diff options
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text')
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/01-ritter-johann.xhtml | 113 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/02-tubutsch.xhtml | 1194 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/03-wanderers-lied.xhtml | 49 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/anhang.xhtml | 19 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/deckel.xhtml | 20 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/inhalt.xhtml | 37 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/nav.xhtml | 34 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/textnachweis.xhtml | 69 | ||||
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/titel.xhtml | 27 |
9 files changed, 1562 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/01-ritter-johann.xhtml b/OEBPS/Text/01-ritter-johann.xhtml new file mode 100644 index 0000000..2fe225d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-ritter-johann.xhtml @@ -0,0 +1,113 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Ritter Johann des Todes</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Ritter Johann des Todes</h3> + +<p> +<span class="initial">R</span>itter Johann des Todes ritt aus, dem Meere zu und fernen +Ländern. Sprach zu ihm sein schwangeres Weib, diese +Loudmilla Gamperl (die liebste ihm, bis sie kein neues Essen +und Küssen mehr wußte) diese Worte: „Vergebens fährst du +aus! Bleib! Morgen gibts Eichelsuppe und Geselchtes mit +Spinat .... Du wirst schon sehen!“ In den Ohren klangs dem +Ritter und dann zu noch donnerdicken Nebelfernen ritt er, +denn Weib-Köchin schien ihm am Ende.</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes ritt aus. Traf unterwegs einen +lieblichen Drachen, der ihm quer in den Speer lief — aus +Furcht, auch dieser Ritter könnte ihn unerschlagen sich zu +Tode kriechen lassen. Lachte Ritter Johann des Todes und gab +ihm sein heiliges Kraut Sarudsch an die Wunde. Gellt der +Drache: „Läßt mich Drachen unerschlagen! ... Du wirst schon +sehen!“ In den Ohren klangs dem Ritter und er nahm sichs zum +Gedenkmal.</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten, traf er die +Jungfrau, die alle hundert Jahre aus dem Felsen Not +hervorschießt. Die Jungfrau warf sich dem Ritter ihrer +Maidenschaft an den Hals ... Lachte Ritter Johann des Todes +und gab ihr seinen heiligen Knappen Nolpate an's Herz. Redte +sich aus: „Du bist die Jungfrau jeder hundert Jahr!“ +„Schmähst die Gabe“, keift sie, „aller hundert Jahre? Du +wirst schon sehen!“ In den Ohren klangs dem Ritter und dann +zu noch donnerdicken Nebelfernen ritt er.</p> + +<p> +„Das verfluchte Kombinieren alter Speisen in ganz neue! — +Ich hab es satt! In der Jugend schlug ich fünfzehn liebliche +Drachen! Ich hab es satt. Und die liebe Jungfrau jeder +hundert Jahre: ist sie schmacker als all die andern Jungfern +von Gewohnheit? — Ich hab es satt! Und alle gellen und +keifen sie: Du wirst schon sehen ... Und ich sehe doch meine +Zukunft, daß ich keine Zukunft habe, klar und dicht vor +mir!“</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten, traf er sechs +alte Weiber, die das Ziel erreicht zu haben glaubten, indem +sie, über den Weg erhoben, auf Steinen auf den Köpfen +stehend, aus neuen Flaschen in neuen Gläsern neuen +Branntwein soffen, den echten, reinen, patentierten +sogenannten „Dolgoruki“. Und sie reichten ihm den +Branntwein. Er erschlug sie, weil sie 's Ziel erreicht zu +haben glaubten, indem sie, über den Weg erhoben, auf Steinen +auf den Köpfen stehend, aus neuen Flaschen in neuen Gläsern +neuen Branntwein soffen, den echten, reinen, patentierten +sogenannten „Dolgoruki“. Und die Weiber, sterbend auf den +Köpfen stehend — alle Sechse keiften: „Du wirst schon +sehen!“ In den Ohren klangs dem Ritter und er nahm sichs zum +Gedenkmal.</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten, schlug noch +viele andere, die — und nicht einmal auf die rechte Weis — +die Erde nach blauen Blumen abgrasten ... Und im Tode +schrien sie alle — er aber lachte bloß —: „Du wirst schon +sehen!“ In den Ohren klangs dem Ritter und stets zu noch +donnerdicken Nebelfernen ritt er.</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten, erbarmte sich +der Herrgott und kroch vom Himmel zu ihm herunter, um ihm +das Neue zu sein. Da erschlug ihn der Ritter Johann des +Todes und lachte herzhaft, wie er noch nie gelacht, daß der +vom Himmel heruntergekrochen, um ihm das Neue zu sein und +dann zu gellen: „Du wirst schon sehen!“</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes aß Schlangen und gute Steine.</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten, mußte heim, da +die Erde zu rund war. Sprach zu ihm sein schwangeres Weib, +diese Loudmilla Gamperl, einen jungen Ritter Johann des +Todes an der Hand haltend, diese Worte: „Heute gibts +Eichelsuppe und Geselchtes mit Spinat! Was hab ich +gesagt!“</p> + +<p> +Ritter Johann des Todes, ich muß es schon sagen, zu ihm kam +nicht der Tod und er war ihn ehrlicher suchen gegangen als +sein Urgroßvater, der ewige Jude.</p> + +<p> +Der Ritter Johann des Todes, auf seinen Fahrten, freute sich +an seinem Tode, dem Neuen: Ritter Johann des Todes, auf +seinen Fahrten, hängte sich auf. +</p> + +</div> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/02-tubutsch.xhtml b/OEBPS/Text/02-tubutsch.xhtml new file mode 100644 index 0000000..920100b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/02-tubutsch.xhtml @@ -0,0 +1,1194 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Tubutsch</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Tubutsch</h3> + +<p> +<span class="initial">M</span>ein Name ist Tubutsch, Karl +Tubutsch. Ich erwähne das nur deswegen, weil ich außer +meinem Namen nur wenige Dinge besitze ....</p> + +<p> +Es ist nicht die Melancholie und Bitterkeit des Herbstes, +nicht die Vollendung einer größeren Arbeit, nicht die +Benommenheit des aus langer, schwerer Krankheit dumpf +Erwachenden, ich verstehe überhaupt nicht, wie ich in diesen +Zustand versunken bin. Um mich, in mir herrscht die Leere, +die Öde, ich bin ausgehöhlt und weiß nicht wovon. Wer oder +was dies Grauenvolle heraufgerufen hat: der große anonyme +Zauberer, der Reflex eines Spiegels, das Fallen der Feder +eines Vogels, das Lachen eines Kindes, der Tod zweier +Fliegen: danach zu forschen, ja auch nur forschen zu wollen, +ist vergeblich, töricht wie alles Fahnden nach einer Ursache +auf dieser Welt. Ich sehe nur die Wirkung und Folge; daß +meine Seele das Gleichgewicht verloren hat, etwas in ihr +geknickt, gebrochen ist, ein Versiegen der inneren Quellen +ist zu konstatieren. Den Grund davon, den Grund meines +Falles vermag ich nicht einmal zu ahnen, das Schlimmste: ich +sehe nichts, wodurch in meiner trostlosen Lage eine wenn +auch noch so geringe Änderung eintreten könnte. Weil eben +die Leere in mir eine vollständige, sozusagen planmäßige ist +bei dem beklagenswerten Fehlen irgendwelcher chaotischer +Elemente. Die Tage gleiten dahin, die Wochen, die Monate. +Nein, nein! nur die Tage. Ich glaube nicht, daß es Wochen, +Monate und Jahre gibt, es sind immer wieder nur Tage, Tage, +die ineinanderstürzen, die ich nicht durch irgendein +Erlebnis zu halten vermag.</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Wenn man mich fragte, was ich gestern erlebt habe, meine +Antwort wäre: „Gestern? Gestern ist mir ein Schuhschnürl +gerissen.“ Vor Jahren, riß mir ein Schuhschnürl, fiel ein +Knopf ab, war ich wütend, erfand einen eigenen Teufel, der +diesem Ressort vorstand und gab ihm sogar einen Namen. +Gorymaaz, wenn ich mich recht erinnere. Reißt mir heute +unterwegs ein Schuhschnürl, danke ich Gott. Denn nun darf +ich mit einiger Berechtigung in ein Geschäft treten, +Schuhschnürln verlangen, die Frage, was ich noch wolle, mit: +„Nichts!“ beantworten, an der Kassa zahlen und mich +entfernen. Oder aber: ich kaufe einem der unerbittlich: +„Vier Stück fünf Kreuzer!“ schreienden Knaben seine Ware ab +und werde von mehreren Leuten als Wohltäter angestaunt. Auf +jeden Fall vergehen dadurch etliche Minuten, und das ist +auch etwas ....</p> + +<p> +Man sage nicht, ich sei wohl besonders geschickt darin, +Langeweile zu empfinden. Das ist nicht richtig. Ich habe von +jeher die außerordentliche Fähigkeit besessen, ich war von +jeher mit dem Talent dotiert, mir die Zeit zu vertreiben, +unter allen denkbaren Beschäftigungen die exotischeste +ausfindig zu machen.</p> + +<p> +Beweis dessen: als ich unlängst in die Gansterergasse gehen +sollte, trat ich auskunftheischend an einen Wachmann heran, +obwohl mir die Lage des genannten Straßenzuges unbekannt +war. Da nun machte ich eine wichtige Entdeckung, die mir +geeignet erscheint, mehrere Weltgesetze zu erschüttern. Der +Wachmann roch nach Rosenparfum. Man bedenke: ein +parfümierter Wachmann. Welch eine <em>contradictio in adjecto</em>! +Im ersten Augenblicke traute ich meiner Nase nicht. Zweifel +an der Echtheit des Sicherheitsmannes stiegen in mir empor. +Vielleicht hatte ein geriebener Verbrecher, um den +Nachforschungen zu entrinnen, ein Usurpator sich in die +Uniform eines Polizisten gehüllt. Erst die Auskunft +überzeugte mich von seiner Echtheit. So delphisch war sie. +Jetzt galt es herauszubekommen, ob vielleicht alle +Sicherheitsleute — etwa infolge einer neuen Verordnung — +Wohlgerüche zu verbreiten hatten oder ob der Eine mit dieser +Eigenschaft allein stand und damit sozusagen auf eigene +Verantwortung handelte. Ohne Murren unterzog ich mich der +weitläufigen Aufgabe. Eine Dissertation, oder noch besser, +ein Essay: „Von den Wachleuten und ihren Gerüchen“ schwebte +mir vor ... Polizist um Polizist ward beschnuppert, zwar +kein zweiter Schandfleck seines Standes gefunden, immerhin +aber festgestellt, daß kein einziger einen englisch +gestutzten Schnurrbart besaß. Eine Beobachtung, die sich an +ähnlicher Bedeutung für die Wissenschaft nur mit einer +andern messen kann, die zu machen mir vor kurzem nach +unsäglicher Mühe gelang. Nämlich daß kein einziges Säugetier +grün gefärbt ist.</p> + +<p> +Ob jener Polizist durch ein Dienstmädchen oder +anderweitig-eigenes Verschulden zu seinem Geruche kam, dies +festzustellen mangelte mir der Mut. Und aus der Abhandlung +<em>„De odoribus polyporum“</em> wurde nichts. Ich traute mich nicht, +ihn zu fragen. Weil ein Sicherheitsmann, der nach Rosen +roch, ein so außerordentlicher Sicherheitsmann, wenn nicht +den „Raskolnikow“, so doch ganz gut „Schuld und Sühne“ +gelesen haben konnte. Und wissend, welch spannenden Kitzel +es manchem Verbrecher bereite, sich zu martern und die +Behörden zu eludieren, mich dann einfach als einen den +Schauplatz seines Frevels frivol umkreisenden Missetäter +verhaftete. Und mir das Geständnis, das beschämende +Geständnis meiner Unschuld bevorstand.</p> + +<p> +Ähnliche Feigheit, wie dem Wachmann gegenüber, verhinderte +mich auch, andere Rätsel völlig zu lösen, die zu wittern, +denen nachzugehen mir einzige Beschäftigung und Lebensinhalt +ist. Auf meinen Streifgängen kam ich oft an einer Gemüsefrau +vorbei, einem Weibe mittleren Alters von ordinärem Aussehen +und realistischer Ausdrucksweise. Sie führt hauptsächlich +grüne Erbsen. Eine Kunde, die von diesem Artikel gekostet +hatte, dann aber achselzuckend fortging, ohne zu kaufen, +erhielt von ihr Titel, die denen irgendeines orientalischen +Herrschers weder an Berechtigung noch an Mannigfaltigkeit +nachstanden. Aber ein alter Spatz nascht täglich ungestraft, +nie verscheucht von den Erbsen, pickt die Schoten an und +schmaust die Körner, und noch nie hatte ich die Courage, die +Grünzeughändlerin zu fragen, ob sie vielleicht Witwe sei. +Denn der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen: der Spatz +ist niemand anderer als ihr verstorbener Gatte, der sie +besuchen kommt und — o ahnungsvolles Unterbewußtsein — von +ihr gefüttert wird!</p> + +<p> +Infolge meiner Schüchternheit werde ich niemals Klarheit +darüber erringen ....</p> + +<p> +Ebensowenig über das Schild eines Schusters. „Engelbert +Kokoschnigg, bürgerlicher Schuhmachermeister zu den zwei +Löwen. Gegründet 1891.“ Welträtsel sind schwer zu lösen. +Wochenlang zermarterte ich mir vergebens den Kopf, warum +wohl der ehrsame Handwerker dieses doch nur einem Wirte +zustehende Schild führe. Sollte durch diesen Übergriff die +vermutlich mit der Geschäftsgründung zusammenfallende +Eheschließung verherrlicht werden und einer der brüllenden +Löwen die Schusterin sein? Oder war in jenem Jahre ein +Dompteur von Weltruf in Wien gewesen, in den Strudel seiner +Berühmtheit auch diese Bürgersleute reißend?</p> + +<p> +Wenn ich diesem unerträglichen Dilemma ein Ende machen, den +Meister selbst ungestraft interviewen wollte, müßte ich mir +unbedingt bei ihm ein Paar Schuhe machen lassen. Und das +wäre wiederum, abgesehen von meinem immer chronischer +werdenden Mangel an gebräuchlichen Zahlungsmitteln, +schwarzer Verrat an meinem Leibschuster, dem alten Peter +Kekrewischy, der mir schon so oft mit seinen Erzählungen die +Zeit vertrieben hat. Gut, er und seine Werke sind etwas +altväterisch, er grüßt noch: „Mein Kompliment!“ und wenn ich +etwas von ihm haben will, sagt er: „Ja, mein Herzerl!“ Aber +er ist gütig wie der Kanarienvogel, der in seiner +Kokosnußschale uns lauscht, mit seinem Gesang unterbricht +und sich dann durch einen zuckerwärts geführten Schnabelhieb +belohnt. Und die Reden des Schusters sind auch wie ein +Gesang, wie ein leiser Gesang der Resignation. In +Klausenburg ist er geboren, das Untergymnasium hat er dort +absolviert, war der beste Schüler, dann ist ihm der Vater +gestorben und der Vormund, ein Fleischhacker, hat ihn nicht +weiter studieren lassen. In den Ferien mußte der Knabe in +der Fleischbank mithelfen, und als er dann zum +Gymnasialdirektor ging, wollte ihn der nicht aufnehmen, weil +die Mitschüler einen, der Fleisch ausgetragen, ewig hänseln +würden, und auch die Anstalt das Dekorum zu wahren habe ... +Der Vormund hat ihn dann zu einem Schuster in die Lehre +gegeben, weil die Fleischerburschen ein Gymnasiasterl nicht +unter sich dulden wollten, und ihm selbst der Beruf viel zu +ekelhaft gewesen sei. Gar das Blutvergießen! Aber im Jahre +48, wie die Klausenburger auch ihren Rummel haben mußten, +hätte er doch tüchtig mitgetan, allerdings bei der +Musikbande ... Ein Mitschüler, der schlechtere Noten hatte +als er, wurde Direktor der Wiener Sternwarte, und ein paar +Schritte von ihr entfernt, sitzt in einem pappriechenden, +finsteren Kammerl ein Mann, dessen Frau bedienen geht, +dessen einzige Tochter in Agram verheiratet ist, ein Mann, +zu alt, zu sanft, zu arm, um sich einen Gehilfen halten zu +können, ein Mann, der nach vielem Bitten froh sein muß, wenn +ihm die Kunden seiner langsamen Arbeit wegen nicht +weitergehen ... Jetzt hat ihm die Frau einen kleinen +Nebendienst verschafft. Täglich sehe ich den schwachen Mann +mit seinen zitternden Händen eine Gelähmte spazieren fahren. +Dafür kriegt er etwas Kleingeld und darf sich dann am +Sonntag nicht etwa ein Gläschen Wein gönnen, nein! aus der +Bibliothek der Gelähmten ein Buch aussuchen und die +halbblinden Augen durch den kleinen Druck ganz +zugrunderichten, während ein anderer: Hofrat, Baron, Komtur +des Franz Josefsordens etc. dafür bezahlt wird, daß er die +ewigen Sterne auf die Erde herabzieht, in einem leibhaftigen +Fiaker fährt, geradezu in Saus und Braus lebt — aus keinem +anderen Grunde als weil er keinen Vormund besaß, der +Fleischhauer war ...</p> + +<p> +Dies ist mein einziger Verkehr, ein alter Schuster und, +richtig! noch ein zugrunde gegangener Huterer, an dem nichts +bemerkenswert ist, außer daß er mit dem Kaiser Max nach +Mexiko geriet. Er weiß von diesem Lande sonst nichts zu +sagen, als daß es dort sehr heiß war. Nichtsdestoweniger ist +er in meinen Augen ein Mann von Bedeutung, ich habe keinen +in meiner Bekanntschaft, der weiter herumgekommen wäre als +er ... und etwas exotisches weht um ihn, wenn er sagt: „Ja, +in Veracruz!“ und ich ihn pflichtgemäß frage, was es denn an +diesem Orte gegeben habe, und er dann seinen einzigen Witz +macht: „Ja, in Veracruz, da hams keinen so guten Sliwowitz +g'habt wie hier.“ ... Ich bin gehalten, darüber zu lachen, +darf es mir mit ihm nicht verderben. Er ist Armenrat, und +vielleicht setzt er es doch endlich durch, daß ich Wiener +Bürger werde. Ich könnte die kleine Pfründe dereinst gut +brauchen ...</p> + +<p> +Einen Bekannten hatte ich noch, einen o-beinigen Doktor +<em>philosophiae</em>, der auch den Abiturientenkurs der +Exportakademie hat und unglaublich viel Sprachen kann. Er +heißt Schmecker, ist bei der Zentralbank in Kondition, +strebert was Zeug hält und gönnt sich keinen Urlaub. Ich +meinte deswegen einmal zu ihm: „Ja, mein Lieber, es hat auch +seine Schattenseiten, wenn man als Bankdirektor enden will.“ +Bankdirektor wird er wirklich werden, aber das „enden“ hat +ihm die Freude im vorhinein versalzen, und wenn er mich von +weitem sieht, komm ich näher, schaut er weg.</p> + +<p> +Früher besaß ich auch einen entfernten Verwandten, den +Agenten Norbert Schigut. Einmal traf er mich unangemeldet +auf der Straße und teilte mir ohne jede Aufforderung — +offenbar wollte er allen Gerüchten zuvorkommen — in einem +triumphierenden Tone mit, seine Frau sei ihm zwar +unlängst durchgegangen, bald aber wieder reuig zu ihm +zurückgekehrt. Ich sagte, das komme oft vor. Auch ich hätte +zuerst mit Stahlfedern geschrieben, sei dann zur Füllfeder +übergegangen, um enttäuscht wieder auf die Stahlfeder +zurückzugreifen, ohne deswegen die Hoffnung aufzugeben, +dereinst in den Besitz einer Schreibmaschine zu gelangen. Er +erwiderte arglos, das hätte wohl in der schlechten Qualität +der Füllfeder seine Ursache gehabt und träfe es sich direkt +ausgezeichnet, daß er gerade jetzt die Vertretung einer +erstklassigen amerikanischen Füllfedermarke besitze. Ich +bekam einen unendlichen Lachkrampf, überlegte noch, ob ich +mir nicht ein Bisserl von dem Lachen einwickeln und für die +Tage der Trostlosigkeit aufheben solle, da ging auch schon +der komische Mensch fort, beleidigt, als hätte ich ihn durch +mein Gelächter in seiner — kaufmännischen Ehre angreifen +wollen. Seitdem sind wir nicht mehr verwandt.</p> + +<p> +Allein irre ich in der großen Stadt umher. Niemand schenkt +mir Beachtung. Höchstens hie und da ein auf dem Dache eines +vorbeifahrenden Geschäftswagens ängstlich herumlaufender +Pintscher, der bellt mich an. Ich hätte oft Lust +zurückzubellen. Leider verbietet das der Anstand. Man muß +das Dekorum wahren. Und so kann ich auch zu diesem Pintscher +nicht in nähere Beziehungen treten.</p> + +<p> +Früher habe ich geschrieben. Aber als ich das letztemal +einen Blick ins Tintenfaß warf, lagen darin zwei Fliegen. +Ertrunken.</p> + +<p> +Was da vorgefallen war, ein Doppelselbstmord aus Liebe ... +oder ein Absturz in den Glasbergen infolge ins Rollen +geratener Staubkörner ... das ließ sich nicht mehr eruieren. +Das Wort: „Ruhm“ zerbarst mir; wer weiß was diese Fliegen +für ihr Volk gewesen waren! Ein Grauen überkam mich, es +abzuschütteln ging ich ins Freie, geriet in die Nähe der +Kahlenbergbahn und sah — neben dem einem Bahnbediensteten +gehörigen ärmlichen Hause — auf einem Misthaufen einen alten +und einen jungen Hahn miteinander um die Weltherrschaft +kämpfen. Ganz hingenommen von diesem Ereignisse ging ich +heim, und wunderte mich am nächsten Morgen sehr, in keiner +Zeitung die kleinste Notiz über diesen Gigantenkampf um die +Hegemonie auf dem Düngerhaufen zu finden. Gar die Nachricht +von dem erschütternden Ableben der beiden Fliegen dürfte +überall erst nach Schluß des Blattes eingetroffen sein.</p> + +<p> +Die zwei Hähne hatten ihren Kampf mit dem Aufgebot aller +Kräfte geführt, es war keiner jener betrügerischen +Schauringkämpfe gewesen, alles war gewiß ehrlich zugegangen +und doch kein Wort! Vielleicht ebendeswegen ... Sohin hätte +eigentlich für mich die Verpflichtung bestanden, alle +Blätter der Welt zu berichtigen. Aber bei dem diametralen +Gegensatze der Weltanschauungen, der mich von den +Herausgebern illustrierter Publikumszeitschriften trennt, +bei der Verschiedenheit der Dinge, die sie und ich wichtig +zu nehmen organisiert sind, war es ziemlich fraglich, ob ich +mit meiner Ansicht durchdringen würde. Ja, wenn die +abgestürzten Fliegen Besitzer eines Powidlbergwerkes gewesen +wären und Pollak geheißen hätten, die Hähne .. der +österreichische Vorkämpfer, Schachmeister Papabile, und der +andere der präsumtive <em>champion of the world</em> ... dann hätte +man sich nicht auf die Straße wagen können, ohne bei jedem +zweiten Schritt aus dem Hinterhalte der Trafikenauslagen von +den Alltagsgesichtern dieser Heroen angeglotzt zu werden +.... Bleiben wir lieber für uns und erledigen selbst unsere +Angelegenheiten. Bezüglich der Hähne konnte ich ja nichts +mehr veranlassen, es wäre auch mir, dem Autor, ferngelegen, +etwa Partei zu nehmen und gewaltsam in den Gang der Schlacht +einzugreifen. Ebenso fern wie etwa den Schlummer der zwei +ins bittere Tintenfaß des Todes gefallenen Fliegen durch +eine Exhumierung und darauffolgende Feuerbestattung zu +entweihen .. Ich beließ sie an dem Ort, wohin sie das +Schicksal geworfen. Bei dem Unbekanntbleiben kühnster +Heldentaten wird niemanden mein Entschluß überraschen: +alles, was ich in Hinkunft noch aufzuzeichnen habe, um es +sozusagen noch vergänglicher zu machen, mit Bleistift +niederzuschreiben; eher kann man mir Selbstsucht nachweisen +in meinem pietätvollen Vorgehen den Fliegen gegenüber. Denn +was kann besser zu meiner Stimmung passen als der für +andere, robuster geartete vielleicht gar nicht wahrnehmbare +Geruch ihrer Verwesung?</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Jetzt habe ich einen Anlauf genommen und mir ein +Straßenverzeichnis gekauft. Ich hätte das schon früher tun +sollen. Leute wie ich, deren Schwerpunkt außer ihrem Selbst +liegt, irgendwo im Universum ... jedem Eindruck hingegeben +sind wie Wachs ... die müssen ihr Sensorium unaufhörlich +füttern und sei es mit Geschäftsschildern, um über die +gähnende Leere hinwegzukommen.</p> + +<p> +Ich reise im Kleinen. Tirol ist ein schönes Land, aber es +werden dort bald die Baedeker auf den Bäumen wachsen, und +die meisten gar reisen, indem sie ihr Milieu mitnehmen ... +in Form ihrer Verwandten und Freunde. Überhaupt ist es ganz +gleichgiltig, wohin wir reisen: wir gehen ja mit. Können uns +nicht zu Hause lassen. Diese Art zu reisen behagt mir nicht. +Wenn schon, dann aber in die Zeit. Ich möchte einen Herrn +aus dem 14. Jahrhundert sprechen, ich möchte dem Herrn +Menemptar meine Aufwartung machen, dem altägyptischen +Dichter, vokalgewaltigen Lyriker, weltberühmten Verfasser +des Hymnenzyklus „An das Nilkrokodil“, bin aber leider so +sehr außer aller Form, daß ich durch keine Vision oder +Halluzination den Wackern vor mich zwingen kann. Techniker! +her mit der Zeitbahn. Nein, bevor nicht ein Kondukteur ... +mit dem Globus an der Uhrkette ...: „Cambrium! Aussteigen!“ +ruft, früher tu ich nicht mit. Oh, auch dann nicht, denn +kaum so etwas existiert, ist auch der Herr Pollak dabei und +läßt im Cambrium seine Butterbrotpapiere liegen. Und das hat +es wirklich nicht verdient. Ich sehe schon, es ist besser, +ich gehe hier spazieren, auf der Linzerstraße, weil das die +zweitlängste Gasse von Wien ist ... Ich möchte auch die +zweitlängste Gasse von Wien sein ... mir wäre dann +leichter.</p> + +<p> +Was es zu sehen gibt? Nicht viel. Neben einem Laden, in dem +Regenschirme feilgehalten werden, steht ein +Literaturverschleiß, Papierstreifen posaunen den Ruhm des +Buches der letzten Tage, nebenan andere das endliche +Eintreffen der neuen Heringe. Die einen mögen das eine +geniale Einrichtung der nichtorientalischen Großstadt +nennen, die übrigen, Ländlichen, über diese Unordnung +verrückt werden. Ich aber weiß nicht, welches die +Regenschirme, welches die Bücher und welches die Heringe +sind: vor meinen Augen verschwimmen alle Unterschiede, sie +werden mir zu minimal, als daß ich in den scheinbar so +diversen Gegenständen mehr als geringfügige Abstufungen ein +und derselben Materie zu erblicken vermöchte ... +Abstufungen, die ewig wiederkehren, während bloß die +menschliche Ausdrucksweise wechselt. Denn sage ich, ein Buch +aus der Hand legend: „Diesen Hut muß ich schon irgendwo +gesehen haben“, oder bringt mich das Verzehren eines +falschen Hasenbratens auf die Idee, daß ich es hier mit +einem Modetalent zu tun habe, das solcher Anschauungsart +begrifflich und stofflich zugrundeliegende ist und bleibt +ein und dasselbe, sonst wäre sie unmöglich. Man glaubt, ich +sei paradox? Ich habe bloß von einem Betrunkenen +gelernt.</p> + +<p> +Es war Abend, ich ging die Linzerstraße retour, um mir die +Häuser auch in umgekehrter Reihenfolge zu merken, da +stolperte eine schwankende Gestalt auf mich zu und fragte: +„Wo san mer denn doda?“ Ich entgegnete ihm, wir befänden uns +auf der derzeit zweitlängsten Gasse Wiens, auf der +Linzerstraße. „Dö gibts ja gar net“, scholl es zurück. „Sie +haben gewiß zuviel Schopenhauer konsumiert, guter Mann!“ „Da +schneidens eahna aber gründli, dös war Zöbinger Riesling“, +entgegnete der nur von Herrn Pallenberg darzustellende +Unbekannte, und ich sann darüber nach, ob nicht vielleicht +auch Schopenhauer, von Dionysos hinweggerafft, auf seine +berühmte Theorie gekommen sei. Ähnlich wie ihn angeblich +Lord Byron, ihm vorgezogen, zum Weiberfeind gemacht haben +soll. Die Theorie des Betrunkenen hatte etwas für sich, denn +wirklich: nahm man der Linzerstraße die Zeit weg, dann blieb +nichts übrig als Materie, die sich hie und da den Spaß +erlaubte, sich aus dem Cambrium in die zweitlängste Gasse +Wiens zu verwandeln ... „Wo san ma denn jetzt?“ fragte eine +mühsame Stimme. „Auf der Linzerstraße“, ärgerte ich mich. +„Scho wieder!“ war die Antwort ... man mußte vermutlich +herben Weines voll sein, um das Gesetz von der ewigen +Wiederkehr des Gleichen zu entdecken. Weiser und +Wahnsinniger, Wahnsinniger und Betrunkener — wo ist da der +Unterschied? Ist es mit der Weisheit der großen Philosophen +nicht so weit her, jener Bazillus, der Weisheit erregt, am +Ende nicht sonderlich verschieden von anderen, nicht so +renommierten ... oder sind die orphischen Urworte der Herren +nur umso wahrer, weil sie sich jeden Augenblick aus dem +durch nichts gehemmten Unterbewußtsein eines vom Weine +Entrückten ergießen konnten? ... Der große Unbekannte machte +Halt, und versuchte eine Laterne am Umfallen zu verhindern +... ich Tor ging weiter — später allerdings bedauerte ich +es, mich nicht mit ihm in ein lehrreiches Gespräch +eingelassen zu haben, um, wenigstens! zu erfahren, wieso er +auf die Vermutung gekommen sei, die Linzerstraße existiere +nicht. Damals, erfüllt von der Freude, von jemandem eines +Gespräches gewürdigt worden zu sein, Freude über dies für +meine Verhältnisse große Erlebnis, ging ich mit schnellen +Schritten heimwärts ... vielleicht aus Furcht, von einem +Wachmann bei dem Betrunkenen ertappt und als Dieb verhaftet +zu werden.</p> + +<p> +Kein Policeman erschien. Aus Vorsicht. Denn es strolchten +Plattenbrüder herum, streiften mich nicht ganz +rücksichtsvoll und da der Abend so von Abenteuern gestrotzt, +hatte ich mich mit dem Gedanken eines nächtlichen Überfalls +vertraut gemacht und war bereits entschlossen, dem nächsten +Bedrohlichen zuvorzukommen und ihm aus freien Stücken meine +Geldbörse und Uhr entgegenzuhalten, mit dem Wunsche, er möge +sich fürderhin ihrer bedienen ...</p> + +<p> +Es wäre für mich nichts Leichtes gewesen, mich von meiner +Uhr zu trennen, der Quelle unzähliger kleiner Lustbarkeiten. +Denn wie oft habe ich in einem Park, wenn es mir zu ermüdend +wurde, einen der alten Herren zu beobachten, welche den +ball- oder diabolospielenden Kindern zusehen ... die Zeit zu +gerinnen begann und in die Ewigkeit zu kreisen schien, wie +oft habe ich mich da einem der Knaben genähert und ihm +zugeredet: „Möchten Sie nicht die Güte haben, mich zu +fragen, wie viel Uhr es ist?“ ... Ich glaube, man kann die +Höflichkeit unmöglich weiter treiben. Die alten Herren +wenigstens drückten durch Stockbewegungen ihr Befremden aus, +aber ihr Betragen kümmerte mich nicht, sie waren ja meine +Konkurrenten, was das Zeitbieten anlangt ... ... und wenn +mir ein mutiger Knabe meine Bitte gewährte, was ja manchmal +geschah ... dann ließ ich den Deckel springen und gab +chronometrisch genau an, wie weit der Tag vorgeschritten war +... und mein Vergnügen darüber war nicht geringer als das +eines Gefirmten, der zum erstenmal als Zeitkünder +funktioniert ... Es läßt sich daher begreifen, wie ungern +ich die Uhr weitergegeben hätte, einen für den Betrieb +meines Geschäftes unumgänglich nötigen Gegenstand ... +Möglich, daß die Strolche justament nicht wollten: +vorbeifahrende Straßenpflüge und ihre Lenker, in deren Nähe +ich mich hielt, brachten mich in Sicherheit und überhoben +mich der Ausführung meines Planes ...</p> + +<p> +Wenn einmal ein Tag ereignisreich anfängt, nimmt er +gewöhnlich einen nicht minder lebhaften Verlauf: Kanalräumer +hoben die Gitter aus und schickten sich herkulisch an, in +die Unterwelt hinabzusteigen. Bei ihrem Anblick brach in mir +eine alte Wunde auf, die unstillbare Sehnsucht ward in mir +wach, Kanalräumersgattin zu sein. Die meisten anderen Frauen +ehebrechen des Tages, sie aber können — ohne Gefahr zu +laufen, ertappt zu werden — diesem ihren Berufe des Nachts +nachgehen. Ich empfehle dieses Thema der Beachtung unserer +Dramatiker. Überlasse es ihnen großmütig. Wie ich auch sonst +die heimische Industrie zu unterstützen gesonnen bin +....</p> + +<p> +Nein, der Hausmeister, der mich solang warten läßt, soll +nicht mehr über mich zu klagen haben. Als er seinerzeit auf +meinem Meldezettel unter der Rubrik: Religion +„Griechisch-paradox“, unter: Beschäftigung las, ich strebe +eine kleine Anstellung beim <em>Chorus mysticus</em> an, +soll er in die Worte ausgebrochen sein: „A so a Kampl hat im +Dreirösselhaus, was i und meine Frau denken, no nie net +gwohnt.“ Er soll nicht zu reden haben. Ich will mich +vermittels des Straßenverzeichnisses ernsthaft auf die +Fiakerprüfung vorbereiten. Oder noch besser: ich gedenke +unter die Erfinder zu gehen. Was ich erfunden habe? Ich +werde mir mein Tintenfaß als Fliegenfänger patentieren +lassen. Ich teilte die mit mir vorgegangene Wandlung sofort +dem Hausmeister mit. Er sah mich verschlafen und unsicher +an, nach Erhalt des Sperrsechserls wünschte er mir sogar: +„Gute Nacht!“, und holperte auf seinen Schlapfen bettwärts. +Aber auf seiner Denkerstirn stand geschrieben: „Was san Sö? +Schlafens eahna erst eahnern Rausch aus!“ ..... Erfinder? +Das schließt nicht aus, daß ich mich vielleicht schon morgen +in die Kleidung eines Cabkutschers oder eines +Karfiolslowaken hülle, die Bekanntschaft einer Kanalräumerin +zu machen trachte, und ihre eheliche Treue einer Probe +unterziehe .... Nein, das werde ich nicht tun, ich fühle +nicht mehr die Kraft dazu in mir. Der zweifelnde Blick des +Hausmeisters hat alle meine Energie hinweggenommen. Und als +ich im Schein des zusammensinkenden Wachsstengels aus der +Visitkarte, die auf der Tür meines Kabinetts mit separiertem +Eingang prangt, ersah, daß ich der Herr Karl Tubutsch war, +da sagte ich leise, niedergeschmettert, nichts als: „Scho +wieder!“ ....</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Oft in der Nacht fahre ich auf. Was ist? Nichts, nichts! +Will denn niemand bei mir einbrechen? Alles ist +vorausberechnet. O, ich möchte nicht der sein, der bei mir +einbricht. Abgesehen davon, daß — meinen Stiefelknecht +Philipp und vielleicht noch ein Straßenverzeichnis +ausgenommen — bei mir nichts zu holen ist, ich gestehe es +offen und ehrlich: ich kenne den Betreffenden zwar nicht im +geringsten, aber ich habe es auf den Tod des armen Teufels +angelegt. Das Federmesser liegt gezückt, mordbereit auf dem +Nachtkastel. Philipp, der Stiefelknecht, wacht wurfgerecht +darunter ... will denn niemand bei mir einbrechen ... ich +sehne mich nach einem Mörder.</p> + +<p> +Wenn ich wenigstens Zahnschmerzen hätte. Ich könnte dann +dreimal „Abracadabra“ sagen, auch das heilige Wort „Zip-zip“ +dürfte die gleiche magische Wirkung haben ... und wenn es +mit den Schmerzen selbst dann nicht besser würde, möchte ich +keineswegs zum Zahnarzt gehen, nein, die Schmerzen hegen und +pflegen, sie nie erlöschen lassen, immer wieder wachrufen. +Es wäre doch wenigstens ein Gefühl! Aber meine Gesundheit +ist unerschütterlich.</p> + +<p> +Daß irgend ein Leid seine Krallen in mich schlüge! ... Nur +die andern, die Nachbarn haben dies wenig gewürdigte Glück. +Hier im Haus wohnt ein behäbiges Ehepaar, beide verdienen +hübsch, sie ist erste Verkäuferin in einem großen +Modewarenhaus, er Oberpostkontrollor, sie haben ein einziges +Kind und lassen sich nichts abgehen. Unlängst ist ihm der +Vater gestorben, den er schon zwanzig Jahre bei sich wohnen +hatte. Es war in den Ferien, die Leute hätten also Zeit +gehabt. Und diese Unmenschen beraumen das Begräbnis für den +Vormittag an, stehen in aller Früh auf, damit sie vor halb +acht Uhr mit der Elektrischen um sechs Kreuzer auf den +Zentralfriedhof fahren können!</p> + +<p> +Wenn mir wer gestorben wäre, den rechtschaffen zu betrauern +ich so Ursache hätte, ich hätte mir zumindest einen Fiaker +spendiert. So ist es: den Menschen, die nicht trauern +wollen, sterben die Verwandten ... mir jedoch ... ich darf +nichts erleben, bin sozusagen ein Mensch, der in der Luft +steht ....</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Sechs Kinder sitzen friedlich und brotessend rund herum um +einen der Pflasterung beflissenen Straßenarbeiter, drei +rechts, drei links, und staunen seinem Werke zu; ich möchte +mich auch daneben hinsetzen, schon um die darüber +entstehende Verwunderung und Verlegenheit des lieben +Straßenräumers zu genießen. Unmöglich. Bei dem heutigen +Stande der ärztlichen Wissenschaft würde man mir gewiß meine +wirklich bescheidenen Freuden durch eine kleine Internierung +stören ....</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Ich nehme mein Diner täglich in einer Würstlerei ein. Es +kommen immer so ziemlich dieselben scharfgeschnittenen +Gesichter hin, Kommis, gehetzt und eine Zigarette im Mund, +hastige Modistinnen, die nicht einmal so viel Zeit haben, +ein Sacktuch fallen zu lassen, wenn es nötig ist ... arme +alte Leute, Reisende oder Fremde, von denen irgend ein +Körperteil etwas im Krankenhaus zu tun hat ... es kennen +mich fast alle Besucher schon ... bis auf den buckligen +Hausierer, der hie und da durchgeht und +Zündhölzelschachteln, Bleistifte, Manschettenknöpfe, +Briefpapier und Hosenspanner an den Tischen herumbietet. Wie +gesagt, die Menschen kennen mich, aber würde es einem aus +der Gesellschaft einfallen, mich zu fragen, warum ich in +roten Glacéhandschuhen esse? Und ich esse doch nur deshalb +in Handschuhen, damit man mich fragt und ich antworten kann: +„Ich pflege mir in der Zerstreutheit die Nägel zu beißen und +damit das nicht geschieht, und sie ruhig wachsen und der +Vollendung entgegen reifen können, trage ich Handschuh ...“ +Ich habe mir die Glacéhandschuh vergebens gekauft. Sie +halten mich entweder für zu verrückt oder für zu fein, als +daß sie es wagen würden, mich anzusprechen .... Niemand +forscht mich aus, nicht einmal Thekla, die bleiche, +schwarzlockige Kellnerin, die mich täglich fragt, ob ich +Gurken, Senf oder Krenn zu den Würsteln dazu haben wolle ... +Thekla, der ich immer drei Kreuzer hinschiebe, nicht einmal +sie erleichtert mein Gemüt durch eine so naheliegende Frage, +obgleich sie doch gewissermaßen dazu verpflichtet wäre.</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Ich fürchte, das wird noch einmal traurig mit mir enden. Ich +gleite in immer zweideutigere Sphären herab. Gewiß: Leute, +die mit <em>moral insanity</em> begnadet sind, Verbrecher, +von dem großen Kannibalen Napoleon angefangen bis zu dem +kleinen Kind, das eine Zwetschke stiehlt und, von dem +Söhnchen des Greislers verfolgt, zuerst „Mutter!“ ruft, dann +aber, jedenfalls die Beute zu sichern, sie in den Mund +steckt, sie alle sind von der Natur mit Recht begünstigte +Wesen, meist mit Gewissensmangel und jede Reue +ausschließender Gedächtnisschwäche gepanzert; auch das, was +darwinferner Schwachsinn den Materialismus unserer Zeit +nennt, der Amerikanismus, die bewunderungswürdigen +Trustlöwen, sie sind moralisch berechtigt wie die Verzehrung +von Ochsen, die Existenz von Kameelreitern beim +Vorhandensein von Reitkameelen. Was man aber nicht zu +rechtfertigen vermag, ist: anderen Leuten die kostbare Zeit +stehlen und Unheil stiften, ohne selbst daraus Nutzen zu +ziehen. Aus langer Weile, um unter Menschen zu kommen und +sie kennen zu lernen, bin ich zu Prinzipalen hinaufgegangen, +die annonciert hatten ... mich vorstellen als Hausknecht, +Mittelschullehrer, Buchhalter, Graveur, Korrespondent, +Hofmeister, Kammerdiener etc. Und nach langem unklaren Hin- +und Herreden, bis die Leute ganz verwirrt waren, empfahl ich +mich stets mit den Worten, ich wolle es mir überlegen und +eventuell ein zweitesmal vorsprechen. Ein Nachsichtiger +könnte das vielleicht noch einen relativ harmlosen Ulk +heißen. Verwerflicher, boshafter, heimtückischer ist es +schon, wenn sich einer absichtlich auf den den Liebespaaren +geweihten Bänken niederläßt, nichts dergleichen tut, wenn es +noch hell ist, Zeitung liest und die Verzweifelnden zum +Aufbruch nötigt ... bei der geringen Anzahl der +Sitzgelegenheiten gleicherweise gehaßt von den tschechischen +Ammen, die sich nur auf den Bänken des Kaiser Wilhelm-Rings +schwängern lassen ... von den langen Bosniaken des +Votivparkes wie von den Deutschmeistern der Augartenanlagen +gefürchtet, dieses Spiel bis tief in die Nacht hinein +fortsetzt. Angeblich um Daten zu sammeln für eine Statistik +über die Zeit, die zwischen dem ersten Kuß und der +Umarmungspremiere verläuft ....</p> + +<p> +Man wird fragen, warum ich nicht diese schalen Vergnügungen +sein ließ und mir nicht selber etwas leichteren Zeitvertreib +gönnte? Hat es schon sein Vorteilhaftes, Besitzer eines +Hundes zu sein, wegen der Fülle der damit verbundenen +zeitverzehrenden Beschäftigungen, wie weit werden diese +simplen und harmlosen Genüsse, die ein armseliges Tier zu +gewähren vermag, durch jene überstrahlt, welche die +Gesellschaft eines Weibchens verschafft. Ich wende ein: wenn +selbst ein homerischer Held satt wird „des Schlafes sogar +und der Liebe, auch des Gesanges und fröhlichen +Reigentanzes“, was für Gefühle und Müdigkeiten soll da erst +unsereiner zu registrieren haben? Noch gellen mir in den +Ohren die in den Momenten der Verzückung hervorgestoßenen: +„Ah“, „Oh“, „Jessas“ und „Hast du mich auch wirklich lieb“ +der Wienerinnen — wenn es Lyrikerinnen sind, sagen sie +vermutlich: „Tandaradei!“ ... Die „Jaj“, “Joj“ und „Juj“ der +Ungarinnen, ich höre sie, auch wenn ich mir die Ohren +zuhalte. Die Berlinerin sagt: „Schmeckt schön!“ Die +einzigen, die nichts redeten, waren die Zigeunerinnen; aber +man tat gut daran, wenn man sich ihnen in Liebe nahte, die +Uhr zuhause zu lassen ... und konnte dann noch von Glück +reden, wenn <em>Trántire</em> und +<em>Chnarpe-diches</em> einen nicht als Vater ihrer Kinder +angaben, die von rechtswegen dem ganzen Offizierskorps der +nächsten Garnison hätten ähnlich sehen sollen ... Ja, noch +eine war so vernünftig gewesen, zu schweigen ... Marischa, +die Frau des Dorfrichters von Popudjin. Sie liebte, wie sie +sich einen Riegel Brot abschnitt. Alle ihre Bewegungen waren +von einer maschinenmäßigen Sicherheit. Ewig unvergeßlich +wird es mir bleiben, wie wir uns zum erstenmal fanden. Es +war am Morgen nach ihrer Hochzeit, von der ich nichts wußte, +sie, mir unbekannt, mähte auf taufeuchter Wiese, im +Vorwärtsgehen sich in den Hüften wiegend ... die kurzen, +ihre Waden freilassenden Röcke kamen nie aus dem Schwung ... +ich schlenderte vorbei und konnte es nicht unterlassen, mich +zu ihr zu neigen, und dem schönen, frischen Weib blühende +Wangen und Kinn zu streicheln. Sie wurde rot, wehrte mir +aber nicht: der Tod stand hinter mir, der Bauer mit der +Sense. Und ich hatte noch die Geistesgegenwart, zu sagen: +„Frau, also ich darf mir heut Nachmittag die Maulbeeren in +ihrem Weingebirge selbst holen?“ Der Bauer glotzte wie ein +Ochse. Sie, sich noch tiefer bückend, als wolle sie mir +etwas auf den Boden Gefallenes suchen helfen, bejahte, und +am Nachmittag waren im Weinberg nicht bloß die Maulbeeren +anwesend ... Und wenn ihr Mann und ihre Mutter auf der +Wallfahrt weg waren nach Sassin, dann ließ sie mich's wissen +und ich schlich zu der Stallduftenden ins Zimmer, dann in +der Dunkelheit, im Hof mich in acht nehmend vor dem +Düngerhaufen rechts und der Jauche links, nachhause — die +gefahrvolle Liebe zwischen Jehangir Mirza und der Maasumeh +Sultan Begum zu besingen ... Die Begeisterung aber mußte +bald erlahmen bei dem niederdrückenden Widerstreit +kleinlicher Schicksale mit ungeheuren Gefühlen und +Vorstellungen; es ist ja auch ökonomisch auf die Dauer +unmöglich, Ambrosia zu fabrizieren, während man selbst Kot +fressen muß ... Außerdem die unglückliche Begabung, selbst +bei dem geliebtesten Weibe das Skelett zu sehen, wodurch +wohl die Umarmung ein oder das andere Mal schluchzender +werden kann, schließlich aber maßloses Grauen mich vom Weibe +scheiden mußte ... man gehe mir mit der Liebe! Eher möchte +ich mir einen Hund halten. Die Hausmeisterin, kinderlos, hat +einen, den ich hochschätze. Junger Zwergbulldogg, hält im +Hof Cercle unter den Kindern; wenn sie ihm Rüben, Kalbsleber +oder Würsteln bringen, hört er auf die Namen Schnudi, Puffi, +Bubi und noch einige andere. Will wer bloß schön tun mit +ihm, ignoriert der Yankee alle Zurufe, wird man +zudringlicher und ist man etwa eine alte Witwe, die ein +Rosamascherl an seinem Hals befestigen möchte, knurrt er +Warnung und schnappt zu. Seine unbegrenzte +Reaktionsfähigkeit, sein jugendfrisch-stiermäßiges Zufahren +auf jedes ihm vorgehaltene Taschentuch oder Papier, nicht +zum letzten seine vorbildliche Selbstgenügsamkeit haben ihn +zu meinem Ideal gemacht. Er vermag es, stundenlang +dazuliegen und ohne jede Spur von langer Weile ein und +denselben Knochen zu hypnotisieren, empfindet kein Bedürfnis +nach irgend einer Wandlung, kein Lehrer sagt ihm ironisch: +„Sie werden es noch weit bringen“, er weiß es so tief, daß +es ihm gar nicht mehr zum Bewußtsein kommt: niemand kann es +weiter bringen als zu sich. Ich jedoch muß, wenn es mir zu +fad wird, „Ich“ zu sein, notgedrungen ein anderer werden. +Gewöhnlich bin ich Marius und sitze auf den Ruinen von +Karthago; manchmal aber bin ich der Fürst Echsenklumm, +unterhalte Beziehungen zu einer Opernsängerin, gewähre dem +Chefredakteur Armand Schigut bereitwilligst ein Interview +über den Handelsvertrag mit Monaco, verbiete meinem +Kammerdiener Dominik — dargestellt durch den Stiefelknecht +Philipp — jemanden vorzulassen, die Baronin Zahnstein +ausgenommen ... und kaum mir das ewige Durchlaucht hin, +Durchlaucht her auf die Nerven geht, werde ich eine +gefeierte Diva, haue meinem nichtswürdigen Direktor, dem ich +das schon lange gewünscht hab, eine herunter oder appliziere +ihm einen Sessel. Um mich von dieser ungewohnten Anstrengung +zu erholen, wollte ich gerade der Dichter Konrad +Seltenhammer werden, und im Café „Symbol“ schweigend eine +Zigarette rauchen. Als mich der Stiefelknecht unterbrach. Er +hatte es satt, immer die Diener, Direktoren, Ruinen von +Karthago, Zigaretten darzustellen, sehnte sich danach auch +einmal Fürst, Heroine, dramatischer Schriftsteller zu sein. +„Stiefel“, sagte ich zu ihm, „Stiefel! Hochmut kommt vor dem +Fall.“ „Meister“, sagte er, „Meister! Ich bin kein +gewöhnlicher Stiefelknecht.“ „Das ist selbstverständlich. +Ein Stiefelzieher, der in meinen Diensten steht, ist <em>eo +ipso</em> mehr kein gewöhnlicher Stiefelzieher.“ „Ich meinte +es nicht so.“ „In deinen Fasern stockt Götterblut? Bist du +eine verzauberte Prinzessin oder gar jener Stiefelzieher, +den Zeus der Hera insinuierte?“ „Das nicht, aber immerhin +aus einer alten Familie. Wisse: ich stamme in gerader Linie +von dem berühmten Stiefelzieher ab, den Mithridates +verschluckte, um seinen Magen gegen alle Gifte zu feien.“ +„Der muß seinen Herrn genau so sekiert haben, wie du mich, +daß er zu der Verwendung gekommen ist.“ Philipp verbat sich +alle derartigen Anspielungen auf die Schicksale ebenso +verdienstvoller als erlauchter Ahnen. „Sonst kündige ich +schonungslos. Ohnehin bin ich als Präsident in Aussicht +genommen für den demnächst in Amerika stattfindenden +I. Internationalen Stiefelzieherkongreß. Roosevelt +selbst ...“ „Roosevelt?“ „Ich meine den Stiefelzieher +Roosevelts. Wir nennen ihn Roosevelt, der Kürze wegen ... er +hat mich eingeladen zu präsidieren ... eben wegen meiner +Eigenschaft als Nachkomme eines berühmten ... oder glaubst +du, der Stiefelzieher des Herrn Tubutsch ...?“ „Ja, wie +kommst du denn nach Amerika, o Stiefelknecht meiner Seele?“ +„Mein Leib, mein schlechter Leib bleibt hier liegen, mein +Geist schwingt sich auf, entfliegt, kriecht in einen +Leitungsdraht und ist im Nu drüben. Früher waren wir +schlechter dran, Blitze sind nicht immer zu haben und auf +den Vagabunden, den Wind, war kein Verlaß, der hat uns immer +justament dort abgesetzt, wo wir absolut nicht hinwollten +... am Tanganikasee oder auf den Fidschiinseln ... wo weit +und breit keine verwandte Seele zu treffen war ...“ Es +schmeichelte mir, mit einem Wesen in Kontakt zu sein, durch +das ich dem Präsidenten der Vereinigten Staaten +gewissermaßen sehr nahe stand, wir schlossen miteinander +einen Pakt, dem nach wir von nun an in den Hauptrollen +abwechselten. Er war der Greißler, der: „Heut ham mer aber +an fein Primsenkas!“ sagte, ich die Kunde, die achselzuckend +ein Stück davon kostete. Dann war wieder ich das +Elefantenbaby ... im Kreise rund herumlaufend ... und er das +„Nein! wie lieb!“ rufende Kind; endlich er der Baumstamm, +mit einem Hut auf einem Ast donauabwärts treibend bis ans +schwarze Meer, ich der über ihn fluchend ins Wasser +gefallene Ruderer, die Wasserratte, die zwischen den Wurzeln +haust oder die das Billett des Baumstammes auf seine +Giltigkeit prüfende Fischotter. Bis die Unmöglichkeit, durch +eine wenn auch noch so große Willensanstrengung mir selbst +und den anderen Leuten meine Verwandlung in den Fürsten +Echsenklumm oder in die Wasserratte auch äußerlich +wahrnehmbar zu machen, mir die Lust an diesem Spiel verdarb. +„Philipp!“, sagte ich, „Komm her.“ Philipp kam, wenn auch +widerstrebend, als schwante ihm Unheil. Ich schlug ihn +sorgfältig in braunes Packpapier ein und ging spazieren. +Aber niemand der Vorübergehenden wollte mich fragen, was in +dem kleinen braunen Paket enthalten sei. Und ich hatte doch +schon eine kleine Rede vorbereitet: „Meine Damen und Herren! +Hier sehen sie durchaus nichts Gewöhnliches! Ein sprechender +Stiefelzieher! Er stammt ab von dem Stiefelknechte seiner +asiatischen Majestät, des Königs Mithridates von Pontus ... +demnächst wird er dem I. Internationalen +Stiefelzieherkongresse präsidieren. Roosevelt selbst ...“ +Niemand war neugierig und aufdrängen wollte ich mich nicht +... daß ich unbefragt blieb, wäre möglicherweise noch zu +ertragen gewesen, doch seitdem ich so treulos an ihm +gehandelt, seine Geheimnisse zu profanieren gesucht, +verstummte Philipp ... seine Seele war wohl für ständig nach +Amerika ausgewandert ... ich war wieder allein ....</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Früher träumte ich vom Ruhm. Er wurde mir nicht zugestellt. +Und was blieb, waren Sarkasmen gegen die Glücklicheren. +Darin war ich seit jeher groß. Als ich nichts mehr in mir zu +zerfressen hatte, zerfraß ich andere. Nun bin ich schwächer, +milder geworden. Wie gesagt, ich schreibe mit Bleistift. +Meine Nahrung ist zart wie die eines Kranken. Einen ganzen +Vormittag brachte ich unlängst damit hin, einem General +zuzuschauen, der auf der Mariahilferstraße vor jeder Auslage +stehen blieb, ob es nun ein Wäschegeschäft war oder ein +Friseurladen. Es war nach den Manövern. Ich fühlte weder +Schadenfreude noch Mitleid; stand bloß und sah zu, solang +bis ich der General war und mich fähig fühlte, die Rolle zu +übernehmen, die er des Weiteren durchzuführen hatte. Die +Art, wie er den Säbel hob, um nicht das Pflaster zu +streifen, sonst eine Reflexbewegung, war unsäglich traurig +.... Am nächsten Tag vertiefte ich mich ebensolang in eine +Dohle, die vor einem Blumengeschäft in der Weihburggasse auf +und ab, rastlos auf und ab trippelte. Die gestutzten Flügel, +gebrochen, streiften den Schmutz der Pflastersteine. Und +hatte einige Tage vorher noch den Stephansturm umkreist oder +eine Brigade kommandiert ... Ich hätte sehr gern eine +Zusammenkunft zwischen dem General und der Dohle vermittelt. +An so große Unternehmungen aber wage ich mich nicht mehr, +seitdem mir die letzte so mißglückt ist ...</p> + +<p> +Ich kam auf meinen Fahrten häufig an einem Gasthaus vorbei, +dessen Wirt mit dem Vornamen Dominik heißt. Nun ist der +Vorname Dominik unter Wirten kein seltener, warum? Das ist +unergründlich; dadurch jedoch, daß ich so oft an dem Schild +dieser Weinstube vorüber mußte, spannen sich nach und nach +Beziehungen zwischen mir und seinem Inhaber. Nicht, daß ich +den Wirt je gesehen hätte, Gott bewahre! derart realer +Vorbedingungen bedarf es bei mir nicht ... Aber als ich +eines Tages in den Kalender sah, da fand ich, daß es sein +Namenstag war. „Heute solltest du aber doch einmal zu ihm +hineinschauen“, dachte ich und zog mir die roten +Glacéhandschuhe an. Ich trat ein. Es geschah nichts von dem, +was ich erwartet hatte. Ein Mann in einer blauen Schürze, +das Abwischtuch auf der Schulter, der Hausknecht, bediente +mich. Ich warte und warte, um des Geehrten ansichtig zu +werden. Er kommt nicht. Überhaupt nichts dergleichen. Ich +werde ungeduldig und will schon bald gehen und frage den +Hausknecht, wo sein Herr bleibt. Der Kerl zögert mit der +Antwort, ich sage es ihm auf den Kopf zu, der Wirt habe +vermutlich Brauereizahlungstag und sei ausgerückt. So kam es +ans Licht: der Gastwirt war verräterischerweise zu einem +Heurigen gefahren, hatte an seinem Ehrentage sich entfernt, +um bei einem anderen Wirte, also sozusagen bei sich, zu +zechen. Die Vorstellung ist gewiß urkomisch und das Sujet +eines Niederländers würdig: ein Wirt, der bei einem andern +Einkehr hält; aber ich hatte Zeit und Geld geopfert und war +doch nicht zu jener Erfüllung gekommen, die ich ersehnt +hatte. Als wollte mich das höhnende Schicksal, das so gern +dem Kleinen alles nimmt, um dem Großen noch mehr zu geben, +meiner geringen Erlebnisse, des ungeheueren Anblickes eines +seinen Namenstag feiernden Wirtes, berauben. Komisch, doch +typisch, denn derartige Vorfälle wurden wiederholt gegen +mich ausgespielt. Vielleicht, um mich des Lebens Unfähigen +durch solch „feines Positionsspiel“ herauszuekeln. Ich rede +nicht davon, daß ich früher, als ich noch Bekannte hatte, +sie oft Monate lang nicht sah, dann wieder eines Tages sie +sich offenbar zu dem Zwecke zusammengetan zu haben schienen, +mir durch eifriges Grüßen zumindest eine Armlähmung zu +verursachen. Es gibt bessere Beispiele.</p> + +<p> +Vor Jahren, da ich etwas lebenslustiger war, der +erschütternde Tod der zwei Fliegen Pollak sich noch nicht +zugetragen hatte und also auch noch nicht mir zum Mahnwort +geworden war, mich vor dem Fatum ruhiger zu verhalten, +damals hatte ich über alle Bedenken hinweg einen Anlauf +genommen und einen Spazierstock erstanden. Um auf Abenteuer +auszuziehen. Ohne Spazierstock geht das nicht. Ebensowenig +wie ein Ritter seine um Jungfrauen geführten Kämpfe mit +Riesen, Zwergen und Drachen ohne Tartsche unternommen hätte +oder mit einem Sattel, der noch keinen Namen hatte.</p> + +<p> +Ich knüpfte eines Sonntags zum ersten- und letztenmale die +Krawatte mit jener Sorgfalt, wie sie vergleichsweise +höchstens die Propheten auf das Gürten ihrer Lenden +verwendet haben dürften und fuhr mit der Tramway nach +Sievring hinaus. Keine kleine Wollust, an den Haltestellen +vorbei zu sausen, während andere starr bei ihnen stehen +bleiben mußten. Bei der Billrothstraße stieg leider ein +entfernter Bekannter ein, Snob durch und durch, aus der +Tasche protzte ihm ein Band Balzac. Ich verwies es ihm +scherzend, in die freie Natur gebundene Bücher +hinauszuschleppen, noch dazu solche, die bald allgemein +getragen würden, machte ihn darauf aufmerksam, daß nur das +noch nicht Moderne wahrhaft wert sei, von ihm kolportiert zu +werden, er jedoch mißverstand meine Absicht und zerrte mich +in ein längeres Gespräch. Über das Ende Balzacs, wie die +Sand Musset, Friederike den Goethe betrogen haben solle, und +o Idylle von Sesenheim! als Pfarrerstochter selbstredend ein +Kind von einem Theologen zur Welt gebracht hätte — das +heißt, wenn man Lenz und einige französische Grenzoffiziere +vernachlässigt ... Wahrheit und Dichtung! Wir sprachen über +das Weib, wie jedes mit Vernunft oder Phantasie geschlagene +männliche oder weibliche Wesen an sich eifersüchtig sein und +außerdem notwendig von den tierischen Ahnen ererbte +Eifersucht leiden müsse ... kamen vom Hundertsten ins +Tausendste und erst als es zu spät war, der Wald uns bereits +aufgenommen hatte, tat der Unselige den Mund auf, um mir +mitzuteilen, daß ich das Wichtigste versäumt habe. In der +Tramway hätte ein fesches, junges Mädchen meinen Witzeleien +gelauscht, die ganze Zeit hindurch vorläufig ihre Blicke auf +mir ruhen lassen, sei auch nachher uns noch ein hübsches +Stück gefolgt, schließlich aber, da sie nicht gut mich +ansprechen konnte, abgefallen. Vom Weibe — sprach ich, bis, +zwei Schritte entfernt, lachend, sich wiegend und tänzelnd +und blühend in seiner Pracht das Leben davonging! .... Als +sollte es daran nicht genug sein, da wir auf engem Pfade +einer entgegenkommenden Liebeseinheit ausweichen wollten, +stieg mir das Weibchen davon auf den Spazierstock, den ich +elegisch nachschleifen ließ: der Stock brach — ein deutlich +warnender Wink von oben, den kaum betretenen Steig +allsogleich zu verlassen ... Auf einer Wiese nicht weit +davon konnte ein sechzehnjähriges schlankes Fräulein, von +der Mama begleitet, nichts tun als Herbstzeitlose pflücken. +Ich folgte ihrem Beispiele ....</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Ich lebe immer in der Erwartung eines Ungeheuerlichen, das +da kommen soll, eintreten, einbrechen soll bei mir. Ein +Orang-Utan etwa, ein Auerhahn mit glühenden Augen, oder am +besten ein wütender Stier. Dann aber fällt mir ein, daß der +ja gar nicht durch die Tür könnte, und ich lasse meine +übergroßen Hoffnungen sinken ... Wenn jemand läutet, +erscheinen alle Nachbarn bei den Türen, auch ich gehe sofort +an die Pforte meines Kabinetts mit separiertem Eingang ... +falls mich einer meiner alten Freunde aufsuchen sollte, +bereit, den Überzieher umzunehmen und mit ihm spazieren zu +gehen, oder aber, wenn er es wünscht, ihm die +Sehenswürdigkeiten meiner Wohnung zu weisen: meinen +Stiefelknecht Philipp und — mit umflorter Stimme — die zwei +Fliegen Pollak ... Ungeheures oder doch Angenehmes erwarte +ich: wenn ich öffne, hat es meistens nebenan geläutet. Oder +aber es ist ein Bettler. Denen gebe ich nichts. Erstens habe +ich selber nichts, zweitens, wenn man ihnen etwas gibt, +gehen sie sofort weg und lassen einen stehen. Und das ist +durchaus nicht meine Absicht ... Auch andere Leute sind +leider so rücksichtslos, läuten an, und dann, wenn sie ihre +Auskunft haben, gehen sie fort. So letzthin ... Klingelt es +in aller Früh, ich ziehe mich hastig und unvollständig an, +mache auf, stehe im Zug: ein Mann ist draußen, der fragt, ob +ich der Herr sei, der das Kristallöl bestellt habe? Ein +anderer hätte fluchend die Türe zugeschlagen, ich bin +höflich, antworte unvorsichtigerweise: „Nein!“, gebe aber +nichtsdestoweniger meine Absicht zu erkennen, mich mit ihm +in ein Gespräch einzulassen ... schon wegen der Seltsamkeit +seines Metiers. Kristallölausträger ... er jedoch dreht sich +brüsk um, wendet mir den Rücken zu und schreitet die Stiege +hinauf ... und ich muß mich zusammennehmen, daß ich nicht +bei dieser Gelegenheit infolge all der erlittenen +Enttäuschungen zusammenbreche ...</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Jehangir Mirza sagt: „Wie ein unkörperlicher Schatten +schwanke ich hin und her, und wenn mich nicht eine Wand +unterstützt, falle ich platt zur Erde.“ Eine Wand stützt +mich nicht. Mir scheint, mir wird auch so etwas passieren +wie ein Fall zu Boden ... Nein, ich halte es nicht mehr aus! +Was fesselt mich noch? Schnudi, der kleine Zwergbulldogg ist +nicht mehr. Ein alter Mann mit stechendem Bart, einem Pinkel +auf den Schultern .. Ahasver .. ist in den Hof gekommen, hat +sein „Handlê“ gerufen, die Ankunft des Fremden scheint den +Hund irritiert zu haben, er fuhr los. Der Hausierer ruft +ein-, zweimal „Marschierst?“, der Hund hört nicht, schnappt +nach den Beinen des Eindringlings. Der spuckt ihm dämonisch +zwischen die Augen und der Hund dreht sich wie wahnsinnig im +Kreise herum, mit der kurzen Zunge bemüht, den Fremdkörper +über der Nase zu entfernen. Es gelingt ihm nicht, der +Hausierer geht weg, der Hund dreht sich weiter, seine Augen +sehen nichts mehr, sind blind von der rasenden Jagd, +Schnudi, Schnudi mit dem Rosamascherl dreht sich weiter, +weiter ... bis er erschossen werden muß ... Nun habe ich +niemand mehr. Einen Einspännergaul sah ich an, ob er nicht +mit mir reden mag ...</p> + +<p> +Ich wette: er wollte nur nicht mit mir im Gespräche gesehen +werden. Mit andern, glaub’ ich, hätte er nach einiger +Anstrengung reden können ...</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Was hält mich ab, dem allen ein Ende zu machen, in irgend +einem See oder Tintenfaß zur ewigen Ruhe einzugehen oder die +Frage zu lösen, welchem irrsinnig gewordenem Gott oder Dämon +das Tintenfaß gehört, in dem wir leben und sterben, und wem +wieder dieser irrsinnige Gott gehört? Zu irgend einer +Marischa, und sei sie wer sie sei, jedenfalls zu einer +Dirne, Unreinen oder Ehebrecherin zu schleichen, dabei sich +in Acht nehmen vor Allerhand ... dem Düngerhaufen rechts und +der Jauche links ... um dann daheim die leidvolle Liebe +zwischen Jehangir Mirza und der Maasumeh Sultan Begum zu +besingen ... wäre das wirklich ein so großes Vergnügen, +Ambrosia zu fabrizieren, während man selbst Kot schlingen +muß? Und wenn man ein Dichter wäre, man ist noch immer nicht +mehr als ein geborener Tierstimmenimitator. Und bist du ein +Meister des Wortes, der Worte fand voll wie das Brüllen des +Stieres: ein Bettler bist du und läßt nachahmend aus dir +erschallen die Stimme des über Pferde herrschenden Fürsten, +und jene des aus einer schwarzen Puppe sich aufwärts, +lichtwärts schwingenden Schmetterlings, wenn es nicht gar +die Stimme eines andern Dichters ist — alle Stimmen läßt du +aus dir erschallen, o Tierstimmenimitator, um die eigene +Leere zu übertönen, deinen Mangel an einer eigenen Stimme +... Was weile ich noch? Ab! bevor ich noch zum +gichtbrüchigen Schuster werde ... Wozu noch weiter den +entnervenden Widerstreit kleinlicher Schicksale mit +ungeheuren Gefühlen und Vorstellungen herunterwürgen?</p> + +<p class="center"> +° ° °</p> + +<p> +Das Leben. Was für ein großes Wort! Ich stelle mir das Leben +als eine Kellnerin vor, die mich fragt, was ich zu den +Würsteln dazu wolle, Senf, Krenn oder Gurken ... die +Kellnerin heißt Thekla ... Beschränkt sind die +Möglichkeiten, immer aber die großen Worte ... Eine +Diskrepanz für viele. Einst war ich zur Simultanvorstellung +eines berühmten Schachspielers geladen. Der Produktionssaal +ein dumpfer stickiger Raum voll von Tabakdampf. Plötzlich +erschallt der Ruf: „Der Meister naht!“ Wer tritt ein? +Wegstehende, dünnschalige Ohren, ein beschränkt aussehender +Mensch in einem abgetragenen Anzug. Das kurze, blaue +Röckchen war aber gewiß nicht abgetragener als sein Gesicht. +Haha! der Meister naht ...</p> + +<p> +Was erübrigt denn noch zu tun? Nicht viel. Ich hatte früher +einmal einen Bekannten, der besaß seinerseits wiederum einen +Kollegen, mit dem er in die Tertia gegangen war. Dann wurde +dieser Kollege meines gewesenen Bekannten seines geringen +Bestrebens wegen, ein Ochs zu werden wie die anderen und +dadurch Wohlgefallen zu finden in den Augen der Professoren, +aus der Schule genommen und in eine Fleischbank oder +Schusterwerkstätte gesteckt? nein, zufällig in ein +Weingeschäft. Er traf einige Wochen nachher am Kai meinen +Bekannten — Waldemar Tibitanzel hieß der und machte +ungedruckte Gedichte — und berühmte sich vor ihm, nach so +kurzer Lehrzeit schon binnen weniger Minuten hundert Jahre +alten Bordeaux herstellen zu können. Es ist gewiß zu +bedauern, daß der hoffnungsvolle Jüngling traumschnell auch +aus dieser Laufbahn glitt. Bei seinem Genie hätte er uns +gewiß in Bälde mit einem Bordeaux zu bedienen vermocht, der +aus der Ewigkeit stammte, wenn nicht gar aus dem Cambrium. +Das tat er aber keineswegs. Der Wandlungsfähige tauchte als +Erzengel im Burgtheater auf. Mein Bekannter sah ihn knapp +hernach auf dem Graben wieder. Waldemar Tibitanzels +Barttracht hielt künstlerisch zwischen Christusbart und +Mädchenkinn gleicherweise die Mitte, und ein genauer +Beobachter hätte die der Wahrheit nahekommende Vermutung +ausgesprochen, er sei nicht rasiert. Von den Schnallen +seiner Schuhe war die schwarze Politur abgefallen, gelbes +Messing kam zum Vorschein und so auch in der geringfügigsten +Kleinigkeit offenbarte sich der desolate Zustand seiner +Finanzen und sein Österreichertum. Der Erzengel, scheinbar +vertieft in sein eigenes glattrasiertes Gesicht, ignorierte +den Ungedruckten, der sich tags darauf bei mir bitter +beklagte. Und ehe noch eine Woche ins Land gegangen war, +starb Waldemar Tibitanzel, mitten in einem Trauerspiel in +fünf Aufzügen. Wenn ich morgen den mir unbekannten +Weinpantscher und Mimen zur Rechenschaft ziehen werde für +längst vergangene Sachen, so tu ich das aus sowas wie +Solidarität, kurz es handelt sich hier um rein prinzipielle +Dinge ... und nicht bloß um derartige Velleitäten ... Denn +ich, mein Gott, selbst früher, als ich noch König war und +viele Leute auf meinen Gruß lauerten, grüßte ich für meine +Person nicht regelmäßig. Ich grüßte einmal doppelt, mit +tiefer Verbeugung, das anderemal in einer Art Willenslähmung +garnicht und wenn sich die Leute nicht damit zufrieden +gaben, die doppelte Portion und die nicht erhaltene +zusammenzulegen und auf zweimal zu verteilen, sondern über +mein ungeschlachtes Benehmen brummten, kümmerte ich mich +blutwenig um diese Fliegen. Wenn ich morgen meine +Sekundanten — und sollte ich keine anderen finden: meine +Schicksalsgenossen und Wahlbrüder: den alten Schuster und +den Huterer zu dem Erzengel hinaufschicken werde, liegt da +ein ganz anderer Fall vor. Ich will sterben und bei dieser +Gelegenheit einen zweiten Menschen, den ich in seiner +Nichtigkeit erkannt habe, abdrehen, wie man einen giftigen +Gashahn abdreht, wie Ahasver den inferioren Zwergbulldogg +Schnudi abdrehte ... Sollte ich am Leben bleiben, was ich +nicht hoffe, so vermache ich trotzdem meinen Stiefelknecht +Philipp und ein gewisses Tintenfaß demjenigen, der sich +darum meldet; unter mehreren Bewerbern sollen bei sonst +gleicher Qualifikation parfümierte Wachleute den Vorzug +haben. Bevor ich aber die Kurbeldrehung setze und mich aus +der Kurve hinaustragen lasse, an einem Meilenstein zu +zerschellen, bevor ich mich aufmache in jenes ferne Land ... +die Rouleaux endgültig fallen und mir die Aussicht auf die +Linzerstraße entziehen werden, will ich noch einen Anlauf +nehmen und dem auf der Plattform eines Wagens ängstlich +herumlaufenden Pintscher Antwort bellen, mit den sechs +Kindern um den Straßenarbeiter herumsitzen, den Schuster +Engelbert Kokoschnigg fragen, warum er das Schild „Zu den +zwei Löwen“ führt, die Grünzeugfrau, ob sie Witwe ist und +wenn nicht, warum sie den erbsenpickenden Spatzen duldet — +ich neide ihm sein sorgenloses Dasein — ich werde des Wirtes +Dominik ansichtig zu werden versuchen, mich in dem +flügellahmen Raben in der Weihburggasse betrachten, und wenn +ich in der dazugehörigen Stimmung sein sollte, in einem +speziellen Falle eigenohrig die Frage lösen, ob die +Lyrikerinnen wirklich „Tandaradei“ sagen. Mehr Freuden +gewährt ja das Leben nicht ... Man glaubt, ich sei lustig? +Ja! Herzzerreißend lustig! Dies alles ist nichts als +Galgenhumor. Und Furcht. Scheint mir nämlich das Leben aus +derartigen Nichtigkeiten, wie ich sie vorhabe, +zusammengesetzt zu sein, wie wenn der Tod mir zum Possen +eine adäquate Rolle spielen wollte? Mich enttäuschte. Der +Tod, vormals der Bauer mit der Sense, ein grober Flegel +immerhin, aber als solcher eine respektable, durch zahllose +Bilder sehenswerter Maler akkreditierte Persönlichkeit, er +nimmt in meiner Vorstellung immer komischere Gestalten an. +Ich sehe ihn nicht als schwarzen Ritter, er kommt als +nahender Meister oder ein Clown tritt auf, steckt die Zunge +heraus, sie wächst ins Unendliche und durchsticht mich ... +ich sehe ihn als Kondukteur, der meinen Fahrschein +einzwickt, für ausgenützt erklärt, nicht warten will bis zur +nächsten Haltestelle, mich zum Aussteigen drängt ... mit +eines tschechischen Akzentes nicht entbehrenden Worten ... +ich sehe ihn als rohen Jungen, Fledermäuse annagelnd, als +Laternen auslöschenden Studenten, Reichstag auflösenden +Minister und jüngst sah ich ihn gar als Motorführer. „Dem +Wagenführer ist es verboten, mit den Fahrgästen zu +sprechen.“ Die Übereinstimmung ist auffallend ...</p> + +<p> +Ich glaube, ich würde es nicht ertragen, wenn mich auch noch +der Tod mit einer Enttäuschung abspeist ...</p> + +<p> +Eine tiefe Apathie und Gleichgültigkeit hat mich befallen, +meine Seele ist jedes höheren Aufschwunges unfähig, seit +Langem vermied ich es, Goethe zu lesen, weil ich mich im +tiefsten Innern seiner unwürdig fühlte. Und nun soll mir ein +strahlender Tod entgehen, Freund Hein mir zusammenschrumpfen +zum Spottbild? Wäre das gerecht? Mag dem sein wie ihm wolle, +mir bleibt nichts anderes übrig, ich werde von dannen gehen, +die Erde, dieses Kabinett mit separiertem Ausgang! +verlassen, verlassen ... Was ist denn so viel dabei? +Rouleaux fallen ... man sieht nichts von der Straße ... Wie +ich mich darauf freue! Wozu sich fürchten? Ich werde einen +Anlauf nehmen und hinüberspringen. Oder sollte ich doch +bleiben? Allen Leuten geht es gut. In den Auslagen der +Greisler stehen Dalmatinerweine. Das war früher nicht. Ich +aber besitze ja so garnichts, nichts was mich im Innersten +froh machen könnte. Ich besitze nichts als wie gesagt — mein +Name ist Tubutsch, Karl Tubutsch ...</p> + +</div> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/03-wanderers-lied.xhtml b/OEBPS/Text/03-wanderers-lied.xhtml new file mode 100644 index 0000000..3761980 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/03-wanderers-lied.xhtml @@ -0,0 +1,49 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Wanderers Lied</title> +</head> +<body> + +<div class="poem"> + + <h3 class="center">Wanderers Lied</h3> + +<p> +<span class="vers"><span class="initial">M</span>eine Freunde sind schwank wie Rohr,</span><br /> +<span class="vers">auf ihren Lippen sitzt ihr Herz,</span><br /> +<span class="vers">Keuschheit kennen sie nicht;</span><br /> +<span class="vers">tanzen möchte ich auf ihren Häuptern.</span> +</p> + +<p> +<span class="vers">Mädchen, das ich liebe,</span><br /> +<span class="vers">Seele der Seelen du,</span><br /> +<span class="vers">auserwählte, lichtgeschaffene,</span><br /> +<span class="vers">nie sahst du mich an,</span><br /> +<span class="vers">dein Schoß war nicht bereit,</span><br /> +<span class="vers">zu Asche brannte mein Herz.</span> +</p> + +<p> +<span class="vers">Ich kenne die Zähne der Hunde,</span><br /> +<span class="vers">in der Wind-ins-Gesicht-Gasse wohne ich,</span><br /> +<span class="vers">ein Sieb-Dach ist über meinem Haupte,</span><br /> +<span class="vers">Schimmel freut sich an den Wänden,</span><br /> +<span class="vers">gute Ritzen sind für den Regen da.</span> +</p> + +<p> +<span class="vers">„Töte dich!“ spricht mein Messer zu mir.</span><br /> +<span class="vers">Im Kote liege ich;</span><br /> +<span class="vers">hoch über mir, in Karossen befahren</span><br /> +<span class="vers">meine Feinde den Mondregenbogen ...</span> +</p> + +</div> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/anhang.xhtml b/OEBPS/Text/anhang.xhtml new file mode 100644 index 0000000..8bbd6f1 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/anhang.xhtml @@ -0,0 +1,19 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Anhang</title> +</head> +<body> + +<div class="center"> + + <h1 class="vspace5">Anhang</h1> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/deckel.xhtml b/OEBPS/Text/deckel.xhtml new file mode 100644 index 0000000..653760d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/deckel.xhtml @@ -0,0 +1,20 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Albert Ehrenstein: Tubutsch - Deckblatt</title> +</head> +<body> + +<div id="titel" class="center"> + + <p> + <img class="vspace resp" src="../Images/titel.png" height="650" width="500" alt="Umschlagbild"/></p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/inhalt.xhtml b/OEBPS/Text/inhalt.xhtml new file mode 100644 index 0000000..24565b7 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/inhalt.xhtml @@ -0,0 +1,37 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" xmlns:ops="http://www.idpf.org/2007/ops" xml:lang="de"> + +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Inhaltsverzeichnis</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3>Inhaltsverzeichnis</h3> + + <section ops:type="chapter"> + <h4 class="index-entry"><a href="01-ritter-johann.xhtml">Ritter Johann des Todes</a></h4> + </section> + <section ops:type="chapter"> + <h4 class="index-entry"><a href="02-tubutsch.xhtml">Tubutsch</a></h4> + </section> + <section ops:type="chapter"> + <h4 class="index-entry"><a href="03-wanderers-lied.xhtml">Wanderers Lied</a></h4> + </section> + <section ops:type="chapter"> + <h3><a href="anhang.xhtml">— Anhang —</a></h3> + </section> + <section ops:type="chapter"> + <h4 class="index-entry"><a href="inhalt.xhtml">Inhaltsverzeichnis</a></h4> + </section> + <section ops:type="chapter"> + <h4 class="index-entry"><a href="textnachweis.xhtml">Textnachweis und Lizenz</a></h4> + </section> + +</div> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/nav.xhtml b/OEBPS/Text/nav.xhtml new file mode 100644 index 0000000..a22e287 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/nav.xhtml @@ -0,0 +1,34 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml" +xmlns:epub="http://www.idpf.org/2007/ops" +xml:lang="de"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Inhalt</title> +</head> + +<body> + <h2>Inhalt</h2> + <nav epub:type="toc" id="toc"> + <h3>Tubutsch</h3> + <ol> + <li class="index-entry"><a href="01-ritter-johann.xhtml">Ritter Johann des Todes</a></li> + <li class="index-entry"><a href="02-tubutsch.xhtml">Tubutsch</a></li> + <li class="index-entry"><a href="03-wanderers-lied.xhtml">Wanderers Lied</a></li> + <li><a href="anhang.xhtml">Anhang</a></li> + <li class="index-entry"><a href="inhalt.xhtml">Inhaltsverzeichnis</a></li> + <li class="index-entry"><a href="textnachweis.xhtml">Textnachweis und Lizenz</a></li> + </ol> + </nav> + <nav epub:type="landmarks"> + <h2>Übersicht</h2> + <ol> + <li><a epub:type="cover" href="deckel.xhtml" title="Deckel">Deckel</a></li> + <li><a epub:type="titlepage" href="titel.xhtml" title="Titel">Titel</a></li> + <li><a epub:type="backmatter" href="anhang.xhtml" title="Anhang">Anhang</a></li> + <li><a epub:type="toc" href="inhalt.xhtml" title="Inhalt">Inhalt</a></li> + </ol> + </nav> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/textnachweis.xhtml b/OEBPS/Text/textnachweis.xhtml new file mode 100644 index 0000000..268e0de --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/textnachweis.xhtml @@ -0,0 +1,69 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Text- und Bildnachweis und Lizenz</title> +</head> + +<body> + +<div class="prose"> + + <h3>Text- und Bildnachweis</h3> + + <p> + Grundlage der Texte sind Scans der Erstausgabe. Auf + dieser Basis wurde eine OCR-Fassung erstellt, die mit + der Vorlage abgeglichen wurde. Ein Scan des Buches aus + dem Google Books Projekt ist bei + der <a href="https://babel.hathitrust.org/cgi/pt?id=njp.32101067137735">HathiTrust + Digital Library</a> zugänglich (über Proxy).</p> + + <p> + E-Book und HTML-Fassung wurden um ein Inhaltsverzeichnis + ergänzt.</p> + + <p>Der »Umschlag« + verwendet <a href="https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wassily_Kandinsky_-_Berg_-_GMS_54_-_Lenbachhaus.jpg">Wassily + Kandinskys »Berg«</a>, das vom Rechteinhaber, Museum + Lenbachhaus, unter der + <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de">Creative + Commons Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen + Bedingungen 4.0 International</a> veröffentlicht wurde.</p> + + <p> + Die auf dem Titelblatt erwähnten Zeichnungen von Oskar + Kokoschka unterliegen noch dem Urheberrecht und sind + lizenzpflichtig, daher sind sie nicht Teil dieser + Ausgabe. + </p> + + <h3>Lizenz</h3> + + <p> + Für den Text von E-Book- und HTML-Fassung gilt die + <a href="https://creativecommons.org/publicdomain/mark/1.0/deed.de">Creative + Commons Lizenz für öffentliches Eigentum (Public + Domain)</a>. + + Für das Bild von Kandinsky gilt + die <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de">Creative + Commons Lizenz Namensnennung - Weitergabe unter gleichen + Bedingungen 4.0 International</a>. + </p> + + <h3>Rückmeldung</h3> + + <p> + Sollten Sie Anmerkungen haben oder Ihnen Fehler + aufgefallen sein - also Abweichungen von der + Druckvorlage - schicken Sie bitte gerne eine Nachricht + an buecher (at) in-transit.cc. + </p> + +</div> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/titel.xhtml b/OEBPS/Text/titel.xhtml new file mode 100644 index 0000000..6e9d892 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/titel.xhtml @@ -0,0 +1,27 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Albert Ehrenstein: Tubutsch</title> +</head> +<body> + +<div class="center"> + + <h1>Tubutsch</h1> + <h3 class="spaced">von Albert Ehrenstein</h3> + + <p class="vspace2">Mit 12 Zeichnungen von</p> + <h4>O. Kokoschka</h4> + + <p class="vspace10"><span class="f11">Verlag + Jahoda & Siegel / Wien / Leipzig</span></p> + + +</div> + +</body> +</html> |