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<title>III. Sonnenuntergang.</title>
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<body>
<h4>III.</h4>
<h5>Sonnenuntergang.</h5>
<p>
Die glühend rothe Sonne steigt<br />
Hinab in's weitaufschauernde,<br />
Silbergraue Weltmeer;<br />
Luftgebilde, rosig angehaucht,<br />
Wallen ihr nach, und gegenüber,<br />
Aus herbstlich dämmernden Wolkenschleiern,<br />
Ein traurig todtblasses Antlitz,<br />
Bricht hervor der Mond,<br />
Und hinter ihm, Lichtfünkchen,<br />
Nebelweit, schimmern die Sterne.
</p>
<p>
Einst am Himmel glänzten,<br />
Ehlich vereint,<br />
Luna, die Göttin, und Sol, der Gott,<br />
Und es wimmelten um sie her die Sterne,<br />
Die kleinen, unschuldigen Kinder.
</p>
<p>
Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,<br />
Und es trennte sich feindlich<br />
Das hohe, leuchtende Eh'paar.
</p>
<p>
Jetzt am Tage, in einsamer Pracht,<br />
Ergeht sich dort oben der Sonnengott,<br />
Ob seiner Herrlichkeit<br />
Angebetet und vielbesungen<br />
Von stolzen, glückgehärteten Menschen.<br />
Aber des Nachts<br />
Am Himmel wandelt Luna,<br />
Die arme Mutter<br />
Mit ihren verwaisten Sternenkindern,<br />
Und sie glänzt in stummer Wehmuth,<br />
Und liebende Mädchen und sanfte Dichter<br />
Weihen ihr Thränen und Lieder.
</p>
<p>
Die weiche Luna! Weiblich gesinnt<br />
Liebt sie noch immer den schönen Gemahl.<br />
Gegen Abend, zitternd und bleich,<br />
Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,<br />
Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,<br />
Und möchte ihm ängstlich rufen: »Komm!<br />
Komm! die Kinder verlangen nach Dir – «;<br />
Aber der trotzige Sonnengott,
</p>
<p>
Bei dem Anblick der Gattin erglüht' er<br />
In doppeltem Purpur,<br />
Vor Zorn und Schmerz,<br />
Und unerbittlich eilt er hinab<br />
In sein fluthenkaltes Wittwerbett.
</p>
<p>
Böse, zischelnde Zungen<br />
Brachten also Schmerz und Verderben<br />
Selbst über ewige Götter.<br />
Und die armen Götter, oben am Himmel<br />
Wandeln sie, qualvoll,<br />
Trostlos unendliche Bahnen,<br />
Und können nicht sterben,<br />
Und schleppen mit sich<br />
Ihr strahlendes Elend.
</p>
<p>
Ich aber, der Mensch,<br />
Der niedriggepflanzte, der Tod-beglückte.<br />
Ich klage nicht länger.
</p>
</body>
</html>
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