aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml
diff options
context:
space:
mode:
authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2021-08-29 12:19:26 +0000
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2021-08-29 12:19:26 +0000
commitd230e7f8df0ffaa64ea6dc3472b34488d59902e3 (patch)
tree8e9594068385500ae1e524bcc0f0a80635eb6518 /OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml
downloadalbert-ehrenstein-nicht-da-nicht-dort-d230e7f8df0ffaa64ea6dc3472b34488d59902e3.tar.gz
albert-ehrenstein-nicht-da-nicht-dort-d230e7f8df0ffaa64ea6dc3472b34488d59902e3.tar.bz2
albert-ehrenstein-nicht-da-nicht-dort-d230e7f8df0ffaa64ea6dc3472b34488d59902e3.zip
erste Version
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml')
-rw-r--r--OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml549
1 files changed, 549 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml b/OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml
new file mode 100644
index 0000000..0fc09a2
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/02-der-fluch-des-magiers.xhtml
@@ -0,0 +1,549 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?>
+<!DOCTYPE html>
+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Der Fluch des Magiers Anateiresiotidas</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">DER FLUCH DES MAGIERS ANATEIRESIOTIDAS</h3>
+
+<p>
+<span class="initial">I</span>N einer alten Handschrift, an
+hundert Jahre vergilbter als die Stormschen zu sein pflegen,
+habe ich folgende wahre Geschichte gefunden, welche uneben
+und ruppig erzählt zu haben meine einzige Hoffnung ist, wenn
+nicht der Trost meines Greisenalters.</p>
+
+<p>
+Es war einmal eine Königstochter, Jezaide geheißen, aus dem
+uralten Geschlecht der Sirvermor. Über ihre Familie war, wie
+sonst nur in Märchen gebräuchlich, ein enormer Fluch
+verhängt. O geiziger König Zizipê der Siebenundsiebenzigste,
+warum hast du, als einst zur Taufe deines Erstgeborenen
+dreizehn glückwünschende Zauberer erschienen waren, und der
+Hofjuwelier, eingedenk trauriger Erfahrungen und Abzüge,
+erklärte, die goldenen Stiefelzieher nur mehr dutzendweise
+abgeben zu können, warum hast du damals die verhängnisvollen
+Worte gesprochen: »Ach was, der eine wird sich halt so
+gefretten!«</p>
+
+<p>
+Ja, er begnügte sich diesmal mit einem silbernen
+Stiefelknecht, der große Magier Anateiresiotidas, ingrimmig
+zwar, und so gewaltige Sprüche in seinen Bart brummend, daß
+der vor Schreck jeden Moment die Farbe wechselte. Mit einem
+violetten Bart erschien er bei der königlichen Tarockpartie,
+zu der er geladen war, und alle anderen Zauberer wußten,
+wieviel es geschlagen hatte. Nur der König bemerkte die
+Anzeichen fürchterlich aufziehenden Gewitters nicht, derart
+war er mit der Mondjagd beschäftigt. Er bot ihm in der Hitze
+des Gefechts weder die Teilnahme, noch einen Stuhl an,
+vielleicht um sich durch solche Höflichkeit nicht noch einen
+Hexenmeister zum Feinde zu machen. Und so mußte
+Anateiresiotidas kiebitzen, stehend kiebitzen. Auch dies
+hätte der Zauberer vielleicht noch ruhig hingenommen, aber
+ihm offerierte Zigarren trugen zwar die Leibbinden
+importiertester Havanna, waren jedoch mörderische
+Schusterkuba. Diesmal hatte wiederum Hoftrafikant Motschker
+die Upman nicht in minimalen Quantitäten zum Engrospreise
+liefern wollen und der königliche Geizhals daraus alberne
+Konsequenzen gezogen. Nur daß ein anständiger Hexenmeister
+in punkto Zigarren keinen Spaß versteht. Mit einem Griff
+hatte der Beleidigte seine Sprechwerkzeuge auf den Tisch
+gelegt und sich entfernt. Kein besserer Zauberer hat so viel
+Zeit und Geduld, seine eigenen Reden anzuhören. Und jetzt
+kam der Fluch: »Von nun an werden alle Kinder aus dem Hause
+Sirvermor, je nach dem Geschlecht, mit dem Ding oder Wesen,
+das ihrem Vater oder ihrer Mutter am liebsten ist, zur Welt
+kommen. Bis einst ein Jurist erscheint, dessen Namen
+dieselben Buchstaben wie »Sirvermor« besitzt, und nicht
+genug daran: ohne das geringste Plagiat ein Buch über
+Rechtsphilosophie schreibt!«</p>
+
+<p>
+»Wer gibt?« fragte guter Laune der König, dessen geheimen
+Gram es längst gebildet hatte, daß justament auf seinem
+Stamm kein vornehmer Erbfluch lag. Und ehe noch die
+Sprechwerkzeuge des Anateiresiotidas aus dem Spielzimmer
+ihrem Inhaber nachgeflogen waren, gab es bereits einen
+Solovalatpagatultimo, wie er in solcher Schönheit
+ohnstreitig noch nie dagewesen. Das aber hatten die anderen
+Zauberer getan, um den König zu trösten.</p>
+
+<p>
+Denn eines Trostes bedurfte Haus Sirvermor. Da doch
+gemeinhin die Männer sich und die Frauen am liebsten haben
+und umgekehrt — wenn wenigstens, jenem Fluche nach,
+Gebärmänner: Hermaphroditen zur Welt gekommen wären! Die
+Dynastie hätte zwar zum längsten bestanden, aber Skandal,
+durch Jahrhunderte fortgesetzter Skandal wäre vermieden
+worden. Nein, deutlich getrennt von dem jeweiligen Kinde:
+für sich bestehend stieg das dem Vater oder der Mutter
+geliebteste Ding oder Wesen ans Tageslicht.</p>
+
+<p>
+Wo soll ich anfangen, wo soll ich enden! Mit dir, Dolgoruki,
+dem sein Weib außer einem Nachfolger eine ewig volle
+Kognakflasche gebar? Solches wäre lustig anzuhören, aber wem
+geraten nicht unwillkürlich die Tränen in die Augen, wenn er
+von dir vernimmt, Seeheld Aquavit? Wohl wurde dir deinem
+Wunsch gemäß ein Überdreadnought geschenkt, aber starb nicht
+dein Weib daran, ohne daß ein anderes sich hätte finden
+lassen, todesverachtend genug, bald oder später ein
+ähnliches Ende nehmen zu wollen? Starbst nicht bald hernach
+du selbst infolgedessen räudig an den Leibschneiden und
+Weltschmerzen der Langenweile, bloß weil keiner deiner
+ungeschickten Ingenieure im stande war, Weibautomaten zu
+fabrizieren?! Allerdings gelang bald nachher deinem
+Leiberfinder Heureka die Herstellung jenes Instruments, dem
+wir alle unser Leben verdanken, die Herstellung des
+Fernzeugers. Doch waren damit die Leiden dieser Tantaliden
+abgeschlossen?</p>
+
+<p>
+Panjimama, unter dessen glorreicher Regierung Apabauru und
+Tenteriki an Sirvermor kamen, geriet eben wegen dieser für
+den Ackerbau seines Landes äußerst wichtigen Guanoplätze in
+Streit mit dem Oberkaiser Adikran von Alazir und den
+Zentralkönigen von Lygien. Als gar zu dieser an sich
+übermächtigen Liga Araumenes der Große von Paphlagonien
+seine sieggewohnten Truppen stoßen ließ, und die Kunde
+schrecklicher Gefahren in Sirvermor sich wie Posaunenschall
+und Tubaklang ergoß, was konnte da der verzweifelte
+Landesvater anderes tun, als sein Weib eines mit den
+erforderlichen Kanonen und Vorräten ausgerüsteten Heeres von
+soviel Millionen Mann genesen zu lassen, daß sogar Rabelais
+darüber sein weißes Haupt schüttelte und den heiratsfähigen
+Königstöchtern der Erde den Rat gab, bevor sie sich mit
+Prinzen von Sirvermor in Verbindungen einließen, den Herren
+einen Eid abzunehmen, laut dem diese in Zukunft von derart
+gattinnenmörderischen Liebhabereien abzusehen hätten. Und
+als einem Herrscher, der, wie es scheint, sich selbst am
+meisten liebte, die Gemahlin einen Doppelgänger getragen
+hatte, worauf bemeldeter Monarch elendiglich in Wahnsinn
+verfiel, unwissend, wen er am meisten liebe und welcher der
+beiden eigentlich er sei, ein andermal ein in sich
+verzücktes Liebespaar ein Doppelgänger-Liebespaar
+hervorrief, was unendlichen Jammer und blutige Bürgerkriege
+erregte — da, von Grauen überwältigt, bildeten die
+Fürstinnen den ihnen anempfohlenen Trust. Das wird ihnen
+niemand verargen! Man rufe sich's ins Gedächtnis zurück, daß
+neben dem jeweils Regierenden in Sirvermor noch eine Menge
+Prinzen existiert! Und wie rasch zarte Prinzessinnen müde
+werden, Ballettratten, Vollblutrennpferde, Küchenchefs,
+Äbtissinnen und Jagdhunde in die Welt zu setzen, das läßt
+sich denken. Waren nun zwar die Prinzessinnen vor einem
+durch die Neigungen ihrer Gesponsen bewirkten frühen Tode
+sicher, so hatten nach dem Vertrag ihre Gebietiger den
+Leidenskelch bis zur Neige zu leeren. Wenn dies nicht früher
+der Fall gewesen war, lag das daran: die Gemahlinnen derer
+von Sirvermor blieben den Männern merkwürdigerweise immer
+genau eine Sothisperiode lang treu, dann waren sie wieder
+untreu. Und der gesetzmäßige Umschwung trat zufällig erst
+jetzt ein, somit das von einem hochweisen und vorsichtigen
+Rate erlassene Verbot, betreffend Ehen zwischen den
+Operntänzerinnen männlicherseits und etwa zu erwartenden
+Stierkämpfern weiblicherseits: dieses sogleich nach dem
+Fluche angeschlagene Verbot fand dergestalt niemals
+Gelegenheit, in Kraft und Wirkung zu treten.</p>
+
+<p>
+Vorerst machte sich keine Veränderung bemerkbar. Auf dem
+Throne saß gerade Frau Ordilschnut — die Urgroßmutter
+Jezaidens und Schwester der berühmteren Ordilgund von
+Undulur — ein Mägdlein annoch, so unschuldig, daß sie außer
+einem Töchterlein namens Bamalip nur einer Puppe das Leben
+schenkte, worüber sich der ganze Hof vor Lachen fast
+ausschütten wollte. Das zweite Mal — ich will nicht lügen —
+kam sie mit einem Mops und Zwillingen nieder, die jenem
+Töchterchen Bamalip aus der Maßen ähnlich sahen. Man nannte
+sie daher auch Barbara und Fresapo, und alle drei spielten,
+wie man weiß, in der sirvermorschen Geschichte nachmalen
+eine außerordentliche Rolle. Ihr Gatte war ein in der
+Räucherkammer der Zeit früh grau und faltig gewordener Herr
+in den kalten Vierzigern, den sie nicht lieben konnte und
+der durchaus und eigensinnig noch selbst etwas für die
+Thronfolge tun wollte. Als er die junge Königin in Armen
+hielt, klammerte sich die Bedauernswerte, schaudernd wie vor
+dem Tode, in der Angst an das wenige Liebe, das sie besaß,
+an ihr Töchterchen Bamalip und etwa noch an einen kleinen
+Mops, der sie in ihrer Einsamkeit zerstreut hatte. Als
+Aspramont die Zeichen der Kälte seiner Lebensgefährtin sah,
+die Kinder, deren Mutter sozusagen auch Bamalip war, schlug
+er ob dieser Blutschande die Hände über dem Kopf zusammen,
+ja, er hätte Ordilschnut verstoßen, wenn nicht letzte
+Überlegung für sie gesprochen hätte, die doch noch ein Kind
+war. Und so zog er denn in den Krieg wider die Orilanen,
+Menschen, denen der Bart auf der Nase entkeimt, und die sehr
+sonderbare Speisegesetze haben — gebratene Eidechsen essen
+sie unter keinen Umständen, Sauerkraut mit Leberwurst
+hingegen ist ihnen erwünscht.</p>
+
+<p>
+Nach der über diese Leute verhängten Züchtigung, auf dem
+Rückwege geriet Aspramont — wenn die sirvermorischen Annalen
+nicht trügen — mit den Sultanen von Marabu und Talili in
+einen Kampf um die Weltherrschaft, und die Heimkehr
+verzögerte sich dadurch. Inmitten des gewaltigen
+Schlachtenlärmes hatte man es wenig beachtet, daß die
+Königin glücklich von einem Eunuchen entbunden wurde. Dies
+hätte eine Warnung sein sollen, war es aber nicht.
+Ordilschnut ergab sich einem ungezügelten Lebenswandel: eine
+Liebelei mit dem Prinzen Karfiol von der Mondscheinküste
+blieb nicht die einzige, die Leute vom Hofstaat wagten keine
+Vorstellungen, die Königin als die Höherstehende
+betrachtend, weil nicht sie durch einen Eid zur Entsagung
+verurteilt war, sondern der Gatte.</p>
+
+<p>
+Die kurze Pause eines mittlerweile eingetretenen
+Waffenstillstandes benützend, um an das abermalige
+erfreuliche Wochenbett der geliebten Gemahlin zu eilen,
+welche Überraschungen wurden da dem guten, alten Aspramont
+zuteil! Reitknechte, Tenore, Schwergewichtsathleten,
+Chauffeure, französische Sprachlehrer! Und so oft der
+besorgte Gatte: »Halt ein« oder strenger: »Jetzt aber
+Schluß« rufen wollte, kam noch irgendein Kaminfeger,
+Leutnant, Fleischhacker oder Kammerdiener zum Vorschein, bis
+Aspramont die Hand, die schwertesschwere, wider die
+Pflichtvergessene erhob und zustieß. Fiel aber dann selbst
+im Duell mit dem Leutnant.</p>
+
+<p>
+Es wird niemanden wundernehmen, wenn, durch
+so entsetzliche Ereignisse im höchsten Grade
+beunruhigt, geradezu außer Atem infolge wiederholt
+eintretender ähnlicher Vorfälle, die immerhin nicht so
+drastisch, weil sie auf die Hervorbringung eines
+einzelnen Jünglings beschränkt blieben, doch keinerdings
+ohne einige Mitwirkung höchstgeborener Prinzessinnen
+von statten gingen, ich sage, es wird niemanden
+wundernehmen, wenn eine löbliche Priesterschaft von
+Sirvermor sich da ins Mittel zu legen beschloß. Waren
+doch an diesen Begebenheiten Weltgesetze zuschanden
+geworden, vor allem jenes eine, gefaßt in das weiseste
+Wahrwort, welches je über die Lippen eines Lateiners
+kam: Pater semper incertus.</p>
+
+<p>
+Außerdem waren die Privilegien der Gottesdiener
+durch Attaches und Ausländer lädiert worden, deren,
+mangels Einheimischer, Ordilschnut sich zur
+Befriedigung ihrer Lüste bedient hatte. Sirvermor nämlich
+gehört zu den Ländern, wo, den Satzungen der Religion
+entsprechend — die Prinzen des königlichen Hauses
+ausgenommen — die Epheben sich kastrieren, und die
+Fortpflanzung auf eine wunderbare Weise durch die
+Priester der Göttin Kibla bewerkstelligt wird.</p>
+
+<p>
+Begünstigt ward das Vorhaben der Geschädigten, in
+ihren heiligsten Rechten Geschädigten, durch die
+übereinstimmenden Erklärungen der Mohnkipfelbeschwörer.
+Es nahe die Zeit, da das allerhöchste Herrscherhaus
+von dem Fluche befreit sein werde — dies gaben sie
+vor, in den Sternen und Wurstabschnitzeln gelesen zu
+haben. Wie jedoch den Prinzessinnen kälteres Blut
+beibringen, ein Gefühlsniveau, das den ans beste
+Mannsfutter gewöhnten Damen sogar Juristen annehmbar
+erscheinen ließ?</p>
+
+<p>
+Auf die erste Nachricht von so entsetzlicher
+Zumutung ging wie ein verhaltener Wutschrei ein
+gewaltiges Rauschen des Zornes durch die Kleider der
+Betroffenen, ja, sie hätten mit einem Fächerschlag
+der Entrüstung ihre Zimmer verlassen, wenn nur
+jemand darinnen gewesen wäre. Ihnen Juristen antragen,
+Leute, deren kühn in die Brillen geschwungene
+Schnurrbärte keineswegs für ihre vernehmlichen Glatzen
+entschädigen konnten, helltönende Glatzen, die sich nicht
+einmal durch das berühmte Haarwuchsmittel »Kapitol«
+aufforsten ließen! Alles bäumte sich in ihnen. Juristen!
+Welcher feinere Prinz studiert Jus, und wenn, wo
+steht es geschrieben, daß so ein Ausnahmsprinz eines
+ohne Plagiat durchgeführten rechtsphilosophischen
+Aufsatzes fähig ist? Juristen heiraten! Menschen, die um
+der schnöden Leibesnotdurft willen jahrzehntelang
+Schweißgeruch sammeln, denen man's ewig anriecht,
+daß sie einst oft ein Paar Frankfurter mit Krenn
+für ein opulentes Mittagsmahl gelten ließen ... Die
+Prinzessinnen fielen in Ohnmacht. Jede in ihrem
+Zimmer. Als sie wieder zu sich kamen, war ihr Wille
+gebrochen ... Zehn Roßhähne wurden den Göttern der
+Unterwelt geopfert, dann faßte der Erzaugur den
+Beschluß, die Liebesneigungen der weiblichen Angehörigen
+des Königshauses durch Hypnose abzutöten. Und so
+geschah es, nachdem erst das Zustimmungstelegramm
+vom Delphischen Orakel eingetroffen war. Wohl gab
+es noch geraume Zeit harmlose Rückfälle, den
+Schwimmhäuten mancher Menschen vergleichbare atavistische
+Hervorbringungen von unschuldigem Spielzeug
+verschollener Generationen, als: Tennisrackets, Diabolos,
+Trompeten, Automobilbrillen. Doch schwanden diese
+Rückbildungen mit den Jahren, und jeder Wackere
+hätte Gift darauf nehmen können, daß die
+Prinzessinnen dieser Familie ebensowenig Liebe oder tiefere
+Neigungen empfanden, wie die irgendeines anderen
+Hauses. Alle Welt schickte nun die Kinder ins
+Gymnasium. Denn war früher eine Königstochter vom
+Drachen zu befreien, Tapferkeit und weitvorblickende
+Klugheit, ein andermal für derartige Erwerbung
+rätsellösend-einfältige Schlauheit vonnöten gewesen, dem
+an unsere Epoche heranreichenden aufgeklärten Zeitalter
+war es entschieden gemäßer, die Hand eine Fürstin an die
+durch den Besitz eines eigentümlichen Namens verschärfte
+Abfassung rechtsphilosophischen Essays zu knüpfen.</p>
+
+<p>
+Welch ein Wetteifer unter den Juristen sowohl des
+Königreiches Sirvermor als auch der anderen Länder! Sogar
+der arme Herrscher von Suminoye, dem sein Herzogtum
+abgebrannt war, ließ seine Söhne Jus studieren, bis sie
+schwarz wurden. Bald jedoch schwoll der Fleiß ab: die Ämter
+hatten alle Bittschriften um Namensänderung abschlägig
+beschieden und auch die mannigfaltigen Versuche, durch
+Beifügung des mütterlichen Namens oder durch Adoption zum
+Ziel zu gelangen, sie waren, nachdem eine Saison lang Leute
+namens Sir oder Sirver hoch im Preise gestanden, durch
+Edikte vereitelt worden, deren genauen Wortlaut jedermann
+kennen lernen kann, wofern er sich nur in einer Bibliothek
+die betreffenden Nummern des sirvermorizer Amtsblattes
+verschafft. Nicht ein Weichherziger wie ich, ein anderer
+möge den Jammer der enttäuschten Eltern beschreiben, die
+vergebens ihre Sprößlinge auf die Prinzessin hatten
+studieren lassen. Was mich anbelangt, so muß ich hier
+innehalten und einige ihrem gerechten Kummer geweihte Zähren
+weinen ...</p>
+
+<p>
+Andererseits gingen entartete Untertanen in ihrem Groll zu
+weit, sie waren es, die zuerst Realschulen erfanden und
+gründeten, um möglichst viele Jünglinge der
+dynastie-erlösenden Beschäftigung mit den
+Rechtswissenschaften abspenstig zu machen. So groß ist die
+Schlechtigkeit der Menschen!</p>
+
+<p>
+Von da ab redete man nur wenig von unserer Angelegenheit;
+Artikel höchstens in den Familienblättern, königstreuer
+Mathematiker Berechnungen über die Wahrscheinlichkeit einer
+völligen Aufhebung des Fluches, erinnerten die Bürger ab und
+zu an jene unliebsamen Ereignisse. Und damit wären wir bis
+zu jener Zeit emporgeschritten, in der die eigentliche
+»Geschichte« sich abspielt.</p>
+
+<p>
+Erbprinzessin Jezaide Sirvermor lustwandelt im königlichen
+Garten. Ist doch der Frühling angekommen, auf seinen
+Schultern und Flügeln die Scharen der Singvögel tragend. Ja,
+sie singen im königlichen Garten die gewaltigen
+Nachtigallen, das heißt: mit allerhöchster Erlaubnis und
+soweit sie keinen Schnupfen haben. Aber nicht der
+Nachtigallen Gesange oder Nichtgesange lauscht ihre
+königliche Hoheit, Falte auf Falte schneidet sich in ihre
+Alabasterstirn, siehe: wie in tiefem Sinnen hebt sie eine
+Hand empor, mit dem Rücken nach oben, und spricht zu ihrer
+Obersthofmeisterin: »Mir scheint, es will regnen.« Und in
+der Haltung wollen wir sie verlassen.</p>
+
+<p>
+Um diese Zeit lebte in der Stadt Vienna ein edler Jüngling
+namens Srimoverr, Baron Aeneas Srimoverr. Er brachte die
+üblichen Jahre in einem geistlichen Gymnasium zu und widmete
+sie, wie billig, einem zwiefachen Studium. Auf der Bank
+lagen vor seiner Nase ausgebreitet lateinische Klassiker,
+unter dem Pult aber entzückte seine Sinne die Lektüre
+klassischer Franzosen. Nachdem er seinen ebenso
+verschiedenartigen als eindringlichen Studien durch das
+protegierende Auftreten noch einiger Freiherren namens
+Srimoverr und eine sogenannte Schlußprüfung Grenzen gezogen
+hatte, beehrte er die juridische Fakultät mit seinem Besuch.
+Nicht so sehr, weil ihn die Süßigkeit der Wissenschaft
+anzog: nein, eine bildgeschmückte Heiratsannonce Jezaidens
+hatte ihn mit den Bedingungen vertraut gemacht, unter denen
+ein Königtum von den Dimensionen des Reiches Sirvermor zu
+erringen war. Und seine Liebe erlahmte nicht angesichts der
+Schrecklichkeit seiner Aufgabe.</p>
+
+<p>
+Zwar: es ist richtig, wenn der berühmte lygische
+Geschichtsschreiber Moses Maria Archivstaub behauptet,
+Aeneas habe sich selbst hinlänglich für seinen
+bewundernswürdigen Fleiß belohnt. Er benützte nämlich nicht
+nur die reichhaltige Bibliothek seines Oheims, des
+Privatdozenten für Rechtsphilosophie, Bartholomäus
+Srimoverr, sondern auch dessen Gemahlin teilte von jeher mit
+demselben Eifer das Lager des jugendlichen Neffen, wie jene
+Annehmlichkeiten, die Stellung und Güter des gelehrten
+Gatten mit sich brachten. Dieser Umstand aber sollte Aeneens
+Verhängnis werden. Der Tag, da er mit dem vollendeten Werke
+sich zu seiner Tante begab, Abschied von ihr zu nehmen, der
+Tag ward sein Todestag. Tief, tief waren die beiden
+versunken, er in das Vorlesen seiner Schrift, sie in ein
+enthusiastisches Lauschen, und die Doppelschritte des
+nahenden Gatten wurden erst gehört, als es zu spät war. Kein
+zweckdienlicher Kasten im Zimmer, und schon schwang sich
+Aeneas, das kostbare Pergament in der Hand haltend, statt
+den Ehemann so ins Jenseits zu stürzen, in unbegreiflicher
+Verwechslung selbst auf das Fensterbrett und sprang zum
+letztenmal hinab in den Teich, dessen Wellen auch vor ihm
+bereits manchen Überraschten geborgen haben mochten. Ach,
+diesmal dürften die Mühen der Lektüre zu gewaltig gewesen
+sein. Des kühnen Tauchers Herz brach. Wild aufrauschten die
+Wasser, und indem er den Zwicker aufsetzte, sprach der
+Privatdozent die geflügelten Worte: »Traun! ich habe doch
+diesem Fischhändler gesagt, ich will nur echt Ibsensche
+Karauschen. Und was hat der geschickt? Sind das Ibsensche
+Karauschen? Mutwillige Fische, die sich hoch über Wasser
+schnellen. Die müssen von ganz wem andern sein! Was meinst
+du dazu, Rosa? Diesen Fall muß ich untersuchen. Magst mich
+begleiten?« Sprach's und befestigte an der Angel eine
+künstliche Fliege.</p>
+
+<p>
+Ich würde gewiß nichts von dem Froschkönig
+erzählen, wenn es nicht für den Gang dieser Geschichte
+so unumgänglich nötig wäre. Er saß ganz harmlos im
+Teiche unter seinem Sonnenschirm — denn gerade, daß die
+Frösche keinen solchen brauchen, ist das Noble daran,
+und darum hatte der Froschkönig einen und memorierte
+unter ihm skandierend seine langweilige Thronrede:</p>
+
+<p>
+»Wir Quakorax, König der Frösche, Blatt-<br />
+läuse, Malariamücken und so weiter,<br />
+kraft uralt angestammtem Recht beriefen<br />
+höchstwir alle Vasallen, die, sei es<br />
+zu Lande, sei's zu Wasser unser sind,<br />
+auf diesen hohen Reichstag. Hört, hört! wir selbst<br />
+und Ihre Majestät, die Königin<br />
+Guaplasa, um sämtlichen Untertanen<br />
+kund zu tun, wie sie zu ehren wir<br />
+gedenken, keinem unsrer Völker nah<br />
+zu treten, keinem unsrer Achtung mehr<br />
+noch minder zu erweisen als dem andern:<br />
+ja! auf einem halbüberschwemmten Hügel,<br />
+mit einem trocknen, einem nassen Fuße,<br />
+staatsrechtlich, nicht bloß so zu sagen! über<br />
+dem Berg im übrigen auf astbefest-<br />
+igetem Schaukelthrone uns bewegend«<br />
+— hier blieb der arme Quakorax, vielleicht schon zum zehnten
+Mal, über die jämmerlichen Versfüße stolpernd, stecken,
+diesmal, weil der Tote zu ihm glitt. Quakorax dankte den
+Göttern, daß sie ihm, falls als er bei der Thronrede
+wirklich ins Stottern geraten sollte, eine solche
+Entschuldigung vor Guaplasa darboten. Kein Zweifel: der
+junge Mann, gewiß ein Kollege, hatte den unerträglichen
+Leiden, die auch ihm eine Thronrede verursachte, durch
+Selbstmord ein Ende bereitet. Kaum daß Quakorax sich und den
+Ärmsten schicklich beweint hatte, machte er sich an den
+Genuß der vermeintlichen Thronrede, die dem Toten aus der
+klammen Hand zu winden, ihm vermittels eines Zaubers
+gelungen war, der so gewaltig ist, daß ich ihn hier nicht
+näher schildern kann. Durch seine Lektüre an den Rand der
+Verblödung gebracht, griff er, mit seinem Lose zufriedener,
+nach dem eigenen Manuskript. Da trieb vor seinen Augen eine
+verlockende Fliege auf und nieder. Nach hartem Kampfe mit
+der Pflicht beschloß er in seinem Herzen, die Fliege nicht
+zu verschmähen, schon um nicht die Götter zu beleidigen, die
+ihm den leckeren Bissen wohl zur Belohnung seines
+ausdauernden Fleißes gesendet hatten. Es empfiehlt sich, den
+Geboten der Unsterblichen mit beschleunigter Geschwindigkeit
+zu gehorchen, und so schoß denn auch der gute fromme
+Quakorax alsogleich, ohne etwas loszulassen, auf sein Opfer
+zu, verfing sich, ward ans Ufer geworfen und hauchte
+zappelnd seine Seele aus, welche geziemend zum Hades
+enteilte. »Froschschenkel sind auch gut,« meinte
+Bartholomäus, »die den Göttern gebührenden Eingeweide misse
+ich mit Vergnügen.« Dann bemerkte er, was er sonst erbeutet
+hatte, löste unverzüglich ein Billet nach Sirvermor und ein
+zweites, eine Umsteigkarte in die Zukunft. Denn in dieser
+geht der folgende Teil unserer Erzählung vor sich.</p>
+
+<p>
+Während der Fahrt, indem sowohl der Privatdozent in ihm eine
+Beschäftigung verlangte, als auch die Sorgen des seligen
+Quakorax merkwürdigerweise auf ihn übergingen, begann
+Bartholomäus die Thronrede auswendig zu lernen, und selbst
+als er der hold errötenden Jezaide den — wenn auch
+unzureichenden — Sonnenschirm des Froschkönigs anbot,
+rezitierte der Zerstreute noch immer sein »Wir Quakorax,
+König der Frösche ...« Diese Phrasen, für unverfälschte
+Wahrheit genommen, verfehlten nicht, einen guten Eindruck zu
+machen; zudem: daß Srimoverr die Erbin des Reiches so
+ziemlich vor den Unbilden der Witterung geschützt hatte,
+erschien den Priestern, die pflichtigst darüber die Lage der
+Sterne und Butterbrotpapiere beobachtet hatten, ein dem
+Lande heilweissagendes Omen und Symbol. Und dies ist in
+unserer Geschichte, glaube ich, das einzig Unglaubliche, das
+man nicht glauben kann: eine alsbald angestellte Prüfung des
+rechtsphilosophischen Schriftchens ergab untadelige
+Resultate, kein einziges Plagiat! Worauf ohne weiteres wider
+Bartholomäus die Vermählung eingeleitet wurde.</p>
+
+<p>
+Für den Verstand von Leuten, die in diesen
+anspruchslosen Zeilen eine tiefsinnige Allegorie erblicken
+wollen, etwa in Jezaide die Tochter eines Hofrates
+oder Sektionschefs zu sehen vermeinen, die einem
+simplen Dozenten zum Throne, id est: zu einer
+ordentlichen Professur verhalf — auch die anderen, wahrlich
+nicht wenig verschlungenen Begebenheiten auf kraß
+realistische Weise ausdeuten möchten: für den
+Verstand dieser Sorte von Leuten übernimmt der Verfasser
+keine wie immer geartete Garantie, wenn sie nicht so
+ruinösen Versuchen entsagen. Genannten Individuen
+aber trotzdem gebührend entgegenzutreten, gesteht der
+Autor offen und ehrlich, daß der Zweck seiner
+scheinbar nichts weniger als tugendhaften Historie, soweit
+ein solcher überhaupt vorhanden, ein hochmoralischer
+ist und hofft damit einer aufmerksamen Leserin nichts
+Neues zu sagen. Er hält dafür, nachträglich genug vor
+jenem verderblichen Geist gewarnt zu haben, der
+Zizipês sonst makellose Herrschergestalt verunzierte.
+Wolle doch ein Jeglicher seinem guten Rat gehorsamen
+und zur Taufe erscheinenden dreizehnten Zauberern
+keine silbernen Stiefelknechte und beileibe keine
+schlechten Zigarren anbieten, noch auf künstliche Fliegen mit
+übereilt zuschnappendem Rachen antworten. Den
+Folgsamen steht nicht bloß eventuell das Himmelreich offen,
+sondern ihnen und nur ihnen wird mitgeteilt, wie sich
+das Schicksal derer von Sirvermor-Srimoverr des
+Weiteren gestaltete.</p>
+
+<p>
+Es läßt sich nicht leugnen, der Prozentsatz an kleinen
+Mohren und Chinesen, den die Prinzessinnen dieses
+Hauses auch nach jener Sühnhochzeit herbeiführen
+halfen, er war und blieb ein größerer, als er in den
+übrigen Königsfamilien Usus ist. Doch wer wird der
+Bösewicht sein, zu fordern, eine künstliche, zauberische
+Einrichtung, durch die Länge der Zeit beinahe zur
+natürlichen Anlage geworden, möge wie mit einem
+Glockenschlage zu bestehen aufhören?</p>
+
+<p>
+Was die speziellen Schicksale Jezaidens und ihres
+Gatten anlangt, so beteuern manche Skribenten,
+beklagte Mohren und Chinesen, in dem unzureichenden
+Sonnenschirm bereits zart angedeutet, seien durch die
+Unterschiebung der Preisschrift verschuldet, und sei
+dieser Frevel nur darum nicht postwendend ans
+Tageslicht gekommen, weil Jezaide keine Kinder hatte, was
+weniger der abgetöteten Liebe als dem gelehrten
+Charakter ihres Gatten zuzuschreiben sei. Sonstige
+Erlebnisse des Ehepaares? Zur Beruhigung: und wenn sie
+nicht geboren sind, so sind sie auch heute noch nicht
+gestorben!
+</p>
+
+</div>
+</body>
+</html>