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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Ich werde +Dir über meinen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen +haben, da er so oft gemacht wird und bekannter ist als eine +Poststrasse in Deutschland.</p> + +<p>Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in +Meaux. Der Weg ist angenehm und volkreich, wenn gleich nicht +malerisch; und die Bewirthung ist überall ziemlich gut, +freundlich und billig. Wenn ich zwischen Rom und Paris eine +Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der +Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber +in Rücksicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur +das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen +wie viel für Humanität und Umgang dort zu haben ist; für +Wissenschaft ist fast nicht mehr. Alte Geschichte und alles +was sich darauf bezieht ist das einzige, was man dort an Ort +und Stelle gründlich und geschmackvoll studieren kann. In +Paris sind die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen +für jedermann, und es gehört sogar zum guten Ton, wenigstens +zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer +zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige +Kupferstiche zu beschauen. Wer sie benutzen will findet in +allen Zweigen Reichthümer; und alles wird mit Gefälligkeit +gereicht. In Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange +ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in +Ita<!-- pb n="472 " facs="#f0500"/ -->lien, und es ist +vielleicht kein Unglück, dass sie etwas geweckt und zu +wandern gezwungen worden sind.</p> + +<p>Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte +die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute +besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten +allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die +Hauptwerke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch haben +sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag +vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als +Paris; aber die ersten Meisterwerke der grössten Künstler, +die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht +weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle, +die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel +Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den +ganzen Reichthum ihres Geistes niedergelegt haben, mussten +unangetastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören +wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze +Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der +Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn; +aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die +Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie +unter den Pferdekennern so viel Lärm machen werden, als sie +unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiquaren +gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist +mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus +Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige +Vorzug, den sie haben, ist, dass sie vielleicht die einzigen +Tethrip<!-- pb n="473 " facs="#f0501"/ -->pen sind, die wir +noch übrig haben: und auch dazu fehlt ihnen noch viel. +Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit +Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere +Pferde seyn. Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern +gegeben. Gegen das Kapitol haben diese nicht nöthig zu +krähen, wie die Gänse gegen die Gallier schrien; wenn sie +nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht vorbey lassen.</p> + +<p>Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen, +die vatikanische und kapitolinische, in Kontribution +gesetzt. Es ist kein Privateigenthum angegriffen worden. Die +Privatsammlungen machen aber in Rom vielleicht den grössten +Theil aus. In der Villa Borghese steht alles wie es war; und +der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an +klassischem Werth in Paris ihres gleichen suchen. Die +schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese +und auf dem Kapitol und sonst hier und da. Sarkophagen, +freylich sehr untergeordnete Kunstwerke, und Badegefässe +sind in Rom noch in grosser Menge von ausgesuchter +Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwey ärmliche +Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist +die Gegend um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die +Natur hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtragen +kann. Man hat zwar die Namen Fraskati und Tivoli nach Paris +gebracht und alles schön genug eingerichtet: aber Fraskati +und Tivoli selbst werden für den Maler dort bleiben, wenn +man auch alles umher zerstört. Der Fall, die Grotte, die +Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt +wer<!-- pb n="474 " facs="#f0502"/ -->den, und stehen +noch jetzt, wie vor zwey tausend Jahren, mit dem ganzen +Zauber des Alterthums. Das Haus des Mecän verfällt, wie die +Häuser des Flakkus und Katullus; man zieht keine Musen mehr +aus ihrem Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend +Reitzungen ohne sie. Man hat in Paris keinen Albaner See, +kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe nach +Paris; der Künstler wird zur Vollendung immer noch nach Rom +gehen, wenn er gleich für sein Fach auch hier an der Seine +jetzt zehnmal mehr findet als vorher. Sobald die Franzosen +Raphaele und Bonarotti haben werden, sind sie die Koryphäen +der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie ins +Vatikan.</p> + +<p>Füger und David scheinen mir indessen jetzt die einzigen +grossen Figurenmaler zu seyn. Die Italiäner haben, so viel +ich weiss, keinen Mann, den sie diesen beyden an die Seite +stellen können. Dafür haben die andern keinen Canova. Ein +grosser Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt +nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten +seines Lehrers vorziehen.</p> + +<p>Den zweyten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern +Unterricht schlug ich die Strasse rechts ein, war aber +diessmal nicht dem besten Genius gefolgt. Sie war sehr öde +und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es +ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Strassen bey +Chalons wieder zusammen fielen. Ich verlor dadurch einen +grossen Strich von Champagne, und die schönen Rephühneraugen +in Epernay, auf die ich mich schon beym Estest in +Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das +<!-- pb n="475 " facs="#f0503"/ --> man mir dort in den +Wirthshäusern unter dem Namen Champagner gab, kann ich nicht +empfehlen. Einige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht +an einem Ort der Pogny heisst, und der seinem Namen nach +vielleicht der Ort seyn kann, wo Attila sehr tragisch das +Nonplusultra seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in +Longchamp, dann in Ligne en Barrois. In Nancy, wo ich +Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das Schloss und die +Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen +Spaziergang gewähren und ziemlich gut unterhalten werden. +Hier hatte ich den 26sten July schon reife ziemlich gute +Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit einem Briefe +von Paris besuchte, macht seinem holländischen Namen durch +wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder deutsch noch +holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und spricht +mit vieler Zärtlichkeit von ihm, so wie dieser oft mit +kindlicher Dankbarkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet +war mit der deutschen Literatur und besonders mit dem +Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutschland sehr +gut bekannt und schätzte die Genauigkeit und Gründlichkeit +der deutschen Untersuchungen.</p> + +<p>Von da ging ich über Toul immer nach Strassburg herauf. +Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf den +Wirthshausschildern in französischer und deutscher Sprache +zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug +aussieht. Bey Zabern ist die Gegend ungewöhnlich schön und +es muss in den Bergen hinauf romantische Parthien geben. Da +ich den letzten Abend noch gern nach Strassburg wollte, nahm +ich die letzte +<!-- pb n="476 " facs="#f0504"/ --> Station Extrapost und +liess mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir zu +heiss und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence +nach Mainz fahren: aber des alten wackern Oberlins +Höflichkeit und einige neue angenehme Bekanntschaften +hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten +Abfahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte +die Güte mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Unter den +bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weiblicher Satyr +aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die Seltenheit +solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte +verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der +verstümmelten Statüen vom Münster und mit sarkastischen +Inschriften auf die vandalischen Zerstörer aufbewahrt, wo +Rühl und einige andere sich nicht über ihre Enkomien freuen +würden. Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft +über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner +Pilgerschaft bey Kehl zuerst wieder den vaterländischen +Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen +Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr +viel wieder aufgebaut. Dass ich mich etwas auf dem Münster +umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine +herrliche Aussicht auf die ganze grosse schöne reiche Gegend +und den majestätischen Fluss hinauf und hinab. Es wäre +vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder +diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beyden Gebäude +sind wohl auf alle Fälle die grössten Monumente gothischer +Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlechtgedachte +und schön gearbeitete Mo<!-- pb n="477 " facs="#f0505"/ -->nument +des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige +französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie +hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich musste ihnen +von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich +wusste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf +der Polizey wunderte man sich, dass mein Pass nirgends +unterschrieben war und ich wunderte mich mit und erzählte +meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis +Strassburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne +Unterschrift zurück.</p> + +<p>Nun fuhren wir über Weissenburg, Landau, Worms und so +weiter nach Mainz. Nach meiner alten Gewohnheit lief ich bey +dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine +Stunde Weges gemacht. Die Deutschen der dortigen Gegend und +tiefer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonderbaren +Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich +ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu +sprechen; desto schnurriger musste es mir vorkommen, dass +ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden +gehalten wurde. Ich sass unter einem Nussbaum und ass Obst, +als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. +Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligence +hier nothwendig vorbey musste; er bejahte dieses. Ein Wort +gab das andere, und er fragte mich in seiner lieblichen +Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz? +— Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum +glaubt Er dass ich ein Jude sey? — Wähl der Härr +okkeroht sprücht wü<!-- pb n="478 " facs="#f0506"/ --> ain +Jüd. Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine +Sprache gemacht; aber ein solches war nicht darunter.</p> + +<p>Von der Gegend von Weissenburg kann ich militärisch +nichts sagen, da es noch ziemlich finster war, als wir dort +durchgingen. Landau ist weiter nichts als Festung, und alles +was in der Stadt steht, scheint bloss auf diesen einzigen +Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen Morgen an +und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich +höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch +mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen als an irgend einem +andern Orte. Der Krieg hat verhältnissmässig weniger +geschadet. Ich hielt mich nur einen Tag auf um einige Männer +zu sehen, an die ich von Oberlin Addresse hatte. Auch unser +Bergrath Werner von Freyberg war hier und geht, wie ich +höre, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem +Ansehen.</p> + +<p>Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence +durch einen der schönsten Striche Deutschlands hierher.</p> + +<p>Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit +ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und +nahm die Nachrichten immer mit verschiedener Stimmung auf. +Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul +wiederholen: <span class="italic">Mais pourtant il n'est pas +aimé</span>; besonders von Militären. Das ist begreiflich. +Es giebt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen +haben und die doch auch für die Republik brave Männer +gewesen +<!-- pb n="479 " facs="#f0507"/ --> +sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern +zum General, aber nicht zum Souverain, wie es das +Ansehen gewinnt. <span class="italic">Il fait diablement des choses, ce +petit caporal d' Italie; cela va loin!</span> sagte man; und +ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war, +bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck: +<span class="italic">Bonaparte qui gloriam bene partam male +perdit</span>. In der Gegend von Strassburg habe ich hier +und da gehört, dass man bey seinem Namen knirscht und +behauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder ein, +den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein +einziger Mann wieder einfahren kann, ist wohl eigentlich +nicht abgeschafft. Man wollte in der ersten Konstitution +dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben +wir sogar einen fremden Abentheurer zum König, der +willkührlicher mit uns verfährt als je ein Bourbonide: wer +ihm missfällt ist Verbrecher und ihm missfällt jeder, der +selbständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiss sich +vortrefflich die ehemalige Wuth und den Hass der Partheyen +zu Nutze zu machen.</p> + +<p>Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik +und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den +Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über +die neue Freiheit. Den Zehnten geben wir nicht mehr, den +behalten wir, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine +grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch +die neun Zehntheile eine grosse Hyperbel sind. Ein Zeichen, +dass die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen +verfährt, ist nach meiner Meinung im<!-- pb n="480 " facs="#f0508"/ -->mer, +wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt +ausschliesslich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In +Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein +General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten +Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug +durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation +ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die grosse +stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends +gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man +nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose +Rechtlichkeit, seine Mässigung und Humanität gepriesen +hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der +Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll, +und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die +Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man thut ihm +vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in +Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall +ziemlich laut erzählt. Seine Partisane, die weniger +Mässigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da +laut am Ruder und sagten nur <span class="italic">Moreau +grand consul</span>; zogen aber die Worte so sonderbar, dass +es klang wie <span class="italic">Mort au grand +consu</span>l. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, +hinter welche sich die Partheysucht versteckt.</p> + +<p>In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von +Menschen und einige segneten sich wirklich ganz laut, dass +sie aus der vermaledeyten Freiheit einmal heraus wären, in +der man sie blutig so sklavisch behandle. Diess waren ihre +eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen +Ver<!-- pb n="481 " facs="#f0509"/ -->mögen noch +jenseit des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte +ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es +schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn +von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde +Gelegenheit eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu +halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn +nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde: denn +alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm sein Beyspiel +nicht bloss von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste, +und musste tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem +Geschlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit +ein Gemälde, gegen welches +Juvenals <span class="italic">lassata viris</span> noch eine +Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der +Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du +weisst, ich habe eben nicht Ursache geflissentlich den +Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muss man ihnen +doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, dass sie — +nicht schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer +Sünden leiden noch etwas mehr Apologie als die Sottisen +unseres Geschlechts.</p> + +<p>Frankfurt muss dem Anschein nach durch den Krieg weit +mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich +und momentan; der Gewinn ging fast durch alle Klassen und +war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrath; man bauet +und bessert und erweitert von allen Seiten: und die ganze +Gegend rund umher ist wie ein Paradies; besonders nach +Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien +<!-- pb n="482 " facs="#f0510"/ --> +zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl damit +messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.</p> + +<p>Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von +der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte +und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der +Börse <span class="italic">à mon aise</span> wäre, würde ich +vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist +eine Mittelstadt, die gerade genug Genuss des Lebens giebt +für Leib und Seele, um nicht zu fasten und sich nicht zu +übersättigen. Im Fall eines Kriegs mit den Franzosen liegt +es freylich schlimm: die Herren können alle Nächte eine +Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum +Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.</p> + +<p>Bey der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten +Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des +kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister +in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von +öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit +ein so grosses reines Zutrauen gefasst hätte: so sehr trägt +sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen +Rechtlichkeit mit der feinsten Humanität.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |