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  <title>Neapel</title>
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<body>

<div class="chapter" id="Neapel">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div>

<p> <span class="initial">D</span>er Morgen war frisch und
schön, als wir Anxur verliessen, der Wind stark und die
Brandung hochstürmend, so dass ich am Strande eingenetzt
war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch
an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte
mein französischer Reisekamerad Zwist mit der
<!-- pb n="173" facs="#f0199"/ --> Wache, die ihn nicht
recht gern wollte passieren lassen. Meinen Pass vom Kardinal
Ruffo besah man bloss, schrieb meinen Namen aus, und ich war
abgefertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche
aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an den
Minister und zwang die Wache durch etwas Impertinenz in
Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die
Instruktion gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu
Mittage assen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem
mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der
Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr
weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd
furchtbar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare
Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an
den Bergen noch die Ueberreste von der Ville des Nerva zu
sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangengärten, und
vergass darüber den Kaiser, die alten Stadtmauern, den See,
den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch
einige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den
Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand
in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen
Kriege, wo die Franzosen tüchtig zurückgeworfen wurden. Sie
suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge, ein
Einfall von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten
träumen lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht;
man thut besser zu glauben, dass die Feinde alle Gemsenjäger
sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist
es nie unmöglich, dass sie die
<!-- pb n="174" facs="#f0200"/ -->
Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen
den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf
nach Kajeta.</p>

<p>Itri war von den Franzosen hässlich mitgenommen worden.
Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus
gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von
Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer
Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige
Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger
östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich
war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu
trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich musste
ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte
er nicht fort, weil seine Füsse nicht mehr in baulichem
Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich
überdiess zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus
zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde.
Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris
hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem
Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken
schon, übergab ihn und mich dem Himmel und wandelte allein
ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte
Geschichte von Itri zu erzählen, nehmlich ernsthaft für
mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere
Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in
der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den
übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte
mich oben auf einem Saale zu Bette,
<!-- pb n="175" facs="#f0201"/ --> und mein Kamerad zechte
unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der
wieder gekommen war, und kam mir sodann nach. Er war etwas
über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte noch
eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wilden Kerl nach
dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte
wohl bis zehen oder zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich,
dass es über unsere Personalitäten geradezu herging und dass
man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisition
hielt. <span class="italic">Sono cattive gente</span>, hiess
es in einem hohen Ton einmahl über das andere; und man that
den Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner
Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst
denken, dass mir nicht sonderlich lieblich dabey zu Muthe
ward. Man schlägt hier zum Anfang gleich die Leute todt, und
macht sodann nachher &mdash; eben weiter keinen Process. Die
alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem
exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte,
und behauptete dass wir ehrliche Leute wären; der Kommandant
hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man dem Kommandanten
selbst in der Politik gerade nicht viel gutes zu zutrauen.
Der Himmel weiss, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog
ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz
und mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte
Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen. »Meine Herren,
sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, ich bin ein
fremder Reisender; ich dächte, im Wirthshause wo ich hezahle
dürfte ich zur
<!-- pb n="176" facs="#f0202"/ -->
Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen
verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin
Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und
Ruhe und als ordentliche brave Leute ab.« Es ward
stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich
oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that;
und nach und nach schlichen sie alle fort. Spasshaft
ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne
Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.</p>

<p>Den andern Morgen wandelte ich also allein zwischen den
Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch
dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden,
als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern
noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein grosses,
schönes, ziemlich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen
Eyern und frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem
Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früchten ein
vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein
Zitronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links
und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des
Vorgebirges rund herum bis hinüber nach Ischia und Procida.
Es ist das köstlichste Dessert in der Entfernung von einigen
hundert Meilen, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend
eines kleinen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere
Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen Stelle
hatte vor mehreren Jahren <span class="spaced">Friedrich
Schulz</span> gesessen und Fische und Früchte gegessen, und
mich aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf
das klassische Land umher schauen würde. Jetzt
<!-- pb n="177" facs="#f0203"/ --> ist er nicht mehr der
Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey
den Fittichen zu halten verstand und sie rund umher gab. Wo
auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie
segnen. Keiner seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte
durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.</p>

<p>Nun ging ich vergnügt und froh die schöne magische Gegend
hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge
ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab.
Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten
des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius,
daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte
heraus, und liess sich von dem Hauptmann, dem er das Leben
gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philippiken
zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben;
der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als
selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres
sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu
glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina
donnerte, stand seine Existenz auf dem Spiel und er hatte
keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu
gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn
wahrscheinlich Hass und Partheysucht. Im Glück prahlte er,
im Unglück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft
viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth,
der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht
mit seinem Leben ausgesöhnt; so wie es Männer in der
Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens
auslöscht,
<!-- pb n="178" facs="#f0204"/ --> Dort unten lag Minturnä;
dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit
dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder
seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwinder
ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte.
»Mensch, wagst du es, den Kajus Marius zu morden?« Weiter
hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der
erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe
verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich
setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte
kaum, dass ich diesseits von einer Menge Mauleseltreiber
umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst
anboten. Da half kein Demonstrieren, sie machten die
Kleinigkeit der Foderung noch kleiner und setzten mich halb
mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen
Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen
Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten
ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts
dawider haben. Ein Junge von ungefähr dreyzehn Jahren hatte
sich einige Millien weiter herab angeschlossen, der in der
Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter
zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu strenge
behauptete. Beyde liefen neben her. Es wurde bald alles
durchfragt, und der Junge musste etwas weitläufig seine
Geschichte erzählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit
wahrhaft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Gefahr
vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that dieses mit
einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit
<!-- pb n="179" facs="#f0205"/ --> einer Behutsamkeit im
Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre
ich Sultan gewesen, ich hätte den Eseltreiber zum Mufti
gemacht, und es würde gut gegangen seyn. Diese schöne
bedachstame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu
wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Gesellschaft
durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein
ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir;
ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füsse. Er gab
dem jungen Menschen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich
griff natürlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas
tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Kalabrese
begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post,
als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.</p>

<p>Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach
Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkeiten hat und
ehemahls eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der
Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug;
und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten
Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung
weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche
stand und einen heiligen Johannes, der enthauptet wird,
betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen
ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf
dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter
Eseltreiber, der auf der andern Seite herauf gekommen war,
zu mir, mich zu begrüssen. Er hatte mich vielleicht wegen
einiger
<!-- pb n="180" facs="#f0206"/ --> Aeusserungen etwas lieb
gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich
dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten,
führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte
mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit
der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn
die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem
Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im
Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr
Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir
mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in
Warschau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm
fasste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise
die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus
diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die
mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu den
Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten
Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten
ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, dass die Leute doch
noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, dass sie
die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das
Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon
gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so
ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen.
An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man
noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit
davon jenseits die Reste einer Wasserleitung. Der Fluss
selbst, der nicht sehr breit ist, muss
<!-- pb n="181" facs="#f0207"/ --> doch zuweilen gefährlich
zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und
man erzählte mir, dass, als die Franzosen ungefähr zwey
Stunden aufwärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten,
ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern desselben
weiden grosse Heerden Büffel.</p>

<p>Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner
Wein vor; für die Aechtheit will ich indessen nicht stehen.
Es ist bloss die klassische Neugierde ihn getrunken zu
haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit
verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der
Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten
italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn
man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward
meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das
folgende Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, die
die Passage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz
machten. Jeder Windstoss durch das Gesträuch erschreckte
ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne
abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen
befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe,
ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht
hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter
Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute
seyn sollten und von denen
er <!-- choice><sic -->ersckreckliche<!-- /sic><corr>erschreckliche</corr></choice -->
Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle
ausbat, sagte er, män wüsste nicht, woher sie kämen und
wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten
und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin<!-- pb n="182" facs="#f0208"/ -->gen 
zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden,
ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen
sie meistens aus den Bergen von Abbruzzo. Ich habe nun
freylich zur Schande der Regierung gefunden, dass der Mensch
ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll,
dass ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit
seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt geschlagen
werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher
weiter nicht beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor,
und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer
vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu
bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir
aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluss,
als ich mich auf der Strasse von einem Vetturino bereden
liess, mich einzusetzen und mich bis nach Kapua bringen zu
lassen. Als wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach
Kaserta gefahren, und wollte durchaus, ich sollte seine
Rückkehr erwarten, damit er meinen Pass ratifizieren möchte.
Endlich bestürmte ich den <span class="italic">Capitaine du
jour</span> so viel, dass er mir den Pass ohne Vidierung
zurück gab, und dem Offizier von dem Thore Befehl schickte,
er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme
verantworten.</p>

<p>Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war
mein Kalabrese durchaus nicht zu bringen: er meinte, das
wäre der sichere Tod; da wimmelte es von Mariohlen. Ich gab
dem Schuft einige Karlin; liess ihn rechts nach Aversa
forttrollen, um
<!-- pb n="183" facs="#f0209"/ --> dort am rechten Orte
seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich
links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung
Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche
Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas
Gefahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch
schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen
sich patriotisch ihrer vaterländischen Gegend anzunehmen. Wo
ehmahls Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken
Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die
unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position
angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustparthie
für die Bürger der neuen Stadt, so sehr behauptet der alte
Platz seinen Kredit. Es steht bekanntlich noch der Rest
eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und
also verhältnissmässig neu ist, welches die Antiquare
hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging
durch die Trümmern eines Thors, das vermuthlich das
nehmliche ist, durch welches Hannibal seinen Ruhm hinein und
nicht wieder heraus trug, liess nach kurzer Beschauung das
Theater links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort.
Es stehen dort an der Strasse links und rechts nicht weit
von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische
Begräbnisse sind, und von denen eines wenigstens in sehr
gutem Stil gearbeitet zu seyn scheint.</p>

<p>Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses
in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiss weit
genauer und besser finden kannst. Der
<!-- pb n="184" facs="#f0210"/ --> erste Anblick ist gross
und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen
Pflanzungen rechts, der prächtige Schlossplatz und die
Gebände rund umher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das
Auge gefesselt von der Ansicht durch das grosse Thor, welche
durch das ganze Schloss und die Gärten bis weit hinaus auf
die Berge geht, über welche man die berühmte Wasserleitung
herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade
schliesst den Grund der Parthie. Man wird selten irgendwo so
etwas magisches finden. Du weisst, dass auch hier die
Franken etwas willkührlich gehaust haben: jetzt ist der
Kronprinz und seine Sardinische Majestät hier.</p>

<p>Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein
Fussgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald
einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis
Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, dass
ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre.
Humane Theilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor
vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit
die Stadt zu besehen; diess war aber zur Auffassung eines
richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich
abgehen wollte, arretierte mich wieder ein Vetturino an der
Ecke des Marktes: <span class="italic">Volete andare in
carozza, Signore</span>? &mdash; <span class="italic">Ma
si</span>, <span class="italic">si</span>, sagte ich,
<span class="italic">se partite presto presto</span>.
&mdash; <span class="italic">Questo momento; favorisca
montare</span>. Ich stieg ein und setzte mich neben einen
stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwey andere
und wir rollten zum Thore hinaus.</p>

<p>Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa<!-- pb n="185" facs="#f0211"/ -->nien, 
das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese erhoben hat,
für das die römischen Soldaten ihr Kapitol vergessen
wollten. Es ist wahr, der Strich zwischen Aversa, Kapua,
Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und
den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist
von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch
gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre
Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder
Fusstritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er
wächst in kurzer Zeit
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breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er
wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen
weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oehlbaum steht
mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden
Berge; die Feige schwillt üppig unter dem grossen Blatte am
gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale die
Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weitzen, nickt die
Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet
dreyfach auf dem nehmlichen Boden in Fülle, Obst und Wein
und Weitzen; und alles ist üppige ewig jugendliche Kraft.
Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in einigen
Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein
Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu
haben, war ehemahls einige Monathe in Wien und Prag gewesen,
wusste einige Dutzend Wörter von unserer Sprache, und war
die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause,
und mich wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst
Höflichkeit in 
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der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden
der Hausofficianten der Grossen gehört. In Neapel brachte er
mich in einem eigenen Wagen vor dem Thor in das Haus eines
seiner Bekannten am Toledo, bis ich den Herrn Heigelin
aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete.
Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten
Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfremder
eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich
selbst etwas orientieren kann.</p>

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