aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/01.html
blob: 6240abf61b5c8c4c3e36166db52f9f6cfa423dc5 (plain)
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
225
226
227
228
229
<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
  "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">

<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
<head>
  <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
  <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
  <title>I, 16. September 1911</title>
</head>
<body>

<h3>I, 16. September 1911</h3>

<p>Liebe Jungens</p>

<p>
Dass Kurtchen Dich mitgenommen hat nach Schweden, Herwarth,
ist direkt eine Freundestat Kurtchen wird erster
Staatsanwalt werden und Euch kann nichts passieren. Aber mir
kann was passieren, ich hab Niemand, dem ich meine Abenteuer
erzählen kann ausser Peter Baum, der aber aus der alten
Wohnung in die neue Wohnung zieht. Im Wirrwarr hat er statt
seines Schreibtischsessels seine Matja in den Möbelwagen
getragen und sie den Umzugleuten besonders ans Herz gelegt,
dass die Quasten nicht abreissen. Am Abend erzählte ich ihm
erst meine neue Liebesgeschichte. Ich habe nämlich noch nie
so geliebt wie diesmal. Wenn es Euch interessiert:
Vorgestern war ich mit Gertrude Barrison in den Lunapark
gegangen, leise in die egyptische Ausstellung, als ob wir so
etwas süsses vorausahneten. Gertrude erweckte dort in einem
Caféhaus die Aufmerksamkeit eines Vollbartarabers; mit ihm
zu kokettieren, auf meinen Wunsch, schlug sie mir entsetzt
ab, ein für alle mal. Ich hätte nämlich gerne den Lauf
seiner sich kräuselnden Lippen beobachtet, die nun durch die
Reserviertheit meiner Begleiterin gedämmt wurden. Ich nahm
es ihr sehr übel. Aber bei den Bauchtänzerinnen ereignete
sich eines der Wunder meines arabischen Buches; ich tanzte
mit <span class="spaced">Minn</span>, dem Sohn des Sultans
von Marokko. Wir tanzten, tanzten wie zwei Tanzschlangen,
oben auf der Islambühne, wir krochen ganz aus uns heraus,
nach den Locktönen der Bambusflöte des Bändigers nach der
Trommel, pharaonenalt, mit den ewigen Schellen. Und Gertrude
tanzte auch, aber wie eine Muse, nicht muselhaft, wie wir,
sie tanzte mit graziösen, schalkhaften Armen die Craquette,
ihre Finger wehten wie Fransen. Aber Minn und ich verirrten
uns nach Tanger, stiessen kriegerische Schreie aus, bis mich
sein Mund küsste so sanft so inbrünstig, und ich hätte mich
geniert, mich zu sträuben. Seitdem liebe ich alle Menschen,
die eine Nuance seiner Hautfarbe an sich tragen, an sein
Goldbrokat erinnern. Ich liebe den Slawen, weil er ähnliche
braune Haare hat, wie Minn; ich liebe den Bischof, weil der
Blutstein in seiner Krawatte von der Röte des Farbstoffs
ist, mit der sich mein königlicher Muselmann die Nägel
färbt. Ich kann gar nicht ohne zu brennen an seine Augen
denken, schmale lässige Flüsse, schimmernde Iris, die sich
in den Nil betten. Was soll ich anfangen? Die Verwaltung des
Lunaparks hat mir verboten, wahrscheinlich hat sie Verdacht
bekommen, den Park zu betreten. Ich brachte nämlich gestern
morgen meinem herrlichen Freund einen grossen Diamant
&ndash; Deinen, Herwarth; bist Du böse? &ndash; und eine
Düte Kokusnussbonbons mit. Wenn ich überhaupt jetzt Geld
hätte! Und ich habe an den Lunapark einen energischen Brief
geschrieben, dass ich diese mir angetanene Beleidigung der
Voss mitteilen würde, dass ich Else Lasker-Schüler heisse
und Gelegenheitsgedichte dem Khediven lieferte beim Empfang
europäischer Kronprinzen. Was nützt mirs, dass sie mich
wieder einlassen &ndash; immer geht ein Detektiv hinter mir,
aber Minn und ich treffen uns bei den Zulus, die leben
schwarz und wild am Kehrricht der egyptischen Ausstellung wo
kein Weisser hinkommt. Die ganze Geschichte hat mir der
Impresario eingebrockt, der behandelt die Muselleute wie
Sklaven und ich werde ihn ermorden mit meinem griechischen
Dolch, den ich mir erschwang im Lande Minns. Er ist der
Jüngste, den der Händler nach Europa brachte, er ist der ben
ben ben ben, ben des jugendlichster Vaters im egyptischen
Lunagarten. Er ist kein Sklave, Minn ist ein Königssohn,
Minn ist ein Krieger, Minn ist mein biblischer
Spielgefährte. Er trägt ein hochmütiges Atlaskleid und er
träumt nur von mir, weil er mich geküsst hat. Kurtchen,
Freund Herwarths, wärst Du doch hier, kein Mensch will mit
mir nach Egypten gehn, gestern war eine Hochzeit dort
angezeigt an allen Litfasssäulen. Sollt er sich verheiratet
haben!</p>

<p>
Denkt mal, ich habe in den Mond gesehn auf der
Weidendammerbrücke für zwanzig Pfennige. Ich habe aber nur
sehr schattenhaft die Menschen durch das Fernrohr erkannt.
Ein Mann hatte die Haare so wie Du geschnitten, Herwarth,
oder vielmehr nicht abgeschnitten. Ob die Mondproleten auch
immer rufen: lass dir das Haar schneiden? Und einen Herrn
mit einer Aktenmappe habe ich ein Brot mit Roastbeef essen
sehn, der glich Dir Kurtchen. Und wahrhaftig ein Cafe giebts
auch auf dem Mond, es war Nacht, ich hörte aus seinem Innern
eine Stimme wie Dr. Caros Stimme singen: »so lasst uns
wieder von der Liebe reden, wie einst im Mai«.</p>

<p>
Ich habe mich endgültig in den Slawen verliebt &ndash; warum
&ndash; ich frage nur immer die Sterne. Ich liebe ihn ganz
anders wie den Muselmann, sein Kuss sitzt noch, ein
Goldopasschmetterling, auf meiner Wange. Den Slawen aber
möchte ich nur immer anschaun, wie ein Gemälde auf
Altmeistergrund. Eine Feuerfarbe hat sein Gesicht, ich
verbrenne im Anschaun und muss immer wieder hin. Du brauchst
gar keine Angst zu haben, Herwarth, er hat mir auf meinen
Liebesbrief gar nicht geantwortet. Ich schrieb ihm: Süsser
Slawe, würdest Du in Paris im Louvre gehangen haben, hätte
ich Dich statt der Mona Lisa gestohlen. Ich möchte Dich
immer anschauen, ich würde gar nicht müde werden; ich würde
mir einen Turm bauen lassen, ohne Türe. Ich möchte am
liebsten zu Dir kommen, wenn Du schläfst, damit Deine Wimper
nicht zuckt im Rahmen. Ich denke gar nicht mehr, als Dich
und nur Dich und nie anders, als ob Du in einem Rahmen
ständest. So schön wie Du gestern Abend warst, Du warst so
schön, man müsste Dich zweimal stehlen, einmal der Welt und
einmal Dir selbst; Du weisst am schlechtesten mit dir
umzugehen, du hängst Dich immer ins falsche Licht. Ich
versichere Dir nochmals, lieber Herwarth, Du brauchst Dir
darum keine Sorgen machen, er reichte mir gestern Abend
nicht einmal die Hand. Es verriet mir Jemand im Vertrauen,
er will sich mit <span class="spaced">Dir</span> nicht
entzwein, er ist Literat. Was sagst Du so solch einer
Feigheit? Du hättest mir in seiner Lage wiedergeschrieben,
nicht? Ihr braucht also noch lange nicht kommen; vorgestern
Nacht träumte ich sogar, ein Eisbär sei Euch beiden
Nordpolfahrern begegnet, und hätte Euch gefragt, ob Ihr Euch
bei ihm photographieren lassen wolltet.</p>

<p>
Was ich ein ausgesuchtes Unglück in der Liebe habe, Ihr
auch? Habt Ihr schon Ibsen gesehn und die Hedda Gabler? Und
habt Ihr Euch schon eine andere Landschaft betrachtet, wie
ein Cafe? Es giebt wohl da oben nur Schneefelder und weisse
Berge und was weiss was noch. Die Lappen halten wohl nicht,
schick mir aber ein paar Krönländer.</p>

<p>
Ihr könnt lachen, ich hab aber die ganze Nacht nicht
geschlafen, einmal war es kalt, einmal heiss, dann stürmte
es Herbst, und dazwischen glühte Eure Mitternachtssonne. Als
ob der September mir alles nachäffe. Ich weiss nämlich gar
nicht genau, wen ich liebe: den Slawen oder den Bischof?
Oder sollte ich mich noch immer nicht von Minn trennen
können? Der Bischof ist seit gestern von mir zum Erzbischof
ernannt worden. Aber der Slawe wird wohlweislich bald seinen
Abschied einreichen, seine diplomatischen Experimente mit
mir sind demokratisch. Ich bat ihn meinen Liebesbrief mir
wiederzugeben, zum Donnerwetter. Ich hab doch zum
Donnerwetter Ehre im Leib. Er hat ihn mir noch nicht
zurückgesandt &ndash; ob er mir ein paar Worte dazu schreiben
wird! Aber was hilft das nur, der Erzbischof spricht wie ich
träume, ganz genau so, auch versteht er unausgesprochen
meine Wünsche zu erfüllen. Er wandelt mit mir durch
schwermütige Wälder über Rosenpfade, oder wir suchen mitten
in der Gespensterstunde rissige Strassen auf, die auf die
Spree blicken, finster wie das Auge des Arbeiters. Und jeden
Tag bekomme ich vom Bischof einen Brief, es sind die
schönsten Briefe, die ich je gelesen habe, ich lese sie laut
mit der Stimme des Slawen. Und wie geht es Euch? Ihr seid
wohl schon am Wendekreis des Schneehuhns angelangt? Erkälte
Dich nur ja nicht, Herwarth. Vor allen Dingen bekomme keinen
Schnupfen, ich werde wahnsinnig vom Rauschen der Nase. Kommt
Ihr bald nach Hause? Der Erzbischof und der Bischof sind
heute vor elf Uhr schon aufgestanden und verliessen das
Cafe. Ich wäre gern so sans facon mit ihnen fortgegangen,
aber Ihr kennt die Leute noch nicht im Cafe. Wenn sich nun
der Erzbischof und der Slawe alles sagen! Der dicke
Cajus-Majus blieb bei mir am Tisch sitzen, Cajus-Majus,
Cäsar von Rom; wenn er nur nicht immer von Literatur redete.
So lange es von meinen Versen handelt, geht es ja noch, aber
fängt er von Dante und Aristophanes an zu quatschen, soll
ihn Dantes Hölle holen. Er vertraute mir an, er liebe
Lucrezia Borgia. Als ich ihn fragte wer das Frauenzimmer
sei, bekam er einen Lachkrampf. Ohne Dich, Herwarth, geht es
hier doch nicht. Du hilfst mir immer in der Geschichte, auch
genier ich mich Jemand zu bitten, mir die Kommas zu machen.
Auf einmal kam gestern Dein Freund, der Doktor, wieder ins
Cafe mit der Marie Borchardt und ihrer Freundin der Margret
König. Die ist auch Schauspielerin, wusstest Du das? Du, sie
ist reizend. Ich schickte ihr im ausgerauchten
Zigarrenschächtelchen des Slawen einen Chokoladencaces und
eine Zigarette. Sie ist eine süsse Silhouette. Immer steht
sie, ein goldenes Nymphchen, zwischen meinen bunten,
plätschernden Gedanken. Darum ging ich auch heute Abend in
den Vortrag der Marie Borchardt, nicht um meine Gedichte zu
hören, der Margret wegen. Aber ich war sehr überrascht von
der Vorlesung der Marie, die ist eine italienische
Sprecherin, in ihrer Stimme tönen venezianische Glasblumen,
und echte Spitzen aus den Palästen knistern unter ihren
Worten. Ausgesehn hat sie in ihrem Terrakottakleid und in
ihrem Turban mit der Goldfranse wie eine kleine
Dogenprinzessin. Wenn ich einen Dogen wüsste, ich liess sie
entführen in einer Gondel. Es kann doch nicht alle Tage
dasselbe ausser mir passieren. Du sagst zwar immer, ich soll
mich nicht um andere Menschen bekümmern, aber mich ärgern
ebenso sehr die unkünstlerischen, wie die künstlerischen
Vorgänge mich im Leben erfreuen. Ich glaube, es ist schon
zwölf Uhr, ich bin tatsächlich zu bange heute den Flur
meiner Wohnung alleine zu betreten. Ich bin nervös. Ich
werde Dir mein Wort nicht halten können und vor Morgen schon
in meinem Bett liegen. Ich werde bei dem Billetfräulein am
Halenseeer Bahnhof schlafen auf ihrem blutlosen, alten
Kanape. Sie erzählt mir den Rest der Dunkelheit von ihren
Liebhabern. Gute Nacht Herwarth, liebes Kurtchen.</p>

<p>
Ich bin nun zwei Abende nicht im Cafe gewesen, ich fühlte
mich etwas unwohl am Herzen. Dr. Döblin vom Urban kam mit
seiner lieblichen Braut, um eine Diagnose zu stellen. Er
meint, ich leide an der Schilddrüse, aber in Wirklichkeit
hatte ich Sehnsucht nach dem Café. Er bestand aber darauf,
mir die Schilddrüse zu entfernen, die aufs Herz indirekt
drücke; ein klein wenig Cretin könnte ich davon werden, aber
wo ich so aufgeweckt wäre, käm ich nur wieder ins
Gleichgewicht. Ich hab ihm nämlich gebeichtet, dass ich mir
ausserdem das Leben meiner beiden Freunde wegen hätte nehmen
wollen am Gashahn, der aber abgestellt worden sei; der ganze
Gasometer ist geholt worden. Ich konnte die Gasrechnung
nicht bezahlen, auch in der Milch kann ich mich nicht
ersäufen, Bolle bringt keine mehr. Wie soll ich nun, ohne zu
erröten, wieder ins Cafe kommen? Ein Mensch wie ich müsste
sein Wort halten. Ich werde den beiden, dem Bischof und dem
Slawen, vorschwindeln, du wirst Dich zu sehr
erschrecken.</p>

</body>
</html>