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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Die Leutchen in Ankona legten es mir so +nahe ans Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von +dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien +zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren +fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus +bey meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme +erschlagene Seele. +<span class="italic">Vous avés bien l'air d'être un peu +François; et tout François est perdû sans ressource en +Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles</span>; sagte +man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich +denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem +Vaterlande zu essen. <span class="italic">On Vous prendra +pour François, et on Vous coupera la gorge sans +pitié</span>; hiess es. +<span class="italic">Fort bien</span>, sagte +ich; <span class="italic">ou plûtot bien fort</span>. Was +war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen +Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sakristan zur Weihe +durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven +und die gewaltig vielen Beichtstühle, liess mir für einige +Paolo ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, +um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu +beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der +Tiber zu. Freylich gab es auch hier keinen Mangel an +Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren +die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und +da zum Denk<!-- pb n="136" facs="#f0162"/ -->mahl und +zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich +habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, +als ich doch wirklich bin; und so bin ich glücklich auf dem +Kapitole angelangt.</p> + +<p>Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich, +abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem +Getreide und Obst und Oehlbäumen besetzt sind; desto +schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis +gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars +bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, +vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges +unerträglich.</p> + +<p>Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt +gewesen, dass ich auf der Strasse den dritten Menschen immer +für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein +kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen +wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an +einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler +Deferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise, +das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. +Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner +Miene, dass er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und +reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die +grösste Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine +Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und +glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas +näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem +ganzen Wesen, dass ich mich +<!-- pb n="137" facs="#f0163"/ --> über meine Uebereilung +ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beyde einander für +ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, dass solche +Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des +augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr +wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von +Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute +gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häuschen im gelobten +Lande nicht behaupten konnten, dass sie es durch die Luft +aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch +wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es +auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war. +Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier +etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport +nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die +doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich +nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt +anzuthun, worüber die hiesigen Frommen grosse Klagelieder +und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des +grossen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die +Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder +ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn +selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum +Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf und abführen +sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle +Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft +in der Vergebung der Sünden; aber wer +<!-- pb n="138" facs="#f0164"/ --> +diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der +Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.</p> + +<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange +Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die +schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links +haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die +das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich +überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis +Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre +Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor +ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymässig die +Freyheit meinen Pass zu beschauen. Der Mann war übrigens +recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus +nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig +behandelt wurde, dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig +starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich +werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig +und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief +so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums. +Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut +Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste +Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Gegend war +paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich +nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, +und ich gerieth in grosse Versuchung mich dort hinunter nach +Fermo und Bari zu schlagen. Bloss mein Versprechen in Ankona +hielt mich zurück. +<!-- pb n="139" facs="#f0165"/ --> Ich bat die guten +Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen +Unglauben, und wanderte fürbass. Der Hunger fing an mir +ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein +ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem +Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. +Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch +Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto +besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war +warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie +die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar +hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; +und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich +davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die +Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte +Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. +Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie +aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir +Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr +nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie +ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die +Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein +Eselstreiber: <span class="italic">Vo</span><span class="italic">lete +andare a Cavallo, Signore</span>? Ich sah seine Kavallerie +an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht +wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die +Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, +so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem +Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben +Esel; und ich +<!-- pb n="140" facs="#f0166"/ --> gab auf den wiederholten +Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen +Bescheid: <span class="italic">Jo sono pedone e non voglio +andare a cavallo sul asino</span>. Die Leute sahen mich an +und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und +meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das +waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, dass im +gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.</p> + +<p>In Tolentino gings gut, und ich liess mich überreden von +hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes +zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu +seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für +Italien ein ganz hübscher Fluss, hat auch etwas besseres +Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen +zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu +seinem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt, +in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen +der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber +der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung: es sey +jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten. +Das war nun nicht erbaulich: Aergerniss hätte mich aber nur +mehr aufgehalten; ich fasste also Geduld und liess mich mit +meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer +setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe, +und so trabten wir italiänisch immer in den Schluchten +hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier +und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die +beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren +<!-- pb n="141" facs="#f0167"/ --> Namen ich vergessen habe, +nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im +punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man +mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen +Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf +in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss, nicht weit +von der grössten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, +dass man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem +See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, +geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg +windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke +hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des +Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der +andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu +nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in +Kontribution setzen. Sie übertheuern den Fremden nicht, +sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an +seine Grossmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, +furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man +müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die +Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hülfe.</p> + +<p>Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es +vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und +romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine +ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche +Gegend eine der grössten Aussichten. Unten rechts, tief in +der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden +Thale die +<!-- pb n="142" facs="#f0168"/ --> Papiermühlen des Papstes +angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben +sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, +geben dann Oehlbäume und haben am Fusse üppige Weingärten. +Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche, +die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens +ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter +rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten +Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war +ziemlich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher Anblick. +Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte! +Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne +Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte +finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens +ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die +gewiss in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter +weideten ehemahls die vom Klitumnus weissgefärbten Stiere, +welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt +holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer +Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom +Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten +Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen +wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen +Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen haben. Die +Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit +Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man +mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen +liess. Eine Be<!-- pb n="143" facs="#f0169"/ -->wirthung, +für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem +Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, musste ich hier in dem +Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich +überdiess mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich +diess durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein +Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach +Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, dass +ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich +selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. +Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und +wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals +Kopfstoss. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des +Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und +Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch +eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so +enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele Tempel +giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist +allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit +grossen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene +gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe +Cypressen, die ehmahls in der Gegend berühmt gewesen seyn +sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre +Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es +sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel +seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich +auf dem jungen Rasan sonnte, setzte sich ein stattlich +gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf +Politik, zog +<!-- pb n="144" facs="#f0170"/ --> einige Zeitungsblätter +aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach +dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie +besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten +dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner +Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das +überliesse ich +denen, <span class="italic">interesset</span>.</p> + +<p>Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungsprojekten; +denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein +Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir +nichts Anmasslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes, +Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist; +nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprösslinge +der grossen Familien, die die nächste Anwartschaft auf +Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser +Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äusserte in +Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch +Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. +Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite +Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des +Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein +Trossbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es +ja noch Churfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein +Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die +moralische Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich +trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige +Ausdruck. So geht es hier und da.</p> + +<p>Der Jäger verliess mich nach einem halben Stündchen +Kosen, und ich verliess den Klitumnus. +<!-- pb n="145" facs="#f0171"/ --> In Spoleto ging ich ohne +Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches +Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte +ich nun Ursache gehabt zu bedauern, dass ich das +Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht +angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe +Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte. +Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten +Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist +ein grosses, altes, dunkles, hässliches, jämmerliches Loch, +das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in +Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, +denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse +Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine +Ausnahme zu machen. Desswegen habe ich mich auch keinen Deut +um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine +ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und +Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdiess in +so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne +Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt, +stehen die Worte in Marmor:</p> + +<p class="center"><span class="spaced">HANNIBAL</span><br /> +CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS<br /> +INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,<br /> +AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,<br /> +INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.</p> + +<!-- pb n="146" facs="#f0172"/ --> +<p>So ist die Ueberschrift. Ich weiss nicht ob es die Worte +des Livius sind; mich däucht, bey diesem lautet es etwas +anders. Die Sache hat indess nach den alten Schriftstellern +ihre Richtigkeit; nur weiss ich nicht ob es eben dieses Thor +seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt +nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch +ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. +Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich +wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen +lassen.</p> + +<p>Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich +sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des +Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den +Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil +desselben; und hier war ich wieder zu Fusse ganz allein. Den +Morgen als ich Spoleto verliess, sah ich links an dem Felsen +noch das alte gothische Schloss, wo sich wackere Kerle +vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können, +ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die +wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man +mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir +einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich +war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen +Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll +der <span class="italic">Jupi</span><span class="italic">ter +Summanus</span> einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur +von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt +es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von +Spoleto ist noch +<!-- pb n="147" facs="#f0173"/ --> nicht so wild und +furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das +Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit, +rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den +ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und +Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen +Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser +und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen +engen Pass anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte +Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele +alte verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von +Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten +Berge sind bis zu einer grossen Höhe mit finstern wilden +Lorberbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu +ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war +mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni +das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage +gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder +erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal +der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor +mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den +Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten +Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu +arbeiten.</p> + +<p>Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. +Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher +zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich, +und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum +Anfange vielleicht +<!-- pb n="148" facs="#f0174"/ --> besser geschmeckt hätten. +Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, dass +dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann +ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht +empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der +Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, +Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in +Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem +Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des +heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich liess mich aber +nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine +Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche +unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in +die Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne +Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir +noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloss der heidnischen +Sonne sein Kompliment zu machen, Richtig. Die Leute haben +bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt +und dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne mehr +scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen +gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht +genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt +Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem +Fegefeuer erlösen wird.</p> + +<p>Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier +Meilen Apenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine +deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Fall des +Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein +Wölk<!-- pb n="149" facs="#f0175"/ -->chen, und es +wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes +etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und +bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der +Atmosphäre einen ganzen hellen herrlich glühenden und einen +grössern dunkeln Bogen im Staube des Falles. Ich sass +gegenüber auf dem Felsen und vergass einige Minuten alles +was die Welt sonst grosses und schönes haben mag. Etwas +grösseres und schöneres von Menschenhänden hat sie +schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb +Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.</p> + +<div class="poem"> +<span class="indent">Hier hat vielleicht der grosse Mann gesessen</span><br /> +Und dem Entwurfe nachgedacht,<br /> +Der seinen Namen ewig macht;<br /> +Hat hier das Riesenwerk gemessen,<br /> +Das grösste, welches je des Menschen Geist vollbracht.<br /> +Es war ein göttlicher Gedanke,<br /> +Und staunend steht die kleine Nachwelt da<br /> +An ihres Wirkens enger Schranke<br /> +Und glaubet kaum, dass es geschah.<br /> +Wie schwebte mit dem Regenbogen,<br /> +Als durch die tiefe Marmorkluft<br /> +Hinab die ersten Donnerwogen<br /> +Wild schäumend in den Abgrund flogen,<br /> +Des Mannes Seele durch die Luft!<br /> +So eine selige Minute<br /> +Wiegt einen ganzen Lebenslauf<br /> +Alltäglichen Genusses auf;<br /> +Sie knüpft das Grosse an das Gute.<br /> +<!-- pb n="150" facs="#f0176"/ --> +Es schlachte nun der zürnende Pelide<br /> +Die Opfer um des Freundes Grab;<br /> +Es zehre sich der Philippide,<br /> +Sein Afterbild, vor Schelsucht ab;<br /> +Es weine Cäsar, stolz und eitel,<br /> +Um einen Lorberkranz um seine kahle Scheitel;<br /> +Es mache sich Oktavian,<br /> +Das Muster schleichender Tyrannen,<br /> +Die je für Sklaverey auf schöne Namen sannen,<br /> +Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:<br /> +Die Motten zehren an dem Rufe,<br /> +Den ihre Ohnmacht sich erwarb,<br /> +Und jedes Sekulum verdarb<br /> +An ihrem Tempel eine Stufe.<br /> +Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,<br /> +Und segnend färbt der Sonnenstrahl<br /> +Des Mannes Monument im Thal,<br /> +Wo sanft der Oehlbaum nickt, und hoch am Firmamente.<br /> +Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,<br /> +Und hoch schlägts links mir in der Seite stark:<br /> +Wer so ein Schöpfer werden könnte!<br /> +</div> + +<p>Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den +hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine +schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke +steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium +an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern +Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie +schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten +Fel<!-- pb n="151" facs="#f0177"/ -->senweg hinunter, +und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung +es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das +Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr +theuer. Es ist traurig für die Humanität, dass man sich mit +Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehlbaums +schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde, +ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein +Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche +gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne +ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und +kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen +und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.</p> + +<p>Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten +des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich +nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter +ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber +ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für +drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die +Reste des alten <span class="italic">ponte rotto</span> bey +Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen, +die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona. +Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben +für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre +eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen +schützt. Ich bekenne, dass ich für zwecklose Pracht, wenn es +auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.</p> + +<!-- pb n="152" facs="#f0178"/ --> +<p>Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und +der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild +genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen +Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bey +Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf +übersieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen, +und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kultur ein +sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In +Otrikoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von +der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor +dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein +Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an +das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich +gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im +Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden +und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so +willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten +ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter +Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen +theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er +war ein starker heisser Politiker und, wie sehr natürlich, +mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten +Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte +weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein +Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und +doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, +die ich noch auf meiner Wanderung in Ita<!-- pb n="153" facs="#f0179"/ -->lien +von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und +Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er musste etwas +Zutrauen zu mir gewonnen haben, dass er mich ohne +Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen liess. Er kannte +die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in +der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz +schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch +vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte +sein Hass den General Murat recht herzlich gefasst, von +dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und +der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm +verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der +erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und +meinte, dass sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so +tief es auch gesunken sey. Wir schüttelten einander +freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden +Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der +alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.</p> + +<p>Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate +zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bey +Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch +noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen +romantisch gross und zuweilen erhaben und furchtbar. Man +vergass leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der +Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die +Bevölkerung wird noch dünner und die Kultur mit jedem +Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für +<!-- pb n="154" facs="#f0180"/ --> das alte Falerii der +Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins +feindliche Lager spazieren führte und von Kamill so brav +unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. +Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten +militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug +als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der +Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast +rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich +sind. Der Anblick flösste mir gleich Respekt ein, und ohne +an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher +erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte +Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke +über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi +und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, +welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es +ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Stil diese +Dinge in Aufschriften erzählt werden: +solche <span class="italic">ampullae et +ses</span><span class="italic">quipedalia verba</span> +scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen. +Die alten Römer thaten und liessen reden, und diese reden +und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher +viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer +angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als dass Pius +der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück +eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen +solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die +Strasse; die alte flaminische geht über Rignano, +Malborghetto und Primaporta nach der +<!-- pb n="155" facs="#f0181"/ --> Stadt, und die neue von +Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die +Strasse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten +Sprichwort: Nun gehen alle Strassen nach Rom; und hielt mich +halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg +kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand. +Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht +sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande +schlimmer als bey uns in Sachsen.</p> + +<p>Erlaube mir über die Strassen im Allgemeinen eine kleine +vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist +empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert +wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um +dieses Geld zu bezahlen. Die Strassen sind einer der ersten +Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. +Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen +Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit +entspringt, für die Strassen zu sorgen; und die Unterthanen +sind nur dann zum Zuschuss verpflichtet, wenn jene Einkünfte +nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die +Befugniss, die Natur und Zweckmässigkeit und den +gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es +nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen. +Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen +Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen +Rechte steht, welches überhaupt als <span class="italic">jus +publicum</span> das traurigste ist, das die Vernunft +ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des +bürgerlichen seyn mag. Bey den +<!-- pb n="156" facs="#f0182"/ --> Strassen tritt noch eine +Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man +durchaus auch mit grossen Summen und anhaltender Arbeit +nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit +Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob +keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird +darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, dass die +Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die +beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben +muss. Ist einmahl der Einschnitt gemacht, so mag man +schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man +will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die +ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das +Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu machen, so +ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und +nach mit mehrern; bis die ganze Strasse ohne Hülfe zu Grunde +gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Massen in +Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des +vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt +entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die +Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige +Veränderung des Drucks die Strasse bessern. Man würde eben +so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlass +mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen +wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde +beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den +Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast +durchaus habe ich den Schaden dieser bö<!-- pb n="157" facs="#f0183"/ -->sen +Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so +viel ich mich erinnere, strengere Massregeln genommen ihn zu +verhüten. Aber ich muss machen, dass ich nach Rom komme.</p> + +<p>Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr +richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger +als ich begegneten mir mit ihren grossen Knotenstöcken bey +Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht +viel gearbeitet wurde. +<span class="italic">Signore è tedesco e va a Roma;</span> +sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen +müssen häufig diese Strasse machen; denn ich hatte noch +keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu +verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben +sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben +würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, +wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiss in +einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung +musste der mir links liegende Berg durchaus +der <span class="italic">Soracte</span> seyn, obgleich kein +Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem +heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat +sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt +ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, dass ich +nicht links die alte flaminische Strasse gehalten hatte; +dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem +ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs +der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser +Seite ganz isoliert; das wusste ich aus einigen Anmerkungen +über den Horaz, +<!-- pb n="158" facs="#f0184"/ --> und desswegen erkannte +ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war. +Hinten schliesst er sich durch eine Kette von Hügeln an den +Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die +Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch +einmahl ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen +geben, und Dir hierbey eine pragmatische Bemerkung machen. +Vielleicht weisst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache +kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des +Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schliessen. Der +Sorakte hat, weil er mit der grossen Bergkette der Apenninen +verglichen, doch nicht ausserordentlich hoch ist und +tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr +Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter +anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich +zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz +vernünftig. Vielleicht war er eben damahls in Tibur, wo er +von Mäcens Landgute bloss die Spitze des beschneyten Sorakte +sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Uebrigens thue ich +dem Horaz keine kleine Ehre, dass ich mich mit einem seiner +Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine +Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, dass die +Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.</p> + +<p>Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute +hier etwas fleissiger seyn wollten: aber je näher man Rom +kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen +Segens, die durchaus wie +<!-- pb n="159" facs="#f0185"/ --> Fluch aussehen. Hinter +Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und +nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, dass ich mich +nothwendig in seinen Wagen setzen musste, wo ich einen +stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und +einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die +Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich +legte meinen Tornister zu meinen Füssen gehörig in Ordnung, +und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er +belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen +Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich +in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren +leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede +Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. +Ganz spasshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher +erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr +possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann +an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach +und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses +fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach +meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der +Bitte: <span class="italic">Qualche cosa della bona grazia +pella guardia.</span> So so; das fängt gut an: ich musste +wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem +grossen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den +drey grossen Strassen ich auf gut Glück hinunter gehen +sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte +hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als +mein Kamerad +<!-- pb n="160" facs="#f0186"/ --> mich fragte wo ich wohnen +würde? Das weiss ich nicht, sagte ich; ich muss ein +Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu +nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey +ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah +dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey +darin, dachte, hier oder da ist einerley, setzte mich wieder +nieder und liess mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem +heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den +Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister +zu seyn scheint.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |