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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2024-11-27 18:15:59 +0100 |
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diff --git a/07-die-palaeste-der-tiere.rst b/07-die-palaeste-der-tiere.rst new file mode 100644 index 0000000..e643c79 --- /dev/null +++ b/07-die-palaeste-der-tiere.rst @@ -0,0 +1,195 @@ +.. include:: global.rst + +DIE PALÄSTE DER TIERE +===================== + +:centerblock:`\*` + + +:initial:`A`\ uf einem Wege, der durch den Tiergarten nach +Charlottenburg führte und den zu passieren es besonderer +Erlaubnis und des Schlüssels zu einem Schlagbaum bedurfte, +weil man auf diesem Wege das Chausseehaus umging und die +daselbst zu entrichtende kleine Abgabe ersparte«, lag in den +zwanziger Jahren die Königliche Fasanerie, so erzählt Eberty +in seinen Erinnerungen eines alten Berliners. Diese +Fasanerie war von Friedrich dem Großen im Jahre 1742 durch +seinen Oberjägermeister angelegt worden. Hundert Jahre +später wurde ihr Gelände auf Anregung des berühmten Zoologen +Lichtenstein zur Anlage eines Zoologischen Gartens benutzt. +Lichtenstein und Alexander von Humboldt machten König +Friedrich Wilhelm IV. den Vorschlag, diese Fasanerie und +dazu den Tierbestand der Pfaueninsel bei Potsdam dem +Berliner Publikum zugänglich zu machen. Damals lag der +neugegründete Zoo noch weit außerhalb der Stadt, und ihn zu +besuchen bedeutete für die Familien eine Art Tagesausflug. +Von drei Seiten hat ihn dann die wachsende Stadt umschlossen +und nur im Norden behütet ein Stück Tiergarten seine +Häuserferne. Aber auch da, wo ihm die Häuser dicht auf den +Leib gerückt sind und der Lärm der Hupen, das grelle Licht +der Scheinwerfer und Reklamen über seine Mauern dringt, — +man hat kaum das Portal mit den torhütend lagernden +Steinelefanten durchschritten und ist in einer andern Welt. +Um zunächst noch gar nicht von den Tieren zu reden, die doch +schließlich hier die Hauptpersonen sind, hier gibt es einen +ganz von Mummeln und Schilf bewachsenen Teich, den +sogenannten Vierwaldstättersee, an dessen Ufern man wie in +einer Sommerfrische sich bewegt, und an gewissen +Frühlingsmorgen verwandeln sich die Alleen in Kurpromenaden +der Brunnentrinker, die mit ihrem Glas Karlsbader in der +Hand ihren heilsamen Rundgang machen. Auch ein herrliches +Kinderreich ist der Zoo. Babys werden spazieren gefahren, +Jungen toben auf den Spielplätzen. Und auf der sogenannten +Lästerallee bei der Musik kann die reifere Jugend die +Grundlagen des Flirts erlernen; wenigstens war das zu +unserer Jugendzeit so. + +Von Art und Sitte der Tiere ist schon soviel erzählt und +geschrieben worden, daß ich dem nichts hinzuzufügen wage; +dagegen möchte ich gern von den merkwürdigen Behausungen +reden, die sie hier im Garten bezogen haben. Da sie nun +einmal zu unserer Lust und Belehrung Gefangene sind, ist man +darauf bedacht gewesen, ihnen ihr Gefängnis möglichst +wohnlich einzurichten. Sie sollen das Gefühl haben, in ihre +Erdhöhle, ihre Schlucht, ihren Hohlbaum, ihr Nest zu +kriechen, wenn sie in das ummauerte Verlies müssen. Der +Geier hat auch hier seinen Horst, einen echten Felsen mit +Alpenkraut und Latschenkiefern, die in den Spalten wurzeln. +Und doch sind die Felsblöcke wie Kulissen, wie +Versatzstücke. Und wie vor dem Puppentheater stehen die +Kinder vor den Eisenstäben, hinter denen der wilde Raubvogel +hockt. Ach, ihren Augen ist sein Riesenkäfig vielleicht +garnicht größer als der enge Bauer des Piepmatzes zu Hause +am Fenster. Der Zoo ist überhaupt eine Fortsetzung der +Kinderstube. Die roten und gelben Steine des Bärenzwingers, +die weißen und blauen des Vogelhauses, die gelben und blauen +des Löwenheims, sie erinnern uns an die Steinchen der +Baukästen. Zu Stein- und Holz- und Stahlbaukasten kommt noch +etwas Mosaikpuzzle, und wir haben den maurischen Stil, das +Venedig, die Tausendundeinenacht der schönen Gebäude im Zoo. + +Der hat ja neben anderm auch die würdige Aufgabe, die alten +Tierkalte der Vorzeit fortzusetzen, und so hat man denn den +Tieren Tempel gebaut: das Kamel hat seine Moschee. Ihm zu +Ehren, wenn es wohl auch nichts davon hat, ist die weiße +Wand mit einem ganz unbenutzten Gitterbalkon geschmückt, und +es überragt sie ein Turm, der oben einen Halbmond trägt. Von +da könnte der Muezzin das Abendgebet sprechen nach der +Fütterung. Einen echt altägyptischen Tempel haben die +Strauße. Wenn sie aus ihren Toren ins Freie wippen, sind sie +von Hieroglyphen und Pharaonenstatuen umrahmt. Im +Schlußstein ihrer Türen schweben die Sonnen des Heiligen +Reiches. Auf den Säulen des Eingangs bewegen sich unter +Blumenschäften Tänzerinnen, Zither- und Flötenspieler, und +der Gott mit dem Sperberkopf wandert wandentlang. In einem +Repräsentationsraum ihres Hauses, den sie selbst nie +betreten, haben die Strauße zur Erinnerung an die Heimat +zwei Memnonssäulen nebst Nil gemalt bekommen. + +Das Nilpferd aber hat sein eignes Haus. Innen ist ein +schauriges rotes Götzenheim, in dem die Kinder vor den +breiten Zwischenräumen der Gitterstäbe sich fürchten, +dahinter die unheimliche Masse sich wälzt. Von außen gesehn +ist es eine Art Badehaus aus Backstein mit einem Bassin, in +welches das Ungeheuer sich bequem gleiten läßt wie eine +dicke alte Dame. + +Dem Affen wird alles zu Turn- und Spielgerät. Um die Loggien +seines Palmenhauses mit ihrem Blumenschmuck kümmert er sich +nicht. Die überläßt er seinen Zuschauern. + +Ob sich der indische Elefant für die Mosaikdrachen +interessiert, die auf den Türen seines Palastes abgebildet +sind? Liebt das Zebra sein afrikanisches Gehöft, der Büffel +sein Borkenpalais? Dem Renntier müßte es immerhin +sympathisch sein, daß an seinem Haus der Dachzierat sich +ganz so gabelig verzweigt wie sein eignes Geweih. Und Bison +und Wisent sollten Ehrfurcht haben vor den Totemsäulen, wo +über Vogelschnäbeln Fratzengötter Frösche schlucken. + +Die weißen Mäuse wissen wohl kaum, daß auf den Fenstern +ihrer Villa schöne Glasmalereien sind. Ihnen ist der +Brotlaib, den sie durchnagen und durchwandern, mit seinen +Löchern Haus genug. Aber von den koketten Meerschweinchen +glaube ich, daß sie ihren winzigen Barockpalast genau +kennen, sie schnuppern an seinen Malachitsäulen, beäugen +seine Wölbungen. Und die Stelzvögel sind sicher stolz auf +die japanische Pracht ihres Heims, die Tauben auf die +Schiebeläden ihres Boardinghouse. Stolz sind sie auch auf +ihre Namen, die Masken ihrer Pracht: Mönchssittich, +Büffelweber, Flötenwürger, Perlbart. Aber das ist ein +Kapitel für sich |ellipsis| + +Was ist denn dort für eine leere Pagode nah bei den +möblierten Schluchten des Lamas? ‚Nur für Erwachsene‘ steht +daran, also weder für Tiere noch für Kinder. Für Erwachsene +ist auch der Musikpavillon. In dem werden am Tage Soldaten +eingesperrt, die blasen und trommeln müssen. Nachts gehen — +das hat den Kindern ein naseweiser älterer Vetter eingeredet +— die Flamingos aus dem benachbarten Teich in den Pavillon +schlafen. + +Zu den hausbesitzenden eingesessenen Tieren gesellen sich +bisweilen als Nomaden, die nur eine Zeitlang bleiben, wilde +Völker. Somalis in weißen wehenden Mänteln neigen ihre +wolligen Köpfe über die glühenden Kohlen des Lagerfeuers und +braten frischgeschlachtete Hämmel am Spieß. Tripolitaner +tanzen zu Tamburins. Inder wandeln würdig auf hochgestellten +schmalwadigen Beinen einher. + +:centerblock:`\* \* \*` + +Aquarium — da fällt mir das frühere ein, das in einer +Seitenstraße der Linden lag. Ein sehr alter Onkel hatte in +der Nähe seine Garçonnière und nahm mich kleinen Jungen ein +paarmal mit in das Haus, in dem die Tiere des Meeres wohnen. +Und gerade da, wo die Tiefseefische zwischen Algen und +Korallen, Tierpflanzen und Pflanzentieren des seimig +quellenden Meeresgrundes schwammen, war ein Büfett für die +Besucher eingerichtet. Und da aß ich mit Schauer eine +unterseeische Schinkenstulle, und der Onkel trank Bier, das +hinter seinem Glase wallte wie der Met, den Thorr bei den +Riesen aus dem Weltmeer geschänkt bekommt. + +Während dies alte Wassertierreich etwas Höhlenhaftes, +Irrgartenähnliches hatte mit Überraschungen und Abenteuern +wie das ‚Tierleben‘ seines Begründers Brehm, ist das heutige +hier am Zoo ein aufrechtes, übersichtlich gegliedertes +Gebäude, dessen Stockwerke ungefähr den drei Elementen +Wasser, Erde und Luft entsprechen: Erdgeschoß Aquarium, +erster Stock Terrarium, zweiter Insectarium. Und alle Wesen +wohnen, schwimmen und kriechen um Gestein, Sand und Pflanze +ihrer Heimat, die in Schaubehälter und Glasbecken +eingefangen ist. Ein hoher Mittelraum ist als halbtrockner +Nil oder Rio Grande ausgestattet, und von einer Brücke aus +Bambusstäben kann man zusehen, wie die Krokodile aus +seichtem Wasser auf ihre tropisch warme Sandbank kriechen. +Die Echsen bewohnen ihren Karst, die Klapperschlange ihr +trocknes Stück brasilische Erde. Für das Behagen der +Riesenschlange ist durch künstliche Südsonne gesorgt. Nicht +minder heimatlich haben es die Kleinen und Kleinsten. Der +Helgoländer Hummer haust in echt Helgoländer Gestein, die +Forelle in einem Gebirgsbach, der über Geröll plätschert. +Die Biene arbeitet in ihrem Stock, dem Heimchen ist ein Herd +gemauert und der Schabe ein echter Küchentisch mit +schmutzigem Geschirr hingestellt. Der Scarabäus findet +Kuhmist vor, um daraus die Kugelpillen zu drehen, in denen +seine Eier Larven werden sollen. ‚Seegras, Seerose und +Seegries‘ wie für Christian Morgensterns Hecht vom heiligen +Anton wachsen in bewellten Algengefilden. Sogar Seegurken +gibt es, und unter den Seenelken ist eine mit wachsweißen +Blütenblättern wie eine Chrysantheme, die durch Zauber zu +einem gierig schlängelnden und langenden Tier geworden ist; +manche Frau könnte sie gut statt der harmlos fallenden +Stoffblume am Kleide tragen. + +Aber am schönsten ist es im reinen Fischreich, wo +papierdünne Flossenblätter ihre Kiemenfächer regen, wo die +großen Welse mitBartfäden tasten, wo das Seepferdchen den +knochenzarten Kopf neigt, wo wechselnde Farben und wandernde +Muster alle Kunstgewerblerphantasie überbieten, wo man +Chanchito und Cichlide, Goldorf und Güster, Olm und Ukelei +heißt. Da findet der Liebhaber auch die erstaunlichen +Schleierschwänze, eine Zierfisch-Zuchtrasse, die mit ihrem +bunten Schleppgewand in der Freiheit gar nicht leben könnte, +so vornehm ist sie. |