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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
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+
+<!-- pb n="[77]" facs="#f0103"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Triest">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Triest</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>a ich nicht Kaufmann bin
+und nach den Bemerkungen meiner Freunde durchaus keine
+merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl
+nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In
+Prewald wohnte ich bey den drey Schwestern, die, wenn ich
+mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen
+treiben eine gar drollige Wirthschaft, und ich befand mich
+bey ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und
+behandelten mich wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu
+behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit
+hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich
+und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesellschafter traf ich
+einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bey den
+Oestreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun
+hier ganz allein bey den Mädchen gar gemächlich in
+Kantonnierung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war
+noch ein ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl
+einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erinnern
+können. Die erste Bekanntschaft mit den drey Personagen, ich
+nennte sie gerne Grazien wenn ich nicht historisch zu
+gewissenhaft wäre, machte ich drollig genug in der Küche, wo
+sie sich alle drey auf Stühlen oben auf dem grossen Herde um
+ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des
+hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der
+ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, dass
+<!-- pb n="78" facs="#f0104"/ --> alle drey aus vollem Halse
+lachten. Das war nun ein Jargon von Deutsch, Italiänisch und
+Krainerisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische
+Quintessenz, und ich verstand blutwenig davon. Indessen
+stellte ich mich doch so nahe als möglich, um von dem Feuer,
+wenn auch nicht der Unterhaltung doch des Herds meinen
+Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir,
+belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der
+geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein
+italiänisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich
+das beste Mönchslatein. Da es hier darauf ankam, kannst Du
+denken, dass ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den
+Filz machte, und der Mann fasste bald eine gar gewaltige
+Affektion zu mir, als ich glücklich genug einige Dinge aus
+dem Griechischen zitierte, die er nur halb verstand. Nun
+empfahl er mich auch den schönen Wirthinnen sehr
+nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum
+Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über
+unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zu viel Respekt
+bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler
+Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte.
+Natürlich erhielt er, durch das Lob das er mir zukommen
+liess, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so
+laut und gründlich beurtheilt, muss ihn übersehen
+können.</p>
+
+<p>Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle gekommen,
+nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen
+ziemlich früh fort gewollt hätte, wäre mir die lustige
+Unterhaltung des geistlichen
+<!-- pb n="79" facs="#f0105"/ --> Harlekins noch länger
+vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und
+liess die Leutchen lärmen. Als ich den andern Morgen
+aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, grossen,
+nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig.
+Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich
+offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär so schlechte
+Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so
+gutherziger Leutchen nicht missbrauchen. Ich trabte mit
+meinen schweren Stiefeln einige Mahl über den Saal weg;
+niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige
+Zimmer; keine Antwort. Endlich kam ich an ein Zimmer das
+nicht verschlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das
+hübsche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette
+und entschuldigte sich freundlich, dass noch niemand im
+Hause wach sey. Weiss der Himmel, ob ich armes Menschenkind
+nicht in grosse Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie
+nicht um ihre Schultern den Mantel geworfen hätte, den
+gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der
+Mantel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus;
+ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tempel
+hinaus.</p>
+
+<p>Du musst wissen, dass ich entweder gar nicht frühstücke,
+oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin,
+versteht sich wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte
+ich mirs zum Gesetz, meine Rechnung alle Mahl den Tag vorher
+zu bezahlen, damit ich den Morgen auf keine Weise
+aufgehalten werde. In Prewald gab man mir zuerst Görzer
+Wein,
+<!-- pb n="80" facs="#f0106"/ --> der hier in der Gegend in
+besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört
+unter die wenigen Weine die ich ohne Wasser trank, welche
+Ehre, zum Beyspiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt.
+Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente
+Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen.
+Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein
+einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im
+Januar die fünf Meilen recht stattlich ab. In Sessana hatte
+mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene, und es
+hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist
+nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein
+anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul
+zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vorwärts; und nun
+war von Sessana bis an die Douane von Triest nichts zu
+haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken und es war kein
+Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen
+Fussgänger das verdriesslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein
+Stückchen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so
+wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah
+ich bis nach Triest, und sie schien mir immer so nahe, als
+ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schiessen können.
+Von Schottwien bis Prewald hatte ich abwechselnd sehr viel
+Schnee; bey Sessana hörte er allmählich auf, und hier liegt
+er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In
+Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier
+diesseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es
+<!-- pb n="81" facs="#f0107"/ -->
+ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm,
+dass überall Thüren und Fenster offen stehen.</p>
+
+<p>Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist
+überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der
+Aufenthalt auf einige Zeit muss viel Vergnügen gewähren;
+aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des
+Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am
+Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um
+angenehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller
+angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht
+alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für
+kleine Fahrzeuge: die grössern und alle Kriegsschiffe müssen
+in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht
+ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und
+man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den
+Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach
+den Hafen vielleicht auch für grosse Schiffe anfahrbar
+macht.</p>
+
+<p>An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab
+terrassiert und dadurch ziemlich schöne Weingärten angelegt.
+Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber
+nicht urtheilen, und in meinem Gasthause giebt man
+gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell
+ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der
+See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat,
+mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten
+grossen Gasthofe, einem Hause von gewaltigem Umfange und dem
+nehmlichen, worin Winkelmann von seinem meuchlerischen
+Bedienten ermor<!-- pb n="82" facs="#f0108"/ -->det
+wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und
+vielleicht ist es das nehmliche Zimmer, in welchem das
+Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich
+vergessen.</p>
+
+<p>Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in
+Triest den Sprachmeister für die Italiäner deutsch und für
+die Deutschen italiänisch macht. Die Schicksale dieses
+sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche angenehme
+Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von
+Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien
+nach Laybach, von Laybach nach Triest, und überall in
+genialischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein
+hat ihm manchen Streich gespielt und ihn zuletzt genöthigt,
+seine Stelle in Laybach aufzugeben, wo er Professor der
+Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine
+mannigfaltigen verflochtenen Schicksale ein gewisses
+barockes Unterhaltungstalent gewonnen, das den Mann nicht
+ohne Theilnahme lässt.
+<span class="italic">Per varios casus, per tot discrimina
+rerum tendimus Tergestum</span>, sagte er mit vieler
+Drolerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole.
+Wir gingen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht
+finden. Niemand wusste etwas davon.</p>
+
+<p>Das Haus eines Griechen, wenn ich mich nicht irre ist
+sein Name Garciatti, ist das beste in der Stadt und wirklich
+prächtig, ganz neu und in einem guten Stil gebaut. Eine ganz
+eigene recht traurige Klage der Triester ist über den
+Frieden. Mit christlicher Humanität bekümmern sie sich um
+die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen
+nur, dass ih<!-- pb n="83" facs="#f0109"/ -->nen der
+Himmel noch zehen Jahre einen so gedeihlichen Krieg
+bescheren möchte; dann sollte ihr Triest eine Stadt werden,
+die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabey
+haben die guten kaufmännischen Seelen gar nichts arges;
+schlagt euch todt, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und
+türkischen Tücher. Das neue Schauspielhaus ist das beste,
+das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab
+man auf demselben <span class="italic">Theodoro Re di
+Corsica</span>, welches ein Lieblingsstück der Triester zu
+seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Parthie Rialto
+in Venedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich,
+wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der
+Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet
+haben wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser als
+in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel
+aus die Tochter des Wirths und der Kammerherr des Theodor.
+Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleuten
+genommen und ein Fremder muss sich auf ihre Höflichkeit
+verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren
+haben die Logen gekauft, bezahlen aber noch jederzeit die
+Entree; eine eigene Art des Geldstolzes. Der Patriotismus
+könnte wohl eine etwas humanere Art finden die Kunst zu
+unterstützen. Der Fremde, der doch wohl zu weilen Ursache
+haben kann im Publikum isoliert zu seyn, ist sehr wenig
+dabey berücksichtiget worden. Hier hörte ich zuerst den
+betäubenden Lärm in den italiänischen Theatern. Man bedient
+sich des Schauspiels zu Rendesvous, zu Konversationen, zur
+Börse, und wer weiss
+<!-- pb n="84" facs="#f0110"/ --> wozu sonst noch? Nur die
+Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein
+Andächtiger Thaliens nicht viel Genuss haben; und die
+Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die
+Vernachlässigung. Etwas eigenes war mir im Hause, dass das
+Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich
+mochte mich hinwenden wo ich wollte.</p>
+
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