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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2023-05-29 17:15:24 +0200
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2023-05-29 17:15:24 +0200
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+
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+ <title>...liner Roma... - 7.</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="prose">
+
+ <h3 class="center">7.</h3>
+
+<p class="intro">
+– – Mordkommission stellte Raubmord fest und beschlagnahmte
+einen Regenschirm und einen Handkoffer, der modernstes
+Einbrecherwerkzeug enthielt. Eine Belohnung von 10000 Mark
+ist – –</p>
+
+<p class="clearb">
+Frau Grätke hat eben sein Bett geglättet, das genau ein
+Viertel des Zimmers einnimmt, da bricht Besuch herein. Gussi
+Feridell, Rostock, Warnemünde, einst tägliche, jetzt
+auswärtige Freundin, eine Kunstgewerblerin, die nicht mehr
+leidet, seit ihre drolligen Kaffeewärmer reißenden Absatz
+finden. Sie stellt ihre Berliner Freundin vor, ein Fräulein
+Anna von Camphusen. Auf der Durchreise begriffen, wird Gussi
+fünf Tage bei Camphusens wohnen. – Wollen gnädiges Fräulein
+bitte dort auf den weichen Stuhl... Der weiche Stuhl ist
+Herrn Gasteins Salon. Gussi erhält den hölzernen,
+dreiachtelbeinigen, und Gustav selbst will auf dem
+Bibliotheks- und Speisesaal, nämlich einer großen
+Palminkiste Platz nehmen. Aber es gelingt nicht. Erst müssen
+die Damen noch für eine Minute das Zimmer verlassen, damit
+er den Tisch umdrehen kann. – Feridell spricht noch wie die
+Luftbläschen in dem Aquarium am Zoo. Wie es ihm ginge?...
+Gut?... Na, na!... Ob er fleißig schaffe... Sie hat mit Anna
+Einkäufe besorgt... Berlin ist gar nicht wiederzuerkennen...
+Um 12 Uhr wird Mutter Camphusen beide mit eigener Equipage
+abholen. Auch Gustav soll mitfahren. Er ist zu Tisch zu
+Fabrikbesitzers geladen. – Ob er noch immer keine Frau
+gefunden habe. – Er scherzt verlegen. Das schmutzige
+Handtuch und zwei Aktstudien von Pfenninger lasten auf
+seinem Gemüt. Und nun bedenkt er noch die selbstgewaschenen
+Halsbinden am Bindfaden hinter dem Ofen. – Warum sie so
+braun wären? – Ja, er hat Malheur gehabt. Er hat sie
+zusammen mit Taschentüchern und braunen Strümpfen in
+Sodalauge
+
+<img class="center" src="../Images/07.png" alt="Bild Kapitel 7"/>
+
+gekocht. – Merkwürdig, Fräulein von Camphusen
+lacht kaum. Auch nicht über seine Winterfliege, Musca
+Kehlbaumi, nach einem Freunde benannt, der sie dressieren
+will. Aber einen hochmütigen oder prüden Eindruck macht Anna
+eigentlich nicht. Sie scheint mehr verdutzt... Vielleicht
+weltfremd. – Ob das Licht den ganzen Tag über brenne?
+(Sollte ihr das elektrische Licht imponieren?) – Ja, den
+ganzen Tag. Es gibt viele Wohnungen in Berlin, die jahraus,
+jahrein niemals Tageslicht, geschweige denn Sonne haben. Und
+wenn ihre Bewohner sich Sonntags mit einem Buch in den
+Tiergarten setzen, dann haben sie Rivieragefühle. – Er läßt
+sie aus dem Parterrefenster in den Hof blicken, den er so
+lieb hat, obwohl es eigentlich nur ein steinerner, verrußter
+Kamin ist. Aber aus dem Nachbarhofe ragen zwei Kastanienäste
+herüber, der eine über Fensterhöhe; der spielt, wenn ein
+Lüftchen weht, mit tausend grünen Fingern auf unsichtbaren
+Klavieren. Den unteren Ast schützt eine Planke vorm Wind.
+Seine gespreizten, geschichteten Blätter nehmen sich aus wie
+ein Teppichmuster, das in die dritte Dimension spukt.
+Manchmal nachmittags stellen sich fremde, große Frauen in
+den Hof und singen ganz laut, ohne sich zu genieren, das
+Lied: „Das Band zerrissen und du bist frei“, dann wirft man
+Geldstücke in Papier gewickelt in den Hof hinunter. – All
+das scheint Fräulein von Camphusen gar nicht zu rühren. – In
+Gustavens Flucht von einem Zimmer verirrt man sich nicht. –
+Frau Purmann hat einen großen Öldruck hineingestiftet, die
+bekannte Reiterstatue, deren Namen man stets vergißt.
+Midships im Zimmer steht der Kleiderschrank. Öffnet man
+dessen Tür, so werden aus Gustavens einem Zimmer zwei
+Zimmer. – Hohe gediegene Stiefel trägt Anna von Camphusen,
+sie schmiegen sich glatt und sauber um die runden Beine. –
+Was für Beine! So gediegene Beine! Aber sie könnte jetzt
+doch einmal ein gutes Wort finden. Plötzlich träumt er von
+einem gebatikten Lampenbehang, der an die aufregende bunte
+Bühne auf einem Bilde von Weißgerber erinnert. – Gussi fragt
+treulich: „Weißt du noch, wie wir morgens auf der
+Anlegebrücke frühstückten?“ – Genau weiß ich's. Wir legten
+die Butterbrotpapiere auf die Mole nieder, neugierig, was
+der Wind mit ihnen anstellen würde. Manche trotzten. Andere
+überschlugen sich zweimal und schliefen dann ein. Wieder
+andere glitten schwankend, stockend vorwärts, wie eine
+landende Krähe oder wie ein windentführter Regenschirm. Und
+jenes eine, das nach langer Bedenkzeit auf einmal
+unaufhaltsam davonrutschte und einem weißbehosten Popo
+glich, und darauf nun das kleine, zerknautschte Papier
+eifersüchtig hinterdrein kullerte... was haben wir gelacht?
+Daß die wichtigen Zollbeamten über uns und wir wieder über
+die Zollbeamten lachen mußten. – Auf Frau Grätke und die
+Nachbarn wird die Equipage aber ihre Wirkung nicht
+verfehlen. Für Gustaven ist es dieserzeit keine stolze
+Wonne, durch Volk zu fahren. Er späht auch nicht etwa nach
+Bekannten aus, die ihn zufällig bemerken und dann
+weiterberichten möchten. Außerdem weiß der städtische
+verkünstelte Geschmack Ledergeruch und Kommisstiefel
+überhaupt nicht richtig zu würdigen. – Auch Frau von
+Camphusen hat bei aller Liebenswürdigkeit jene sonderbare
+Zurückhaltung an sich. Die Villa ist im Vorort gelegen, hat
+Einfahrt, Vestibül und Etagen mit vielen Spezialräumen. Aber
+die Bilder an den hohen Wänden weichen den Blicken aus. Der
+auserlesene Wein macht Gustaven redefroh, bis er gewahrt,
+daß Gussi und Anna seine wachsende Freimütigkeit besorgt
+verfolgen. – Einmal, als der sympatische alte Herr Gustaven
+zutrinkt, „es freue ihn stets, wenn ein
+Vaterlandsverteidiger sich in seinem Hause wohlfühlt...“,
+geht ein warmer Hauch durch den Speisesaal. Aber Gustav hat
+Schnupfen und vergaß sein Schnupftuch. Und ins Gästebuch,
+das man ihm vorlegte, schrieb er endlich: „Das Leben...“
+(„ist“ wäre schon bedenklich viel behauptet). – Nun fragen
+sie ihn, was das heißen soll. Camphusens tun recht daran, so
+geradeaus zu leben und zu fragen. – In seiner Bude, die ihm
+untertan und vertraut ist, legt Gustav den steifen Kragen ab
+und vergräbt sich behaglich geborgen in sein Bett. Wenn er
+hustet, brummt ein Geist in der Matratze mit. – Der
+Wasserhahn überm Waschtisch hält nicht dicht. Der Gummi
+taugt nichts. Deutschland ist ja heruntergekommen. Nun
+tropft es die ganze Nacht hindurch tropf... tropf... als ob
+jemand im Hofe Teppiche klopfe. Oder, wenn man noch fester
+andreht, als ob draußen jemand vorbeiginge, der zum Bahnhof
+will. Und schließt man mit äußerster Kraft, dann wird es ein
+Schutzmann, der auf und ab geht. – Alle äußeren Sorgen
+zerfielen mit eins, wenn sie seine Frau würde; in Ruhe
+könnte er schreiben und Gutes tun und sie glücklich machen.
+– Wieder fällt ihm der Lampenschirm ein und eine kluge,
+nebenbei (sehr, sehr nebenbei) auch wohlhabende Frau, die
+alles versteht, der man alles sagen kann. – Am Freitag wird
+Gustav die Anna und die Gussi spazieren führen. Wird es auch
+mit ihr so werden, wie es mit den andern war? Daß sie in
+einer weichen Stunde dann seufzt: „Könnte ich dir doch etwas
+sein!“ Und dann vollzieht sich allmählich kältend, stetig,
+das Durchschauen. Sie hat nie einen eigenen Gedanken, nie
+eine Überraschung. Oder ist sie nur Weib. Oder unordentlich.
+– Das Durchschauen möglichst hinauszuschieben, darauf käme
+es vielleicht an. Jenes reizvolle Fremdsein genießen wie
+wunderstarre, kalte Sternennacht.</p>
+
+</div>
+</body>
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