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diff --git a/OEBPS/Text/01-skizzen/02-mieze-maier.xhtml b/OEBPS/Text/01-skizzen/02-mieze-maier.xhtml new file mode 100644 index 0000000..90118f9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-skizzen/02-mieze-maier.xhtml @@ -0,0 +1,137 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Mieze Maier</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">Mieze Maier</h3> + +<p> +Ich besuche noch das Gymnasium, doch interessiere ich mich +mehr für Theater und Literatur. Ich lese Wedekind, Rilke und +andere. Auch Goethe. Schiller und George mag ich nicht. +</p> + +<p> +Meine Freundin heißt Mieze Maier. Sie bewohnt mit ihrer +Gesellschafterin eine elegante Vierzimmerwohnung, denn ihr +Vater, Markus Maier, hat ihr viel Geld hinterlassen. Ihre +Mutter ist vor zehn Jahren den Folgen einer +Unterleibsoperation erlegen. Ihre Mutter soll schön gewesen +sein. +</p> + +<p> +Mieze Maier ist erst kürzlich sechzehn Jahre alt geworden. +Ihr Geburtstag wurde sehr gefeiert. Viele hübsche und +lasterhafte Mädchen und eine Anzahl junger Männer waren +geladen. Man war sehr frivol. Man flüsterte einander ins +Ohr, daß Mieze jetzt sechzehn Jahre alt sei. Dabei lächelte +man... +</p> + +<p> +Mieze Maier ist schön. Auch klug. Auch talentiert. Sehr +kokett. Raffiniert anmutig. Zeitweise unglücklich. Versteht +es, viele Männer krank zu machen, daß sie Trauer in den +Augen tragen, wenn sie wach sind, und ein Lächeln um die +Lippen haben, wenn sie schlafen. Und die Hände sind dicht an +dem Körper... +</p> + +<p> +Stets hat sie ihre Favoriten gehabt. Die sind wie Puppen, +mit denen sie spielt, bis sie ihrer eines Tages überdrüssig +wird und sie achtlos beiseitewirft. Ich kenne sieben. Sechs +Wochen hat keiner in ihrer Gunst überdauert. Ich bin der +achte. +</p> + +<p> +Ich weiß – auch meine Tage sind gezählt. Auch ich werde +grausam abgetan werden von diesem sechzehnjährigen Ding – +halb Kind noch. Wenn ich daran denke, schäme ich mich schon +jetzt und gräme mich. Und doch – +</p> + +<p> +Wir haben uns nicht gesagt, daß wir uns liebhaben, sind aber +sehr zärtlich zueinander. Dies kam so: +</p> + +<p> +Wir trafen uns einmal. Das war Zufall. Der Tag war grau vor +Müdigkeit. Dämmerung lag über den Dingen. Von wenigen +Häusern fiel gelbes und rotes Licht. +</p> + +<p> +Wir gingen zusammen. Ihre Augen hielten Glanz. Manchmal +deckte sie die halben Lider darüber. Und sie fing die Blicke +von Männern in ihre Augen. Das muß eine feine Wollust sein. +</p> + +<p> +Wir sprachen nicht, nur einmal sagte sie, daß ich rote +Lippen habe. Und einmal sagte ich, daß sie oberflächlich +sei, denn ich wollte sie ärgern. +</p> + +<p> +Am nächsten Tage trafen wir uns wieder. Das war kein Zufall. +Wir gingen über Wiesen. Sie legte die Hand auf meine +Schulter und war gut zu mir. Da dachte ich an den Fußtritt, +den ich einmal von ihr erhalten werde. +</p> + +<p> +... Ich hatte ihr gestern wehe getan, weil ich sie +oberflächlich nannte. Denn in ihrer Stimme klang etwas wie +Weinen, als sie sagte: +</p> + +<p> +»Ich bin wirklich nicht so oberflächlich, wie Sie glauben, +Olaf. Ich habe zweimal unglücklich geliebt und einmal +glücklich entbunden.« +</p> + +<p> +Mir schien, als ob die Hand auf meiner Schulter schwerer +würde... +</p> + +<p> +Wir schritten langsam. Wir sahen keine Menschen. Wind kam +über die Wiesen. Am Himmel waren überall Wolken, die drohten +Regen. +</p> + +<p> +Sie sah mich an. Ihr Blick war nackt und sagte von +Leidenschaft. +</p> + +<p> +Das war zu niedlich, wie ich sie da plötzlich packte und mit +mir ins Gras warf und schon halb im Rausch ihr zuflüsterte: +Du, meine – Und wie sie ermattet lag und schluchzte: Olaf – +– – +</p> + +<p> +Seither schreibe ich in der Schule schlechte Arbeiten. Ich +werde wohl nicht versetzt werden. +</p> + +</div> + +</body> +</html> |