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+<!-- pb n="[471]" facs="#f0499"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Frankfurt">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Frankfurt</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>en Himmel sey Dank, nun
+bin ich wieder diesseit des Rheins im Vaterlande. Ich werde
+Dir über meinen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen
+haben, da er so oft gemacht wird und bekannter ist als eine
+Poststrasse in Deutschland.</p>
+
+<p>Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in
+Meaux. Der Weg ist angenehm und volkreich, wenn gleich nicht
+malerisch; und die Bewirthung ist überall ziemlich gut,
+freundlich und billig. Wenn ich zwischen Rom und Paris eine
+Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der
+Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber
+in Rücksicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur
+das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen
+wie viel für Humanität und Umgang dort zu haben ist; für
+Wissenschaft ist fast nicht mehr. Alte Geschichte und alles
+was sich darauf bezieht ist das einzige, was man dort an Ort
+und Stelle gründlich und geschmackvoll studieren kann. In
+Paris sind die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen
+für jedermann, und es gehört sogar zum guten Ton, wenigstens
+zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer
+zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige
+Kupferstiche zu beschauen. Wer sie benutzen will findet in
+allen Zweigen Reichthümer; und alles wird mit Gefälligkeit
+gereicht. In Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange
+ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in
+Ita<!-- pb n="472 " facs="#f0500"/ -->lien, und es ist
+vielleicht kein Unglück, dass sie etwas geweckt und zu
+wandern gezwungen worden sind.</p>
+
+<p>Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte
+die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute
+besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten
+allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die
+Hauptwerke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch haben
+sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag
+vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als
+Paris; aber die ersten Meisterwerke der grössten Künstler,
+die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht
+weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle,
+die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel
+Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den
+ganzen Reichthum ihres Geistes niedergelegt haben, mussten
+unangetastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören
+wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze
+Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der
+Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn;
+aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die
+Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie
+unter den Pferdekennern so viel Lärm machen werden, als sie
+unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiquaren
+gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist
+mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus
+Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige
+Vorzug, den sie haben, ist, dass sie vielleicht die einzigen
+Tethrip<!-- pb n="473 " facs="#f0501"/ -->pen sind, die wir
+noch übrig haben: und auch dazu fehlt ihnen noch viel.
+Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit
+Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere
+Pferde seyn. Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern
+gegeben. Gegen das Kapitol haben diese nicht nöthig zu
+krähen, wie die Gänse gegen die Gallier schrien; wenn sie
+nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht vorbey lassen.</p>
+
+<p>Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen,
+die vatikanische und kapitolinische, in Kontribution
+gesetzt. Es ist kein Privateigenthum angegriffen worden. Die
+Privatsammlungen machen aber in Rom vielleicht den grössten
+Theil aus. In der Villa Borghese steht alles wie es war; und
+der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an
+klassischem Werth in Paris ihres gleichen suchen. Die
+schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese
+und auf dem Kapitol und sonst hier und da. Sarkophagen,
+freylich sehr untergeordnete Kunstwerke, und Badegefässe
+sind in Rom noch in grosser Menge von ausgesuchter
+Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwey ärmliche
+Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist
+die Gegend um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die
+Natur hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtragen
+kann. Man hat zwar die Namen Fraskati und Tivoli nach Paris
+gebracht und alles schön genug eingerichtet: aber Fraskati
+und Tivoli selbst werden für den Maler dort bleiben, wenn
+man auch alles umher zerstört. Der Fall, die Grotte, die
+Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt
+wer<!-- pb n="474 " facs="#f0502"/ -->den, und stehen
+noch jetzt, wie vor zwey tausend Jahren, mit dem ganzen
+Zauber des Alterthums. Das Haus des Mecän verfällt, wie die
+Häuser des Flakkus und Katullus; man zieht keine Musen mehr
+aus ihrem Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend
+Reitzungen ohne sie. Man hat in Paris keinen Albaner See,
+kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe nach
+Paris; der Künstler wird zur Vollendung immer noch nach Rom
+gehen, wenn er gleich für sein Fach auch hier an der Seine
+jetzt zehnmal mehr findet als vorher. Sobald die Franzosen
+Raphaele und Bonarotti haben werden, sind sie die Koryphäen
+der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie ins
+Vatikan.</p>
+
+<p>Füger und David scheinen mir indessen jetzt die einzigen
+grossen Figurenmaler zu seyn. Die Italiäner haben, so viel
+ich weiss, keinen Mann, den sie diesen beyden an die Seite
+stellen können. Dafür haben die andern keinen Canova. Ein
+grosser Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt
+nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten
+seines Lehrers vorziehen.</p>
+
+<p>Den zweyten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern
+Unterricht schlug ich die Strasse rechts ein, war aber
+diessmal nicht dem besten Genius gefolgt. Sie war sehr öde
+und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es
+ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Strassen bey
+Chalons wieder zusammen fielen. Ich verlor dadurch einen
+grossen Strich von Champagne, und die schönen Rephühneraugen
+in Epernay, auf die ich mich schon beym Estest in
+Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das
+<!-- pb n="475 " facs="#f0503"/ --> man mir dort in den
+Wirthshäusern unter dem Namen Champagner gab, kann ich nicht
+empfehlen. Einige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht
+an einem Ort der Pogny heisst, und der seinem Namen nach
+vielleicht der Ort seyn kann, wo Attila sehr tragisch das
+Nonplusultra seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in
+Longchamp, dann in Ligne en Barrois. In Nancy, wo ich
+Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das Schloss und die
+Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen
+Spaziergang gewähren und ziemlich gut unterhalten werden.
+Hier hatte ich den 26sten July schon reife ziemlich gute
+Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit einem Briefe
+von Paris besuchte, macht seinem holländischen Namen durch
+wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder deutsch noch
+holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und spricht
+mit vieler Zärtlichkeit von ihm, so wie dieser oft mit
+kindlicher Dankbarkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet
+war mit der deutschen Literatur und besonders mit dem
+Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutschland sehr
+gut bekannt und schätzte die Genauigkeit und Gründlichkeit
+der deutschen Untersuchungen.</p>
+
+<p>Von da ging ich über Toul immer nach Strassburg herauf.
+Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf den
+Wirthshausschildern in französischer und deutscher Sprache
+zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug
+aussieht. Bey Zabern ist die Gegend ungewöhnlich schön und
+es muss in den Bergen hinauf romantische Parthien geben. Da
+ich den letzten Abend noch gern nach Strassburg wollte, nahm
+ich die letzte
+<!-- pb n="476 " facs="#f0504"/ --> Station Extrapost und
+liess mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir zu
+heiss und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence
+nach Mainz fahren: aber des alten wackern Oberlins
+Höflichkeit und einige neue angenehme Bekanntschaften
+hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten
+Abfahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte
+die Güte mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Unter den
+bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weiblicher Satyr
+aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die Seltenheit
+solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte
+verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der
+verstümmelten Statüen vom Münster und mit sarkastischen
+Inschriften auf die vandalischen Zerstörer aufbewahrt, wo
+Rühl und einige andere sich nicht über ihre Enkomien freuen
+würden. Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft
+über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner
+Pilgerschaft bey Kehl zuerst wieder den vaterländischen
+Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen
+Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr
+viel wieder aufgebaut. Dass ich mich etwas auf dem Münster
+umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine
+herrliche Aussicht auf die ganze grosse schöne reiche Gegend
+und den majestätischen Fluss hinauf und hinab. Es wäre
+vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder
+diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beyden Gebäude
+sind wohl auf alle Fälle die grössten Monumente gothischer
+Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlechtgedachte
+und schön gearbeitete Mo<!-- pb n="477 " facs="#f0505"/ -->nument
+des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige
+französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie
+hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich musste ihnen
+von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich
+wusste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf
+der Polizey wunderte man sich, dass mein Pass nirgends
+unterschrieben war und ich wunderte mich mit und erzählte
+meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis
+Strassburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne
+Unterschrift zurück.</p>
+
+<p>Nun fuhren wir über Weissenburg, Landau, Worms und so
+weiter nach Mainz. Nach meiner alten Gewohnheit lief ich bey
+dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine
+Stunde Weges gemacht. Die Deutschen der dortigen Gegend und
+tiefer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonderbaren
+Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich
+ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu
+sprechen; desto schnurriger musste es mir vorkommen, dass
+ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden
+gehalten wurde. Ich sass unter einem Nussbaum und ass Obst,
+als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte.
+Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligence
+hier nothwendig vorbey musste; er bejahte dieses. Ein Wort
+gab das andere, und er fragte mich in seiner lieblichen
+Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz?
+&mdash; Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum
+glaubt Er dass ich ein Jude sey? &mdash; Wähl der Härr
+okkeroht sprücht wü<!-- pb n="478 " facs="#f0506"/ --> ain
+Jüd. Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine
+Sprache gemacht; aber ein solches war nicht darunter.</p>
+
+<p>Von der Gegend von Weissenburg kann ich militärisch
+nichts sagen, da es noch ziemlich finster war, als wir dort
+durchgingen. Landau ist weiter nichts als Festung, und alles
+was in der Stadt steht, scheint bloss auf diesen einzigen
+Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen Morgen an
+und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich
+höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch
+mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen als an irgend einem
+andern Orte. Der Krieg hat verhältnissmässig weniger
+geschadet. Ich hielt mich nur einen Tag auf um einige Männer
+zu sehen, an die ich von Oberlin Addresse hatte. Auch unser
+Bergrath Werner von Freyberg war hier und geht, wie ich
+höre, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem
+Ansehen.</p>
+
+<p>Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence
+durch einen der schönsten Striche Deutschlands hierher.</p>
+
+<p>Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit
+ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und
+nahm die Nachrichten immer mit verschiedener Stimmung auf.
+Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul
+wiederholen: <span class="italic">Mais pourtant il n'est pas
+aimé</span>; besonders von Militären. Das ist begreiflich.
+Es giebt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen
+haben und die doch auch für die Republik brave Männer
+gewesen
+<!-- pb n="479 " facs="#f0507"/ -->
+sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern
+zum General, aber nicht zum Souverain, wie es das
+Ansehen gewinnt. <span class="italic">Il fait diablement des choses, ce
+petit caporal d' Italie; cela va loin!</span> sagte man; und
+ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war,
+bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck:
+<span class="italic">Bonaparte qui gloriam bene partam male
+perdit</span>. In der Gegend von Strassburg habe ich hier
+und da gehört, dass man bey seinem Namen knirscht und
+behauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder ein,
+den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein
+einziger Mann wieder einfahren kann, ist wohl eigentlich
+nicht abgeschafft. Man wollte in der ersten Konstitution
+dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben
+wir sogar einen fremden Abentheurer zum König, der
+willkührlicher mit uns verfährt als je ein Bourbonide: wer
+ihm missfällt ist Verbrecher und ihm missfällt jeder, der
+selbständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiss sich
+vortrefflich die ehemalige Wuth und den Hass der Partheyen
+zu Nutze zu machen.</p>
+
+<p>Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik
+und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den
+Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über
+die neue Freiheit. Den Zehnten geben wir nicht mehr, den
+behalten wir, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine
+grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch
+die neun Zehntheile eine grosse Hyperbel sind. Ein Zeichen,
+dass die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen
+verfährt, ist nach meiner Meinung im<!-- pb n="480 " facs="#f0508"/ -->mer,
+wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt
+ausschliesslich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In
+Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein
+General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten
+Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug
+durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation
+ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die grosse
+stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends
+gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man
+nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose
+Rechtlichkeit, seine Mässigung und Humanität gepriesen
+hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der
+Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll,
+und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die
+Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man thut ihm
+vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in
+Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall
+ziemlich laut erzählt. Seine Partisane, die weniger
+Mässigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da
+laut am Ruder und sagten nur <span class="italic">Moreau
+grand consul</span>; zogen aber die Worte so sonderbar, dass
+es klang wie <span class="italic">Mort au grand
+consu</span>l. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele,
+hinter welche sich die Partheysucht versteckt.</p>
+
+<p>In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von
+Menschen und einige segneten sich wirklich ganz laut, dass
+sie aus der vermaledeyten Freiheit einmal heraus wären, in
+der man sie blutig so sklavisch behandle. Diess waren ihre
+eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen
+Ver<!-- pb n="481 " facs="#f0509"/ -->mögen noch
+jenseit des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte
+ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es
+schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn
+von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde
+Gelegenheit eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu
+halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn
+nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde: denn
+alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm sein Beyspiel
+nicht bloss von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste,
+und musste tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem
+Geschlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit
+ein Gemälde, gegen welches
+Juvenals <span class="italic">lassata viris</span> noch eine
+Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der
+Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du
+weisst, ich habe eben nicht Ursache geflissentlich den
+Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muss man ihnen
+doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, dass sie &mdash;
+nicht schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer
+Sünden leiden noch etwas mehr Apologie als die Sottisen
+unseres Geschlechts.</p>
+
+<p>Frankfurt muss dem Anschein nach durch den Krieg weit
+mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich
+und momentan; der Gewinn ging fast durch alle Klassen und
+war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrath; man bauet
+und bessert und erweitert von allen Seiten: und die ganze
+Gegend rund umher ist wie ein Paradies; besonders nach
+Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien
+<!-- pb n="482 " facs="#f0510"/ -->
+zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl damit
+messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.</p>
+
+<p>Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von
+der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte
+und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der
+Börse <span class="italic">à mon aise</span> wäre, würde ich
+vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist
+eine Mittelstadt, die gerade genug Genuss des Lebens giebt
+für Leib und Seele, um nicht zu fasten und sich nicht zu
+übersättigen. Im Fall eines Kriegs mit den Franzosen liegt
+es freylich schlimm: die Herren können alle Nächte eine
+Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum
+Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.</p>
+
+<p>Bey der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten
+Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des
+kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister
+in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von
+öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit
+ein so grosses reines Zutrauen gefasst hätte: so sehr trägt
+sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen
+Rechtlichkeit mit der feinsten Humanität.</p>
+
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