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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin +nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder +fertig abzusegeln.</p> + +<p>Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein +Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs +Dreyer. Ich habe nicht das Introduktionstalent und im +Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten grossen +Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die +ihrige und ist des Willkommens selten gewiss; trifft sie +vielleicht selten zur schönen Stunde, und hätte mehr von +ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder +ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist +der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht +Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht +auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt +vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er +solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem +Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch +übertreffen; und man bedenkt nicht, dass das Buch die +Quintessenz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und dass +die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen +gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnoth +seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam, +<!-- pb n="447 " facs="#f0475"/ --> +und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen +glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag +besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber dieses kann +nicht zur Regel dienen.</p> + +<p>Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden +hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen +Namen genannt und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich +bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch +ohne diess freundlich aufgenommen worden seyn. Millin ist +für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris +besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine grosse +Peripherie von Kenntnissen, die ächte französische +Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen +Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität. +Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen Zimmern +zu arbeiten und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn +oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf +der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und +eine beyspiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Dass in der +öffentlichen Gerechtigkeit grosse Lücken sind, ist bekannt, +und dass ihre gepriesene Freiheit täglich presshafter wird, +leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein +Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte hatte dem +Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen Russischen +Goldmünzen gemacht: der Werth muss beträchtlich gewesen +seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die +Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen +Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber +dess<!-- pb n="448 " facs="#f0476"/ -->wegen sind sie +nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. +— Sie sind nicht da. — Aber sie sollten da seyn. +— Freylich. — Wer hat denn die Besorgung gehabt? +— Man schwieg. — Der Kommissär muss doch bekannt +seyn. Man antwortete nicht. — Warum untersucht man die +Sache nicht? — Man zuckte die Schultern. — Aber +das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit +und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu +fragen befugt ist. — Wenn die Herren an der Spitze, +sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn +müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen; +wer will es wagen? — Wagen, wagen! brummte ich; so so, +das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte +und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und +es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der +nur so eine Aeusserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, +ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine +Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung +verirrt man sich, oder vielmehr sucht andere zu +verwirren.</p> + +<p>In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und +Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem +chinesischen Werke. Ich liess mir den Plutarch von Sankt +Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen +zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir +sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von +Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich +alles vorgezogen ist. In der Kupferstich<!-- pb n="449 " facs="#f0477"/ -->sammlung +hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von +Raphaels Psyche aus der Farnesine; aber sie gewährt kein +ausserordentlich grosses Vergnügen, wenn man das Original +noch in ganz frischem Andenken hat.</p> + +<p>Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louver kam, war +zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen +Sammlung der Abgüsse und in Florenz bey der schönen Kopie +des Biondelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort +nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sey so im Original; +und das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte den +alten grossen Künstler eines Fehlers. Die Sache war, das +linke Bein, um welches sich an der Wade mit grosser Gewalt +die Schlange windet, war im Abguss und in der Marmorkopie +gar nicht eingedrückt. Ich weiss wohl, dass die grosse +Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern +muss: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und +auf dem Kunstwerk ist, musste mit ihrer ganzen Kraft der +Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier +sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war +an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte +die Stücke zusammen gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der +Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. +Beym Abguss und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet +zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich +gemacht, als ob sie durch einen seidenen Strumpf gezogen +würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und +Beurtheilung; mir kommt +<!-- pb n="450 " facs="#f0478"/ --> +es vor, als ob die so verschönerte Wade desswegen +nicht schöner wäre.</p> + +<p>Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, +zum Nero dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl +für sich, dass Nero in dieser Gestalt existiert haben könne; +es kommt darauf an, dass man beweise, er sey es wirklich. Es +wäre Schade um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn +seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt +haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige +seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey, die hohen +Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf, +nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht +haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben, +den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die +Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen +könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige +Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und +vor allen die beyden Brutus, die man links am Fenster in ein +ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht +der Fall ist: denn die meisten Kunstwerke, selbst der +Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich +bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und +rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu +den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich +gestehe Dir meine Schwachheit, dass ich lieber +Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter den Idealen +finde ich mehr Portraite und Geschichte, als die Künstler +vielleicht zugestehen wollen.</p> + +<!-- pb n="451 " facs="#f0479"/ --> +<p>Die Gemäldesammlung oben ist verhältnissmässig noch +reicher und kostbarer als der Antikensaal unten: ber die +Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch ehlerhafter. +Wenig Stücke, ausgenommen der grosse Vordersaal, haben ein +gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bey Madonna +Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter +den Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht +gesehen. Dafür war ich glücklich den Saal der Zeichnungen +offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, dass Schnorr nicht +mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen Element +gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle +Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner +Schule, mich däucht, fast so gross wie das Gemälde selbst. +Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige +wenige Veränderungen gemacht. Ich genoss und liess die +Andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates +und Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah ich +auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische +Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich +auch durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Dass die +eine Inschrift Δεπας +heisst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die +Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des +Gegenstandes; denn man könnte aus den Zügen eben so gut +Κοϱαϰας als +Πεπαυσο +machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch +nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine +Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluss +darüber.</p> + +<!-- pb n="452 " facs="#f0480"/ --> +<p>Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris +so viel problematisches über seinen Charakter, dass mir die +Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem +kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht +ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir +leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich +hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was +ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll. +Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künstler +auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle. +Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines +Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches +Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und +ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die +Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der +weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des +Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese +Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt +entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die +Verwaisung seines Hauses. Diess ist nach meiner Meinung die +ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte +und kann, so viel ich weiss, nach der Geschichte nicht +darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die +Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols +Entre gezeigt werden. Ich weiss nicht ob David es nöthig +hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht +weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt, +weil mich sein Sohn führte. Es +<!-- pb n="453 " facs="#f0481"/ --> thut mir in seine und +jedes guten Franzosen Seele leid, dass die Kunst hier so +sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich, +da ich im Ganzen der Meinung der andern deutschen +Beurtheiler bin.</p> + +<p>In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um +zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten, +als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles +unentgeltlich und überall war zuvorkommende Gefälligkeit: in +Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die +Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem +Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber +murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den +ehemaligen Zimmern des Königs dreyssig Sols; dafür war er +nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle +Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung +der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett +ist sehr artig und enthält mehrere Kuriositäten, muss aber +freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den +botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene +Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine +Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des +Erdbodens. Darunter stand auch noch das Kreuz, und mich +wundert, dass man es nach Abschliessung des Konkordats noch +nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst +durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf +den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und +es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr +durch Geschichtsbe<!-- pb n="454 " facs="#f0482"/ -->ziehung +interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie +wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist +wohl wahrscheinlich, was man sagt, dass Bäume dabey sind, +die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben. +Die Parthien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön, +als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche +unstreitig von allen am meisten durch die Revolution +verloren haben und bey denen das monarchische Wesen +vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, dass +der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht +gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und +ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn +sie vom Grosskonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen +Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist +er absoluter und despotischer als irgend ein König von +Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglücklichen +Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.</p> + +<p>Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, +der der grossen Nation mit zehnfachem Wucher zurück giebt, +was die grosse Nation seine kleine seit langer Zeit hatte +empfinden lassen. Es war der vierzehnte July und ein grosses +Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm +herzog. Früh hielt er grosse Parade auf dem Hofe der +Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter +in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher +Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu +sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den +schönsten Männern, die man an Ei<!-- pb n="455 " facs="#f0483"/ -->nem +Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir in den +französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will, +immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind +mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen +Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden. +Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber nur der +Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch +gethan. Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber +schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen +Mann sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser als +auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu +liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn +mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern +nur der Freund der Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit. +Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich +nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner +ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe +seinen Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und +politische Grösse nie verkannt. Problematisch ist er in +seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als +jemals, wenn man ihn nicht verdammen soll. Bis auf den Tag +von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen +Gränzen heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen +handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines +Republikaners gethan.</p> + +<p>Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines +Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris thut, dachte +ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn +<!-- pb n="456 " facs="#f0484"/ --> nicht, dass er das +Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter +irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und +Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, +dass er so viel als möglich in der wichtigen Periode das +Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: +es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige +Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt +an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. +Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern +alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend +etwas mehr für sich selbst zu thun, sondern alles für die +Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich +berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik +rückwärts. Land gewinnen heisst nicht die Republik +befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, +den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie +fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe +für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm +die Macht in die Hände gelegt der grösste Mann der +Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht +Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen +Grossen auf gleichen Fuss. Er ist grösser als die Dionyse +und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt +sich ihren Ruhm. Dass er nicht sah, dass die Konstitution +die neue Republik zertrümmern würde und dem Despotismus die +Wege wieder bahnen, das lässt sich von seinem tiefen Blick +nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter +seyn. Ich habe wider +<!-- pb n="457 " facs="#f0485"/ --> das Konsulat nichts, +nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war +sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr +republikanisch. Ich gebe zu, dass die Dauer der römischen +Magistraturen von Einem Jahre zu kurz war, zumal bey der +Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer +Gesetze <span class="italic">de ambitu</span>; aber die +Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. +Der letzte Stoss war, dass der alte Konsul wieder gewählt +werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast +gränzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müsste ein +Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher +Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich +wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel die Wahl +zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine +Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik +lebenslänglich seyn; wenn es aber die grossen sind, geht der +Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht +geglaubt, dass es so schnell gehen würde; aber auch dieses +zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die +Franzosen seyen zur Despotie gemacht, so kommen sie ihr +überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution +viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen +Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber +selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie +republikanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da +einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der +Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung +freylich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth +gepredigt worden, die +<!-- pb n="458 " facs="#f0486"/ --> man sich vorher nur sehr +leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen +seyn werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser +Ideen und der Missbrauch derselben geben den etwas +gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. +Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar +weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine +haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist. +Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel +zugesehen und immer geglaubt und gehofft, dass aus dem wild +gährenden Chaos endlich noch etwas vernünftiges +hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freyheit +entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob +ich Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, +dass eine grosse Republik nicht dauern könne. Wir haben an +der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer +gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich +halte dafür, dass in einer wohlgeordneten Republik am +meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine +Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. +Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen +und hier nicht der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das +Grab der Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt +sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, +oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man +klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Theil an +manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht +so leicht unbefangen aus einander gesetzt werde, und die +Beleuchtung Publicität ge<!-- pb n="459 " facs="#f0487"/ -->winne. +In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem +einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug +gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder +einschleichen und festsetzen, und man arbeitete selbst +dadurch für sie, dass man auf der Gegenseite ohne Schonung +stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch +die freye Fischerey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz +skoptisch in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der +Polizey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel im +Lande allerhand Jagd. Muss man denn bey Abstellung der +Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frey geben? Oder ist +dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frey seyn. In +jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der +Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniss +haben das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den +Process gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner +Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in Frankreich +abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen; +denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach +meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freyheit und +Gerechtigkeit in einem Staate, dass der Staat durchaus nur +reine Besitzungen giebt und sichert und dafür reine +Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die +Rechtsverhältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller +Art aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Gesetz, +das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint: +dieses ist aber nicht weiter, als in so fern gar niemand ein +Eigenthumsrecht zum Nachtheil +<!-- pb n="460 " facs="#f0488"/ --> des Staats haben kann +und darf. Niemand darf nehmlich die Erlaubuiss haben seine +Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu +vergeben, sondern muss sie durchaus rein veräussern. Nur +durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der +Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle +Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen +aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem, +und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur +Sklaverey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln +Grundstücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre +Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl +schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu +viele Grundstücke hat, dass er sie nicht durch sich und +seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und +bestellen lassen kann; so hat er für den Staat in jeder +Rücksicht zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann +verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer +als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der +Bürger kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate: +und Bürger ist jeder, der nur einen Fuss Landes +besitzt. <span class="italic">In detrimentum +reipublicae</span> finden keine Besitzungen Statt. Es +versteht sich von selbst, dass dann alle Steuerkataster nach +der Regel Detri gemacht werden; und die erste Realimmunität +ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten +nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir +nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, +nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich +<!-- pb n="461 " facs="#f0489"/ --> ist kein Gesetz, das den +belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist +voraus zu sehen.</p> + +<p>Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf +Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur +Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allgemein +gefühlt: aber niemand hat die Macht dem Allmächtigen zu +widerstehen, der den Bayonetten befiehlt. Die Bayonette +sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und +die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis +auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung +militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit +gethan. Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit +spricht wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so +schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher +stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde +auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, dass vor +einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht +Schuld daran war dass die Esel keine Hörner haben, sich +höchlich freute, dass nun wenigstens ein Edelmann allein an +der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der +Mann muss in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele +gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen. +Man sagt, Kaprara habe schon auf Wiederherstellung der +Klöster angetragen, sey aber von Bonaparte zurück gewiesen +worden. Bonaparte müsste nicht der kluge Mann seyn, der er +ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder +mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muss. Es ist das Glück +des Adels und der Geistlichkeit, dass sie mit +Modificationen, in +<!-- pb n="462 " facs="#f0490"/ --> seine Zwecke gehören. +Wenns Noth thut, wird sich schon alles geben. Dass die +Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus +Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik +hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich +den Katholicismus zur Staatsreligion, das heisst zur +herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so +fort geht, dass man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft +nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde durch die +Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht überrascht; es +war seine Konsequenz: er war bey der Osterceremonie der +nehmliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest +anfing: Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat! +Er dachte, <span class="italic">mundus vult</span> +— <span class="italic">ergo</span> —; aber das +Sprichwort ist wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, dass +er nicht so gedacht hätte. <span class="italic">Il est un +peu singe, mais il est comme il faut;</span> sagte der +geistliche Herr im Postwagen. Er ist dadurch von seiner +Grösse herab gestiegen. Man sagt, er habe sogar die Fahnen +weihen wollen, sey aber durch das Gemurmel der alten +Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die +Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und +Petersburg entschieden republikanische Massregeln nimmt, +gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung +verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegentheil muss +aus dem nehmlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich +gelten: man müsste denn in der Berechnung etwas höher gehen; +welches aber sodann jedem +Revolutionär <span class="italic">in utramque partem</span> +zu Statten kommen würde.</p> + +<!-- pb n="463 " facs="#f0491"/ --> +<p>Jetzt lebt er einsam und misstrauisch, mehr als je ein +Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade; +der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint +selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im +Schauspiel in seiner Loge Reverbers nach allen Seiten haben, +die ihm alles zeigen ohne dass ihn jemand sieht. Bey andern +Massregeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige +Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein Name würde +in der Weltgeschichte die Grösse aller andern +niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder +wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür thut er auf den +kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht. Ich könnte +weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel +verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft +grossen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht.</p> + +<p>Man sagt sich hier und da still und leise mehrere +Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des +ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen +Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die +Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer +Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die +er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabey bedeutend +sagte: <span class="italic">Citoyen, vous +entr</span>é<span class="italic">s ici dans la chambre d'un +tyran:</span> antwortete er mit schnellem +Scharfsinn: <span class="italic">S'il avoit</span> +été <span class="italic">tyran, il le serait encore</span>: +Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm +vorgestellt wurde, das Volk murre bey einigen seiner +Schritte, er möchte bedenken; erwiederte +er: <span class="italic">Le peuple n'est rien pour qui le +sait me<!-- pb n="464 " facs="#f0492"/ -->ner</span>. Dem +Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey jeder Gelegenheit +als einen flachen sehr subalternen Kopf darstellt, soll er +auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt +haben: <span class="italic">Si j'avois été roi en</span> +1790<span class="italic">, je le serois encore; et si +j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de +même</span>. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich +an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es +niemand, weil seine <span class="italic">lettres de +cachet</span> eben so sicher nach Bicetre führen als unter +den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das +lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr +unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein +angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann +war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht +wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey alles sehr gut, +aber jetzt nur noch etwas zu früh. Jedermann der etwas +weiter blickte, behauptete, es sey leider etwas zu spät. Das +Gesetzgebende Korps nennt man hier die Versammlung, durch +welche er Gesetze giebt. Als sein Kommissär, ich glaube +Reding, mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen +Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand; +sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er +bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern +geknackt und gesagt haben: <span class="italic">Ah je saurai +les attraper</span>. Das hat er gehalten. Er schmiedete +schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen +und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn. +Ueber die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber +sie ist geschehen.</p> + +<p>Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, +<!-- pb n="465 " facs="#f0493"/ --> +<span class="italic">le premier +consul</span>, <span class="italic">le grand +consul</span>, <span class="italic">le consul</span> +vorzugsweise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil +der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird +weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen +Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn +auch <span class="italic">Sa Majesté</span>, und ich stehe +nicht dafür, dass es nicht Ernst wird. Auch heisst er +ziemlich öffentlich +<span class="italic">empereur des Gaules</span>, vielleicht +die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die +Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf +Cäsar folgte August, und so weiter.</p> + +<p>Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloss ein +Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem +Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen +gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und +that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst +gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen +feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe +den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und +vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere +Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe +Magistraturen der Republik, wie sie noch heisst, in ihrem +Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, +denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul liess +sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich +fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber +nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht +über hundert Tausend, und kaum der hundertste Theil gab die +Ehrenbezeugung. Der +<!-- pb n="466 " facs="#f0494"/ --> Enthusiasmus war also +nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde +hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die +Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und +man sprach hier und da davon, dass die republikanischen +Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich. +Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die +Republik selbst.</p> + +<p>Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder +anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe +ich weder Lust noch Zeit noch Kenntniss. Die bunte Scene +wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloss +der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern, +welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend +ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit. +Die Pressfreyheit ist hier verhältnissmässig eingeschränkter +als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe +jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen als +damals und Moliere könnte wieder +sagen: <span class="italic">Monsieur président ne veut pas, +qu'on le joue</span>. Die Dekaden sind durch das Konkordat +und die Einführung der römischen Religion nothwendig +geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch +rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten +Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen +Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den +Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als in +Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach +Belieben; in Dijon musste ich einigemal, sogar an der +Wirthstafel, zur Fasten mit der +<!-- pb n="467 " facs="#f0495"/ --> Gesellschaft +Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war +es einerley, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist +doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere +Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freylich noch keine +Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten +Namen der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder +ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast +gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie +die neuen Namen gar nicht wüssten; so sah mich ein sehr +wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in +die <span class="italic">rue de la loi</span> wollte, wiess +mich aber sehr höflich weiter, als ich +sie <span class="italic">rue de Richelieu</span> nannte. Das +Pantheon heisst wieder die heilige Genoveve, und wird höchst +wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob +sich alles so sanft wieder machen wird, weiss der Himmel. +Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen +Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder +eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten +schon überall von neuem mit ihren Anmasslichkeiten hervor +und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie +versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn +man die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben will. +Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische +Gerechtigkeit seyn: aber der Missbrauch kann weit führen. +Man erzählt viele Beyspiele, dass die französischen +Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Lasst +nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seyd +ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich +sonderbare Abhandlung in einem +<!-- pb n="468 " facs="#f0496"/ --> öffentlichen Blatte, wo +der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und +englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiss, ob das +Ganze Ernst oder Ironie war. Er liess den Britten wirklich +den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine +Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. +Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die +Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, +die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der +Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man +fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme +Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig +dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der +Herren von der Seine.</p> + +<p>Die Polizey ist im Allgemeinen ausserordentlich liberal, +wenn man sich nur nicht beygehen lässt, sich mit Politik zu +bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das +alte Schibolet zu brauchen, +<span class="italic">panem et circenses</span>. Wenn ich in +irgend einer grossen Stadt zu leben mich entschliessen +könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr +als eine andere Nation dafür gesorgt, dass man in der +Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, +die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der +botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere +andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die +man durchaus in keiner andern grossen Stadt so trifft. Eine +meiner sentimentalen Morgenpromenaden war die Wachparade der +Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender +ge<!-- pb n="469 " facs="#f0497"/ -->wesen, als diese +ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für +sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die +Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer +Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füsse so +fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine +Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben +vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit gefochten zu +haben und verstümmelt zu seyn.</p> + +<p>Morgen will ich zu Fusse fort, und bin eben bloss aus +Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewesen: denn man +weiss doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz +haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatte mir gleich +beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müsste mich mit +meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von +Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die +Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; +ich weiss nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis +hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an +der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte +übrigens kein Wort, dass ich etwas zu thun hätte. Wenn mich +die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen +lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen +oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand. +Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier, +der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich +an, besahe mich und den Pass und sagte sehr freundlich, ohne +ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie +<!-- pb n="470 " facs="#f0498"/ --> reisen so ab, wenn Sie +wollen. — Der Pass war noch der Preussische von Rom +aus. — Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Luchesini +wollen vidieren lassen, das können Sie thun; aber nöthig +ists nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen +thue ich nicht gern mehr als ich muss; ich ging also nicht +zu dem Gesandten.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |