnen Juristen antragen,
+Leute, deren kühn in die Brillen geschwungene
+Schnurrbärte keineswegs für ihre vernehmlichen Glatzen
+entschädigen konnten, helltönende Glatzen, die sich nicht
+einmal durch das berühmte Haarwuchsmittel »Kapitol«
+aufforsten ließen! Alles bäumte sich in ihnen. Juristen!
+Welcher feinere Prinz studiert Jus, und wenn, wo
+steht es geschrieben, daß so ein Ausnahmsprinz eines
+ohne Plagiat durchgeführten rechtsphilosophischen
+Aufsatzes fähig ist? Juristen heiraten! Menschen, die um
+der schnöden Leibesnotdurft willen jahrzehntelang
+Schweißgeruch sammeln, denen man's ewig anriecht,
+daß sie einst oft ein Paar Frankfurter mit Krenn
+für ein opulentes Mittagsmahl gelten ließen ... Die
+Prinzessinnen fielen in Ohnmacht. Jede in ihrem
+Zimmer. Als sie wieder zu sich kamen, war ihr Wille
+gebrochen ... Zehn Roßhähne wurden den Göttern der
+Unterwelt geopfert, dann faßte der Erzaugur den
+Beschluß, die Liebesneigungen der weiblichen Angehörigen
+des Königshauses durch Hypnose abzutöten. Und so
+geschah es, nachdem erst das Zustimmungstelegramm
+vom Delphischen Orakel eingetroffen war. Wohl gab
+es noch geraume Zeit harmlose Rückfälle, den
+Schwimmhäuten mancher Menschen vergleichbare atavistische
+Hervorbringungen von unschuldigem Spielzeug
+verschollener Generationen, als: Tennisrackets, Diabolos,
+Trompeten, Automobilbrillen. Doch schwanden diese
+Rückbildungen mit den Jahren, und jeder Wackere
+hätte Gift darauf nehmen können, daß die
+Prinzessinnen dieser Familie ebensowenig Liebe oder tiefere
+Neigungen empfanden, wie die irgendeines anderen
+Hauses. Alle Welt schickte nun die Kinder ins
+Gymnasium. Denn war früher eine Königstochter vom
+Drachen zu befreien, Tapferkeit und weitvorblickende
+Klugheit, ein andermal für derartige Erwerbung
+rätsellösend-einfältige Schlauheit vonnöten gewesen, dem
+an unsere Epoche heranreichenden aufgeklärten Zeitalter
+war es entschieden gemäßer, die Hand eine Fürstin an die
+durch den Besitz eines eigentümlichen Namens verschärfte
+Abfassung rechtsphilosophischen Essays zu knüpfen.</p>
+
+<p>
+Welch ein Wetteifer unter den Juristen sowohl des
+Königreiches Sirvermor als auch der anderen Länder! Sogar
+der arme Herrscher von Suminoye, dem sein Herzogtum
+abgebrannt war, ließ seine Söhne Jus studieren, bis sie
+schwarz wurden. Bald jedoch schwoll der Fleiß ab: die Ämter
+hatten alle Bittschriften um Namensänderung abschlägig
+beschieden und auch die mannigfaltigen Versuche, durch
+Beifügung des mütterlichen Namens oder durch Adoption zum
+Ziel zu gelangen, sie waren, nachdem eine Saison lang Leute
+namens Sir oder Sirver hoch im Preise gestanden, durch
+Edikte vereitelt worden, deren genauen Wortlaut jedermann
+kennen lernen kann, wofern er sich nur in einer Bibliothek
+die betreffenden Nummern des sirvermorizer Amtsblattes
+verschafft. Nicht ein Weichherziger wie ich, ein anderer
+möge den Jammer der enttäuschten Eltern beschreiben, die
+vergebens ihre Sprößlinge auf die Prinzessin hatten
+studieren lassen. Was mich anbelangt, so muß ich hier
+innehalten und einige ihrem gerechten Kummer geweihte Zähren
+weinen ...</p>
+
+<p>
+Andererseits gingen entartete Untertanen in ihrem Groll zu
+weit, sie waren es, die zuerst Realschulen erfanden und
+gründeten, um möglichst viele Jünglinge der
+dynastie-erlösenden Beschäftigung mit den
+Rechtswissenschaften abspenstig zu machen. So groß ist die
+Schlechtigkeit der Menschen!</p>
+
+<p>
+Von da ab redete man nur wenig von unserer Angelegenheit;
+Artikel höchstens in den Familienblättern, königstreuer
+Mathematiker Berechnungen über die Wahrscheinlichkeit einer
+völligen Aufhebung des Fluches, erinnerten die Bürger ab und
+zu an jene unliebsamen Ereignisse. Und damit wären wir bis
+zu jener Zeit emporgeschritten, in der die eigentliche
+»Geschichte« sich abspielt.</p>
+
+<p>
+Erbprinzessin Jezaide Sirvermor lustwandelt im königlichen
+Garten. Ist doch der Frühling angekommen, auf seinen
+Schultern und Flügeln die Scharen der Singvögel tragend. Ja,
+sie singen im königlichen Garten die gewaltigen
+Nachtigallen, das heißt: mit allerhöchster Erlaubnis und
+soweit sie keinen Schnupfen haben. Aber nicht der
+Nachtigallen Gesange oder Nichtgesange lauscht ihre
+königliche Hoheit, Falte auf Falte schneidet sich in ihre
+Alabasterstirn, siehe: wie in tiefem Sinnen hebt sie eine
+Hand empor, mit dem Rücken nach oben, und spricht zu ihrer
+Obersthofmeisterin: »Mir scheint, es will regnen.« Und in
+der Haltung wollen wir sie verlassen.</p>
+
+<p>
+Um diese Zeit lebte in der Stadt Vienna ein edler Jüngling
+namens Srimoverr, Baron Aeneas Srimoverr. Er brachte die
+üblichen Jahre in einem geistlichen Gymnasium zu und widmete
+sie, wie billig, einem zwiefachen Studium. Auf der Bank
+lagen vor seiner Nase ausgebreitet lateinische Klassiker,
+unter dem Pult aber entzückte seine Sinne die Lektüre
+klassischer Franzosen. Nachdem er seinen ebenso
+verschiedenartigen als eindringlichen Studien durch das
+protegierende Auftreten noch einiger Freiherren namens
+Srimoverr und eine sogenannte Schlußprüfung Grenzen gezogen
+hatte, beehrte er die juridische Fakultät mit seinem Besuch.
+Nicht so sehr, weil ihn die Süßigkeit der Wissenschaft
+anzog: nein, eine bildgeschmückte Heiratsannonce Jezaidens
+hatte ihn mit den Bedingungen vertraut gemacht, unter denen
+ein Königtum von den Dimensionen des Reiches Sirvermor zu
+erringen war. Und seine Liebe erlahmte nicht angesichts der
+Schrecklichkeit seiner Aufgabe.</p>
+
+<p>
+Zwar: es ist richtig, wenn der berühmte lygische
+Geschichtsschreiber Moses Maria Archivstaub behauptet,
+Aeneas habe sich selbst hinlänglich für seinen
+bewundernswürdigen Fleiß belohnt. Er benützte nämlich nicht
+nur die reichhaltige Bibliothek seines Oheims, des
+Privatdozenten für Rechtsphilosophie, Bartholomäus
+Srimoverr, sondern auch dessen Gemahlin teilte von jeher mit
+demselben Eifer das Lager des jugendlichen Neffen, wie jene
+Annehmlichkeiten, die Stellung und Güter des gelehrten
+Gatten mit sich brachten. Dieser Umstand aber sollte Aeneens
+Verhängnis werden. Der Tag, da er mit dem vollendeten Werke
+sich zu seiner Tante begab, Abschied von ihr zu nehmen, der
+Tag ward sein Todestag. Tief, tief waren die beiden
+versunken, er in das Vorlesen seiner Schrift, sie in ein
+enthusiastisches Lauschen, und die Doppelschritte des
+nahenden Gatten wurden erst gehört, als es zu spät war. Kein
+zweckdienlicher Kasten im Zimmer, und schon schwang sich
+Aeneas, das kostbare Pergament in der Hand haltend, statt
+den Ehemann so ins Jenseits zu stürzen, in unbegreiflicher
+Verwechslung selbst auf das Fensterbrett und sprang zum
+letztenmal hinab in den Teich, dessen Wellen auch vor ihm
+bereits manchen Überraschten geborgen haben mochten. Ach,
+diesmal dürften die Mühen der Lektüre zu gewaltig gewesen
+sein. Des kühnen Tauchers Herz brach. Wild aufrauschten die
+Wasser, und indem er den Zwicker aufsetzte, sprach der
+Privatdozent die geflügelten Worte: »Traun! ich habe doch
+diesem Fischhändler gesagt, ich will nur echt Ibsensche
+Karauschen. Und was hat der geschickt? Sind das Ibsensche
+Karauschen? Mutwillige Fische, die sich hoch über Wasser
+schnellen. Die müssen von ganz wem andern sein! Was meinst
+du dazu, Rosa? Diesen Fall muß ich untersuchen. Magst mich
+begleiten?« Sprach's und befestigte an der Angel eine
+künstliche Fliege.</p>
+
+<p>
+Ich würde gewiß nichts von dem Froschkönig
+erzählen, wenn es nicht für den Gang dieser Geschichte
+so unumgänglich nötig wäre. Er saß ganz harmlos im
+Teiche unter seinem Sonnenschirm — denn gerade, daß die
+Frösche keinen solchen brauchen, ist das Noble daran,
+und darum hatte der Froschkönig einen und memorierte
+unter ihm skandierend seine langweilige Thronrede:</p>
+
+<p>
+»Wir Quakorax, König der Frösche, Blatt-<br />
+läuse, Malariamücken und so weiter,<br />
+kraft uralt angestammtem Recht beriefen<br />
+höchstwir alle Vasallen, die, sei es<br />
+zu Lande, sei's zu Wasser unser sind,<br />
+auf diesen hohen Reichstag. Hört, hört! wir selbst<br />
+und Ihre Majestät, die Königin<br />
+Guaplasa, um sämtlichen Untertanen<br />
+kund zu tun, wie sie zu ehren wir<br />
+gedenken, keinem unsrer Völker nah<br />
+zu treten, keinem unsrer Achtung mehr<br />
+noch minder zu erweisen als dem andern:<br />
+ja! auf einem halbüberschwemmten Hügel,<br />
+mit einem trocknen, einem nassen Fuße,<br />
+staatsrechtlich, nicht bloß so zu sagen! über<br />
+dem Berg im übrigen auf astbefest-<br />
+igetem Schaukelthrone uns bewegend«<br />
+— hier blieb der arme Quakorax, vielleicht schon zum zehnten
+Mal, über die jämmerlichen Versfüße stolpernd, stecken,
+diesmal, weil der Tote zu ihm glitt. Quakorax dankte den
+Göttern, daß sie ihm, falls als er bei der Thronrede
+wirklich ins Stottern geraten sollte, eine solche
+Entschuldigung vor Guaplasa darboten. Kein Zweifel: der
+junge Mann, gewiß ein Kollege, hatte den unerträglichen
+Leiden, die auch ihm eine Thronrede verursachte, durch
+Selbstmord ein Ende bereitet. Kaum daß Quakorax sich und den
+Ärmsten schicklich beweint hatte, machte er sich an den
+Genuß der vermeintlichen Thronrede, die dem Toten aus der
+klammen Hand zu winden, ihm vermittels eines Zaubers
+gelungen war, der so gewaltig ist, daß ich ihn hier nicht
+näher schildern kann. Durch seine Lektüre an den Rand der
+Verblödung gebracht, griff er, mit seinem Lose zufriedener,
+nach dem eigenen Manuskript. Da trieb vor seinen Augen eine
+verlockende Fliege auf und nieder. Nach hartem Kampfe mit
+der Pflicht beschloß er in seinem Herzen, die Fliege nicht
+zu verschmähen, schon um nicht die Götter zu beleidigen, die
+ihm den leckeren Bissen wohl zur Belohnung seines
+ausdauernden Fleißes gesendet hatten. Es empfiehlt sich, den
+Geboten der Unsterblichen mit beschleunigter Geschwindigkeit
+zu gehorchen, und so schoß denn auch der gute fromme
+Quakorax alsogleich, ohne etwas loszulassen, auf sein Opfer
+zu, verfing sich, ward ans Ufer geworfen und hauchte
+zappelnd seine Seele aus, welche geziemend zum Hades
+enteilte. »Froschschenkel sind auch gut,« meinte
+Bartholomäus, »die den Göttern gebührenden Eingeweide misse
+ich mit Vergnügen.« Dann bemerkte er, was er sonst erbeutet
+hatte, löste unverzüglich ein Billet nach Sirvermor und ein
+zweites, eine Umsteigkarte in die Zukunft. Denn in dieser
+geht der folgende Teil unserer Erzählung vor sich.</p>
+
+<p>
+Während der Fahrt, indem sowohl der Privatdozent in ihm eine
+Beschäftigung verlangte, als auch die Sorgen des seligen
+Quakorax merkwürdigerweise auf ihn übergingen, begann
+Bartholomäus die Thronrede auswendig zu lernen, und selbst
+als er der hold errötenden Jezaide den — wenn auch
+unzureichenden — Sonnenschirm des Froschkönigs anbot,
+rezitierte der Zerstreute noch immer sein »Wir Quakorax,
+König der Frösche ...« Diese Phrasen, für unverfälschte
+Wahrheit genommen, verfehlten nicht, einen guten Eindruck zu
+machen; zudem: daß Srimoverr die Erbin des Reiches so
+ziemlich vor den Unbilden der Witterung geschützt hatte,
+erschien den Priestern, die pflichtigst darüber die Lage der
+Sterne und Butterbrotpapiere beobachtet hatten, ein dem
+Lande heilweissagendes Omen und Symbol. Und dies ist in
+unserer Geschichte, glaube ich, das einzig Unglaubliche, das
+man nicht glauben kann: eine alsbald angestellte Prüfung des
+rechtsphilosophischen Schriftchens ergab untadelige
+Resultate, kein einziges Plagiat! Worauf ohne weiteres wider
+Bartholomäus die Vermählung eingeleitet wurde.</p>
+
+<p>
+Für den Verstand von Leuten, die in diesen
+anspruchslosen Zeilen eine tiefsinnige Allegorie erblicken
+wollen, etwa in Jezaide die Tochter eines Hofrates
+oder Sektionschefs zu sehen vermeinen, die einem
+simplen Dozenten zum Throne, id est: zu einer
+ordentlichen Professur verhalf — auch die anderen, wahrlich
+nicht wenig verschlungenen Begebenheiten auf kraß
+realistische Weise ausdeuten möchten: für den
+Verstand dieser Sorte von Leuten übernimmt der Verfasser
+keine wie immer geartete Garantie, wenn sie nicht so
+ruinösen Versuchen entsagen. Genannten Individuen
+aber trotzdem gebührend entgegenzutreten, gesteht der
+Autor offen und ehrlich, daß der Zweck seiner
+scheinbar nichts weniger als tugendhaften Historie, soweit
+ein solcher überhaupt vorhanden, ein hochmoralischer
+ist und hofft damit einer aufmerksamen Leserin nichts
+Neues zu sagen. Er hält dafür, nachträglich genug vor
+jenem verderblichen Geist gewarnt zu haben, der
+Zizipês sonst makellose Herrschergestalt verunzierte.
+Wolle doch ein Jeglicher seinem guten Rat gehorsamen
+und zur Taufe erscheinenden dreizehnten Zauberern
+keine silbernen Stiefelknechte und beileibe keine
+schlechten Zigarren anbieten, noch auf künstliche Fliegen mit
+übereilt zuschnappendem Rachen antworten. Den
+Folgsamen steht nicht bloß eventuell das Himmelreich offen,
+sondern ihnen und nur ihnen wird mitgeteilt, wie sich
+das Schicksal derer von Sirvermor-Srimoverr des
+Weiteren gestaltete.</p>
+
+<p>
+Es läßt sich nicht leugnen, der Prozentsatz an kleinen
+Mohren und Chinesen, den die Prinzessinnen dieses
+Hauses auch nach jener Sühnhochzeit herbeiführen
+halfen, er war und blieb ein größerer, als er in den
+übrigen Königsfamilien Usus ist. Doch wer wird der
+Bösewicht sein, zu fordern, eine künstliche, zauberische
+Einrichtung, durch die Länge der Zeit beinahe zur
+natürlichen Anlage geworden, möge wie mit einem
+Glockenschlage zu bestehen aufhören?</p>
+
+<p>
+Was die speziellen Schicksale Jezaidens und ihres
+Gatten anlangt, so beteuern manche Skribenten,
+beklagte Mohren und Chinesen, in dem unzureichenden
+Sonnenschirm bereits zart angedeutet, seien durch die
+Unterschiebung der Preisschrift verschuldet, und sei
+dieser Frevel nur darum nicht postwendend ans
+Tageslicht gekommen, weil Jezaide keine Kinder hatte, was
+weniger der abgetöteten Liebe als dem gelehrten
+Charakter ihres Gatten zuzuschreiben sei. Sonstige
+Erlebnisse des Ehepaares? Zur Beruhigung: und wenn sie
+nicht geboren sind, so sind sie auch heute noch nicht
+gestorben!
+</p>
+
+</div>
+</body>
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+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">LIEBE</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">N</span>ITIMUR, ein wohlriechender Künstler,
+Erbauer der sechs großen Stockwerke, sah eines
+Tages die wohlwandelnde Königstochter Inve, und
+nicht genug daran: er wagte es, seine Augen zu
+ihr zu heben, die auf dem hochgelegenen Steige der
+Königstöchter knabenleichten Schrittes zur Lust tief
+und tiefer unten Wandelnder und also auch wohl zur
+eigenen Lust einherschwebte. Ja, er gewann es über
+seine in welcher Niedrigkeit aufgeschossene Seele, daß
+er den jäh ansteigenden Kotsee und den
+darauffolgenden Eisberg der vermeintlichen Glückseligkeit
+durchschwamm und überschritt.</p>
+
+<p>
+Diese beiden Stoffe nämlich, Kot und Eis,
+ausgezeichnet sowohl durch die Menge, in der sie sich an
+den genannten Orten befinden, als auch durch andere
+Eigenschaften, sind dazu bestimmt und geschaffen, die
+Wege der wohlwandelnden Königstöchter und der
+wohlriechenden Künstler zu trennen.</p>
+
+<p>
+Wohl war, wie ihr alle recht gut wisset, in diesem
+unseren Königreiche Titumsem die schreckliche Strafe
+der Spiegelentziehung auf das Erklimmen der
+Scheideflächen gesetzt. Nitimur aber mag vor, während und
+nach deren Durchquerung wenig an eine
+Selbstbespiegelung gedacht haben. Vielmehr: an dem Orte seines
+Strebens in welchem Aufzuge angelangt, warf er sich
+rücklings zu Boden, auf den heiligen Boden des
+Einherschwebens der Königstöchter, und schlug ihn
+dreimal mit dem Hinterhaupte. Dies ist die Art, mit der
+in diesem unseren Königreiche Titumsem Hohlheit und
+Wohlriechenheit gewiesen wird. Inve konnte nicht anders,
+sie mußte eine Zeiteinheit lang ihr Einherschweben in
+ungleichförmig verzögerter Geschwindigkeit vor sich
+gehen lassen — gewöhnlich bewegen sich nämlich die
+Königstöchter in diesem unseren Königreiche Titumsem
+gleichförmig verzögert — und eine weitere Zeiteinheit
+lang tat sie sich die Mühe, ihre konkaven Wangen in
+dem Blaurot des höchsten Unwillens erröten zu lassen.
+Nitimur nun — war es Absicht oder Unfall? Meine der
+Verehrung wohlwandelnder Königstöchter sicherlich
+zuneigenden Zeitgenossen werden mir wohl recht geben,
+wenn ich steif und fest behaupte, daß es nicht seine
+Absicht war, und ebenso dürften meine dem Glauben
+an das Walten einer ursittlichen Welthausordnung
+herzhaft geneigten Zuhörer meiner wohlweisen Meinung
+sein, wenn ich statt Zufall Unfall sage ...
+</p>
+
+<p>
+Nitimur nämlich, der wohlriechende Künstler, rutschte,
+von der Blauröte des höchsten Unwillens scheinbar
+gleichgültig durchstrahlt, mit gleichförmig beschleunigter
+Geschwindigkeit den Gletscher der anscheinenden
+Glückseligkeit hin und überschlug sich unter den spaßhaftesten
+Purzelbäumen und Kapriolen im darauffolgenden Kotsee.
+Wieder unten auf der Straße wohlriechender
+Künstler angelangt, begab er sich aber nicht in seine sechs
+großen Stockwerke, denn er wußte wohl, daß ihm
+sämtliche Spiegel mittlerweile entfremdet worden waren ...
+Wer aber kann malen das Blaurot des noch sehr
+viel höheren Unwillens der wohlhabenden
+Königstochter Inve, als sie nächsten Tages an derselben Stelle
+Nitimurn gewahrte! Ihre Bewegung setzte sie da mit
+gleichförmig beschleunigter Geschwindigkeit fort, die sie
+nur um eine Zeiteinheit verzögerte, als sie an dem
+wohlriechenden Künstler das heiße Schweigen der Liebe,
+von dem die wohlwandelnden Königstöchter zu träumen
+pflegen, nicht kaltes Schweigen der Körperverehrung,
+das wohlriechende Künstler zu durchstrahlen pflegt,
+bemerkte. Als sie sah, daß er mit weit weniger
+gleichgültig durchstrahlter Miene seinen schmachvollen
+Heimweg abkugelte.</p>
+
+<p>
+Da aber jeder Tag diesen Vorfall gebar, Perku, ihr
+wenig geschlechtlicher Erzieher, der zwar seine Zeit
+meist damit füllte, noch weniger geschlechtliche
+Erzieher zu zerspotten, dennoch beinahe bemerkt hätte,
+daß seine wohlwandelnde Königstochter die zur
+Absolvierung ihres Einherschwebens nötige und also
+vorgeschriebene Anzahl von Zeiteinheiten stets überschritt,
+schließlich Inve einsah, daß bald ihr ganzer Reichtum
+an Erörterungsnuancen allewerden dürfte, tat sie es
+eines Tages, über den Wasserberg hinweg, der den
+Schwindelpfad der wohlschlafenden Könige von dem
+Steig der wohlwandelnden Königstöchter trennt, sie
+tat es, ihrem Vater Pimus zuzurufen, der wohlriechende
+Künstler Nitimur störe täglich die Regel- und
+Gesetzmäßigkeit ihres Einherschwebens. Der wohlschlafende
+König Pimus, dem es ein Neues war und den es
+mit Verblüffung durchstrahlte, daß ein wohlriechender
+Künstler auch nach Entfremdung seiner Spiegel vor
+wohlwandelnden Königstöchtern zu liegen wage —
+deren heiligen Boden mit dem Hinterhaupte schlagend,
+Hohlheit und Wohlriechenheit weisend — er erschrak
+zuerst über das Omen dieser sehr kuriosen
+Zugetragenheit, das und die in keinem königlichen Orakel- und
+Traumbuche verzeichnet und vorgesehen war. Also
+machte der wohlschlafende König Pimus seinem
+wohltanzenden Gotte Kwene dreiundachtzig und eine halbe
+Verbeugung und sagte ein Achtel Betrolle her. Kwene
+nämlich, der wohltanzende Gott, dessen Seil von dem
+Schwindelpfade der Könige durch einen Sonnenberg
+geschieden ist, sah sehr gut, hörte aber schlecht:
+daher dreiundachtzig und eine halbe Verbeugung und
+bloß ein Achtel Betrolle. Denn ihr wisset sowieso, und
+ich sage es auch nur, um euch der Abwechslung halber
+mit eurem Wissen zu ärgern: Man hat seine Freude
+nur an dem, was man bis in seine süßesten
+Einzelheiten auszukosten vermag, nicht jedoch an Dingen,
+die, ach, in höchst summarischer Weise fühlbar
+werden ...</p>
+
+<p>
+Kwene aber wußte sehr wohl, daß der Thron eine
+Stütze des Glaubens an ihn sei. Nur darum reichte
+er dem wohlschlafenden Könige trotz des Achtels
+Betrolle schnell seine Ohren, und außerdem drangen
+gerade in dieser Zeiteinheit labend an des
+schlachtmesserumgürteten, wohltanzenden Gottes nicht ganz schlecht
+hörende Ohren des eben von ihm eigenhändigst, nach
+allen Regeln der Kunst geschächteten Schlachtopfers
+höchst rituelle Laute des Sterbens und Verzuckens.
+Dennoch aber unterdrückte der wohltanzende Kwene
+den wohlweisen Rat: »Sende dem wohlriechenden
+Künstler einen zweiten Spiegel, auf daß er sich darin
+besehe!« Nein, er wollte wieder einmal ein Exempel
+seiner Allmacht, Gerechtigkeit und ursittlichen
+Welthausordnung statuieren und gab dem wohlschlafenden
+Könige Pimus den minder weisen Rat, die
+wohlwandelnde Inve hinabzusenden zu dem
+wohlriechenden Künstler Nitimur, dem Erbauer der sechs großen
+Stockwerke. »Denn die gebotene Möglichkeit der
+Befriedigung wird des wohlriechenden Künstlers
+Sehnsucht und Liebe stracks töten, da sie bloß jener
+selbsterzeugte Hunger in Gedanken ist, den armgelebte
+Künstler hie und da aufzuziehen pflegen, der aber
+immer unbefriedigt stirbt, den sie wohlahnend sich
+vergehen lassen, wenn der Erfüllung Schmerz ihnen
+verstattet wird.« Und geheime, frohe Gedanken der
+Rache an dem verbeugungsfeindlichen Künstler und
+dem gern betrollenden Könige durchstrahlten des Gottes
+und Tänzers Miene, kaum verborgen durch ein
+nervöses Zwirbeln des Schnurrbartes.</p>
+
+<p>
+Nicht vergaß da zum Dank der wohlschlafende König
+eine halbe und dreiundachtzig Verbeugungen dem
+seiltanzenden Gotte Kwene zu machen, noch weniger
+vergaß er es, den Heimtückischen durch schnelles Ableiern
+von einem Achtel Betrolle zu ärgern. Schnell tat er
+es, über den Wasserberg hinweg seiner
+wohlwandelnden und gerade einherschwebenden Tochter eine Hymne
+auf seine Vatertugenden zu halten und ihr zu
+befehlen, allbereits hinabzuschweben zu dem
+wohlriechenden Künstler. Welche machte sich sofort auf mit ihren
+wohlschmeckenden Zofen, die ein wohlklingendes
+Geschnatter fortflattern ließen, als die Königstochter in
+einem Sprunge hinabsprang zur Straße der
+wohlriechenden Künstler, die ihr scharenweise zur gefälligen
+Matratze dienen wollten.</p>
+
+<p>
+Als aber Nitimur, auf seinem wohlgeborstenen Steine
+vor den sechs großen Stockwerken sitzend, sie
+kommen sah, da wandte er sich zur Flucht und sprang
+lieber hinab über grasbewachsene Wiesen zu den
+bewußtlos lebenden Bürgern und tauchte lieber unter in
+ihrem Meere der Gewöhnlichkeit. Tiefbetrübt gebot da
+die wohlwandelnde Königstochter den wohlriechenden
+Künstlern, ihre Spiegel zu legen über den Kotsee, ließ
+sich nur unwillig ihre goldenen Schlittschuhe anschnallen.
+Denn sich hinunterzukugeln über die Grashalden in
+der häringhaften Bürger Meer von Gewöhnlichkeit, dies
+war ihr wie jeder echten wohlwandelnden
+Königstochter unmöglich. In ungleichförmig beschleunigter
+Geschwindigkeit, ja in rasendem Sturmlauf blitzte sie den
+spiegelbedeckten Kotsee hinan, hinan den
+darauffolgenden Gletscher der anscheinenden Glückseligkeit. Wenig
+kümmerte sie es, daß ihre wohlschmeckenden Zofen,
+diese Keineswegs-Königstöchter, vor den gefälligen
+Matratzenkünstlern ihr wohlklingendes Geschnatter
+fortflattern ließen und sich mit ihnen um die einerseits
+kotbelegten, andererseits wohlgeborstenen Spiegel balgten,
+im Schlamme wälzten und schließlich dem Geheul und
+Gewaltschmerz der nicht ganz ausgenützterweise sich
+um ihre Spiegel gebracht sehenden
+Wohlgeruchs-Künstler ein Ende taten, indem sie mit ihnen die
+Grashalde abkugelten in der kaninchengleichen Bürger Meer
+von Gewöhnlichkeit. Gar nicht kümmerte es die
+schnellhinwandelnde Königstochter Inve, daß sie, anfahrend
+ihren Steig, ihrem wenig geschlechtlichen Erzieher Perku
+und seiner aus noch weniger Geschlechtlichen gebildeten
+Gesellschaft die restlichen Geschlechtsteile abfuhr und
+alle tötete.</p>
+
+<p>
+Nicht mehr war sie bedacht darauf, in allen
+Zeiteinheiten gleichmäßig einherzuschweben; die
+wohlwandelnde Königstochter Inve, die früher und bis zu
+wohlriechenden Nitimurs Flucht zwar eingedrillterweise von
+Nuancen des Errötens, aber wenig von Liebe gewußt
+hatte, sie bewegte sich mit höchst ungleichförmiger
+Geschwindigkeit, und ihre Seele ergab sich wildem Weinen
+silberner Tränen. Pimus sogar, ihr wohlschlafender
+Vater, er hörte es, und ohne seinen ewigtanzenden
+Gott extra zu behelligen, griff er sofort zu dem in
+solchen Fällen höchst angezeigten und probaten Mittel:
+er zeigte seiner wohlwandelnden Tochter ihre
+Verlobung mit dem immer schlafenden Kaiser von Gata
+an. In ihrem tiefen Grame hörte sie es nicht, wie es
+der wohlschlafende König schlau geträumt oder
+berechnet haben mochte. Inve, mit Unrecht wahrlich eine
+wohlwandelnde Königstochter genannt oder etikettiert,
+fuhr immerzu fort mit ihren unsteten, ungleichförmigen
+Bewegungen, ihrer Seele Weinen überzog ihre Wangen
+mit Silberamalgam, machte sie fast konvex, und schon
+glaubten alle Ärzte und Urinoskospen dieses unseres
+Königreiches Titumsem, die weiland wohlwandelnde
+Königstochter Inve würde, ach, für immer der
+Stetigkeit und Gesetzmäßigkeit ihrer Bewegungen beraubt
+sein ...</p>
+
+<p>
+Eines gemeinen Tages aber, da der wohlriechende
+Künstler Nitimur auf der Grashalde lag und in Träumen
+noch sechs große fahrende Stockwerke für die
+ochsenartigen Bewohner des Meeres von Gewöhnlichkeit
+ersann, schreckte ein schreckliches Getöse und Geflimmer
+ihn aus seinen Fieberträumen. Die Bürgerlein hatten
+nämlich von dem frohen Fest im allerhöchsten
+Herrscherhause gehört und feierten es, jeder nach seiner Art,
+der eine mit verschiedenfarbigen Fetzen, Liedern von
+gefälligen Matratzenkünstlern, der andere mit
+Lichtgestank oder Böller- und Kartaunenblähungen. Jäh
+fuhr der wohlriechende Künstler Nitimur auf, als er
+den Grund der verschiedenfarbigen Fetzen, der
+Hurralieder, des Lichtgestankes und der bürgerhaften
+Schießerei erfuhr. Wo waren da die sechs großen fahrenden
+Stockwerke für die gleichförmigen Bewohner des Meeres
+solcher Gewöhnlichkeit?!</p>
+
+<p>
+Jetzt aber möchte ich meine dem Glauben an das Walten
+einer sittlichen Welthausordnung herzhaft zugeneigten
+Zuhörer ersucht haben, mir ihren Beifall fühlbar zu
+machen und sich zu entfernen.
+</p>
+
+<p>
+Denn mit einem Satze über die Grashalde hinaus
+und die Straße der wohlriechenden Künstler, hinaus
+über den Kotsee und den Gletscher der anscheinenden
+Glückseligkeit: Nitimur war oben beim Steige der
+nicht immer wohlwandelnden Königstochter, und ehe
+noch der wohlschlafende König von Titumsem und
+der immerschlafende Kaiser von Gata Zeit gefunden,
+erwachen zu wollen, hatten sich Nitimur und Inve
+gefunden, in hoher Pracht gefunden. Jetzt aber möchte
+ich auch meine dem Glauben an das Walten einer
+urunsittlichen Welthausordnung herzhaft geneigten
+Zuhörer ersucht haben, mir ihren Beifall fühlbar zu machen
+und sich allbereits zu entfernen! ...</p>
+
+<p>
+Vielleicht, um nicht tiefe Lust zur Gewohnheitsqual
+zu verherben, zu verderben; wer es fassen kann, der
+fasse es: mit einem Satz über den Wasserberg hinaus
+und den Schwindelpfad der wohlschlafenden Könige,
+hinaus über den Sonnenberg und das Seil des im
+Fluge herabgestoßenen wohltanzenden Gottes Kwene,
+der noch im Falle tanzte und seinen Bart nervös
+zwirbelte — waren, war Nitimur-Inve geflohen, geflohen
+in das Reich des ewig seienden, einzig seienden Todes.
+</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+
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+ <title>Der Knecht seines Schicksals</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">DER KNECHT SEINES SCHICKSALS</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">A</span>UCH über Analama, der auf der Insel Quo-uk
+mit den Schwänen lebte, kam das mannbare
+Alter, er mußte den grauen Chroglu überschreiten
+und fiel in das verfluchte Königreich Uttarakuru. Wie
+das immer so ist, meldete sich die Königstochter
+unpäßlich, und ihm blieb nichts anderes übrig, als mit
+den Ungeheuern des Blutflusses Uhuru zu kämpfen.
+Sein Sinn aber stand nicht nach Streit, sondern
+nach den sanften Gelöstheiten des Daseins. Er sehnte
+sich nach intimen Wangen, Frauenhaar, Schenkeln von
+himmlischer Güte. Die Königstochter aber tat
+andauernd unpäßlich. Da blieb auch Analama der Ströme
+seines Blutes nicht länger Herr. Er fand, daß die Norne
+Langeweile die Zeit stickt, wollte die gefrorene Zeit
+töten — und aß nur seine Uhr auf. Er wollte alle
+Weiber vernichten — und riß nur etlichen Mädchen
+mit besonders aufreizenden Waden die Zöpfe aus.
+Die Königstochter blieb andauernd unpäßlich.
+Analama drückte sich mit seinen eigenen Fingern famos
+die Augen aus, nichts mehr vom Dasein zu sehen.
+Die Königstochter zertrat seine Augen und empfahl
+dies Püree ihren Katzen. Analama verließ sich. Die
+Königstochter brachte die gesetzlichen Thronerben: junge,
+starke Hunde zur Welt.
+</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+
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+ <title>Hildebrandslied</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">HILDEBRANDSLIED</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">E</span>S wird berichtet, daß eine Stimme sprach gegen
+Iskandar Zualkarnain und ihm befahl, seine
+Lenden todwärts zu gürten. Und da er auf seinen
+Reisen alle Gegenden und Menschen genossen hatte
+sagte er vor sich hin: »O blinder Sklave des
+Geschickes, wohlan, freue dich endlich, denn nun wirst du
+erfahren, was nach diesem kleinen Leben sein wird.«
+Also haderte er nicht mit jener Stimme letzten Befehls,
+sondern gebot Sklaven, ihm seine zwei Hörner wie für
+ein Fest zu putzen. Und nachdem er noch
+vorsichtshalber einen ganzen Wildesel verzehrt hatte, bestieg
+er ein Eilkamel, um nicht zu säumen und so zu
+beleidigen den Ruf des ehrwürdigen Todes. Aber seine
+Dichter, die Nachtigalleulen, begannen auf eine schöne
+Weise zu klagen und versuchten, sein gleichgültig
+schauendes Herz mit ihren gelinden Traurigkeiten zu
+erfüllen und den der neuen Sache Beflissenen wieder
+an die knappen Habseligkeiten des Lebens zu binden.
+Das Eilkamel jedoch in seiner Weisheit erinnerte sich
+verzehrter Dattelkerne, und indem es den Dichtern
+warmen Mist des Lebens ließ für die rauhen Nächte
+der Zukunft, verschwand es mit dem König der Zeit
+im Walde. Er aber sprach zu seinem Barte: »Nicht
+begreife ich die sachte Trauer der Gefährten meines
+Atemholens. Wenn ich ihnen entgleite, so können sie
+mich doch zurückhalten in den Bogen und Windungen
+ihrer schlangengleichen Gedichte. Ich aber habe es
+schwerer als diese Gezähmten: ich muß etwas tun.
+Nun habe ich einen ganzen Wildesel gegessen, denn
+es ist nicht gut, dem Tod angstvoll und mit
+hungerndem Magen entgegenzutreten. Sollte er mir nicht
+gefallen, so kann ich, ein Herr, ihm wenigstens
+mancherlei ins Gesicht rülpsen, wie es sich gebührt. Doch
+noch sehe ich hier niemanden, der mich töten könnte.«
+Indem er also seinen Unwillen, auf den Tod warten
+zu müssen, ärgerlich kundgab, erschien auf dem Wege
+ein weiser Wildkater und klärte ihn auf: »Nicht dies
+ist der Weg zum Tode, o König Zweihorn; du
+könntest allerdings, wenn du schneller ans Ziel
+gelangen willst, gegen die Bäume reiten. Aber du reite
+lieber diese zwei Wälder hier seitwärts durch, und
+wenn du an der letzten Lichtung meine Frau siehst,
+so sage ihr, daß ich sie noch heute besuchen werde.«
+Da dankte der König dem liebenswürdigen Kater, und
+als er einen halben Kamelritt weiter wirklich die Katze
+erblickte, grüßte er sie höflich und richtete seine
+Botschaft aus. Dafür belehrte ihn die Wildkatze
+freundlich über die nahe Möglichkeit eines annehmbaren
+Todes — nur eine Parasange weit!</p>
+
+<p>
+Und als er sich über diese Strecke hinweggesetzt
+hatte, traf er richtig dort einen Mann, an Stärke gleich
+einem ausgewachsenen Löwen. »Nächstens lasse mich
+nicht so lange warten,« brüllte der Mann. »Ich bin
+dein Vater Rustan, und da ich dich ins Leben
+gepflanzt habe, schickt es sich auch, daß ich dich töte.«
+Begann auch sogleich dem unpünktlichen Sohne die
+Hörner aus dem Kopf zu drehen, und Iskandar
+Zualkarnain ehrte den Vater, getreu dem Gesetze des
+Propheten. Er wagte es nicht, diesen Tod am Barte
+zu zupfen, noch auch ihm den vorbereiteten Esel ins
+Gesicht zu rülpsen. So benommen war er von den
+Schmerzen des Lebens.
+</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Traum des 888. Nachtredakteurs</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">TRAUM DES 888. NACHTREDAKTEURS</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">U</span>ND Schahrazad bemerkte das Grauen des Tages
+und hielt inne in der verstatteten Rede. Doch
+als die achthundertundachtundachtzigste Nacht da war,
+fuhr sie also fort: »Ich vernahm, o glücklicher
+König, daß im Lande der besoffenen Ströme
+ausnahmsweise ein geiernasiger Jüngling lebte, der gern im Schlaf
+ertrank und da er wenig arbeitete, Hunger trieb. Seine
+Sehnsucht und Begierde ging gleichwohl nach dem
+Faulen unerreichbarer Gewürze, und wegen dieser
+seiner dicken Gewohnheit nannten ihn die Ungläubigen
+Schinkenstern.</p>
+
+<p>
+Als er eines Tages seinen Magen nach den
+Marzipaninseln traumwandeln ließ, überfiel ihn ein
+Schnellzug und ließ nicht ab, ihn davonzutragen, bis alle
+Kohlen verdampft waren. »Dies ist nicht das Land
+des Safrans und der Wohlgerüche,« jammerte der
+Entführte, als er sich nach einem wahnwitzig schrillen
+Pfiff in einer robusten Halle ausgesetzt sah. Weil es
+notwendig war, brach er die Dämmerung seines Geistes
+ab und suchte nach einem Sofa, wo er sein Haupt
+niederlegen könne. Weiter strichen seine Pläne nicht,
+und indem er an einem Hotelportier vorbeiging,
+erreichte er es, mehrere Meldezettel ausfüllen zu dürfen.
+Nachdem er diese Dämonen besiegt hatte, warf er sich
+in den Schlaf, ob ihm vielleicht die Deutung der zu
+erwartenden Träume seine innersten Gedanken
+enthülle. Doch der Schlaf spie ihn rücksichtslos, traumlos
+wieder ins Leben aus, und als der Unglückliche zum
+abertausendsten Male kläglich im Raume erwachte,
+veranstaltete er einige Augenblicke der Besonnenheit.
+Aber ehe er etliche Vernünftigkeiten ausgeheckt hatte,
+verdrängte der Schrei nach einer Buttersemmel das
+Gekrächz seiner Seele. Als er dann, noch
+verdauungsmatt, seinen Kopf aufzusetzen versuchte, fand sich
+dieser nicht, und so beschloß er, seine Leiblichkeit
+vorläufig dem Hin und Her des Zufalls zu schenken.
+Keinesfalls war er jedoch geneigt, allzu hündische
+Arbeit zu tun und wollte lieber die Verhandlungen mit
+der Erde abbrechen. Er begann also über die
+Oberfläche der fremden Straßen als ein gemäßigter und
+nicht ganz zielloser Spaziergänger hinzugleiten. Seine
+Augen grasten ruhig die Erscheinungen ab und fielen
+schließlich in die Blätter, aus denen sich zahlreiche
+Toren über den Gang der Gestirne zu unterrichten
+versuchten. Da schlug in ihn ein schnelles Erinnern,
+und seine futterwitternde Geiernase, die ihm aus einem
+Spiegel entgegengrinste, bestärkte ihn zu einer
+seellosen Zeit in gewissen Betrachtungen.</p>
+
+<p>
+Er besaß zwar keine Feder der Fülle, aber an
+Schalttagen drangen tollkluge Worte aus ihm. Wenn er auch
+bezweifelte, daß diese seltenen Schalttage je sein ganzes
+Jahr anstecken würden, war er sich doch einer bescheidenen
+Kenntnis einiger, aber bei weitem nicht aller Gesetze
+der Interpunktion bewußt, und verdammte sich kalten
+Herzens dazu, von seiner Durchschnittssprache zu leben.
+Dieszwecks legte er Zylinder an und ehe er sich noch
+hatte warnen können, verscholl er in einem
+Verlagsgebäude. Er hätte besser getan, sich des Zephirs der
+Welt zu berauben. Denn als er vor den Journalisten
+der Zeit trat, zersetzte ihn der Druckgewaltige
+folgendermaßen: »Du gehörst zu den weltfremden
+Siriusochsen und bildest dir zwar nicht den Besitz des
+Stilmonopols ein, bist aber trotzdem stolz darauf, als
+erster den Ipunkt unter dem I befestigt zu haben.
+Ich kann jedoch nur eine rechtschreiberische
+Schreibmaschine brauchen.« Da ließ sich der Verräter
+Schinkenstern sterben, er antwortete: »O, König der Zeitung,
+ich höre und gehorche. Ich war ein Ifrit von den
+Marids der Dschann und bin bereit, den Eid auf das
+Zeilenhonorar abzulegen. Ich habe es eilig, ins Nichts
+zu hasten. Ich war mitunter die Zunge der Dinge.
+Werde ich es weniger sein, wenn ich mich zur Stimme
+des Rindviehs mache? Möge ich bald an einem
+Druckfehler sterben!« »Ich sehe, du gehörst zu den schwachen
+Zugtieren, die, statt ein Ende zu setzen, ihren
+unüberwindlichen Magen anklagen, o Halbdichter!«
+</p>
+
+<p>
+Es wird berichtet, daß der Geiernasige zunächst als
+Besprechungsliterat versank, einer jener vielen
+Kritikastraten und Verschnittenen wurde, die eifersüchtig
+den Harim des Ruhmes bewachen. Er ward eine kahle
+Negation, legte sein Gehirn bloß, exhibitionierte mit
+der raschwachsenden Glatze der Weisheit, aber seine
+Seele war im Übersatz. Er schrieb nur Kartoffeln,
+und die Worte der Dichter verdienten, mit Nadeln
+in die Spitzen seiner Augenwinkel geschrieben zu
+werden. Da bemerkte er endlich das Graue seines
+Tages und hielt inne in dem verstatteten Leben. Allah
+übersetze ihn nicht!</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Die alte Geschichte</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">DIE ALTE GESCHICHTE</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">E</span>S war einmal ein junger Dichter namens Eduard,
+der lebte in einem Palaste. Und in ihm war
+nichts als Sehnsucht. Seine Diener aber brachten ihm
+Schinkensemmeln mit Kaffee. Sehr traurig war der
+junge Dichter, und seine Sehnsucht ging von einem
+Zimmer in das andere. Herrliche Bilder konnte er sich
+vorgaukeln, und das junge Mädchen, das er liebte und
+haßte: Kunigunde!</p>
+
+<p>
+Doch wenn sein junger Leib, der sich sehnte, einen
+Schritt vorwärts tat, die geschaute Gestalt zu
+umarmen, schwand alles, und seine Lippen, die nach
+einem Kusse lechzten und glühten, sie sanken
+kümmerlich zusammen, und sein Kopf fiel schulterwärts ...
+und er war wieder allein mit seinen Zimmern, Dienern
+und Schinkensemmeln. Da haderte der junge Dichter
+mit Gott und seinem Palaste und weinte über sie die
+Tage und Nächte, daß sie ihm nicht geben wollten,
+wonach er flammte ... und hätte am liebsten die
+Wände geküßt und die Bäume seines Gartens umarmt:
+so sehnte er sich. Und er vergoß sieben Tränenströme.
+Und wollte nichts essen und zerfleischte sich das
+Gesicht und die lieben Hände und raufte sein Haar und
+zerriß seine Gedichte und lag wie ein Toter da auf
+seinen Teppichen.</p>
+
+<p>
+Sandte der liebe Gott zu ihm in den Traum eine
+ausgezeichnete Fee, und die sprach: Was gibst du
+deinem Körper Wunden und üble Farben? Sieh, sei
+wieder brav und ruhig, und Gott wird dein Haar
+streicheln, und dein Haupt soll liegen in dem Schoße
+deines jungen Mädchens. Da sprach der junge Dichter:
+Ich will ja gern wieder an den lieben Gott und meinen
+Palast glauben, aber warum ward ich so schwer
+geschlagen? Es ist ja wahr, ich habe vor sieben Jahren, zehn
+Monaten und drei Tagen beinahe eine Ameise zertreten!</p>
+
+<p>
+Küßte die ausgezeichnete Fee dem jungen Dichter
+langen Schlaf an und tat von seinem Leibe die
+Wunden und üblen Farben, nahm von seinen Händen die
+Betrübtheit ... und als er erwachte, da taten sich alle
+seine Zimmer auf und strahlten, und sein Haupt lag
+gebettet in den Schoß des jungen Mädchens, und sie
+streichelte seine Haare und küßte ihn und klebte seine
+Gedichte wieder zusammen.</p>
+
+<p>
+Glaubt ihr das? Ich nämlich glaube es auch nicht!
+Sondern, als von dem jungen Dichter der Schlaf trat,
+da stand zu seinen Häupten ein Freund und wies
+ihm eine Kritik, in der Eduard niederträchtigerweise
+gelobt wurde, ein Briefträger feierte seinen Einzug
+mit einer Drucksorte, laut der sich Kunigunde mit
+Archangelus Lardschneider, jenem niederträchtigen
+Kritiker, verheiratet hatte, und eine jähe Drahtung zwang
+ihn, die Premiere seines letzten Stückes abzusitzen,
+des Schiffahrtsaktiendramas »Eduard und Kunigunde«,
+das ihm vom Lesen her übel bekannt war. Und zu
+Füßen seines Bettes stand ein Diener, in der Hand
+haltend eine Tasse Kaffee mit Senf.</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Frühes Leid</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">FRÜHES LEID</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">I</span>CH war kein Tierfreund, eher vielleicht ein
+tyrannischer Beobachter der Tiere. Seit jeher reizte es
+mich, diesen schwachen Wesen zuzusehen,
+mitzuspielen, Herrschaft über sie auszuüben, da ich die
+Menschen nicht knechten konnte. Ich ging ja in die
+Schule, war Sklave von Rohrstäben, Katalogen,
+Klassenbüchern und Zensurzetteln. Und daheim saßen
+grausame Zieheltern, die meine Abneigung gegen das
+Leben nährten, indem sie mich stets zum Essen zwangen,
+zur Strafe mit den widerwärtigsten Speisen traktierten,
+wenn ich den grammatikalischen Kram nicht
+wissenswert fand. Die Existenz von Schulbüchern war doch
+eine Gnade meinerseits? Nein! Man begnügte sich
+unbescheidenerweise nicht damit, daß ich das
+Vorhandensein derartiger Materialien hypothetisch annahm,
+gelten ließ, ich sollte sie empfangen, die Bücher sollten
+in mich übergehen und ich Buch werden. Paßte mir
+diese Besessenheit nicht, reagierte ich auf solche
+Vernichtung meines Ichs sauer oder, was meist geschah:
+ließ ich mich auf derlei Provokationen überhaupt nicht
+ein, sah man in meinem Vorgehen alles eher denn
+Selbstbewahrung. Meine früh erwachte Aversion
+dagegen, Gedichte anderer Schriftsteller auswendig zu
+lernen: von mathematischen Formeln koitiert zu
+werden, diese eminent männliche Eigenschaft hieß auf
+einmal Faulheit und man entleerte über mich ein
+Füllhorn von Strafen.</p>
+
+<p>
+Ich besaß eine kleine Kaninchenzucht. Gab ich mich
+mit Hühnern und Tauben ab, fesselten den Zarten,
+der für seine Person Raufereien scheute und mied, die
+schonungslosen Kämpfe zwischen rivalisierenden Hähnen
+oder Taubern. Blutliebe war es, Freude an diesen ebenso
+formstrengen als gefühlsheißen Duellen, die erbittert und
+unerbittlich bis zur Entscheidung ausgetragen wurden. Bei
+meiner Zucht, bei meinem Kult von übrigens
+unfreiwilligen Mitgliedern der Friedensgesellschaft, den
+geduldbehauchten Kaninchen gegenüber hatte ich lautere
+Motive. Ich ergötzte mich an rein vegetativen
+Prozessen, freute mich, wie die jungen Tierchen
+schnupperten und dann mit langen Froschsprüngen
+herbeieilten, mir die Kohlblätter aus der Hand zu fressen.
+Aber Kohl — der kostete Geld, ein paar Heller
+täglich, und Futter, Wartung fraß Zeit, die ich nach
+Ansicht meiner Pflegeeltern besser an das Studium
+gewendet hätte. Ihr ewiges: »Hugo, lerne!« scholl
+an mir vorbei, ich betrachtete die unregelmäßigen
+Zeitwörter als Verbalinjurien und wußte mir etwas
+Besseres als Verben reiten, konjugieren: Kaninchen.
+Die waren mein Trost, halfen mir mit ihren Farben
+und Bewegungen über schlechten Ausfall der
+Schularbeiten und Mittagmahle hinweg. Bekam ich zu
+Weihnachten eine üble Zensur und wurde demgemäß statt
+jedes anderen Geschenkes strafweise täglich diejenige
+Speise aufgeführt, die ich am stärksten haßte:
+Sauerkraut — und noch dazu in angebranntem Zustand —
+flüchtete ich nach Tisch zu den Kaninchen. Und siehe
+da! es gab Wesen, denen die Verabreichung dieses
+Giftes, die Ausspeisung mit Krautblättern
+Glücksaugenblicke schuf, Wesen, die mir, dem göttergleichen
+Spender, durch ihr zufrieden-geräuschvolles Mahl zu
+einigem Selbstgefühle verhalfen und nicht genug daran:
+sozusagen durch die Vernichtung eines Teiles des
+Sauerkrautbestandes der Welt mir dankbar einen großen
+Dienst erwiesen.</p>
+
+<p>
+Es kam eine Zeit, wo ich mein Reich nicht
+verteidigen konnte, und die Bazillen drangen ein. Mit den
+Bazillen meine ich nicht etwa die Erreger der
+Windpocken. Die machten sich nicht so breit, mit denen
+wurde ich leicht fertig, und wenn ich dennoch mich
+schwach zu fühlen vorgab, nicht aufstehen wollte, so
+lag das in mir: ich hatte wenig Lust, ins äußere
+Leben zurückzukehren, in die Schule, diesen Garten
+voll bitterer Kräuter, die — o bodenlose Verruchtheit
+— obendrein botanisch-lateinische Namen trugen! Das
+Kranksein bedeutete für mich sorgsame Pflege, Ruhe
+und Waffenstillstand, und ich kann sagen, ich machte
+häufig von Halsentzündungen Gebrauch. Wenn das
+Fieber geschwunden war, sagte man wohl: »Liegend
+lesen schadet den Augen,« aber ich durfte eine Weile
+Lektüre treiben, was mir sonst — schlechter Zeugnisse
+halber — verwehrt war. Der Arzt ließ mich gerne
+liegen, er verordnete sogar zur Behebung der
+allgemeinen Schwäche kräftigende und wohlschmeckend von
+mir bejahte Gerichte, vor allem Weißfleisch. Doch für
+die Wirtschaft, für das Staubabwischen und Aufräumen
+bedeutete mein Kränkelnwollen, mein
+Zärtlichkeitsbedürfnis Hemmung und Überarbeit. Weißfleisch? Wozu
+Hühner kaufen, wenn herrliche Kaninchen im Hause
+waren, Kaninchen überdies, die, wenn man sie dem
+eigensinnigen Knaben ins Bett geben mußte, sich
+unsauber betrugen. Sonst zwar wurden Kaninchen nicht
+gegessen, aus Ekel ... aber ein wehrlos in der
+Genesung begriffenes Kind aus der Geborgenheit, aus
+dem sicheren Bett zu scheuchen, dazu war kein Mittel
+schlecht genug. Thyestes nährte sich vom Fleisch der
+eigenen Kinder. Atreus hat ihn damit brüderlich
+bewirtet. Das ist noch gar nichts. Denn Thyest war
+ahnungslos, wußte nicht, wovon er zehrte, wußte nicht,
+was er wieder zu sich nahm. Auch ich mußte die
+Geschöpfe essen, die mir die liebsten waren. Aber ich
+fühlte, was ich hinabzuwürgen gezwungen wurde. Ich
+verschluchzte mein Herz. Anfangs sagte man, auf das
+Kaninchenfleisch weisend: »Backhuhn!« Als sich jedoch
+mein tiefes Wissen um diese Welt durch das Gerede
+nicht übertäuben ließ, hieß es, ich solle nicht so kindisch
+sein. Kindisch? Leichtsinnig hatte ich die Kaninchen
+preisgegeben, verraten! Während es mir beliebte, krank zu
+sein, wurden sie wenig gefüttert, gemordet. Da gab
+ich die Krankheit hin, stand auf, um die
+übriggebliebenen Kaninchen vor meinen Zieheltern, vor den
+Bazillen, vor dem Tode zu schützen. So rief mich das
+Leben. »Hugo, lerne!«</p>
+
+</div>
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+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Wodianer</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">WODIANER</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">D</span>ER junge Baron Wodianer-Bruckenthal-Sarmingstein
+betrachtete sein himmelan starrendes
+Haar, das über seine Stirn, früh verwelkend, endlich
+grau hereingebrochen war in diesem dreißigsten Jahr
+seines ziellosen Lebens. Der Spiegel trug nicht die
+Schuld, der hatte Generationen von Wodianern in
+der Wiege strampeln und etwas stiller auf der ihr
+folgenden Bahre liegen gesehen und jedem in durchaus
+zuverlässiger Art ein Bild des veränderlichen Körpers
+gezeigt, über das in manchen Fällen sogar ein
+Abglanz der recht unsterblichen Seele gebreitet war. Nun
+saß Albrecht Wodianer als letzter vor dem treuen
+Möbel und ärgerte sich über ein Stück Materie, das
+ihn langen Atems überdauern würde, unerblindet ihm
+die Unreinheiten seines Geistes wies: die weiß
+angelaufenen Speere seiner Haare. Albrecht Wodianer
+ertrug den Anblick des Spiegels schließlich nicht länger;
+da er aber allen Freunden gegenüber sanften Gemütes
+war, zertrümmerte er ihn nicht, sondern trat den
+Rückzug ins Café »Prag« an. Er selbst, wiewohl verarmt, kam
+sich dort etwas deplaziert vor; ein Achtelliter
+Raubritterblut empörte sich in ihm gegen die spitzfindige
+Synagogenluft dieses Zionistenbeisels, in dessen Ecken immer ein
+paar jüdische Literaten urchristelten. Doch der Umstand,
+daß sich hier Räume ärmlichster Schlichtheit über zahllose
+Stilepochen hinweg unversehrt im zwanzigsten
+Jahrhundert geborgen hatten, beruhigte ihn wieder,
+sonderbarerweise, obwohl seine Nervosität und Zeitzerriebenheit
+sonst sich gegen die Dauer der Gegenstände empörte.</p>
+
+<p>
+Wodianer bestellte im leeren Café irgendwas
+und ging dann wieder nach Hause, froh, niemanden
+getroffen zu haben, denn das Öffnen des Mundes zu
+formellen Reden und Antworten, zu dialektischen
+Wortkrämereien, die nichts von seinem erschütterten
+Seelenzustande offenbaren durften, weil Haltung unter Egoisten
+Ehrensache war — dieses ganze, immer wieder nur
+einen konventionellen Schein liefernde Gebaren war
+ihm verhaßt. Und doch mußte er täglich, täglich ins
+Café trotten, er konnte die Zeit vor Mitternacht nie
+zu Hause verbringen, gewohnheitsmäßig warf er diese
+Stunden an den nächstbesten Frauenleib, oder ließ die
+Worte nahe hockender und doch weltweit entfernter
+Literaten und Intellektbestien wie Fliegen in die
+Melange fallen, die er dann nicht austrank.</p>
+
+<p>
+Während des Heimweges empfand Wodianer eine
+seltsame Blutleere im Schädel und empfand sie
+ungern, denn sie erinnerte ihn an den Tag, da der Tod
+zum letzten Male sich in seiner Nähe aufgehalten hatte,
+eine Stirnwunde hinterlassend und kuriose Schwächen.
+Folgen eines Duelles mit dem Hauptmann
+Orbenhayn, der eine Bemerkung Wodianers — was auf dem
+rötlichen Beteigeuze den Mädchen der Erde entspräche,
+müßte dort schöner sein — auf seine Braut bezogen hatte.</p>
+
+<p>
+Albrecht Wodianer sah vor sich liegen den
+sterbenden Orbenhayn, dessen blutschäumender Mund
+rötlicher glänzte als der Stern Beteigeuze. Und spürte, in
+der Erinnerung wieder Leib an Leib mit
+Ex-Orbenhayns Braut, abermals die Wahrheit seiner Bemerkung.</p>
+
+<p>
+Auf einem winterkahlen Baume vor der Universität
+schwirrte es in kleinen Flügen von Ast zu Ast, um
+nicht zu erfrieren. Zweigauf, zweigab glatt verschluckbare
+weiße Flaumenbälle: Spatzen, die in Scharen über den
+Baum versammelt waren. Hie und da sauste, den Baum
+erschütternd, eine Elektrische vorbei; die in sich
+verkrochenen Klümpchen, wärmehungernd, versuchten am Stamm
+kleben zu bleiben. Wodianer fühlte mit ihnen kein Mitleid,
+er wußte: in den Tierchen schwangen die Seelen
+ungeborener oder abgeschiedener Mädchen, denen es bisher
+mißlungen war, in die Universität zu laufen, und die nun hier,
+nahe der Wissenspforte nächster Wiedergeburt harrten.</p>
+
+<p>
+Wodianer haßte Frauenstudium, seine
+schwarzhaarige Männerfaust fuhr hinab zu den Kieselsteinen
+der Reitallee, und eine Faustvoll ergoß sich über rasch
+aufschwirrende Sperlinge. »Viel Leben um nichts!«
+murmelte er, zerrte seinen Bart und fluchte schon
+lauter: »Nicht erwarten können sie es, die idiotischen
+Dinger! Stellen sich da in Nacht und Nebel an, als
+wäre so ein flaches Kolleg eine gute
+Burgtheatervorstellung. Und nicht früher werden sie aufhören, die
+zudringlichen Ludern ... bis sie von Logarithmen ganz
+verwanzt sein werden. Pfui Teufel!« Sehr unvermittelt
+erklang in seinem Gehirn die Stimme seiner toten
+Mutter: »Bubi, das darf man nicht!« Albrecht schlug
+mechanisch die Hände gegeneinander, daß von den
+Handschuhen die schuldbeweisenden Steinkörnchen
+glitten. Hernach ward er doppelt unwirsch, krächzte heiser:
+»Das lebt noch immer in mir! Als ob so eine alte tote
+Baronin Wodianer-Bruckenthal-Sarmingstein wüßte,
+welche Gesetze heute im Leben gelten. Es war doch
+meine Pflicht, möglichst vielen dieser lebensschwangern
+Tierchen die nächste Wiedergeburt abzutreiben!«</p>
+
+<p>
+Seine Augen noch baumwärts gerichtet, strauchelte
+er über hervorstehende Straßenbahnschiene, fühlte sich
+plötzlich im Besitze zweier Kniee. Die leicht
+kitzelnden Schrammen bluteten stark, und indem er die eine
+gerechte Strafe Gottes behauptende Stimme seiner
+Mutter abwies, beschloß er, diesmal kein Mädchen zu
+frequentieren, da er spürte, er könne diesen Abend
+mit dem einen sanften Kräfteverlust ganz gut auskommen.</p>
+
+<p>
+Wieder in sein Zimmer ausgespien, fragte er sich,
+ob er den intriguanten Spiegel weiß oder schwarz
+verhängen solle. Die Antwort darauf gab ein Knall, irgend
+etwas, Stein oder Kugel, durchschlug Doppelfenster
+und Spiegel. Wodianer riß erfreut die Fenster auf,
+lehnte sich über die Brüstung, und seine Augen bohrten
+sich in die nächtigen Parks, aus denen her das
+Feindselige zu ihm gedrungen war. Dann verfolgte er, bei
+jedem Schritt Glassplitter zermalmend, die Flugbahn des
+Geschosses, fand eine abgeplattete Revolverkugel ...
+und nannte schließlich diese Begebenheit irrsinnig, da
+ihm bis zum Überdruß bekannt war, daß er außer
+etlichen imaginären Halunken und Ausgeburten seines
+Hirnes keinen realen Freund oder Feind auf der Erde
+besaß. Die Schrammen der Knie bluteten noch immer
+im leisen Rhythmus eines kleinen Schmerzes. Er legte
+keinen Verband an. Schmutz in der Wunde? Wenn
+ein lächerlicher Sturz die Macht hatte, ihm durch
+Blutvergiftung das Leben zu nehmen, dann pfiff er
+überhaupt auf diese dumme Errungenschaft ...</p>
+
+<p>
+Irgendwer hatte also nach ihm geschossen. Er ahnte
+dumpf und immer heller die altruistische Verpflichtung,
+den wohlgemeinten Versuch des Unbekannten zu Ende
+führen zu müssen, lud, am Fenster stehend, die
+abgeplattete Revolverkugel mechanisch in den Lauf eines
+Schießinstruments, die Sache ging zielgerecht in seine
+duellalte Schläfennarbe los, und mit der Hand nach den
+Sternen greifend, als wolle er diese Steinchen auf
+irgendwen werfen, hörte er noch, gegen den zertrümmerten
+Spiegel fallend, verzweifelt als letztes Wort in der Sprache
+der alten Welt die bekümmerte und eines tschechischen
+Akzentes nicht entbehrende Stimme des
+Ewigkeitsschaffners: »Wodianer-Bruckenthal-Sarmingstein
+umsteigen!«</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Tod eines Seebären</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">TOD EINES SEEBÄREN</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">S</span>EIT Kaiser Schnurrbart die Mode auf dem
+Kontinent kreiert hatte und auch im Königreich
+Kujavien jene reizenden Galeeren, die man Dreadnoughts
+nennt, eingeführt worden waren, kannte der Hochmut
+der Marineoffiziere dieses Landes keine Grenzen. Daß
+Jeremej, der junge Herrscher, niemals in einer anderen
+als der Admiralsuniform gesehen und photographiert
+wurde, mußte die frevelhafte Überhebung der Seeleute
+steigern, namentlich aber den Neid aller Kasten
+hervorrufen, die bis dahin den Großherrn mit einiger
+Berechtigung den Ihrigen hatten nennen können. Dubrogin,
+der Oberste der Spione, welcher übrigens dieser
+Bezeichnung den Titel eines Polizeiministers vorzuziehen
+liebte, ergrünte vor invidiöser Wut. Hatte doch früher
+er den um seine Sicherheit bangenden Fürsten besessen
+und reichen Sold und große Ehrungen zur Stärkung
+seiner dem Regenten teueren Lebensenergien bezogen.
+Nun hingegen vertraute der treulose Monarch den
+Schutz seiner Existenz den Seefahrern an, in deren
+Gesellschaft er die Tage seines Lebens verabschiedete.</p>
+
+<p>
+Dies war so gekommen: die Küste des Reiches, die
+Gestade des Blutigen Meeres, beschmutzten Stämme
+der Skiapoden und Monokotyledonen, und um deren
+Sprach- und Futterstreitigkeiten, sowie daraus
+erfolgenden Aufruhr in Schranken zu halten, bedurfte es einer
+stets paraten, bewaffneten Macht. Da die Seebehörden
+die nächsten am Platze waren, hatten sie wiederholt
+eingegriffen und durch ihre geräuschlosen
+Gewalttätigkeiten die Aufmerksamkeit des Landesherrn auf sich
+gelenkt und sie schließlich in dem angegebenen Grade
+zu fesseln gewußt. Der Oberste der Spione aß vor
+Wut darüber seinen Bart, ja, er ward der Freuden
+dieser Welt überdrüssig. Solches wurde also sichtbar: Im
+Königreiche Kujavien wie überhaupt in der gesamten
+Biosphäre sind die meisten Wesen genötigt, durch
+Einsatz und Preisgabe einzelner Körperteile und
+Fähigkeiten die übrigen zu ernähren. Dieses Lebensgesetz
+führt zu fast grotesken Nutzanwendungen. Zum
+Beispiel: eine verhältnismäßig große Anzahl von Mädchen
+kann nicht anders als durch jedermann anheimgestellte
+Benützung ihrer Leibesöffnungen den Magen mit Speisen
+füllen. Diese nichts als tragikomische Beschäftigung hatte
+aber irgendein alter Prophet, der sich von
+Gurkensalat nährte, scheinbar verurteilt. Demzufolge und aus
+vielen anderen ebenso triftigen Gründen müssen die
+Mädchen, wenn sie trotzdem auf die beschriebene Art
+zu eiweißhaltigen Substanzen gelangen wollen, Tribut
+zahlen, die Grausamkeit der über sie verhängten
+Gesetzesdrachen einlullen, in Schlaf wiegen. Also mußte,
+gleichwie jedes einzelne der Weibchen Körperteile
+zugesetzt, prostituiert hatte, auch die Gesamtheit, die
+Zunft, eines ihrer Glieder opfern, es den Spionen zum
+Fraße hinwerfen. So ward denn eines Tages nach alter
+Sitte ein Mägdlein namens Lisaweta seiner Schönheit
+wegen zum Opferlamm auserkoren. Mit Blumen,
+Bändern und Edelsteinen aufs herrlichste geschmückt, einen
+Myrtenkranz auf dem Haupte, wurde sie von ihren
+weißgekleideten Genossinnen unter frommen Gesängen
+unserem Dubrogin dargebracht, daß er segnend seine
+Hände auf sie lege und die Blüte ihres Leibes
+verkoste. Er aber befahl ihr nicht, ihren Körper zu
+entblößen und sich zu lagern, der Tyrann gab ihr keinen
+einzigen seiner Blicke, die Lieder ihrer Augen und der
+Gesang ihrer Schenkel rührte ihn nicht, und das arme
+Kind, sich so verschmäht sehend, vergoß reichliche
+Tränen, und es brach ihr das Herz.</p>
+
+<p>
+Die Späher in ihren Höhlen sannen vergebens
+darüber nach, was wohl die Mißstimmung ihres
+Häuptlings hervorgerufen haben möge? Aber einer unter
+ihnen, der bislang noch nie eine Erhöhung der zu
+seiner Mast bestimmten Speiserationen hatte bewirken
+können, im Gegenteil von jedem diesbezüglichen
+Bittgang mit zertretenem Zylinder heimgekehrt war, besaß
+ein kluges und ehrgeiziges Weib. Sie erriet die
+Ursache der Verstörtheit des Gewaltigen, und nicht genug
+daran: es fiel ihr ein Mittel ein, wie geschaffen, dem
+Regenten die Freude am Umgang mit den
+Wassermännern zu zerstören.</p>
+
+<p>
+Wenn nämlich die Seebären nach langer Fahrt ans
+Land steigen, befällt sie regelmäßig eine unendliche
+Sehnsucht nach Seebärinnen. Viele aber unter ihnen,
+nicht fähig, eine große Ewigkeit enthaltsam zu
+überstehen, hatten ihre Lust mangels an so vollendet
+angepaßten Materien, wie es Mädchen sind, an minder
+geeigneten Objekten gebüßt und fürchteten nun,
+dadurch an Liebenswürdigkeit verloren zu haben, die
+Prüfungen bei ihren Damen nicht zu bestehen und
+der Strenge des Auswahlgesetzes zum Opfer zu
+fallen. Obgleich manche aus ihrer Mitte berufen waren,
+dereinst an der Spitze ganzer Geschwader zu stehen,
+hatten sie doch nicht so viel allgemeine Bildung, um
+zu wissen, daß diese Verstimmung ihrer
+Generationswerkzeuge nur kurze Zeit anhalten, späterhin, kraft
+eines Weltprinzips, die Funktion das Organ tauglich
+schaffen würde. Unwissend lechzten sie nach
+Gewaltmitteln, die ihren Liebeswillen ins Ungeahnte
+steigern könnten. Diesem ihren Wunsche kam die Frau
+jenes beförderungssüchtigen Unterspähers entgegen. Sie
+erinnerte sich der Tage, an denen sie sich zu ihrer
+höchsten Befriedigung gemeinsam mit dem uralten
+Fürsten Yohimbin jenen transversalen Schwingungen
+überlassen hatte, deren innerer Gang und Rhythmus
+vielleicht dem der Bewegungen sehnsüchtig an- und
+auseinanderprallender Sterne gleicht. Tückisch sandte
+sie zahlreichen Kapitänen magische Zigarren, die
+angeblich ein vortreffliches Aphrodisiakum waren, in
+Wirklichkeit jedoch einen Stoff enthielten, zu dessen
+nebensächlichen Eigenschaften es gehörte, das menschliche
+Leben wesentlich abzukürzen. Ein Meergreis versuchte
+eine der Zauberzigarren, und sein Leib gab sich den
+Wirkungen des Giftes hin.</p>
+
+<p>
+Dies geschah gerade zu der Zeit, da ein
+ansehnliches Kometenmännchen sich der Erde in Liebe zu
+nähern begann. Es wollte ein zartes Liebesspiel spielen,
+die Veteranen aber und die Bürger beschlossen aus
+einer Art Patriotismus, ihre Schädel recht hart zu
+machen, um, soviel an ihnen lag, Widerstand zu leisten,
+die Erde zu verteidigen. Vielleicht ganz gegen die
+Absicht ihrer Herrin und Ernährerin, die wohl längst von
+solchem Zusammenstoß geträumt hatte.</p>
+
+<p>
+Trotz der Koinzidenz mit einem so seltenen
+Ereignis rief der Tod des Admiralaspiranten großes
+Aufsehen hervor. Von den Spionen bestochene Gazetten
+führten den Meuchelmord auf avancementlüsternen
+Brotneid zurück, und Jeremej, der junge König von
+Kujavien, entsetzt über so niedrige Gesinnungen und
+für sein Leben bangend, mied die Gesellschaft der
+Seeteufel und flüchtete eilends in die Windeln, die Dubrogin
+für ihn bereit hielt. Doch bald ermannte er sich wieder
+und verließ seinen Schlupfwinkel, ja! er konnte den
+Augenblick nicht erwarten, da ihm der Leibdiener die
+Admiralsjacke ausgezogen haben würde. Und jetzt geht
+der glorreiche Monarch auf und ab, rastlos auf und
+ab, Extraausgaben der namhaftesten Zeitungen sind
+in Vorbereitung, alle Untertanen harren in gespanntester
+Aufmerksamkeit des Momentes, der ihnen die
+Nachricht bringt, welche Uniform er nun tragen wird — dem
+Kometen entgegen.</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Ausflug</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">AUSFLUG</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">A</span>UF einem meiner Spaziergänge durch das
+Weltall stolperte ich über den Schicksalsbaum, der
+in solid-arischen Zeiten Weltesche Ygdrasil hieß,
+nun aber längst blattlos verschrumpft, zwerghaft
+verkommen ist und von den Rittern des Raumes »Baum
+im Elend« genannt wird. Klein erschien er meiner
+hungrigen Seele, und auch ein Webstuhl der Zeit, an
+dem Baum mechanisch befestigt, wollte auf mich keinen
+besondern Eindruck machen. Zunächst darum, weil
+dieser Webstuhl der Zeit keineswegs sauste, sondern
+sich als versonnen einen Abgrund überhängendes
+Spinnennetz darstellte, in dem überwältigt,
+fliegengleich eingesponnen, linsengroß die Sonnen hingen und
+auch, kaum erkennbar, wie verrückt sich abzappelnd,
+die Laus »Erde«. In der Mitte des Netzes ein
+Fettpatzen, schwarz wie die Notwendigkeit: die
+Riesenspinne »Zeit«. Ich wollte ihr eine Nadel in den
+Hinterleib stechen, aber das darf nur der Finger Gottes.
+</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+ <title>Vorbild</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">VORBILD</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">U</span>EBER die Bewohner von Morbihan, eines
+kleinen und momentan noch sehr jungen Sternes,
+erzählen die großen Weltfahrer der Vergangenheit
+seltsame Dinge.</p>
+
+<p>
+Früher erblickten die Sklaven des Palalu von
+Ohobdiro niemals die Sonne. Dann aber kam Jesus der
+Zweite, Schmernerenx, den ihre Jambenkönige in vielen
+heiligen Liedern als Erlöser namhaft machen. Infolge
+seines ergreifenden Gesanges wurden die den
+Bergwerken Verfallenen immer beim Erscheinen eines
+Schweifsterns, mit den trefflichsten Ketten gefesselt, an die
+Oberwelt geführt und mit einer Ration Tageslicht
+gelabt. Die Herren gewährten dies, auf daß die Arbeiter
+nicht das Gesicht verlören wie gewisse Fische in den
+Tiefen, erfrischende Strahlen in sich schlürften für die
+Jahre der Nacht. Damit sie jedoch ihre
+Sprechwerkzeuge dabei nicht zu herzzerreißenden Klagen
+mißbrauchten, wurde ihnen vorher die Zunge schmerzlos
+entfernt. Kam nun der Komet seines Weges, so riefen
+alle Freien »Heil«, entblößten das Haupt zum Zeichen
+ihrer Verehrung für den seltenen Gast, und sprachen
+fromm die anläßlich des Aufblitzens eines Haarsterns
+vorgeschriebenen Gebete. Einen Augenblick auch
+wurden die fahlen Gesichter der stummen Sklaven der
+schmerzenden Helle überlassen, sodann jeder wieder
+seinem Schachte zugetrieben und in Arbeit umgesetzt.</p>
+
+<p>
+Ein einziger Heiland kann ja auch gar nicht die
+Kraft haben, die moralische Zusammensetzung der
+Geschöpfe dauernd zu wandeln, er vermag auf diese
+chemischen Elemente höchstens färbend, kalmierend
+einzuwirken. Anhaltenden Erfolg dürfte aber erst die
+lange Reihe, das Ineinandergreifen von zwanzigtausend
+erstklassigen Erlösern erzielen.</p>
+
+<p>
+Den letzten Berichten nach scheinen mittlerweile
+wieder einige in Messiasse verwunschene Söhne des
+Sonnenfürsten zu längerem Aufenthalt auf Morbihan
+eingetroffen zu sein. Ein gewisser Fortschritt, vielleicht
+dem Entwicklungsdogma entsprechend, läßt sich
+jedenfalls nicht ableugnen: den Knechten der Bergwerke
+wurde zu Zuchtzwecken Oberweltsurlaub bewilligt.
+Diese Neuerung verdankten sie einer Reform der
+theologisch-wissenschaftlichen Anschauungen. Man sah in
+der herrlichen Annäherung eines Kometen an einen
+Wandelstern Werbung. Wer auf eine Staatsanstellung
+Anspruch erhob, mußte in dem stets entfalteten
+Pfauenrad und Feuerschweif des Irrlichtes — dieses wie bei
+zahlreichen anderen Kreaturen bedeutend kleineren
+Männchens — einen Balzakt, eine Exhibition erblicken.
+Jeden Gedanken an prahlerische Mimikry außer acht
+lassend, glaubte man, alle diese Scheingestirne seien
+Zuchtsterne, Befruchtungssterne, von irgendeiner Macht
+an einem der himmlischen Harems, an den
+Planetenweibchen eines Sonnendistriktes entlang geschleudert.</p>
+
+<p>
+Nun untersagte aber ein Religionsparagraph den
+Leuten von Morbihan, die Begattungskrämpfe ihrer
+Eltern zu betrachten. Also verboten die Großpriester
+ihren Anhängern einen unzüchtigen Anblick: die
+Beobachtung des Liebesspiels ihres Muttersternes mit
+dem Kometen.</p>
+
+<p>
+Da es für ein böses Omen galt, der Geburt eines
+Mondes beizuwohnen, ferner den unschuldigen
+Spermatozoën des feuerverzehrten Amanten schädliche
+Eigenschaften angesonnen wurden, und zwar: den Gasen
+und Dämpfen eine den Atemorganen unbekömmliche,
+dem befruchtenden Magma, wenn es an der
+Oberfläche des Sternes zu Meteoriten gefroren war, sogar
+eine zermalmende Wirkung — erklärten sich die
+Machthaber bereit, die Arbeitstiere als Bazillenfänger zu
+verwenden, sie zwischen sich und die giftigen
+Ejakulationen zu schieben. Die Kometen ihrerseits hielten sich
+ja stets vorsichtshalber, um nicht von der Geliebten
+verspeist zu werden, in respektvoller Distanz. War
+aber einer am Himmel zu erspähen, mußte er
+notgedrungen, gesetzlich-galant der Morbihan den Hof
+machen — nach den ebenso ehernen als lächerlichen
+Geschlechtsregeln des Sonnendistriktes R. Nahte
+endlich der schöne »Telecoitus«, so bedeckten die
+Gewaltigen ihre Augen, stiegen, diesmal frommverhüllten
+Hauptes, tief in die nun schützenden Berge hinab.
+Aufwärts die Helotenmaschinen.</p>
+
+<p>
+In jenen Tagen der Angst verrichteten die
+Oligarchen unten in halb erheuchelter Demut das niedrige
+Handwerk der Leibeigenen. Der jähe Umsturz, der
+plötzliche Übergang von der Verehrung des Kometen
+zur Flucht vor dem Untier, dürfte allerdings
+schwerlich ohne blutige Religionskriege vor sich gegangen sein.
+War jedoch dieser Evolution wider alle Berechnung
+ein friedlicher Verlauf beschieden, so leitete die
+Regierenden dann wohl die Erwägung, eventuell, statt selbst
+sterben zu müssen, bloß die Hörigen fallen zu sehen.
+Außerdem die chimärische Hoffnung eines Gegenteils,
+dem Gutachten eines weisen Schäfers entnommen. Er
+sprach: »Melancholie und Verstimmung — unverbrauchte
+Überkraft. Jedes unbefruchtete Ei weint in dem Weib,
+jeder verhaltene Samen weint in dem Mann. Liebe
+ist entweder eine Autointoxikation durch überschüssiges
+Sperma oder eine Vergiftung durch die Sekrete und
+Gase, durch die Strahlen und Düfte anderer.
+Gleichwie nun die der Zeugung Beflissenen Eier und Samen
+der getöteten Tiere: unterworfener Stämme als
+zweckdienlichstes Futter verspeisen, könnten die erotischen
+Ausstrahlungen des wackeren Kometen eine vermehrte
+Geschlechtstätigkeit, eine gesteigerte
+Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Sklavenkaninchen hervorrufen!«</p>
+
+<p>
+So ereilten die Proletarier von Morbihan gefährliche
+Saturnalien. Während der ganzen Brunstzeit des
+Kometenviehs durften die Zuchttrotteln im Lichte weiden,
+sich an dem seltenen Spektakel ergötzen. Ob zu ihrem
+eigenen oder dem Verderben in so siderischer Luft
+geschaffener Kinder und Enkel — darüber fehlt nicht
+bloß in den Erzählungen der großen Weltfahrer der
+Vergangenheit, sondern sogar im Spektrum des Sternes
+jede Andeutung.</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>
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+
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+ <title>Mammuthbaum</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">MAMMUTHBAUM</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">I</span>N seinem Sputum hat man Kometen gefunden. Er
+starb an Lungensternen, jenen winzigen und
+scheinbar so harmlosen Mikroorganismen, die wir Planeten
+nennen. Was hatte diese gräßliche Erkrankung
+aufgerufen? Wahrhaftig, ich schäme mich es auszusprechen:
+Rassenhaß!</p>
+
+<p>
+Draußen spazieren die zarten Frühlingsdamen, ich
+kann ihnen nicht nahen. Unablässig sehen meine
+Augen jenes tragische Ereignis vor sich. Und so ist
+es mir beinahe lieb, daß von mehreren Seiten an mich
+appelliert wurde, einige »Details« der Öffentlichkeit
+preiszugeben. Da der Zweck ein löblicher, ja
+patriotischer ist, will ich, obgleich das Ansinnen fast eine
+Frechheit war, weil kein anderer den Fall auch nur
+mit den Fingern berühren mag, die Sache auf mich
+nehmen und in den Schlund springen ...</p>
+
+<p>
+Reginald Mammuthbaum mußte endlich Rücksichten
+dem Vaterlande gegenüber platzgreifen lassen. Snob schon
+der Abstammung nach, wählte er das exklusivste
+Garde-Regiment. Früher war die Sache lebenslänglich und die
+Anführer dachten: »Was heute nicht geschieht, geschieht
+morgen«. Seitdem man aber diese detestable
+tausendjährige Dienstzeit eingeführt hat, eilt den Vorgesetzten
+die Ausbildung, und die Lage der Rekruten ist eine sehr
+prekäre. Gar die Mammuthbaums haben nichts Gutes.</p>
+
+<p>
+Nun, vorerst wurde das Usuelle gegen den Eindringling
+angewendet. Jahrzehntelang Gelenksübungen im Chaos,
+Kanonenschultern, Kniebeugen, Bauchwellen, Eilmärsche,
+man stelle sich vor: mitten im bittersten Universum!</p>
+
+<p>
+Das Terrain ist koupiert, gibt man einen Moment
+nicht acht, auf ja und nein hat man sich einen giftigen
+Stern eingetreten und wird ihn nie wieder los. Und
+die Gefühle! Riesenzecken sind nichts dagegen ...
+Sterne aber, vor denen hatte Sidonie, Reginalds Mutter,
+großen Respekt. Sie sagte stets: »Kinder, wenn ihr die
+Welt aufeßt, immer hübsch die Sterne ausspucken!«</p>
+
+<p>
+Wie man weiß, gibt es viererlei Sorten von Sternen.
+Ihr Wohlgeschmack und Nährwert ist ihrer Größe
+gerade proportional. Erst das reifere Alter, und zwar nur
+der geschlechtlich quieszierten Exemplare verbürgt bei
+den Siderozoën die Genießbarkeit. Jugendliche oder gar
+infantile Individuen sind als unbekömmlich, unter
+Umständen sogar als giftig zu bezeichnen. Im übrigen ist
+ihr Wachstum wie das unsere an Nahrungsaufnahme
+gebunden, nur sind sie hierbei ganz auf schwächere,
+jüngere Artsgenossen beschränkt. Geselligkeitstrieb, was
+dasselbe wäre: Erotik, d.h. Hunger läßt Kometen größeren
+Kometen verfallen. Das größere Gewicht hemmt die
+Flüchtigkeit der neuentstandenen Organismen, die man
+Satelliten nennt, sie erliegen der anziehenden Kraft
+der Planeten und werden von ihnen schließlich
+einverleibt. All das nichts als Etappen der Sonnenbildung,
+Stationen auf dem Wege zum ausgewachsenen Fixsterne.</p>
+
+<p>
+Nur die Sonnen lassen sich leicht fangen, da sie
+nicht liebedurstig einherirren wie die Jungen, sondern
+sexuell gesättigt und wiederkäuend ruhig an einem Ort
+verharren, bis die Luftfischer unseres Kaiserreiches
+Mirabilien kommen und nach ihnen sehen. Dann
+sprechen wir das Tischgebet und streichen uns die
+nahrhaften Körner wie Fischrogen aufs Brot ... In
+geringer Quantität sind sie ganz unschädlich, in großen
+Mengen hingegen rufen sie Cholera hervor ... Ich
+für meine Person vertrage ziemlich viel. Sterne, in Essig
+eingemacht, munden mir wenigstens bedeutend besser
+als Schwammerln. Die eßbaren Altersstufen
+selbstverständlich. Und auch die darf nur verzehren, wer einen
+heilen Mund besitzt. Sogar unzubereitet schmecken die
+kleinen, gustiösen Flammenbälle sehr pikant. Freilich:
+die Mitglieder des Tierschutzvereines schlagen Lärm, wenn
+man die armen Tierchen roh, bei lebendem Leib
+schnabuliert. Und die Vegetarier gar erblicken im Sternkonsum,
+in der Vereinigung mit niedrigstehenden Geschöpfen
+Sodomie ... Aber — Verzeihung dem Ausdruck —
+wer wird sich noch um diese alten Weiber kümmern!</p>
+
+<p>
+Was unseren R. M. anlangt, so haben ihn derartige
+Anwürfe nie treffen können, seiner Mama
+ängstlich-nasale Laute: »Reggie! Paß auf, daß du keine
+Planetoiden schluckst!« hielten den Feigling ab, sich eine
+gewisse Fertigkeit im Sternschlucken anzueignen.
+Wahrscheinlich glaubte die würdige Dame, wie so manche
+Laien, diese Pfefferkugeln seien den Nieren unerwünscht.
+Vielleicht war auch in ihren famosen Speisegesetzen
+dieses Nahrungsmittel verboten und ein Rest von
+Antipathie zurückgeblieben. Ich weiß es nicht.</p>
+
+<p>
+Des schlappen Kerls reglementwidrige Furcht vor
+den Himmelsinfusorien wurde irgendwie notorisch. Und
+die Offiziere wollten einen derartigen Temperenzler
+nicht im Korps dulden. Niemand wird ihnen das weiter
+verübeln. Nur die Art und Weise, wie sie ihn
+abreagierten, war schon mehr als unkollegial. Man machte
+Reginald trunken.</p>
+
+<p>
+Unter dem Beistande des logischerweise
+gesinnungsverwandten Koches, der das fatale Nahrungsmittel schlecht
+passierte, im Zeichen eines symbolischen Termines,
+wurde von den Aufrechten Mirabiliens die
+übelriechend-zertretene Minderheit und Varietät in Mammuthbaum
+vernichtet. Ein krasser Fall von Soldatenmißhandlung!</p>
+
+<p>
+In der Ehrenstunde unseres Repräsentanten, der 5%
+Jehovaleute und 95% Andersgeartete zu vertreten
+hat, dessen Selbsterhaltungstrieb also mit einiger
+Notwendigkeit für die verschwindende Minorität weniger
+übrig haben muß als für die dominierende Masse
+seiner Stammesgefährten: am Geburtstag des
+Selbstherrschers machte man Reginald trunken.</p>
+
+<p>
+Im Urrausch fand er ein säuerliches Gelee, eine
+verhängnisvolle Sternsauce, sehr plausibel. Der
+Unglückliche litt an chronischem Rachenkatarrh. Die
+verschiedenen Sonnensysteme taten ihm nicht wohl und
+ein Satellit, ein verdammter kleiner Mond, blieb in der
+Kehle stecken. In dem törichten Bestreben, durch
+plötzlichen Schreck das Schlucken zu erleichtern, nannten die
+Offiziere den Namen der Speise.</p>
+
+<p>
+An wunden Stellen mochte es schon früher im Rachen
+nicht gefehlt haben, heftiges Würgen vergrößerte sie,
+und ließ die seltenen Gäste in die Blutbahnen
+eintreten, wo sie erfahrungsgemäß giftig wirken.
+Namentlich wenn Trunkenheit ihre Virulenz steigert.</p>
+
+<p>
+Zu spät holte man mich. Ich legte mein Ohr an
+Reginalds Thorax. Wenn Bazillen in unsereinen
+einmarschieren, singen sie zuerst ihre Volkshymne. Es
+ist ja ein Triumph für sie. Und auch diese hier
+produzierten sich im Mammuthbaum: bei ihren
+Atembewegungen und Umschwüngen summten die Sterne
+in ihm — ihm und sich die Sterbegesänge.</p>
+
+<p>
+Die Krankheit dauerte relativ lang. Spät erst traten
+die Vorboten der Agonie auf: er erzählte
+Gleichnisse, einen Witz zwei- oder dreimal ein und demselben
+Zuhörer. In normalen Fällen pflegen wir ein
+Individuum, das so weit ist, zu erschießen, da es um
+erinnerungslos-greise Hirne nicht schad ist und wir
+Gesunden unter zu oft wiederholten Leitmotiven
+wimmern. Man muß es demnach als ein Zeichen von
+Schuldbewußtsein auffassen, daß man befahl, ihn über diese
+Grenze hinaus zu erhalten. Und die nach seinem Tode
+erfolgte Verfügung, laut der Gestirne von nun ab
+nur gegen ärztliche Anweisung verkauft werden dürfen,
+läßt sich ebenfalls nicht anders deuten.</p>
+
+<p>
+Ich ahne es tief: man wird, dieser scheinbaren Anklage
+wegen, mich, den in vielen Feldzügen dekorierten
+Stabschirurgen, mit Demokraten, Anarchisten oder gar
+Judäophilen in einen Topf werfen wollen. Das Gefühl der
+Pflichterfüllung wird mich über alle Anwürfe hinausheben.</p>
+
+<p>
+Es gibt nur zwei Wege. Entweder erläßt man
+wieder den Kultusgemeinden die Blutsteuer. Abgesehen
+von der erziehlichen Wirkung, welche die komische
+Körperhaltung der semitischen Soldaten auf die
+restliche Mannschaft ausübt, verliert man damit ein großes
+Quantum Kanonenfutter ... Oder aber, und dazu
+möchte ich einraten: man verbiete den jüdischen
+Trilliardären, wenn sie schon adelshalber wohltätig sein
+wollen, das Gründen von Krankenhäusern für
+Konnationale. Man stelle nichtarischen Schriftstellern
+vorläufig den Betrieb ein. Man drohe Bibliotheksbenützern
+aus den Kreisen der Übelnasigen mit der
+Todesstrafe! Faßlicher zu sprechen: Siechenhäuser ins Leben
+rufen, heißt die Folgen bekämpfen, wo sich mit
+geringerem Aufwande die Ursache entfernen ließe:
+einfach durch Kreierung von Sportplätzen für die
+Patriarchenstämmlinge.</p>
+
+<p>
+Die Regierung wird anfänglich meinem Projekte mit
+Mißtrauen begegnen. Wenn die Zionisten des
+Universums die für sie charakteristischen Gesten und
+Körperlinien verlieren, muß das Ministerium befürchten,
+bei den Wahlen die Stimmen der Satiriker billiger
+Wirkungen, die Stimmen der Karikaturisten
+tiefstehender Rassen einzubüßen.</p>
+
+<p>
+Demgegenüber fällt ins Gewicht: es ist
+wahrscheinlich, daß wir zu groß sind, um von den Sternen oder
+gar schmarotzenden Bewohnern derselben gesehen und
+verstanden werden zu können. Dies darf uns aber nicht
+abhalten, dies entbindet uns nicht der Pflicht, uns vor
+diesen immerhin denkbaren Zuschauern anständig zu
+benehmen, unsere Tugenden exhibitionistisch vor ihnen
+zu entfalten und unsere Stellung als einzig-echte
+Bekenner wahrhaft humanen Christentums im Weltall
+von neuem zu kräftigen.</p>
+
+<p>
+Ich verbitte es mir, in meinem Exposé eine
+Beschuldigung erblicken zu wollen. Ich bin überzeugt, daß der
+größte Teil unseres Offizierskorps geschilderter Art
+der Mißhandlung jenes Freiwilligen innerlich ganz
+verständnislos gegenübersteht.</p>
+
+<p>
+Unterdrückte Klassen sind eben immer an sich
+lächerlich, und man steinigt, man reagiert auf diese
+Lächerlichkeiten absichtslos, rein instinktiv. Unerlaubt ist es
+bloß, unterdrückte Völker in einem Grade zu
+demütigen, der dem eigenen Land abträglich ist. Diese
+Möglichkeit liegt vor, deswegen erhebe ich meine Stimme.</p>
+
+<p>
+Mit den Gesetzen der Biologie nicht Vertraute
+werden behaupten, ich übertreibe. Das ist unwahr. Jedes
+Wesen weicht gern seinen Peinigern aus. Und so liegt
+gegenwärtig bei den diversen Mammuthbäumen ein
+den Rekrutierungen unbekömmlicher Wille zur
+Degeneration vor. Ihre Füße besitzen bereits keine Trittfläche
+mehr, nach der gewiß authentischen Klageschrift der
+Hutmachergenossenschaft weisen ihre Lockenköpfe sonst
+bloß bei Säuglingen statthafte Dimensionen auf. Sie
+wollen ihren Angreifern die ausgesucht kleinste
+Zielscheibe darbieten, sie verwehrlosen, verflüchtigen sich,
+sie schrumpfen ein, sie ducken sich unter das Militärmaß.
+</p>
+
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+<div class="prose">
+
+ <h3>INHALT</h3>
+
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+ <h2>Navigation</h2>
+ <h3>Albert Ehrenstein - Nicht da nicht dort</h3>
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+ <h2 class="vspace spaced">Albert Ehrenstein</h2>
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+ <p class="vspace10"><span class="spaced f11">Kurt Wolff Verlag</span><br />
+ <span class="spaced">Leipzig · 1916</span></p>
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