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  <title>Vierzehntes Kapitel</title>
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<body>

  <h3 class="spaced center">Vierzehntes Kapitel</h3>

<p>
Vor dem Kloster sass ein Mann, in sich selbst schauend.
Ueber ihm schwebte eine Frau, man wollte andeuten, was hier
geleistet werde, jedoch nur einen geringen Vorgeschmack
kosten lassen. Es war das platonische Ehepaar. Er begann
sich zu kugeln, indem er den Kopf mit den Füssen umarmte;
sie kreiste, sich um sich selbst drehend, über seinem
weissen, kurz gescherten Schädel.</p>

<p>
Sie litaneierten leise.</p>

<p>
»Stille der in sich versunkenen, um sich selbst drehenden
Geweihten. Wann steht uns alles in sich selbst? Viele Wege
münden in der wundersamen Einsicht, die Idee und die
Hurerei; wundgelaufene Füsse und tote Verachtung;
knabenhafte unvorsichtige Beschäftigung mit Grenzbegriffen.
O infame Unendlichkeit der Faulen, Müden, Tatlosen, Hurer
und Bazis, die du sicher ruinierst, die Form zerstörst und
die tätige Kraft. O niederträchtiges Versinken in den Punkt
der Punkte, in das A O, in den Grund, in den Beschluss.«</p>

<p>
Bebuquin ging vorbei und trat in den ekstatischen Vorhof. Es
war immer dasselbe. Die Ekstase erregte und steigerte sich
an einem Nichts, einer Grube von schwarzem Marmor, worüber
man schwebte, in die man schaute, worüber man brütete, in
die man schwieg, an der man entbrannte, worin alles
verharrte, in die man rief, über der man tanzte, sich
geisselte und so fort. Andere hatten statt dessen einen
kristallinischen Stein und empfahlen in längeren Reden seine
helle Durchsichtigkeit, sein Feuer, seine perspektivische
Kraft, seine Brechungen, seine schöpferische Plastik, die
Form, die Gefasstheit, die Reinheit und so fort. Um den
Stein arbeiteten viele; bald rollte man ihn der schwarzen
Grube näher, stülpte ihn darüber, hielt ihn, senkte ihn in
die Grube fast bis zum Grund. Die Verzerrungen, die durch
den Schliff entstanden, liessen nicht erkennen, ob der Stein
in die Grube passe oder nicht. Darum hatte man eine
Hypothesen-Kommission, während gemeine Opponenten mit
grossen Nasen verlangten, man soll riechen, ob er passte,
den Stuhlgang der Riechenden aerostatisch messen und die
Kurven, in denen die Exkremente der Riechenden zur Erde
fielen, ballistisch berechnen. Ein ziemlich verachteter Teil
von Klosternovizen spielte mit einer Maske und einem
Spiegel, aber davon soll man nicht reden. Aus einem kleinen
Säulengang klang die leiernde Stimme eines Bonzen.</p>

<p>
»Ich und Du sind eines, diese Identität hält die Welt
zusammen. Die Kontemplation ist eine phantastische
Fähigkeit; denn sie geht über die Dinge hinweg in eine
geistige Gemeinschaft. Es ist ein Grundgefühl über den Satz
des Widerspruchs. In meiner glühenden Liebe ist B gleich A.
Grund und Folge fallen in eins. Jedes kehrt ins andere
zurück, um sich selbst zu finden. O gleiche Kraft, o
Geschehnislosigkeit, o Ereignisse, höchst eindeutig.«</p>

<p>
Bebuquin schrie: »hier wird ein sanktionierter Selbstmord
vollzogen, hier wird sakrale Idiotie gezüchtigt, Augen
ausgerissen. Mein Herr, ich kam gerade hierher, um einen
neuen Menschen zu fabrizieren. Ich lebe nur noch vom Wort
anders. Ich kann die Gleichheit nicht gebrauchen.«</p>

<p>
Der Bonze rief ihm zu.</p>

<p>
»Werden Sie der Erscheinung nach anders. Uebrigens ist es
ganz belanglos, was Sie meinen. Sie sind ja nur Urgrund,
darum innerst sündlos.«</p>

<p>
Bebuquin schimpfte.</p>

<p>
»Mich interessiert der Urgrund gar nicht, ich pfeife
darauf.«</p>

<p>
Böhm trat ihm entgegen in gelber Mönchskutte.</p>

<p>
»Eine Hoffnung besteht, Bebuquin; die Verwandlung tritt
vielleicht mit dem Tode ein. Entweder wir bleiben dort, was
wir sind, oder wir werden vernichtet und verwandelt.«</p>

<p>
B.: »Aber ist es nicht möglich, sich im Leben zu wandeln,
das elende Gedächtnis zu verlieren?«</p>

<p>
»Bebuquin, du bist an dir erkrankt. Die Sünde ruht nicht nur
im Gedächtnis, sondern auch in der Tat, die unter den
Menschen und im Himmel umhergeht.«</p>

<p>
»Aber muss man denn sterben, um anders zu werden?«</p>

<p>
»Beichten Sie und opfern Sie sich. Ich glaubte, das
Phantastische genüge, ich wurde lackiert, gehen Sie,
beichten Sie.«</p>

<p>
Bebuquin rief beichtend in das Tor der Kapelle.</p>

<p>
»Ich verzichte darauf, durch eine Reinigung reduziert und
entleert zu werden. Ich verpöne es, in Armut von vorn
anzufangen. Ich will irgend ein anderes Schicksal, ich sah
mein Schicksal, es ist nichts als die Wiederholung einer
Dummheit.- Ich bitte, dass es mir gelinge, von den vielen
Dingen, die ich mir vorzustellen vermag, eins zu sein.«</p>

<p>
Der Beichtiger rief erwidernd aus dem Inneren der Kapelle:
»Sie stellen sich vieles vor. Sinnvoll aber sind nur
Vorstellungen, mit denen man handeln kann. Sie bedürfen der
Grundverwandlung, die aber ist der Tod.«</p>

<p>
Bebuquin: »Viele Dinge geschehen, die nicht einzuordnen
sind, verworfen oder nicht gesehen werden, verdeckt von der
tödlichen Vernunft. </p>

<p>
Strophe: Petrefakte Bäume meines Gartens spiegeln sich im
blinden Kristallboden; die Bewegung meiner Hände fährt nur
in die Ruhe; jedes Brennen, Fliegen, Reissen wird versteint.
Zum schlafenden Gebirge fügen sich die Tage an; und je
toter, desto fester, unvergänglicher, steiler,
unübersteiglicher hemmt mich das Bleibende, die
Vergangenheit.«</p>

<p>
Antiphone: »Der Fähige bildet Vergangenes um, im Wechsel
seiner Gegenwart und Zukunft; und diese wandelt sich,
gewinnt auch an Beziehungen, und fruchtlos, ja schädlich
wird es im zehnten Jahr das Glück und einzige Lösung.«</p>

<p>
Strophe: »Was in Erinnerung steht, ist verlorene Kraft und
Hemmung, Bindung zu gleichen Sünden. Was gewesen ist, wirkt
wie die Schablone, wir stehen in dem Fluss, immer brodelt
das gleiche Wasser.«</p>

<p>
Man sprach in einer leichten Unterhaltung weiter. Bebuquin
meinte: »Sehen Sie, die Logik fixiert, soweit unsere
Fähigkeiten auf sogenannte Tatsachen angewendet werden. Sie
bedenkt nur unsere praktischen Bedürfnisse, richtet sich
nach den Dingen und sucht diese in übereinstimmenden, sich
wiederholenden Beziehungen zu erhalten. Aber in mir ist so
viel und gerade das Wertvollste, was über die Tatsache
hinausgeht. Die materielle Welt und unsere Vorstellungen
decken sich nie.</p>

<p>
Darum ist die Tat notwendig, dies Correktiv von Tatsachen
und Dingen. Wenn man jedoch wie ich zu der Ueberzeugung
gelangte, dass wir weiter müssen, dass wir uns verwandeln
müssen; ist es dann nicht möglich, dass eine neue Art Mensch
entsteht, die es verschmäht, in den gleichen Strassen weiter
zu gehen.«</p>

<p>
Trompeten und Pauken schollen von der Decke der Kapelle.
Bebuquin trat in sie ein. Er Er sprach weiter:</p>

<p>
»Bisher wurde das Religiöse an den Tatsachen zur Groteske,
oder umgekehrt; aber vielleicht decken sich die Dinge nie,
damit das Schöpferische nicht einschlafe. Gott, das
Phantastische, die ganze unterdrückte, sprachlose
Sensibilität wollen reden, wir sträuben uns gegen diese
immer gleiche Auslese, die Welt muss sich uns verwandeln.«</p>

</body>
</html>