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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:26:18 +0100 |
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diff --git a/OEBPS/Text/14.html b/OEBPS/Text/14.html new file mode 100644 index 0000000..e3d5f0c --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/14.html @@ -0,0 +1,197 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Vierzehntes Kapitel</title> +</head> +<body> + + <h3 class="spaced center">Vierzehntes Kapitel</h3> + +<p> +Vor dem Kloster sass ein Mann, in sich selbst schauend. +Ueber ihm schwebte eine Frau, man wollte andeuten, was hier +geleistet werde, jedoch nur einen geringen Vorgeschmack +kosten lassen. Es war das platonische Ehepaar. Er begann +sich zu kugeln, indem er den Kopf mit den Füssen umarmte; +sie kreiste, sich um sich selbst drehend, über seinem +weissen, kurz gescherten Schädel.</p> + +<p> +Sie litaneierten leise.</p> + +<p> +»Stille der in sich versunkenen, um sich selbst drehenden +Geweihten. Wann steht uns alles in sich selbst? Viele Wege +münden in der wundersamen Einsicht, die Idee und die +Hurerei; wundgelaufene Füsse und tote Verachtung; +knabenhafte unvorsichtige Beschäftigung mit Grenzbegriffen. +O infame Unendlichkeit der Faulen, Müden, Tatlosen, Hurer +und Bazis, die du sicher ruinierst, die Form zerstörst und +die tätige Kraft. O niederträchtiges Versinken in den Punkt +der Punkte, in das A O, in den Grund, in den Beschluss.«</p> + +<p> +Bebuquin ging vorbei und trat in den ekstatischen Vorhof. Es +war immer dasselbe. Die Ekstase erregte und steigerte sich +an einem Nichts, einer Grube von schwarzem Marmor, worüber +man schwebte, in die man schaute, worüber man brütete, in +die man schwieg, an der man entbrannte, worin alles +verharrte, in die man rief, über der man tanzte, sich +geisselte und so fort. Andere hatten statt dessen einen +kristallinischen Stein und empfahlen in längeren Reden seine +helle Durchsichtigkeit, sein Feuer, seine perspektivische +Kraft, seine Brechungen, seine schöpferische Plastik, die +Form, die Gefasstheit, die Reinheit und so fort. Um den +Stein arbeiteten viele; bald rollte man ihn der schwarzen +Grube näher, stülpte ihn darüber, hielt ihn, senkte ihn in +die Grube fast bis zum Grund. Die Verzerrungen, die durch +den Schliff entstanden, liessen nicht erkennen, ob der Stein +in die Grube passe oder nicht. Darum hatte man eine +Hypothesen-Kommission, während gemeine Opponenten mit +grossen Nasen verlangten, man soll riechen, ob er passte, +den Stuhlgang der Riechenden aerostatisch messen und die +Kurven, in denen die Exkremente der Riechenden zur Erde +fielen, ballistisch berechnen. Ein ziemlich verachteter Teil +von Klosternovizen spielte mit einer Maske und einem +Spiegel, aber davon soll man nicht reden. Aus einem kleinen +Säulengang klang die leiernde Stimme eines Bonzen.</p> + +<p> +»Ich und Du sind eines, diese Identität hält die Welt +zusammen. Die Kontemplation ist eine phantastische +Fähigkeit; denn sie geht über die Dinge hinweg in eine +geistige Gemeinschaft. Es ist ein Grundgefühl über den Satz +des Widerspruchs. In meiner glühenden Liebe ist B gleich A. +Grund und Folge fallen in eins. Jedes kehrt ins andere +zurück, um sich selbst zu finden. O gleiche Kraft, o +Geschehnislosigkeit, o Ereignisse, höchst eindeutig.«</p> + +<p> +Bebuquin schrie: »hier wird ein sanktionierter Selbstmord +vollzogen, hier wird sakrale Idiotie gezüchtigt, Augen +ausgerissen. Mein Herr, ich kam gerade hierher, um einen +neuen Menschen zu fabrizieren. Ich lebe nur noch vom Wort +anders. Ich kann die Gleichheit nicht gebrauchen.«</p> + +<p> +Der Bonze rief ihm zu.</p> + +<p> +»Werden Sie der Erscheinung nach anders. Uebrigens ist es +ganz belanglos, was Sie meinen. Sie sind ja nur Urgrund, +darum innerst sündlos.«</p> + +<p> +Bebuquin schimpfte.</p> + +<p> +»Mich interessiert der Urgrund gar nicht, ich pfeife +darauf.«</p> + +<p> +Böhm trat ihm entgegen in gelber Mönchskutte.</p> + +<p> +»Eine Hoffnung besteht, Bebuquin; die Verwandlung tritt +vielleicht mit dem Tode ein. Entweder wir bleiben dort, was +wir sind, oder wir werden vernichtet und verwandelt.«</p> + +<p> +B.: »Aber ist es nicht möglich, sich im Leben zu wandeln, +das elende Gedächtnis zu verlieren?«</p> + +<p> +»Bebuquin, du bist an dir erkrankt. Die Sünde ruht nicht nur +im Gedächtnis, sondern auch in der Tat, die unter den +Menschen und im Himmel umhergeht.«</p> + +<p> +»Aber muss man denn sterben, um anders zu werden?«</p> + +<p> +»Beichten Sie und opfern Sie sich. Ich glaubte, das +Phantastische genüge, ich wurde lackiert, gehen Sie, +beichten Sie.«</p> + +<p> +Bebuquin rief beichtend in das Tor der Kapelle.</p> + +<p> +»Ich verzichte darauf, durch eine Reinigung reduziert und +entleert zu werden. Ich verpöne es, in Armut von vorn +anzufangen. Ich will irgend ein anderes Schicksal, ich sah +mein Schicksal, es ist nichts als die Wiederholung einer +Dummheit.- Ich bitte, dass es mir gelinge, von den vielen +Dingen, die ich mir vorzustellen vermag, eins zu sein.«</p> + +<p> +Der Beichtiger rief erwidernd aus dem Inneren der Kapelle: +»Sie stellen sich vieles vor. Sinnvoll aber sind nur +Vorstellungen, mit denen man handeln kann. Sie bedürfen der +Grundverwandlung, die aber ist der Tod.«</p> + +<p> +Bebuquin: »Viele Dinge geschehen, die nicht einzuordnen +sind, verworfen oder nicht gesehen werden, verdeckt von der +tödlichen Vernunft. </p> + +<p> +Strophe: Petrefakte Bäume meines Gartens spiegeln sich im +blinden Kristallboden; die Bewegung meiner Hände fährt nur +in die Ruhe; jedes Brennen, Fliegen, Reissen wird versteint. +Zum schlafenden Gebirge fügen sich die Tage an; und je +toter, desto fester, unvergänglicher, steiler, +unübersteiglicher hemmt mich das Bleibende, die +Vergangenheit.«</p> + +<p> +Antiphone: »Der Fähige bildet Vergangenes um, im Wechsel +seiner Gegenwart und Zukunft; und diese wandelt sich, +gewinnt auch an Beziehungen, und fruchtlos, ja schädlich +wird es im zehnten Jahr das Glück und einzige Lösung.«</p> + +<p> +Strophe: »Was in Erinnerung steht, ist verlorene Kraft und +Hemmung, Bindung zu gleichen Sünden. Was gewesen ist, wirkt +wie die Schablone, wir stehen in dem Fluss, immer brodelt +das gleiche Wasser.«</p> + +<p> +Man sprach in einer leichten Unterhaltung weiter. Bebuquin +meinte: »Sehen Sie, die Logik fixiert, soweit unsere +Fähigkeiten auf sogenannte Tatsachen angewendet werden. Sie +bedenkt nur unsere praktischen Bedürfnisse, richtet sich +nach den Dingen und sucht diese in übereinstimmenden, sich +wiederholenden Beziehungen zu erhalten. Aber in mir ist so +viel und gerade das Wertvollste, was über die Tatsache +hinausgeht. Die materielle Welt und unsere Vorstellungen +decken sich nie.</p> + +<p> +Darum ist die Tat notwendig, dies Correktiv von Tatsachen +und Dingen. Wenn man jedoch wie ich zu der Ueberzeugung +gelangte, dass wir weiter müssen, dass wir uns verwandeln +müssen; ist es dann nicht möglich, dass eine neue Art Mensch +entsteht, die es verschmäht, in den gleichen Strassen weiter +zu gehen.«</p> + +<p> +Trompeten und Pauken schollen von der Decke der Kapelle. +Bebuquin trat in sie ein. Er Er sprach weiter:</p> + +<p> +»Bisher wurde das Religiöse an den Tatsachen zur Groteske, +oder umgekehrt; aber vielleicht decken sich die Dinge nie, +damit das Schöpferische nicht einschlafe. Gott, das +Phantastische, die ganze unterdrückte, sprachlose +Sensibilität wollen reden, wir sträuben uns gegen diese +immer gleiche Auslese, die Welt muss sich uns verwandeln.«</p> + +</body> +</html> + |