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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:45:23 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:45:23 +0100
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+ <title>Sonstige Prosa</title>
+</head>
+
+<body>
+<h3 class="section center">Sonstige Prosa</h3>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Randbemerkung</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Randbemerkung</h4>
+
+<p>
+Lacht nur. Euer Lachen ist uns Antrieb &hellip; Schreit.
+Euer Schreien ist uns Heiterkeit &hellip; Heult &hellip;
+Heult &hellip;</p>
+
+<p>
+überseht uns. Wir sind doch da, ihr Erschütterten &ndash;
+dreimal da &hellip; Und stark. Und jubelnd.</p>
+
+<p>
+Wir wissen unsern Sieg, deshalb singen wir euern
+Untergang.</p>
+
+<p>
+Wir kommen über euch, Lieblinge: Morgen schon. Heute
+schon.</p>
+
+<p>
+Wehrt euch, aber unsere Schwerter sind jung.</p>
+
+<p>
+Sagt wehe, wehe. Denn wir schlagen euch alle ein wenig tot,
+Lieblinge &hellip;</p>
+
+<p>
+Das wird aber ein fröhliches Leichenfest werden. Huhu
+&ndash; ha &hellip; Ha&hellip; Ha &ndash; &ndash;
+&ndash;</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Lebensschatten</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Lebensschatten</h4>
+
+<p>
+Drama in vier Aufzügen und einem Vorspiel von J.
+Jacobsthal und Ernst Epstein</p>
+
+<p>
+selten hat mich etwas so sehr gerührt wie die
+Schmierenaufführung des Schauerdramas: Lebensschatten, die
+ich neulich im Theatersaal der Königl. Akadem. Hochschule
+für Musik erleben durfte.<br />
+Ich will versuchen, das »Drama« zu schildern. Es beginnt mit
+einem Ende, dem sogenannten »Vorspiel«: Asta, die todkranke
+Tochter des Muskel- und Gewaltsmenschen Eisen &hellip;
+(Eisen!)&hellip; Eisenring und seiner schwächlichen Frau Eva, muß
+wohl sterben, ehe noch das Vorspiel aus ist. So leid es
+allen tut. Asta verschwindet zu diesem Zweck aus der
+quatschigen, grünen Bühnenstube, gestützt auf die alte Amme
+Kathuschka. Ein unglaublich überflüssiger alter Nathan &ndash; ein
+pathologisch guter, jüdelnder Menschenfreund &ndash; Frau Eva und
+der selbstverständliche Arzt Doktor Normann (mit edlem
+unheilverkündenden Mienenspiel) reden inzwischen
+gefühlerisch allerlei über die allgemein bekannte Tatsache
+des Sterbens. Zu meinem Glück kommt Ämmchen Kathuschka bald
+schreiend und stürzend wieder auf die Bühne, weil die arme
+Asta &ndash; o ahnendes Publikum! &ndash;Jetzt wirklich mausetot ist.
+Ein Aufseufzen der Erleichterung in dem Zuschauerraum &hellip;
+Ein schwindsüchtiger Schrei der Mama, hinterher das übliche
+verhaltene Stöhnen&hellip; Ein Hinausgehen des Normann und des
+Nathan, dabei jenes Achselzucken, das da sagt: Ach, wie
+traurig ist doch das Dasein! Seht ihr's. Und herein kommt
+Robert Eisenring, Vertreter der Kraft &amp; Gesundheit. Er war
+lange fern (in den Krallen eines anderen Weibes), da er
+keinen Sinn für Familie und Lebensschatten zu haben scheint.
+Eva verhehlt ihm den Tod Astas keineswegs. Ein innerer Kampf
+tobt in ihm. Dann will er mit seiner Frau ein »neues Leben«
+(so nennt er das) beginnen. Die schwächliche Eva hat
+umgehend einen Wutanfall. Sie quietscht überschnappend, sie
+hasse ihn schon lange (geballte Fäuste!). Er habe sie bisher
+schlecht behandelt. Jetzt wolle sie nichts mehr von ihm
+wissen. Sie tritt heroisch ab. Eisenring aber spricht einen
+Monolog: &ndash;&ndash; Tochter tot &ndash; &ndash; Frau weg &ndash;&ndash; Schicksal,
+verwünschtes &ndash; &ndash; ein Eisenring &ndash; &ndash; läßt sich nicht
+unterkriegen von Lebensschatten &ndash; &ndash; nie &ndash; &ndash; niemals &ndash; &ndash; man
+sieht noch, wie er in ein neues Leben steigt. Da schließt
+sich sanft der blutrote Vorhang.<br />
+Dies war das Vorspiel. Nach der Pause (zehn Jahre später)
+ist der Eisenring nicht mehr Athlet, sondern ein reicher
+Kaufmann. Er hat einen leichtsinnigen Freund Hans und eine
+leichtfertige Braut Meta, die im zweiten Aufzug schon seine
+Frau ist. Im dritten Aufzug kommt ein mehrjähriges Kind Ruth
+hinzu, dessen Mutter Meta, dessen Vater eigentlich
+(heimlich) Hans ist. Hans hat außerdem bedeutende
+Unterschlagungen in dem Geschäft Eisenrings gemacht. Deshalb
+ist der reiche Eisenring im letzten Aufzug wieder ziemlich
+arm. Man merkt deutlich, daß die Lebensschatten jetzt auch
+über ihn gekommen sind. Er ist wohl schwer
+rückenmarkleidend, ahnt alles. Er überrascht den ruchlosen
+Hans mit der meta. Die Katastrophe folgt auf dem Fuße:
+Eisenring enterbt Meta, läßt den Hans ins Gefängnis bringen,
+dann fällt er tot (Herzschlag) auf eine Chaiselongue. Die
+Enterbte will sich jetzt auch entleiben. (Das Publikum nimmt
+die Geschichte schon lange komisch. Es hätte sicher einen
+vergnüglichen Skandal gegeben, wenn die unglückliche Meta
+Wort gehalten hätte.) Aber ein Redakteur spricht zu ihr
+ungefähr die weisen Worte: Nicht durch voreiligen Tod sühnt
+man, sondern durch langes und edles Leben. Wollen Sie? &hellip;
+Meta und das »intellektuelle« Publikum jubeln: Ja &ndash; &ndash;! Und
+der sanfte Blutrote schließt sich endgültig.
+»Lebensschatten« ist ein trostlos schlechtes Theaterstück.
+Trotzdem war ich ergriffen wie bei einem Ibsendrama. Noch
+nirgends offenbarte sich mir so deutlich und rein die
+Kommistragödie vom (dichterischen) Dilettantismus. Ich mußte
+immer daran denken, daß alle die schalen beschränkten
+Schwafeleien, die dummen tolpatschigen Geschehnisse, die
+pappigen Kolportagegestalten aus der selben heilig
+schmerzlichen Himmelssehnsucht geschaffen sind wie Goethes
+oder Rilkes unsterbliche Werke. Ich habe dem winzigen Herrn
+<span class="spaced">J. Jacobsthal</span>, so oft er sich,
+halb betäubt von seiner plötzlichen Wichtigkeit, unter
+vielen linkischen Verbeugungen an die Rampe schieben ließ,
+von Herzen zugeklatscht, weil ich kundtun wollte, daß ich
+(zwar keinen Dichter) einen von Tod und Dasein gequälten
+Menschen grüße. So einer ist gewaltig höher zu schätzen als
+sein besser angezogenes, tantiges, beschaulich grinsendes
+Publikum. Und sein Stück &ndash; das unmögliche &ndash; ist
+mir hundertmal lieber als ein unverschämt routiniertes
+Nichts des Herrn Dreyer oder des Herrn Philippi.</p>
+
+<p>
+Die Schauspieler waren nicht Dilettanten, sondern
+mittelmäßige und schlechte Schauspieler. Die meisten kommen
+von der Schmiere, andere gehen erst zur Schmiere. Ich könnte
+noch manches über die Darstellung und die Regie (die aus
+lauter Fehlern bestanden) sagen, aber die Einzelheiten haben
+für den Leser kaum Interesse. Und schließlich ist Schiller
+und Sudermann leichter zu spielen als J. Jacobsthal. Dann
+noch: Der unfähigste, wüsteste Schmierenschauspieler hat &ndash;
+so behaupte ich&hellip; Und will es hier nicht beweisen &ndash;
+tieferen menschlichen Wert als ein Krämer, ein Beamter und
+vielleicht ein praktischer Rechtsanwalt.</p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Die Verse des Alfred Lichtenstein</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Die Verse des Alfred Lichtenstein</h4>
+<h5>Selbstkritik I</h5>
+
+<p>
+I</p>
+
+<p>
+weil ich glaube, daß viele die Verse Lichtensteins nicht
+verstehen, nicht richtig verstehen, nicht klar verstehen &ndash;</p>
+
+<p>
+II</p>
+
+<p>
+die ersten achtzig Gedichte sind lyrisch. Im landläufigen
+Sinn. Sie unterscheiden sich wenig von Gartenlaubenpoesie.
+Der Inhalt ist die Not der Liebe, des Todes, der allgemeinen
+Sehnsucht. So weit sie »zynisch« (im Kabaretton) sind, mag
+beispielsweise der Wunsch, sich überlegen zu fühlen, den
+Anstoß zu ihrer Formulierung gegeben haben. Die meisten der
+achtzig Gedichte sind unbedeutend. öffentlich sind sie nicht
+mitgeteilt. Bis auf eins. (Eins der letzten.) Das ist:</p>
+
+<p>
+Ich will in Nacht mich bergen,<br />
+nackt und scheu.<br />
+Und um die Glieder Dunkelheiten decken<br />
+und warmen Glanz.<br />
+Ich will weit hinter die Hügel der Erde wandern.<br />
+Tief hinter die gleitenden Meere.<br />
+Vorbei den singenden Winden.<br />
+Dort treffe ich die stillen Sterne.<br />
+Die tragen den Raum durch die Zeit.<br />
+Und wohnen am Tode des Seins.<br />
+Und zwischen ihnen sind graue,<br />
+einsame Dinge.<br />
+Welke Bewegung<br />
+von Welten, die lange verwesten.<br />
+Verlorner Laut.<br />
+Wer will das wissen.<br />
+Mein blinder Traum wacht fern den Wünschen der Erde.</p>
+
+<p>
+III</p>
+
+<p>
+Die folgenden Gedichte können in drei Gruppen geteilt
+werden. Eine vereinigt phantastische, halb spielerische
+Gebilde: Der Traurige, Die Gummischuhe, Capriccio, Der
+Lackschuh, Wüstes Schimpfen eines Wirtes. (Zuerst erschienen
+in der Aktion, im Simplicissimus, im März, Pan und
+anderswo.) Freude an reiner Artistik ist unverkennbar.</p>
+
+<p>
+Beispiele: Der Athlet: Im Hintergrund ist Demonstration von
+Weltanschauung. Der Athlet &hellip; Bedeutet: Daß der Mann auch
+geistig seine Notdurft verrichten muß, ist entsetzlich. &ndash;
+Die Gummischuhe: Man ist mit Gummischuhen ein anderer Mensch
+als ohne.</p>
+
+<p>
+IV</p>
+
+<p>
+Das früheste Gedicht einer zweiten Gruppe ist:</p>
+
+<p>
+Die Dämmerung*)</p>
+
+<p>
+Absicht ist, die Unterschiede der Zeit und des Raumes
+zugunsten der Idee des Gedichtes zu beseitigen. Das Gedicht
+will die Einwirkung der Dämmerung auf die Landschaft
+darstellen. In diesem Fall ist die Einheit der Zeit bis zu
+einem gewissen Grade notwendig. Die Einheit des Raumes ist
+nicht erforderlich, deshalb nicht beachtet. In den zwölf
+Zeilen ist die Dämmerung am Teich, am Baum, am Feld, am
+Fenster, irgendwo &hellip; In ihrer Einwirkung auf die
+Erscheinung eines Jungen, eines Windes, eines Himmels,
+zweier Lahmer, eines Dichters, eines Pferdes, einer Dame,
+eines Mannes, eines Jünglings, eines Weibes, eines Clowns,
+eines Kinderwagens, einiger Hunde bildhaft dargestellt. (Der
+Ausdruck ist schlecht, aber ich finde keinen besseren.)</p>
+
+<p>
+Der Verfasser des Gedichtes will nicht eine als real
+denkbare Landschaft geben. Vorzug der Dichtkunst vor der
+Malkunst ist, daß sie »ideeliche« Bilder hat. Das bedeutet &ndash;
+angewandt auf die Dämmerung: Der dicke Knabe, der den großen
+Teich als Spielzeug benutzt, und die beiden Lahmen auf
+Krücken über dem Feld und die Dame in einer Straße der
+Stadt, die von einem Wagenpferd im Halbdunkel umgestoßen
+wird, und der Dichter, der voll verzweifelter Sehnsucht in
+den Abend sinnt (wahrscheinlich aus einer Dachluke), und der
+Zirkusclown, der sich in dem grauen Hinterhaus seufzend die
+Stiefel anzieht, um pünktlich zu der Vorstellung zu kommen,
+in der er lustig sein muß &ndash; können ein dichterisches »Bild«
+hergeben, obwohl sie malerisch nicht komponierbar sind. Die
+meisten leugnen das noch, erkennen daher beispielsweise in
+der »Dämmerung« und ähnlichen Gebilden nichts als ein
+sinnloses Durcheinander komischer Vorstellungen. Andere
+glauben sogar &ndash; zu Unrecht &ndash;, daß auch in der Malerei
+derartige »ideeliche« Bilder möglich sind. (Man denke an
+die Futuristenmanschepansche.)</p>
+
+<p>
+Absicht ist weiterhin, die Reflexe der Dinge unmittelbar &ndash;
+ohne überflüssige Reflexionen aufzunehmen. Lichtenstein
+weiß, daß der Mann nicht an dem Fenster klebt, sondern
+hinter ihm steht. Daß nicht der Kinderwagen schreit, sondern
+das Kind in dem Kinderwagen. Da er nur den Kinderwagen
+sieht, schreibt er: Der Kinderwagen schreit. Lyrisch unwahr
+wäre, wenn er schriebe: Ein Mann steht hinter einem
+Fenster.</p>
+
+<p>
+Zufällig auch begrifflich nicht unwahr ist: Ein Junge spielt
+mit einem Teich. Ein Pferd stolpert über eine Dame. Hunde
+fluchen. Zwar muß man sonderbar lachen, wenn man sehen
+lernt: Daß ein Junge einen Teich tatsächlich als Spielzeug
+benutzt. Wie Pferde die hilflose Bewegung des Stolperns
+haben &hellip; Wie menschlich Hunde der Wut Ausdruck geben
+&hellip;</p>
+
+<p>
+Zuweilen ist die Darstellung der Reflexion wichtig. Ein
+Dichter wird vielleicht verrückt &ndash; macht einen tieferen
+Eindruck als &ndash; ein Dichter sieht starr vor sich hin &ndash;</p>
+
+<p>
+IV</p>
+
+<p>
+anderes nötigt in dem Gedicht: Angst und ähnlichen zu
+Reflexionen wie: Alle Menschen müssen sterben &hellip; Oder: Ich
+bin nur ein kleines Bilderbuch &hellip; Das soll hier nicht
+auseinandergesetzt werden.</p>
+
+<p>
+V</p>
+
+<p>
+Daß die Dämmerung und andere Gedichte die Dinge komisch
+nehmen (das Komische wird tragisch empfunden. Die
+Darstellung ist »grotesk«), das Unausgeglichene, nicht
+Zusammengehörige der Dinge, das Zufällige, das Durcheinander
+bemerken&hellip; Ist jedenfalls nicht das Charakteristische des
+»Stils«. Beweis ist: Lichtenstein schrieb Gedichte, in denen
+das »Groteske« unbetont hinter dem »Ungrotesken«
+verschwindet.</p>
+
+<p>
+Auch andere Verschiedenheiten zwischen älteren Gedichten
+(z.B. Die Dämmerung) und später entstandenen (z. B. Die
+Angst) Gedichten desselben Stils sind nachweisbar. Man möge
+beachten, daß immer häufiger besondersartige Reflexionen das
+Landschaftsbild scheinbar durchbrechen. Wohl nicht ohne
+bestimmte künstlerische Absichten.</p>
+
+<p>
+VI</p>
+
+<p>
+Die dritte Gruppe sind die Gedichte des Kuno Kohn.</p>
+
+<p>
+Alfred Lichtenstein<br />
+(Wilmersdorf)</p>
+
+<p class="footnote">
+* man erinnere sich des schönen: Weltende &hellip; des Jacob van
+Hoddis, erschienen im ersten Jahr der Berliner Wochenschrift
+»Die Aktion«. Tatsache ist, daß A. Li. (Wi.) dies Gedicht
+gelesen hatte, bevor er selbst »Derartiges« schrieb. ich
+glaube also, daß van Hoddis das Verdienst hat, diesen »Stil«
+gefunden zu haben, Li. das geringere, ihn ausgebildet,
+bereichert, zur Geltung gebracht zu haben. [Anmerkung von
+Franz Pfemfert.]</p>
+
+</body>
+</html>
diff --git a/OEBPS/Text/prosa/sonstige_prosa/04_retter_des_theaters.html b/OEBPS/Text/prosa/sonstige_prosa/04_retter_des_theaters.html
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@@ -0,0 +1,93 @@
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+ <title>Retter des Theaters</title>
+</head>
+<body>
+
+<h4>Retter des Theaters</h4>
+
+<p>
+Die Theater sollten aufhören, den Kinos Konkurrenz zu
+machen. Sie erreichen dadurch &ndash; freut euch, Theaterfreunde &ndash;
+das Gegenteil von dem, was sie wollen: Sie krepieren.</p>
+
+<p>
+Am besten erhalten sich diejenigen Theaterbetriebe, die dem
+Kino nicht das geringste einräumen: Weder in der Auswahl der
+Stücke Konzessionen machen, noch in dem Rahmen. Dies ist
+erklärlich. Was die Kinos &ndash; nachgebend den Instinkten der
+Menge &ndash; bieten, werden die Theater in derselben Masse und
+Fülle niemals produzieren können, gebunden an ihre
+Schranken. Das Publikum bemerkt kopfschüttelnd das hilflose
+Bemühen. Und läuft in die Kinos. Denn was das Publikum an
+das Theater fesseln sollte: Die Kunst, wird zumeist
+schandhaft vernachlässigt. (Wie wenn Filzhutfabrikanten den
+Einfall hätten, zu einer Zeit, wo allgemein Strohhüte
+getragen werden, Filzhüte in Form und Farbe von Strohhüten
+auf den Markt zu bringen.)</p>
+
+<p>
+Bevor die Kinos kamen, waren die vielen »Theater« minderen
+Ranges die bei weitem größere Gefahr des Theaters.
+Charakteristischerweise sind durch die Kinos Institute
+dieser Art am meisten bedroht. Einige werden durch die
+Geschicklichkeit ihrer Direktoren oder durch andere Zufälle
+noch eine Weile erhalten bleiben. Unzweifelhaft ist das
+»Aussterben« der minderwertigen Theaterbetriebe binnen
+kurzer Zeit. Das Publikum, das an derlei Geschmack fand, hat
+im Kino erheblich üppigeren Ersatz: Mord und Totschlag in
+Hülle und Fülle. Komik bis zum Platzen. Fett aufgemachte
+Rührung. Und der Kinomime mit seinen faustdicken
+Unterstreichungen &ndash; etwa in einer tragischen, bunt
+kolorierten Ehebruchsgeschichte (in historischen Trachten) &ndash;
+übertrifft den Schmieren-Hamlet bedeutend an
+herzergreifender Wirkung.</p>
+
+<p>
+Die Theater, die sich erhalten wollen, sind gezwungen, sich
+wieder auf sich zu besinnen. Die Direktoren müssen reine
+Schauspielkunst pflegen. Die Schauspieler &ndash; im Gegensatz zu
+den »Filmern«, besser »Kinistern« oder »Kinikern« &ndash;, um
+ihren Ruf zu wahren, alle Mätzchen und Scherze fallen
+lassen. Das Publikum, das trotz des Kinos in die Theater
+geht, ist anspruchsvoll und läßt sich nichts vormachen.</p>
+
+<p>
+Es können nicht genug Kinos entstehen. Ich würde
+kulturpolizeilich verordnen, daß in jeder Straße ein halbes
+Dutzend aufgemacht werde.<br />
+Je mehr die Menschen sich in die Kinos stürzen, desto eher
+wird ein Teil des Schwindels überdrüssig werden. Von den
+Hunderttausenden, die Kinos bevölkern, werden jährlich
+einige Hundert sich wieder zum Theater bekehren.</p>
+
+<p>
+Die Zahl der Theater wird in Zukunft geringer sein, aber
+ihre Qualität durchschnittlich unverhältnismäßig besser. Die
+unfähigen Direktoren, Dramaturgen, sonstigen Krachleute, die
+bisher am Theater schma-rotzten, werden im Kinobetrieb einen
+geeigneteren Ort für ihre Fähigkeiten entdecken. Die vielen
+mittelmäßigen und schlechten Schauspieler, die jetzt noch
+allerorten die Preise drücken und den Weg versperren, können
+vorzügliche Kiniker werden. Ein talentierter Schuster wird
+künftig nicht in die Theaterschule, sondern in die
+Kinoschule gehen. Lispeler, Schiefe, Bucklige, Stumme,
+ähnliche Defizitmimiker werden ihre persönliche Note
+leichter und glücklicher am Kino austoben können.</p>
+
+<p>
+(Das Kino der unbegrenzten Möglichkeiten &hellip;)</p>
+
+<p>
+Aber &ndash; das Theater wird, dank dem Kino freigeworden von
+hemmendem Ballast und ungünstigen Einflüssen, zurückkehren
+<span class="spaced">müssen</span>: Zur heiligen Schauspielkunst.</p>
+
+</body>
+</html>