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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:38:55 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:38:55 +0100
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-rw-r--r--OEBPS/Text/02.html142
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@@ -0,0 +1,142 @@
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+</head>
+<body>
+
+<h3>II, 23. September 1911</h3>
+
+<p>Liebe Jungens</p>
+
+<p>
+Rat nur, die beiden waren gar nicht mehr da, als ich um
+zwölf Uhr lebendig ins Café kam, aber Dein Freund der Doktor
+sass und sang für sich, manchmal so laut, er vergass schier
+den Ort. Seine Stimme ist mythenhaft, olympisch, auch Krater
+raucht darin und dröhnen kann sie wie Zeuswort. Dass wir
+beide uns böse sind, ist direkt unkünstlerisch.</p>
+
+<p>
+Wisst Ihr, wer heute in aller Früh angeklingelt hat &ndash;
+Fridolin Guhlke. Er habe sich verliebt, er habe seine erste
+Liebe getroffen; damals sei sie dreizehn gewesen vor drei
+Jahren. Und er zeche nicht mehr, seine Flamme trüge einen
+Heiligenschein um den Kopf. Auch ins Cafe käme er nicht
+mehr, ich sollt ihm dieselbe Askese versprechen. Heimlich
+halten wir alle das Cafe für den Teufel, aber ohne den
+Teufel ist doch nun mal nichts. Ich bin neugierig, wie lange
+der Guhlke es ohne Teufel aushält. Manchmal gehts ja dort
+auch etwas zu heiss her, wenn einen so eine aufgetakelte
+Plebejerin anranzt, man soll ihr aus dem Weg gehn, ihr
+Vollmond könnt nicht vorbei mit dem Spitzenüberwurf. Ich
+wollt ihr eine Backpfeife geben, als sie auch schon oben aus
+dem Billardraum ihren Mann holte, der in Begleitung von
+galizischen Saduzäern und Chaldäern sich mir näherte. Aber
+ich verhielt mich stumm; hasse es, mich mit lauten
+schreienden Weibern einzulassen. Nach einiger Zeit, kamen
+dann zwei Polizisten, mich zu vernehmen. Aber Richard
+versteckte mich zwischen den Zeitungen, das bleibt jetzt
+mein Fach. Dann kam unser Direktor W., er hätte gerne die
+Scene gesehn. Ich entschädigte ihn. Er kannte wirklich noch
+nicht die Schauspieler im egyptischen Lunapark. Gerade
+trabte das Dromedar am grossen Fenster des Cafes vorbei, es
+kam vom Tierarzt, es leidet an seinen Mägen. Ich sehne mich
+nach Hassan, er war es nicht, der Hochzeit hatte. Was mir
+noch einfällt, Kurtchen, Herwarth hat seine Taschentücher
+vergessen, leihe ihm von Deinen. Du kriegst sie
+<span class="spaced">gewaschen</span> zurück. Es ist vier
+Uhr, es ist noch ganz hell. Direktor W. fährt in einem Wagen
+unserer kleinen Karawane voraus.</p>
+
+<p>
+Lieber Herwarth und liebes Kurtchen, bleibt noch so lange
+wie es Euch gefällt, ich freue mich ja so, dass Ihr Euch
+schon erholt habt, auch über Eure schönen, interessanten
+Ansichtspostkarten. Wie vornehm ist Ibsens Grabmal gehalten,
+eine Säule in der Sprache der Hieroglyphen, eine nordische
+Pyramide. Gestern zeigte mir der Erzbischof auch mein
+Denkmal. Der indische Turm des Lunaparks müsste einmal auf
+meinem Leibe stehn. Es überkam mich ein Grauen, aber zu
+gleicher Zeit senkte ich erhaben den Kopf vor der mir
+angetanenen Ehre. Der Bischof ist der Gärtner des Worts, er
+spricht mit einer gleichmässigen Ruhe, die mir wohltut. Er
+behauptet zwar, er spräche nur mit mir so gleichmässig und
+vorsichtig, und ich weiss nicht, ob er mich für eine zarte
+Pflanzenart oder für einen Tiger hält. Als wir am Abend den
+Slawen begegneten, ging er an uns vorbei; er spielt
+altmodisch den Erhabenen, er ist eben ältlich im
+jugendlichen Alter. Wenn man ältlich ist, kann man keine
+Jahreszeit des Herzens erleben, selbst den Winter nicht,
+ebenso wie der kindische nichts vom Frühling weiss. O, und
+alles bedeutet der Wandel im Menschen; der Bischof und ich,
+wir spielen augenblicklich Lenz. Peter Baum giebt mir auch
+vollständig recht, er sei nur zu faul zum Wandel. Er lässt
+Euch grüssen, sein Roman aus der Rokokozeit sei fast fertig,
+vor einem halben Jahr war er beinah fertig. Lebt wohl, liebe
+Kameraden.</p>
+
+<p>
+Cajus-Majus, der Cäsar, setzte sich geheimnisvoll an meinen
+Tisch, als sich Peter Baum für einen Augenblick entfernte,
+Cajus möchte mich etwas fragen. Ich möchte Sie etwas fragen,
+Else Lasker-Schüler, passen Sie mal auf! Es handelt sich
+um meine literarische, wie um meine materielle Zukunft.
+Würde es mir Herr Waiden übel nehmen, falls ich bei
+Capuletti in Florenz in den Verlag einträte? Kraus ist ja
+erhaben über dergleichen, aber Waiden hat zur Zeit Herrn D.
+schon einmal bei einer solchen Gelegenheit die Alternative
+gestellt. Ich habe ihm geantwortet, Herwarth, dass er meine
+Stellung zu Dir überschätze. Ich wäre noch nicht mal als
+Laufbursche unten im Bureau ich bewürbe mich aber um den
+Sekretariatsposten und würde seine Angelegenheit zur Sprache
+bringen. Bin ich nun so dumm? Offen gestanden, ich mag
+Cajus-Majus schrecklich gern leiden, er ist ein drolliger,
+erwachsener Pausbackenengel, ein frommgewordener Bacchant im
+Bacchantenzug; sein Humor hat sich frisch erhalten, aber
+statt der Trauben trägt er einen weissen Kragen um den Hals.
+Was sich doch die Menschen verändern, was die Literatur aus
+einem Menschen macht. Aber allen Ernstes, Herwarth, wirst Du
+es ihm übel nehmen? Eins will ich Dir sagen, druckst Du
+nichts mehr von ihm, schreib ich nicht eine Bohne mehr. Die
+einzigen Sachen, die mir Vergnügen machen, sind Cajus-Majus
+Sachen. Als Peter Baum wieder an unseren Tisch trat, kamen
+durch die Caféhaustüre die Signorina Marie und die Margret.
+Ich sagte, die Margret sieht heute aus wie ein Glühwürmchen,
+und Peter Baum schnappte danach. Aber Cajus-Majus schwamm
+weiter durch die literarische Seligkeit wie ein Wallfisch.
+Aus seinem Kopf floss über Kreuz ein Springbrunn. Wir gingen
+zeitig nach Haus, Herwarth, auf Ehrenwort! Wieder ist ein
+Brief vom Dalai Lama aus Wien gekommen, ich habe ihn zu den
+anderen Briefen und Karten und Drucksachen in deine fife o
+clock Hose gesteckt.</p>
+
+<p>
+Lieber Cook und lieber Peary, ich muss Euch ein Geheimnis
+anvertrauen: Gestern in der Nacht, der Himmel war eine
+Mischung von taubenblau und stern, gingen der Bischof und
+ich in eine kleine Kneipe in die Mommsenstrasse. Aber ich
+hatte kein Geld mehr bei mir, als gerade noch für ein Glass
+Wasser, das Trinkgeld kostet. Der Bischof verträgt aber
+wahnsinnig viel Alkohol; er wollte durchaus Burgunder
+trinken, weissen Burgunder. Er beteuerte mir, dass durch
+sein Herz weisser Burgunder ströme, er wollte mich, durch
+die Blume des Weins, von seiner reinen Liebe verständigen.
+Aber ich sagte ihm, ich hätte kein Geld. Und er war sehr
+niedergeschlagen, dass ich von ihm nichts annehmen wollte.
+Meint Ihr, ich hätte mit ihm den Burgunder trinken sollen?
+Oder Goldwasser? Ich will Euch offen sagen, wir haben
+Goldwasser getrunken; ich habe mich zum ersten Mal von einem
+Menschen freihalten lassen; es lag eine Zärtlichkeit in
+seinem Geben, manchmal reichte er das kleingeschliffene Glas
+bis an meine Lippen, wie mans bei einem Kind tut. Ich liebe
+seitdem den Bischof und ich habe ihm erlaubt, meine Haare zu
+küssen, er sagt sie duften nach Lavendel.</p>
+
+</body>
+</html>