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  <title>Rom</title>
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<body>

<!-- pb n="[135]" facs="#f0161"/ -->

<div class="chapter" id="Rom">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Rom</span>, den 2ten März.</span></div>

<p> <span class="initial">W</span>ider meine Absicht bin ich
nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so
nahe ans Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von
dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien
zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren
fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus
bey meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme
erschlagene Seele.
<span class="italic">Vous avés bien l'air d'être un peu
François; et tout François est perdû sans ressource en
Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles</span>; sagte
man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich
denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem
Vaterlande zu essen. <span class="italic">On Vous prendra
pour François, et on Vous coupera la gorge sans
pitié</span>; hiess es.
<span class="italic">Fort bien</span>, sagte
ich; <span class="italic">ou plûtot bien fort</span>. Was
war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen
Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sakristan zur Weihe
durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven
und die gewaltig vielen Beichtstühle, liess mir für einige
Paolo ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen,
um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu
beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der
Tiber zu. Freylich gab es auch hier keinen Mangel an
Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren
die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und
da zum Denk<!-- pb n="136" facs="#f0162"/ -->mahl und
zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich
habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen,
als ich doch wirklich bin; und so bin ich glücklich auf dem
Kapitole angelangt.</p>

<p>Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich,
abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem
Getreide und Obst und Oehlbäumen besetzt sind; desto
schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis
gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars
bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam,
vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges
unerträglich.</p>

<p>Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt
gewesen, dass ich auf der Strasse den dritten Menschen immer
für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein
kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen
wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an
einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler
Deferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise,
das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt.
Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner
Miene, dass er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und
reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die
grösste Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine
Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und
glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas
näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem
ganzen Wesen, dass ich mich
<!-- pb n="137" facs="#f0163"/ --> über meine Uebereilung
ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beyde einander für
ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, dass solche
Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des
augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr
wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von
Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute
gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häuschen im gelobten
Lande nicht behaupten konnten, dass sie es durch die Luft
aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch
wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es
auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war.
Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier
etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport
nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die
doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich
nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt
anzuthun, worüber die hiesigen Frommen grosse Klagelieder
und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des
grossen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die
Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder
ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn
selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum
Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf und abführen
sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft
in der Vergebung der Sünden; aber wer
<!-- pb n="138" facs="#f0164"/ -->
diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der
Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.</p>

<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange
Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die
schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links
haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die
das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich
überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis
Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre
Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor
ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymässig die
Freyheit meinen Pass zu beschauen. Der Mann war übrigens
recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus
nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig
behandelt wurde, dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig
starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich
werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig
und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief
so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums.
Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut
Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste
Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Gegend war
paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich
nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab,
und ich gerieth in grosse Versuchung mich dort hinunter nach
Fermo und Bari zu schlagen. Bloss mein Versprechen in Ankona
hielt mich zurück.
<!-- pb n="139" facs="#f0165"/ --> Ich bat die guten
Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen
Unglauben, und wanderte fürbass. Der Hunger fing an mir
ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein
ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem
Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel.
Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch
Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto
besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war
warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie
die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar
hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig;
und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich
davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die
Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte
Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen.
Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie
aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir
Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr
nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie
ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die
Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein
Eselstreiber: <span class="italic">Vo</span><span class="italic">lete
andare a Cavallo, Signore</span>? Ich sah seine Kavallerie
an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht
wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die
Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken,
so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem
Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben
Esel; und ich
<!-- pb n="140" facs="#f0166"/ --> gab auf den wiederholten
Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen
Bescheid: <span class="italic">Jo sono pedone e non voglio
andare a cavallo sul asino</span>. Die Leute sahen mich an
und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und
meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das
waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, dass im
gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.</p>

<p>In Tolentino gings gut, und ich liess mich überreden von
hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes
zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu
seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für
Italien ein ganz hübscher Fluss, hat auch etwas besseres
Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen
zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu
seinem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt,
in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen
der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber
der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung: es sey
jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten.
Das war nun nicht erbaulich: Aergerniss hätte mich aber nur
mehr aufgehalten; ich fasste also Geduld und liess mich mit
meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer
setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe,
und so trabten wir italiänisch immer in den Schluchten
hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier
und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die
beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren
<!-- pb n="141" facs="#f0167"/ --> Namen ich vergessen habe,
nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im
punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man
mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen
Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf
in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss, nicht weit
von der grössten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich,
dass man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem
See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden,
geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg
windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke
hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des
Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der
andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu
nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in
Kontribution setzen. Sie übertheuern den Fremden nicht,
sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an
seine Grossmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen,
furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man
müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die
Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hülfe.</p>

<p>Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es
vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und
romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine
ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche
Gegend eine der grössten Aussichten. Unten rechts, tief in
der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden
Thale die
<!-- pb n="142" facs="#f0168"/ --> Papiermühlen des Papstes
angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben
sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche,
geben dann Oehlbäume und haben am Fusse üppige Weingärten.
Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche,
die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens
ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter
rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten
Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war
ziemlich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher Anblick.
Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte!
Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne
Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte
finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens
ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die
gewiss in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter
weideten ehemahls die vom Klitumnus weissgefärbten Stiere,
welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt
holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer
Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom
Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten
Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen
wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen
Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen haben. Die
Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit
Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man
mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen
liess. Eine Be<!-- pb n="143" facs="#f0169"/ -->wirthung, 
für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem
Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, musste ich hier in dem
Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich
überdiess mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich
diess durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein
Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach
Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, dass
ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich
selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen.
Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und
wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals
Kopfstoss. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des
Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und
Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch
eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so
enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele Tempel
giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist
allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit
grossen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene
gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe
Cypressen, die ehmahls in der Gegend berühmt gewesen seyn
sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre
Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es
sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel
seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich
auf dem jungen Rasan sonnte, setzte sich ein stattlich
gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf
Politik, zog
<!-- pb n="144" facs="#f0170"/ --> einige Zeitungsblätter
aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach
dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie
besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten
dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner
Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das
überliesse ich
denen, <span class="italic">interesset</span>.</p>

<p>Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungsprojekten;
denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein
Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir
nichts Anmasslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes,
Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist;
nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprösslinge
der grossen Familien, die die nächste Anwartschaft auf
Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser
Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äusserte in
Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch
Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben.
Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite
Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des
Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein
Trossbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es
ja noch Churfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein
Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die
moralische Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich
trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige
Ausdruck. So geht es hier und da.</p>

<p>Der Jäger verliess mich nach einem halben Stündchen
Kosen, und ich verliess den Klitumnus.
<!-- pb n="145" facs="#f0171"/ --> In Spoleto ging ich ohne
Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches
Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte
ich nun Ursache gehabt zu bedauern, dass ich das
Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht
angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe
Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte.
Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten
Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist
ein grosses, altes, dunkles, hässliches, jämmerliches Loch,
das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in
Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier,
denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse
Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine
Ausnahme zu machen. Desswegen habe ich mich auch keinen Deut
um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine
ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und
Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdiess in
so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne
Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt,
stehen die Worte in Marmor:</p>

<p class="center"><span class="spaced">HANNIBAL</span><br />
CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS<br />
INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,<br />
AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,<br />
INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.</p>

<!-- pb n="146" facs="#f0172"/ -->
<p>So ist die Ueberschrift. Ich weiss nicht ob es die Worte
des Livius sind; mich däucht, bey diesem lautet es etwas
anders. Die Sache hat indess nach den alten Schriftstellern
ihre Richtigkeit; nur weiss ich nicht ob es eben dieses Thor
seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt
nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch
ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht.
Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich
wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen
lassen.</p>

<p>Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich
sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des
Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den
Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil
desselben; und hier war ich wieder zu Fusse ganz allein. Den
Morgen als ich Spoleto verliess, sah ich links an dem Felsen
noch das alte gothische Schloss, wo sich wackere Kerle
vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können,
ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die
wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man
mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir
einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich
war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen
Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll
der <span class="italic">Jupi</span><span class="italic">ter
Summanus</span> einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur
von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt
es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von
Spoleto ist noch
<!-- pb n="147" facs="#f0173"/ --> nicht so wild und
furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das
Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit,
rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den
ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und
Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen
Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser
und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen
engen Pass anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte
Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele
alte verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von
Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten
Berge sind bis zu einer grossen Höhe mit finstern wilden
Lorberbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu
ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war
mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni
das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage
gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder
erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal
der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor
mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den
Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten
Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu
arbeiten.</p>

<p>Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an.
Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher
zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich,
und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum
Anfange vielleicht
<!-- pb n="148" facs="#f0174"/ --> besser geschmeckt hätten.
Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, dass
dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann
ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht
empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der
Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist,
Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in
Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem
Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des
heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich liess mich aber
nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine
Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche
unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in
die Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne
Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir
noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloss der heidnischen
Sonne sein Kompliment zu machen, Richtig. Die Leute haben
bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt
und dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne mehr
scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen
gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht
genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt
Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem
Fegefeuer erlösen wird.</p>

<p>Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier
Meilen Apenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine
deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Fall des
Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein
Wölk<!-- pb n="149" facs="#f0175"/ -->chen, und es
wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes
etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und
bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der
Atmosphäre einen ganzen hellen herrlich glühenden und einen
grössern dunkeln Bogen im Staube des Falles. Ich sass
gegenüber auf dem Felsen und vergass einige Minuten alles
was die Welt sonst grosses und schönes haben mag. Etwas
grösseres und schöneres von Menschenhänden hat sie
schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb
Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.</p>

<div class="poem"> 
<span class="indent">Hier hat vielleicht der grosse Mann gesessen</span><br />
Und dem Entwurfe nachgedacht,<br />
Der seinen Namen ewig macht;<br />
Hat hier das Riesenwerk gemessen,<br />
Das grösste, welches je des Menschen Geist vollbracht.<br />
Es war ein göttlicher Gedanke,<br />
Und staunend steht die kleine Nachwelt da<br />
An ihres Wirkens enger Schranke<br />
Und glaubet kaum, dass es geschah.<br />
Wie schwebte mit dem Regenbogen,<br />
Als durch die tiefe Marmorkluft<br />
Hinab die ersten Donnerwogen<br />
Wild schäumend in den Abgrund flogen,<br />
Des Mannes Seele durch die Luft!<br />
So eine selige Minute<br />
Wiegt einen ganzen Lebenslauf<br />
Alltäglichen Genusses auf;<br />
Sie knüpft das Grosse an das Gute.<br />
<!-- pb n="150" facs="#f0176"/ -->
Es schlachte nun der zürnende Pelide<br />
Die Opfer um des Freundes Grab;<br />
Es zehre sich der Philippide,<br />
Sein Afterbild, vor Schelsucht ab;<br />
Es weine Cäsar, stolz und eitel,<br />
Um einen Lorberkranz um seine kahle Scheitel;<br />
Es mache sich Oktavian,<br />
Das Muster schleichender Tyrannen,<br />
Die je für Sklaverey auf schöne Namen sannen,<br />
Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:<br />
Die Motten zehren an dem Rufe,<br />
Den ihre Ohnmacht sich erwarb,<br />
Und jedes Sekulum verdarb<br />
An ihrem Tempel eine Stufe.<br />
Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,<br />
Und segnend färbt der Sonnenstrahl<br />
Des Mannes Monument im Thal,<br />
Wo sanft der Oehlbaum nickt, und hoch am Firmamente.<br />
Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,<br />
Und hoch schlägts links mir in der Seite stark:<br />
Wer so ein Schöpfer werden könnte!<br />
</div> 

<p>Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den
hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine
schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke
steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium
an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern
Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie
schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten
Fel<!-- pb n="151" facs="#f0177"/ -->senweg hinunter,
und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung
es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das
Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr
theuer. Es ist traurig für die Humanität, dass man sich mit
Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehlbaums
schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde,
ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein
Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche
gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne
ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und
kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen
und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.</p>

<p>Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten
des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich
nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter
ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber
ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für
drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die
Reste des alten <span class="italic">ponte rotto</span> bey
Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen,
die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona.
Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben
für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre
eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen
schützt. Ich bekenne, dass ich für zwecklose Pracht, wenn es
auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.</p>

<!-- pb n="152" facs="#f0178"/ -->
<p>Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und
der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild
genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen
Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bey
Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf
übersieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen,
und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kultur ein
sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In
Otrikoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von
der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor
dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein
Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an
das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich
gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im
Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden
und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so
willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten
ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter
Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen
theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er
war ein starker heisser Politiker und, wie sehr natürlich,
mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten
Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte
weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein
Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und
doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer,
die ich noch auf meiner Wanderung in Ita<!-- pb n="153" facs="#f0179"/ -->lien 
von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und
Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er musste etwas
Zutrauen zu mir gewonnen haben, dass er mich ohne
Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen liess. Er kannte
die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in
der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz
schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch
vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte
sein Hass den General Murat recht herzlich gefasst, von
dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und
der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm
verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der
erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und
meinte, dass sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so
tief es auch gesunken sey. Wir schüttelten einander
freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden
Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der
alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.</p>

<p>Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate
zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bey
Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch
noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen
romantisch gross und zuweilen erhaben und furchtbar. Man
vergass leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der
Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die
Bevölkerung wird noch dünner und die Kultur mit jedem
Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für
<!-- pb n="154" facs="#f0180"/ --> das alte Falerii der
Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins
feindliche Lager spazieren führte und von Kamill so brav
unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde.
Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten
militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug
als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der
Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast
rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich
sind. Der Anblick flösste mir gleich Respekt ein, und ohne
an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher
erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte
Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke
über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi
und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut,
welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es
ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Stil diese
Dinge in Aufschriften erzählt werden:
solche <span class="italic">ampullae et
ses</span><span class="italic">quipedalia verba</span>
scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen.
Die alten Römer thaten und liessen reden, und diese reden
und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher
viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer
angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als dass Pius
der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück
eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen
solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die
Strasse; die alte flaminische geht über Rignano,
Malborghetto und Primaporta nach der
<!-- pb n="155" facs="#f0181"/ --> Stadt, und die neue von
Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die
Strasse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten
Sprichwort: Nun gehen alle Strassen nach Rom; und hielt mich
halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg
kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand.
Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht
sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande
schlimmer als bey uns in Sachsen.</p>

<p>Erlaube mir über die Strassen im Allgemeinen eine kleine
vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist
empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert
wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um
dieses Geld zu bezahlen. Die Strassen sind einer der ersten
Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt.
Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen
Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit
entspringt, für die Strassen zu sorgen; und die Unterthanen
sind nur dann zum Zuschuss verpflichtet, wenn jene Einkünfte
nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die
Befugniss, die Natur und Zweckmässigkeit und den
gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es
nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen.
Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen
Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen
Rechte steht, welches überhaupt als <span class="italic">jus
publicum</span> das traurigste ist, das die Vernunft
ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des
bürgerlichen seyn mag. Bey den
<!-- pb n="156" facs="#f0182"/ --> Strassen tritt noch eine
Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man
durchaus auch mit grossen Summen und anhaltender Arbeit
nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit
Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob
keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird
darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, dass die
Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die
beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben
muss. Ist einmahl der Einschnitt gemacht, so mag man
schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man
will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die
ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das
Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu machen, so
ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und
nach mit mehrern; bis die ganze Strasse ohne Hülfe zu Grunde
gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Massen in
Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des
vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt
entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die
Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige
Veränderung des Drucks die Strasse bessern. Man würde eben
so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlass
mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen
wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde
beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den
Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast
durchaus habe ich den Schaden dieser bö<!-- pb n="157" facs="#f0183"/ -->sen 
Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so
viel ich mich erinnere, strengere Massregeln genommen ihn zu
verhüten. Aber ich muss machen, dass ich nach Rom komme.</p>

<p>Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr
richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger
als ich begegneten mir mit ihren grossen Knotenstöcken bey
Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht
viel gearbeitet wurde.
<span class="italic">Signore è tedesco e va a Roma;</span>
sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen
müssen häufig diese Strasse machen; denn ich hatte noch
keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu
verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben
sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben
würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm,
wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiss in
einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung
musste der mir links liegende Berg durchaus
der <span class="italic">Soracte</span> seyn, obgleich kein
Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem
heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat
sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt
ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, dass ich
nicht links die alte flaminische Strasse gehalten hatte;
dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem
ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs
der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser
Seite ganz isoliert; das wusste ich aus einigen Anmerkungen
über den Horaz,
<!-- pb n="158" facs="#f0184"/ --> und desswegen erkannte
ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war.
Hinten schliesst er sich durch eine Kette von Hügeln an den
Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die
Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch
einmahl ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen
geben, und Dir hierbey eine pragmatische Bemerkung machen.
Vielleicht weisst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache
kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des
Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schliessen. Der
Sorakte hat, weil er mit der grossen Bergkette der Apenninen
verglichen, doch nicht ausserordentlich hoch ist und
tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr
Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter
anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich
zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz
vernünftig. Vielleicht war er eben damahls in Tibur, wo er
von Mäcens Landgute bloss die Spitze des beschneyten Sorakte
sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Uebrigens thue ich
dem Horaz keine kleine Ehre, dass ich mich mit einem seiner
Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine
Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, dass die
Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.</p>

<p>Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute
hier etwas fleissiger seyn wollten: aber je näher man Rom
kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen
Segens, die durchaus wie
<!-- pb n="159" facs="#f0185"/ --> Fluch aussehen. Hinter
Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und
nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, dass ich mich
nothwendig in seinen Wagen setzen musste, wo ich einen
stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und
einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die
Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich
legte meinen Tornister zu meinen Füssen gehörig in Ordnung,
und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er
belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen
Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich
in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren
leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede
Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe.
Ganz spasshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher
erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr
possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann
an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach
und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses
fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach
meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der
Bitte: <span class="italic">Qualche cosa della bona grazia
pella guardia.</span> So so; das fängt gut an: ich musste
wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem
grossen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den
drey grossen Strassen ich auf gut Glück hinunter gehen
sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte
hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als
mein Kamerad
<!-- pb n="160" facs="#f0186"/ --> mich fragte wo ich wohnen
würde? Das weiss ich nicht, sagte ich; ich muss ein
Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu
nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey
ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah
dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey
darin, dachte, hier oder da ist einerley, setzte mich wieder
nieder und liess mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem
heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den
Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister
zu seyn scheint.</p>

</div> <!-- chapter -->

</body>
</html>