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<title>Neapel</title>
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<body>
<!-- pb n="[332]" facs="#f0358"/ -->
<div class="chapter" id="Neapel3">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div>
<p> <span class="initial">I</span>ch erwachte im Hafen. Eine
Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des
Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey
Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und
wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich
sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr
lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein
alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte
den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man
gehört hatte, dass ich viel zu Fusse herum lief und laufen
wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als
gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische
Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten
hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte
ich keinen haben.</p>
<p>Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach
Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde
gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich liess mir
gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern
und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus
andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung
verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels
anatomierte, wir würden desswegen in unsern Konjekturen
nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des
Kaligula machen soll, weiss ich nicht: die Meinung der
Antiquare, dass es
<!-- pb n="333" facs="#f0359"/ --> ein Molo gewesen seyn
soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch
dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen
aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch
klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten
Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist
nicht so gross, dass es einem Menschen, wie das Stiefelchen,
nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen.
Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der
Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den
Julischen Hafen bilden; der Umweg war also etwas grösser als
jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern weder
Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sey es
wie man wolle. Ich stieg bey dem Lukriner See aus, der durch
die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt
ist er nichts besser als ein grosser Teich. Wir gingen,
vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch
welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den
Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu
bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben
alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt
romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte
der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich
am Eingange hin und sah rechts gegen über den alten Tempel,
der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie
dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen
blieb, die ohne grosse Erschütterung der Nachbarschaft
unmöglich geschehen konnte.
<!-- pb n="334" facs="#f0360"/ --> Man kann nichts
romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See
bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll
Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in
dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das
Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung
nach diesem Orte gearbeitet; denn
das <span class="italic">Facilis descensus Averni</span>
scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer
tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen,
welches ziemlich voll Wasser war. Hier musste ich mich auf
den Rükken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts
und links fand ich hier einen langen Katalog von Neugierigen
aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die
Karthager so brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia
auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem
Wildfremden in dieser Höhle herum zu schleichen, mein
Freund, macht doch etwas unheimisch.</p>
<div class="poem">
Ein Schauerchen fuhr mir beym Fackelschein<br />
Im Heiligthum durch das Gebein;<br />
Das Wasser ging mir in der Höhle<br />
Des Mütterchens bis an die Seele.<br />
Mir ward so ernst und feyerlich,<br />
Und voll von Ehrfurcht setzt' ich mich<br />
An einem dreyfach dunkeln Flecke<br />
Auf einen Stein in einer Ecke.<br />
Mein Führer liess mir eben etwas Zeit<br />
Mit seiner Stromgelehrsamkeit,<br />
<!-- pb n="335" facs="#f0361"/ -->
Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:<br />
Da hab' ich denn in aller Stille<br />
Die alte kumische Sibylle<br />
Für Dich und mich um Rath gefragt;<br />
Sie hat mir aber — nichts gesagt.<br />
Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,<br />
Und glaube, sie hat wohl gethan.<br />
</div>
<p>Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter
mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug
weckte: <span class="italic">Era questa Sibylla una grande
putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece</span>
— — Hier brauchte er einige Töne, die in allen
Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin
sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles
macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer
nimmt! Die Leute fabeln hier, dass aus der Höhle ein Gang
nach Bajä und ein anderer nach Kumä gegangen sey, wo die
Hexe ein zweytes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht
möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige
grosse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen
und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch
hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet werden. Die ganze
Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne
romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten
veranlasst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die
Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum,
und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so
<!-- pb n="336" facs="#f0362"/ -->
dass der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens
ist.</p>
<p>Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter und sah die
ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, dass ich
nicht im Stande war hinunter zu steigen? Ich hatte mich
ausgezogen und versuchte es zwey Mal. Der Dampf trieb mir
aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts
ging, einen so entsetzlichen Schweiss aus, dass ich
umkehrte. Ich liess den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine
vornehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen
den Schwitzkasten besser vertragen können als ich: das
Experiment war mir zu heiss. Ob die alten Gebäude, die am
Strande hinstehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich
nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä
und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie
sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey
Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das
Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab
Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören
wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen
sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein
Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem
kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Drath oder
Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es
alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem
Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippine umgekommen
seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch
einige Trümmern ge<!-- pb n="337" facs="#f0363"/ -->zeigt.
Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen. Was die
Piscine und die Felsengänge oder die sogenannten Gefängnisse
des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die
Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen,
wie die römischen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren,
zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind grässlich
und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie
denn alles Grausame bey den Römern schrecklicher und
scheusslicher war, als bey den Griechen, die Spartaner
vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel
trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und
bis hinab an die elyseischen Felder und das todte Meer sind
schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von
dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen
Felsen dieses Namens schliesst. Gegen über liegt nicht weit
davon sogleich Procida, und man erzählte, dass die Engländer
im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen
haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muss aus den
Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen
seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, dass ich
neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von
Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich
fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine
und die nehmliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man
doch in den Propyläen nicht antreffen sollte.</p>
<p>Ich liess mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber
nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar et<!-- pb n="338" facs="#f0364"/ -->was
spät aber mit desto besserm Appetit eine herrliche Mahlzeit
nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten
berühmt; aber überall, wohin man blickt, findet man nur
Trümmern, Zerstörungen der Zeit, der Barbarey und der
Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen
Sitz der schändlichsten Despotie zu zernichten und nur die
Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt
ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die
Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der
Falerner Berg gestanden und sey in den verschiedenen
Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine
Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser seyn soll,
als der ächte Falerner bey Sessa auf der andern Seite des
Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich
weiss nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Kapri
sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo
und Nisida aus, wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das
seinen Rachen nach Surrent dreht. Diese Einbildung kam mir
immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der
Tiberiade einen abscheulichen
Stempel<!-- supplied>.</supplied --></p>
<p>Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht durch ein
üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber
als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des
Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg
Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und
nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht
etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du;
<!-- pb n="339" facs="#f0365"/ --> denn Du fährst, wie ein
Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Diess ist die berühmte
Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der
Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey
leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so einen
geraden Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner
als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung
der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung
hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von
dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur
Zeit der Römer muss das Werk nicht unternommen worden seyn;
denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon aufgezeichnet,
weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon
ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von
Neapel aus, ein Behältniss eingehauen, welches jeder
Vernünftige sogleich einer Polizeywache anweisen würde. Aber
hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und
dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus
die Gegend unsicher machen!</p>
<p>Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum
komme, muss ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur
einigermassen mit mir promenieren sollst. Meine Absicht war,
so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein
hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte
es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdiess drückte
mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji
unerträglich; meine Fusssohlen hatten durch langen Gebrauch
einige Hühneraugen gewonnen, die
<!-- pb n="340" facs="#f0366"/ -->
den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich
liess mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste
Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen.
Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien,
ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich
um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer
zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da
war; ob ich gleich nicht läugnen kann, dass Fleiss
und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte
machen können.</p>
<p>In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die
Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich
wandelte also in der Stadt herum, und bald fasste mich ein
Geistlicher bey der Krause, der mir alle Herrlichkeiten
seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern
war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen
Stücke gearbeitet, liesse sich wirklich auch in Rom noch
sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten
Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten
gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus
Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer
Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr
schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat.
Man führte mich auch in das Adyton der Krypte des
Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand
die <span class="italic">statua biformis</span> des
Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey dieser
Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die der Apostel
zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es
lässt sich wohl begreifen, wie das
<!-- pb n="341" facs="#f0367"/ --> zuging, und wie irgend
ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel
wirkten, dass die Ungläubigen abziehen mussten. Und nach der
alten Rechtsregel, <span class="italic">quod quis per
alium</span> — kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das
wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu
amalgamieren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die
nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrund der Krypte
stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich
vergessen habe, deren Blut aber noch beständig floss. Ich
hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich
wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den
vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich
die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den
schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir
stillschweigend die Hand als ich fort ging. Nun brachte man
mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne
Kreuzigung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, sondern
ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte
man wohl so etwas heraus oder vielmehr hineinbringen; und
die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten
sich, dass ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere
Reisende; und einer der jungen Herren, die mich begleiteten,
sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich
unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem eine
grosse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein Hauptführer,
der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs
nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas
zu einer Seelenmesse für mich; das
<!-- pb n="342" facs="#f0368"/ --> gab ich auch. Schadet
niemand und hilft wohl; man muss die Gläubigen stärken,
lautet das Schibolet, das Göthens Reincke der Fuchs von
seiner Frau Mutter bekommt. Dann bat er sich etwas für seine
Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und
zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm hinreichte,
schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal
nannte, und von dem ich eben so wenig wusste, wie er zur
Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen
war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem
Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, dass
der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte
mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey ein
Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete beyden ganz
leise, dass ich das nehmliche glaube und es wohl gemerkt
habe. Es ist ein heilloses Leben.</p>
<div class="poem">
Mein Freund, Du suchest in Salerne<br />
Den Menschensinn umsonst mit der Laterne;<br />
Denn zeigt er sich auch nur von ferne,<br />
So eilen Kutten und Kaputzen,<br />
Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,<br />
Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.<br />
Da löscht man des Verstandes Zunder,<br />
Und mischt mit Pfaffenwitz, des Widersinnes Plunder,<br />
Zum Trost der Schurkerey, zum Wunder:<br />
Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,<br />
Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,<br />
<!-- pb n="343" facs="#f0369"/ -->
Kniet hin und betet, geht und meuchelt;<br />
Gewiss, Vergebung seiner Sünden<br />
Beym nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.<br />
</div>
<p>Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muss es Dir nur
gestehen, dass ich den Artikel von der Vergebung der Sünden
für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der
Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat
erfinden können. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus,
den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke,
dass Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit allen seinen
bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihm seine
Natur führt. Eine missverstandene Humanität hat den Irrthum
zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und
fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein
als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache
durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat,
bleibt in Ewigkeit gefehit; es lässt sich keine einzige
Folge einer einzigen That aus der Kette der Dinge heraus
reissen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur
selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch
ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff
der Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur
in die Welt, um Dich davon zu berzeugen. Soll vielleicht
dieser Trost grossen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle
Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu
Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger werden;
diese sollen zum Heile der Menschheit ver<!-- pb n="344" facs="#f0370"/ -->zweifeln.
Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der
Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer,
das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht
wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern hann; die Vergebung
der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein
Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen
Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur
die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im
grössten Umfange und Unfuge regiert; kein rechtlicher Mann
ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.</p>
<p>Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer, der mir
sehr problematisch aussah. Er machte mich dadurch
aufmerksam, dass ich bey ihm ausserordentlich sicher sey,
weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannten
grüsste und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts
geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich
nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in
der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit,
mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich ihm
dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab,
und blieben die Nacht an der Strasse in einem einzelnen
Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der
Landstrasse nach Eboli und Kalabrien trennt. Diese
Landstrasse geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig
Millien; dann fängt sie an sicilianisch zu werden und ist
nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der
Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich
<!-- pb n="345" facs="#f0371"/ -->
wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als
gewöhnlich.</p>
<div class="poem">
Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen<br />
Mir links und rechts in einem Zauberchor<br />
Den Vorgeschmack des Himmels vor,<br />
Und laue leise Weste trugen<br />
Mich im Genuss für Aug' und Ohr<br />
Durch Gras wie Korn und Korn wie Rohr.<br />
Balsamisch schickte jede Blume<br />
Mir üppig ihren Wohlgeruch,<br />
Der Göttin um uns her zum Ruhme,<br />
Aus Florens grossem Heiligthume;<br />
Und rund umher las ich das schöne Buch<br />
Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch.<br />
Die goldnen Hesperiden schwollen<br />
Am Wege hin in freundlicher Magie,<br />
Und Mandeln, Wein und Feigen quollen<br />
Am Lebenstrahl des Segen vollen<br />
In stillversteckter Eurhythmie;<br />
Und Klee wie Wald begränzte sie.<br />
Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,<br />
Und fühlte schon voraus die Wonne,<br />
Mit Pästums Rosen in der Hand,<br />
An eines Tempels hohen Stufen,<br />
Wo Maro einst begeistert stand,<br />
Die Muse Maros anzurufen.<br />
Die Tempel stiegen, gross und hehr,<br />
Mir aus der ferne schon entgegen,<br />
<!-- pb n="346" facs="#f0372"/ -->
Da ward die Gegend menschenleer<br />
Und öd' und öder um mich her,<br />
Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.<br />
Da stand ich einsam an dem Thore<br />
Und an dem hohen Säulengang,<br />
Wo ehmals dem entzückten Ohre<br />
Ein voller Zug in vollem Chore<br />
Das hohe Lob der Gottheit sang.<br />
Verwüstung herrschet um die Mauer,<br />
Wo einst die Glücklichen gewohnt,<br />
Und mit geheimen tiefem Schauer<br />
Sah ich umher und sahe nichts verschont;<br />
Und meine Freude ward nun Trauer.<br />
Umsonst blickt Titan hier so milde,<br />
Umsonst bekrönet er im Jahr<br />
Zwey Mal mit Ernte die Gefilde;<br />
Du suchst von allem, was einst war,<br />
Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar<br />
Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,<br />
Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,<br />
Um den verschütteten Altar.<br />
Nur hier und da im hohen Grase wallt,<br />
Den Menschensinn noch greller anzustossen,<br />
Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.<br />
Freund, denke Dir die Seelenlosen,<br />
In Pastum blühen keine Rosen.<br />
</div>
<p>Ich gebe Dir zu, dass in diesen Versen wenig Poesie ist;
aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit.
<!-- pb n="347" facs="#f0373"/ --> Ich hielt mich hier nur
zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher
nichts als die drey bekannten grossen alten Gebäude, die
Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein
elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches
Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in
der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein
klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da
kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund
umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore,
ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte
selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die
Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in
hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen
Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren
wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie
vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche
Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, dass die Rosen
von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt
gewesen, dass er sie nicht musste abreissen lassen, dass er
nachpflanzen sollte, dass es sein Vortheil seyn würde, dass
jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte;
dass ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster
gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte
besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur
schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige
Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken,
und ich habe vielleicht das Verdienst, dass
<!-- pb n="348" facs="#f0374"/ --> man künftig in Pästum
wieder Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle
bitten, die nehmlichen Erinnerungen eindringlich zu
wiederholen, bis es fruchtet.</p>
<p>Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte
mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben
noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter
meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister
zurück käme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern
seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich
bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für
gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent.
Man muss sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich
einen Bruch zu schreiten. Dass einer von den Tempeln dem
Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich auf dem Umstand dass er
der vorzügliche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines
der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die
gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über einander
gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion
gewesen seyn? Denn es lässt sich nicht wohl begreifen, wozu
die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte.
Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich;
unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte
man mir noch eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor
kurzem gefunden seyn muss, weil ich ihn noch von niemand
angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher
Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen
Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch
<!-- pb n="349" facs="#f0375"/ --> überall sehr deutlich zu
unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach
Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor
ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden
übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte,
zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum der Ort
vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist,
scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwey
Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist
nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen
Bergen kommt Salzwasser. Das süsse Wasser musste weit und
mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt
noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der
schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu
Fusse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines
Feigenbaums eine grosse Schlange geringelt, die mich ruhig
ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz
von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar
nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust
ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, dass
Virgil <span class="italic">atros colubros</span> anführt,
die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von
der Sorte zu seyn.</p>
<p>Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr
ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär
kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an
der Strasse angehalten, und ein Offizier nicht mit der
besten Physionomie setzte sich geradezu zu mir in die
Karriole, ohne eine Sylbe Apo<!-- pb n="350" facs="#f0376"/ -->logie
über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter.
Ich hörte, dass mein Fuhrmann vorher
sagte: <span class="italic">E un signore Inglese</span>: das
half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er
Posten gefasst hatte, wollte er mir durch allerhand
Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so
verblüfft, dass ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt
stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit.
Das ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen
Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die
doch auch zuweilen systematisch ungezogen genug ist. Als ich
gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein
Zweyter an: Sie sind ein Engländer? — Nein. —
Aber ein Russe? — Nein. — Doch ein Pole? —
Auch nicht. — Was sind sie denn für ein Landsmann?
— Ich bin ein Deutscher. — Thut nichts; Sie sind
ein Fremder und erlauben mir, dass ich Sie etwas begleite.
— Sehr gern; es wird
m<!-- gap unit="chars" quantity="1"/ -->
angenehm seyn. Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er
fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man
Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben: er führte
mich und ich ass tüchtig, in der Voraussetzung ich würde für
mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so
manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte,
sagte die Wirthin, es sey alles schon berichtigt. Das war
ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden.
Er begleitete mich noch in verschiedene Parthien der Stadt,
besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der
schönsten Aussichten über den ganzen Meer<!-- pb n="351" facs="#f0377"/ -->busen
von Salerne hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen
artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu
erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich
in<!-- choice><sic --> in<!-- /sic><corr/></choice --> der Fremde in
Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offizieres
wüsste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch
vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der
Disciplin gut heisse. Der junge Mann fing nun eine grosse
lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern
glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus
dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch
hat vierzig umgebracht, sagte der Offizier, als wir weiter
gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht
bewiesen werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für
wenigstens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt
werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die
Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er
ganz leise, — braucht ihn. Hier fasste es mich wie die
Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte
ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre,
ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit
zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung
ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger
umgeht! Kann man sich eine grössere Summe von
Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er
hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem
unbekannten Freunde. Ach nein, antwortete er; jetzt sitzt er
wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh
kommt er los. — Wie<!-- pb n="352" facs="#f0378"/ -->der
ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde. Die
Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit
rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie
waren brav wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab
Aemter und Ehrenstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk
als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der
Residenz erzählt, auf den Strassen und in Provinzialstädten,
und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände
dabey genannt.</p>
<p>Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die
andern auch gesehen haben, und lief in den aufgegrabenen
Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die
Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muss bey dem
allen prächtig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts
netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo
fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit
eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist als ob sie nur vor
wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder
einen beträchtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen
viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins
Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen was ihm am
nächsten liegt, und die Regierung schweigt wahrscheinlich
mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig,
dass die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst
sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine
Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren
dabey einige französische Generale, von
<!-- pb n="351 " facs="#f0379"/ -->
denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey
der Sibylle ist es etwas anders.</p>
<p>Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Kaserta und
ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese hörten, dass ich von
Portici aus auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag
Parthie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten
Esel und ritten. Was vorher zu sehen war geschah; die Dame
konnte, als wir absteigen mussten, zu Fusse nicht weit fort
und blieb zurück; und ich war so ungalant mich nicht darum
zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und
arbeitete mir nach. Als wir an die Oeffnung gekommen waren,
aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter
gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte,
weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht
über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte
ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich
würde hinauf steigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz
allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich
stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich
doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als
auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich
es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen
entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts,
als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und
drückend heiss. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der
Krater ist jetzt, wie Du schon weisst, eingestürzt, der Berg
ein beträchtliches niedriger, und es ist gar keine
eigentliche grössere Oeffnung mehr
<!-- pb n="352 " facs="#f0380"/ --> da. Nur an einigen
Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen
hervor. Man kann also hinunter gehen. Die Franzosen, welche
es zuerst thaten, wenigstens so viel man weiss, haben viel
Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von
der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der
herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von
meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den
rechten Weg nicht gefasst, weil ich eine andere kleinere
Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher auch noch etwas
Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war
mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch
ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht seyn, als
die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner
ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist
fast die nehmliche, wie bey den Kamaldulensern: ich würde
jene noch vorziehen, obgleich diese grösser ist. Nur die
Stadt und die ganze Parthie von Posilippo hat man hier
besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden
als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige
Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward
Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell.
Ich hatte schon Durst als die Reise aufwärts ging; und nun
suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches
Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge
ein grosses volles Gefäss. So durstig ich auch war, war mir
doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn
ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde
<!-- pb n="353 " facs="#f0381"/ --> den Vulkan gerade auf
diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In
einem grossen Sommerhause, nicht weit von der heiligen
Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen
Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber
als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten
wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.</p>
<p>Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen,
und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach
Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich
unglücklich. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah
bloss das Schloss und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit
aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu
Pferde aus dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges
enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige
bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die
Statuen selbst sind in der Lava zusammen geschmolzen. So
viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl
diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig
sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich
eine ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort gesehen,
wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die
bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel
schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist
Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und
Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt
darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum;
und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine
<!-- pb n="354 " facs="#f0382"/ --> Kirche. Die Dame von
Kaserta gab mir beym Abschied am Toledo ihre Addresse; ich
hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.</p>
<p>Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein
Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische
Nachbarschaft doch vielleicht ein grösseres Interesse, als
irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend
noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz
nach meinem Genius hatte geniessen können. Ich setzte mich
im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne
blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der
Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt
gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.</p>
<div class="poem">
Vom Schedel des Verderbers sieht<br />
Mein Auge weit hinab durch Flächen,<br />
Auf welchen er in Feuerbächen<br />
Verwüstend sich durch das Gebiet<br />
Der reich geschmückten Schöpfung zieht.<br />
Wo steht der Nachbar ohne Grausen,<br />
Wenn zur Zerstörung angefacht<br />
Aus seinem Schlund der Mitternacht<br />
Ihm hoch die Eingeweide brausen?<br />
Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,<br />
Und sie im Streit der Elemente,<br />
Als ob des Erdballs Achse brennte,<br />
Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?<br />
Der Riese macht mit seinem Hauche<br />
<!-- pb n="355 " facs="#f0383"/ -->
Die schönste Hesperidenflur<br />
Zur dürrsten Wüste der Natur,<br />
Wenn er aus seinem Flammenbauche<br />
Mit rother Glut und schwarzem Rauche<br />
Die Stoffe durch die Wolken hebt,<br />
Und meilenweit was Leben trinket,<br />
Wo die Zerstörung niedersinket,<br />
In eine Lavanacht begräbt.<br />
Parthenope und Pausilype bebt,<br />
Wenn tief in des Verwüsters Adern<br />
Die <!-- choice><sic -->Eeuerfluthen<!-- /sic><corr>Feuerfluthen</corr></choice --> furchtbar hadern;<br />
Und was im Meer und an der Sonne lebt<br />
Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,<br />
Sich vor dem Zorn des Tödtenden zu decken<br />
Er kocht am Meere links und rechts,<br />
Bis nach Surrent und bis zu Baja's Tannen,<br />
Wo er die Bäder des Tyrannen<br />
Aus der Verwandschaft des Geschlechts,<br />
Indem er weit umher verheeret,<br />
Mit seinem tiefsten Feuer nähret.<br />
Er macht die Berge schnell zu Seen,<br />
Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,<br />
Und rauchend zeigen seine Bahn,<br />
So weit die schärfsten Augen gehen,<br />
Die Inseln in dem Ozean.<br />
Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet<br />
Dass er nicht einst in allgemeiner Wuth<br />
Noch fürchterlich mit seiner Fluth<br />
Den ganzen Golf zusammen schüttet?<br />
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Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,<br />
Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde<br />
Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde<br />
Mit seinen Lavaschichten füllt?<br />
Hier brach schon oft aus seinem Herde<br />
Herauf hinab des Todes Flammenmeer,<br />
Und machte siedend rund umher<br />
Das Land zum grössten Grab der Erde.<br />
</div>
<p>Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich
gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans
in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin
ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit
dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv
kräuselt blos zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich
fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer
Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er
Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren
zuweilen grosse Bäume gewachsen. Bey seinem künftigen
Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der
Heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten
der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist nach dem äussern
Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so
etwas gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbändiger
hierher setzte.</p>
<p>Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung.
Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, dass
er sich auf seine eigenen
<!-- pb n="357 " facs="#f0385"/ --> Soldaten nicht verlassen
kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiss seine eigene
Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der
bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die
Italiäner. Was ich hier und da schlimmes sagen muss,
betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder
Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich
sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder erkannt
haben. Du weisst dass ich die Schulmeisterey in keinem Dinge
verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube,
sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht
gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im
Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und
das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, dass sie
besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und
fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren
sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen
Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleyen
kassiert hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz
possierlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freylich wohl
manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonanz
bey der Armee war sicher gut. Paul war in seiner
Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die
Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen
ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende
Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur
unangenehme Ausnahmen; denn man lässt im Ganzen der Ordnung
und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.</p>
<!-- pb n="358 " facs="#f0386"/ -->
<p>Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig
gemisshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise
beschimpft: es fehlt wenig dass er nicht des Patronats
völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr
auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch
Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die Januariusfarce
wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich
wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge
wenig Takt, bin also nicht dabey gewesen, ob die Schnurre
gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde
erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger
jungen Weiber und ihrer heissen Andacht, ehe das Mirakel
kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen
Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den
Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine
Urbefugnisse genommen hat.</p>
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</body>
</html>
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