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  <title>Diotima.</title>
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<body>

<h4>Diotima.</h4>



<p>Leuchtest Du wie vormals nieder,<br />
Goldner Tag! und sprossen mir<br />
Des Gesanges Blumen wieder<br />
Lebenathmend auf zu Dir?<br />
Wie so anders ist's geworden!<br />
Manches, was ich traurig mied,<br />
Stimmt in freundlichen Akkorden<br />
Nun in meiner Freude Lied,<br />
Und mit jedem Stundenschlage<br />
Werd' ich wunderbar gemahnt<br />
An der Kindheit stille Tage,<br />
Seit ich sie, die Eine, fand.</p>

<p>Diotima! edles Leben!<br />
Schwester, heilig mir verwandt!<br />
Eh' ich Dir die Hand gegeben,<br />
Hab' ich ferne Dich gekannt.<br />
Damals schon, da ich in Träumen,<br />
Mir entlokt vom heitern Tag,<br />
Unter meines Gartens Bäumen,<br />
Ein zufriedner Knabe lag,<br />
Da in leiser Lust und Schöne<br />
Meiner Seele Mai begann:<br />
Säuselte, wie Zephyrstöne,<br />
Göttliche! Dein Hauch mich an.</p>

<p>Ach! und da, wie eine Sage,<br />
Jeder frohe Gott mir schwand,<br />
Da ich vor des Himmels Tage<br />
Darbend, wie ein Blinder, stand,<br />
Da die Last der Zeit mich beugte,<br />
Und mein Leben, kalt und bleich,<br />
Sehnend schon hinab sich neigte<br />
In der Todten stummes Reich:<br />
Wünscht' ich öfters noch, dem blinden<br />
Wanderer, dies Eine mir,<br />
Meines Herzens Bild zu finden<br />
Bei den Schatten oder hier.</p>

<p>Nun! ich habe Dich gefunden!<br />
Schöner, als ich ahnend sah,<br />
Hoffend in den Feierstunden,<br />
Holde Muse! bist Du da;<br />
Von den Himmlischen dort oben,<br />
Wo hinauf die Freundschaft flieht,<br />
Wo, des Alters überhoben,<br />
Immerheitre Schöne blüht,<br />
Scheinst Du mir herabgestiegen,<br />
Götterbotin! weiltest Du<br />
Nun in gütigem Genügen<br />
Bei dem Sänger immerzu!</p>

<p>Sommerglut und Frühlingsmilde,<br />
Streit und Friede wechselt hier<br />
Vor dem stillen Götterbilde<br />
Wunderbar im Busen mir;<br />
Zürnend unter Huldigungen,<br />
Hab ich oft beschämt, besiegt;<br />
Sie zu fassen, schon gerungen,<br />
Die mein Kühnstes überfliegt;<br />
Unzufrieden im Gewinne,<br />
Hab' ich stolz darob geweint,<br />
Daß zu herrlich meinem Sinne<br />
Und zu mächtig sie erscheint.</p>

<p>Ach! und deine stille Schöne,<br />
Heilig holdes Angesicht!<br />
Herz! an deine Himmelstöne<br />
Ist gewöhnt das meine nicht;<br />
Aber deine Melodieen<br />
Heitern mählig mir den Sinn,<br />
Daß die trüben Träume fliehen,<br />
Und ich selbst ein Andrer bin;<br />
Bin ich dazu denn erkoren?<br />
Ich zu deiner hohen Ruh'?<br />
So zu Licht und Lust geboren,<br />
Göttlich Glückliche! wie Du?</p>

<p>Wie Dein Vater und der meine,<br />
Der in heitrer Majestät<br />
Ueber seinem Eichenhaine<br />
Dort in lichter Höhe geht,<br />
Wie er in die Meereswogen,<br />
Wo die kühle Tiefe baut,<br />
Steigend an des Himmels Bogen,<br />
Klar und stillt herunterschaut,<br />
So will ich aus Götterhöhen,<br />
Neu geweiht in schön'rem Glück,<br />
Froh zu singen und zu sehen<br />
Nun zu Sterblichen zurück.</p>



</body>
</html>