diff options
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/02.xhtml')
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/02.xhtml | 151 |
1 files changed, 151 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/02.xhtml b/OEBPS/Text/02.xhtml new file mode 100644 index 0000000..b743ebe --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/02.xhtml @@ -0,0 +1,151 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8"?> +<!DOCTYPE html> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>...liner Roma... - 2.</title> +</head> +<body> + +<div class="prose"> + + <h3 class="center">2.</h3> + +<p class="intro"> +In einem Abteil der Ringbahn fand man eine angebohrte +Zinnbüchse, die, wie festgestellt wurde, die Überreste des +im April eingeäscherten Rennfahrers Zierbold enthielt und +vermutlich von einem enttäuschten Dieb – –</p> + +<p class="clearb"> +„Eintreffe 2 Uhr nachts Lehrter Bahnhof, Henkelchen.“ +Selbstverständlich holen wir sie ab. Du, Gustav wirst ihre +Koffer tragen. Solche Provinzler fallen immer Kerlen in die +Hände. „Was für Kerle?“ Alberne Frage! Schwindlern! Kerle, +die das Gepäck abnehmen und damit verschwinden. Oder die +Fremden in ein nahes anständiges Hotel bringen wollen und +sie dann per Auto meilenweit in eine Kaschemme verschleppen, +wo der Schofför mit unter einer Decke spielt und ihnen noch +50 Mark abknöpft, ehe sie im Schlafe ausgeraubt und erwürgt +werden. Man liest es doch täglich.</p> + +<p> +Die Leute an der Haltestelle messen einander mit kalt +kalkulierenden Blicken, wie internationale Ringkämpfer am +Start. Und wartend präparieren sie Tricks, die man noch +soeben durchgehen läßt. Warten vergiftet. Eine rumpelnde +Bahn nach der andern wächst heran, schrumpft davon, die 46, +107, nochmals die 107, zum Donnerwetter! dreimal +hintereinander die 107. Dann die richtige. Spitz strömt das +Häuflein Nervöser in das Perrontor, wie Wasser in eine +Gosse, siebt sich durch die Aussteigenden hinein, klemmt +sich, preßt. Frau Purmann, von würdelosen Paketen umpuffert, +rudert im dicksten Strudel mit Gesten einer Ertrinkenden, +aber genau betrachtet: offensiv. Sie schimpft: Anfangs +weinerlich, weil unbestimmt, allgemein über Empörendes, +Unerhörtes, dann aber superior scharf über eine ungesicherte +Hutnadel. Schimpft jedoch nur halblaut, denn Gustav, hinter +ihr, wäre imstande zu kichern. Der Schaffner flucht +rückwärts. Zurückbleibende knurren oder bellen dem +überfüllten Wagen nach. Sozialistisch, wilhelminisch, +anarchistisch. Daß er seiner grauhaarigen Gönnerin den Arm +beim Aussteigen bietet, daß er den Hauptteil des +sehnendehnenden kompromittierenden Gepäckes schleppt, +versteht sich. Aber seine Grimasse faltet sich zunehmend +ärgerlich, gleich einem Wurstzipfel. Und er keucht ihr +hinterdrein durchs Gedränge, wie in einer Polonäse um Säulen +herum. Schall und Rauch! Die alles zermalmenwollenden Autos +tuten ohrenbetäubend und verpuffen ranzigen Buttergestank. +Dabei haben die Schofföre rote, rüde, vergnügte Gesichter! – +Frivol, unangreifbar, schadenfroh springt der Straßenschlamm +ohne Unterschied alle Beine an. – Daß um diese Stunde vor +der Passage ein Spalier von Zeitungsweibern betet: +Abendzeitung, Ambdeitun.. Maria.. benedeit.. Amd.. eit.., so +was entgeht Elfchen.</p> + +<p> +Sie rennt vorwärts, streckenweise in einer Art hinkenden +Galopps, nicht mehr Dame, kaum noch Mensch; schneidet eine +Diagonale durch die Kurse der Fahrzeuge und Fußgänger, durch +witzige Zänkereien, wunde Melodien, groteske Ansprachen von +Händlern und Bettlern. Kopfschüttelnd, andauernd wiederholt: +„Nur 5 Gramm Kartoffeln und ich wäre glücklich!" – Alle +Bettler heucheln. Aber einem davon schenkt Elfchen eine +geborstene Zigarre von Heinz. – Wer nur arbeiten wollte, +Arbeit ist genug da. Das Wort ist unter friedfertigen +Bürgern aktuell; es beruhigt das Gewissen und legitimiert +auskömmlich eine politische Tendenz. Nur Nörgler oder +Idealisten suchen mehr aus dem Satz +herauszusophoristorieren. – Trunkenbolde rempeln an, +Matrosen stechen freche Blicke in fremde Blusenausschnitte. +Gemeine Bollemädchen beschimpfen sich ordinär vor einem +Aschinger. – O, daß Elfchen einen langen Schwanz und an +dessen Quaste ein drittes Auge hätte, um sich aus Distanz +selber beobachten zu können, wie sie so blind brutal und +häßlich dahinwütet. So kraxelten die Maikäfer durch meine +Bleisoldaten. – Schauläden rufen an. Hier Hummer, Langusten, +Ananas, Gänsebrüste, Blumenkohl, Trauben, indische Vasen mit +Ingwer und große französische Birnen. So gefällig +aneinandergehäuft, daß sattgespeiste Künstler es dankbar +anstaunen, es aufsuchen wie eine Sezession. – Elfchens böse +Blicke versengen sich an den Wucherpreisen. – Pompöse +Blumenarrangements locken Ohs und Ahs heraus. Aber sie sind +lange nicht so geschmackvoll wie in Bayern. – Man weiß, wie +sparsam Elfchen einkauft. Sie ersteht ein Paar Schnürsenkel +für eine Mark und spottbillige Schuhwichse und viele +lieblichgelbe Keks für wenig schmutziges Papiergeld. Die +Keks für Henkelchen. Man wird gemütlich einig schwatzen, +ohne auf Widerspruch zu stoßen. Über Augsburg; wie ganz +anders, unvergleichlich besser man in Augsburg lebte. – Vor +geschminkten, auffallend behängten Frauenzimmern lacht +Elfchen herausfordernd laut.</p> + +<p> +Gustav trägt einen der unzähligen revolutionären Teufel in +sich, der immer heraus will, um im Wahne einer objektiven +Gerechtigkeit zu protestieren, manifestieren, opponieren. +Jetzt etwa zu rufen: Alle Straßenmädchen sind zunächst nett! +Gustav gibt sich Mühe, den Teufel zurückzuhalten. Aber es +verstimmt, wenn man unterdrückt, was heraus will. – Zu Hause +wird Elfchen entdecken, daß die Wichse nichts taugt, + +<img class="center" src="../Images/02.png" alt="Bild Kapitel 2"/> + +daß die Schuhbänder wie Zwirn reißen. Das anspruchslose, +rührende Henkelchen aber wird die Keks dankbar loben. Und zu +Weihnachten wird Elfchen einem Kutscher Wichse und +Schnürsenkel bescheren. Schenken und Geschenke nehmen, das +ist eine Kunst, die .. still, Teufel! – Alles ist Lug und +Trug in Berlin. Zwischen „Hauptgewinn“ und „50000 Mark“ +übersieht sich das winzig gedruckte Wort „im Werte von“. Und +die Wagschalen beim Kaufmann verstecken sich hinter Kisten, +und die Wurst macht sich mit Wasser und der Kaffee macht +sich mit Nägeln gewichtig. – Nächsten Sonntag darf Gustav +bei Purmanns Gänsebraten speisen. – Gerade, als er sich +verabschieden will, am Haustor, wo steht „Nur für +Herrschaften“, biegt Herr Binding um die Ecke. Einem +Phrasenwechsel ist nicht mehr auszuweichen, Herr Binding +wettert über eine unkomplizierte Neuigkeit, Gustav gerät wie +immer vor ihm in dürftige Verlegenheit. Herrn Bindings +nachweisbares Ebenmaß ist mit Purmanns Gold so elegant +gerahmt. Und wo der Schöne schon zu erkannt ist, um noch +durch weisheitsdunkle Schweigsamkeit oder gesetzte Haltung +zu imponieren, da behauptet er sich schmeichelnd oder +taktlos unverschämt. – Gustavens Wirtin, Frau Grätke, +schimpft vor ihrem Gemüsekeller unflätig über die Hunde, die +einen Rübenkorb zur Nachrichtenvermittlung benutzen. Die +Hökerin geht nie aus, ist schneckenartig mit dem Hause Nr. +70 verwachsen. Aber durch Fenster, Zeitungen und +Ladenklatsch fluten ihr die Lokal- und Weltereignisse +vorüber. Für Frau Grätke ist Schimpfen etwas wie +Schnupftabak. Andere schimpfen aus andern Gründen; manche, +weil sie die Großstadt nicht vertragen oder nicht begreifen. +</p> + +<hr class="fin" /> + +</div> +</body> +</html> |