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diff --git a/OEBPS/Text/01_junge_leiden/01_traumbilder/08.html b/OEBPS/Text/01_junge_leiden/01_traumbilder/08.html new file mode 100644 index 0000000..fc58893 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01_junge_leiden/01_traumbilder/08.html @@ -0,0 +1,271 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../../../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>VIII.</title> +</head> + +<body> +<h4>VIII.</h4> + +<p> +Ich kam von meiner Herrin Haus,<br /> +Und wandelt' in Wahnsinn und Mitternachtgraus.<br /> +Und wie ich am Kirchhof vorüber gehn will,<br /> +Da winken die Gräber ernst und still. +</p> +<p> +Da winkt's von des Spielmanns Leichenstein;<br /> +Das war der flimmernde Mondesschein.<br /> +Da lispelt's: Lieb Bruder, ich komme gleich!<br /> +Da steigt's aus dem Grabe nebelbleich. +</p> +<p> +Der Spielmann war's, der entstiegen jetzt,<br /> +Und hoch auf den Leichenstein sich setzt.<br /> +In die Saiten der Zither greift er schnell,<br /> +Und singt dabei recht hohl und grell: +</p> +<p> +Ei! kennt Ihr noch das alte Lied,<br /> +Das einst so wild die Brust durchglüht,<br /> +Ihr Saiten dumpf und trübe?<br /> +Die Engel, die nennen es Himmelsfreud, +</p> +<p> +Die Teufel, die nennen es Höllenleid,<br /> +Die Menschen, die nennen es: Liebe! +</p> +<p> +Kaum tönte des letzten Wortes Schall,<br /> +Da thaten sich auf die Gräber all';<br /> +Viel Luftgestalten dringen hervor,<br /> +Und umschweben den Spielmann und schrillen im Chor: +</p> +<p> +Liebe! Liebe! deine Macht<br /> +Hat uns hier zu Bett gebracht,<br /> +Und die Augen zugemacht, –<br /> +Ei, was rufst du in der Nacht? +</p> +<p> +So heult es verworren, und ächzet und girrt,<br /> +Und brauset und sauset, und krächzet und klirrt;<br /> +Und der tolle Schwarm den Spielmann umschweift,<br /> +Und der Spielmann wild in die Saiten greift: +</p> +<p> +Bravo! bravo! immer toll!<br /> +Seyd willkommen!<br /> +Habt vernommen<br /> +Daß mein Zauberwort erscholl, +</p> +<p> +Liegt man doch jahraus, jahrein,<br /> +Mäuschenstill im Kämmerlein;<br /> +Laßt uns heute lustig seyn!<br /> +Mit Vergunst, –<br /> +Seht erst zu, sind wir allein? –<br /> +Narren waren wir im Leben,<br /> +Und mit toller Wuth ergeben<br /> +Einer tollen Liebesbrunst.<br /> +Kurzweil soll uns heut nicht fehlen,<br /> +Jeder soll hier treu erzählen,<br /> +Was ihn weiland hergebracht,<br /> +Wie gehetzt,<br /> +Wie zerfetzt<br /> +Ihn die tolle Liebesjagd. +</p> +<p> +Da hüpft aus dem Kreise, so leicht, wie der Wind,<br /> +Ein mageres Wesen, das summend beginnt: +</p> +<p> +Ich war ein Schneidergeselle,<br /> +Mit Nadel und mit Scheer';<br /> +Ich war so flink und schnelle<br /> +Mit Nadel und mit Scheer'.<br /> +Da kam die Meisterstochter<br /> +Mit Nadel und mit Scheer';<br /> +Und hat mir in's Herz gestochen<br /> +Mit Nadel und mit Scheer'. +</p> +<p> +Da lachten die Geister im lustigen Chor;<br /> +Ein Zweiter trat still und ernst hervor: +</p> +<p> +Den Rinaldo Rinaldini,<br /> +Schinderhanno, Orlandini,<br /> +Und besonders Carlo Moor<br /> +Nahm ich mir als Muster vor. +</p> +<p> +Auch verliebt – mit Ehr' zu melden –<br /> +Hab' ich mich, wie jene Helden,<br /> +Und das schönste Frauenbild<br /> +Spukte mir im Kopfe wild. +</p> +<p> +Und ich seufzte auch und girrte;<br /> +Und wenn Liebe mich verwirrte,<br /> +Steckt' ich meine Finger rasch<br /> +In des Herren Nachbars Tasch'. +</p> +<p> +Doch der Gassenvogt mir grollte,<br /> +Daß ich Sehnsuchtsthränen wollte<br /> +Trocknen mit dem Taschentuch,<br /> +Das mein Nachbar bei sich trug. +</p> +<p> +Und nach frommer Häschersitte<br /> +Nahm man still mich in die Mitte,<br /> +Und das Zuchthaus, heilig groß,<br /> +Schloß mir auf den Mutterschooß. +</p> +<p> +Schwelgend süß in Liebessinnen,<br /> +Saß ich dort beim Wollespinnen,<br /> +Bis Rinaldos Schatten kam,<br /> +Und die Seele mit sich nahm. +</p> +<p> +Da lachten die Geister im lustigen Chor;<br /> +Geschminkt und geputzt trat ein Dritter hervor: +</p> +<p> +Ich war ein König der Bretter,<br /> +Und spielte das Liebhaberfach,<br /> +Ich brüllte manch wildes: Ihr Götter!<br /> +Ich seufzte manch zärtliches: Ach! +</p> +<p> +Den Mortimer spielt' ich am besten,<br /> +Maria war immer so schön!<br /> +Doch trotz der natürlichsten Gesten<br /> +Sie wollte mich nimmer versteh'n. – +</p> +<p> +Einst als ich verzweifelnd am Ende<br /> +»Maria, du Heilige!«; rief,<br /> +Da nahm ich den Dolch behende –<br /> +Und stach mich ein bischen zu tief. +</p> +<p> +Da lachten die Geister im lustigen Chor;<br /> +Im weißen Flausch trat ein Vierter hervor: +</p> +<p> +Vom Katheder schwatzte herab der Professor,<br /> +Er schwatzt', und ich schlief oft gut dabei ein;<br /> +Doch hätt' mir's behagt noch tausendmal besser<br /> +Bei seinem holdseligen Töchterlein. +</p> +<p> +Sie hatt' mir oft zärtlich am Fenster genicket,<br /> +Die Blume der Blumen, mein Lebenslicht!<br /> +Doch die Blume der Blumen ward endlich gepflücket<br /> +Vom dürren Philister, dem reichen Wicht. +</p> +<p> +Da flucht ich den Weibern und reichen Halunken,<br /> +Und mischte mir Teufelskraut in den Wein, –<br /> +Und hab' mit dem Tode Smollis getrunken,<br /> +Der sprach: Fiduzit, ich heiße Freund Hein! +</p> +<p> +Da lachten die Geister im lustigen Chor,<br /> +Einen Strick um den Hals trat ein Fünfter hervor: +</p> +<p> +Es prunkte und prahlte der Graf beim Wein<br /> +Mit dem Töchterchen sein und dem Edelgestein.<br /> +Was scheert mich, du Gräflein, dein Edelgestein,<br /> +Mir mundet weit besser dein Töchterlein. +</p> +<p> +Sie lagen wohl beid' unter Riegel und Schloß,<br /> +Und der Graf besold'te viel Dienergetroß. +</p> +<p> +Was scheeren mich Diener und Riegel und Schloß, –<br /> +Ich stieg getrost auf die Leitersproß. +</p> +<p> +An Liebchens Fensterlein klettr' ich getrost,<br /> +Da hör' ich es unten fluchen erbost:<br /> +»Fein sachte, mein Bübchen, muß auch dabei seyn,<br /> +Ich liebe ja auch die Edelgestein.«; +</p> +<p> +So spöttelt der Graf und erfaßt mich gar,<br /> +Und jauchzend umringt mich die Dienerschaar.<br /> +»Zum Teufel, Gesindel! Ich bin ja kein Dieb;<br /> +Ich wollte nur stehlen mein trautes Lieb!«; +</p> +<p> +Da half kein Gerede, da half kein Rath,<br /> +Da machte man hurtig die Stricke parat;<br /> +Wie die Sonne kam, da wundert sie sich,<br /> +Am hellen Galgen fand sie mich. +</p> +<p> +Da lachten die Geister im lustigen Chor;<br /> +Den Kopf in der Hand trat ein Sechster hervor. +</p> +<p> +Zum Waidwerk trieb mich Liebesharm;<br /> +Ich schlich umher, die Büchs' im Arm.<br /> +Da schnarret's hohl vom Baum herab,<br /> +Der Rabe rief: Kopf – ab! Kopf – ab! +</p> +<p> +O, spürt' ich doch ein Täubchen aus,<br /> +Ich brächt' es meinem Lieb nach Haus!<br /> +So dacht' ich, und in Busch und Strauch<br /> +Späh't rings umher mein Jägeraug'. +</p> +<p> +Was koset dort? was schnäbelt fein?<br /> +Zwei Turteltäubchen mögen's seyn.<br /> +Ich schleich herbei, – den Hahn gespannt, –<br /> +Sieh' da! mein eignes Lieb ich fand. +</p> +<p> +Das war mein Täubchen, meine Braut,<br /> +Ein fremder Mann umarmt sie traut, –<br /> +Nun, alter Schütze, treffe gut!<br /> +Da lag der fremde Mann im Blut'. +</p> +<p> +Bald drauf ein Zug mit Henkersfrohn –<br /> +Ich selbst dabei als Hauptperson –<br /> +Den Wald durchzog. Vom Baum herab<br /> +Der Rabe rief: Kopf – ab! Kopf – ab! +</p> +<p> +Da lachten die Geister im lustigen Chor;<br /> +Da trat der Spielmann selber hervor: +</p> +<p> +Ich hab' mal ein Liedchen gesungen,<br /> +Das schöne Lied ist aus; +</p> +<p> +Wenn das Herz im Leibe zersprungen,<br /> +Dann gehen die Lieder nach Haus! +</p> +<p> +Und das tolle Gelächter sich doppelt erhebt,<br /> +Und die bleiche Schaar im Kreise schwebt.<br /> +Da scholl vom Kirchthurm' »Eins«; herab,<br /> +Da stürzten die Geister sich heulend in's Grab. +</p> + +</body> +</html> |