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  <title>Paris</title>
</head>
<body>

<!-- pb n="[446]" facs="#f0474"/ -->

<div class="chapter" id="Paris2">
<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Paris</span>.</span></div>

<p> <span class="initial">E</span>s würde anmasslich seyn,
wenn ich Dir eine grosse Abhandlung über Paris schreiben
wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein
Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin
nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder
fertig abzusegeln.</p>

<p>Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein
Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs
Dreyer. Ich habe nicht das Introduktionstalent und im
Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten grossen
Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die
ihrige und ist des Willkommens selten gewiss; trifft sie
vielleicht selten zur schönen Stunde, und hätte mehr von
ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder
ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist
der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht
Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht
auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt
vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er
solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem
Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch
übertreffen; und man bedenkt nicht, dass das Buch die
Quintessenz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und dass
die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen
gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnoth
seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,
<!-- pb n="447 " facs="#f0475"/ --> 
und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen
glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag
besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber dieses kann
nicht zur Regel dienen.</p>

<p>Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden
hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen
Namen genannt und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich
bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch
ohne diess freundlich aufgenommen worden seyn. Millin ist
für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris
besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine grosse
Peripherie von Kenntnissen, die ächte französische
Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen
Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität.
Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen Zimmern
zu arbeiten und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn
oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf
der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und
eine beyspiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Dass in der
öffentlichen Gerechtigkeit grosse Lücken sind, ist bekannt,
und dass ihre gepriesene Freiheit täglich presshafter wird,
leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein
Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte hatte dem
Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen Russischen
Goldmünzen gemacht: der Werth muss beträchtlich gewesen
seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die
Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen
Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber
dess<!-- pb n="448 " facs="#f0476"/ -->wegen sind sie
nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach.
&mdash; Sie sind nicht da. &mdash; Aber sie sollten da seyn.
&mdash; Freylich. &mdash; Wer hat denn die Besorgung gehabt?
&mdash; Man schwieg. &mdash; Der Kommissär muss doch bekannt
seyn. Man antwortete nicht. &mdash; Warum untersucht man die
Sache nicht? &mdash; Man zuckte die Schultern. &mdash; Aber
das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit
und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu
fragen befugt ist. &mdash; Wenn die Herren an der Spitze,
sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn
müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen;
wer will es wagen? &mdash; Wagen, wagen! brummte ich; so so,
das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte
und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und
es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der
nur so eine Aeusserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist,
ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine
Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung
verirrt man sich, oder vielmehr sucht andere zu
verwirren.</p>

<p>In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und
Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem
chinesischen Werke. Ich liess mir den Plutarch von Sankt
Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen
zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir
sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von
Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich
alles vorgezogen ist. In der Kupferstich<!-- pb n="449 " facs="#f0477"/ -->sammlung 
hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von
Raphaels Psyche aus der Farnesine; aber sie gewährt kein
ausserordentlich grosses Vergnügen, wenn man das Original
noch in ganz frischem Andenken hat.</p>

<p>Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louver kam, war
zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen
Sammlung der Abgüsse und in Florenz bey der schönen Kopie
des Biondelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort
nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sey so im Original;
und das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte den
alten grossen Künstler eines Fehlers. Die Sache war, das
linke Bein, um welches sich an der Wade mit grosser Gewalt
die Schlange windet, war im Abguss und in der Marmorkopie
gar nicht eingedrückt. Ich weiss wohl, dass die grosse
Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern
muss: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und
auf dem Kunstwerk ist, musste mit ihrer ganzen Kraft der
Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier
sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war
an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte
die Stücke zusammen gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der
Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar.
Beym Abguss und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet
zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich
gemacht, als ob sie durch einen seidenen Strumpf gezogen
würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und
Beurtheilung; mir kommt
<!-- pb n="450 " facs="#f0478"/ -->
es vor, als ob die so verschönerte Wade desswegen
nicht schöner wäre.</p>

<p>Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre,
zum Nero dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl
für sich, dass Nero in dieser Gestalt existiert haben könne;
es kommt darauf an, dass man beweise, er sey es wirklich. Es
wäre Schade um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn
seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt
haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige
seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey, die hohen
Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf,
nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht
haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben,
den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die
Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen
könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige
Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und
vor allen die beyden Brutus, die man links am Fenster in ein
ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht
der Fall ist: denn die meisten Kunstwerke, selbst der
Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich
bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und
rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu
den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich
gestehe Dir meine Schwachheit, dass ich lieber
Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter den Idealen
finde ich mehr Portraite und Geschichte, als die Künstler
vielleicht zugestehen wollen.</p>

<!-- pb n="451 " facs="#f0479"/ -->
<p>Die Gemäldesammlung oben ist verhältnissmässig noch
reicher und kostbarer als der Antikensaal unten: ber die
Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch ehlerhafter.
Wenig Stücke, ausgenommen der grosse Vordersaal, haben ein
gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bey Madonna
Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter
den Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht
gesehen. Dafür war ich glücklich den Saal der Zeichnungen
offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, dass Schnorr nicht
mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen Element
gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle
Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner
Schule, mich däucht, fast so gross wie das Gemälde selbst.
Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige
wenige Veränderungen gemacht. Ich genoss und liess die
Andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates
und Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah ich
auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische
Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich
auch durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Dass die
eine Inschrift &#x0394;&#x03B5;&#x03C0;&#x03B1;&#x03C2;
heisst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die
Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des
Gegenstandes; denn man könnte aus den Zügen eben so gut
&#x039A;&#x03BF;&#x03F1;&#x03B1;&#x03F0;&#x03B1;&#x03C2; als
&#x03A0;&#x03B5;&#x03C0;&#x03B1;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;
machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch
nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine
Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluss
darüber.</p>

<!-- pb n="452 " facs="#f0480"/ -->
<p>Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris
so viel problematisches über seinen Charakter, dass mir die
Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem
kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht
ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir
leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich
hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was
ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll.
Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künstler
auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle.
Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines
Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches
Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und
ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die
Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der
weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des
Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese
Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt
entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die
Verwaisung seines Hauses. Diess ist nach meiner Meinung die
ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte
und kann, so viel ich weiss, nach der Geschichte nicht
darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die
Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols
Entre gezeigt werden. Ich weiss nicht ob David es nöthig
hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht
weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt,
weil mich sein Sohn führte. Es
<!-- pb n="453 " facs="#f0481"/ --> thut mir in seine und
jedes guten Franzosen Seele leid, dass die Kunst hier so
sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich,
da ich im Ganzen der Meinung der andern deutschen
Beurtheiler bin.</p>

<p>In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um
zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten,
als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles
unentgeltlich und überall war zuvorkommende Gefälligkeit: in
Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die
Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem
Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber
murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den
ehemaligen Zimmern des Königs dreyssig Sols; dafür war er
nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle
Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung
der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett
ist sehr artig und enthält mehrere Kuriositäten, muss aber
freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den
botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene
Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine
Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des
Erdbodens. Darunter stand auch noch das Kreuz, und mich
wundert, dass man es nach Abschliessung des Konkordats noch
nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst
durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf
den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und
es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr
durch Geschichtsbe<!-- pb n="454 " facs="#f0482"/ -->ziehung 
interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie
wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist
wohl wahrscheinlich, was man sagt, dass Bäume dabey sind,
die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben.
Die Parthien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön,
als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche
unstreitig von allen am meisten durch die Revolution
verloren haben und bey denen das monarchische Wesen
vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, dass
der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht
gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und
ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn
sie vom Grosskonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen
Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist
er absoluter und despotischer als irgend ein König von
Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglücklichen
Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.</p>

<p>Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen,
der der grossen Nation mit zehnfachem Wucher zurück giebt,
was die grosse Nation seine kleine seit langer Zeit hatte
empfinden lassen. Es war der vierzehnte July und ein grosses
Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm
herzog. Früh hielt er grosse Parade auf dem Hofe der
Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter
in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher
Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu
sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den
schönsten Männern, die man an Ei<!-- pb n="455 " facs="#f0483"/ -->nem 
Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir in den
französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will,
immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind
mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen
Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden.
Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber nur der
Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch
gethan. Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber
schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen
Mann sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser als
auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu
liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn
mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern
nur der Freund der Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit.
Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich
nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner
ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe
seinen Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und
politische Grösse nie verkannt. Problematisch ist er in
seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als
jemals, wenn man ihn nicht verdammen soll. Bis auf den Tag
von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen
Gränzen heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen
handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines
Republikaners gethan.</p>

<p>Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines
Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris thut, dachte
ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn
<!-- pb n="456 " facs="#f0484"/ --> nicht, dass er das
Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter
irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und
Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht,
dass er so viel als möglich in der wichtigen Periode das
Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte:
es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige
Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt
an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint.
Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern
alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend
etwas mehr für sich selbst zu thun, sondern alles für die
Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich
berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik
rückwärts. Land gewinnen heisst nicht die Republik
befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist,
den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie
fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe
für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm
die Macht in die Hände gelegt der grösste Mann der
Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht
Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen
Grossen auf gleichen Fuss. Er ist grösser als die Dionyse
und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt
sich ihren Ruhm. Dass er nicht sah, dass die Konstitution
die neue Republik zertrümmern würde und dem Despotismus die
Wege wieder bahnen, das lässt sich von seinem tiefen Blick
nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter
seyn. Ich habe wider
<!-- pb n="457 " facs="#f0485"/ --> das Konsulat nichts,
nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war
sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr
republikanisch. Ich gebe zu, dass die Dauer der römischen
Magistraturen von Einem Jahre zu kurz war, zumal bey der
Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer
Gesetze <span class="italic">de ambitu</span>; aber die
Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang.
Der letzte Stoss war, dass der alte Konsul wieder gewählt
werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast
gränzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müsste ein
Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher
Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich
wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel die Wahl
zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine
Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik
lebenslänglich seyn; wenn es aber die grossen sind, geht der
Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht
geglaubt, dass es so schnell gehen würde; aber auch dieses
zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die
Franzosen seyen zur Despotie gemacht, so kommen sie ihr
überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution
viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen
Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber
selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie
republikanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da
einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der
Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung
freylich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth
gepredigt worden, die
<!-- pb n="458 " facs="#f0486"/ --> man sich vorher nur sehr
leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen
seyn werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser
Ideen und der Missbrauch derselben geben den etwas
gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände.
Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar
weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine
haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist.
Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel
zugesehen und immer geglaubt und gehofft, dass aus dem wild
gährenden Chaos endlich noch etwas vernünftiges
hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freyheit
entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob
ich Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung,
dass eine grosse Republik nicht dauern könne. Wir haben an
der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer
gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich
halte dafür, dass in einer wohlgeordneten Republik am
meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine
Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist.
Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen
und hier nicht der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das
Grab der Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt
sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit,
oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man
klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Theil an
manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht
so leicht unbefangen aus einander gesetzt werde, und die
Beleuchtung Publicität ge<!-- pb n="459 " facs="#f0487"/ -->winne. 
In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem
einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug
gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder
einschleichen und festsetzen, und man arbeitete selbst
dadurch für sie, dass man auf der Gegenseite ohne Schonung
stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch
die freye Fischerey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz
skoptisch in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der
Polizey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel im
Lande allerhand Jagd. Muss man denn bey Abstellung der
Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frey geben? Oder ist
dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frey seyn. In
jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der
Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniss
haben das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den
Process gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner
Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in Frankreich
abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen;
denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach
meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freyheit und
Gerechtigkeit in einem Staate, dass der Staat durchaus nur
reine Besitzungen giebt und sichert und dafür reine
Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die
Rechtsverhältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller
Art aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Gesetz,
das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint:
dieses ist aber nicht weiter, als in so fern gar niemand ein
Eigenthumsrecht zum Nachtheil
<!-- pb n="460 " facs="#f0488"/ --> des Staats haben kann
und darf. Niemand darf nehmlich die Erlaubuiss haben seine
Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu
vergeben, sondern muss sie durchaus rein veräussern. Nur
durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der
Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle
Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen
aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem,
und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur
Sklaverey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln
Grundstücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre
Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl
schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu
viele Grundstücke hat, dass er sie nicht durch sich und
seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und
bestellen lassen kann; so hat er für den Staat in jeder
Rücksicht zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann
verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer
als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der
Bürger kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate:
und Bürger ist jeder, der nur einen Fuss Landes
besitzt. <span class="italic">In detrimentum
reipublicae</span> finden keine Besitzungen Statt. Es
versteht sich von selbst, dass dann alle Steuerkataster nach
der Regel Detri gemacht werden; und die erste Realimmunität
ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten
nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir
nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse,
nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich
<!-- pb n="461 " facs="#f0489"/ --> ist kein Gesetz, das den
belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist
voraus zu sehen.</p>

<p>Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf
Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur
Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allgemein
gefühlt: aber niemand hat die Macht dem Allmächtigen zu
widerstehen, der den Bayonetten befiehlt. Die Bayonette
sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und
die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis
auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung
militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit
gethan. Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit
spricht wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so
schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher
stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde
auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, dass vor
einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht
Schuld daran war dass die Esel keine Hörner haben, sich
höchlich freute, dass nun wenigstens ein Edelmann allein an
der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der
Mann muss in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele
gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen.
Man sagt, Kaprara habe schon auf Wiederherstellung der
Klöster angetragen, sey aber von Bonaparte zurück gewiesen
worden. Bonaparte müsste nicht der kluge Mann seyn, der er
ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder
mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muss. Es ist das Glück
des Adels und der Geistlichkeit, dass sie mit
Modificationen, in
<!-- pb n="462 " facs="#f0490"/ --> seine Zwecke gehören.
Wenns Noth thut, wird sich schon alles geben. Dass die
Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus
Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik
hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich
den Katholicismus zur Staatsreligion, das heisst zur
herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so
fort geht, dass man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft
nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde durch die
Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht überrascht; es
war seine Konsequenz: er war bey der Osterceremonie der
nehmliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest
anfing: Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!
Er dachte, <span class="italic">mundus vult</span>
&mdash; <span class="italic">ergo</span> &mdash;; aber das
Sprichwort ist wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, dass
er nicht so gedacht hätte. <span class="italic">Il est un
peu singe, mais il est comme il faut;</span> sagte der
geistliche Herr im Postwagen. Er ist dadurch von seiner
Grösse herab gestiegen. Man sagt, er habe sogar die Fahnen
weihen wollen, sey aber durch das Gemurmel der alten
Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die
Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und
Petersburg entschieden republikanische Massregeln nimmt,
gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung
verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegentheil muss
aus dem nehmlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich
gelten: man müsste denn in der Berechnung etwas höher gehen;
welches aber sodann jedem
Revolutionär <span class="italic">in utramque partem</span>
zu Statten kommen würde.</p>

<!-- pb n="463 " facs="#f0491"/ -->
<p>Jetzt lebt er einsam und misstrauisch, mehr als je ein
Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade;
der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint
selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im
Schauspiel in seiner Loge Reverbers nach allen Seiten haben,
die ihm alles zeigen ohne dass ihn jemand sieht. Bey andern
Massregeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige
Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein Name würde
in der Weltgeschichte die Grösse aller andern
niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder
wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür thut er auf den
kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht. Ich könnte
weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel
verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft
grossen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht.</p>

<p>Man sagt sich hier und da still und leise mehrere
Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des
ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen
Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die
Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer
Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die
er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabey bedeutend
sagte: <span class="italic">Citoyen, vous
entr</span>é<span class="italic">s ici dans la chambre d'un
tyran:</span> antwortete er mit schnellem
Scharfsinn: <span class="italic">S'il avoit</span>
été <span class="italic">tyran, il le serait encore</span>:
Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm
vorgestellt wurde, das Volk murre bey einigen seiner
Schritte, er möchte bedenken; erwiederte
er: <span class="italic">Le peuple n'est rien pour qui le
sait me<!-- pb n="464 " facs="#f0492"/ -->ner</span>. Dem
Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey jeder Gelegenheit
als einen flachen sehr subalternen Kopf darstellt, soll er
auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt
haben: <span class="italic">Si j'avois été roi en</span>
1790<span class="italic">, je le serois encore; et si
j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de
même</span>. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich
an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es
niemand, weil seine <span class="italic">lettres de
cachet</span> eben so sicher nach Bicetre führen als unter
den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das
lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr
unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein
angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann
war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht
wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey alles sehr gut,
aber jetzt nur noch etwas zu früh. Jedermann der etwas
weiter blickte, behauptete, es sey leider etwas zu spät. Das
Gesetzgebende Korps nennt man hier die Versammlung, durch
welche er Gesetze giebt. Als sein Kommissär, ich glaube
Reding, mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen
Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand;
sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er
bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern
geknackt und gesagt haben: <span class="italic">Ah je saurai
les attraper</span>. Das hat er gehalten. Er schmiedete
schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen
und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn.
Ueber die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber
sie ist geschehen.</p>

<p>Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen,
<!-- pb n="465 " facs="#f0493"/ -->
<span class="italic">le premier
consul</span>, <span class="italic">le grand
consul</span>, <span class="italic">le consul</span>
vorzugsweise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil
der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird
weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen
Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn
auch <span class="italic">Sa Majesté</span>, und ich stehe
nicht dafür, dass es nicht Ernst wird. Auch heisst er
ziemlich öffentlich
<span class="italic">empereur des Gaules</span>, vielleicht
die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die
Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf
Cäsar folgte August, und so weiter.</p>

<p>Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloss ein
Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem
Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen
gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und
that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst
gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen
feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe
den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und
vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere
Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe
Magistraturen der Republik, wie sie noch heisst, in ihrem
Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen,
denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul liess
sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich
fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber
nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht
über hundert Tausend, und kaum der hundertste Theil gab die
Ehrenbezeugung. Der
<!-- pb n="466 " facs="#f0494"/ --> Enthusiasmus war also
nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde
hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die
Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und
man sprach hier und da davon, dass die republikanischen
Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich.
Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die
Republik selbst.</p>

<p>Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder
anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe
ich weder Lust noch Zeit noch Kenntniss. Die bunte Scene
wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloss
der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern,
welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend
ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit.
Die Pressfreyheit ist hier verhältnissmässig eingeschränkter
als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe
jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen als
damals und Moliere könnte wieder
sagen: <span class="italic">Monsieur président ne veut pas,
qu'on le joue</span>. Die Dekaden sind durch das Konkordat
und die Einführung der römischen Religion nothwendig
geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch
rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten
Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen
Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den
Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als in
Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach
Belieben; in Dijon musste ich einigemal, sogar an der
Wirthstafel, zur Fasten mit der
<!-- pb n="467 " facs="#f0495"/ --> Gesellschaft
Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war
es einerley, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist
doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere
Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freylich noch keine
Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten
Namen der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder
ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast
gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie
die neuen Namen gar nicht wüssten; so sah mich ein sehr
wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in
die <span class="italic">rue de la loi</span> wollte, wiess
mich aber sehr höflich weiter, als ich
sie <span class="italic">rue de Richelieu</span> nannte. Das
Pantheon heisst wieder die heilige Genoveve, und wird höchst
wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob
sich alles so sanft wieder machen wird, weiss der Himmel.
Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen
Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder
eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten
schon überall von neuem mit ihren Anmasslichkeiten hervor
und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie
versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn
man die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben will.
Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische
Gerechtigkeit seyn: aber der Missbrauch kann weit führen.
Man erzählt viele Beyspiele, dass die französischen
Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Lasst
nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seyd
ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich
sonderbare Abhandlung in einem
<!-- pb n="468 " facs="#f0496"/ --> öffentlichen Blatte, wo
der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und
englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiss, ob das
Ganze Ernst oder Ironie war. Er liess den Britten wirklich
den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine
Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack.
Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die
Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich,
die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der
Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man
fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme
Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig
dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der
Herren von der Seine.</p>

<p>Die Polizey ist im Allgemeinen ausserordentlich liberal,
wenn man sich nur nicht beygehen lässt, sich mit Politik zu
bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das
alte Schibolet zu brauchen,
<span class="italic">panem et circenses</span>. Wenn ich in
irgend einer grossen Stadt zu leben mich entschliessen
könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr
als eine andere Nation dafür gesorgt, dass man in der
Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien,
die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der
botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere
andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die
man durchaus in keiner andern grossen Stadt so trifft. Eine
meiner sentimentalen Morgenpromenaden war die Wachparade der
Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender
ge<!-- pb n="469 " facs="#f0497"/ -->wesen, als diese
ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für
sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die
Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer
Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füsse so
fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine
Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben
vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit gefochten zu
haben und verstümmelt zu seyn.</p>

<p>Morgen will ich zu Fusse fort, und bin eben bloss aus
Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewesen: denn man
weiss doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz
haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatte mir gleich
beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müsste mich mit
meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von
Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die
Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will;
ich weiss nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis
hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an
der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte
übrigens kein Wort, dass ich etwas zu thun hätte. Wenn mich
die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen
lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen
oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand.
Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier,
der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich
an, besahe mich und den Pass und sagte sehr freundlich, ohne
ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie
<!-- pb n="470 " facs="#f0498"/ --> reisen so ab, wenn Sie
wollen. &mdash; Der Pass war noch der Preussische von Rom
aus. &mdash; Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Luchesini
wollen vidieren lassen, das können Sie thun; aber nöthig
ists nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen
thue ich nicht gern mehr als ich muss; ich ging also nicht
zu dem Gesandten.</p>

</div> <!-- chapter -->

</body>
</html>