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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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Sie fuhr mit zwei erschrecklich blendenden +Scheinwerfern, die im glitschrigen Asphalt, in dessen +Regenwasser die Schatten der letzten Trotteurs gaukelten, +weisse Lichtgruben aufrissen. Ihre Autohuppe hatte +entschieden dramatische Kraft. Der Chauffeur hielt einen +tragischen Rezitationsstil inne, die Huppe hatte das +dramatische R. Auf dem Dache des Kupees war ein Kintopp +angebracht, der den verschlafenen Bürgern zeigte, wie die +Schauspielerin Fredegonde Perlenblick sich auszog, badete +und zu Bett ging. Ehe es dunkel wurde, erschien über dem +Bett kalligraphisch »Endlich allein?« Unter der Bilderreihe +des rasenden Kinema stand zum Beispiel »Ich trage den +Strumpfhalter ›Ideal‹« oder sonst irgend eine wertvolle +Empfehlung. Die Schauspielerin liess vor der Bar halten. Sie +stieg aus, es war noch niemand da. Ihr erster zündender +Blick, der das Lokal durchkreiste, blieb unerwidert.</p> + +<p> +Sie setzte sich hin und war schön für sich selbst.</p> + +<p> +Bebuquin stieg über die Schwelle.</p> + +<p> +»Gnädigste, Sie sitzen auf einer Hypothese.«</p> + +<p> +»Ja, ich bin wie ein verkleideter Knabe.«</p> + +<p> +Die Dame zog den Blick Nummer fünf. Sie merkte, diesmal +müsste sie auf höherem Niveau einsetzen.</p> + +<p> +»Gnädigste, wissen Sie, Sie beweisen mir durchaus die +Nichtexistenz des Materiellen.«</p> + +<p> +»Oh, wir werden ja auch beim Theater, soweit angängig, +Stilisten. Ich habe schon ein Reformkleid versucht, aber das +ist so schwer zu tragen. Entweder, man sieht wie permanente +Jungfrau aus, oder schlechthin verheiratet. Ein Mittelstück +gibt's da gar nicht.«</p> + +<p> +Sie markierte erregten Busen.</p> + +<p> +Man war still.</p> + +<p> +Der schalkige Böhm befunkelte aus seiner Kognakbütte den +Hals Fredegondes. Sie reagierte.</p> + +<p> +Bescheiden sprach er:</p> + +<p> +»Gnädigste, wollen Sie einen Edelstein aus meinem Kopf?«</p> + +<p> +»Ich habe den Büchmann und eine lyrische Anthologie. Das +genügt,« sagte sie entrüstet.</p> + +<p> +»Ich meine ja ganz richtige.«</p> + +<p> +»Vorher musste ich auf einer Hypothese sitzen, und jetzt +wollen Sie mir immaterielle Juwelen verzapfen. Mein Herr, +achten Sie den Intellekt eines Weibes.«</p> + +<p> +»Kindchen, hast Du schon von einem verkehrten Kaffee gehört? +Sieh, gönn uns den bescheidenen Sport der Verrücktheit.«</p> + +<p> +»Aber man muss natürlich sein. Ich bin immer so natürlich.« +Jetzt lächelte sie bereits.</p> + +<p> +Böhm schnalzte ihr flink einen Edelstein auf den Hals und +redete mit furchtbarer Stimme.</p> + +<p> +»Jetzt bist du in die Träume gezogen. Schmerzkakadu los!«</p> + +<p> +Der Giebel des Buffets färbte sich bunt. Vogelaugen +starrten, die Wände der Bar überzogen sich mit Vogelfedern, +und man hörte ein Gerattel von Flügeln, man spürte, es wird +geflogen, höher, wilder in dem Wahnsinn.</p> + +<p> +Die Schauspielerin schrie:</p> + +<p> +»Drehbühne! Shakespeare bei Reinhardt!« und hielt krampfhaft +ihre Handtasche.</p> + +<p> +Die Flügel des Kakadus wurden mit Menschen angefüllt.</p> + +<p> +Euphemia sass über allen, Emil, den phosphoreszierenden +Embryo, auf dem Schoss und rief: </p> + +<p> +»Herrschaften, heute wird schwarz weiss.</p> + +<p> +Wir werden so wütend, dass wir hintennach kein Wort mehr +reden werden.</p> + +<p> +»Oh, ich bin ja nur die Wachspuppe aus der billigen +Erstarrnis.«</p> + +<p> +Jetzt sahen sie von sich ausgehend eine Reihe; es tanzten um +sie die vergangenen Jahre, die rauften.</p> + +<p> +»Wir müssen auf die Sinne,« rief Böhm.</p> + +<p> +»Kinder, im Himmel gibt's nur verzückte Augen. Wir müssen so +genau sehen, dass darin alles Wissen steckt.«</p> + +<p> +Aufgeregt starrte das Volk auf der Strasse nach dem grossen +Tier, das in der Luft torkelte, und schrie:</p> + +<p> +»Es kommt der Lebendige.«</p> + +<p> +Der Vogel schrie in Graurot:</p> + +<p> +»Ich bin ein Beweis, es kann auch anders zugehen.«</p> + +<p> +Die Menschen klapperten vor Angst, ob sie es ertragen +konnten. Meistens bleibt man ja im dilettantischen Schrecken +stehen. Und endet mit einem Schlaganfall auf dem Plüschsofa.</p> + +<p> +Davor ein weisser Mops aus Porzellan.</p> + +<p> +Er hat eine rote Schleife.</p> + +</body> +</html> |