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diff --git a/OEBPS/Text/19-neapel.html b/OEBPS/Text/19-neapel.html new file mode 100644 index 0000000..a41b7dd --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/19-neapel.html @@ -0,0 +1,419 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neapel</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Neapel"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>er Morgen war frisch und +schön, als wir Anxur verliessen, der Wind stark und die +Brandung hochstürmend, so dass ich am Strande eingenetzt +war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch +an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte +mein französischer Reisekamerad Zwist mit der +<!-- pb n="173" facs="#f0199"/ --> Wache, die ihn nicht +recht gern wollte passieren lassen. Meinen Pass vom Kardinal +Ruffo besah man bloss, schrieb meinen Namen aus, und ich war +abgefertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche +aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an den +Minister und zwang die Wache durch etwas Impertinenz in +Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die +Instruktion gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu +Mittage assen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem +mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der +Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr +weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd +furchtbar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare +Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an +den Bergen noch die Ueberreste von der Ville des Nerva zu +sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangengärten, und +vergass darüber den Kaiser, die alten Stadtmauern, den See, +den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch +einige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den +Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand +in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen +Kriege, wo die Franzosen tüchtig zurückgeworfen wurden. Sie +suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge, ein +Einfall von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten +träumen lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht; +man thut besser zu glauben, dass die Feinde alle Gemsenjäger +sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist +es nie unmöglich, dass sie die +<!-- pb n="174" facs="#f0200"/ --> +Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen +den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf +nach Kajeta.</p> + +<p>Itri war von den Franzosen hässlich mitgenommen worden. +Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus +gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von +Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer +Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige +Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger +östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich +war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu +trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich musste +ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte +er nicht fort, weil seine Füsse nicht mehr in baulichem +Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich +überdiess zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus +zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde. +Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris +hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem +Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken +schon, übergab ihn und mich dem Himmel und wandelte allein +ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte +Geschichte von Itri zu erzählen, nehmlich ernsthaft für +mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere +Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in +der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den +übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte +mich oben auf einem Saale zu Bette, +<!-- pb n="175" facs="#f0201"/ --> und mein Kamerad zechte +unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der +wieder gekommen war, und kam mir sodann nach. Er war etwas +über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte noch +eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wilden Kerl nach +dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte +wohl bis zehen oder zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich, +dass es über unsere Personalitäten geradezu herging und dass +man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisition +hielt. <span class="italic">Sono cattive gente</span>, hiess +es in einem hohen Ton einmahl über das andere; und man that +den Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner +Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst +denken, dass mir nicht sonderlich lieblich dabey zu Muthe +ward. Man schlägt hier zum Anfang gleich die Leute todt, und +macht sodann nachher — eben weiter keinen Process. Die +alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem +exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte, +und behauptete dass wir ehrliche Leute wären; der Kommandant +hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man dem Kommandanten +selbst in der Politik gerade nicht viel gutes zu zutrauen. +Der Himmel weiss, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog +ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz +und mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte +Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen. »Meine Herren, +sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, ich bin ein +fremder Reisender; ich dächte, im Wirthshause wo ich hezahle +dürfte ich zur +<!-- pb n="176" facs="#f0202"/ --> +Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen +verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin +Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und +Ruhe und als ordentliche brave Leute ab.« Es ward +stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich +oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that; +und nach und nach schlichen sie alle fort. Spasshaft +ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne +Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.</p> + +<p>Den andern Morgen wandelte ich also allein zwischen den +Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch +dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden, +als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern +noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein grosses, +schönes, ziemlich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen +Eyern und frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem +Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früchten ein +vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein +Zitronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links +und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des +Vorgebirges rund herum bis hinüber nach Ischia und Procida. +Es ist das köstlichste Dessert in der Entfernung von einigen +hundert Meilen, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend +eines kleinen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere +Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen Stelle +hatte vor mehreren Jahren <span class="spaced">Friedrich +Schulz</span> gesessen und Fische und Früchte gegessen, und +mich aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf +das klassische Land umher schauen würde. Jetzt +<!-- pb n="177" facs="#f0203"/ --> ist er nicht mehr der +Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey +den Fittichen zu halten verstand und sie rund umher gab. Wo +auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie +segnen. Keiner seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte +durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.</p> + +<p>Nun ging ich vergnügt und froh die schöne magische Gegend +hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge +ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. +Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten +des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, +daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte +heraus, und liess sich von dem Hauptmann, dem er das Leben +gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philippiken +zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; +der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als +selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres +sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu +glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina +donnerte, stand seine Existenz auf dem Spiel und er hatte +keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu +gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn +wahrscheinlich Hass und Partheysucht. Im Glück prahlte er, +im Unglück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft +viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, +der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht +mit seinem Leben ausgesöhnt; so wie es Männer in der +Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens +auslöscht, +<!-- pb n="178" facs="#f0204"/ --> Dort unten lag Minturnä; +dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit +dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder +seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwinder +ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte. +»Mensch, wagst du es, den Kajus Marius zu morden?« Weiter +hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der +erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe +verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich +setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte +kaum, dass ich diesseits von einer Menge Mauleseltreiber +umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst +anboten. Da half kein Demonstrieren, sie machten die +Kleinigkeit der Foderung noch kleiner und setzten mich halb +mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen +Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen +Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten +ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts +dawider haben. Ein Junge von ungefähr dreyzehn Jahren hatte +sich einige Millien weiter herab angeschlossen, der in der +Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter +zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu strenge +behauptete. Beyde liefen neben her. Es wurde bald alles +durchfragt, und der Junge musste etwas weitläufig seine +Geschichte erzählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit +wahrhaft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Gefahr +vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that dieses mit +einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit +<!-- pb n="179" facs="#f0205"/ --> einer Behutsamkeit im +Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre +ich Sultan gewesen, ich hätte den Eseltreiber zum Mufti +gemacht, und es würde gut gegangen seyn. Diese schöne +bedachstame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu +wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Gesellschaft +durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein +ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir; +ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füsse. Er gab +dem jungen Menschen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich +griff natürlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas +tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Kalabrese +begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post, +als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.</p> + +<p>Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach +Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkeiten hat und +ehemahls eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der +Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug; +und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten +Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung +weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche +stand und einen heiligen Johannes, der enthauptet wird, +betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen +ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf +dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter +Eseltreiber, der auf der andern Seite herauf gekommen war, +zu mir, mich zu begrüssen. Er hatte mich vielleicht wegen +einiger +<!-- pb n="180" facs="#f0206"/ --> Aeusserungen etwas lieb +gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich +dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, +führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte +mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit +der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn +die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem +Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im +Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr +Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir +mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in +Warschau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm +fasste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise +die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus +diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die +mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu den +Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten +Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten +ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, dass die Leute doch +noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, dass sie +die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das +Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon +gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so +ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. +An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man +noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit +davon jenseits die Reste einer Wasserleitung. Der Fluss +selbst, der nicht sehr breit ist, muss +<!-- pb n="181" facs="#f0207"/ --> doch zuweilen gefährlich +zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und +man erzählte mir, dass, als die Franzosen ungefähr zwey +Stunden aufwärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, +ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern desselben +weiden grosse Heerden Büffel.</p> + +<p>Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner +Wein vor; für die Aechtheit will ich indessen nicht stehen. +Es ist bloss die klassische Neugierde ihn getrunken zu +haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit +verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der +Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten +italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn +man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward +meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das +folgende Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, die +die Passage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz +machten. Jeder Windstoss durch das Gesträuch erschreckte +ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne +abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen +befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, +ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht +hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter +Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute +seyn sollten und von denen +er <!-- choice><sic -->ersckreckliche<!-- /sic><corr>erschreckliche</corr></choice --> +Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle +ausbat, sagte er, män wüsste nicht, woher sie kämen und +wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten +und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin<!-- pb n="182" facs="#f0208"/ -->gen +zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden, +ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen +sie meistens aus den Bergen von Abbruzzo. Ich habe nun +freylich zur Schande der Regierung gefunden, dass der Mensch +ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, +dass ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit +seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt geschlagen +werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher +weiter nicht beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, +und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer +vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu +bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir +aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluss, +als ich mich auf der Strasse von einem Vetturino bereden +liess, mich einzusetzen und mich bis nach Kapua bringen zu +lassen. Als wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach +Kaserta gefahren, und wollte durchaus, ich sollte seine +Rückkehr erwarten, damit er meinen Pass ratifizieren möchte. +Endlich bestürmte ich den <span class="italic">Capitaine du +jour</span> so viel, dass er mir den Pass ohne Vidierung +zurück gab, und dem Offizier von dem Thore Befehl schickte, +er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme +verantworten.</p> + +<p>Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war +mein Kalabrese durchaus nicht zu bringen: er meinte, das +wäre der sichere Tod; da wimmelte es von Mariohlen. Ich gab +dem Schuft einige Karlin; liess ihn rechts nach Aversa +forttrollen, um +<!-- pb n="183" facs="#f0209"/ --> dort am rechten Orte +seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich +links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung +Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche +Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas +Gefahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch +schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen +sich patriotisch ihrer vaterländischen Gegend anzunehmen. Wo +ehmahls Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken +Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die +unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position +angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustparthie +für die Bürger der neuen Stadt, so sehr behauptet der alte +Platz seinen Kredit. Es steht bekanntlich noch der Rest +eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und +also verhältnissmässig neu ist, welches die Antiquare +hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging +durch die Trümmern eines Thors, das vermuthlich das +nehmliche ist, durch welches Hannibal seinen Ruhm hinein und +nicht wieder heraus trug, liess nach kurzer Beschauung das +Theater links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort. +Es stehen dort an der Strasse links und rechts nicht weit +von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische +Begräbnisse sind, und von denen eines wenigstens in sehr +gutem Stil gearbeitet zu seyn scheint.</p> + +<p>Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses +in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiss weit +genauer und besser finden kannst. Der +<!-- pb n="184" facs="#f0210"/ --> erste Anblick ist gross +und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen +Pflanzungen rechts, der prächtige Schlossplatz und die +Gebände rund umher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das +Auge gefesselt von der Ansicht durch das grosse Thor, welche +durch das ganze Schloss und die Gärten bis weit hinaus auf +die Berge geht, über welche man die berühmte Wasserleitung +herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade +schliesst den Grund der Parthie. Man wird selten irgendwo so +etwas magisches finden. Du weisst, dass auch hier die +Franken etwas willkührlich gehaust haben: jetzt ist der +Kronprinz und seine Sardinische Majestät hier.</p> + +<p>Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein +Fussgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald +einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis +Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, dass +ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. +Humane Theilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor +vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit +die Stadt zu besehen; diess war aber zur Auffassung eines +richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich +abgehen wollte, arretierte mich wieder ein Vetturino an der +Ecke des Marktes: <span class="italic">Volete andare in +carozza, Signore</span>? — <span class="italic">Ma +si</span>, <span class="italic">si</span>, sagte ich, +<span class="italic">se partite presto presto</span>. +— <span class="italic">Questo momento; favorisca +montare</span>. Ich stieg ein und setzte mich neben einen +stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwey andere +und wir rollten zum Thore hinaus.</p> + +<p>Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa<!-- pb n="185" facs="#f0211"/ -->nien, +das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese erhoben hat, +für das die römischen Soldaten ihr Kapitol vergessen +wollten. Es ist wahr, der Strich zwischen Aversa, Kapua, +Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und +den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist +von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch +gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre +Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder +Fusstritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er +wächst in kurzer Zeit +<!-- choice><sic -->schwelgericsh<!-- /sic><corr>schwelgerisch</corr></choice --> +breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er +wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen +weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oehlbaum steht +mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden +Berge; die Feige schwillt üppig unter dem grossen Blatte am +gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale die +Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weitzen, nickt die +Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet +dreyfach auf dem nehmlichen Boden in Fülle, Obst und Wein +und Weitzen; und alles ist üppige ewig jugendliche Kraft. +Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in einigen +Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein +Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu +haben, war ehemahls einige Monathe in Wien und Prag gewesen, +wusste einige Dutzend Wörter von unserer Sprache, und war +die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause, +und mich wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst +Höflichkeit in +<!-- pb n="186" facs="#f0212"/ --> +der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden +der Hausofficianten der Grossen gehört. In Neapel brachte er +mich in einem eigenen Wagen vor dem Thor in das Haus eines +seiner Bekannten am Toledo, bis ich den Herrn Heigelin +aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. +Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten +Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfremder +eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich +selbst etwas orientieren kann.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |