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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:26:18 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:26:18 +0100
commit01bbc5f90e683a03ec16179d95879a8baeb8c167 (patch)
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-rw-r--r--OEBPS/Text/08.html174
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--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/08.html
@@ -0,0 +1,174 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
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+ "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
+
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+ <title>Achtes Kapitel</title>
+</head>
+<body>
+
+ <h3 class="spaced center">Achtes Kapitel</h3>
+
+<p>
+Durch die regengepeitschte Nacht fuhr in ihrem Auto die
+Schauspielerin Fredegonde Perlenblick. Sie hörte ausserdem
+auf den Namen Mah bei jüngeren Liebhabern, Lou, wenn sie
+dämonisch war, und Bea, wenn sie eine Familie zu ersetzen
+suchte. Sie fuhr mit zwei erschrecklich blendenden
+Scheinwerfern, die im glitschrigen Asphalt, in dessen
+Regenwasser die Schatten der letzten Trotteurs gaukelten,
+weisse Lichtgruben aufrissen. Ihre Autohuppe hatte
+entschieden dramatische Kraft. Der Chauffeur hielt einen
+tragischen Rezitationsstil inne, die Huppe hatte das
+dramatische R. Auf dem Dache des Kupees war ein Kintopp
+angebracht, der den verschlafenen Bürgern zeigte, wie die
+Schauspielerin Fredegonde Perlenblick sich auszog, badete
+und zu Bett ging. Ehe es dunkel wurde, erschien über dem
+Bett kalligraphisch »Endlich allein?« Unter der Bilderreihe
+des rasenden Kinema stand zum Beispiel »Ich trage den
+Strumpfhalter ›Ideal‹« oder sonst irgend eine wertvolle
+Empfehlung. Die Schauspielerin liess vor der Bar halten. Sie
+stieg aus, es war noch niemand da. Ihr erster zündender
+Blick, der das Lokal durchkreiste, blieb unerwidert.</p>
+
+<p>
+Sie setzte sich hin und war schön für sich selbst.</p>
+
+<p>
+Bebuquin stieg über die Schwelle.</p>
+
+<p>
+»Gnädigste, Sie sitzen auf einer Hypothese.«</p>
+
+<p>
+»Ja, ich bin wie ein verkleideter Knabe.«</p>
+
+<p>
+Die Dame zog den Blick Nummer fünf. Sie merkte, diesmal
+müsste sie auf höherem Niveau einsetzen.</p>
+
+<p>
+»Gnädigste, wissen Sie, Sie beweisen mir durchaus die
+Nichtexistenz des Materiellen.«</p>
+
+<p>
+»Oh, wir werden ja auch beim Theater, soweit angängig,
+Stilisten. Ich habe schon ein Reformkleid versucht, aber das
+ist so schwer zu tragen. Entweder, man sieht wie permanente
+Jungfrau aus, oder schlechthin verheiratet. Ein Mittelstück
+gibt's da gar nicht.«</p>
+
+<p>
+Sie markierte erregten Busen.</p>
+
+<p>
+Man war still.</p>
+
+<p>
+Der schalkige Böhm befunkelte aus seiner Kognakbütte den
+Hals Fredegondes. Sie reagierte.</p>
+
+<p>
+Bescheiden sprach er:</p>
+
+<p>
+»Gnädigste, wollen Sie einen Edelstein aus meinem Kopf?«</p>
+
+<p>
+»Ich habe den Büchmann und eine lyrische Anthologie. Das
+genügt,« sagte sie entrüstet.</p>
+
+<p>
+»Ich meine ja ganz richtige.«</p>
+
+<p>
+»Vorher musste ich auf einer Hypothese sitzen, und jetzt
+wollen Sie mir immaterielle Juwelen verzapfen. Mein Herr,
+achten Sie den Intellekt eines Weibes.«</p>
+
+<p>
+»Kindchen, hast Du schon von einem verkehrten Kaffee gehört?
+Sieh, gönn uns den bescheidenen Sport der Verrücktheit.«</p>
+
+<p>
+»Aber man muss natürlich sein. Ich bin immer so natürlich.«
+Jetzt lächelte sie bereits.</p>
+
+<p>
+Böhm schnalzte ihr flink einen Edelstein auf den Hals und
+redete mit furchtbarer Stimme.</p>
+
+<p>
+»Jetzt bist du in die Träume gezogen. Schmerzkakadu los!«</p>
+
+<p>
+Der Giebel des Buffets färbte sich bunt. Vogelaugen
+starrten, die Wände der Bar überzogen sich mit Vogelfedern,
+und man hörte ein Gerattel von Flügeln, man spürte, es wird
+geflogen, höher, wilder in dem Wahnsinn.</p>
+
+<p>
+Die Schauspielerin schrie:</p>
+
+<p>
+»Drehbühne! Shakespeare bei Reinhardt!« und hielt krampfhaft
+ihre Handtasche.</p>
+
+<p>
+Die Flügel des Kakadus wurden mit Menschen angefüllt.</p>
+
+<p>
+Euphemia sass über allen, Emil, den phosphoreszierenden
+Embryo, auf dem Schoss und rief: </p>
+
+<p>
+»Herrschaften, heute wird schwarz weiss.</p>
+
+<p>
+Wir werden so wütend, dass wir hintennach kein Wort mehr
+reden werden.</p>
+
+<p>
+»Oh, ich bin ja nur die Wachspuppe aus der billigen
+Erstarrnis.«</p>
+
+<p>
+Jetzt sahen sie von sich ausgehend eine Reihe; es tanzten um
+sie die vergangenen Jahre, die rauften.</p>
+
+<p>
+»Wir müssen auf die Sinne,« rief Böhm.</p>
+
+<p>
+»Kinder, im Himmel gibt's nur verzückte Augen. Wir müssen so
+genau sehen, dass darin alles Wissen steckt.«</p>
+
+<p>
+Aufgeregt starrte das Volk auf der Strasse nach dem grossen
+Tier, das in der Luft torkelte, und schrie:</p>
+
+<p>
+»Es kommt der Lebendige.«</p>
+
+<p>
+Der Vogel schrie in Graurot:</p>
+
+<p>
+»Ich bin ein Beweis, es kann auch anders zugehen.«</p>
+
+<p>
+Die Menschen klapperten vor Angst, ob sie es ertragen
+konnten. Meistens bleibt man ja im dilettantischen Schrecken
+stehen. Und endet mit einem Schlaganfall auf dem Plüschsofa.</p>
+
+<p>
+Davor ein weisser Mops aus Porzellan.</p>
+
+<p>
+Er hat eine rote Schleife.</p>
+
+</body>
+</html>