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+ <title>Skizzen</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="poem">
+
+ <h4 class="center vspace5 spaced">SKIZZEN</h4>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Konrad Krause</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Konrad Krause</h3>
+
+<p>
+Nicht einmal in der Nacht habe ich hier Ruhe. Häufig reißt
+mich eine Hand von dem Schlaf oder ein Wort. Weil alles
+finster ist, weiß ich oft am Morgen noch nicht, wer bei mir
+war.
+</p>
+
+<p>
+Ich muß früh aufstehen, um die Kleider zu säubern und die
+Stiefel zu reinigen. Die Glieder sind schwer, und die Augen
+haben noch die ganze Müdigkeit. Doch die jungen Herren sind
+hart, wenn ich etwas versäume, und grausam. Nachts aber sind
+sie freundlich und streicheln mich wie eine vornehme Dame.
+</p>
+
+<p>
+Nur der alte Herr Konrad Krause ist auch am Tage gut. Wenn
+er Wünsche hat, spricht er, ohne mich zu beschämen; und in
+dem Klang der Stimme ist, was mich froh macht. Er duldet
+nicht, daß in seiner Gegenwart häßlich von mir geredet wird.
+Ich habe ihn gern.
+</p>
+
+<p>
+Neulich lachte ich über ihn. Ich wurde durch Geräusche
+geweckt, die kamen von dem Gang vor meiner Kammer. Da war
+ein Gespräch. Ich fand zwei Stimmen: Eine verlor ich viel,
+da sie flüsterte; wenn ich sie fing, war sie jung und roh.
+Eine griff ich, ohne zu suchen; deutlich wie einen Körper.
+Ich fühlte, daß sie zu fett war und Runzeln hatte.
+</p>
+
+<p>
+Ich hörte von der rohen Stimme: »Willst du auch zu ihr,
+Vater –«
+</p>
+
+<p>
+Ich hörte von der fetten Stimme: »Geh du erst, mein Sohn –«
+</p>
+
+<p>
+Als Herr Heinz in die Kammer trat, erschrak er laut, weil
+ich so lachte. Und dann mußte er niesen...
+</p>
+
+<p>
+Aber dies werde ich bald vergessen. Ich weiß sogar nicht
+mehr, wann der alte Herr Konrad Krause sagte, er habe mich
+lieb. Das war noch netter.
+</p>
+
+<p>
+Ich erinnere mich nur, daß der Schreibtisch, vor dem er saß,
+schon dunkel war, als ich den Tee brachte. Er fragte, wer zu
+Hause sei; ich sagte: »Niemand« – Und wollte den Tee
+eingießen. Er zeigte aber auf die Oberschenkel und sagte:
+»Setzen Sie sich« – Ich sagte: »Ich bin so frei« – Und
+setzte mich. Er sagte: »Stellen Sie doch die Teekanne auf
+den Schreibtisch.« Ich tat das. Und dann sahen wir uns innig
+an, ich war aber sehr schüchtern. Plötzlich faßte er meine
+Hand und drückte sie an seinen Bauch. Sagte: »Geliebte.«
+</p>
+
+<p>
+Wir zitterten heftig –
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Mieze Maier</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Mieze Maier</h3>
+
+<p>
+Ich besuche noch das Gymnasium, doch interessiere ich mich
+mehr für Theater und Literatur. Ich lese Wedekind, Rilke und
+andere. Auch Goethe. Schiller und George mag ich nicht.
+</p>
+
+<p>
+Meine Freundin heißt Mieze Maier. Sie bewohnt mit ihrer
+Gesellschafterin eine elegante Vierzimmerwohnung, denn ihr
+Vater, Markus Maier, hat ihr viel Geld hinterlassen. Ihre
+Mutter ist vor zehn Jahren den Folgen einer
+Unterleibsoperation erlegen. Ihre Mutter soll schön gewesen
+sein.
+</p>
+
+<p>
+Mieze Maier ist erst kürzlich sechzehn Jahre alt geworden.
+Ihr Geburtstag wurde sehr gefeiert. Viele hübsche und
+lasterhafte Mädchen und eine Anzahl junger Männer waren
+geladen. Man war sehr frivol. Man flüsterte einander ins
+Ohr, daß Mieze jetzt sechzehn Jahre alt sei. Dabei lächelte
+man...
+</p>
+
+<p>
+Mieze Maier ist schön. Auch klug. Auch talentiert. Sehr
+kokett. Raffiniert anmutig. Zeitweise unglücklich. Versteht
+es, viele Männer krank zu machen, daß sie Trauer in den
+Augen tragen, wenn sie wach sind, und ein Lächeln um die
+Lippen haben, wenn sie schlafen. Und die Hände sind dicht an
+dem Körper...
+</p>
+
+<p>
+Stets hat sie ihre Favoriten gehabt. Die sind wie Puppen,
+mit denen sie spielt, bis sie ihrer eines Tages überdrüssig
+wird und sie achtlos beiseitewirft. Ich kenne sieben. Sechs
+Wochen hat keiner in ihrer Gunst überdauert. Ich bin der
+achte.
+</p>
+
+<p>
+Ich weiß – auch meine Tage sind gezählt. Auch ich werde
+grausam abgetan werden von diesem sechzehnjährigen Ding –
+halb Kind noch. Wenn ich daran denke, schäme ich mich schon
+jetzt und gräme mich. Und doch –
+</p>
+
+<p>
+Wir haben uns nicht gesagt, daß wir uns liebhaben, sind aber
+sehr zärtlich zueinander. Dies kam so:
+</p>
+
+<p>
+Wir trafen uns einmal. Das war Zufall. Der Tag war grau vor
+Müdigkeit. Dämmerung lag über den Dingen. Von wenigen
+Häusern fiel gelbes und rotes Licht.
+</p>
+
+<p>
+Wir gingen zusammen. Ihre Augen hielten Glanz. Manchmal
+deckte sie die halben Lider darüber. Und sie fing die Blicke
+von Männern in ihre Augen. Das muß eine feine Wollust sein.
+</p>
+
+<p>
+Wir sprachen nicht, nur einmal sagte sie, daß ich rote
+Lippen habe. Und einmal sagte ich, daß sie oberflächlich
+sei, denn ich wollte sie ärgern.
+</p>
+
+<p>
+Am nächsten Tage trafen wir uns wieder. Das war kein Zufall.
+Wir gingen über Wiesen. Sie legte die Hand auf meine
+Schulter und war gut zu mir. Da dachte ich an den Fußtritt,
+den ich einmal von ihr erhalten werde.
+</p>
+
+<p>
+... Ich hatte ihr gestern wehe getan, weil ich sie
+oberflächlich nannte. Denn in ihrer Stimme klang etwas wie
+Weinen, als sie sagte:
+</p>
+
+<p>
+»Ich bin wirklich nicht so oberflächlich, wie Sie glauben,
+Olaf. Ich habe zweimal unglücklich geliebt und einmal
+glücklich entbunden.«
+</p>
+
+<p>
+Mir schien, als ob die Hand auf meiner Schulter schwerer
+würde...
+</p>
+
+<p>
+Wir schritten langsam. Wir sahen keine Menschen. Wind kam
+über die Wiesen. Am Himmel waren überall Wolken, die drohten
+Regen.
+</p>
+
+<p>
+Sie sah mich an. Ihr Blick war nackt und sagte von
+Leidenschaft.
+</p>
+
+<p>
+Das war zu niedlich, wie ich sie da plötzlich packte und mit
+mir ins Gras warf und schon halb im Rausch ihr zuflüsterte:
+Du, meine – Und wie sie ermattet lag und schluchzte: Olaf –
+– –
+</p>
+
+<p>
+Seither schreibe ich in der Schule schlechte Arbeiten. Ich
+werde wohl nicht versetzt werden.
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Siegmund Simon</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Siegmund Simon</h3>
+
+<p>
+Neun Ärzte behaupten, daß Samuel Simon an Wahnvorstellungen
+leide. Ich füge mich.
+</p>
+
+<p>
+Seit neunundzwanzig Jahren bin ich in der Anstalt. Man ist
+freundlich zu mir. Ich kann tun und lassen, was ich will.
+Wenn es warm ist, gehe ich im Garten und horche, wie die
+Stunden sterben. Wenn es kalt ist, sitze ich am Fenster und
+sinne in den Himmel. Oft schaue ich den Leuten zu, wenn sie
+rufen oder arbeiten oder traurig sind... Ich bin froh, daß
+ich fern bin. Ich entbehre nicht das Leben. Ich bin
+zufrieden, wenn man mir nichts tut und nichts von mir will.
+Ich beneide nicht die Menschen.
+</p>
+
+<p>
+Neunmal in jedem Jahr bringt meine bleiche Frau Blumen. Mein
+Sohn Siegmund kommt niemals. Zuletzt habe ich ihn gesehen,
+als ich begraben wurde. An meinem neunundvierzigsten
+Geburtstag –
+</p>
+
+<p>
+Ich lag in einem schmucklosen Holzsarg. Man fuhr mich auf
+einem wagenartigen Gestell. Neben mir schritten neun
+schwarzgekleidete Sargträger. Hinter mir der Pastor Leopold
+Lehmann, an seiner Seite meine Frau Frieda und mein
+neunzehnjähriger Sohn Siegmund. Wenige Verwandte folgten,
+die waren stillvergnügt und unterhielten sich von der
+Raupenplage.
+</p>
+
+<p>
+Die Sonne warf warmes Licht. Wind kam dann und wann. Er
+krabbelte über den Kies und kitzelte die Frauen um Brüste
+und Waden. Wir hielten vor dem aufgeschütteten Grab. Der
+Sarg wurde hinuntergelassen, einige Formalitäten und Gebete
+wurden erledigt. Darauf fing der Pastor Leopold Lehmann an,
+auf Wunsch und auf Kosten meiner Frau eine Gedächtnisrede zu
+halten. Er sagte:
+</p>
+
+<p>
+»Liebe Schwestern und Brüder! Wieder hat ein gütiges
+Geschick uns ein teures Menschenleben geraubt. Trauernd
+stehen wir am Grab des Dahingeschiedenen und gedenken seiner
+in Wehmut.«
+</p>
+
+<p>
+Mein Sohn Siegmund biß auf die Lippen. Der Pastor sagte:
+</p>
+
+<p>
+»Die Erde, die den Körper ausgesondert hat, daß er kurze
+Zeit ein beseeltes Eigenleben führe, hat ihn wieder
+aufgenommen in den Mutterschoß. Ein edler Mensch ist
+heimgegangen –«
+</p>
+
+<p>
+Mein Sohn Siegmund bekam einen Lachanfall. Das Gesicht wurde
+rot und ernst... Er lachte, bis er röchelte.
+</p>
+
+<p>
+Meine Frau schrie.
+</p>
+
+<p>
+Einem Sargträger entfiel die Schnapsflasche und zerbrach auf
+dem Sarg. Der Sargträger blickte wehmütig hinunter.
+</p>
+
+<p>
+Die Verwandten waren empört. Sie schämten sich für meinen
+Sohn Siegmund. Einige Frauen weinten in echte Spitzentücher.
+</p>
+
+<p>
+Ich war ganz still.
+</p>
+
+<p>
+Der Pastor sagte:
+</p>
+
+<p>
+»Wenn einer nicht weiß, wie er sich zu benehmen hat, soll er
+nicht kommen, wenn einer beerdigt wird – Amen.«
+</p>
+
+<p>
+Er warf etwas Sand auf die zerbrochene Schnapsflasche. Und
+entfernte sich. Stolz. Gekränkt. Der Pastor. Leopold
+Lehmann.
+</p>
+
+<p>
+Mein Sohn Siegmund säuberte sich die Fingernägel.
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Leopold Lehmann</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Leopold Lehmann</h3>
+
+<p>
+Ich bin Beamter einer Bank. Da ich keine Protektion habe,
+auch nicht ungewöhnlich tüchtig bin, komme ich nicht
+vorwärts. Ich bearbeite seit mehr als dreißig Jahren in
+derselben Abteilung dieselben Buchstaben. Deshalb hält man
+mich für gewissenhaft.
+</p>
+
+<p>
+Seit einem halben Jahre habe ich einen neuen Assistenten.
+Der heißt Leopold Lehmann. Er weiß alles besser als ich. Er
+ist der Neffe des stellvertretenden Direktors. Er nennt sich
+Volontär. Er hört sich gern reden. Am liebsten spricht er
+von sich. Daher kenne ich seinen Lebenslauf.
+</p>
+
+<p>
+Leopold Lehmann ist, wie er hervorhebt, eine ungeschickt
+ausgeführte Zangengeburt. Der Kopf ist nudelförmig
+deformiert. Die Nase auch. Er hat die üblichen Krankheiten
+durchgemacht. Er erfreut sich einer komplizierten Lues. Sie
+hat in den Körper Lehmanns faustgroße Löcher gefressen.
+</p>
+
+<p>
+Leopold Lehmann will die Tätigkeit in der Bank aufgeben,
+Theologie studieren. Daß er schon gekündigt hat, glaube ich.
+</p>
+
+<p>
+Lehmann verkehrt ausschließlich mit Theologen und mit mir.
+Und mit dem stellvertretenden Direktor.
+</p>
+
+<p>
+Der hat Rückenmarkschwindsucht.
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Kuno Kohn</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Kuno Kohn</h3>
+
+<p>
+Seit einem halben Jahr wohne ich in dem Haus. Von den
+Bewohnern hat noch niemand etwas bemerkt. Ich bin
+vorsichtig.
+</p>
+
+<p>
+Das weiße Kostüm bringt mir Glück. Ich verdiene genug. Und
+habe angefangen zu sparen; denn ich fühle, daß die Kräfte
+nachlassen. Häufig bin ich matt, manchmal habe ich
+Schmerzen. Auch werde ich dick und alt. Ich schminke mich
+nicht gern – – –
+</p>
+
+<p>
+Ich stehe nicht mehr unter Kontrolle. Kuno Kohn hat mich
+frei gemacht. Ich bin ihm dankbar.
+</p>
+
+<p>
+Kuno Kohn ist häßlich, er hat einen Buckel. Das Haar ist
+messingfarben, das Gesicht ist bartlos und von Furchen
+rissig. Die Augen sehen alt aus, um sie sind Schatten. Am
+Hals beginnt eine Narbe wie eine Regenrinne. Das eine Bein
+ist angeschwollen. Kuno Kohn hat einmal gesagt, daß er
+Knochenfraß habe.
+</p>
+
+<p>
+Sonderbar ist die erste Begegnung gewesen:
+</p>
+
+<p>
+Es regnete. Die Straßen waren naß und schmutzig. Ich stand
+an einer Laterne und blickte auf die angespritzten Kleider.
+Wenn Wind kam, fröstelte ich. Die Füße schmerzten von den
+Schuhen.
+</p>
+
+<p>
+Selten ging wer. Meist auf der anderen Seite. Im Schutz der
+Bäume. Mit aufgeschlagenem Mantelkragen. Den Hut schief über
+die Stirn. Niemand beachtete mich, ich stand traurig.
+</p>
+
+<p>
+Der Kies knirschte hinter mir. Hart und plötzlich, daß ich
+aufschreckte. Ein Polizist kam, die Hände am Rücken. Er ging
+langsam. Er sah mich argwöhnisch an, stolz auf sein Recht.
+Mit nacktem Blick, er fühlte sich Herr. Er schritt weiter.
+Ich lachte höhnend, er schaute sich nicht um. Der Polizist
+verachtete mich.
+</p>
+
+<p>
+Ich gähnte; es war spät geworden. – Da kam einer, der war
+klein und verwachsen. Er blieb stehen, als er mich sah. Er
+hatte die unglücklichen Augen, um die Lippen war verlegenes
+Lächeln. Er versteckte einen Teil des Gesichts hinter dürren
+Fingern. Und rieb am rechten Lid, wie wer, der sich schämt.
+Und hüstelte... Ich trat dicht zu ihm, daß er mich fühlte.
+Er sagte: »Na –« Ich sagte: »Komm, Kleiner.« Er sagte:
+»Eigentlich bin ich homosexuell.«
+</p>
+
+<p>
+Und nahm meine Hand. Und küßte mit kalten Lippen.
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Mabel Meier</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Mabel Meier</h3>
+
+<p>
+Es war spät. Häufig hörte ich die Geräusche von Fahrzeugen.
+In Abständen sah ich Leute. An einer Ecke standen zwei,
+die... schämten sich, als ich nahe war.
+</p>
+
+<p>
+Mädchen kamen, die sich verspätet hatten. Wenige, die Geld
+verdienen wollten. Ich sah die lange Dirne, die sich jeden
+Abend hier herumtreibt. Ich erkannte sie an dem Unterrock.
+</p>
+
+<p>
+Ein Kriminalbeamter beobachtete mich. Vor mir lief eine
+Frau, die blieb oft stehen und heulte.
+</p>
+
+<p>
+Ich dachte nicht nach. Ich blickte zu den Sternen und fand
+keinen Wunsch. Ich betrachtete mich gleichgültig wie einen
+fremden Gegenstand. Ich schüttelte den Kopf, daß der alte
+Mann so spät allein geht... Und zu den Sternen murmelt...
+Und so sonderbar ist...
+</p>
+
+<p>
+Ich begegnete einer Dame, die sagte: »Au –« Ich sagte: »Darf
+ich Sie begleiten?« Die Dame sagte: »Bitte.« – Es war
+ziemlich dunkel.
+</p>
+
+<p>
+Wir gingen miteinander; die Dame erzählte, sie heiße Meier,
+der Rufname sei aber Mabel. Sie wohne bei Verwandten, die
+hätten eine Portierstelle. Im übrigen sei sie Choristin.
+</p>
+
+<p>
+Die Dame war nicht schön und nicht jung, aber sie sah
+zugänglich aus. Ich hatte keinen Grund, schüchtern zu sein –
+</p>
+
+<p>
+Vor dem Haus, in dem die Dame wohnte, blieben wir stehn.
+</p>
+
+<p>
+Ich machte den Vorschlag, noch ein Hotel aufzusuchen. Die
+Dame war nicht abgeneigt, sie sagte: »Nee –« Ich sagte:
+»Wieso –« Die Dame sagte, sie habe Trauer. Ich fragte, wer
+gestorben sei. Sie sagte: »Papa –« Ich sagte: »Sie wollen
+also nicht –« Über das Gesicht der Dame kam ein Lächeln. Sie
+schaute zu einer Laterne – – –
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Das Fragment</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Das Fragment</h3>
+
+<p>
+Ich liebe die toten Tage. Die haben kein Leuchten, sie sind
+ohne Farben und ganz sehnsüchtig. Die Häuser stehen wie
+Kulissen vor der grauen Wolke, die Menschen gehen wie in dem
+Lichtspiel: wenn der Abend wird, nicht anders, als sie in
+der Frühe gingen. Alle Dinge sind wuchtiger. Und meine
+Kammer sieht aus, wie wenn eben einer darin gestorben wäre.
+</p>
+
+<p>
+So oft diese Tage sind, wächst in mir unwillkürlich eine
+sinnlose Lust an der Arbeit. Ich tue die alltäglichen
+Verrichtungen, als wäre Gottesdienst, was ich tue. Und ich
+verliere mich dabei. Fast wie die Träumenden sich verloren
+haben. Aber einmal merke ich, daß ich reglos geworden bin
+und nach innen starre.
+</p>
+
+<p>
+Ich werde sehr wach davon, und ich kann mich nicht mehr
+hingeben. Ich gehe zu dem Fenster, da sind wunderliche
+Gedanken. Die waren sonst nur in Nächten.
+</p>
+
+<p>
+Ich fühle mich fremd bei allen Dingen. Sie drängen auf mich
+ein, als kennten sie mich nicht: die Straße und die Menschen
+und die Türen in den Häusern und die tausend Bewegungen. Wo
+ich hinschaue, werde ich verwirrt.
+</p>
+
+<p>
+– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –<br />
+– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
+</p>
+
+<p>
+Die Augen meines Freundes waren elend und vergangen und
+heillos schmerzlich, daß die Leute lachten, wenn er zu ihnen
+sah. Er schämte sich seiner Augen, als verrieten sie von
+sündsamen Abenteuern, und verbarg sie viel hinter den
+vergilbten Lidern. Aber er fühlte, wie man hinstarrte, wenn
+er eintrat, wo er unerwartet kam. Oder sich setzte, wo er
+nicht selbstverständlich war. Er schaute übertrieben wie ein
+Suchender. Hüstelte und hielt die Hand vor den Mund, zog die
+Backen nach innen oder wölbte die eine mit der Zunge. War
+verlegen. Unglücklich. Wäre gern allein gewesen... in dem
+Dunkel.</p>
+
+<p>
+
+Kinder neigten den Kopf, wenn sein Blick auf ihre Augen kam.
+Und wurden rot. Und grinsten scheu und dumm. Frauen
+kicherten, sie schauten wie harmlos und klatschten einander
+auf die Schenkel oder auf die nackten Schultern und küßten
+ihre verwüsteten Männer. In der Nacht lagen sie wach und
+sannen sich heiß. Aber die jungen Mädchen wichen ihm aus.
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>
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+
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+<head>
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+ <title>Die Familie</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">Die Familie</h3>
+
+<p>
+Die Familie kommt in jedem Monat einmal zusammen. Die Frauen
+mit den Kindern treffen sich schon nachmittags.
+</p>
+
+<p>
+Der Kaffee ist ausgetrunken. Die Kinder sind fortgeschickt.
+Sollen spielen. Müssen nicht alles hören.
+</p>
+
+<p>
+Die Frauen aber flüstern. Sie haben mitleidige Gesichter.
+Sie sprechen von einem, der sehr krank ist.
+</p>
+
+<p>
+Wenn es dämmrig wird, erzählen sie über Geistergeschichten
+und wunderbare Heilungen. Sie fürchten sich. Rufen die
+Kinder. Drücken die Kinder an die Brust.
+</p>
+
+<p>
+Dann wird Obst gegessen.
+</p>
+
+<p>
+Kommen die Männer. Gespräche über Haartrachten, über
+Geschäfte. Und so weiter. Die Unterhaltung geht ruckweise.
+Bleibt immer plötzlich stehen wie eine defekte Uhr. Furcht,
+sie werde ganz aufhören. Ein junges Mädchen wird rot –
+</p>
+
+<p>
+Aber einmal schweigt alles. Man glaubt zu ersticken. Fühlt
+sich unsicher wie in einer Schaukel, hilflos wie in einer
+Rutschbahn... kommt sich lächerlich vor. Man hört, wie der
+Wind um die Dächer fegt. Regen schlägt an die grauen
+Fenster.
+</p>
+
+<p>
+Immer noch Schweigen.
+</p>
+
+<p>
+Da –
+</p>
+
+<p>
+Ob es so schlimm sei... mit ihm – Wie das enden solle... Man
+sieht aneinander vorbei.
+</p>
+
+</div>
+
+</body>
+</html>