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  <title>Siebentes Kapitel</title>
</head>
<body>

  <h3 class="spaced center">Siebentes Kapitel</h3>

<p>
Die drei Bogenlampen schweben in der Bar. Ihre Strahlen,
losgelöst vom inneren Lichtkern, durchbohrten sich wie
Stricknadeln. Böhm im Kognak stieg heraus, tanzte hinter den
Kristallflacons der farbigen Schnäpse, leise trällernd den
Cancan des Chamäleons serpentina alcoholica. </p>

<p>
Die Monde der Bogenlampen wurden obscön, ihre Strahlen
fingerten in der Dekolletage der Damen, man hörte auf
Bebuquins leise trockene Stimme, der von seiner letzten
Liebschaft erzählte.</p>

<p class="center">
»Der Abschied von der Symetrie.</p>

<p>
Meine letzte Geliebte stand im Garten zur sympathischen
Kurve &ndash; ist eine Vase aus Knidos. Ein reiches Weib
besass sie, konnte sie aber nicht um sich ertragen, weil sie
die Konkurrenz mit der Vase nicht bestreiten konnte. Sie
stiess bedeutend mit der Zunge an und sah ästhetische
Jünglinge bei sich. Um Bildung zu markieren, zeigte die Dame
den Jünglingen stets die knidische Vase. Also die Jünglinge
verglichen kunstgewerblich die Dame mit der Vase. Der Pot
hatte unbedingt die Form eines schlanken Weibes, die Dame
zog dabei den kürzeren und kam mit ihrer Liebe zur Kunst
nicht auf ihre Kosten. Diese Vase ruinierte mich fast, meine
Sinne waren ziemlich abstrakt gestimmt. Ich suchte
wochenlang nach der Frau, welche die Proportionen der Vase
habe. Selbstverständlich vergeblich. Höchstens die Puppe in
Euphemias billiger Erstarrnis. Aber das stimmte alles nicht.
Im Traum stieg ich zur Vase und zerbrach sie regelmässig.
Das Gefäss machte mich zum Klassizisten, zum symmetrisch
geteilten Stilisten. Da fand ich's. Die Symmetrie ist wie
die platonische Idee eine tote Ruhe. Böhm sagte mal, ich
sollte mir ein Bein amputieren. Das war brutal, aber ganz
richtig. Doch die Sache war mir damals nicht klar, die
Symmetrie ist langweilig wie Mechanik. Zuletzt liess ich mir
die knidische Vase schenken. Damit war der Dame des Hauses
und mir gedient. Nach einer ziemlich schlimmen Nacht schlug
ich den Topf entzwei. Es ging ums Leben. Seitdem bin ich
Romantiker geworden.«</p>

<p>
Bebuquin sah gar nicht, dass die Hetäre und Euphemia
krampfhaft unter den Bogenlampen sassen, Liköre tranken und
in das Licht starrten. Lippenknabe küsste seine Maitresse
auf den Arm. Grell schrie sie auf und wehrte den Maler
deutlich mit einer langen, spitzen Hutnadel aus dem
zuckenden Lichtkreis ab.</p>

<p>
Er zog sich notgedrungen zurück.</p>

<p>
Die Frauen lagen verzückt unter den starren, stechenden
Dolchen der Bogenlampen.</p>

<p>
Sie stöhnten wie Tiere.</p>

<p>
Die Lampen begannen zu zucken, sie zischten.</p>

<p>
Bebuquin drehte die Leitung ab.</p>

<p>
Die Frauen schraken verstört auf.</p>

<p>
Der Maler sagte eifersüchtig »Sonnenkult« und ging.</p>

<p>
Bebuquin blieb mit den Frauen. Man trank weiter, der Alkohol
redete wie Gott aus dem Munde der Propheten.</p>

<p>
Der fahle Morgen betupfte die Scheiben.</p>

<p>
Er krauchte die Häusermauern hinunter.</p>

<p>
Die drei Leute ängstigten sich vor der Trennung.</p>

<p>
Denn man geht erst, wenn die Erschöpfung vollendet ist.</p>

<p>
Sie kauerten zusammen, eine kalte, feuchte Schlange zog sich
immer enger um die drei.</p>

<p>
Der Schrecken des Farbenwechsels der übergehenden Zeiten
machte sie stumm. Die Nacht, welche die vom Licht
übergrellten Gesichte liebt, starb in den Tag hinein. Man
fühlte, man müsse die Nächte zu einem ernsten Training
benutzen, denn die drei wollten um jeden Preis Visionäre
werden, ganz unmenschlich sein. Sie waren ihres Körpers und
seiner Formen unabweislich müde geworden und spürten, dass
sie sich verzerren müssten.</p>

<p>
Unter der blöden Sonne gingen die Grauen heim. </p>

<p>
Die Landschaft war auf ein Brett gestrichen, die
aufgerissenen Augen spürten nicht mehr vor Ueberreizung,
dass es heller und klarer wurde. Das Licht der Glühlampen
und die sie umhüllende Finsternis steckte noch in den
Sehnerven. Bebuquin suchte weinend der Sonne in einen
imaginären Bauch zu treten. Ein Brillant über Euphemias
Décoleté fing das unverbrauchte Morgenlicht auf,
konzentrierte das Licht. Giorgio erschrak vor der
blitzenden, schrie »verflucht« und suchte ihre Wohnung auf.
Die Hetäre zog allein weiter. Man liess sie unbenutzt
stehen, sie spannte ihren pfaufarbenen Schirm auf, sprang
wild ein paarmal in die Höhe, dann fügte sie sich in die
Fläche einer Litfass-Säule, sie war nur ein Plakat gewesen
für die neueröffnete Animierkneipe »Essay«.</p>

</body>
</html>