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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
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+
+<div class="chapter" id="Prag">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Prag</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Budin bis hierher
+stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir
+von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem
+ab, und sassen doch noch über eine Stunde zu Mittage in
+einem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit
+fasten und dafür funzig Kreuzer bezahlen mussten; welches
+ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll
+Geld finde. Da war
+<!-- pb n="13" facs="#f0039"/ --> es in Peterswalde
+verhältnissmässig billiger und besser. Der Wirth zur
+goldenen Rose in Budin hatte ein gutes Haus von aussen und
+ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldauen, altes
+dürres Rindfleisch und eine sehr zähe lederne Braten von
+einer Gans, die noch mit eine Retterin des Kapitols gewesen
+seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am
+schlechtesten war der Preis. Die schlechten Sachen waren
+ungeheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war.
+Aber Muss ist ein Bretnagel, heisst das Sprichwort: er ist
+der Einzige in Budin, und mich däucht, schon Küttner hat
+gehörig sein Lob gesungen. Uebrigens lasse ich die Qualität
+der Wirthshäuser mich wenig anfechten. Das beste ist mir
+nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiss ich noch
+fertig zu werden. Ich denke, es ist noch lange nicht so
+schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man
+uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte,
+oder auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm,
+sanft schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen
+liess.</p>
+
+<p>In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von
+Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier
+und da zur Verschönerung wahrscheinlich etwas dazu logen.
+Einige Oestreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige
+Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft
+gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent machten
+eine erbauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang
+und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte
+einer der Soldaten eine so gräuliche Be<!-- pb n="14" facs="#f0040"/ -->schreibung
+von den Läusen im Felde und in der Gefangenschaft, dass wir
+andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir
+war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten
+Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich
+säuberlich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum
+Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge
+bekamen, dass sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein
+Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und
+seine Cameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in einem
+Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammen geprügelt
+hätten.
+<span class="italic">Where there is a quarrel, there is
+always a lady in the case</span>, dachte ich; gilt auch bey
+der Oestreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, dass die
+Fuhrknechte denn doch etwas sehr missliches und
+ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern
+des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am
+Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte der Fuhrknecht,
+es waren ja nur Legioner. Das ist etwas anders, erwiederte
+der Soldat beruhigt; das waren nur Studenten und
+Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot
+weinten wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer
+tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu
+vertreiben.</p>
+
+<p>In Prag registrierte uns eine Art von Thorschreiber
+gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere
+Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium. Die Herren
+der Polizey waren gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern
+Ländern die Höflichkeit selbst,
+<!-- pb n="15" facs="#f0041"/ --> den andern Morgen war in
+zehn Minuten alles abgethan, und wir hatten unsern Bescheid
+bis Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser
+Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit
+Gesandschaftspässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.</p>
+
+<p>Das Theater hier ist polizeymässig richtig und nicht ohne
+Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die
+Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht
+viel besser als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das
+wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt;
+und es war Schade, dass in der Vorstellung weder Charakter
+noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unternehmer
+der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen
+als der italiänischen. Die deutsche habe ich höchst
+mittelmässig gefunden, und die italiänische soll noch einige
+Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bey ihm
+sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde
+Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, dass ich nicht
+Lust hatte einen meiner Lieblinge gemisshandelt zu
+sehen.</p>
+
+<p>Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr
+gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird
+länger dauern, als ich zu warten gesonnen bin. Der
+Bibliothekar, Rath Unger, der um Literatur und Aufklärung
+viel Verdienste und gegen Fremde grosse Gefälligkeit hat,
+würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben uns die
+gelehrten Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen
+hätten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyssigjährigen
+Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch
+<!-- pb n="16" facs="#f0042"/ --> Einverständniss mit ihrer
+Parthey sogar die unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen
+wussten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen.
+Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat
+die Bibliothek wieder ausserordentlich gewonnen; aber die
+aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die
+Literatur grösserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem
+einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die
+Besorgniss bestätigt und erhöht. Ein Glück war es, dass eben
+damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die
+Nachlässigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer
+arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale
+Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den
+musterhaftesten gehört, ihre Rettung.</p>
+
+<p>Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster,
+und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend
+hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die
+Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte manches
+Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen
+gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuss;
+und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht
+auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr
+es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel
+und Karls des Vierten, und fand, dass die Zeiten der
+goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und
+für <!-- choice><sic -->bie<!-- /sic><corr>die</corr></choice --> ganze
+übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers
+Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein
+verdorbener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.
+<!-- pb n="17" facs="#f0043"/ -->
+Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob
+man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken
+wollte.</p>
+
+<p>Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen
+Gesellschaft gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es
+scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter
+Protestanten, noch eine grosse Anzahl Zeloten zu geben: nur
+nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die
+Toleranz selbst sind.</p>
+
+<p>Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böhmen auf
+die Ebenen kam, und hoffte nun einen beträchtlichen Grad von
+Wohlstand und Kultur zu finden, da der Boden rund umher
+ausserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine
+Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn,
+und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in
+den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren
+leer; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als
+ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich
+däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig
+gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier
+noch schwerer durch die Frohnen gedrückt als irgendwo. Wo
+die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den
+Anhang des grossen und kleinen Adels und theilen den Raub.
+Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die
+Franzosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten,
+sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre
+Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in
+<!-- pb n="18" facs="#f0044"/ --> Rücksicht der Franzosen
+Recht hatte, ist eine andere Frage: ab er in seiner Freude
+bey der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein grosser
+Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch
+vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die
+verlornen Schlachten.</p>
+
+<p>Die Leute jagen uns hier Angst ein, dass rund umher in
+der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten sie nun
+wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz
+sollen über hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger.
+Die Auflösung der militärischen Korps ist immer von solchen
+Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen
+gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich
+etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem
+ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen
+nachstossen kann. Freund Schnorr wird auch das seinige thun,
+und so müssen es schon drey gut bewaffnete entschlossene
+Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als
+ob wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir
+das wenige das wir tragen so leicht hergeben
+würden<!-- choice><sic -->,<!-- /sic><corr>.</corr></choice --></p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>