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  <title>Prag</title>
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<div class="chapter" id="Prag">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Prag</span>.</span></div>

<p> <span class="initial">V</span>on Budin bis hierher
stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir
von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem
ab, und sassen doch noch über eine Stunde zu Mittage in
einem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit
fasten und dafür funzig Kreuzer bezahlen mussten; welches
ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll
Geld finde. Da war
<!-- pb n="13" facs="#f0039"/ --> es in Peterswalde
verhältnissmässig billiger und besser. Der Wirth zur
goldenen Rose in Budin hatte ein gutes Haus von aussen und
ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldauen, altes
dürres Rindfleisch und eine sehr zähe lederne Braten von
einer Gans, die noch mit eine Retterin des Kapitols gewesen
seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am
schlechtesten war der Preis. Die schlechten Sachen waren
ungeheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war.
Aber Muss ist ein Bretnagel, heisst das Sprichwort: er ist
der Einzige in Budin, und mich däucht, schon Küttner hat
gehörig sein Lob gesungen. Uebrigens lasse ich die Qualität
der Wirthshäuser mich wenig anfechten. Das beste ist mir
nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiss ich noch
fertig zu werden. Ich denke, es ist noch lange nicht so
schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man
uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte,
oder auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm,
sanft schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen
liess.</p>

<p>In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von
Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier
und da zur Verschönerung wahrscheinlich etwas dazu logen.
Einige Oestreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige
Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft
gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent machten
eine erbauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang
und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte
einer der Soldaten eine so gräuliche Be<!-- pb n="14" facs="#f0040"/ -->schreibung 
von den Läusen im Felde und in der Gefangenschaft, dass wir
andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir
war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten
Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich
säuberlich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum
Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge
bekamen, dass sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein
Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und
seine Cameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in einem
Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammen geprügelt
hätten.
<span class="italic">Where there is a quarrel, there is
always a lady in the case</span>, dachte ich; gilt auch bey
der Oestreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, dass die
Fuhrknechte denn doch etwas sehr missliches und
ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern
des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am
Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte der Fuhrknecht,
es waren ja nur Legioner. Das ist etwas anders, erwiederte
der Soldat beruhigt; das waren nur Studenten und
Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot
weinten wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer
tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu
vertreiben.</p>

<p>In Prag registrierte uns eine Art von Thorschreiber
gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere
Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium. Die Herren
der Polizey waren gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern
Ländern die Höflichkeit selbst,
<!-- pb n="15" facs="#f0041"/ --> den andern Morgen war in
zehn Minuten alles abgethan, und wir hatten unsern Bescheid
bis Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser
Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit
Gesandschaftspässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.</p>

<p>Das Theater hier ist polizeymässig richtig und nicht ohne
Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die
Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht
viel besser als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das
wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt;
und es war Schade, dass in der Vorstellung weder Charakter
noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unternehmer
der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen
als der italiänischen. Die deutsche habe ich höchst
mittelmässig gefunden, und die italiänische soll noch einige
Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bey ihm
sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde
Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, dass ich nicht
Lust hatte einen meiner Lieblinge gemisshandelt zu
sehen.</p>

<p>Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr
gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird
länger dauern, als ich zu warten gesonnen bin. Der
Bibliothekar, Rath Unger, der um Literatur und Aufklärung
viel Verdienste und gegen Fremde grosse Gefälligkeit hat,
würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben uns die
gelehrten Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen
hätten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyssigjährigen
Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch
<!-- pb n="16" facs="#f0042"/ --> Einverständniss mit ihrer
Parthey sogar die unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen
wussten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen.
Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat
die Bibliothek wieder ausserordentlich gewonnen; aber die
aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die
Literatur grösserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem
einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die
Besorgniss bestätigt und erhöht. Ein Glück war es, dass eben
damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die
Nachlässigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer
arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale
Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den
musterhaftesten gehört, ihre Rettung.</p>

<p>Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster,
und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend
hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die
Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte manches
Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen
gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuss;
und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht
auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr
es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel
und Karls des Vierten, und fand, dass die Zeiten der
goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und
für <!-- choice><sic -->bie<!-- /sic><corr>die</corr></choice --> ganze
übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers
Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein
verdorbener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.
<!-- pb n="17" facs="#f0043"/ -->
Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob
man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken
wollte.</p>

<p>Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen
Gesellschaft gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es
scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter
Protestanten, noch eine grosse Anzahl Zeloten zu geben: nur
nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die
Toleranz selbst sind.</p>

<p>Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böhmen auf
die Ebenen kam, und hoffte nun einen beträchtlichen Grad von
Wohlstand und Kultur zu finden, da der Boden rund umher
ausserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine
Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn,
und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in
den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren
leer; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als
ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich
däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig
gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier
noch schwerer durch die Frohnen gedrückt als irgendwo. Wo
die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den
Anhang des grossen und kleinen Adels und theilen den Raub.
Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die
Franzosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten,
sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre
Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in
<!-- pb n="18" facs="#f0044"/ --> Rücksicht der Franzosen
Recht hatte, ist eine andere Frage: ab er in seiner Freude
bey der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein grosser
Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch
vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die
verlornen Schlachten.</p>

<p>Die Leute jagen uns hier Angst ein, dass rund umher in
der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten sie nun
wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz
sollen über hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger.
Die Auflösung der militärischen Korps ist immer von solchen
Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen
gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich
etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem
ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen
nachstossen kann. Freund Schnorr wird auch das seinige thun,
und so müssen es schon drey gut bewaffnete entschlossene
Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als
ob wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir
das wenige das wir tragen so leicht hergeben
würden<!-- choice><sic -->,<!-- /sic><corr>.</corr></choice --></p>

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