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  <title>Der Fluch des Magiers Anateiresiotidas</title>
</head>
<body>

<div class="prose">

  <h3 class="center">DER FLUCH DES MAGIERS ANATEIRESIOTIDAS</h3>

<p>
<span class="initial">I</span>N einer alten Handschrift, an
hundert Jahre vergilbter als die Stormschen zu sein pflegen,
habe ich folgende wahre Geschichte gefunden, welche uneben
und ruppig erzählt zu haben meine einzige Hoffnung ist, wenn
nicht der Trost meines Greisenalters.</p>

<p>
Es war einmal eine Königstochter, Jezaide geheißen, aus dem
uralten Geschlecht der Sirvermor. Über ihre Familie war, wie
sonst nur in Märchen gebräuchlich, ein enormer Fluch
verhängt. O geiziger König Zizipê der Siebenundsiebenzigste,
warum hast du, als einst zur Taufe deines Erstgeborenen
dreizehn glückwünschende Zauberer erschienen waren, und der
Hofjuwelier, eingedenk trauriger Erfahrungen und Abzüge,
erklärte, die goldenen Stiefelzieher nur mehr dutzendweise
abgeben zu können, warum hast du damals die verhängnisvollen
Worte gesprochen: »Ach was, der eine wird sich halt so
gefretten!«</p>

<p>
Ja, er begnügte sich diesmal mit einem silbernen
Stiefelknecht, der große Magier Anateiresiotidas, ingrimmig
zwar, und so gewaltige Sprüche in seinen Bart brummend, daß
der vor Schreck jeden Moment die Farbe wechselte. Mit einem
violetten Bart erschien er bei der königlichen Tarockpartie,
zu der er geladen war, und alle anderen Zauberer wußten,
wieviel es geschlagen hatte. Nur der König bemerkte die
Anzeichen fürchterlich aufziehenden Gewitters nicht, derart
war er mit der Mondjagd beschäftigt. Er bot ihm in der Hitze
des Gefechts weder die Teilnahme, noch einen Stuhl an,
vielleicht um sich durch solche Höflichkeit nicht noch einen
Hexenmeister zum Feinde zu machen. Und so mußte
Anateiresiotidas kiebitzen, stehend kiebitzen. Auch dies
hätte der Zauberer vielleicht noch ruhig hingenommen, aber
ihm offerierte Zigarren trugen zwar die Leibbinden
importiertester Havanna, waren jedoch mörderische
Schusterkuba. Diesmal hatte wiederum Hoftrafikant Motschker
die Upman nicht in minimalen Quantitäten zum Engrospreise
liefern wollen und der königliche Geizhals daraus alberne
Konsequenzen gezogen. Nur daß ein anständiger Hexenmeister
in punkto Zigarren keinen Spaß versteht. Mit einem Griff
hatte der Beleidigte seine Sprechwerkzeuge auf den Tisch
gelegt und sich entfernt. Kein besserer Zauberer hat so viel
Zeit und Geduld, seine eigenen Reden anzuhören. Und jetzt
kam der Fluch: »Von nun an werden alle Kinder aus dem Hause
Sirvermor, je nach dem Geschlecht, mit dem Ding oder Wesen,
das ihrem Vater oder ihrer Mutter am liebsten ist, zur Welt
kommen. Bis einst ein Jurist erscheint, dessen Namen
dieselben Buchstaben wie »Sirvermor« besitzt, und nicht
genug daran: ohne das geringste Plagiat ein Buch über
Rechtsphilosophie schreibt!«</p>

<p>
»Wer gibt?« fragte guter Laune der König, dessen geheimen
Gram es längst gebildet hatte, daß justament auf seinem
Stamm kein vornehmer Erbfluch lag. Und ehe noch die
Sprechwerkzeuge des Anateiresiotidas aus dem Spielzimmer
ihrem Inhaber nachgeflogen waren, gab es bereits einen
Solovalatpagatultimo, wie er in solcher Schönheit
ohnstreitig noch nie dagewesen. Das aber hatten die anderen
Zauberer getan, um den König zu trösten.</p>

<p>
Denn eines Trostes bedurfte Haus Sirvermor. Da doch
gemeinhin die Männer sich und die Frauen am liebsten haben
und umgekehrt — wenn wenigstens, jenem Fluche nach,
Gebärmänner: Hermaphroditen zur Welt gekommen wären! Die
Dynastie hätte zwar zum längsten bestanden, aber Skandal,
durch Jahrhunderte fortgesetzter Skandal wäre vermieden
worden. Nein, deutlich getrennt von dem jeweiligen Kinde:
für sich bestehend stieg das dem Vater oder der Mutter
geliebteste Ding oder Wesen ans Tageslicht.</p>

<p>
Wo soll ich anfangen, wo soll ich enden! Mit dir, Dolgoruki,
dem sein Weib außer einem Nachfolger eine ewig volle
Kognakflasche gebar? Solches wäre lustig anzuhören, aber wem
geraten nicht unwillkürlich die Tränen in die Augen, wenn er
von dir vernimmt, Seeheld Aquavit? Wohl wurde dir deinem
Wunsch gemäß ein Überdreadnought geschenkt, aber starb nicht
dein Weib daran, ohne daß ein anderes sich hätte finden
lassen, todesverachtend genug, bald oder später ein
ähnliches Ende nehmen zu wollen? Starbst nicht bald hernach
du selbst infolgedessen räudig an den Leibschneiden und
Weltschmerzen der Langenweile, bloß weil keiner deiner
ungeschickten Ingenieure im stande war, Weibautomaten zu
fabrizieren?! Allerdings gelang bald nachher deinem
Leiberfinder Heureka die Herstellung jenes Instruments, dem
wir alle unser Leben verdanken, die Herstellung des
Fernzeugers. Doch waren damit die Leiden dieser Tantaliden
abgeschlossen?</p>

<p>
Panjimama, unter dessen glorreicher Regierung Apabauru und
Tenteriki an Sirvermor kamen, geriet eben wegen dieser für
den Ackerbau seines Landes äußerst wichtigen Guanoplätze in
Streit mit dem Oberkaiser Adikran von Alazir und den
Zentralkönigen von Lygien. Als gar zu dieser an sich
übermächtigen Liga Araumenes der Große von Paphlagonien
seine sieggewohnten Truppen stoßen ließ, und die Kunde
schrecklicher Gefahren in Sirvermor sich wie Posaunenschall
und Tubaklang ergoß, was konnte da der verzweifelte
Landesvater anderes tun, als sein Weib eines mit den
erforderlichen Kanonen und Vorräten ausgerüsteten Heeres von
soviel Millionen Mann genesen zu lassen, daß sogar Rabelais
darüber sein weißes Haupt schüttelte und den heiratsfähigen
Königstöchtern der Erde den Rat gab, bevor sie sich mit
Prinzen von Sirvermor in Verbindungen einließen, den Herren
einen Eid abzunehmen, laut dem diese in Zukunft von derart
gattinnenmörderischen Liebhabereien abzusehen hätten. Und
als einem Herrscher, der, wie es scheint, sich selbst am
meisten liebte, die Gemahlin einen Doppelgänger getragen
hatte, worauf bemeldeter Monarch elendiglich in Wahnsinn
verfiel, unwissend, wen er am meisten liebe und welcher der
beiden eigentlich er sei, ein andermal ein in sich
verzücktes Liebespaar ein Doppelgänger-Liebespaar
hervorrief, was unendlichen Jammer und blutige Bürgerkriege
erregte — da, von Grauen überwältigt, bildeten die
Fürstinnen den ihnen anempfohlenen Trust. Das wird ihnen
niemand verargen! Man rufe sich's ins Gedächtnis zurück, daß
neben dem jeweils Regierenden in Sirvermor noch eine Menge
Prinzen existiert! Und wie rasch zarte Prinzessinnen müde
werden, Ballettratten, Vollblutrennpferde, Küchenchefs,
Äbtissinnen und Jagdhunde in die Welt zu setzen, das läßt
sich denken. Waren nun zwar die Prinzessinnen vor einem
durch die Neigungen ihrer Gesponsen bewirkten frühen Tode
sicher, so hatten nach dem Vertrag ihre Gebietiger den
Leidenskelch bis zur Neige zu leeren. Wenn dies nicht früher
der Fall gewesen war, lag das daran: die Gemahlinnen derer
von Sirvermor blieben den Männern merkwürdigerweise immer
genau eine Sothisperiode lang treu, dann waren sie wieder
untreu. Und der gesetzmäßige Umschwung trat zufällig erst
jetzt ein, somit das von einem hochweisen und vorsichtigen
Rate erlassene Verbot, betreffend Ehen zwischen den
Operntänzerinnen männlicherseits und etwa zu erwartenden
Stierkämpfern weiblicherseits: dieses sogleich nach dem
Fluche angeschlagene Verbot fand dergestalt niemals
Gelegenheit, in Kraft und Wirkung zu treten.</p>

<p>
Vorerst machte sich keine Veränderung bemerkbar. Auf dem
Throne saß gerade Frau Ordilschnut — die Urgroßmutter
Jezaidens und Schwester der berühmteren Ordilgund von
Undulur — ein Mägdlein annoch, so unschuldig, daß sie außer
einem Töchterlein namens Bamalip nur einer Puppe das Leben
schenkte, worüber sich der ganze Hof vor Lachen fast
ausschütten wollte. Das zweite Mal — ich will nicht lügen —
kam sie mit einem Mops und Zwillingen nieder, die jenem
Töchterchen Bamalip aus der Maßen ähnlich sahen. Man nannte
sie daher auch Barbara und Fresapo, und alle drei spielten,
wie man weiß, in der sirvermorschen Geschichte nachmalen
eine außerordentliche Rolle. Ihr Gatte war ein in der
Räucherkammer der Zeit früh grau und faltig gewordener Herr
in den kalten Vierzigern, den sie nicht lieben konnte und
der durchaus und eigensinnig noch selbst etwas für die
Thronfolge tun wollte. Als er die junge Königin in Armen
hielt, klammerte sich die Bedauernswerte, schaudernd wie vor
dem Tode, in der Angst an das wenige Liebe, das sie besaß,
an ihr Töchterchen Bamalip und etwa noch an einen kleinen
Mops, der sie in ihrer Einsamkeit zerstreut hatte. Als
Aspramont die Zeichen der Kälte seiner Lebensgefährtin sah,
die Kinder, deren Mutter sozusagen auch Bamalip war, schlug
er ob dieser Blutschande die Hände über dem Kopf zusammen,
ja, er hätte Ordilschnut verstoßen, wenn nicht letzte
Überlegung für sie gesprochen hätte, die doch noch ein Kind
war. Und so zog er denn in den Krieg wider die Orilanen,
Menschen, denen der Bart auf der Nase entkeimt, und die sehr
sonderbare Speisegesetze haben — gebratene Eidechsen essen
sie unter keinen Umständen, Sauerkraut mit Leberwurst
hingegen ist ihnen erwünscht.</p>

<p>
Nach der über diese Leute verhängten Züchtigung, auf dem
Rückwege geriet Aspramont — wenn die sirvermorischen Annalen
nicht trügen — mit den Sultanen von Marabu und Talili in
einen Kampf um die Weltherrschaft, und die Heimkehr
verzögerte sich dadurch. Inmitten des gewaltigen
Schlachtenlärmes hatte man es wenig beachtet, daß die
Königin glücklich von einem Eunuchen entbunden wurde. Dies
hätte eine Warnung sein sollen, war es aber nicht.
Ordilschnut ergab sich einem ungezügelten Lebenswandel: eine
Liebelei mit dem Prinzen Karfiol von der Mondscheinküste
blieb nicht die einzige, die Leute vom Hofstaat wagten keine
Vorstellungen, die Königin als die Höherstehende
betrachtend, weil nicht sie durch einen Eid zur Entsagung
verurteilt war, sondern der Gatte.</p>

<p>
Die kurze Pause eines mittlerweile eingetretenen
Waffenstillstandes benützend, um an das abermalige
erfreuliche Wochenbett der geliebten Gemahlin zu eilen,
welche Überraschungen wurden da dem guten, alten Aspramont
zuteil! Reitknechte, Tenore, Schwergewichtsathleten,
Chauffeure, französische Sprachlehrer! Und so oft der
besorgte Gatte: »Halt ein« oder strenger: »Jetzt aber
Schluß« rufen wollte, kam noch irgendein Kaminfeger,
Leutnant, Fleischhacker oder Kammerdiener zum Vorschein, bis
Aspramont die Hand, die schwertesschwere, wider die
Pflichtvergessene erhob und zustieß. Fiel aber dann selbst
im Duell mit dem Leutnant.</p>

<p>
Es wird niemanden wundernehmen, wenn, durch
so entsetzliche Ereignisse im höchsten Grade 
beunruhigt, geradezu außer Atem infolge wiederholt 
eintretender ähnlicher Vorfälle, die immerhin nicht so
drastisch, weil sie auf die Hervorbringung eines 
einzelnen Jünglings beschränkt blieben, doch keinerdings
ohne einige Mitwirkung höchstgeborener Prinzessinnen
von statten gingen, ich sage, es wird niemanden 
wundernehmen, wenn eine löbliche Priesterschaft von 
Sirvermor sich da ins Mittel zu legen beschloß. Waren
doch an diesen Begebenheiten Weltgesetze zuschanden
geworden, vor allem jenes eine, gefaßt in das weiseste
Wahrwort, welches je über die Lippen eines Lateiners
kam: Pater semper incertus.</p>

<p>
Außerdem waren die Privilegien der Gottesdiener
durch Attaches und Ausländer lädiert worden, deren,
mangels Einheimischer, Ordilschnut sich zur 
Befriedigung ihrer Lüste bedient hatte. Sirvermor nämlich 
gehört zu den Ländern, wo, den Satzungen der Religion
entsprechend — die Prinzen des königlichen Hauses
ausgenommen — die Epheben sich kastrieren, und die
Fortpflanzung auf eine wunderbare Weise durch die
Priester der Göttin Kibla bewerkstelligt wird.</p>

<p>
Begünstigt ward das Vorhaben der Geschädigten, in
ihren heiligsten Rechten Geschädigten, durch die 
übereinstimmenden Erklärungen der Mohnkipfelbeschwörer.
Es nahe die Zeit, da das allerhöchste Herrscherhaus
von dem Fluche befreit sein werde — dies gaben sie
vor, in den Sternen und Wurstabschnitzeln gelesen zu
haben. Wie jedoch den Prinzessinnen kälteres Blut 
beibringen, ein Gefühlsniveau, das den ans beste 
Mannsfutter gewöhnten Damen sogar Juristen annehmbar 
erscheinen ließ?</p>

<p>
Auf die erste Nachricht von so entsetzlicher 
Zumutung ging wie ein verhaltener Wutschrei ein 
gewaltiges Rauschen des Zornes durch die Kleider der
Betroffenen, ja, sie hätten mit einem Fächerschlag
der Entrüstung ihre Zimmer verlassen, wenn nur 
jemand darinnen gewesen wäre. Ihnen Juristen antragen,
Leute, deren kühn in die Brillen geschwungene 
Schnurrbärte keineswegs für ihre vernehmlichen Glatzen 
entschädigen konnten, helltönende Glatzen, die sich nicht
einmal durch das berühmte Haarwuchsmittel »Kapitol«
aufforsten ließen! Alles bäumte sich in ihnen. Juristen!
Welcher feinere Prinz studiert Jus, und wenn, wo
steht es geschrieben, daß so ein Ausnahmsprinz eines
ohne Plagiat durchgeführten rechtsphilosophischen 
Aufsatzes fähig ist? Juristen heiraten! Menschen, die um
der schnöden Leibesnotdurft willen jahrzehntelang
Schweißgeruch sammeln, denen man's ewig anriecht,
daß sie einst oft ein Paar Frankfurter mit Krenn
für ein opulentes Mittagsmahl gelten ließen ... Die
Prinzessinnen fielen in Ohnmacht. Jede in ihrem 
Zimmer. Als sie wieder zu sich kamen, war ihr Wille 
gebrochen ... Zehn Roßhähne wurden den Göttern der
Unterwelt geopfert, dann faßte der Erzaugur den 
Beschluß, die Liebesneigungen der weiblichen Angehörigen
des Königshauses durch Hypnose abzutöten. Und so
geschah es, nachdem erst das Zustimmungstelegramm
vom Delphischen Orakel eingetroffen war. Wohl gab
es noch geraume Zeit harmlose Rückfälle, den 
Schwimmhäuten mancher Menschen vergleichbare atavistische
Hervorbringungen von unschuldigem Spielzeug 
verschollener Generationen, als: Tennisrackets, Diabolos,
Trompeten, Automobilbrillen. Doch schwanden diese
Rückbildungen mit den Jahren, und jeder Wackere
hätte Gift darauf nehmen können, daß die 
Prinzessinnen dieser Familie ebensowenig Liebe oder tiefere
Neigungen empfanden, wie die irgendeines anderen
Hauses. Alle Welt schickte nun die Kinder ins 
Gymnasium. Denn war früher eine Königstochter vom
Drachen zu befreien, Tapferkeit und weitvorblickende
Klugheit, ein andermal für derartige Erwerbung
rätsellösend-einfältige Schlauheit vonnöten gewesen, dem
an unsere Epoche heranreichenden aufgeklärten Zeitalter
war es entschieden gemäßer, die Hand eine Fürstin an die
durch den Besitz eines eigentümlichen Namens verschärfte
Abfassung rechtsphilosophischen Essays zu knüpfen.</p>

<p>
Welch ein Wetteifer unter den Juristen sowohl des
Königreiches Sirvermor als auch der anderen Länder! Sogar
der arme Herrscher von Suminoye, dem sein Herzogtum
abgebrannt war, ließ seine Söhne Jus studieren, bis sie
schwarz wurden. Bald jedoch schwoll der Fleiß ab: die Ämter
hatten alle Bittschriften um Namensänderung abschlägig
beschieden und auch die mannigfaltigen Versuche, durch
Beifügung des mütterlichen Namens oder durch Adoption zum
Ziel zu gelangen, sie waren, nachdem eine Saison lang Leute
namens Sir oder Sirver hoch im Preise gestanden, durch
Edikte vereitelt worden, deren genauen Wortlaut jedermann
kennen lernen kann, wofern er sich nur in einer Bibliothek
die betreffenden Nummern des sirvermorizer Amtsblattes
verschafft. Nicht ein Weichherziger wie ich, ein anderer
möge den Jammer der enttäuschten Eltern beschreiben, die
vergebens ihre Sprößlinge auf die Prinzessin hatten
studieren lassen. Was mich anbelangt, so muß ich hier
innehalten und einige ihrem gerechten Kummer geweihte Zähren
weinen ...</p>

<p>
Andererseits gingen entartete Untertanen in ihrem Groll zu
weit, sie waren es, die zuerst Realschulen erfanden und
gründeten, um möglichst viele Jünglinge der
dynastie-erlösenden Beschäftigung mit den
Rechtswissenschaften abspenstig zu machen. So groß ist die
Schlechtigkeit der Menschen!</p>

<p>
Von da ab redete man nur wenig von unserer Angelegenheit;
Artikel höchstens in den Familienblättern, königstreuer
Mathematiker Berechnungen über die Wahrscheinlichkeit einer
völligen Aufhebung des Fluches, erinnerten die Bürger ab und
zu an jene unliebsamen Ereignisse. Und damit wären wir bis
zu jener Zeit emporgeschritten, in der die eigentliche
»Geschichte« sich abspielt.</p>

<p>
Erbprinzessin Jezaide Sirvermor lustwandelt im königlichen
Garten. Ist doch der Frühling angekommen, auf seinen
Schultern und Flügeln die Scharen der Singvögel tragend. Ja,
sie singen im königlichen Garten die gewaltigen
Nachtigallen, das heißt: mit allerhöchster Erlaubnis und
soweit sie keinen Schnupfen haben. Aber nicht der
Nachtigallen Gesange oder Nichtgesange lauscht ihre
königliche Hoheit, Falte auf Falte schneidet sich in ihre
Alabasterstirn, siehe: wie in tiefem Sinnen hebt sie eine
Hand empor, mit dem Rücken nach oben, und spricht zu ihrer
Obersthofmeisterin: »Mir scheint, es will regnen.« Und in
der Haltung wollen wir sie verlassen.</p>

<p>
Um diese Zeit lebte in der Stadt Vienna ein edler Jüngling
namens Srimoverr, Baron Aeneas Srimoverr. Er brachte die
üblichen Jahre in einem geistlichen Gymnasium zu und widmete
sie, wie billig, einem zwiefachen Studium. Auf der Bank
lagen vor seiner Nase ausgebreitet lateinische Klassiker,
unter dem Pult aber entzückte seine Sinne die Lektüre
klassischer Franzosen. Nachdem er seinen ebenso
verschiedenartigen als eindringlichen Studien durch das
protegierende Auftreten noch einiger Freiherren namens
Srimoverr und eine sogenannte Schlußprüfung Grenzen gezogen
hatte, beehrte er die juridische Fakultät mit seinem Besuch.
Nicht so sehr, weil ihn die Süßigkeit der Wissenschaft
anzog: nein, eine bildgeschmückte Heiratsannonce Jezaidens
hatte ihn mit den Bedingungen vertraut gemacht, unter denen
ein Königtum von den Dimensionen des Reiches Sirvermor zu
erringen war. Und seine Liebe erlahmte nicht angesichts der
Schrecklichkeit seiner Aufgabe.</p>

<p>
Zwar: es ist richtig, wenn der berühmte lygische
Geschichtsschreiber Moses Maria Archivstaub behauptet,
Aeneas habe sich selbst hinlänglich für seinen
bewundernswürdigen Fleiß belohnt. Er benützte nämlich nicht
nur die reichhaltige Bibliothek seines Oheims, des
Privatdozenten für Rechtsphilosophie, Bartholomäus
Srimoverr, sondern auch dessen Gemahlin teilte von jeher mit
demselben Eifer das Lager des jugendlichen Neffen, wie jene
Annehmlichkeiten, die Stellung und Güter des gelehrten
Gatten mit sich brachten. Dieser Umstand aber sollte Aeneens
Verhängnis werden. Der Tag, da er mit dem vollendeten Werke
sich zu seiner Tante begab, Abschied von ihr zu nehmen, der
Tag ward sein Todestag. Tief, tief waren die beiden
versunken, er in das Vorlesen seiner Schrift, sie in ein
enthusiastisches Lauschen, und die Doppelschritte des
nahenden Gatten wurden erst gehört, als es zu spät war. Kein
zweckdienlicher Kasten im Zimmer, und schon schwang sich
Aeneas, das kostbare Pergament in der Hand haltend, statt
den Ehemann so ins Jenseits zu stürzen, in unbegreiflicher
Verwechslung selbst auf das Fensterbrett und sprang zum
letztenmal hinab in den Teich, dessen Wellen auch vor ihm
bereits manchen Überraschten geborgen haben mochten. Ach,
diesmal dürften die Mühen der Lektüre zu gewaltig gewesen
sein. Des kühnen Tauchers Herz brach. Wild aufrauschten die
Wasser, und indem er den Zwicker aufsetzte, sprach der
Privatdozent die geflügelten Worte: »Traun! ich habe doch
diesem Fischhändler gesagt, ich will nur echt Ibsensche
Karauschen. Und was hat der geschickt? Sind das Ibsensche
Karauschen? Mutwillige Fische, die sich hoch über Wasser
schnellen. Die müssen von ganz wem andern sein! Was meinst
du dazu, Rosa? Diesen Fall muß ich untersuchen. Magst mich
begleiten?« Sprach's und befestigte an der Angel eine
künstliche Fliege.</p>

<p>
Ich würde gewiß nichts von dem Froschkönig 
erzählen, wenn es nicht für den Gang dieser Geschichte
so unumgänglich nötig wäre. Er saß ganz harmlos im
Teiche unter seinem Sonnenschirm — denn gerade, daß die
Frösche keinen solchen brauchen, ist das Noble daran,
und darum hatte der Froschkönig einen und memorierte
unter ihm skandierend seine langweilige Thronrede:</p>

<p>
»Wir Quakorax, König der Frösche, Blatt-<br />
läuse, Malariamücken und so weiter,<br />
kraft uralt angestammtem Recht beriefen<br />
höchstwir alle Vasallen, die, sei es<br />
zu Lande, sei's zu Wasser unser sind,<br />
auf diesen hohen Reichstag. Hört, hört! wir selbst<br />
und Ihre Majestät, die Königin<br />
Guaplasa, um sämtlichen Untertanen<br />
kund zu tun, wie sie zu ehren wir<br />
gedenken, keinem unsrer Völker nah<br />
zu treten, keinem unsrer Achtung mehr<br />
noch minder zu erweisen als dem andern:<br />
ja! auf einem halbüberschwemmten Hügel,<br />
mit einem trocknen, einem nassen Fuße,<br />
staatsrechtlich, nicht bloß so zu sagen! über<br />
dem Berg im übrigen auf astbefest-<br />
igetem Schaukelthrone uns bewegend«<br />
— hier blieb der arme Quakorax, vielleicht schon zum zehnten
Mal, über die jämmerlichen Versfüße stolpernd, stecken,
diesmal, weil der Tote zu ihm glitt. Quakorax dankte den
Göttern, daß sie ihm, falls als er bei der Thronrede
wirklich ins Stottern geraten sollte, eine solche
Entschuldigung vor Guaplasa darboten. Kein Zweifel: der
junge Mann, gewiß ein Kollege, hatte den unerträglichen
Leiden, die auch ihm eine Thronrede verursachte, durch
Selbstmord ein Ende bereitet. Kaum daß Quakorax sich und den
Ärmsten schicklich beweint hatte, machte er sich an den
Genuß der vermeintlichen Thronrede, die dem Toten aus der
klammen Hand zu winden, ihm vermittels eines Zaubers
gelungen war, der so gewaltig ist, daß ich ihn hier nicht
näher schildern kann. Durch seine Lektüre an den Rand der
Verblödung gebracht, griff er, mit seinem Lose zufriedener,
nach dem eigenen Manuskript. Da trieb vor seinen Augen eine
verlockende Fliege auf und nieder. Nach hartem Kampfe mit
der Pflicht beschloß er in seinem Herzen, die Fliege nicht
zu verschmähen, schon um nicht die Götter zu beleidigen, die
ihm den leckeren Bissen wohl zur Belohnung seines
ausdauernden Fleißes gesendet hatten. Es empfiehlt sich, den
Geboten der Unsterblichen mit beschleunigter Geschwindigkeit
zu gehorchen, und so schoß denn auch der gute fromme
Quakorax alsogleich, ohne etwas loszulassen, auf sein Opfer
zu, verfing sich, ward ans Ufer geworfen und hauchte
zappelnd seine Seele aus, welche geziemend zum Hades
enteilte. »Froschschenkel sind auch gut,« meinte
Bartholomäus, »die den Göttern gebührenden Eingeweide misse
ich mit Vergnügen.« Dann bemerkte er, was er sonst erbeutet
hatte, löste unverzüglich ein Billet nach Sirvermor und ein
zweites, eine Umsteigkarte in die Zukunft. Denn in dieser
geht der folgende Teil unserer Erzählung vor sich.</p>

<p>
Während der Fahrt, indem sowohl der Privatdozent in ihm eine
Beschäftigung verlangte, als auch die Sorgen des seligen
Quakorax merkwürdigerweise auf ihn übergingen, begann
Bartholomäus die Thronrede auswendig zu lernen, und selbst
als er der hold errötenden Jezaide den — wenn auch
unzureichenden — Sonnenschirm des Froschkönigs anbot,
rezitierte der Zerstreute noch immer sein »Wir Quakorax,
König der Frösche ...« Diese Phrasen, für unverfälschte
Wahrheit genommen, verfehlten nicht, einen guten Eindruck zu
machen; zudem: daß Srimoverr die Erbin des Reiches so
ziemlich vor den Unbilden der Witterung geschützt hatte,
erschien den Priestern, die pflichtigst darüber die Lage der
Sterne und Butterbrotpapiere beobachtet hatten, ein dem
Lande heilweissagendes Omen und Symbol. Und dies ist in
unserer Geschichte, glaube ich, das einzig Unglaubliche, das
man nicht glauben kann: eine alsbald angestellte Prüfung des
rechtsphilosophischen Schriftchens ergab untadelige
Resultate, kein einziges Plagiat! Worauf ohne weiteres wider
Bartholomäus die Vermählung eingeleitet wurde.</p>

<p>
Für den Verstand von Leuten, die in diesen 
anspruchslosen Zeilen eine tiefsinnige Allegorie erblicken
wollen, etwa in Jezaide die Tochter eines Hofrates
oder Sektionschefs zu sehen vermeinen, die einem
simplen Dozenten zum Throne, id est: zu einer 
ordentlichen Professur verhalf — auch die anderen, wahrlich
nicht wenig verschlungenen Begebenheiten auf kraß
realistische Weise ausdeuten möchten: für den 
Verstand dieser Sorte von Leuten übernimmt der Verfasser
keine wie immer geartete Garantie, wenn sie nicht so
ruinösen Versuchen entsagen. Genannten Individuen
aber trotzdem gebührend entgegenzutreten, gesteht der
Autor offen und ehrlich, daß der Zweck seiner 
scheinbar nichts weniger als tugendhaften Historie, soweit
ein solcher überhaupt vorhanden, ein hochmoralischer
ist und hofft damit einer aufmerksamen Leserin nichts
Neues zu sagen. Er hält dafür, nachträglich genug vor
jenem verderblichen Geist gewarnt zu haben, der
Zizipês sonst makellose Herrschergestalt verunzierte.
Wolle doch ein Jeglicher seinem guten Rat gehorsamen
und zur Taufe erscheinenden dreizehnten Zauberern
keine silbernen Stiefelknechte und beileibe keine 
schlechten Zigarren anbieten, noch auf künstliche Fliegen mit
übereilt zuschnappendem Rachen antworten. Den 
Folgsamen steht nicht bloß eventuell das Himmelreich offen,
sondern ihnen und nur ihnen wird mitgeteilt, wie sich
das Schicksal derer von Sirvermor-Srimoverr des 
Weiteren gestaltete.</p>

<p>
Es läßt sich nicht leugnen, der Prozentsatz an kleinen
Mohren und Chinesen, den die Prinzessinnen dieses
Hauses auch nach jener Sühnhochzeit herbeiführen
halfen, er war und blieb ein größerer, als er in den
übrigen Königsfamilien Usus ist. Doch wer wird der
Bösewicht sein, zu fordern, eine künstliche, zauberische
Einrichtung, durch die Länge der Zeit beinahe zur
natürlichen Anlage geworden, möge wie mit einem
Glockenschlage zu bestehen aufhören?</p>

<p>
Was die speziellen Schicksale Jezaidens und ihres
Gatten anlangt, so beteuern manche Skribenten, 
beklagte Mohren und Chinesen, in dem unzureichenden
Sonnenschirm bereits zart angedeutet, seien durch die
Unterschiebung der Preisschrift verschuldet, und sei
dieser Frevel nur darum nicht postwendend ans 
Tageslicht gekommen, weil Jezaide keine Kinder hatte, was
weniger der abgetöteten Liebe als dem gelehrten 
Charakter ihres Gatten zuzuschreiben sei. Sonstige 
Erlebnisse des Ehepaares? Zur Beruhigung: und wenn sie
nicht geboren sind, so sind sie auch heute noch nicht
gestorben!
</p>

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