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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2024-11-27 18:15:59 +0100
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-rw-r--r--04-von-der-mode.rst185
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new file mode 100644
index 0000000..65b2396
--- /dev/null
+++ b/04-von-der-mode.rst
@@ -0,0 +1,185 @@
+.. include:: global.rst
+
+VON DER MODE
+============
+
+:centerblock:`\*`
+
+
+:initial:`I`\ n den Zeitungen stehn Annoncen ‚Ein
+Riesenposten entzückender Abendkleidchen in allen
+Modefarben‘ oder ‚Meine spottbilligen Ausverkäufe in
+pelzbesetzten Mänteln‘, dazu Name und Adresse der Firma
+irgendwo im Osten. Sind wir neugierig, dort hinzugehn (wir:
+das ist die Frau, die mir dies erzählt), so kommen wir in
+Magazine, die auf elende Höfe hinausgehn und deren
+Aufmachung auf allen Glanz verzichtet. Wir befinden uns in
+einer Atmosphäre, die dem Kauf und Verkauf in ähnlicher
+Weise günstig ist wie die der Pariser Warenhäuser. Zwar hat
+kein Chef oder Rayonchef die Kenntnis des Frauenherzens, die
+dem Pariser eingibt, der Zögernden ein freundliches
+*‚fouillez, Madame‘* zuzurufen, aber auch hier gilt das
+Prinzip, erst einmal die Schleusen der unkontrollierten
+Berührung zu öffnen, bis sie zum Begehren wird, das alle
+Dämme der Vernunft sprengt und überfließend die Kasse füllt.
+Deutlich mit Preisen gezeichnet, hängen zerdrückte
+Spitzenkleider, flitterbestickte Musseline, schäbige
+Samtcapes mit undefinierbaren Pelzkragen, elende, billige
+Pracht. Blumen drängen sich in Kartons, auf Tabletts
+Schmuckstücke, deren Vorteil es ist, Schäden zu haben, die
+fast gar nicht sichtbar sind. In hohen Stapeln, anheimelnd
+durcheinandergezerrt, liegt rosa und violette Wäsche, reich
+mit Spitzen garniert, die aus der Ferne luxuriös wirkt,
+daneben stehn Abendschuhe mit Schnallen aus Diamanten und
+Smaragden. Das Publikum dieser Basare der Restbestände oder
+Konkursverkäufe besteht durchaus nicht nur aus freiwillig
+oder berufsmäßig ‚Koketten‘. Es gibt nämlich zwischen dem
+falschen Glanz auch vernünftige Artikel, grobe Bettücher und
+derbe Lederstiefel, Bettvorleger und Stores, deren Preise,
+wenn auch nicht herabgesetzt, so doch nicht zu unterbieten
+sind. Der Name dieser Häuser ist auch im Westen Berlins
+bekannt. Es geht von ihnen der Reiz des Zufälligen, der
+Gelegenheit aus, auf den die Frauen reagieren, der sie
+neugierig und gespannt macht, auch wenn es sich um nichts
+andres handelt, als ein halbes Dutzend Taschentücher
+einzukaufen oder ein Paar warme Handschuhe.
+
+Ja, sonst gibt es in diesen Straßen auch recht langweilige
+Geschäfte mit leblosen Auslagen, die nichts weiter
+suggerieren als einen Austausch von Ware und Geld. Wir
+werden erst wieder wach vor der strahlenden Helle des
+Riesenkomplexes Warenhaus. Ist es auch nicht so gedrängt, so
+nachlässig künstlerisch, so listig üppig hier wie an dem
+Ort, den wir verlassen haben, so genießen wir doch vor
+diesem geordneten Reichtum an Waren aller Art die Vielfalt,
+vor der unsere Bedürfnisse, die uns eben noch so erheblich
+erschienen, plötzlich Liliputmaß annehmen. Aber uns kann
+geholfen werden. Die Verkäufer und Verkäuferinnen haben den
+‚Dienst am Kunden‘ von Grund auf studiert. Die großen
+Kaufhausfirmen haben Schulen ins Leben gerufen, in denen
+Lehrer, die an Handelshochschulen vorgebildet sind, den
+jungen Mädchen Anschauungsunterricht über die Behandlung der
+Ware und der Kunden geben. Wir ahnen gar nicht, was für
+geschulten Künstlerinnen des Verkaufs und der richtigen
+Suggestion wir gegenüberstehn, wenn uns die kleinen Fräulein
+von Wertheim und Tietz sanft in ihren Bannkreis ziehn.
+
+Berlins große Warenhäuser sind nicht verwirrende Basare
+bedrängender Überfülle, sondern übersichtliche Schauplätze
+großer Organisation. Und sie verwöhnen ihre Besucher durch
+das hohe Niveau ihres Komforts. Kauft man vom kreisenden
+Ständer aus blitzendem Messing einen Meter rosa Gummiband,
+so darf der Blick, während unsere Ware auf Blocks
+eingetragen wird, auf Marmor ruhn, an Spiegeln entlang und
+über glänzendes Parkett gleiten. In Lichthöfen und
+Wintergärten sitzen wir auf Granitbänken, unsere Päckchen im
+Schoß. Kunstausstellungen, die in Erfrischungsräume
+übergehn, unterbrechen die Lager der Spielwaren und
+Badeausstattungen. Zwischen dekorativen Baldachinen aus Samt
+und Seide wandern wir zu Seifen und Zahnbürsten. Merkwürdig,
+wie wenig in diesen der großen Masse gewidmeten Kaufhäusern
+dem Bedürfnis nach Kitsch Rechnung getragen wird. Die
+Mehrzahl der angebotenen Dinge ist fast nüchtern.
+‚Anständig‘ ist das Adjektiv, dem der Geschmack nicht
+widerstehn kann. Nur in Handarbeitslagern und bei
+Galanteriewaren häufen sich die bedenklicheren Einfälle. In
+den Lagern der Konfektion sieht man nur Gediegenes,
+Unauffälliges, das sich der Mode mit einem gewissen Zaudern
+und Widerstreben annähert und sie eher zu vertuschen sucht,
+als daß es ihr entgegenkommt. Ein wenig leer ist es in
+dieser Gegend, es ist, als fehle ein vermittelndes Element.
+Da wirken die Stapel der Kochtöpfe und Backformen, der
+Gardinenringe und Frühstückservice erheblich bunter und
+munterer.
+
+Nah beim Quartier der Konfektion liegt an drei
+Straßenfronten eins der berühmtesten Modehäuser von Berlin.
+Seine Modelle ziehen das große Publikum an. Aus allen —
+außer den exklusivsten — Kreisen, die sich für Mode
+interessieren, sitzen Damen an zart gedeckten Tischen, an
+denen die hübschen Mannequins sich entlang schlängeln. Bei
+den Klängen einer Kapelle schreiten sie in duftigen und
+feierlichen Kleidchen und lächeln von Beruf und damit man
+sie von den Damen unterscheide, die verspätet ankommen oder
+verfrüht weggehn.
+
+Dies Haus mit seiner nicht unberechtigten Prätention ist der
+hinausgeschobene Vorposten der Mode, deren Gebiet eigentlich
+erst anfängt, wo das Zentrum und der alte Westen sich
+berühren. In Leipziger- und Friedrichstraße gehören ihr
+schon viele Auslagen, oft Haus an Haus. Aber erst wenn man
+die Fronten des Warenhauses von Wertheim und die Blocks der
+Hotels beim Potsdamer Platz hinter sich gelassen hat und in
+die Bellevue- oder Friedrich Ebertstraße einbiegt, nähert
+man sich dem Hauptquartier in der Lennestraße am Saum des
+Tiergartens. Die Mode wohnt — im Gartenhaus.
+
+Da flimmern durch das Grün der Vorgärten die Goldlettern der
+Namen, die Geschmack bedeuten. Da sieht man in den späteren
+Vormittagstunden und am frühen Nachmittag Reihen von Autos,
+sehr gepflegten, sehr ‚rassigen‘, aus den Katalogen der
+Autofirmen herausgerollt in ihrer funkelnagelneuen
+Tadellosigkeit. Ernste Chauffeure erwarten die ‚gnädige
+Frau‘. Von den Verkäuferinnen wird sie so devot empfangen,
+als wären die Wellen der absoluten Monarchie noch nicht
+verebbt. An Rokokosesseln vorbei wird sie über geblümte
+Teppiche in den Salon geleitet, der Chef eilt herbei, der
+*‚small talk‘* Wetter, Reise, Gesundheit wird erledigt,
+während die Mannequins ihren Wandel vor der Kundin antreten.
+Meist macht der Chef einen unzufriedenen Eindruck, er zupft
+an Schleifen, gibt einem Gürtel neues Arrangement, wiegt
+bedenklich den Kopf. Selten nur sieht man das hingerissene
+Lächeln der Verkäuferinnen in den Pariser Modehäusern, die
+ihre blinde Liebe zu vermitteln verstehn. Aber die
+‚angezogne‘ Berlinerin scheint die Haltung des Chefs nicht
+zu stören. ‚Sie wissen schon, was mir steht‘, ist eine
+Redewendung, die ihn nicht als Schmeichelei, sondern als
+Appell trifft. Er weiß es auch jedenfalls besser. Hat er
+doch in Paris die Kollektionen der wichtigsten Modeschöpfer
+gesehen und schon beim Défilé der Mannequins seine Auswahl
+in Hinblick auf Frau von X. und Frau Z. getroffen. Allzuviel
+Möglichkeiten gibt es da gar nicht. Das Berliner
+Gesellschaftsbild kann so lange als einförmig gelten, als
+die Frau auf die Auswahl angewiesen sein wird, die man ihr
+als ‚Crème‘ der Pariser Produktion vorsetzt. Immer wieder
+ereignet sich das Fatale: drei oder vier Damen begegnen sich
+im gleichen Kleid. Ist es da ein Trost, daß sie alle den
+‚Schlager‘ der Saison besitzen? Noch ist Berlin, vom
+Standpunkt der Gesellschaft aus betrachtet, klein und die
+Eleganz der Dame ein Produkt aus zweiter Hand. Aber schon
+kommt ein neuer Frauentyp auf, der den Sieg davonträgt über
+die, deren Schneider und Putzmacherin am Tiergarten wohnen,
+die junge Avant-Garde, die Nachkriegsberlinerin. Um 1910
+müssen ein paar besonders gute Jahrgänge gewesen sein. Sie
+haben Mädchen hervorgebracht mit leicht athletischen
+Schultern. Sie gehn so hübsch in ihren Kleidern ohne
+Gewicht, herrlich ist ihre Haut, die von der Schminke nur
+erleuchtet scheint, erfrischend das Lachen um die gesunden
+Zähne und die Selbstsicherheit, mit der sie paarweise durch
+das nachmittägliche Gewühl der Tauentzienstraße und des
+Kurfürstendamms treiben; nein, treiben ist nicht das
+richtige Wort. Sie machen *‚crawl‘*, wenn die andern
+Brustschwimmen machen. Scharf und glatt steuern sie an die
+Schaufenster heran. Wo haben sie nur die hübschen Kleider
+her, die Hüte und Mäntel? Neben den wenigen großen, die
+bereits bis hierher vorgestoßen sind, gibt es im bayrischen
+Viertel, in der Gegend der Kurfürstenstraße, in Nebenstraßen
+des Kurfürstendamms eine ganze Menge kleiner Modegeschäfte.
+Die begnügen sich häufig mit einem Vornamen als Enseigne.
+Sie haben wohl auch ein, zwei Pariser Modelle. *Vogue* und
+*Femina* liegen aus, *Harpers Bazar*, *Art*, *Goût et
+Beauté*. Die Besitzerin des Ladens hat leichte Finger und
+die Kundin genaue Kenntnis der eignen Gestalt und Spaß an
+dem Zusammenspiel von Phantasie und Präzision. Diese Jugend
+fängt an, einen Stil zu finden, gleich weit von dem
+Snobismus der ‚Marke‘ und der Gleichgültigkeit, die sich mit
+der Serie begnügt. Ist es schon wahr, was man immer lauter
+und allgemeiner zu behaupten anfängt, die Berlinerin könne
+sich an Eleganz mit den besten Europäerinnen messen? Wir
+wollen nicht kleinlich nachprüfen, wie es sich genau damit
+verhält. Es soll uns genügen, diese Scharen von jungen und
+jüngsten Mädchen zu sehn, dieses Défilé von Jugend und
+Frische in den knappen, gut sitzenden Kleidern mit den
+Hütchen, denen eine Locke entquillt, die elastischen
+Schritte der langen Beine, um überzeugt zu sein, daß Berlin
+auf dem besten Wege ist, eine elegante Stadt zu werden.