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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
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+
+<!-- pb n="[446]" facs="#f0474"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Paris2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Paris</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">E</span>s würde anmasslich seyn,
+wenn ich Dir eine grosse Abhandlung über Paris schreiben
+wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein
+Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin
+nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder
+fertig abzusegeln.</p>
+
+<p>Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein
+Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs
+Dreyer. Ich habe nicht das Introduktionstalent und im
+Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten grossen
+Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die
+ihrige und ist des Willkommens selten gewiss; trifft sie
+vielleicht selten zur schönen Stunde, und hätte mehr von
+ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder
+ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist
+der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht
+Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht
+auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt
+vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er
+solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem
+Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch
+übertreffen; und man bedenkt nicht, dass das Buch die
+Quintessenz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und dass
+die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen
+gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnoth
+seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,
+<!-- pb n="447 " facs="#f0475"/ -->
+und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen
+glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag
+besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber dieses kann
+nicht zur Regel dienen.</p>
+
+<p>Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden
+hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen
+Namen genannt und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich
+bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch
+ohne diess freundlich aufgenommen worden seyn. Millin ist
+für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris
+besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine grosse
+Peripherie von Kenntnissen, die ächte französische
+Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen
+Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität.
+Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen Zimmern
+zu arbeiten und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn
+oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf
+der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und
+eine beyspiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Dass in der
+öffentlichen Gerechtigkeit grosse Lücken sind, ist bekannt,
+und dass ihre gepriesene Freiheit täglich presshafter wird,
+leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein
+Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte hatte dem
+Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen Russischen
+Goldmünzen gemacht: der Werth muss beträchtlich gewesen
+seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die
+Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen
+Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber
+dess<!-- pb n="448 " facs="#f0476"/ -->wegen sind sie
+nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach.
+&mdash; Sie sind nicht da. &mdash; Aber sie sollten da seyn.
+&mdash; Freylich. &mdash; Wer hat denn die Besorgung gehabt?
+&mdash; Man schwieg. &mdash; Der Kommissär muss doch bekannt
+seyn. Man antwortete nicht. &mdash; Warum untersucht man die
+Sache nicht? &mdash; Man zuckte die Schultern. &mdash; Aber
+das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit
+und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu
+fragen befugt ist. &mdash; Wenn die Herren an der Spitze,
+sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn
+müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen;
+wer will es wagen? &mdash; Wagen, wagen! brummte ich; so so,
+das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte
+und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und
+es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der
+nur so eine Aeusserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist,
+ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine
+Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung
+verirrt man sich, oder vielmehr sucht andere zu
+verwirren.</p>
+
+<p>In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und
+Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem
+chinesischen Werke. Ich liess mir den Plutarch von Sankt
+Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen
+zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir
+sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von
+Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich
+alles vorgezogen ist. In der Kupferstich<!-- pb n="449 " facs="#f0477"/ -->sammlung
+hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von
+Raphaels Psyche aus der Farnesine; aber sie gewährt kein
+ausserordentlich grosses Vergnügen, wenn man das Original
+noch in ganz frischem Andenken hat.</p>
+
+<p>Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louver kam, war
+zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen
+Sammlung der Abgüsse und in Florenz bey der schönen Kopie
+des Biondelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort
+nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sey so im Original;
+und das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte den
+alten grossen Künstler eines Fehlers. Die Sache war, das
+linke Bein, um welches sich an der Wade mit grosser Gewalt
+die Schlange windet, war im Abguss und in der Marmorkopie
+gar nicht eingedrückt. Ich weiss wohl, dass die grosse
+Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern
+muss: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und
+auf dem Kunstwerk ist, musste mit ihrer ganzen Kraft der
+Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier
+sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war
+an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte
+die Stücke zusammen gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der
+Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar.
+Beym Abguss und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet
+zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich
+gemacht, als ob sie durch einen seidenen Strumpf gezogen
+würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und
+Beurtheilung; mir kommt
+<!-- pb n="450 " facs="#f0478"/ -->
+es vor, als ob die so verschönerte Wade desswegen
+nicht schöner wäre.</p>
+
+<p>Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre,
+zum Nero dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl
+für sich, dass Nero in dieser Gestalt existiert haben könne;
+es kommt darauf an, dass man beweise, er sey es wirklich. Es
+wäre Schade um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn
+seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt
+haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige
+seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey, die hohen
+Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf,
+nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht
+haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben,
+den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die
+Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen
+könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige
+Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und
+vor allen die beyden Brutus, die man links am Fenster in ein
+ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht
+der Fall ist: denn die meisten Kunstwerke, selbst der
+Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich
+bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und
+rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu
+den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich
+gestehe Dir meine Schwachheit, dass ich lieber
+Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter den Idealen
+finde ich mehr Portraite und Geschichte, als die Künstler
+vielleicht zugestehen wollen.</p>
+
+<!-- pb n="451 " facs="#f0479"/ -->
+<p>Die Gemäldesammlung oben ist verhältnissmässig noch
+reicher und kostbarer als der Antikensaal unten: ber die
+Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch ehlerhafter.
+Wenig Stücke, ausgenommen der grosse Vordersaal, haben ein
+gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bey Madonna
+Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter
+den Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht
+gesehen. Dafür war ich glücklich den Saal der Zeichnungen
+offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, dass Schnorr nicht
+mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen Element
+gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle
+Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner
+Schule, mich däucht, fast so gross wie das Gemälde selbst.
+Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige
+wenige Veränderungen gemacht. Ich genoss und liess die
+Andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates
+und Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah ich
+auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische
+Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich
+auch durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Dass die
+eine Inschrift &#x0394;&#x03B5;&#x03C0;&#x03B1;&#x03C2;
+heisst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die
+Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des
+Gegenstandes; denn man könnte aus den Zügen eben so gut
+&#x039A;&#x03BF;&#x03F1;&#x03B1;&#x03F0;&#x03B1;&#x03C2; als
+&#x03A0;&#x03B5;&#x03C0;&#x03B1;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;
+machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch
+nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine
+Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluss
+darüber.</p>
+
+<!-- pb n="452 " facs="#f0480"/ -->
+<p>Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris
+so viel problematisches über seinen Charakter, dass mir die
+Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem
+kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht
+ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir
+leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich
+hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was
+ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll.
+Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künstler
+auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle.
+Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines
+Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches
+Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und
+ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die
+Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der
+weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des
+Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese
+Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt
+entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die
+Verwaisung seines Hauses. Diess ist nach meiner Meinung die
+ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte
+und kann, so viel ich weiss, nach der Geschichte nicht
+darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die
+Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols
+Entre gezeigt werden. Ich weiss nicht ob David es nöthig
+hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht
+weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt,
+weil mich sein Sohn führte. Es
+<!-- pb n="453 " facs="#f0481"/ --> thut mir in seine und
+jedes guten Franzosen Seele leid, dass die Kunst hier so
+sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich,
+da ich im Ganzen der Meinung der andern deutschen
+Beurtheiler bin.</p>
+
+<p>In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um
+zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten,
+als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles
+unentgeltlich und überall war zuvorkommende Gefälligkeit: in
+Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die
+Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem
+Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber
+murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den
+ehemaligen Zimmern des Königs dreyssig Sols; dafür war er
+nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle
+Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung
+der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett
+ist sehr artig und enthält mehrere Kuriositäten, muss aber
+freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den
+botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene
+Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine
+Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des
+Erdbodens. Darunter stand auch noch das Kreuz, und mich
+wundert, dass man es nach Abschliessung des Konkordats noch
+nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst
+durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf
+den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und
+es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr
+durch Geschichtsbe<!-- pb n="454 " facs="#f0482"/ -->ziehung
+interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie
+wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist
+wohl wahrscheinlich, was man sagt, dass Bäume dabey sind,
+die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben.
+Die Parthien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön,
+als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche
+unstreitig von allen am meisten durch die Revolution
+verloren haben und bey denen das monarchische Wesen
+vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, dass
+der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht
+gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und
+ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn
+sie vom Grosskonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen
+Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist
+er absoluter und despotischer als irgend ein König von
+Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglücklichen
+Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.</p>
+
+<p>Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen,
+der der grossen Nation mit zehnfachem Wucher zurück giebt,
+was die grosse Nation seine kleine seit langer Zeit hatte
+empfinden lassen. Es war der vierzehnte July und ein grosses
+Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm
+herzog. Früh hielt er grosse Parade auf dem Hofe der
+Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter
+in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher
+Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu
+sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den
+schönsten Männern, die man an Ei<!-- pb n="455 " facs="#f0483"/ -->nem
+Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir in den
+französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will,
+immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind
+mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen
+Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden.
+Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber nur der
+Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch
+gethan. Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber
+schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen
+Mann sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser als
+auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu
+liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn
+mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern
+nur der Freund der Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit.
+Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich
+nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner
+ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe
+seinen Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und
+politische Grösse nie verkannt. Problematisch ist er in
+seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als
+jemals, wenn man ihn nicht verdammen soll. Bis auf den Tag
+von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen
+Gränzen heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen
+handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines
+Republikaners gethan.</p>
+
+<p>Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines
+Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris thut, dachte
+ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn
+<!-- pb n="456 " facs="#f0484"/ --> nicht, dass er das
+Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter
+irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und
+Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht,
+dass er so viel als möglich in der wichtigen Periode das
+Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte:
+es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige
+Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt
+an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint.
+Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern
+alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend
+etwas mehr für sich selbst zu thun, sondern alles für die
+Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich
+berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik
+rückwärts. Land gewinnen heisst nicht die Republik
+befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist,
+den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie
+fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe
+für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm
+die Macht in die Hände gelegt der grösste Mann der
+Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht
+Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen
+Grossen auf gleichen Fuss. Er ist grösser als die Dionyse
+und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt
+sich ihren Ruhm. Dass er nicht sah, dass die Konstitution
+die neue Republik zertrümmern würde und dem Despotismus die
+Wege wieder bahnen, das lässt sich von seinem tiefen Blick
+nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter
+seyn. Ich habe wider
+<!-- pb n="457 " facs="#f0485"/ --> das Konsulat nichts,
+nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war
+sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr
+republikanisch. Ich gebe zu, dass die Dauer der römischen
+Magistraturen von Einem Jahre zu kurz war, zumal bey der
+Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer
+Gesetze <span class="italic">de ambitu</span>; aber die
+Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang.
+Der letzte Stoss war, dass der alte Konsul wieder gewählt
+werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast
+gränzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müsste ein
+Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher
+Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich
+wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel die Wahl
+zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine
+Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik
+lebenslänglich seyn; wenn es aber die grossen sind, geht der
+Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht
+geglaubt, dass es so schnell gehen würde; aber auch dieses
+zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die
+Franzosen seyen zur Despotie gemacht, so kommen sie ihr
+überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution
+viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen
+Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber
+selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie
+republikanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da
+einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der
+Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung
+freylich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth
+gepredigt worden, die
+<!-- pb n="458 " facs="#f0486"/ --> man sich vorher nur sehr
+leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen
+seyn werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser
+Ideen und der Missbrauch derselben geben den etwas
+gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände.
+Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar
+weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine
+haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist.
+Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel
+zugesehen und immer geglaubt und gehofft, dass aus dem wild
+gährenden Chaos endlich noch etwas vernünftiges
+hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freyheit
+entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob
+ich Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung,
+dass eine grosse Republik nicht dauern könne. Wir haben an
+der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer
+gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich
+halte dafür, dass in einer wohlgeordneten Republik am
+meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine
+Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist.
+Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen
+und hier nicht der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das
+Grab der Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt
+sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit,
+oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man
+klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Theil an
+manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht
+so leicht unbefangen aus einander gesetzt werde, und die
+Beleuchtung Publicität ge<!-- pb n="459 " facs="#f0487"/ -->winne.
+In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem
+einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug
+gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder
+einschleichen und festsetzen, und man arbeitete selbst
+dadurch für sie, dass man auf der Gegenseite ohne Schonung
+stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch
+die freye Fischerey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz
+skoptisch in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der
+Polizey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel im
+Lande allerhand Jagd. Muss man denn bey Abstellung der
+Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frey geben? Oder ist
+dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frey seyn. In
+jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der
+Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniss
+haben das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den
+Process gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner
+Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in Frankreich
+abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen;
+denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach
+meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freyheit und
+Gerechtigkeit in einem Staate, dass der Staat durchaus nur
+reine Besitzungen giebt und sichert und dafür reine
+Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die
+Rechtsverhältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller
+Art aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Gesetz,
+das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint:
+dieses ist aber nicht weiter, als in so fern gar niemand ein
+Eigenthumsrecht zum Nachtheil
+<!-- pb n="460 " facs="#f0488"/ --> des Staats haben kann
+und darf. Niemand darf nehmlich die Erlaubuiss haben seine
+Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu
+vergeben, sondern muss sie durchaus rein veräussern. Nur
+durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der
+Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle
+Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen
+aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem,
+und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur
+Sklaverey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln
+Grundstücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre
+Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl
+schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu
+viele Grundstücke hat, dass er sie nicht durch sich und
+seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und
+bestellen lassen kann; so hat er für den Staat in jeder
+Rücksicht zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann
+verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer
+als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der
+Bürger kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate:
+und Bürger ist jeder, der nur einen Fuss Landes
+besitzt. <span class="italic">In detrimentum
+reipublicae</span> finden keine Besitzungen Statt. Es
+versteht sich von selbst, dass dann alle Steuerkataster nach
+der Regel Detri gemacht werden; und die erste Realimmunität
+ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten
+nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir
+nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse,
+nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich
+<!-- pb n="461 " facs="#f0489"/ --> ist kein Gesetz, das den
+belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist
+voraus zu sehen.</p>
+
+<p>Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf
+Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur
+Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allgemein
+gefühlt: aber niemand hat die Macht dem Allmächtigen zu
+widerstehen, der den Bayonetten befiehlt. Die Bayonette
+sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und
+die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis
+auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung
+militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit
+gethan. Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit
+spricht wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so
+schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher
+stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde
+auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, dass vor
+einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht
+Schuld daran war dass die Esel keine Hörner haben, sich
+höchlich freute, dass nun wenigstens ein Edelmann allein an
+der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der
+Mann muss in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele
+gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen.
+Man sagt, Kaprara habe schon auf Wiederherstellung der
+Klöster angetragen, sey aber von Bonaparte zurück gewiesen
+worden. Bonaparte müsste nicht der kluge Mann seyn, der er
+ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder
+mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muss. Es ist das Glück
+des Adels und der Geistlichkeit, dass sie mit
+Modificationen, in
+<!-- pb n="462 " facs="#f0490"/ --> seine Zwecke gehören.
+Wenns Noth thut, wird sich schon alles geben. Dass die
+Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus
+Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik
+hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich
+den Katholicismus zur Staatsreligion, das heisst zur
+herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so
+fort geht, dass man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft
+nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde durch die
+Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht überrascht; es
+war seine Konsequenz: er war bey der Osterceremonie der
+nehmliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest
+anfing: Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!
+Er dachte, <span class="italic">mundus vult</span>
+&mdash; <span class="italic">ergo</span> &mdash;; aber das
+Sprichwort ist wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, dass
+er nicht so gedacht hätte. <span class="italic">Il est un
+peu singe, mais il est comme il faut;</span> sagte der
+geistliche Herr im Postwagen. Er ist dadurch von seiner
+Grösse herab gestiegen. Man sagt, er habe sogar die Fahnen
+weihen wollen, sey aber durch das Gemurmel der alten
+Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die
+Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und
+Petersburg entschieden republikanische Massregeln nimmt,
+gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung
+verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegentheil muss
+aus dem nehmlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich
+gelten: man müsste denn in der Berechnung etwas höher gehen;
+welches aber sodann jedem
+Revolutionär <span class="italic">in utramque partem</span>
+zu Statten kommen würde.</p>
+
+<!-- pb n="463 " facs="#f0491"/ -->
+<p>Jetzt lebt er einsam und misstrauisch, mehr als je ein
+Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade;
+der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint
+selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im
+Schauspiel in seiner Loge Reverbers nach allen Seiten haben,
+die ihm alles zeigen ohne dass ihn jemand sieht. Bey andern
+Massregeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige
+Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein Name würde
+in der Weltgeschichte die Grösse aller andern
+niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder
+wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür thut er auf den
+kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht. Ich könnte
+weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel
+verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft
+grossen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht.</p>
+
+<p>Man sagt sich hier und da still und leise mehrere
+Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des
+ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen
+Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die
+Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer
+Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die
+er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabey bedeutend
+sagte: <span class="italic">Citoyen, vous
+entr</span>é<span class="italic">s ici dans la chambre d'un
+tyran:</span> antwortete er mit schnellem
+Scharfsinn: <span class="italic">S'il avoit</span>
+été <span class="italic">tyran, il le serait encore</span>:
+Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm
+vorgestellt wurde, das Volk murre bey einigen seiner
+Schritte, er möchte bedenken; erwiederte
+er: <span class="italic">Le peuple n'est rien pour qui le
+sait me<!-- pb n="464 " facs="#f0492"/ -->ner</span>. Dem
+Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey jeder Gelegenheit
+als einen flachen sehr subalternen Kopf darstellt, soll er
+auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt
+haben: <span class="italic">Si j'avois été roi en</span>
+1790<span class="italic">, je le serois encore; et si
+j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de
+même</span>. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich
+an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es
+niemand, weil seine <span class="italic">lettres de
+cachet</span> eben so sicher nach Bicetre führen als unter
+den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das
+lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr
+unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein
+angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann
+war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht
+wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey alles sehr gut,
+aber jetzt nur noch etwas zu früh. Jedermann der etwas
+weiter blickte, behauptete, es sey leider etwas zu spät. Das
+Gesetzgebende Korps nennt man hier die Versammlung, durch
+welche er Gesetze giebt. Als sein Kommissär, ich glaube
+Reding, mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen
+Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand;
+sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er
+bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern
+geknackt und gesagt haben: <span class="italic">Ah je saurai
+les attraper</span>. Das hat er gehalten. Er schmiedete
+schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen
+und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn.
+Ueber die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber
+sie ist geschehen.</p>
+
+<p>Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen,
+<!-- pb n="465 " facs="#f0493"/ -->
+<span class="italic">le premier
+consul</span>, <span class="italic">le grand
+consul</span>, <span class="italic">le consul</span>
+vorzugsweise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil
+der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird
+weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen
+Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn
+auch <span class="italic">Sa Majesté</span>, und ich stehe
+nicht dafür, dass es nicht Ernst wird. Auch heisst er
+ziemlich öffentlich
+<span class="italic">empereur des Gaules</span>, vielleicht
+die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die
+Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf
+Cäsar folgte August, und so weiter.</p>
+
+<p>Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloss ein
+Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem
+Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen
+gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und
+that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst
+gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen
+feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe
+den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und
+vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere
+Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe
+Magistraturen der Republik, wie sie noch heisst, in ihrem
+Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen,
+denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul liess
+sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich
+fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber
+nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht
+über hundert Tausend, und kaum der hundertste Theil gab die
+Ehrenbezeugung. Der
+<!-- pb n="466 " facs="#f0494"/ --> Enthusiasmus war also
+nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde
+hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die
+Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und
+man sprach hier und da davon, dass die republikanischen
+Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich.
+Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die
+Republik selbst.</p>
+
+<p>Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder
+anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe
+ich weder Lust noch Zeit noch Kenntniss. Die bunte Scene
+wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloss
+der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern,
+welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend
+ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit.
+Die Pressfreyheit ist hier verhältnissmässig eingeschränkter
+als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe
+jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen als
+damals und Moliere könnte wieder
+sagen: <span class="italic">Monsieur président ne veut pas,
+qu'on le joue</span>. Die Dekaden sind durch das Konkordat
+und die Einführung der römischen Religion nothwendig
+geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch
+rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten
+Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen
+Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den
+Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als in
+Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach
+Belieben; in Dijon musste ich einigemal, sogar an der
+Wirthstafel, zur Fasten mit der
+<!-- pb n="467 " facs="#f0495"/ --> Gesellschaft
+Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war
+es einerley, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist
+doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere
+Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freylich noch keine
+Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten
+Namen der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder
+ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast
+gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie
+die neuen Namen gar nicht wüssten; so sah mich ein sehr
+wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in
+die <span class="italic">rue de la loi</span> wollte, wiess
+mich aber sehr höflich weiter, als ich
+sie <span class="italic">rue de Richelieu</span> nannte. Das
+Pantheon heisst wieder die heilige Genoveve, und wird höchst
+wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob
+sich alles so sanft wieder machen wird, weiss der Himmel.
+Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen
+Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder
+eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten
+schon überall von neuem mit ihren Anmasslichkeiten hervor
+und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie
+versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn
+man die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben will.
+Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische
+Gerechtigkeit seyn: aber der Missbrauch kann weit führen.
+Man erzählt viele Beyspiele, dass die französischen
+Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Lasst
+nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seyd
+ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich
+sonderbare Abhandlung in einem
+<!-- pb n="468 " facs="#f0496"/ --> öffentlichen Blatte, wo
+der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und
+englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiss, ob das
+Ganze Ernst oder Ironie war. Er liess den Britten wirklich
+den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine
+Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack.
+Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die
+Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich,
+die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der
+Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man
+fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme
+Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig
+dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der
+Herren von der Seine.</p>
+
+<p>Die Polizey ist im Allgemeinen ausserordentlich liberal,
+wenn man sich nur nicht beygehen lässt, sich mit Politik zu
+bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das
+alte Schibolet zu brauchen,
+<span class="italic">panem et circenses</span>. Wenn ich in
+irgend einer grossen Stadt zu leben mich entschliessen
+könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr
+als eine andere Nation dafür gesorgt, dass man in der
+Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien,
+die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der
+botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere
+andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die
+man durchaus in keiner andern grossen Stadt so trifft. Eine
+meiner sentimentalen Morgenpromenaden war die Wachparade der
+Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender
+ge<!-- pb n="469 " facs="#f0497"/ -->wesen, als diese
+ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für
+sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die
+Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer
+Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füsse so
+fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine
+Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben
+vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit gefochten zu
+haben und verstümmelt zu seyn.</p>
+
+<p>Morgen will ich zu Fusse fort, und bin eben bloss aus
+Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewesen: denn man
+weiss doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz
+haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatte mir gleich
+beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müsste mich mit
+meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von
+Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die
+Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will;
+ich weiss nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis
+hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an
+der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte
+übrigens kein Wort, dass ich etwas zu thun hätte. Wenn mich
+die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen
+lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen
+oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand.
+Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier,
+der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich
+an, besahe mich und den Pass und sagte sehr freundlich, ohne
+ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie
+<!-- pb n="470 " facs="#f0498"/ --> reisen so ab, wenn Sie
+wollen. &mdash; Der Pass war noch der Preussische von Rom
+aus. &mdash; Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Luchesini
+wollen vidieren lassen, das können Sie thun; aber nöthig
+ists nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen
+thue ich nicht gern mehr als ich muss; ich ging also nicht
+zu dem Gesandten.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>