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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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diff --git a/OEBPS/Text/01-vorrede.html b/OEBPS/Text/01-vorrede.html new file mode 100644 index 0000000..21f17dd --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/01-vorrede.html @@ -0,0 +1,298 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Vorrede</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="vorrede"> + +<p class="anrede">Lieber Leser,</p> + +<p> <span class="initial">V</span>origes Jahr machte ich den +Gang, den ich hier erzähle; und ich thue das, weil einige +Männer von Beurtheilung glaubten, es werde vielleicht Vielen +nicht unangenehm, und Manchen sogar nützlich seyn. +Vielleicht waren diese Männer der Meinung, ich würde es +anders und besser machen: darüber kann ich, in der Sache, +nur an meine eigene individuelle Ueberzeugung appelliren; so +gern ich auch eingestehen will, dass sie hier und da Recht +haben mögen, was die Form betrifft.</p> + +<p>Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und +ist nicht das eine und wird nicht das andere, so bin ich so +eigensinnig zu glauben, dass die Schuld nicht an mir liegt. +Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts neues. Die +Vernünftigen wissen das alles längst. +<!-- pb n="IV" facs="#f0014" --> Aber es wird doch meistens +entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt: und mich +däucht es ist doch nothwendig, dass es nun nach und nach +auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht +in Ewigkeit Milch trinken wollen. Bey dieser Kindernahrung +möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke +Speise wird aber kein Mann im Einzelnen, werden keine Männer +im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen. +Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmasslichkeit +gefallen seyn sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne +Verrath der Sache unmöglich, bey gewissen Gegenständen die +schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte +der Prüfung und seiner Wirkung, und bin zufrieden, dass ich +das Wahre und Gute wollte.</p> + +<p>Es ist eine sehr alte Bemerkung, dass fast jeder +Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das +kann nicht anders seyn und soll wohl nicht anders seyn; wenn +sich nur jeder vorher in gutes Licht und reine Stimmung +setzt. Ich bin mir bewusst, dass ich lieber das Gute sehe +und mich darüber freue, als das +<!-- pb n="V" facs="#f0015"/ --> Böse finde und darüber +zürne: aber die Freude bleibt still, und der Zorn wird +laut.</p> + +<p>In Romanen hat man uns nun lange genug alte nicht mehr +geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt +und tausend mal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist +der Anfang: aber immer nur Milchspeise der Kinder. Wir +sollten doch endlich auch Männer werden und beginnen die +Sachen ernsthaft geschichtsmässig zu nehmen, ohne Vorurtheil +und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter, +Personen, Namen, Umstände sollten immer bey den Thatsachen +als Belege seyn, damit alles so viel als +<!-- choice><sic -->möglieh<!-- /sic><corr>möglich</corr></choice --> +aktenmässig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz +allein das Magazin unsers Guten und Schlimmen.</p> + +<p>Die Sache hat allerdings ihre Schwierigkeit. Wagt man +sich an ein altes Vorurtheil des Kultus, so ist man noch +jetzt ein Gottloser; sondirt man etwas näher ein politisches +und spricht über Malversationen, so wird man stracks unter +die unruhigen Köpfe gesetzt: und beydes weiss man sodann +sehr leicht mit Bösewicht synonym zu machen. Wer den Stempel +<!-- pb n="VI" facs="#f0016"/ --> hat schlägt die Münze. Wer +für sich noch etwas hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner +nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen, +die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es so +oft hört und liest; sondern, hier +handelt <span class="spaced">dieser</span> Fürst ungerecht, +widersprechend, grausam; und hier +handelt <span class="spaced">dieser</span> Minister als +isolirter Plusmacher und Volkspeiniger. +Dergleichen <span class="bold">P</span>ersonalitäten sind +nothwendige heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn +sie von allen Regierungen +als <span class="bold">P</span>asquille gebrandmarkt würden. +Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und +schlechten. Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn +und Eigennutz haben +die <span class="bold">P</span>rivilegien erschaffen, und +Schwachheit und <span class="bold">L</span>eidenschaft +verewigen beydes. Sobald +die <span class="bold">K</span>önige den Muth haben werden +sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, werden sie +ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker +durch Freyheit nothwendig machen. Aber dazu gehört mehr als +Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muss es jedem +rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt +seyn zu glauben und +<!-- pb n="VII" facs="#f0017"/ --> +zu sagen, dass alter Sauerteig alter Sauerteig +sey.</p> + +<p>Man findet es vielleicht sonderbar, dass ein Mann, der +zwey mal gegen die Freyheit zu Felde zog, einen solchen Ton +führt. Die Enträthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal +hat mich gestossen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine +eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu +wollen: aber ich habe Selbstständigkeit genug, sie vor +Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu +verläugnen.</p> + +<p>Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, +haben mich aufgefodert etwas öffentlich über mein Leben und +meine successive Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht +dazu entschliessen. In meiner Jugend war es der Kampf eines +jungen Menschen mit seinen Umständen und seinen +Inkonsequenzen; als ich Mann ward, waren meine +Verflechtungen zuweilen so sonderbarer Art, dass ich nicht +immer ihre Erinnerung mit Vergnügen zurückrufe. Wer sagt +gern, ich war ein Thor, um durch sein Beyspiel einige längst +bekannte Wahrheiten eindringlicher zu machen? +<!-- pb n="VIII" facs="#f0018"/ --> Als ich als ein junger +Mensch von achtzehn Jahren als theologischer Pflegling von +der Akademie in die Welt hinein lief, fand man bey +Untersuchung, dass ich keinen Schulfreund erstochen, kein +Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden +hinterlassen, dass ich sogar die wenigen Thaler Schulden den +Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte +nun den Grund der Entfernung durchaus nicht entdecken und +hielt mich für melancholisch verirrt, und liess mich sogar +in dieser Voraussetzung so schonend als möglich zur +Nachsuchung in öffentliche Blätter sezzen. Dass ein Student +den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, +schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den +Philantropen die Betrachtung über diesen Schluss, der eine +sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend +verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn +ich ihm sage, dass die Gesinnungen, die ich seitdem hier und +da und vorzüglich in folgender Erzählung geäussert habe, +schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich +mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta<!-- pb n="IX" facs="#f0019"/ -->sche +auf und davon ging. Was sollte ein Dorfpfarrer mit diesen +Gährungen? Bey einem Kosmopoliten können sie auf einem +festen Grunde von Moralität wohl noch etwas Gutes wirken. +Der Sturm wird bey mir nie so hoch, dass er mich von der +Base, auf welcher ich als vernünftiger rechtlicher Mann +stehen muss, herunterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen +in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach +Sicilien war vielleicht der erste ganz freye Entschluss von +einiger Bedeutung.</p> + +<p>Man hat mich getadelt, dass ich unstet und flüchtig sey: +man that mir Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es +hielt mich keine höhere Pflicht. Dass ich einige Jahre über +dem Druck von Klopstocks Oden und Messiade sass, ist wohl +nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, dass ich +kein Amt suche. Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich; +und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf +lächerlichen Stolz gründen, dass ich glaube, der Staat müsse +Männer suchen für seine Aemter. Es ist mir also lieb, dass +ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande +dreyssig tausend Geschicktere und +<!-- pb n="X" facs="#f0020"/ --> Bessere seyn als ich. Wäre +ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem +Manne ein Amt geben, der es suchte. Das werden Viele für +Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolierter nicht strenge +nach meinen Grundsätzen handeln will, wer soll es sonst?</p> + +<p>Man hat es gemissbilligt, dass ich den Russischen Dienst +verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall +weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrscheinlich +auch Zufall: und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele, +um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen, In der +wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grodno +und Warschau die deutsche und französische diplomatische +Korrespondanz zwischen dem General Igelström, Pototzky, +Möllendorf und den andern preussischen und russischen +Generalen besorgt, weil eben kein anderer Offizier im +Hauptquartier war, der so viel mit der Feder arbeiten +konnte. — Sie sind noch nicht verpflichtet, sagte +Igelström zu mir, als er mir den ersten Brief von Möllendorf +gab, Sie haben noch nicht geschworen. Der ehrliche Mann, +antwortete ich, kennt und thut seine +<!-- pb n="XI" facs="#f0021"/ --> Pflicht ohne Eid, und der +Schurke wird dadurch nicht gehalten. — Man hat alten +Staabsoffizieren Dinge von grosser Bedeutung abgenommen und +sie mir übergeben, als Möllendorf noch die Piliza zur Gränze +forderte, und als man nachher russisch die Dietinen in Polen +nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete. Igelström, +Friesel und ich waren einige Zeit die Einzigen, die von dem +ganzen Plane unterrichtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und +Nacht, bis zur letzten Stunde als der erste Kanonenschuss +unter meinem Fenster fiel: und mich däucht, dass ich dann +auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich +gleich während des langen Feuers kartätschensicher zuweilen +in einer Mauernische neben den Grenadieren sass und in +meinem Taschenhomer blätterte. Zu den russischen Arbeiten +hatte der General Dutzende; zu den deutschen und +französischen, die der Lage der Sachen nach nicht unwichtig +seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst, +Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose +Sion ankam, waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan. +Dafür wurde mir +<!-- pb n="XII" facs="#f0022"/ --> denn dann und wann ein +Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt +hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhnlich. Ich +hatte das Schicksal gefangen zu werden. Der General +Igelström schickte mich nach Beendigung der ganzen +Geschichte mit einem schwer verwundeten jungen Manne, der +mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien, +damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir +konnten nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten. +Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an dem Tage zurück +auf meinem Posten seyn, den Paul in seiner Ukase bestimmt +hatte, und wurde aus dem Dienst geschlossen. Man hat in +Russland wenig schöne Humanität bey dem Anblick auf das +flache Land. Schon vorher war ich halb entschlossen nicht +zurückzugehen, und war es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf +meine sehr freymüthige Vorstellung an ihn selbst, da ich +durchaus keinen Dienstfehler gemacht hatte, endlich den +förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General Pahlen +zuschickte. Es ist sonst Gewohnheit +<!-- pb n="XIII" facs="#f0023"/ --> in Russland, Offizieren, +die einige Dienste geleistet haben, ihren Gehalt zu lassen; +ich erhielt nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode, +und es würde Schwachheit von mir seyn mich darüber zu +ärgern. Wenn ich jetzt etwas in Anregung bringen wollte, +würde man die Sache für längst antiquirt halten und der Sinn +des Resultats würde heissen: Wir Löwen haben gejagt. — +Ich will mir den Nachsatz ersparen. Wenn ich nicht einige +Kenntnisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genügsamkeit +hätte, könnte ich den Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot +im deutschen Vaterlande umher tragen.</p> + +<p>Ich habe mich in meinem Leben nie erniedriget, um etwas +zu bitten das ich nicht verdient hatte; und ich will auch +nicht einmal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der +Welt viele Mittel ehrlich zu leben: und wenn keines mehr +ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach +reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am +Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen +abzutreten. +<!-- pb n="XIV" facs="#f0024"/ --> +Auf Billigung der Menschen muss man nicht +rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen +und brauchen morgen den Ostracismus für +den nehmlichen Mann und für die nehmliche +That.</p> + +<p>Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und +dann nichts mehr zu thun finde, kann es wohl noch eine +kleine Ausflucht werden, die Winkel meines Gedächtnisses +aufzustäuben, und meine Geschichte zur Epanorthose der +Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut und +ruhig leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrath +leben kann. Es wird gewiss gehen wie es bisher gegangen ist: +denn ich habe keine Ansprüche, keine Furcht und keine +Hoffnung.</p> + +<p>Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, +lieber Leser, schon zu sichten wissen. Ich stehe für alles +was ich selbst gesehen habe, in so fern ich meinen Ansichten +und Einsichten trauen darf: und ich habe nichts vorgetragen, +was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt +<!-- pb n="XV" facs="#f0025"/ --> gehört hätte. Wenn ich +über politische Dinge etwas freymüthig und warm gewesen bin, +so glaube ich, dass diese Freymüthigkeit und Wärme dem Manne +ziemt; sie mag nun einigen gefallen oder nicht. Ich bin +übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem +ganzen Meissnischen Kreise kaum einen Thorschreiber hat. +Manches ist jetzt weiter gediehen und gekommen, wie es wohl +zu sehen war, ohne eben besser geworden zu seyn. Machte ich +die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen +haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben +können.</p> + +<p>Freylich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch +ästhetischen Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit +würde durch ängstliche Glättung zu sehr leiden. Niemand kann +die Sachen und sich selbst besser geben, als beyde sind. +Ich fühle sehr wohl, dass diese Bogen keine Lektüre für +Toiletten seyn können. Dazu müsste vieles heraus und vieles +hinein, und vieles müsste anders seyn. Wenn aber hier und da +<!-- pb n="XVI" facs="#f0026"/ --> ein guter, unbefangener, +rechtlicher, entschlossener Mann einige Gedanken für sich +und andere brauchen kann, so soll mir die Erinnerung Freude +machen.</p> + +<div class="abspann">Leipzig 1803.</div> +<div class="sign"><span class="right">Seume.</span></div> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/02-dresden.html b/OEBPS/Text/02-dresden.html new file mode 100644 index 0000000..d97d1f5 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/02-dresden.html @@ -0,0 +1,240 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Dresden</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[1]" facs="#f0027"/ --> +<div class="chapter" id="Dresden"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Dresden</span>, den 9ten Dec. 1801.</span></div> + +<p> <span class="initial">I</span>ch schnallte in Grimme +meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane guter +gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge +des Muldenthals, und Freund Grossmann sprach mit Freund +Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon +ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich +einige Minuten für mich, setzte mich Sankt Georgens grossem +Lindwurm gegen über und betete mein Reisegebet, dass der +Himmel mir geben möchte billige freundliche Wirthe und +höfliche Thorschreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und +zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; dass er mich +behüten möchte vor den Händen der monarchischen und +demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns +schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der +Samojete seinen Thieren den Ring.</p> + +<p>Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon +Melanchthon so lieblich fand, dass er dort zu leben +wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen +Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruss +sind leicht vergessen. Dort +<!-- pb n="2" facs="#f0028"/ --> stand Hohenstädt mit seinen +schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens +herrliche Siedeley, wo wir so oft gruben und pflanzten und +jäteten und plauderten und ernteten, und Kartoffeln assen +und Pfirschen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer +umher, und der Fluss wand sich gekrümmt durch die +Bergschluchten hinab, in denen mir kein Pfad und kein +Eichbaum unbekannt war.</p> + +<p>Die Sonne blickte warm wie im Frühling und wir nahmen +dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von +unsern Begleitern Abschied. Noch einmahl sah ich links nach +der neuen Mühle auf die grösste Höhe hin, die uns im +Gartenhause zu Hohenstädt so oft zur Gränze unserer Aussicht +über die Thäler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die +Strasse nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns +mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete uns mit der +Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden +Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens Liede — +Kennst du das Land? — unter den wärmsten Wünschen +weiter nach Meissen, wo wir eben so traulich willkommen +waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an der +südlichen Küste von Sicilien bestellen könnten! Die Elbe +rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab. +Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder +hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Flusse an +den alten Scharfenberg romantisch hinauf. Das Wetter war den +achten December so schwül, dass es unserm Gefühl sehr +wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des +Waldes kamen.</p> + +<!-- pb n="3" facs="#f0029"/ --> +<p>Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich +damahls von Leipzig herauf wandelte, um einige Stellen +in <span class="italic">Guischards memoires +militaires</span> nachzusuchen, die ich dort nicht finden +konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie +einem General in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner +Rückkehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem +Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen +Kram getaugt hätte. So macht man manchen Marsch in der Welt +wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, +sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe +kam; und ich kann nicht sagen, dass Dresden diessmahl eine +Ausnahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bey +Meissen gewesen war. Man trifft so viele trübselige, +unglückliche, entmenschte Gesichter, dass man alle fünf +Minuten auf eins stösst, das den Staupbesen verdient zu +haben oder ihn eben zu applicieren bereit scheint: Du kannst +denken, dass weder dieser noch jener Anblick wohl thut. +Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören +oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an +dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit +grollend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer +Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Impertinenz +ist bekanntlich am meisten unter dem Hofgesinde der Grossen +zu Hause, das sich oft dadurch für die Misshandlungen +schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen +Willkühr der Herren erfahren muss. Höflichkeit sollte vom +Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im +Leben, +<!-- pb n="4" facs="#f0030"/ --> die Antiphrase des Sinnes +zu seyn, und Hof heisst oft nur ein Ort, wo man keine +Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von +Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber +verdammt ist; es ist ein grosses Glück, wenn sein Geist +nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr +als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem gehörigen +Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.</p> + +<p>Eben komme ich aus dem Theater, wo man Grossmanns alte +sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie +arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war +beschnitten worden, und ich erwartete nach der Gewohnheit +eine förmliche Kombabusierung, fand aber bey genauer +Vergleichung, dass man dem Verfasser eine Menge Leerheiten +und Plattheiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn +war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten +Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es vielleicht +noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der +gewöhnlichen Dresdner Engbrüstigkeit manches weggelassen +worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben +wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen +König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die +eigenmächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, dass es +bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in +Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde +dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern +unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war +sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen +Churfürsten +<!-- pb n="5" facs="#f0031"/ --> muss eher durch solche +Winkelzüge beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen +Leben vielleicht nur eine oder zwey Uebereilungen zur Last +gelegt, und davon ist keine in diesem Stücke berührt. Dass +man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre wegwischt, +hat moralischen und +ästhetischen <span class="spaced">Grund</span>: aber ich +sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten +und Gebrechen der Adelskaste nicht mit Freymüthigkeit +gesagt, gerügt und mit der Geissel des Spottes zur Besserung +gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr trifft, ist es +nicht mehr nöthig; dass es aber noch nöthig ist, zeigt die +ängstliche Behutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des +jüngsten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.</p> + +<p> <span class="spaced">Christ</span>, als Hofrath, sprach +durchaus bestimmt und richtig, und seine Aktion war genau, +gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt. +Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer gewöhnlichen +Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher sehr +glücklicher Kunst. Madam Ochsenheimer fängt an eine ziemlich +gute Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres +Mannes viel gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht zu +seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wilsdorf. +Thering und Bösenberg kennst Du: beyde hatten, der erste als +Philipp, der zweyte als Wunderlich, ein ziemlich dankbares +Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen +barocken <span class="spaced">Laune</span> und musste +gefallen; aber Bösenberg that einen beleidigenden Missgriff, +der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann. +Wunderlich wollte für den gelieferten +Wagen <span class="italic">stande<!-- pb n="6" facs="#f0032"/ -->bene</span> +bezahlt seyn: und nun denke dir Bösenbergs obersächsische +Aussprache hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte +weich macht, und die noch dazu hier sehr markiert zu seyn +schien. Der halblateinische Theil des Publikums lachte +heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der ersten +Grösse vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch +Drewitz machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht +machte. Aber Henke war ein Major wie ein Stallknecht, und +arbeitete oder vielmehr pfuschte zur grossen Belustigung +aller Militäre, die um mich her im Parket sassen. Der Fehler +war nicht so wohl sein eigen, als des Direktoriums, das ihn +zum Major gemacht hatte. <span class="italic">Non omnia +possumus omnes</span>; er macht den Becker Ehlers in einem +Ifflandischen Stücke recht gut.</p> + +<p>Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten +wegen Oestreichischer Pässe haben; aber ich muss die +Humanität der Gesandschaft rühmen. Herr von Büel, als +Sekretär, nahm uns sehr gütig auf, und fertigte, da er +unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit grosser +Freundlichkeit sogleich selbst aus; und in einigen Stunden +erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich +unterschrieben, durch alle Kaiserliche Länder.</p> + +<p>Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in +gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im +Heiligthum? Die Galerie sah ich nicht, weil ich dazu noch +einmahl hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah +ich nicht, weil ich den Inspektor das erste Mahl nicht traf; +und das übrige +<!-- pb n="7" facs="#f0033"/ --> +nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; +ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen +und beschreiben.</p> + +<p>Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Gesellschaft +und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als +weil ich mich sehr gedrängt gefühlt hätte seine Arbeiten zu +sehen: und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich +bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes +Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung. Mich +däucht, er hat von dem strengen Ernst der alten ächten +Schule etwas nachgelassen, und seine eigene blühende +unaussprechlich reizende Grazie dafür ausgegossen. Er hat +mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten +Manier thun wollte, durch welche er, wie die Kritiker der +Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beyde +schmeicheln; aber Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und +Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir +noch manches von Warschau, wo wir beyde in der grossen Krise +der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte +durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten +erlitten, und musste während der Belagerung bey dem +Bürgerkorps als Korporal zehn Mann kommandieren. Stelle Dir +den sanften Künstler auf einer Batterie mit einer +Korporalschaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln +durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freundschaft und +Kunstsinn brachten den guten Mann endlich in Sicherheit, +indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem +schrecklichen Schauplatz aus<!-- pb n="8" facs="#f0034"/ -->wirkte +und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab, bis er +nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst denken, dass +unser Freund Schnorr sich mit Enthusiasmus an den Mann +anschloss; und die Herzlichkeit, mit der sich beyde einander +öffneten, machte beyden Ehre.</p> + +<p>Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt +und erfuhr beym Aufstehen, dass dem Hause ein Prinz geboren +war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder +so viel Lärm, als bey seiner Ankunft auf unserm Planeten. +Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit +mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens. +Dadurch werden ihre Verdienste gewiss erhöht, und ihr Muth +wird doch nicht mehr problematisch, als ob sie Schlachten +gewännen.</p> + +</div> <!-- chapter --> +</body> +</html> + diff --git a/OEBPS/Text/03-budin.html b/OEBPS/Text/03-budin.html new file mode 100644 index 0000000..5233b50 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/03-budin.html @@ -0,0 +1,137 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Budin</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Budin"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Budin</span>.</span></div> + +<p><span class="initial">D</span>u weisst, dass +Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst +mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich +Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel +hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in +meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit +Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes +Leben besteht. In Dresden missfiel mir noch zuletzt gar +sehr, dass man zur Bequemlichkeit der Ankömmlinge und +Fremden noch nicht die Strassen und +<!-- pb n="9" facs="#f0035"/ --> Gassen an den Ecken +bezeichnet hat; ein Polizeyartikel, an den man schon vor +zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen +gedacht hat, und der die Topographie ausserordentlich +erleichtert: und Topographie erleichtert wieder +Geschäfte.</p> + +<p>Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsche +Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen, +von welchem Werth sie ist, und Küttner hat es, meines +Wissens, schon sehr gut gethan. Du weisst, dass ich hier +ziemlich Idiot bin und mich nicht, in das Heiligthum der +Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum +Beyspiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken +habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit seiner +Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den +Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo +es, wie ich denke, jetzt steht. Hier intressierten mich eine +Menge Köpfe am meisten, die ich grössten Theils für römische +hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabey ein, dass der +Churfürst diese Sammlung zur Wohlthat für die Kunst mehr +komplettieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu +beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwey Tage und +den Winter öffentlich gar nicht zu sehen ist. Einige +Verordnungen die Kunst betreffend sind mir barock genug +vorgekommen. Kein Künstler, zum Beyspiel, darf auf der +Galerie ein Stück ganz fertig kopieren, wie man mich +versichert hat. Diess zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht. +Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn +Kopien grosser Meister von dort kämen, die man mit den +<!-- pb n="10" facs="#f0036"/ --> Originalen verwechseln +könnte. Auch darf kein Maler länger als die bestimmten zwey +Stunden oben arbeiten, welches für die Kopisten in Oehl eine +Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber +das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuweilen bis zur +Ungezogenheit treiben; und es soll vor kurzem ein nahmhafter +Maler unsers deutschen Vaterlandes seine Pinsel auf einem +der schönsten Originale abgewischt haben um die Farben zu +versuchen. Da würde mir Laien unwillkührlich der Knotenstock +sich in der Faust geregt haben.</p> + +<p>Den letzten Abend sahe ich noch eine Oper, die mit +ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Gedächtniss ist +wie ein Sieb; aber mich däucht, es war die Gräfin von +Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch. +Es war bey der Vorstellung kein einziger schlechter Sänger +und Akteur; aber nach meiner Meinung auch kein einziger +vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses +behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich +mich fast in jedem Fache eines bessern Subjekts +unwillkührlich erinnerte.</p> + +<p>In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Siegfried, den du +als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns +mit einigen Bekannten an die Gränze brachte. Nun gieng es in +die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so +rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon +Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter +Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bey +Aussig wieder ganz auf.</p> + +<!-- pb n="11" facs="#f0037"/ --> +<p>Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den +auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholicität +gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegentheil muss ich +sagen, es gefiel mir alles ausserordentlich wohl. Unser +Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger +Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der +Zollbeamte, der den Pass bescheinigte, war freundlich. Die +Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst +niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir +Griesgram. Man müsste eine sehr verstimmte unästhetische +Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches, +freundliches Gesicht sähe, als ein altes, hässliches, +murrsinniges. Das Mädchen setzte ihr Silbermützchen vor +einem Spiegel, der zwischen zwey Marienbildern hing, so +reitzend unbefangen in Ordnung, als ob sie sich in Ehren +eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der +Ketzer Schnorr sahe dem rechtgläubigen Geschöpf so +enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr +bekehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen wollte. +Ueberdiess ist der böhmischdeutsche Dialekt bis Lowositz +ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick +und widrig hervor, wie der gebirgische in Sachsen.</p> + +<p>Der Weg von Peterswalde nach Aussig ist rauh, aber schön; +von Aussig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch +wild, links und rechts an dem Flusse hohe Berge mit +Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die +Klage über die Undisciplin unserer sächsischen Landesleute +ins Ohr, die in +<!-- pb n="12" facs="#f0038"/ --> dem Bayerischen +Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle +verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher +steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in +die Seele anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm +machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird unsere +Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwischen? Bey +Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger +hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches, +fruchtbares Land, das zwey Stunden hinter Budin nun ganz +Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit +zu seyn scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine +kleine Sammlung guter Bücher an, und liess mir von ihm, da +er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den +Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration +über das Daseyn Gottes geben.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/04-prag.html b/OEBPS/Text/04-prag.html new file mode 100644 index 0000000..24f104e --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/04-prag.html @@ -0,0 +1,201 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Prag</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Prag"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Prag</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Budin bis hierher +stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir +von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem +ab, und sassen doch noch über eine Stunde zu Mittage in +einem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit +fasten und dafür funzig Kreuzer bezahlen mussten; welches +ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll +Geld finde. Da war +<!-- pb n="13" facs="#f0039"/ --> es in Peterswalde +verhältnissmässig billiger und besser. Der Wirth zur +goldenen Rose in Budin hatte ein gutes Haus von aussen und +ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldauen, altes +dürres Rindfleisch und eine sehr zähe lederne Braten von +einer Gans, die noch mit eine Retterin des Kapitols gewesen +seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am +schlechtesten war der Preis. Die schlechten Sachen waren +ungeheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war. +Aber Muss ist ein Bretnagel, heisst das Sprichwort: er ist +der Einzige in Budin, und mich däucht, schon Küttner hat +gehörig sein Lob gesungen. Uebrigens lasse ich die Qualität +der Wirthshäuser mich wenig anfechten. Das beste ist mir +nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiss ich noch +fertig zu werden. Ich denke, es ist noch lange nicht so +schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man +uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte, +oder auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm, +sanft schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen +liess.</p> + +<p>In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von +Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier +und da zur Verschönerung wahrscheinlich etwas dazu logen. +Einige Oestreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige +Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft +gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent machten +eine erbauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang +und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte +einer der Soldaten eine so gräuliche Be<!-- pb n="14" facs="#f0040"/ -->schreibung +von den Läusen im Felde und in der Gefangenschaft, dass wir +andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir +war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten +Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich +säuberlich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum +Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge +bekamen, dass sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein +Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und +seine Cameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in einem +Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammen geprügelt +hätten. +<span class="italic">Where there is a quarrel, there is +always a lady in the case</span>, dachte ich; gilt auch bey +der Oestreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, dass die +Fuhrknechte denn doch etwas sehr missliches und +ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern +des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am +Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte der Fuhrknecht, +es waren ja nur Legioner. Das ist etwas anders, erwiederte +der Soldat beruhigt; das waren nur Studenten und +Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot +weinten wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer +tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu +vertreiben.</p> + +<p>In Prag registrierte uns eine Art von Thorschreiber +gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere +Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium. Die Herren +der Polizey waren gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern +Ländern die Höflichkeit selbst, +<!-- pb n="15" facs="#f0041"/ --> den andern Morgen war in +zehn Minuten alles abgethan, und wir hatten unsern Bescheid +bis Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser +Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit +Gesandschaftspässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.</p> + +<p>Das Theater hier ist polizeymässig richtig und nicht ohne +Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die +Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht +viel besser als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das +wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt; +und es war Schade, dass in der Vorstellung weder Charakter +noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unternehmer +der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen +als der italiänischen. Die deutsche habe ich höchst +mittelmässig gefunden, und die italiänische soll noch einige +Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bey ihm +sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde +Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, dass ich nicht +Lust hatte einen meiner Lieblinge gemisshandelt zu +sehen.</p> + +<p>Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr +gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird +länger dauern, als ich zu warten gesonnen bin. Der +Bibliothekar, Rath Unger, der um Literatur und Aufklärung +viel Verdienste und gegen Fremde grosse Gefälligkeit hat, +würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben uns die +gelehrten Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen +hätten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyssigjährigen +Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch +<!-- pb n="16" facs="#f0042"/ --> Einverständniss mit ihrer +Parthey sogar die unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen +wussten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen. +Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat +die Bibliothek wieder ausserordentlich gewonnen; aber die +aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die +Literatur grösserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem +einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die +Besorgniss bestätigt und erhöht. Ein Glück war es, dass eben +damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die +Nachlässigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer +arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale +Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den +musterhaftesten gehört, ihre Rettung.</p> + +<p>Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, +und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend +hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die +Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte manches +Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen +gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuss; +und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht +auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr +es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel +und Karls des Vierten, und fand, dass die Zeiten der +goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und +für <!-- choice><sic -->bie<!-- /sic><corr>die</corr></choice --> ganze +übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers +Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein +verdorbener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde. +<!-- pb n="17" facs="#f0043"/ --> +Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob +man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken +wollte.</p> + +<p>Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen +Gesellschaft gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es +scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter +Protestanten, noch eine grosse Anzahl Zeloten zu geben: nur +nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die +Toleranz selbst sind.</p> + +<p>Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böhmen auf +die Ebenen kam, und hoffte nun einen beträchtlichen Grad von +Wohlstand und Kultur zu finden, da der Boden rund umher +ausserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine +Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, +und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in +den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren +leer; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als +ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich +däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig +gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier +noch schwerer durch die Frohnen gedrückt als irgendwo. Wo +die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den +Anhang des grossen und kleinen Adels und theilen den Raub. +Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die +Franzosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten, +sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre +Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in +<!-- pb n="18" facs="#f0044"/ --> Rücksicht der Franzosen +Recht hatte, ist eine andere Frage: ab er in seiner Freude +bey der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein grosser +Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch +vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die +verlornen Schlachten.</p> + +<p>Die Leute jagen uns hier Angst ein, dass rund umher in +der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten sie nun +wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz +sollen über hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger. +Die Auflösung der militärischen Korps ist immer von solchen +Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen +gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich +etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem +ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen +nachstossen kann. Freund Schnorr wird auch das seinige thun, +und so müssen es schon drey gut bewaffnete entschlossene +Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als +ob wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir +das wenige das wir tragen so leicht hergeben +würden<!-- choice><sic -->,<!-- /sic><corr>.</corr></choice --></p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/05-znaym.html b/OEBPS/Text/05-znaym.html new file mode 100644 index 0000000..914de8c --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/05-znaym.html @@ -0,0 +1,215 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Znaym</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Znaym"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Znaym</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">W</span>ir nahmen den Segen unsrer +Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich +nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise nichts +<!-- pb n="19" facs="#f0045"/ --> +erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir +Schinken oder Wurst oder beydes zugleich assen, kann +Dir ziemlich gleichgültig seyn.</p> + +<p>Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir +durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfelds gingen. +Daun wusste alle seine Schlachten mit vieler Kunst zu +Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als +einmahl das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er +bey Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich +eine zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin +bis Czasslau kam mir sehr angenehm vor, vorzüglich geben die +Dörfer rechts im Thale einen schönen Anblick. Die vorletzte +Anhöhe vor Czasslau gewährt eine herrliche Aussicht, rechts +und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit +Dörfern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre +einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig +kann man nach allen Gegenden hinab streichen: und mich +sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgend wo in +der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin ass ich zu +Mittage in einem Wirthshause an der Strasse, ohne mich eben +viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer +eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmuth, +unter den furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus +einer Ecke des grossen finstern Zimmers eine schwache, +zitternde, einfach magische Musik zu. Ich gestehe Dir meine +Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und +mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin +<!-- pb n="20" facs="#f0046"/ --> sass an einem helleren +Fenster uns gegen über und trocknete sich die Augen, und ein +junges schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien +ihr mit Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand +hier und da in der Entfernung nur einiges aus der +Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weisst, +ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung +bricht bey mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität +allmächtig hinreisst. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur +öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein +goldhariger junger Kerl in dem andern dunkeln Winkel +spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und +ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht +Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den +eigentlichen Nahmen des Instruments nicht nennen; am +ähnlichsten war es der Russischen +<span class="italic">Balalaika</span>.</p> + +<p>Mich däucht, schon andere haben angemerkt, dass die +Strasse von Prag nach Wien vielleicht die befahrenste in +ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen +mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die +meisten brachten Mehl in die Magazine bey Czasslau und +weiter hin nach der Gränze.</p> + +<p>Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die +vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen +Dresden und Prag einmahl etwas cynisch essen, trinken und +liegen müssen. Man tröstete uns, dass wir in Deutschbrot ein +sehr gutes Haus finden würden: aber nie wurde eine so gute +Hoffnung so +<!-- pb n="21" facs="#f0047"/ --> schlecht erfüllt. Wir +gingen in zwey, die eben keine sonderliche Miene machten, +und konnten keine Stube erhalten: die Officiere, hiess es, +haben auf dem Durchmarsche alles besetzt. Das mochte +vielleicht auch der Fall seyn; denn alles ging von der Armee +nach Hause: desswegen die sichern Wege. Im dritten legte ich +missmüthig sogleich meinen Tornister auf den Tisch, und +quartierte mich ein ohne ein Wort zu sagen. Der Wirth war +ein Kleckser und nennte sich einen Maler, und seine Mutter +ein Muster von einem alten, hässlichen, keifischen Weibe, +das schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die +siebente getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge +Juden, Glashändler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller +Art, von denen einer bis nach Sibirien an den Jenisey zu +handeln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte sich +sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen Pfifferling zu +bekümmern: und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern +so enge auf das Stroh, dass ich auf dem brittischen +Transport nach Kolumbia kaum drückender eingelegt war. +Solche Abende und Nächte mussten schon mit eingerechnet +werden, als ich zu Hause den Reisesack schnallte.</p> + +<p>In Iglau habe ich bey meinem Durchmarsch nichts gesehen, +als den grossen schönen hellen Markt, dessen Häuser aber in +der Ferne sich weit besser machen als in der Nähe, wie fast +alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft +zu haben. Ziemlich in der Mitte des Markts steht ein +herrliches Dreyfaltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten +und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber +traurig +<!-- pb n="22" facs="#f0048"/ --> wie die Barbarey. Einige +feine Artikel waren zerspalten und bekleckst; aber +die <span class="italic">conceptio immaculata</span> und +die <span class="italic">sponsa spiritus sancti</span> +standen unter dem Ave Maria zum Trost der Gläubigen noch +fest und wohl erhalten. Es soll bey Iglau schon ein recht +guter Wein wachsen; er muss aber nicht in Menge kommen; denn +ich habe in der Gegend nicht viel Weingärten gesehen. Eine +halbe Stunde diesseits Iglau stehen an der Gränze zwey +Pyramiden nicht weit von einander, welche im Jahr 1750 unter +Maria Theresia von den böhmischen und mährischen Ständen +errichtet worden sind. Die Inschriften sind ächtes +neudiplomatisches Latein, und schon ziemlich verloschen; so +dass man in hundert Jahren wohl schwerlich mehr etwas davon +wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhnlich, zum +ewigen Gedächtniss gesetzt. In Mähren scheint mir durchaus +noch mehr Liberalität und Bonhommie zu herrschen als in +Böhmen.</p> + +<p>Im Städchen Stannern müssen beträchtliche +Wollenmanufakturen seyn; denn alle Fenster sind mit diesen +Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mützen, Strümpfe, +Handschuhe und dergleichen zu ausserordentlich niedrigen +Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes bequemes Wirthshaus, +das erste, das wir seitdem wir aus Prag sind trafen, hatte +den Ort gleich etwas mehr in Kredit bey uns gesetzt. Wenn +man nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fusse trotzig vor +sich hin stapelt, muss man sich sehr oft sehr huronisch +behelfen. Meine grösste Furcht ist indessen vor der etwas +ekeln Einquartierung gewisser weisser schwarz besattelter +Thierchen, die in Polen vorzüglich gedei<!-- pb n="23" facs="#f0049"/ -->hen +und auch in Italien nicht selten seyn sollen. Uebrigens ist +es mir ziemlich einerley, ob ich mich auf Eyderdunen oder +Bohnenstroh wälze: <span class="italic">Sed quam misere ista +animalcula excruciare possint, apud nautas expertus +sum</span>; darum haben ihnen auch vermuthlich die Griechen +den verderblichen Nahmen gegeben.</p> + +<p>Hier in Znaym musste ich zum ersten Mahl Wein trinken, +weil der Göttertrank der Germanen in Walhalla nicht mehr zu +finden war. Der Wein war das Mass für vier und zwanzig +Kreuzer sehr gut, wie mich Schnorr versicherte; denn ich +verstehe nichts davon und trinke den besten Burgunder mit +Wasser wie den schlechtesten Potzdamer. Hier möchte ich wohl +wohnen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend, +selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stösst die Stadt +an ziemliche Anhöhen, und auf den andern, vorzüglich nach +Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch durch die +Menge Weingärten, die alle an sanften Abhängen hin gepflanzt +sind. Die beyden Klöster an den beyden Enden der Stadt sind, +wie die meisten Mönchsitze, treffliche Plätze. Das eine nach +der Oestreichischen Seite hat Joseph der Zweyte unter andern +mit eingezogen. Die Gebäude desselben sind so stattlich, +dass man sie für die Wohnung keines kleinen Fürsten halten +sollte. Im Kriege diente das Kloster zu verschiedenen +Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalt für +Gefangene: jetzt steht es leer.</p> + +<p>Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwey +Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend. +Da ich aber in Mähren keine römischen Ruinen studieren will, +wandelte ich meines +<!-- pb n="24" facs="#f0050"/ --> Weges weiter. Ein hiesiger +Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit +deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen +Weinfeldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre dass +die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte +ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die +Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den grossen +weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu +seyn scheint, doch wohl besser angewendet werden als zu +Weinbau. Die Armen müssen billig eher Brot haben als die +Reichen Wein; und Aebte und Domherren können in diesem +Punkte weder Sinn noch Stimme haben.</p> + +<p>Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe ich kein +Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich +schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten +scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu seyn. +Ich nehme die Sache als Philanthrop und nicht als Trinker +und Procentist. Schlechtes Pflaster, das seit langer Zeit +nicht ausgebauet seyn muss, gilt für Chaussee.</p> + +<p>Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon +will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen. Ich bezahlte +gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in +Sachsen eben nicht sonderlich gut sind; das sah ein +Tabuletkrämer, machte mich aufmerksam wie viel ich verlöre, +und nahm hastig, da ich ihn versicherte ich könne es nicht +ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner +weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen war, neue +schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander<!-- pb n="25" facs="#f0051"/ -->mahl +fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlichkeit, +Wohlhabenheit und sogar Ueberfluss herrschte, und wo man uns +sehr gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir +fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: Das +kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe +seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes +Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der +alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem +Gelde und Papier sehr wohl und war zufrieden, ohne sich um +Dukaten zu bekümmern.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/06-wien.html b/OEBPS/Text/06-wien.html new file mode 100644 index 0000000..93dc596 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/06-wien.html @@ -0,0 +1,582 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Wien</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Wien"> +<div class="dateline"><span class="right">Wien.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>en zweyten +Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir +die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen +und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine +Instanz angehalten und an die andere zur Visitation +gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für +einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter +Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man +musste doch den <span class="italic">casum in +terminis</span> gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde +ausgepackt, meine weisse und schwarze Wäsche durchwühlt, +mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein +Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas französischer +Konterband darin stecke: meine Taschen wurden betastet und +selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein +durchsucht; alles sehr höflich. +<!-- pb n="26" facs="#f0052"/ --> +<span class="italic">I must needs have the face of a +smuggler</span>. Meine Briefe wurden mir aus dem +Taschenbuche genommen, und dazu musste ich einen goldnen +Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein +Gesetz gesündigt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wusste +und zu wissen gar nicht gehalten bin. »Du sollst kein +versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.« Der +Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen. Aus besonderer +Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, dass ich weder +mit Brüssler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte, +erhielt ich die Briefe nach drey Tagen wieder zurück, ohne +weitere Strafe, als dass man mir für den schönen +vollwichtigen Dukaten, nach der Kaisertaxe von welcher kein +Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiss, neue blecherne +Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freundlich und +höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der +Polizey. Wider alles Vermuthen bekümmerte man sich um uns +nun mit keiner Sylbe weiter, als dass man unsere Pässe dort +behielt und sagte, bey der Abreise möchten wir sie wieder +abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post +wieder erhalten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern +und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren alle +sehr freundschaftlich, und honorierten die Zettelchen mit +wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer +unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und +die ich hier zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem +Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.</p> + +<p>Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne +<!-- pb n="27" facs="#f0053"/ --> Stunde wahren Genusses. +Der Mann hat mich mit seinen Gesinnungen und seiner +Handelsweise sehr interessiert. Er hatte eben Geschäfte, und +ich konnte daher seine offene Ungezwungenheit desto besser +bemerken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein +gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen. Wer in den +Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist +keine Rettung. Er hatte so eben seinen Achilles bey dem +Leichnam des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet +und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle +nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du +kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke +hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in +Lebensgrösse bey dem Todten, der bis an die Brust neben ihm +sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefesten +Schmerz zu erholen und Rache zu beschliessen. Die Figur ist +ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Färbung und +Zeichnung; aber der Kopf ist göttlich. Du weisst, ich bin +nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im Anschauen +sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich +mit der himlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht +ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden +sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den +Töchtern Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon +gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der +Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch +zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann +sollte schon etwas vollende<!-- pb n="28" facs="#f0054"/ -->ter +seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit +vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und +überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave +steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und +Furcht liest.</p> + +<p>Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. +Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an +der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte +mir, dass er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse +habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, +bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm +dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vieren hat +Göschen die Kupfer zu seiner schönen Ausgabe erhalten. Es +wäre werth, dass Göschen mit seinem gewöhnlichen +Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit +wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle +mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen +Aufwand erfordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. +Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostolischen +Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Satan grässlich +charakteristisch, ohne Karikatur. Vorzüglich hat mich gerüht +das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten +Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist +ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler +gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe +eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und +der Hauptmann der Römer gleicht Einem, der in seinem +Schrecken es noch zeigt, dass er zu dem alten Kapitol +<!-- pb n="29" facs="#f0055"/ --> gehört. Porcia ist ein +göttliches Weib. Am wenigstens hat mich das erste und letzte +Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der +Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man +nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter +Olympius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht +genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christlichen +Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser +Bruder. Bis zu ihm kann sich unsere Sinnlichkeit erheben, +aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die +Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig +wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler +empor gewagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich +wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in +diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und +Füger für die seinige.</p> + +<p>Ich muss Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen, +die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du +vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner +mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und +Gefälligkeit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für +Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuss +hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Gemälde sind +ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das +zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er +seine Söhne verdammt; und der Moment ist das +furchtbare: <span class="italic">Expedi secures!</span> Man +muss das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die +Grösse der Wirkung zu haben, die der Künst<!-- pb n="30" facs="#f0056"/ -->ler +hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander +setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Figuren; aber es ist +keine müssig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen +Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher +Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt +römisch, und schön und gross. Ich darf nicht wagen zu +beschreiben; es muss gesehen werden. Vorzüglich rührend für +mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich +erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn +er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in +der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey +Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck +eines flammenden Patriotismus auf den Richter und das +Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so +müsste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Vater +und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.</p> + +<p>Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter +geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, +und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur +einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für +den Geist des Künstlers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius +und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber +unbeschreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst +hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das sterbende +Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den +Vater, nicht um den tyrannischen Richter, nicht um das Volk, +um nichts was um sie her geschieht; sie sind ganz allein mit +dem geliebten Leich<!-- pb n="31" facs="#f0057"/ -->nam +beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung schwebte +selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die +Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des +Augenblicks dazu. Es ist eine der schönsten Kompostionen aus +der Seele eines Künslers, den der Genius der hohen und +schönen Humanität belebte. Ich würde nieder knien und +anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weisst +aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als +Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Russland leben, +an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem +Palladium der römischen Freyheit. Beschuldige mich nicht zu +schnell eines Paradoxons. Wehe den neuen Galliern, wenn sie +die altrömische Freyheit ihrer Nation oder gar ihren +Nachbarn aufdringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen +wollen! Aber wo gerathe ich hin?</p> + +<p>Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für +den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, arbeitet, ist ein +Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde +vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll, +ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, +sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken +auszuführen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der +grosse Künstler, dass er einige seiner herrlichsten +Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun +wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie +ich es Füger war; und ich hoffe es soll mir gelingen.</p> + +<p>Während der vierzehn Tage, die ich hier hause<!-- pb n="32" facs="#f0058"/-->te, +war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber +nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, dass dieses +fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen +allein für mich auf dem Walle und etymologisierte +eins. <span class="italic">Vindobana</span>, <span class="italic">quia +dat vinum bonum; Danubius</span>, <span class="italic">qui +dat nubes;</span> und dergleichen mehr: wer weiss, ob die +Römer bey ihrer Nomenklatur nicht so gedacht haben. Wenn +Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht +gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen +schenkten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen +Tornister wieder packen müssen.</p> + +<p>Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel +Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist +abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt +so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm +als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert +dort und ragt über die andern so sehr empor, dass er durch +seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die +andern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht +nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da +auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das +Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, dass es mir +ungewöhnlich viel Vergnügen gemacht hat; vielleicht schon +desswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der +Geschichte behandelte. Ich halte das Stück für recht gut +gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung +urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum +Genuss hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind +<!-- pb n="33" facs="#f0059"/ --> allerdings mehrere kleine +Verzeichnungen in den Charaktern; aber das Ganze hat doch +durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen +Gang: die Sprache ist meistens rein und edel, und ich war +zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; +aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir +Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen +grossen Genuss gewähren, Brockmann in der Rolle des Regulus +gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der +auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es +hier vorzüglich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten +Liebhaberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre +Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die +Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für +dieses Fach.</p> + +<p>Die Italiäner sind verhältnissmässig nicht besser. Man +trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Kastrat +Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarmherzig in seine +eigene verstümmelte Natur hinein, dass es für die Ohren des +Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit +solcher Unmenschlichkeit so traurige Missgriffe in die +Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie +vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft +verantworten, wenn sie können.</p> + +<div class="poem"> +<span class="indent">Ich, meines Theils, will keine Helden,</span><br /> +Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,<br /> +Sogleich den Mangel ihrer Kraft<br /> +Im ersten Tone quiekend melden,<br /> +<!-- pb n="34" facs="#f0060"/ --> +Und ihre lächerliche Wuth<br /> +Im Schwindel durch die Fistelhöhen<br /> +Von ihrem Brett herunter krähen,<br /> +Wie Meister Hahns gekappte Brut.<br /> +Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht<br /> +Wie die Taranteltänze hasse,<br /> +So setze mich des Himmels Strafgericht<br /> +Mit ihm in Eine Klasse.<br /> +</div> + +<p>Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der +Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen +Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen +könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiss +ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein grosser Vorzug ist +Lokalität, deren er sich oft mit einer Freymüthigkeit +bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre +macht. Ich habe auf seinem Theater über die +Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge +gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, +ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über +Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er +im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu +haben; und ich muss bekennen, dass mir seine barocke +Personalität als Tyroler Wastel ungemeines Vergnügen gemacht +hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar +nicht übel zu nehmen, dass sie zuweilen zu ihm und Kasperle +herausfahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer +lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt +verhältnissmässig weit besser, als jene für die Burg. Die +Klei<!-- pb n="35" facs="#f0061"/ -->dung ist an der Wien +meistens ordentlicher und geschmackvoller, als die +verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des +Heldengefolges noch manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug +machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine +eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und +der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er auch +Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl vergnügen; aber +wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium +und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfodern, muss +der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. Aber +hier wird er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus: +dawider ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann +nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst +wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel +zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im +Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen +ihre subordinirten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber +das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit +entfernt, dem ersten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz +eines grossen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu +machen.</p> + +<p>Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich +höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der +Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die +dazu erhoben werden. Er soll überdiess das wesentliche +Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.</p> + +<p>Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in +<!-- pb n="36" facs="#f0062"/ --> Wien fast nichts +geäussert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf +öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Propos hörst, +das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter +Strenge eben so wohl auf Orthodoxie im Staate wie in der +Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille auf den +Kaffehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder +kaum zu athmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu +enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu +sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freundliche Weisung +von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren warnten. In wie +fern sie Recht hatten, weiss ich nicht; aber so viel +behaupte ich, dass die Herren sehr Unrecht haben, welche die +Unsichtbaren brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene +Sorglosigkeit fast einen Streich. Du weisst, dass ich +durchaus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens +das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber die +Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut halte zuweilen +etwas lauter werden zu lassen, als vielleicht gut ist. So +hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches +Stück gefallen, und es begegnet mir wohl, dass ich, ohne +eben irgend etwas zu denken, eben so wie aus irgend einem +andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die +Zähne brumme. Diess geschah einmahl, freylich sehr am +unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein +Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten +Leute als für mich: denn ich hatte weiter keinen Gedanken, +als dass mir die Musik der Takte gefiel, und selbst diesen +jetzt nur sehr dunkel.</p> + +<!-- pb n="37" facs="#f0063"/ --> +<p>Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb +komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die +übergrosse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein +alter ehrlicher, eben nicht sehr politischer +Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in +Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch +lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz +gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine +Klosterstille. Das war ihm sehr missbehaglich. Einige Tage +hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt +soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger +Unbefangenheit: »Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein +verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht +sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine grosse Karthause? +Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder +darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, dass +man überall lauern lässt: ist das wahr? Hole der Henker die +Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut +reden und lustig seyn.« Du hättest die Gesichter der +Gesellschaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige waren +ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere +nickten gefällig und bedeutend über den Spass: aber niemand +schloss sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen, +sagte dieser, dass ich wieder zur Armee komme; Das todte +Wesen gefällt mir nicht.</p> + +<p>Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen +waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa +ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber +desto grösser war die +<!-- pb n="38" facs="#f0064"/ --> allgemeine Besorgniss vor +den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damahls fing +Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen +Aussichten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise +den Oestreichern grosse Angst und grosse Verwirrungen +erspart.</p> + +<p>Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhalten, sich +es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leuten gleich am +Schedel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll +seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.</p> + +<p>Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und +schlechtes Geld. Die Manege mit schlechtem Gelde ist +bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier +ist noch das unschuldigste Mittel die Armuth zu decken, so +lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den +Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts +ungerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere +Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privilegien +und Immunitäten, die freylich eine Sottise des öffentlichen +Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf +Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der +Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören +meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. +Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften +bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden. +Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die +Wohlthätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch +beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder +<!-- pb n="39" facs="#f0065"/ --> unterbringen könne. Nach +diesem Schlusse sind die Krankheiten ein grosses Gut für die +Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon +nähren. Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen +können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher +unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vieles +Nachdenken, dass durch die Staatsschulden die Aermern +gezwungen sind, ausser der alten Last, noch den Reichen +Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. »Bey +Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre +es anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine +und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur +bey einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo +hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen auf Kosten +der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch das +Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke, +und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, +sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf +Humes Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand +bekannt ist.</p> + +<p>Sonderbar war es, dass man in dem letzten Jahre des +Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffenplatz machen +wollte; das Schlimmste, was die Regierung für ihre Sache +thun konnte. Wenn damahls die Franzosen den Frieden nicht +eben so nöthig hatten wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte +andere Absichten hatte, als er nachher zeigte, so war das +Unglück für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was +konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war +be<!-- pb n="40" facs="#f0066"/ -->kannt, Wien hätte +sich nicht acht Tage halten können; und welche Folgen hätte +es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der +Feinde gekommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, dass es +nicht dahin kommen würde; aber eben desswegen waren die +Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit +Entschlossenheit der Maxime des Ministers folgen können, +dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen +möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte +gewogen wären: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es +ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, dass die +Kapitale so viel Einfluss auf das Ganze hat.</p> + +<p>Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir +bekannt ist, nur selten eine glückliche Stimmung; ich will +Dir also, zumahl da das Feld hier zu gross ist, darüber +nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen +lassen, der vermuthlich eher zurück kommt als ich.</p> + +<p>Ich darf rühmen, dass ich in Wien überall mit einer +Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man +vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst +die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die +Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen +böotischen, aber auch ächt böotischen, Auftritt hatte ich +den letzten Tag auf der italiänischen Kanzley. Hierher wurde +ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen +gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, +da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art +von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er +<!-- pb n="41" facs="#f0067"/ --> +hatte meinen Pass von Dresden schon vor sich in der +Hand, als ich eintrat.</p> + +<p>»Währ üfs Aehr?« fragte er mich mit einem stier +glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wiener +Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, so lange +es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit +ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege +gemacht, dass ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich +that ein kurzes Stossgebetchen an die heilige Humanität, +dass sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen, +indem ich auf den Pass zeigte.</p> + +<p>»Wu will Aehr hünn?«</p> + +<p>Steht im Passe: nach Italien.</p> + +<p>»Italien üss gruhss.«</p> + +<p>Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.</p> + +<p>»Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel +härümmer.«</p> + +<p>Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Menschen zu +antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und +Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er +mich nicht gar zurück geschickt hätte: denn er war ja ein +Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische +Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich +in Dresden muss wohl wissen, was er thut und wem er seine +Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so +bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von +dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis +auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne +Stiefeln geknöpft waren.</p> + +<!-- pb n="42" facs="#f0068"/ --> +<p>»Wu wüll Aehr weiter hünn?«</p> + +<p>Vorzüglich nach Sicilien.</p> + +<p>Er glotzte von neuem, und fragte:</p> + +<p>»Wafs wüll Aehr da machchen?«</p> + +<p>Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit gesagt, dass +ich bloss spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus +einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von +Klopstocks Oden etwas zusammen gesessen hatte, so hätte der +Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt +und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen.</p> + +<p>Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.</p> + +<p>Weiss der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und +sah auf den Pass und sah mich wieder an, und schrieb sodann +etwas auf den Pass, welches, wie ich nachher sah, der Befehl +zur Ausfertigung eines andern war.</p> + +<p>»Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.«</p> + +<p>Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen +Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust +dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Pass, und +ich ging.</p> + +<p>Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, dass +dieses durchaus sein Charakter sey, und dass er bey dem +Kaiser in gar grossem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. +Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener +und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das +Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick +sehen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu +<!-- pb n="43" facs="#f0069"/ --> haben. Seinen Namen habe +ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so +viel, dass er, nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, +obgleich Präsident der italiänischen Kanzley war. Ist das +der Vorschmack von Italien? dachte ich; das fängt erbaulich +an.</p> + +<p>Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die +Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers +des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so +viel <span class="spaced">Euer Gnohden</span> gescholten, +dass meine Bescheidenheit weder ein noch aus wusste, und +erhielt sogleich einen grossen Realbogen voll Latein in +ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und +Unteroffizianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar +nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident +etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nehmlichen +oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden +können. Auf dem neuen Passe +stand <span class="italic">gratis</span> und man foderte mir +zwey Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren +Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und +froh war, dass ich dem Uebermass der Grobheit und +Höflichkeit zugleich entging.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/07-schottwien.html b/OEBPS/Text/07-schottwien.html new file mode 100644 index 0000000..bedb7f9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/07-schottwien.html @@ -0,0 +1,168 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Schottwien</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Schottwien"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Schottwien</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">N</span>un nahm ich von meinen +alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt Abschied, +packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem +neuen kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes +<!-- pb n="44" facs="#f0070"/ --> die Strasse nach +Steyermark. Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken +getragen, den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen. +Man hatte die Gefahr, die wohl ziemlich gross war, von allen +Seiten noch mehr vergrössert; und was ich als einzelnes +isoliertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für +einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Komme ich um, so +ist die Rechnung geschlossen und es ist Feyerabend: aber bey +ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete +mich den zehnten Januar, an einem schönen hellen kalten +Morgen eine Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches +Monument, und übergab mich meinem guten Genius. Unsere +Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und +hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.</p> + +<p>Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer grösser +wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel denken ist, +zumahl in einer solchen Stimmung und bey einer solchen +Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen +Fuss vor den andern immer weiter fort. Als die Nacht +einbrach blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und +Neustadt. So wie ich in die grosse Wirthsstube trat fand ich +sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die +Reminiscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts wegen +eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaksdampf und +Kleinbierwitz leben musste, hielten mich, dass ich nicht +sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am +Ofen, und liess ungefähr dreyssig Wildlinge ihr Unwesen so +toll um mich her treiben, dass mir die Ohren gellten. Einige +spielten Karten, +<!-- pb n="45" facs="#f0071"/ --> andere sangen, andere +disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund +und Hand und Fuss. Da entstand Streit im Ernst und die +Handfestesten schienen schon im Begriff, sich einander +die <span class="italic">Argumenta ad hominem</span> mit den +Fäusten zu applicieren, da fing ein alter Kerl an in der +entferntesten Ecke der grossen gewölbten Stube auf einer Art +von Sackpfeife zu blasen, und alles ward auf einmahl +friedlich und lachte. Bey dem dritten und vierten Takte ward +es still; bey dem sechsten fassten ein Paar Grenadiere +einander unter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball +vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man +ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin, und +aller Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und +tanzten steyerisch, dann kosakisch, und dann den +ausgelassensten ungezogensten Kordax, dass die Mädchen davon +liefen und selbst der Sakpfeifer aufhörte. Dann ging die +Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und +zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder +anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war +ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus grossen Glaskrügen +trank, that endlich seine Wirkung; alles ward ein volles, +grosses, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den +Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen +Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein +Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und +gewiss wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht +von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt +worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden, +<!-- pb n="46" facs="#f0072"/ --> überall das sicherste bey +militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen +Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in +Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton +vermuthete, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr +Schicht, und es ward ruhig.</p> + +<p>Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen alten Mann bey +seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche +Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir +denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise, +dass sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren +auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, +und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis +nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur +die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser +aus den Bergen bey Neustadt und Neukirchen war so schön und +hell, dass ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen. +Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und +überall wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte und +trank. Du musst wissen, dass ich noch nicht so ganz +diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu trinken, +sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resine +gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in +alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die +Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster +rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das +Ganze hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Aussig +und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluss +<!-- pb n="47" facs="#f0073"/ --> kleiner; doch sind die +Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert. +Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen Flüsschen Wien +zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine +einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am +Eingange und Ausgange.</p> + +<p>Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und fing heute +zu Mittage merklich an zu thauen, und jetzt schlagen +Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schiesst von den +Dächern und der kleine Fluss rauscht mächtig durch die Gasse +hinab. Mir schmeckt der Horaz und die gute Mahlzeit hinter +dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der +Horaz schmeckt mir, das heisst, viele seiner Verse; denn der +Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich +zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem der +Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu +entscheiden, wer von beyden den Anstand und die Sitten mehr +ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia; +es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum +Vortheil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder gar +ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, dass es ihm +gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin: +bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer Ingrimm. Er +beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bey ihm ist mehr +Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt +sich; Juvenal nennt sie wie sie ist, aber Zorn und Unwille +hat den Vers gemacht.</p> + +<p>Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in +welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend +<!-- pb n="48" facs="#f0074"/ --> an, die, wie ich mich +erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz +verglichen haben. Wie wird es aber auf den steyermärkischen +Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborene +bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth, +damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt +und Neukirchen, einer langen langen Ebene zwischen den +Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr +zusammen schliessen, begegnete mir ein starkes Kommando mit +Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine +sehr gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und +klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute, +welche die Strassen unsicher gemacht hatten. Aber desto +besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und +diese werden gewiss nicht so bald wieder losgelassen. In +Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, dass man +die Pressburger Post angefallen, ausgeplündert und den +Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau, +nicht weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das waren +aber gewiss Leute, die vorher gehörig rekognosciert hatten, +dass die Post beträchtliche Summen führte, die sich auch +wirklich zusammen über hundert und dreyssig tausend Gulden +belaufen haben sollen. Bey mir ist nicht viel zu +rekognoscieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden +wenig Räuber in Versuchung bringen.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/08-muerzhofen.html b/OEBPS/Text/08-muerzhofen.html new file mode 100644 index 0000000..fa836d0 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/08-muerzhofen.html @@ -0,0 +1,75 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Mürzhofen</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[49]" facs="#f0075"/ --> + +<div class="chapter" id="Muerzhofen"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Mürzhofen</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Schottwien bis hierher +war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. +Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte +Hälfte der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir +hoch an die Waden; ich wusste keinen Schritt Weg, und es war +durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief ich den Morgen noch im +Finstern unten im Thal zu weit links, und musste durch +Verschläge in dem tiefen Schnee die grosse Strasse wieder +suchen. Nun ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach +kamen einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeigten mir +wenigstens, dass ich dort hin musste, wo sie kerkamen. Links +und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der +mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber +kaum zwanzig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen +begegneten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege +nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und +überdiess waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert. Herren +und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem +Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter +hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf bergab, +und trabte zum grossen Neide der dick bepelzten Herren an +dem englischen Wagen fürbass. Ein andermahl rollten sie vor +mir vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der Welt: +sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf dieser Seite +des Sömmerings kommt aus verschiedenen +<!-- pb n="50" facs="#f0076"/ --> Schluchten die Wien herab; +und auf der zweyten Hälfte der Station, nach Mürzzuschlag, +nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt eben +so die Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein recht +schöner Bach. Bey Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert +Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo +sie grösser wird, nun schon einen ansehnlichen Fluss bildet, +und nur mit Kosten gebraucht werden kann. Es ist angenehm, +die Industrie zu sehen, mit welcher man das kleine +Wässerchen zu seinen Behufen zu leiten und zu gebrauchen +weiss; und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind +ausserordentlich lieblich, und machen auch unter dem Schnee +mit ihren fleissigen Gruppen ein schönes Winterbild.</p> + +<p>Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach +den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie +<span class="italic">nomina male ominata</span>, deren +Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich +nicht zu faul gewesen wäre irgend einen Pastor aufzusuchen: +und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich +aus der abenteuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr +gewöhnliches, dass man einem Gaste, wenn er die Zeche +bezahlt hat und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man +denkt nicht viel dabey: aber Du kannst nicht glauben, wie +angenehm es ist, wenn es in einer solchen Lage, im Januar +wenn der Sturm den Schnee' gegen die Felsen jagt, mit +Theilnahme von einem artigen hübschen Mädchen geschieht, +zumahl wenn man den Kopf voll Räuber und Marodeurs hat.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/09-graez.html b/OEBPS/Text/09-graez.html new file mode 100644 index 0000000..e4c5225 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/09-graez.html @@ -0,0 +1,294 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Gräz</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[51]" facs="#f0077"/ --> + +<div class="chapter" id="Graez"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Gräz</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">H</span>ier will ich einige Tage +bleiben und ruhen; die Stadt und die Leute gefallen mir. Du +weisst, dass der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr +angenehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen Anblick +von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von +Schottwien aus machte ich den ersten Tag mit vieler +Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweyten mit vieler +Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem +entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den +zweyten ging ich bey ziemlich gutem Wetter an der Mürz +bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren +Quellen zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden. +Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muss die erste Meile +schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in +der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es +versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwey Mahl +dagegen gesündiget, und bin über eine Stunde die Nacht +gelaufen. Indessen wer wird gern in einer +schlechten <span class="italic">Kabacke</span> übernachten, +wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet ihr ein gutes +Wirthshaus.</p> + +<p>An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem +kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht +mehr als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philanthropie +sehr wohl; denn Du weisst, dass ich mir aus den Kreuzern so +wenig mache wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch +natürlich +<!-- pb n="52" facs="#f0078"/ --> auf die schöne Tugend der +Billigkeit und auf die unbillige Forderung, dass alle +Richter als Richter sie haben sollen. Billigkeit ist die +Nachlassung von seinem eigenen Rechte: und nun frage ich +Dich, ob ein Richter dabey etwas zu thun hat? Nur die +Partheyen können und sollen billig seyn. Bey billigen +Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen +Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirthshause nieder, +und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über +die Billigkeit.</p> + +<div class="poem"> +<p> +<span class="indent">Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:</span><br /> +Für ihn ist das Gesetz von Eisen,<br /> +Und seine Pflichten sind von Stein,<br /> +Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.<br /> +</p> + +<p> +<span class="indent">Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand</span><br /> +Dem Bruder für die kleine Spende,<br /> +Und schlinge freundlicher das Band,<br /> +Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.<br /> +</p> + +<p> +<span class="indent">Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit</span><br /> +Der göttergleichen Heldentugend,<br /> +Die sich der Welt zum Opfer weiht;<br /> +Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.<br /> +</p> + +<p> +<span class="indent">Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,</span><br /> +Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;<br /> +Doch Milde nur und Güte bringt<br /> +Ins leere Haus den Harrenden die Freude.<br /> +</p> + +<!-- pb n="53" facs="#f0079"/ --> + +<p> +<span class="indent">Mit seinem Eisenstab befriedige das Recht</span><br /> +Den grossen Tross gemeiner Seelen;<br /> +Mit dem olympischen Geschlecht<br /> +Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.<br /> +</p> +</div> + +<p>Jeder <span class="spaced">soll</span> billig seyn für +sich; das ist menschlich, das ist schön: aber +alle <span class="spaced">müssen</span> gerecht seyn gegen +alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht +bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Richter, +oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des +Richters wäre ein Eingriff in die Gerechtigkeit. Zur +Gerechtigkeit kann, muss der Mensch gezwungen werden; zur +Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet. +Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter +nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die +Gerechtigkeit ist die erste grosse göttliche Kardinaltugend, +welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die +Gerechtigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nachher +Justinian lehren liess. Jeder unbefangene Geschichtsforscher +weiss, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten +und wie sie zu Werke gingen, und wie viel Unsinn Papinian +von der Toilette der heiligen Theodora annehmen musste. +Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend +Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein +Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuss tödten +könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine +Morgenröthe, die sie hervorzuführen versprach. Aber die +Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke +Wolken und endlich +<!-- pb n="54" facs="#f0080"/ --> Nebeltage. Es war ein +Phantom. Wenn Du Gerechtigkeit in Gesetzen suchst, irrest Du +sehr; die Gesetze sollen erst aus der Gerechtigkeit hervor +gehen. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute, +schliessen: je mehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; je +mehr Theologie, desto weniger Religion; je längere +Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer +bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn +die Gewalthaber begreifen wohl, dass ohne diese durchaus +nichts bestehen kann, dass sie sich ohne dieselbe selbst +auflösen: aber desto schlimmer sieht es mit der öffentlichen +aus; und mich däucht, wir werden wohl noch einige +platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der +That bessert, so oft es sich auch ändern mag. Dazu ist die +Erziehung des Menschengeschlechts noch zu wenig gemacht, und +diejenigen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse +sie nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. So bald +Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und Glück: sie ist +die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit, +Grossmuth, Menschenliebe, Gnade, Erbarmung genug im +Einzelnen, bloss weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit +haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der +Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit; +die Gnade gehört bloss für Verbrecher; und meistens sind die +Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der +Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Thronen der +Fürsten getragen hat, soll verdammt seyn von blosser Gnade +zu leben: vermuthlich war er ein Mensch, der mit +Gerechtigkeit nichts +<!-- pb n="55" facs="#f0081"/ --> +fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter, +rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und +wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es +ist ein Widerspruch; man lästert die Gottheit, wenn +man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber +Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in +Gräz?</p> + +<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht +alle herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter, +kam in Brüg an die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab. +Schon zu Neukirchen waren mir eine Menge Wagen begegnet, die +leer zu seyn schienen und doch ausserordentlich schwer +gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und entdeckte +nun, dass sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich +von Gräz und noch weiter von der italiänischen Armee +brachten und deren Lavetten vermuthlich verbraucht waren. +Vor Einem Wagen zogen oft sechzehn Pferde, und der Wagen +waren mehr als hundert. Für mich hatten sie den Vortheil, +dass sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung; und +Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jezt immer gern: +denn im Allgemeinen darf man annehmen, diese sind ehrliche +Leute; die Schlechten behält man in der Garnison und lässt +sie nicht mit Gewehr im Lande herum ziehen.</p> + +<p>Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu +Mittage in Gräz, heisst im Januar immer ehrlich zu Fusse +gegangen. Die Thäler am Flusse herunter sind fast alle +romantisch schön, die Berge von beträchtlicher Höhe. Noch +eine Meile von Brüg, +<!-- pb n="56" facs="#f0082"/ --> gleich an dem Ufer der +Mürz, steht ein schönes Landhaus; auf der einen Seite +desselben siehst Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem +ganzen Gefolge in sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf +der andern die Musik mit den meisten Instrumenten nach der +Reihe noch grotesker und fast an Karikatur gränzend. Das +Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possierlich +angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der +Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziemlich beschneyt war, +konnte man nicht entdecken, ob er abgeschlagen war oder ob +man sie absichtlich ohne Kopf hingestellt hatte. Die Oerter +in der Gegend haben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.</p> + +<p>Bey Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich +eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse +anrichteten, die aus den Bergen herab kämen. Der Schnee ward +hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau, +bloss weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen +hatte. Aber das Quartier war so traurig als ich es kaum auf +der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit +einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz +nach Gräz zum Examen ging und der mich durch seine drolligen +Schilderungen der öffentlichen Verhältnisse in Steyermark, +für das schlechte Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel +Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein Steyermärker war, +und lobte Klagenfurt nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging +ich vollends hierher.</p> + +<p>Gräz ist eine der schönsten grossen Gegenden, die ich bis +jetzt gesehen habe; die Berge rund umher ge<!-- pb n="57" facs="#f0083"/ -->ben +die herrlichsten Aussichten, und müssen in der schönen +Jahrszeit eine vortrefliche Wirkung thun. Das +Schlos<!-- supplied>s</supplied -->, auf einem ziemlich hohen +Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund +umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch +Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert +ist. Als ich oben in das Schlossthor trat, stand ein +Korporal dort und pfiff mit grosser Andacht eines der besten +Stücke aus der Oper <span class="spaced">die +Krakauer</span>, welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch +der Revolution in Warschau war. Da ich die Oper dort +genossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst +mitgemacht hatte, so kannst Du denken, dass diese Musik hier +in Gräz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte +mich oft so sehr beschäftigt, dass ich manchmahl in +Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text +darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich +verstehe. Die Gefängnisse des Schlosses sind jetzt voll +Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das +Spital, gleich unten am Schlossberge, ist von Joseph dem +Zweyten, ein stattliches Gebäude; und das neue sehr +geschmackvolle Schauspielhaus, mit einer kurzen ächt +lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner +spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich +habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue +Bearbeitung des alten Stücks <span class="spaced">der Teufel +ist los</span>. Der Text hält freylich, wie in den meisten +Opern keine Kritik. Schade dass man nicht in dem Tone +fortgefahren ist, den Weisse angeschlagen hatte. Es hätten +eine Menge zu niedriger Redensarten ausge<!-- pb n="58" facs="#f0084"/ -->merzt +werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab +Reminiscenzen, war aber sehr gefällig, und schon mehr +italiänisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn +seit Guardasonis schöner Periode irgend wo gehört habe. Das +Personale ist ziemlich gut besetzt, und vorzüglich das +weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien. Das +einzige was mir missfiel waren die Furien und Teufel, welche +durchaus aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.</p> + +<p>In einer Prolepse muss ich Dir, nicht ganz zur Ehre +unserer Mitbürger, sagen, dass ich auf meiner ganzen +Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe, +als bey uns in Leipzig. Hier in Oestreich und durch ganz +Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige bequeme +Vorzimmer am Eingange, und die meisten haben Kaffeehäuser +von mehrern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut +haben kann. Bey uns wird das Publikum in einem schlechten +Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und +Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Scene oder diesen +Akt nicht sehen wollen, ist gar nicht gesorgt. An +Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und +sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und +Ausflucht zusammen.</p> + +<p>Die Gräzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches +Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch +als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das +ist nun so überall sein Geist, etwas gröber oder feiner; +ausgenommen vielleicht in grossen Städten und grossen +Residenzen, wo sich die Menschen +<!-- pb n="59" facs="#f0085"/ --> etwas mehr an einander +schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Murr +herunter giebt es links und rechts noch manche alte +Schlösser, die aber, dem Himmel sey Dank, immer mehr und +mehr in Ruinen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das +Romantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war, +spricht man so wohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus. +An der Wirthstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von +der Bärenjagd und den Abenteuern die es dabey gäbe. Ich +glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jezt nur noch in +Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier +in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang +schon wieder mehrere. Vor einigen Jahren wurde eine Bärin +erlegt, die Junge hatte, und auf einen Hof geschafft. Kurze +Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der todten Mutter +und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo +sie sich endlich ruhig fangen liessen. Die Gärten und der +Lindenberg waren verschneyt, so dass ich diese +Vergnügungsörter nur von weitem sah.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/10-laybach.html b/OEBPS/Text/10-laybach.html new file mode 100644 index 0000000..7b21619 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/10-laybach.html @@ -0,0 +1,338 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Laybach</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Laybach"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Laybach</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">H</span>ier mache ich, wenn Du +erlaubst, wieder eine Pause und lasse meine Hemden waschen +und meine Stiefeln besohlen.</p> + +<p>Von Gräz aus war es sehr kalt und ward immer kälter. Die +erste Nacht blieb ich in Ehrenhausen, einem ganz hübschen +Städtchen das seinem Namen +<!-- pb n="60" facs="#f0086"/ --> Ehre macht, wo ich von +meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen glühte, aber das +Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach +Mahrburg ist ein wahrer Garten, links und rechts mit +Obstpflanzungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz +hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem Flusse +hinauf und hinab sind voll der schönsten Weingärten. Eine +herrliche ökonomische Musik war es für mich, dass die Leute +hier überall links und rechts auf Bohlentennen droschen. Man +kann sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte +nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das Italiänische +fing nicht an: dafür hörte ich das krainerische Rothwelsch, +von dem ich nur hier und da etwas aus der Analogie mit dem +Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf zu +gute, dass man sie so weit herab in ihrer Muttersprache +versteht, und nennen sich desswegen die Slawen, die +Berühmten, ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die +grosse Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden sie +hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen sogleich leicht +und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine +grosse Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor +mehreren Jahren aus Russland zurück kam und einen alten +russischen Grenadier als Bedienten mit mir hatte, dass er +mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte: »Aber, +mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Russland; hier +spricht man ja noch gut russisch.« So viel Aehnlichkeit +haben die slawischen Dialekte unter sich, von dem russischen +bis zum wendischen und krainischen.</p> + +<!-- pb n="61" facs="#f0087"/ --> +<p>Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler Berg, +weit steiler als der Sömmering; so dass vier und dreyssig +Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwagen zogen, den die +sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fort brachten. +Die Berge sind hier meistens mit schönen Buchen bewachsen, +da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt +sind.</p> + +<p>In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir gütlich +in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu werden +anfängt. Ich muss aus Verzweiflung Wein trinken, und zwar +viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein +Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem +Gelde klingelte. Es wurde hier bey meiner späten Ankunft so +stark geschossen und geschrien, dass ich glaubte es wäre +Revolution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich, dass es +Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine +Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich ass gut und viel, +wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir +ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich +kalt war: denn die steyermärkischen und krainerischen Winter +halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vorzüglich +strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich +aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich +zu Bette. Du weisst dass ich ein gar gesunder Kerl bin und +jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch +hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens +seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und +den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich +<!-- pb n="62" facs="#f0088"/ --> Besinnung, dass ich +errieth, ich schlief in einem neu geweissten Zimmer, das man +auf mein Verlangen gewaltig geheitzt hatte. Als ich mich +aufzurichten versuchte, um das Fenster zu öffnen, fiel ich +kraftlos und dumpf auf den Pfühl zurück und verlor das +Bewusstseyn. Als es helle ward erwachte ich wieder, sammelte +so viel Kraft das Fenster zu öffnen, mich anzuziehen, in der +Eile das Zimmer zu verlassen, hinunter zu taumeln und unten +etwas Wein und Brot zu bestellen. Hier kam der zweyte +Paroxysmus; ich sank am Tische hin in einen namenlosen +Zustand, wie in einen lichtleeren Abgrund, wo Finsterniss +hinter mir zuschloss. So viel erinnere ich mich noch; ich +dachte, das ist der Tod, und war ruhig; sie werden mich +schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte ich +wieder unter dem entsetzlichsten Schweisse, der mich aber +mit jedem Augenblicke leichter ins Leben zurück brachte. Der +ganze Körper war nass, die Haare waren wie getaucht, und auf +den Händen standen grosse Tropfen bis vorn an die Nägel der +Finger. Niemand war in dem Zimmer; der Schweiss brachte mir +nach der Schwere des Todes ein Gefühl unaussprechlicher +Behaglichkeit. Etwas Schwindel kam zurück; nun suchte ich +mich zu ermannen und nahm etwas Wein und Brot. Die Luft, +dachte ich, ist die beste Arzney, und auf alle Fälle stirbt +man besser in dem freyen Elemente, als in der engen Kajüte. +So nahm ich meinen Tornister mit grosser Anstrengung auf die +Schulter und ging oder wankte vielmehr nur; aber mit jedem +Schritte ward ich leichter und stärker und in einer halben +Stunde fühlte ich nichts mehr, ob mir +<!-- pb n="63" facs="#f0089"/ --> gleich Kleid, Hut, Haar +und Bart und das ganze Gesicht schwer bereift war und der +ganze Kerl wie schlechte verschossene Silberarbeit aussah; +denn es fiel ein entsetzlicher kalter Nebel. Nach zwey +Stunden frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich +je gethan hatte. Siehst Du, lieber Freund, so hätte mich der +verdammte Kalk beynahe etwas früher als nöthig ist aus der +Welt gefördert. Doch vielleicht kam mir dieses auch nur so +gefährlich vor, weil ich keiner Phänomene von Krankheit, +Ohnmacht und so weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde +ich dadurch für die Zukunft und ich visitierte nun allemahl +erst die Wände eines geheitzten Zimmers, ehe ich mich ruhig +einquartierte.</p> + +<p>Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am Berge +eine Pyramide mit einem Postament von schwarzem Marmor, auf +dem die Unterwerfungsakte der Krainer an Karl den Sechsten +eingegraben ist: <span class="italic">Se +substrauerunt</span>, heisst es mit klassisch diplomatischer +Demuth. Eine Viertelstunde weiter hin ist links ein anderes +neueres Monument, wie es mir schien zur Ehre eines +Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war sehr +kalt; die Schrift war schon ganz unleserlich und der Weg war +auch wieder in übeln Umständen, obgleich beydes höchstens +nur von Karl dem Sechsten.</p> + +<p>Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt Oswald an, +ob ich gleich recht gut zu Mittage gegessen hatte; denn der +Zufall mochte mich doch etwas geschwächt haben. Der Wirth, +zu dem man mich hier wies, war ein Muster von Grobheit und +hat die Ehre der Einzige seiner Art auf meiner ganzen Reise +<!-- pb n="64" facs="#f0090"/ --> zu seyn: denn alle übrigen +waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen +Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. +»Was will der Herr?« fragte mich ein ziemlich dicker +handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen +Kanzley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz +sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weisst, dass +sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames +Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. +»Was will der Herr?« Ich trat ihm etwas näher und sagte: +Essen, trinken und schlafen. »Das erste kann er, das zweyte +nicht.« Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? »Nicht +für Ihn.« Für wen denn sonst? »Für andere ehrliche Leute.« +Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrlicher Mann. »Geht mich +nichts an.« Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und +werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas +bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine +beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit +jeder auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knotenstöcke +zerbrechen wollte, wie ich trug. »Mach der Herr nur kein +Federlesens, und pack' Er sich; oder ich rufe meine Knechte, +da soll die Geschichte bald zu Ende seyn.« Er deutete +grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte +mich, als er hinaus war, an einen jungen Menschen, der der +Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um +die Ursache einer solchen Behandlung. Er antwortete mir +nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man +meine Sachen in Verwahrung +<!-- pb n="65" facs="#f0091"/ --> nehmen, und Börse und Pass +und Taschenbuch dazu. Er sagte mir ängstlich, der Herr wäre +aufgebracht, und es würde wohl bey dem bleiben was er gesagt +hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder. »Ist der Herr +noch nicht fort?« Aber, Lieber es ist ganz Nacht; ich bin +sehr müde und es ist sehr kalt. »Geht mich nichts an.« Es +ist kein anderes Wirthshaus in der Nähe. »Wird schon eins +finden.« Auch wieder ein solches? »Nur nicht räsonniert und +Marsch fort!« Hier ist mein Pass aus der Wiener +Staatskanzley. »Ey, was! rief er grimmig wüthend, und ohne +mit Respekt zu sagen, ich sch..... auf den Quark.« Was war +zu thun? Zur Bataille durfte ich es nicht wohl kommen +lassen; denn da hätte ich trotz meinem schwerbezwingten +Knotenstock Schläge bekommen für die Humanität, quantum +satis, und noch etwas mehr. Der Mensch schien Kaiser und +Papst in Sankt Oswald in Einer Person zu seyn. Ich nahm ganz +leise meinen Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das +nicht ein erbaulicher sehr ästhetischer Dialog?</p> + +<p>Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter +nichts als dieses ziemlich ansehnliche Wirthshaus, die Post, +ich glaube die Pfarre, und einige kleine Tagelöhnerhütten. +Zu der Postnation habe ich durch ganz Deutschland nicht das +beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und Höflichkeit: +das ist ein Resultat meiner Erfahrung als ich mit Extrapost +reiste; nun denke Dir, wenn ein Kerl mit dem Habersack käme! +Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben, und +zehren wie ein reicher Erbe; das wäre wider Polizey und die +Ehre des Hauses. Zu dem +<!-- pb n="66" facs="#f0092"/ --> Pfarrer hätte ich wohl +gehen sollen, wie ich nachher überlegte um meine +Schuldigkeit ganz gethan zu haben. Aber das Unwesen wurmte +mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drey +Nasenstüber, dass er seine Leute so schlecht in der Zucht +hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die +Schlucht hinunter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, +wo man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb +pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich +gespielt haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander +hätten hell ins Gesicht sehen können, es wäre etwas +glimpflicher gegangen. Die Gegend war nun voll Räuber und +Wölfe, wie man mir erzählt hatte; ich marschierte also auf +gutes Glück geradezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem +Heiligen traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und +erbärmlich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und +etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte wieder ab. +Da sassen drey Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe +deutsch sprach, und sangen bey einem kleinen Lichtchen ihrer +kleinen Schwester ein gar liebliches krainerisches Trio vor, +um sie einzuschläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas +deutsch radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und +ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh dass man mir +kein Bett anbot; denn mein Lager war unstreitig das beste im +ganzen Hause. Es war mir lieb, bey dieser Gelegenheit eine +gewöhnliche krainerische Wirthschaft zu sehen, die dem +Ansehen nach noch nicht die schlechteste war und die doch +nicht viel besser schien als man sie bey den Letten und +Esthen in +<!-- pb n="67" facs="#f0093"/ --> Kurland und Liefland +findet. Gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen.</p> + +<p>Bey Popetsch steht rechts von der Post oben auf der +Anhöhe ein stattliches Haus und hinter demselben zieht sich +am Berge eine herrliche Parthie von Eichbäumen hin. Es waren +die ersten schönen Bäume dieser Art, die ich seit meinem +letzten Spaziergange in dem Leipziger Rosenthale sah. Im +Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der +Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.</p> + +<p>Nicht weit von Laybach fallen die Save und Laybach +zusammen; und über die Save ist eine grosse hölzerne Brücke. +Die Lage des Laybacher Schlosses hat von fern viel +Aehnlichkeit mit dem Gräzer; und auch die Stadt liegt hier +ziemlich angenehm an beyden Seiten des Flusses, eben so wie +Gräz an der Murr. Die Brücken machen hier wie in Gräz die +besten Marktplätze, da sie sehr bequem auf beyden Seiten mit +Kaufmannsläden besetzt sind, eine grosse Annehmlichkeit für +Fremde. Das Komödienhaus ist zwar nicht so gut als in Gräz, +aber doch immer sehr anständig; und auch hier sind am +Eingange links und rechts Kaffee- und Billardzimmer.</p> + +<p>Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der abwechselnd +hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zuweilen in Triest +ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst spielte in einem +ziemlich schlechten Dialekt, und seine ganze Gesellschaft +hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Gräz +aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das +alles, was Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter +sich lassen soll. +<!-- pb n="68" facs="#f0094"/ --> Herr Schantroch, der mit +mir in der nehmlichen Auberge speiste, schien ein eben so +seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmässiger +Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz +ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren +Dialekt ziemlich überwunden haben: und Herr Schantroch soll +als Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut +zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren +Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch sein +unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet haben sollte; +und dieser war nach seinem Familiennamen zu urtheilen, +leider unser Landsmann. Die Kaffeehäuser sind in Gräz und +hier weit besser als in Wien; und das hiesige +Schweizerkaffeehaus ist ganz artig und verhältnissmässig +anständiger als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo +man sitzt, als ob man zur Finsterniss verdammt wäre. Du +siehst, dass man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen +Vaterlandes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre +genug macht.</p> + +<p>Einige Barone aus der Provinz, die in meiner Auberge +speisten, sprachen von den hiesigen öffentlichen +Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Unterthanen, +oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das +erste ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für +mich, den stillen Zuhörer, dass alles noch ein grosses, +grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher +Unterdrückung und alter Sklaverey.</p> + +<p>Was Küttner von dem bösen Betragen der Franzosen in der +hiesigen Gegend gesagt hat, muss wohl +<!-- pb n="69" facs="#f0095"/ --> sehr übertrieben seyn. +Alle Eingeborene, mit denen ich gesprochen habe, reden mit +Achtung von ihnen, und sagen, sie haben weit mehr von ihren +eigenen Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr +Entschuldigung, als man ihnen vieilleicht gönnen will. Die +Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterliche Lage +solcher Leute vor, wenn sie zumahl in kleine Partheyen +geworfen werden. Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon +in den Seiten; sie wissen nicht wo ihre Oberanführer sind, +haben keine Kasse, keinen Mundvorrath mehr: nun kämpfen sie +ums Leben überall wo sie Vorrath treffen. Gutwillig giebt +man ihnen nichts oder wenig; und die Bedürfnisse Vieler sind +gross. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer im +Stande, sich in den Gränzen der Besonnenheit zu halten. Die +Einen wollen nichts geben, die Andern nehmen mehr als sie +nothwendig brauchen. Dass dieses so ziemlich der Fall war, +beweist der Erfolg. Es wurden einige hundert eingefangen und +auf das Schloss zu Laybach gesetzt. Nun waren sie ordentlich +und ruhig und sagten: Wir wollen weiter nichts als Essen; +wir konnten doch nicht verhungern.</p> + +<p>Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterliche Dinge +erzählte und sagte, es habe Laybach ganz zu Grunde +gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen und hat nur +einige alte Mauern eingestürzt. In Fiume, Triest und Görz +soll man es stärker gespürt haben; doch hat es auch dort +sehr wenig Schaden gethan. Die Transporte kommen auf der +Save von Ungarn herauf bis in die Gegend der Stadt und +werden von hier zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen +<!-- pb n="70" facs="#f0096"/ --> +die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort +stehenden Truppen, und auch nach Tirol, das sich +von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.</p> + +<p>Zwischen der Save und der Laybach, wo beyde Flüsse sich +vereinigen, soll in den Berggegenden ein grosser Strich +Marschland liegen, an den die Regierung schon grosse Summen +ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl Holländer, denen man +in Unternehmungen dieser Art wohl am meisten trauen darf, +hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend +brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine gewisse Zeit +frey von Abgaben zu bleiben. Aber die Regierung ist bis +jetzt nicht zu bewegen; aus welchen Gründen, kann man nicht +wohl begreifen: und so bleibt der Landstrich öde und leer, +und das Wasser thut immer mehr Schaden.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/11-prewald.html b/OEBPS/Text/11-prewald.html new file mode 100644 index 0000000..a771656 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/11-prewald.html @@ -0,0 +1,198 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Prewald</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Prewald"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Prewald</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Laybach aus geht es nun +allmählich immer aufwärts, und man hat die hohe Bergspitze +des Loibels rechts hinter sich. Bey Oberlaybach, einem +ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den +Bergen, und trägt gleich einige hundert Schritte von dem +Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von sechzig Zentnern. Von hier +geht es immer höher bis nach Loitsch und so fort bis nach +Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene +ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen +liegt. Der Weg von Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich +viel Kul<!-- pb n="71" facs="#f0097"/ -->tur; aber von +da wird er wild und rauh, und man trifft ausser den +Stationen bis nach Adlersberg wenig Häuser an. Hier in +Planina hatte das Wasser vielen Unfug gemacht. Es dringt +überall aus den Bergen hervor, und hat das ganze schöne Thal +zu einer ausserordentlichen Höhe überschwemmt, so dass die +Eichen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen. Dieses +war noch nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf +mehrern Fahrzeugen beständig über nach Planina. Der Fall ist +nicht selten in dieser Jahrszeit; aber dieses Mahl war die +Fluth ausserordentlich hoch. Die Hälfte von Planina auf der +andern Seite des Thals stand unter Wasser. Vorzüglich soll +die Fluth auch mit vermehrt werden durch den Bach von +Adlersberg, der dort bey der Schlosshöhle sich in die Felsen +stürzt, so einige Meilen unter der Erde fortschiesst und +hier in einer Schlucht wieder zum Vorschein kommt.</p> + +<p>Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen +Schneckenlinie den grossen Berg hinan, und giebt in mehrern +Punkten rückwärts sehr schöne Parthien, wie auch schon, wenn +ich nicht irre, Herr Küttner bemerkt hat. Mich däucht, dass +man ohne grossen Aufwand die Strasse in ziemlich gerader +Linie hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen +Absätzen, eben nicht beschwerlich seyn würde. Ehrliche +Krainer hatten es hier und da schon mit ihren kleinen Wagen +gethan, und zu Fusse konnte man schon überall mit +Bequemlichkeit durchschneiden. Die Herrschaft Adlersberg +liegt oben auf der grössten Höhe, und ist nur von noch +höheren Bergspitzen umgeben. Der Schlossberg ist bey weitem +nicht der höch<!-- pb n="72" facs="#f0098"/ -->ste, +sondern nur der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft +ausmacht. Von allen Seiten sammelt sich das Wasser und +bildet einen ziemlichen Fluss, der bey der Grotte am +Schlossberge nahe bey der Mühle, wie oben erwähnt worden +ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst +die Höhle sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu +finden, der mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch +von der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und führte +mich weit weit zum Orte hinaus durch den tiefsten Schnee +immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe Stunde ohne +Bahn so fort, und der Mensch wusste sodann nicht mehr wo er +war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu +orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den +hohen Schnee, in dem dicksten Fichtenwalde, und keine +Grotte. Du begreifst, dass es mir etwas bedenklich ward, mit +einem wildfremden baumstarken Kerl so allein in den +Schluchten herum zu kriechen und in Krain eine Höhle zu +suchen: mich beruhigte aber, dass ich von dem öffentlichen +Kaffeehause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abgegangen +war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie ich gehört habe, +doch nahe an der Stadt am Schlossberge seyn, und er +antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem +Rückwege sehen; aber diese entfernte sey die merkwürdigere. +Endlich kamen wir nach vielem Irren und Suchen, in noch +einer halben Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist +romantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel, rund +umher mit grossen Felsenstücken umgeben und +<!-- pb n="73" facs="#f0099"/ --> mit dem dichtesten +Schwarzwalde bewachsen. Hier zündeten wir in dem Gewölbe +halb am Tage die Fackel an und gingen in die Höhle hinein, +ungefähr eine Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle, +sehr abschüssig immer bergab. Beym Hinabsteigen hörte ich +links in einer ungeheuern Tiefe einen Strom rauschen, +welches vermuthlich das Wasser ist, das bey der Stadt in den +Felsen fällt und bey Planina wieder heraus dringt. Wir +stiegen nicht ohne Gefahr noch einige hundert Schritte +weiter über ungeheuere eingestürzte Felsenstücke immer +bergab, und mein Führer sagte mir, weiter würde er nicht +gehen, er wisse nun keinen Weg mehr und die Fackel würde +sonst nicht den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der +beste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich in +der grossen Tiefe und vermuthlich in der Nähe von Dünsten +nur mit Mühe; wir stiegen also wieder heraus und förderten +uns bald zu Tage. Nun fand mein Begleiter den Weg rückwärts +nach der Stadt sehr leicht. Unterwegs erzählte er mir von +allen den vornehmen und grossen Personagen, die die Höhlen +gesehen hätten. Diese entferntere sähen nur wenige; und +unter diesen Wenigen nannte er vorzüglich den Prinzen +Konstantin von Russland. Mein Führer hatte den kürzesten Weg +nehmen wollen und hatte mich unbemerkt auf die hohen Felsen +über der Höhle am Schlosse gebracht, wo wir wie die Gemsen +hingen und mit Gefahr hinunter klettern mussten, wenn wir +nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen wollten. +Einige Untenstehende riefen uns und zeigten uns die Pfade, +auf denen es möglich war hinunter zu +<!-- pb n="74" facs="#f0100"/ --> kommen. Nun standen wir am +Eingange der andern Grotte, wo sich der Fluss in den Felsen +hineinstürzt. Der Fluss nimmt sodann die Richtung ein wenig +links; der Weg in der Grotte geht ziemlich gerade fort +rechts. In einiger Entfernung vom Eingange erweitert sich +das Gewölbe, es wird sehr hoch und breit, man hört links den +Fluss wieder herauschen, und bald kommt man auf eine +natürliche Felsenbrücke über denselben mitten unter dem +Gewölbe. Hier thut die Flamme der Fackeln eine furchtbar +schöne Wirkung. Man hört das Wasser unter sich, und sieht +über sich und rund um sich die Nacht des hohen breiten +Gewölbes. Hier haben die Führer die Gewohnheit einige Bund +Stroh auf den Felsenwänden der Brücke anzuzünden, und hatten +diessmahl sehr reichlich zugetragen. Die magische +Beleuchtung der ganzen unterirdischen Brückenregion mit +ihrem schauerlichen Felsengewölbe, den grotesken +Felsenwänden und dem unten im Abgrunde rauschenden Strom +macht einen der schönsten Anblicke, deren ich mir bewusst +bin. Wenn der Strohhaufen fast verzehrt ist, stürzt man ihn +von der Brücke hinab in den Strom, und so sieht man ihn +unten in der Tiefe auf dem Wasserbette noch einige +Augenblicke fortglühen. Die plötzlich aufsteigende weite +Flammenhelle und die schnell zurückkehrende Finsterniss, wo +man bey dem schwachen Fackellichte nur einige Schritte +sieht, macht einen überraschenden Kontrast. Es hatten sich +einige gemeine Krainer zu uns gesellet, die gern die +Gelegenheit mitnehmen das schöne Schauspiel in der Grotte +wieder zu sehen, dabey ihre Geschichten aus<!-- pb n="75" facs="#f0101"/ -->zukramen +und noch einige Groschen zu verdienen. Bis hierher sind die +Franzosen gekommen, sagten sie, als wir auf der Brücke +standen; aber weiter wagten sie sich nicht. Warum nicht? +fragte ich. Die Kerle zogen ein wichtiges Gesicht beym +Fackelschein und suchten den Muth der Franzmänner verdächtig +zu machen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursachen +haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht zahlreich +genug, hatten draussen nicht gehörige Massregeln genommen +und besorgten in der grossen Tiefe der Höhle irgend ein +unterirdisches Abenteuer kriegerischer Natur. Ausserdem ist +nichts zu fürchten. Ich ging nun links am Flusse jenseit der +Brücke ungefähr noch einige hundert Schritte weiter fort; +dann aber mussten wir anfangen mit Lebensgefahr über die +Felsen am Wasser hinzuklettern. Mein Führer sagte, es sey +unmöglich weiter zu kommen. Das glaubte ich nun eben nicht: +aber es war Schwierigkeit und Gefahr; ich wollte den Weg im +Sonnenlichte weiter und wir krochen und wandelten zurück. +Die Bielshöhle bey Elbingerode hat mehr Verschiedenheit und +die benachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben so +grosse Parthien aufzuweisen; aber sie haben nichts +ähnliches, wie die furchtbare Höllenfahrt in der ersten und +der Fluss und die Brücke in der letztern sind. Die +Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger, grotesker und +schöner als hier. Zum Beweiss dass dieser Fluss das bey +Planina wieder heraus strömende Wasser sey, erzählte man +mir, man habe vor einiger Zeit hier bey dem Einsturz +ungefähr eine Metze Korke +<!-- pb n="76" facs="#f0102"/ --> hinein geworfen, und diese +seyen dort in der Bergschlucht wieder zum Vorschein +gekommen.</p> + +<p>Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen +Bergspitze gegen über und zittere vor Frost bis man mein +Zimmer heitzt. Die Höhle zu Lueg, einem Gute des Grafen +Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Es thut mir leid; sie ist +wie bekannt vorzüglich. Mein Wirth in Adlersberg erzählte +mir abenteuerliche Dinge davon. Sie soll von dort vier +Stunden bis nach Wippach gegangen seyn, sey aber jetzt durch +ein Erdbeben sehr verschüttet. Küttner hat sie gesehen und +den Eingang abgebildet. Das Land ist rund umher voll von +dergleichen Höhlen, und wäre wohl der Bereisung eines +Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete ein Landmann +Weitzen auf einem schönen Feldstriche am Abhange eines +Berges und erntete sehr reichlich; als er für das künftige +Jahr bestellen wollte, schoss der ganze Acker gegen zehn +Klafter tief herab, und es fand sich dass ein unterirdischer +Fluss unter demselben hingegangen war, und den Grund so +ausgewaschen hatte, dass er einstürzen musste. Auch soll in +einem See unweit Adlersberg eine noch ganz unbekannte Art +von Eydechsen hausen, von der man erst seit kurzem den +Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe. Vor +einigen Jahren soll sogar ein Bauer ein Krokodil geschossen +haben. Das alles lasse ich indessen auf der Erzählung des +Herrn Merk in Laybach beruhen, der mir jedoch ein sehr +wahrhafter unterrichteter Mann zu seyn scheint.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/12-triest.html b/OEBPS/Text/12-triest.html new file mode 100644 index 0000000..81b4851 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/12-triest.html @@ -0,0 +1,233 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Triest</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[77]" facs="#f0103"/ --> + +<div class="chapter" id="Triest"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Triest</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>a ich nicht Kaufmann bin +und nach den Bemerkungen meiner Freunde durchaus keine +merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl +nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In +Prewald wohnte ich bey den drey Schwestern, die, wenn ich +mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen +treiben eine gar drollige Wirthschaft, und ich befand mich +bey ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und +behandelten mich wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu +behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit +hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich +und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesellschafter traf ich +einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bey den +Oestreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun +hier ganz allein bey den Mädchen gar gemächlich in +Kantonnierung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war +noch ein ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl +einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erinnern +können. Die erste Bekanntschaft mit den drey Personagen, ich +nennte sie gerne Grazien wenn ich nicht historisch zu +gewissenhaft wäre, machte ich drollig genug in der Küche, wo +sie sich alle drey auf Stühlen oben auf dem grossen Herde um +ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des +hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der +ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, dass +<!-- pb n="78" facs="#f0104"/ --> alle drey aus vollem Halse +lachten. Das war nun ein Jargon von Deutsch, Italiänisch und +Krainerisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische +Quintessenz, und ich verstand blutwenig davon. Indessen +stellte ich mich doch so nahe als möglich, um von dem Feuer, +wenn auch nicht der Unterhaltung doch des Herds meinen +Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir, +belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der +geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein +italiänisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich +das beste Mönchslatein. Da es hier darauf ankam, kannst Du +denken, dass ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den +Filz machte, und der Mann fasste bald eine gar gewaltige +Affektion zu mir, als ich glücklich genug einige Dinge aus +dem Griechischen zitierte, die er nur halb verstand. Nun +empfahl er mich auch den schönen Wirthinnen sehr +nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum +Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über +unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zu viel Respekt +bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler +Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte. +Natürlich erhielt er, durch das Lob das er mir zukommen +liess, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so +laut und gründlich beurtheilt, muss ihn übersehen +können.</p> + +<p>Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle gekommen, +nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen +ziemlich früh fort gewollt hätte, wäre mir die lustige +Unterhaltung des geistlichen +<!-- pb n="79" facs="#f0105"/ --> Harlekins noch länger +vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und +liess die Leutchen lärmen. Als ich den andern Morgen +aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, grossen, +nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. +Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich +offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär so schlechte +Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so +gutherziger Leutchen nicht missbrauchen. Ich trabte mit +meinen schweren Stiefeln einige Mahl über den Saal weg; +niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige +Zimmer; keine Antwort. Endlich kam ich an ein Zimmer das +nicht verschlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das +hübsche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette +und entschuldigte sich freundlich, dass noch niemand im +Hause wach sey. Weiss der Himmel, ob ich armes Menschenkind +nicht in grosse Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie +nicht um ihre Schultern den Mantel geworfen hätte, den +gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der +Mantel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus; +ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tempel +hinaus.</p> + +<p>Du musst wissen, dass ich entweder gar nicht frühstücke, +oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin, +versteht sich wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte +ich mirs zum Gesetz, meine Rechnung alle Mahl den Tag vorher +zu bezahlen, damit ich den Morgen auf keine Weise +aufgehalten werde. In Prewald gab man mir zuerst Görzer +Wein, +<!-- pb n="80" facs="#f0106"/ --> der hier in der Gegend in +besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört +unter die wenigen Weine die ich ohne Wasser trank, welche +Ehre, zum Beyspiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. +Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente +Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. +Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein +einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im +Januar die fünf Meilen recht stattlich ab. In Sessana hatte +mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene, und es +hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist +nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein +anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul +zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vorwärts; und nun +war von Sessana bis an die Douane von Triest nichts zu +haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken und es war kein +Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen +Fussgänger das verdriesslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein +Stückchen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so +wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah +ich bis nach Triest, und sie schien mir immer so nahe, als +ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schiessen können. +Von Schottwien bis Prewald hatte ich abwechselnd sehr viel +Schnee; bey Sessana hörte er allmählich auf, und hier liegt +er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In +Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier +diesseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es +<!-- pb n="81" facs="#f0107"/ --> +ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm, +dass überall Thüren und Fenster offen stehen.</p> + +<p>Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist +überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der +Aufenthalt auf einige Zeit muss viel Vergnügen gewähren; +aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des +Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am +Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um +angenehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller +angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht +alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für +kleine Fahrzeuge: die grössern und alle Kriegsschiffe müssen +in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht +ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und +man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den +Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach +den Hafen vielleicht auch für grosse Schiffe anfahrbar +macht.</p> + +<p>An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab +terrassiert und dadurch ziemlich schöne Weingärten angelegt. +Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber +nicht urtheilen, und in meinem Gasthause giebt man +gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell +ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der +See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat, +mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten +grossen Gasthofe, einem Hause von gewaltigem Umfange und dem +nehmlichen, worin Winkelmann von seinem meuchlerischen +Bedienten ermor<!-- pb n="82" facs="#f0108"/ -->det +wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und +vielleicht ist es das nehmliche Zimmer, in welchem das +Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich +vergessen.</p> + +<p>Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in +Triest den Sprachmeister für die Italiäner deutsch und für +die Deutschen italiänisch macht. Die Schicksale dieses +sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche angenehme +Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von +Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien +nach Laybach, von Laybach nach Triest, und überall in +genialischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein +hat ihm manchen Streich gespielt und ihn zuletzt genöthigt, +seine Stelle in Laybach aufzugeben, wo er Professor der +Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine +mannigfaltigen verflochtenen Schicksale ein gewisses +barockes Unterhaltungstalent gewonnen, das den Mann nicht +ohne Theilnahme lässt. +<span class="italic">Per varios casus, per tot discrimina +rerum tendimus Tergestum</span>, sagte er mit vieler +Drolerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole. +Wir gingen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht +finden. Niemand wusste etwas davon.</p> + +<p>Das Haus eines Griechen, wenn ich mich nicht irre ist +sein Name Garciatti, ist das beste in der Stadt und wirklich +prächtig, ganz neu und in einem guten Stil gebaut. Eine ganz +eigene recht traurige Klage der Triester ist über den +Frieden. Mit christlicher Humanität bekümmern sie sich um +die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen +nur, dass ih<!-- pb n="83" facs="#f0109"/ -->nen der +Himmel noch zehen Jahre einen so gedeihlichen Krieg +bescheren möchte; dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, +die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabey +haben die guten kaufmännischen Seelen gar nichts arges; +schlagt euch todt, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und +türkischen Tücher. Das neue Schauspielhaus ist das beste, +das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab +man auf demselben <span class="italic">Theodoro Re di +Corsica</span>, welches ein Lieblingsstück der Triester zu +seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Parthie Rialto +in Venedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich, +wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der +Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet +haben wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser als +in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel +aus die Tochter des Wirths und der Kammerherr des Theodor. +Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleuten +genommen und ein Fremder muss sich auf ihre Höflichkeit +verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren +haben die Logen gekauft, bezahlen aber noch jederzeit die +Entree; eine eigene Art des Geldstolzes. Der Patriotismus +könnte wohl eine etwas humanere Art finden die Kunst zu +unterstützen. Der Fremde, der doch wohl zu weilen Ursache +haben kann im Publikum isoliert zu seyn, ist sehr wenig +dabey berücksichtiget worden. Hier hörte ich zuerst den +betäubenden Lärm in den italiänischen Theatern. Man bedient +sich des Schauspiels zu Rendesvous, zu Konversationen, zur +Börse, und wer weiss +<!-- pb n="84" facs="#f0110"/ --> wozu sonst noch? Nur die +Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein +Andächtiger Thaliens nicht viel Genuss haben; und die +Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die +Vernachlässigung. Etwas eigenes war mir im Hause, dass das +Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich +mochte mich hinwenden wo ich wollte.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/13-venedig.html b/OEBPS/Text/13-venedig.html new file mode 100644 index 0000000..8885d5c --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/13-venedig.html @@ -0,0 +1,634 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Venedig</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Venedig"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Venedig</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>ie Leute meinten wieder, +ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wolle zu Fusse +von Triest über die Berge nach Venedig gehen und sagten, da +würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber +ich liess mich nicht irre machen und wandelte wieder den +Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen grossen Fahrweg, kam +aber doch, nach ungefähr zwey Stunden Herumkreuzen am Ufer +und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstrasse. Ich +besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze +Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der +Wildniss doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten +in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr +rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher, +weil sie, wie die genuesischen, der Zufluchtsort alles +Gesindels der benachbarten Staaten waren. Da ganz Venedig in +Oestreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen +Polizey leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man +spürt in dieser Rücksicht schon den Vortheil der +Veränderungen. An dem +<!-- pb n="85" facs="#f0111"/ --> Zwickel der Berge kommt +hier ein schöner Fluss aus der Erde hervor, der vermuthlich +auch Höhlen bildet. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiss +Virgils Felsen des Timavus und ich sah stolz umher, dass ich +nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt +zwischen den Bergen, oder das Thal zwischen Santa Croce und +Montefalkone macht noch jetzt der Beschreibung der Alten +Ehre. Unten rechts am Meere stand vermuthlich der +Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am +Ausflusse des Timavus war der Hafen. Ich schlug mich hier +rechts von der geraden Strasse nach Venedig ab über die +Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke +Meilen von Triest liegt. Wenn man einmahl über die Berge +hinüber ist, welche freylich etwas kahl sind, hat man die +schönsten Weinthäler. Der Wein wird hier schon nach +italiänischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden, +und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne +Gruppierungen.</p> + +<p>Von Görz nach Gradiska sind die Berge links ziemlich +sanft und man hat die grossen Höhen in beträchtlicher +Entfernung rechts: und wenn man über Gradiska nach Palma +Nuova heraus kommt, ist man ganz in der schönen Fläche des +ehemahligen venetianischen Friaul, hat links fast lauter +Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler +Alpen. Von Görz nach Udine stehen im Kalender fünf Meilen; +aber Oestreichische Offiziere versicherten mich, es seyen +gute sieben Meilen; und ich fand Ursache der Versicherung zu +glauben. Palma Nuova war eine venetianische Gränzfestung, +und nun hausen die Kai<!-- pb n="86" facs="#f0112"/ -->serlichen +hier. Sie exercierten eben auf dem grossen Platze vor dem +Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn +er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch +rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen +werden.</p> + +<p>In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar +meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den +Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu +begehen, und also vor allen Dingen hier Ruhetag zu halten. +Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der +Künstlergeschichte bekannt, und war überdiess der Geburtsort +unserer braven Grassi in Dresden und Wien. Die grosse +feyerlich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dunkeln +Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine +ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln +vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische +Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der +mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber +ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich +hinein trat, sassen, standen und lagen eine Menge gemeiner +Kerle bacchantisch vor ungeheuer grossen Weinfässern, als ob +sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben +wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine +Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text +des alten englischen Bischofs hat dieses Bild nicht. In dem +ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu +bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig, +dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon +fin<!-- pb n="87" facs="#f0113"/ -->den. Der Sergeant +gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre +Höflichkeit ein gutes Trinkgeld geben wollte. Nun holte man +Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine +fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr +Quartier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant +ganz höflich, es sey kein Platz mehr da. Das sah ich auch +selbst ein. Er machte auch Dienstschwierigkeiten, die ich +als ein alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überliess +Brot und Wein dem Ueberbringer und verlangte, man solle mich +auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand +ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhabenden meinen +Fall und schloss mit der Meinung, dass ich doch Quartier +haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die +Herren lärmten, fluchten und lachten und sagten, es gehe +ihnen eben so; die Welschen schlugen die Deutschen todt nach +Noten, wo sie konnten. Man schickte mich zum Platzmajor. +Gut. Dieser foderte meinen Pass, fand ihn richtig, +revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den kommenden Morgen +bey der Polizey melden, die ihn auch unterschreiben müsse, +und machte einige Knasterbemerkungen über die Nothwendigkeit +der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. Das ist +alles recht gut, sagte ich; aber ich kann kein Quartier +finden. Ach das wird nicht fehlen, meinte er: aber es fehlt, +meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich +nieder, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbraunen und +schickte den Gefreyten mit mir und meinem +Tornister <span class="italic">alla nave</span>. Der +Gefreyte wies mich ins +<!-- pb n="88" facs="#f0114"/ --> Schiff und ging. Als ich +eintrat, sagte man mir, es sey durchaus kein Zimmer mehr +leer; es sey alles besetzt. Ich that gross und bot viel +Geld; aber es half nichts. Sie sollten es für den vierten +Theil haben, antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche +Frau; aber es ist kein Platz. Ich kann nicht fort, es ist +spät; ich bin müde und es ist draussen kalt. Die Italiänerin +machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich. +Ich gehe nicht, sagte ich, wenn man mir nicht einen Menschen +mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt. Den gab +man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und +foderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von +neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. +Wort gab Wort. Einer der Herren sagte lachend; Warten Sie, +vielleicht bin ich noch so glücklich Ihnen Quartier zu +verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns +oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich +habe hier einige Bekanntschaft. Der Offizier ging einige +hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt +Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und +Bette waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu +haben. <span class="italic">Ma Signore</span>; sagte die +Wirthin, <span class="italic">questa casa non è locanda; non +si mangia qui.</span> Ich hatte sieben Meilen im Januar +gemacht und war auf, dem Pflaster noch eine Stunde herum +trottiert; ich konnte mich nicht entschliessen spät in der +Finsterniss noch einmahl auszugehen. Der Officier war fort. +Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen +freundlich <span class="italic">Felicissima notte</span>: +ich ging +<!-- pb n="89" facs="#f0115"/ --> +ärgerlich zu Bette und schlief herrlich. Den andern +Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die +Polizey gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn +Tagen wohl vier Mahl verändert worden: man wies +mich hier hin und dort hin, und ich fand sie +nirgends.</p> + +<div class="poem"> +Der Henker hohl' Euch mit der Polizey!<br /> +Es ist doch alles lauter Hudeley.<br /> +</div> + +<p>So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel +und einige Aepfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte +den sehr billigen Preis für mein Quartier, stekte meinen +Pass ohne die Polizey wieder in die Brieftasche und reiste +zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den +Abend aber, denn zu Mittage konnte ich kein schickliches +Haus finden und fastete, erholte ich mich ziemlich wieder zu +Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein +Deutscher und Feldwebel bey einem kaiserlichen Regimente +war, kam zu Fusse mit ihrem kleinen Jungen von ungefähr zwey +Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weisst ich liebe +schöne reinliche Kinder in diesem Alter ungewöhnlich, und +der Knabe fing so eben an etwas von der Sprache seines +Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stammeln +und hatte sein grosses Wesen mit und auf meinem Tornister. +Der Wirth brachte uns Polenta, Eyerkuchen und zweyerley +Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du +siehst, dabey war kein Fleisch; das war also an meinem +Geburtstage gefastet nach den besen Regeln der Kirche.</p> + +<!-- pb n="90" facs="#f0116"/ --> +<p>Der Weg zwischen Triest und Venedig ist ausserordentlich +wasserreich; sehr viele grosse und kleine Flüsse kommen +rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und +die Piave die vorzüglichsten sind. Zwischen Codroipo und +Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, +auf dem Rücken eines grossen ehrenfesten Charons, der seine +langen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der +Fluss war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu solcher +Zeit die Methode Fussgänger überzusetzen. Sein Bett ist über +eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muss, +wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche gross +sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man +kann durchaus an den Betten sehen, welche ungeheuere +Wassermenge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Wasser +so schön und hell, dass ich überall trinke: denn für mich +geht nichts über schönes Wasser. Die Wohlthat und den Werth +davon zu empfinden, musst Du dich von den Engländern einmahl +nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden +Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase +zuhalten muss, wenn man es durch ein Tuch geschlagen trinken +will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke +zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging +es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich +die Ehre +<!-- choice><sic -->hattte<!-- /sic><corr>hatte</corr></choice --> dem +König die dreyzehn Provinzen mit verlieren zu helfen.</p> + +<p>In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffentliche +Mummerey von Gassenmaskerade, musste bey +<!-- pb n="91" facs="#f0117"/ --> gar jämmerlichen Fischen +wieder fasten, und wäre übel gefahren, wenn mich ein +kleines niedliches Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig +mit Kastanien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche +einige hübsche Votivgemählde, mit denen man sich wohl eine +halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis +Pordenone ist viel dürres Land; doch findet man mit unter +auch sehr schöne Weinpflanzungen. Die Deutschen stehen, wie +Du aus der Geschichte von Udine gesehen hast, eben nicht in +dem besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein +Unglück für mich, dass man mich meistens für einen Franzosen +hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer +Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhohle, +ich sey ein Deutscher; so will man es doch nicht glauben. In +der Vermuthung, ich müsse ein französischer Offizier seyn, +der das Land umher durchzieht, werde ich oft recht gut +bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also +doch so ungewöhnlich nicht +seyn. <span class="italic">Signore è Francese, ma non volete +dirlo; Fate bene, fate bene</span>: sagte man mir mit sehr +freundlichem Gesichte. Alles kommt freylich auf den +Partheygeist an, der hier eben so mächtig ist, als irgendwo. +Viele klagen über die Franzosen; aber die Meisten scheinen +es doch nicht gern zu sehen, dass sie nicht mehr hier +sind.</p> + +<p>In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von +Venedig kamen und den Weg nach Triest zu Fusse machen +wollten, den ich eben gekommen war. Das Herz ward ihnen sehr +leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es sey mir +keine Gefahr aufgesto<!-- pb n="92" facs="#f0118"/ -->ssen: +denn man hatte auch diesen Herrn von der andern Seite das +Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort, +wie er sich selbst in der Gesellschaft einführte, ein +grosser Philosoph, ungarischer Hussarenunteroffizier, der +hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte +gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und +indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses +Verbrechens verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem +Pass zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die Worte +zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie aber glauben, dass +es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur +Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von ihrer +Philosophie etwas Humanität. Das wirkte: der Mann fing nun +an ein halbes dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich +das Italiänische und Ungarische mit einer horrenden +Volubilität. So bald wir nur lateinisch zusammen kamen, +waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner +politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends +zu meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehörten wir +durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich +an die Pastetchen, und alle Coneglianer, Trevisaner und +Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der +Mann aus seinem Schatze hervorgoss.</p> + +<p>Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf einem +eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab +zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, +der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der +Bedingung, dass ich gleich +<!-- pb n="93" facs="#f0119"/ --> abginge, liess ich mir die +Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in +Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig +überzusetzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich +niedriger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten +Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein Fuhrwerk +zeigte; so dass ich nicht wusste was ich denken sollte. Aber +vor der Stadt hielt er an und packte noch einen +venetianischen Kaufmann und eine Tyrolerin ein, die als +Kammerjungfer ihrer Gräfin nachreiste; und nun begriff ich +freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent +und die Landhäuser werden häufiger und schöner; und von +Treviso ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter +Garten. Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber +ununterbrochen deutsch und italiänisch; der Italiäner war +ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald in +einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem die +deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet +ist: und doch kann man nicht sagen, dass sie geradezu in +Unanständigkeit ausgeartet wären. Bloss der unreine Nasenton +der Tyrolerin missfiel mir; und da ich bey der zufälligen +Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens +einige beträchtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, +dass ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die +Ehrenstelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich erhielt +meinen Theil Witz von den Leutchen für meine überstoische +Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat +eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der +italiänischen Sprache +<!-- pb n="94" facs="#f0120"/ --> und einige Sarkasmen, die +ich ganz trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus +Artigkeit mit in ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte +morgen mit der Gräfin zusammen die Ueberfahrt nach dem +schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesellschaft von +Venetianern, die noch diesen Abend übersetzen wollte und +schloss mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern +waren alle Einheimische und hatten weiter nichts nöthig als +dieses zu sagen; aber ich Fremdling musste einige Zeit auf +der Wache warten, bis der Offiziant meinen Pass gehörig +registriert hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen +Passierzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung, +mich damit in Venedig auf der Polizey zu melden. Das foderte +etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war; +und meine Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas +übellaunig. Doch das gab sich bald. Man fragte mich, als ich +zurück kam, mit vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich +sey? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich +höchlich als man hörte, dass ich zu Fusse allein einen +Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der +Abend war schön, und ehe wir es uns versahen, kamen wir am +Rialto an, wovon ich aber jetzt natürlich weiter nichts als +die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von +Conegliano, mit dem ich während der ganzen Ueberfahrt viel +geplaudert hatte, begleitete mich durch eine grosse Menge +enge Gässchen in den Gasthof <span class="italic">The Queen +of England</span>; und da hier alles besetzt war zum goldnen +Stern, nicht weit vom +<!-- pb n="95" facs="#f0121"/ --> Markusplatze, wo ich für +billige Bezahlung ziemlich gutes Quatier und artige +Bewirthung fand.</p> + +<p>Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in +Venedig an, und lief gleich den Morgen darauf mit einem +alten abgedankten Bootsmann, der von Lissabon bis +Konstantinopel und auf der afrikanischen Seite zurück die +ganze Küste kannte, und jetzt den Lohnbedienten machen +musste, in der Stadt herum; sah mehr als zwanzig Kirchen in +einigen Stunden, von der Kathedrale des heiligen Markus +herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen +Beherrscherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Kenner +wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem was da ist und +was da war. Aber das alles ist Dir wahrscheinlich schon aus +Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der +Aufzählung noch mit dem Urtheil grosse Ehre erwerben. Der +Pallast der Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der +Rialto ist mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des +Markusplatzes nach dem Hafen zu haben die Oestreicher sechs +Kanonen stehen, und gegen über auf Sankt George hatten schon +die Franzosen eine Batterie angelegt, welche die +Kaiserlichen natürlich unterhalten und erweitern. Die +Parthie des Rialto hat meine Erwartung nicht befriedigt; +aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er noch jetzt ist, +übertroffen.</p> + +<p>Es mögen jetzt ungefähr drey Regimenter hier liegen, eine +sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle. So wie die +Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete man mit zehn +tausend Mann Venedig; wenn man nehmlich im Anfange energisch +und sodann klug und +<!-- pb n="96" facs="#f0122"/ --> human zu Werke ginge. Das +Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens +nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am +Zeughause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich +leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und einige Mahl +den grossen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig +vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müsste +denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön +sind.</p> + +<p>Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Betteley. +Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den +schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden; +und der Anblick des Elends unterstützt das Nothgeschrey des +Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht +Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last +meiner Gefühle erliegen. Schon Küttner hat viele Beyspiele +erzählt, und ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die +niederschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen von +guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdringlichen +Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu finden, wie sie, +die Hände gefaltet auf die Brust gelegt, ein kleines +hölzernes Gefäss vor sich stehen haben, in welches die +vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in +Venedig bliebe, müsste ich nothwendig mit meiner Börse oder +mit meiner Empfindung Bankerott machen.</p> + +<p>Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisatoren und +Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen +Kreis um sich her schliessen lassen und für eine Kleinigkeit +irgend eine berühmte Stelle +<!-- pb n="97" facs="#f0123"/ --> sprechen, oder auch aus +dem Stegreife über ein gegebenes Thema theils in Prose +theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, dass man +sie wirklich einige Mahl mit grossem Vergnügen hört. Du +kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie +erniedrigend das Handwerk seyn muss. Eine Menge Leute von +allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, sassen auf +Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den +Anfang, und eine Art von buntscheckigem Bedienten, der +seinem Prinzipal das Geld sammelte, rief und wiederholte mit +lauter Stimme: +<span class="italic">Manca ancora cinque soldi; ancora +cinque soldi!</span> Jeder warf seinen Soldo hin, und man +machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem +schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte +und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von diesen +Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen +in unsern deutschen Blättern lesen!</p> + +<p>Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärmlicher als +in der Stadt; aber eben desswegen sind dort nicht so viele +Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine +leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst +die beste, und ihre Kapuziner sind die Einzigen, die in +Venedig noch etwas schöne Natur geniessen. Die Kirche ist +mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach +der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst +einigen Oleastern in der Gegend des Zeughauses, sind die +einzigen Bäume, die ich in Venedig gesehen habe. Die Insel +Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo +der jetzige Papst <!-- pb n="98" facs="#f0124"/ -->gewählt +wurde, und wo auch noch sein Bildniss ist, das bey den +Venetianern von gemeinem Schlage in ausserordentlicher +Verehrung steht. Der Maler hat sein mögliches gethan, die +Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein +gar stattliches Gebäude, und wie ich schon oben gesagt habe, +mit Batterien umgeben.</p> + +<p>Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche, +billige, freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen +Artigkeiten genossen, die ich in meinem Vaterlande nicht +herzlicher hätte erwarten können. Einen etwas schnurrigen +Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf dem Markusplatze. +Man hatte mich beständig in dem nehmlichen Reiserocke, (die +Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich keinen +andern im Tornister tragen wollte,) an den öffentlichen +Orten der Stadt herum laufen sehen, und doch gesehen, dass +ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren verzehrte. Ich +zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn +nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch +ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Dirnen der +Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, dass ich bey der +Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner +Liren aus der Tasche gezogen hatte, und legten sich, als der +Bediente fort war und ich allein gemächlich nach Hause +schlenderte, ganz freundlich und gefällig an meinen Arm. Ich +blieb stehen und sie thaten das nehmliche. Man gruppierte +sich um uns herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die +Mühe zu geben mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit +<!-- pb n="99" facs="#f0125"/ --> ihrer artigen +Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde +ganz hübsche Sünderinnen, und trugen sich ganz niedlich und +anständig mit der feineren Klasse. Ich demonstrierte in +meinem gebrochenen Italiänisch so gut ich konnte, sie +möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die +Gesellschaft in einiger Entfernung lächelte und Einige +lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich +so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiss +und fing an in meinem stärksten Basstone auf gut Russisch zu +fluchen, mischte so etwas +von <span class="italic">Impudenza</span> +und <span class="italic">senza vergogna</span> dazu, +stampfte mit meinem Knotenstocke emphatisch auf das +Pflaster, dass die Gesellschaft sich schüchtern zerstreute +und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.</p> + +<p>Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäftigte +mich fast eine halbe Stunde. Ich verschliesse den Abend mein +Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, +finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern +Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab +geworfen. Das Schloss war unberührt und mir fehlte übrigens +nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus +grübeln, und mir schwebten mancherley sonderbare Gedanken +von der alten venetianischen Polizey vor dem Gehirne; so +dass ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem +Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war +gross und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den +Aufschluss, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und +man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem +<!-- pb n="100" facs="#f0126"/ --> +Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. +Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer +weiss was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.</p> + +<p>Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen +Gegenstande, von Canovas Hebe. Ich weiss nicht, ob Du die +liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich +wird sie lange, vielleicht immer beherrschen. Fast glaube +ich nun, dass die Neuen die Alten erreicht haben. Sie soll +eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. +Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint +den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin +einen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem +grossen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine +Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, dass sie die +Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich +habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen +guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr +als alle +<span class="italic">veneres cupidinesque</span>.</p> + +<div class="poem"> +<span class="indent">Ich stand von süssem Rausche trunken,</span><br /> +Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,<br /> +Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,<br /> +Die hold auf mich herunter sah,<br /> +Und meine Seele war in Funken:<br /> +Hier thronte mehr als Amathusia.<br /> +Ich war der Sterblichkeit entflogen,<br /> +Und meine stillen Blicke sogen<br /> +Aus ihrem Blick Ambrosia<br /> +Und Nektar in dem Göttersaale;<br /> +<!-- pb n="101" facs="#f0127"/ --> +Ich wusste nicht, wie mir geschah:<br /> +Und stände Zevs mit seinem Blitze nah,<br /> +Vermessen griff' ich nach der Schale,<br /> +Mit welcher sie die Gottheit reicht,<br /> +Und wagte taumelnd jetzt vielleicht<br /> +Selbst dem Alciden Holm zu sagen,<br /> +Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. —<br /> +</div> + +<p>Du denkst wohl, dass mich das marmorne Mädchen etwas +ausser mich gebracht hat; und so mag es allerdings seyn. Der +Italiäner betrachtete meine Andacht eben so aufmerksam, wie +ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine +Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin +ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis +jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe; und ich +verzweifle selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. +Ich muss Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo +er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäss, die +goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiss +nicht bestochen; ich habe bloss die Göttin angebetet, auf +deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel +liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt +und Glieder und des Gewandes will ich nicht eingehen; das +mögen die Geweiheten thun. Alles ist des Ganzen würdig.</p> + +<p>In dem nehmlichen Hause steht auch noch ein schöner +Gypsabguss von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein +schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich +zu diesem Seelchen zu wenden. +<!-- pb n="102" facs="#f0128"/ --> In dem Zimmer, wo der +Abguss der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in +Gyps von Canovas übrigen Arbeiten. Eine Grablegung des +Sokrates durch seine Freunde. Die Scene, wo der Verurtheilte +den Becher nimmt. Der Abschied von seiner Familie. Der Tod +des Priamus nach Virgil. Der Tanz der Phäacier in Gegenwart +des Ulysses, wo die beyden tanzenden Figuren vortrefflich +sind: und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva, unter +Anführung der Hekuba. Alles ist eines grossen und weisen +Künstlers würdig; aber Hebe hat sich nun einmahl meines +Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übrig +gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem +Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das +Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so wird +seine Seele gewiss es erst zu diesem Ideal erhoben haben, +das jetzt alle Anschauer begeistert.</p> + +<p>Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatze ist, habe ich +fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen +die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den +konsularischen Pallast der Gallier bewachen sollen. +Sonderbar; wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, +in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen +andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer liessen ihren +Verbündeten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt +kommen die Herren und holen die Pferde nach. Wo ist der +Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem +adriatischen Meere feyerte? Die Britten gingen seit geraumer +Zeit schon etwas willkührlich +<!-- pb n="203 " facs="#f0129"/ --> und ungebührlich mit +seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der +Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr +Mühe seinen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und +nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur +Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modificieren +müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von +der einen Seite mit Schonung und von der andern mit +gehöriger Resignation geschieht.</p> + +<p>Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey +gelegen hatte und dort unterschrieben werden musste. Ich bin +überhaupt kein grosser Wälscher, und der zischende Dialekt +der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der +Kanzley mit dem Ausfertiger nicht gut fertig werden, und man +wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der +fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter +einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach +ich Deutscher deutsch. <span class="italic">Non son asino +ferino</span>, antwortete der feine +Mann, <span class="italic">per ruggire tedesco</span>. Das +waren, glaube ich, seine Worte, die freylich eine grelle +Ausnahme von der venetianischen Höflichkeit machten. Die +Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen dass +ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie +verstanden hatte, sagte ziemlich +mürrisch: <span class="italic">Mais pourtant, Monsieur, il +est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui</span> +sache <span class="italic">la langue de votre +Souverain</span>. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er +fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte +mir, dass mein Pass ausgefertiget sey, und in drey Minuten +war ich fort. Ich +<!-- pb n="104" facs="#f0130"/ --> +erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis, +wie man gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese +Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher +scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie +zu ändern.</p> + +<p>Morgen will ich über Padua am Adria hinab wandeln und +mich so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich +hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den +Aetna hinüber bugsieren lassen kann. Die Sache ist nicht +ganz leicht. Denn unter Ankona bey Loretto endigt die +Poststrasse; und durch Abbruzzo und Kalabrien mag es nicht +gar wegsam und wirthlich seyn: <span class="italic">sed non +sine dis animosus infans</span>. Ich weiss, dass mich Deine +freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt +seyn wirst, dass meine Seele oft bey meinen Freunden und +also auch bey Dir ist.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/14-bologna.html b/OEBPS/Text/14-bologna.html new file mode 100644 index 0000000..8556af1 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/14-bologna.html @@ -0,0 +1,442 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Bologna</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Bologna"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Bologna</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">N</span>eun Tage war ich in +Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die +Nacht fuhr ich mit der Korriere wieder ab. Die Gesellschaft +war ziemlich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen +Pferde zusammen geschichtet. Das Wetter war nicht sehr +günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr +des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta +herauf soll sehr angenehm seyn; aber das Wasser hatte +bekanntlich die Strassen durch ganz Oberitalien so +fürchterlich zugerichtet, dass es +<!-- pb n="105" facs="#f0131"/ --> ein trauriger Anblick +war; und ich grämte mich nicht sehr, dass ich auf meiner +Fahrt und wegen stürmischen Wetters wenig davon sehen +konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter +leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie +die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gesprochen, +was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die einzige Bemerkung +nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann +machte: es wäre nun zu hoffen, dass wir in dreyssig oder +vierzig Jahren zu Fusse nach Venedig würden gehen können. Er +deutete bloss kurz an, die alte Regierung habe ein Interesse +gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die +Räumung der Lagunen viel Geld kosten lassen; die neue +Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und +brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die +Strasse von Mestre nach Venedig fest zu machen. Ich lasse +die Hypothese dahin gestellt seyn.</p> + +<p>Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hatte, nahm ich +meinen Tornister und machte dem heiligen Antonius meinen +Besuch. Sogleich war ein Cicerone da, der mich führte, und +meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich +wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und +wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller +Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in +der gothischen Kathedrale herum. In der Kirche drängten sich +mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und liessen sich mit +Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich +gekleidet und zeigten +<!-- pb n="106" facs="#f0132"/ --> mir alle ihre Wunder mit +viel Salbung; und ich hatte die Ehre dreye zu bezahlen. +Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von +welchem alle meine drey Führer nichts wussten. Er muss in +seiner Vaterstadt jetzt so ausserordentlich berühmt nicht +seyn: denn drey stattlich gekleidete Männer, die ich nach +der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von +seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwey davon +geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein alter +Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich +wandelte in dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig +herum, und redete einen Mann mit einem ziemlich +literärischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir +italiänisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber +es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu +alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf +an einen Andern, der mit einem Buch in einer Ecke sass. +Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den +alten Stein über dem Eingange einer Expedition. Du kennst +ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts +sagt, als dass die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier +dieses Andenken errichtet haben. Das neue prächtige +Monument, das der ehemalige venetianische Senat und das +Paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es +zu entfernt war und ich diesen Abend noch nach Battaglia +patrollieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner +sehr artig: <span class="italic">Gratias tibi habemus pro +tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis +aliis testimonio, quantopere noster Livius apud +<!-- pb n="107" facs="#f0133"/ --> exteros merito colatur. +Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas</span>. Der +Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen +klassischen Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.</p> + +<p>Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades +Weges durch seine alte trojanische Vaterstadt in das +klassische Land hinein, das ehemahls so grosse Männer gab. +Du weisst, dass ich sehr wenig Literator bin; weisst aber +auch, dass ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, +dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache +zu lesen. Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich +gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also +wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, dass +wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten +etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier +und da über seine Wiederfindung gemacht hat, sehr +verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da +fand ich denn in meinem Sinn, dass wir wohl schwerlich den +ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu +bedauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen +Geschichte für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo +sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius +in ihrem ganzen Gange gezeigt hat, der Sklavenkrieg und die +Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den +Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, dass +er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sey. Livius war +ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer +Patriot und Verehrer der Freyheit, +<!-- pb n="108" facs="#f0134"/ --> wie alle seine Mitbürger, +die es bey den letzten Unruhen in Rom unter dem Triumvirat +thätig genug gezeigt hatten; er war ein erklärter Feind der +Despotie. August selbst, dem die römische Schmeicheley +schändlicher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn +mit einer sehr feinen Tyrannenmässigung nur einen +Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun Meister; man +kennt die Folge der erbaulichen Subjekte derselben, die +schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so +schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest +doch wohl begreiflich, dass die Cäsarn nicht absichtlich ein +Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden +gefördert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des +Tacitus sehr wahrscheinlich, dass man alles gethan hat sie +zu unterdrücken; wenigstens die Stellen, wo der +aristokratisch römische Geist überhaupt und die Tyranney der +Cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben +gezeichnet seyn musste. Dieses waren vorzüglich der +Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt +ein weitläufiges Werk, und nicht jeder war im Stande sich +dasselbe kopieren zu lassen. Alle fanden es also +wahrscheinlich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse +gemäss, die Stellen nicht bey sich zu haben, die ihnen von +dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher leicht die +blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das +Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl +verloren gegangen als vernichtet worden: und als man anfing +ihn ins Arabische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so +<!-- pb n="109" facs="#f0135"/ --> verstümmelt, wie wir ihn +jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt +die wichtigen Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem +seltenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vulkans, so +kannst Du, aus der Analogie der neuen Herrscher mit den +alten, ziemlich sicher darauf rechnen, dass wir die Schätze +nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und +vergrösserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden +zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat. +Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte +drey Fussreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort +von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der +grössten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr +bin.</p> + +<p>Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir +überlasse, wandelte ich die Strasse nach Rovigo fort. Diese +Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von +Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen +Regenwasser hatten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog +sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueberall +war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend +ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die +jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war diess noch mit Folge +des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage +an der Strasse in einem Wirthshause ein, das nicht die +schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, +als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte +viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern +<!-- pb n="110" facs="#f0136"/ --> nur etwas Brot schaffen +könnte. Aber es war unmöglich; man gab mir aus Gutmüthigkeit +noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich musste damit +und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.</p> + +<p>Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das +Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses, +der meinen Pass mit aller Schwerfälligkeit der alten +Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, dass +ich diesseits bey dem französischen Kommandanten wohl +Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war +alles gerade das Gegentheil. Er war ein freundlicher +jovialischer Mann, der mir den Pass, nach einem flüchtigen +Blick auf mich und auf den Pass, ohne ihn zu unterschreiben, +zurück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, dass er +nicht unterschriebe. <span class="italic">Vous n' en avés +pas be</span><span class="italic">soin</span>; sagte +er: <span class="italic">Vous venés de l' autre coté?</span> +— <span class="italic">Je viens de +Vienne</span>, <span class="italic">et je m' en vais par +Ferrare à Ancone</span>. +— <span class="italic">N'importe</span>; versetzte +er; <span class="italic">allés +toujours</span>. <span class="italic">Bon voyage</span>! Die +Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die +Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des +Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo +war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn +Triest und Venedig und die übrigen Oerter hatten alle noch +so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, dass es mir kaum +einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in +Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach +Pässen, ob ich gleich überall starke französische +Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem +Platze der grosse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der +<!-- pb n="111" facs="#f0137"/ --> Spitze, und gegen über in +dem grossen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von +Italiänern und Franzosen, die sich der jovialischen Laune +der Ungebundenheit überliessen. Aber alles war sehr +anständig und ohne Lärm.</p> + +<p>Ich muss Dir bekennen, dass mir dieses heitere kühne +Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in Wien und +Venedig sehr wohl gefiel, und dass ich selber etwas freyer +zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freyheit für +mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern wünschen +möchte. Das Wasser hatte hier überall ausserordentlichen +Schaden gethan, wie Du gewiss schon aus den öffentlichen +Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der +sogenannte <span class="italic">canale bianco</span> seine +Dämme durchbrochen und links und rechts grosse Verwüstungen +angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den +Dämmen und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in +den alten Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen +der Armuth in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und ich +schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und +grossen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da die +Strasse ganz abscheulich war, liess ich mich bis Ponte di +Lagoscuro auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf +Ruderknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine +Summe von zehn Liren. Der Po ist ein grosses schönes +majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne +vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in +weiter weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte, +und die Griechen haben +<!-- pb n="112" facs="#f0138"/ --> +ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer +oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun +die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus +scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.</p> + +<p>Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des +Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist +ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch +gebratener Kapaun ein sehr angenehmer Willkommen. Diesen +fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen +darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich +guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich +und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die +architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Strassen +sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur +eine Kleinigkeit, nehmlich Menschen. Französische Soldaten +sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die +öffentlichen Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne +Schönheit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem +Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an +der Bibliothek, sehr viele alte lateinische Inschriften +eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich +wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich +ansehnlich; und man wiederholte mit Nachdruck einige Mahl, +dass durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, +dass alles durch die Beyträge des Publikums und von +Privatleuten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft +worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das +Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den +<!-- pb n="113" facs="#f0139"/ --> Benediktinern stand: das +sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere +Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von +Ariost und sein metallenes sehr schön gearbeitetes +Dintenfass, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die +Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu +Oden und Dithyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas +inspirationsfähiger wäre. So viel muss ich sagen, die +Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich gesehen +habe.</p> + +<p>Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit +Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, +Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, dass ich +gewöhnlich nicht faste, wie an meinem Geburtstage zu Udine, +und dass die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier +ein kleines Exempel nehmen könnten. Das Wetter war +fürchterlich. Ich hatte gelesen von den grossen gefährlichen +Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen +bestätigten es und sagten weislich noch mehr; so dass ich +nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach +Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die +Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon +in Padua konnte ich eine kleine Ahndung davon haben: denn +eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua +bringen; da ich aber sagte, dass ich nach Bologna wollte, +verlor kein Einziger ein Wort weiter, als dass sie alle +etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine +Kutschengefährten waren ein cisalpinischer Kriegskommissär, +und eine Da<!-- pb n="114" facs="#f0140"/ -->me von +Cento, die ihren Mann in der Revolution verloren hatte. Wir +zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter +gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlimmsten +Strecken zu Fusse gegangen waren. Einige Stunden von Ferrara +aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an +die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen; +die billigen Bauern foderten aber für zwey Stunden nicht +mehr als acht und zwanzig Liren für zwey Ochsen, ungefähr +sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann +jammerte mich und ich rieth ihm selbst gar kein Gebot auf +die unverschämte Foderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit +der furchbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde +weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und +arbeiteten uns zu Fusse durch, und es ward mit dem leeren +Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich +dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert +Schritte weiter fielen alle beyde und wälzten sich ermattet +in dem schlammigen thonigen Boden. Da hatten wir denn in +Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche +Elend <span class="italic">in concreto</span>. Die Pferde +halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen sass fest. +Nun stelle Dir die ganz bekothete Personalität deines +Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen +Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens +setzte und heben und schieben half, dass die Dame und der +Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und +nach drey Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott. +Aber ans Einsetzen war nicht zu +<!-- pb n="115" facs="#f0141"/ --> denken. Nun hatte ich das +Amt, die Dame und den Kommissär durch die engen schweren +Passagen zu bugsieren, und that es mit solchem Nachdruck und +so geschicktem Gleichgewicht auf den schmahlen Stegen und +Verschlägen und an den Gräben, dass ich ihnen von meiner +Kraft und Gewandtheit eine gar grosse Meinung gab. Schon +hatten wir uns, als wir zu Fusse voraus über den +italiänischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluss, +gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirthshause zu +Malalbergho einquartiert und uns in die Pantoffeln geworfen, +als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht +italiänische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts +dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus +sollte der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder +in den Wagen und liessen uns weiter ziehen. Nun trat eine +andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär, drollig +genug an Italiänern, ward bange vor Gespenstern. Der +Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Muth nicht viel +zur Befreyung seines Vaterlandes beygetragen zu haben. Mir +ward zwar auch etwas unheimisch, nicht vor Geistern sondern +vor Strassenräubern, für welche die Strasse zwischen tiefen +breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle +ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer +meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht +kamen wir glücklich auf unserer Station, einem isolierten, +ziemlich grossen und guten Gasthof an, der, wenn ich mich +nicht irre, Althee hiess und von dem ich Dir weiter nichts +zu sagen weiss, als dass man mir einen Wein gab, der +<!-- pb n="116" facs="#f0142"/ --> dem Champagner ähnlich +war und also meinen Beyfall hatte. Bey diesem Weine und der +guten Mahlzeit schien der Kriegskommissär ganz eigentlich in +seinem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun freylich +nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich nach einer +solchen Fahrt dabey auch ganz behaglich.</p> + +<p>Den andern Mittag langten wir hier in der alten +päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach +meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so +strenge, als mit meinem Kameraden dem Kommissär, der aus der +Gegend von Parma war, und der ein förmliches +Kandidatenexamen aushalten musste. Auf der Polizey, wo ich +den Pass signieren lassen musste, war man eben so artig und +höflich als an dem Gränzflusse. Hier in Bologna fand ich +überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an +Schweinerey gränzt: und wenn man der häuslichen Nettigkeit +der Italiäner überhaupt kein grosses Lob geben kann, so +haben die Leute in Bologna den grössten Schmutz aufzuweisen. +Ausser dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die +Bologneser noch, dass ihre Stadt so gross sey wie Rom. Daran +thun sie nun freylich etwas zu viel; wenn man aber auf den +Thurm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den +Raum doch gross genug finden, um in eine solche Versuchung +zu gerathen, zumahl wenn man etwas patriotisch ist. Der +Hauptplatz mit der daran stossenden Kathedrale, und dem +Gemeinehause rechts und den grossen schönen Kaufmannshallen +links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf +demselben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine +<!-- pb n="117" facs="#f0143"/ --> Verdienste; nur Schade, +dass der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat, +dass er wohl kaum den Nachbaren auf hundert Schritte in die +Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses +ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht sehr +demüthig in einem sehr spiessbürgerlichen Aufzug daneben. +Ueber dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der Freyheit +mit der Umschrift in grossen +Buchstaben: <span class="italic">Republica Italiana</span>; +welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man +die <span class="spaced">Cisalpiner</span> in diese +Nomenklatur metamorphosiert hatte.</p> + +<p>Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man +daselbst durchaus immer die +niedrigsten <span class="spaced">Hans</span>wurstiaden gebe +und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse. +Hätte ich mehr Zeit gehabt so hätte ich doch wohl die +Schnurrpfeifereyen mit angesehen. Ich ging aber auf das +kleine Theater <span class="italic">Da Ruffi</span>, und +fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich +kann nicht begreifen, wie die Leute bey einem so geringen +Eintrittsgelde und den kleinen Raum des Schauspielhauses den +Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten +französischen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo +natürlich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert +wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf +Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht +voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der +Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und +angenehm; die meisten Schauspieler waren, wie man mir sagte, +Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem +Stück +<!-- pb n="118" facs="#f0144"/ --> gab man das beliebte +Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und +auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir +an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus +dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem +Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt +wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren +Munizipalbeamten mit Wache auf dem Theater, die Lose wurden +vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den +Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, +hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze +Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir +hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle +dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der +Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone +war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte +von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob +er die Dialektik studiert hätte und Professor der Aesthetik +wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, dass ich +nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die +Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für +einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich +überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging +trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern +Morgen zum Thore hinaus.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/15-ankona.html b/OEBPS/Text/15-ankona.html new file mode 100644 index 0000000..9f0ee80 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/15-ankona.html @@ -0,0 +1,499 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Ankona</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[119]" facs="#f0145"/ --> + +<div class="chapter" id="Ankona"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Ankona</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Bologna geht es auf dem +alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr +wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Bloss von +Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. +Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren; +der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte +ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den +Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone +schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in +Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Strassen herum. +Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Männer +und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine +Erscheinung mochte für die Leute freylich etwas +hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Kleidung, ein +Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein +grosser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade +hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. +Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand +lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die +ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; +einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freylich nicht +auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den +possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mich +hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don +Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein +anderes +<!-- pb n="120" facs="#f0146"/ --> Bocksgesicht setzte sich +hinter mich, um von seinem Attribut der Klystierspritze +Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von +halb Imola vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer +Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch +nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas aus dem +Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muss ich Dir sagen, +dass mein Bart wirklich über drey Tage lang war und dass ich +von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt +war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge +zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleideter +Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte +mich durch einige Strassen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das +war nun freylich kein erbaulicher Name; indessen ich war +ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch +einmahl durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirthshaus +zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem +ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu +dem Haufen; und nun muss ich den Farcenspielern die +Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie sich, so weit es +ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig +betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich +in drey verschiedenen Sprachen, in der deutschen, +französischen und italiänischen, anredete, verliess mich mit +seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige +französische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in +ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste +Tummelplatz der Maskierten, die in +<!-- pb n="121" facs="#f0147"/ --> hundert lächerlichen +Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder +liefen. Ein siedend heisser politischer Imolait schloss sich +an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene +Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, +wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der +Wahrheit gemäss, ganz ruhig. <span class="italic">On les a +bien forcé à coups de bayonettes à être en repos</span>; +sagte er. <span class="italic">Apparemment</span>; sagte +ich. — <span class="italic">C'est toujours la +meilleure maniere de disposer les gens à se conformer à la +raison</span>. — <span class="italic">Mais oui</span>, +entgegnete ich, <span class="italic">après en avoir essayé +les autres</span>; <span class="italic">pourvù toute +fois</span>, <span class="italic">qu' il y ait de la raison +et de la justice au fond de l'affaire</span> +— <span class="italic">Estce que vous en doutés pour +la notre</span>? — <span class="italic">On ne peut pas +repondre à cela en deux mots</span>. Nun wollte er eine +Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich +entschuldigte mich mit meiner alten +Formel: <span class="italic">Quand on +commence</span>, <span class="italic">il faut toujours +commencer par le commencement</span>; da würde sich denn +ergeben das alte <span class="italic">Iliacos intra muros +peccatur et extra</span>. Der Abend rief mich zum Essen und +zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich indem er +meinte: Wenn es auf uns beyde angekommen wäre, würde wohl +kein Krieg entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für +mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle +Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft +schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum +Papst bilden kann?</p> + +<p>In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und +in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts zu sehen wäre: +Antiquare und Künstler finden daselbst +<!-- pb n="122" facs="#f0148"/ --> reichliche Unterhaltung +für ihre Liebslingsfächer. Aber ich dachte weder an alte +noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus, +das <span class="italic">Hotel de Naples</span>. Auf mein +ltaliänisch war man nicht ausserordentlich höflich, +vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war. +<span class="italic">Ne pourrai je pas parler au maitre de +la maison?</span> fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen +Tornister abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und +alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so +oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In +Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren +etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir +über mich mit lautem Gelächter etwas zu +erlustigen. <span class="italic">Qu'est ce qu'il y a là, +Messieurs?</span> fragte ich mit einer enrhumierten rauhen +Stimme. <span class="italic">Niente, Signore,</span> war die +Antwort; und alles trat still in eine bescheidnere +Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten +können. Ich fand in dem <span class="italic">Hotel de +Naples</span> zwey Kaufleute und drey Schiffer; der Kellner +war ein jovialischer Mensch; man begrüsste mich in einer +Minute zehn Mahl mit dem +Prädikate <span class="italic">cittadino</span>, gab mir den +Ehrenplatz und fütterte mich <span class="italic">à qui +mieux</span> mit den besten Gerichten. Es machte keinen +Unterschied als man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so +sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung. +Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war, +um den Kamin her, machten einen traulichen freundlichen +Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten +Jungen, der wie ein Toast +<!-- pb n="123" facs="#f0149"/ --> +der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den +Knien des Andern ging.</p> + +<p>Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten +<span class="italic">Forum Pompilii</span>, und die Trümmer +einer Brücke, welche auch alt zu seyn scheint. Ich sah von +allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke +gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bey den +Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in +dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt +mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und +also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde +ich von dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit +aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich +ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter +nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen +geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas +ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu +besuchen, und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen +umquartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus +versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: Man habe mich +für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität +logiert würde: nun pflegte die Munizipalität seit geraumer +Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu +bezahlen; man könnte es also nicht übel deuten, dass sie auf +diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche. +Aber ein Galantuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient +werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause +waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als +<!-- pb n="124" facs="#f0150"/ --> man in Ehren nur +verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir +Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im +mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er +bedauerte, dass es Friede sey und der Schleichhandel nicht +mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr +verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute +Bewirthung ausserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine +alte sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte +Freyheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des +fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste +muss für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde +ihm weit rühmlicher seyn, als der verunglückte Pallast für +seinen verdienstlosen Nepoten.</p> + +<p>Vor Savignano ging ich, nicht wie Cäsar, über den +Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher +hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten +entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit +seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu +eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der +Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu +bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Hass verdienen. Ich +erinnere mich, dass es mir in einem solchen moralischen +Kampfe einmahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste +Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeusserung hätte +mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät +zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus +sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz +Liebenswürdigkeit. So, so; <span class="italic">bien vous +fasse!</span> Ihr +<!-- pb n="125" facs="#f0151"/ --> seyd werth, Cäsarn mit +seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen +Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich +nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu +vertheidigen. Also hier gingen wir beyde über den Rubikon, +Cäsar und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einander +gemein, als dass wir — nach Rimini gingen.</p> + +<p>In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, +die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. +Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem +Speisehause. Er besah mich ganz misstrauisch, schaute nach +meinem Huthe und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, +ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der +höflichen Formel weiter: <span class="italic">Andate al +diavolo!</span> Das war der Revers von Cesena. So gehts zu +Revolutionszeiten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt, +dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.</p> + +<p>In Rimini schlief ich gewiss ruhiger, als der mächtige +Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag. Vor der +Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem +Platze <span class="italic">della Fontana</span> steht der +heilige <span class="italic">Gaudentius</span> von Bronze, +der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, +ich weiss nicht welcher, hat hier ein Monument für eine +Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen liess. +Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der +wichtigsten Werke und für eine der grössten Wohlthaten; und +hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht +schöne wohlthätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast +vergeben, dass er Papst ist. Auf dem andern Platze stand +<!-- pb n="126" facs="#f0152"/ --> der Baum mit der Mütze +und der +Inschrift: <span class="italic">L</span>' <span class="italic">Union +des Fran</span>ç<span class="italic">ois et des +Cisalpins</span>. Aber welche Union! das mag der heilige +Bartholomäus in Mayland sagen.</p> + +<p>Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender +wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge +gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu +besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die +Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber +ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die +Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini +den Meister gespielt; desswegen gingen die rechtgläubigen +Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten +ihre muthige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht, +wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer +grossen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu +Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas +abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen. +In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher +Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten +besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir +antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann +hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, +ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich, +was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner +Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu +frieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte +selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an +oft der Fall, dass der +<!-- pb n="127" facs="#f0153"/ --> Herr Wirth sich +hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete +und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz +leise, dass die gottlosen Franzosen viere der schönsten +Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern +Morgen im Kaffeehause sass und mein Frühstück verzehrte, +liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich +einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein +Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz +sein Kreuz machte, sein Stossgebetchen sagte, seine Messe +brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen +Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen +so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in +vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre +solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und +Vernichtung für das Konsequenteste halten: denn solche +Seelen können nicht fort leben.</p> + +<p>Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend +ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den +Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden +Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel +machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus +den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluss, und hat +eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man +wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo +Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber +nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den +alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist +gewiss, dass sie hier in +<!-- pb n="128" facs="#f0154"/ --> der Gegend und am Flusse +vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte +es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau +aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italie +kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr +bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen +Konsuln selig!</p> + +<p>Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage: +vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gärten der +Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich hatte hier das +Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht zu sehen, wo die +Hunde ziemlich hoch geworfen wurden und ziemlich blutig +wegkamen, und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc +hien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich +weiter bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit des +Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war +schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungen +Weitzen und Oehlbäumen geschmückt. Vor Ankona blühten den +neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge +rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oehl und +Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ankona mag +für die Alten ausserordentlich gut gewesen seyn; für die +Neuern ist er es nicht mehr in dem Grade: und wenn nicht der +Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig +mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig grosse Schiffe +sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange des alten +Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans von weissem Marmor, +der aus den Antiquitätenbüchern +<!-- pb n="129" facs="#f0155"/ --> hinlänglich bekannt ist. +Die Schrift fängt an ziemlich zu verwittern, und man muss +schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es +müsste denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der +Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Van +Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig +da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor +demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo +hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke +decken oder wehren bloss den Eingang von der Seite von +Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man +in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die +Besatzung ziemlich stark ist. <span class="italic">Est ce +qu'il est permis de monter la tour pour voir la +contrée?</span> fragte ich. <span class="italic">Non</span>; +war die Antwort: ich musste also zurückgehen und die Berge +rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht theilweise haben +wollte, die ich hier ganz hätte haben können. Es mag +freylich wohl der beste militärische Augenpunkt seyn. Das +Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege +von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein +sehr schönes Gebäude ganz im Meere, so dass eine Brücke +hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schöner bequemer +Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch +Röhren vom Berge und ein ziemlich grosses Waarenhaus. Auch +das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges +Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung +hebt sich nur sehr langsam durch die Massregel des römischen +Hofes, dass man Ankona zu einem Frey<!-- pb n="130" facs="#f0156"/ -->hafen +erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte +Kathedralkirche, wo ausser dem unverweslichen heiligen +Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen, +deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne +prächtige, funkelnagelneue Inskription, dass Pius der +Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die +Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des +Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem +dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist +dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark +Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen +errichtet worden. +<span class="italic">O sancta!</span></p> + +<p>Die Börse ist ein grosser, schöner, gewölbter Saal mitten +in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten Gemählden +und Statüen, welche moralische und bürgerliche Tugenden +vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man +mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.</p> + +<p>Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster, +gar nicht übel; und das italiänische Talent zur Burleske mit +dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich +hier sehr vortheilhaft. Ich kann nicht umhin, Dir hier +einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne +zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, dass sie etwas von der +Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist +bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den +Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, dass dieses +eine schöne ästhetische Wir<!-- pb n="131" facs="#f0157"/ -->kung +thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; wenigstens für +mich muss ich bekennen, dass mir nichts langweiliger und +peinlicher wird als eine solche Zärtlichkeitsscene. Ein Kuss +ist alles, und ein Kuss ist nichts; und hier ist er weniger +als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört +durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der +Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn +er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiss die +Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie +alle zu beantworten. Der Italiäner weiss durch die feinen +Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere +Küsse. Es versteht sich, dass seltene Ausnahmen Statt +finden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell +behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf +dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer +Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir +unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers +Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und +der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten +Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das +Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum +unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man +zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als +ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet +getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, dass ich da in +dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man +Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.</p> + +<!-- pb n="132" facs="#f0158"/ --> +<p>Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo +es so theuer wäre wie in Ankona; selbst nicht das theure +Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen +Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld +schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den +Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr +gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem +Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür wollte +er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit +Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewaltige +Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, +da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht +nicht leicht wieder zu finden glaubte. Er pflanzte sich im +Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen +Impertinenzen; und dafür musste ich ihm die Entree bezahlen +und zwey Paolo Nachschuss für die Nachtstunden. Die Barbiere +bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von +Lehrling, der das Becken trägt und das Bartscheren von dem +grossen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der +That so geräumig, dass man bequem einige Ferkel darin +abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr, +dass die erhitzte Phantasie Don Quischotts so etwas für +einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so +kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in +Ordnung gelegt hat und fodert +etwas <span class="italic">della bona mano</span>, +<span class="italic">della bona grazia</span>, und macht zu +einer Kleinigkeit kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart +hat mich bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und +<!-- pb n="133" facs="#f0159"/ --> +wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die +Bequemlichkeit der Kapuziner halten.</p> + +<p>Die Leute klagten über Noth und hielten bey hellem Tage +durch die ganze Stadt Faschingsmummereyen, dass die +Franzosen die Polizeywache verdoppeln mussten, damit das +Volk einander nur nicht todt trat, so voll waren die Gassen +gepfropft. Da gab es denn eben so possierliche Auftritte, +wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine +sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz +vorbey zog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen +weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich +eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter +den Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld +ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten +und mit den soliden Fuhrleuten in ernsthafte +Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter +den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen +Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit +Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche +zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man +in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort zum Verkauf +trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehen Scheffel +sammeln können. Freylich lesen den andern Tag die Armen auf, +was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit +entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr +närrisch lustige Art Almosen auszutheilen.</p> + +<p>Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man +trifft daselbst immer sehr angenehme unter<!-- pb n="134" facs="#f0160"/ -->haltende +Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare +Erscheinung muss die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege +gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, +Oestreicher, Engländer, Russen, Italiäner und Türken gegen +die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen +Anstrengungen der Herren endlich doch darin behaupteten, und +die nun bloss durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer +Machthaber daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiss in +jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen +Posten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am +ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lautete mein Pass +von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italiänischen +Kanzley ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber +hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Pass +zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen +besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Dawider liess +sich nun freylich kein mathematischer Beweis führen: ich +machte den guten freundschaftlichen Leuten aber deutlich, +dass meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die +sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke +suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts +schlägt man doch nirgends die Leute todt.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/16-rom.html b/OEBPS/Text/16-rom.html new file mode 100644 index 0000000..30105ea --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/16-rom.html @@ -0,0 +1,764 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Rom</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[135]" facs="#f0161"/ --> + +<div class="chapter" id="Rom"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Rom</span>, den 2ten März.</span></div> + +<p> <span class="initial">W</span>ider meine Absicht bin ich +nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so +nahe ans Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von +dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien +zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren +fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus +bey meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme +erschlagene Seele. +<span class="italic">Vous avés bien l'air d'être un peu +François; et tout François est perdû sans ressource en +Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles</span>; sagte +man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich +denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem +Vaterlande zu essen. <span class="italic">On Vous prendra +pour François, et on Vous coupera la gorge sans +pitié</span>; hiess es. +<span class="italic">Fort bien</span>, sagte +ich; <span class="italic">ou plûtot bien fort</span>. Was +war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen +Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sakristan zur Weihe +durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven +und die gewaltig vielen Beichtstühle, liess mir für einige +Paolo ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, +um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu +beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der +Tiber zu. Freylich gab es auch hier keinen Mangel an +Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren +die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und +da zum Denk<!-- pb n="136" facs="#f0162"/ -->mahl und +zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich +habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, +als ich doch wirklich bin; und so bin ich glücklich auf dem +Kapitole angelangt.</p> + +<p>Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich, +abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem +Getreide und Obst und Oehlbäumen besetzt sind; desto +schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis +gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars +bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, +vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges +unerträglich.</p> + +<p>Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt +gewesen, dass ich auf der Strasse den dritten Menschen immer +für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein +kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen +wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an +einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler +Deferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise, +das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. +Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner +Miene, dass er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und +reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die +grösste Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine +Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und +glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas +näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem +ganzen Wesen, dass ich mich +<!-- pb n="137" facs="#f0163"/ --> über meine Uebereilung +ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beyde einander für +ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, dass solche +Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des +augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr +wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von +Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute +gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häuschen im gelobten +Lande nicht behaupten konnten, dass sie es durch die Luft +aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch +wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es +auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war. +Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier +etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport +nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die +doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich +nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt +anzuthun, worüber die hiesigen Frommen grosse Klagelieder +und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des +grossen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die +Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder +ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn +selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum +Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf und abführen +sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle +Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft +in der Vergebung der Sünden; aber wer +<!-- pb n="138" facs="#f0164"/ --> +diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der +Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.</p> + +<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange +Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die +schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links +haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die +das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich +überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis +Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre +Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor +ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymässig die +Freyheit meinen Pass zu beschauen. Der Mann war übrigens +recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus +nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig +behandelt wurde, dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig +starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich +werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig +und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief +so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums. +Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut +Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste +Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Gegend war +paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich +nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, +und ich gerieth in grosse Versuchung mich dort hinunter nach +Fermo und Bari zu schlagen. Bloss mein Versprechen in Ankona +hielt mich zurück. +<!-- pb n="139" facs="#f0165"/ --> Ich bat die guten +Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen +Unglauben, und wanderte fürbass. Der Hunger fing an mir +ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein +ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem +Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. +Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch +Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto +besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war +warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie +die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar +hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; +und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich +davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die +Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte +Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. +Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie +aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir +Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr +nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie +ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die +Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein +Eselstreiber: <span class="italic">Vo</span><span class="italic">lete +andare a Cavallo, Signore</span>? Ich sah seine Kavallerie +an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht +wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die +Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, +so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem +Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben +Esel; und ich +<!-- pb n="140" facs="#f0166"/ --> gab auf den wiederholten +Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen +Bescheid: <span class="italic">Jo sono pedone e non voglio +andare a cavallo sul asino</span>. Die Leute sahen mich an +und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und +meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das +waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, dass im +gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.</p> + +<p>In Tolentino gings gut, und ich liess mich überreden von +hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes +zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu +seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für +Italien ein ganz hübscher Fluss, hat auch etwas besseres +Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen +zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu +seinem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt, +in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen +der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber +der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung: es sey +jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten. +Das war nun nicht erbaulich: Aergerniss hätte mich aber nur +mehr aufgehalten; ich fasste also Geduld und liess mich mit +meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer +setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe, +und so trabten wir italiänisch immer in den Schluchten +hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier +und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die +beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren +<!-- pb n="141" facs="#f0167"/ --> Namen ich vergessen habe, +nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im +punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man +mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen +Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf +in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss, nicht weit +von der grössten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, +dass man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem +See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, +geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg +windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke +hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des +Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der +andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu +nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in +Kontribution setzen. Sie übertheuern den Fremden nicht, +sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an +seine Grossmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, +furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man +müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die +Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hülfe.</p> + +<p>Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es +vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und +romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine +ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche +Gegend eine der grössten Aussichten. Unten rechts, tief in +der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden +Thale die +<!-- pb n="142" facs="#f0168"/ --> Papiermühlen des Papstes +angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben +sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, +geben dann Oehlbäume und haben am Fusse üppige Weingärten. +Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche, +die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens +ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter +rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten +Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war +ziemlich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher Anblick. +Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte! +Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne +Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte +finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens +ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die +gewiss in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter +weideten ehemahls die vom Klitumnus weissgefärbten Stiere, +welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt +holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer +Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom +Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten +Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen +wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen +Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen haben. Die +Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit +Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man +mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen +liess. Eine Be<!-- pb n="143" facs="#f0169"/ -->wirthung, +für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem +Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, musste ich hier in dem +Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich +überdiess mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich +diess durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein +Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach +Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, dass +ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich +selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. +Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und +wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals +Kopfstoss. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des +Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und +Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch +eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so +enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele Tempel +giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist +allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit +grossen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene +gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe +Cypressen, die ehmahls in der Gegend berühmt gewesen seyn +sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre +Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es +sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel +seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich +auf dem jungen Rasan sonnte, setzte sich ein stattlich +gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf +Politik, zog +<!-- pb n="144" facs="#f0170"/ --> einige Zeitungsblätter +aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach +dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie +besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten +dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner +Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das +überliesse ich +denen, <span class="italic">interesset</span>.</p> + +<p>Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungsprojekten; +denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein +Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir +nichts Anmasslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes, +Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist; +nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprösslinge +der grossen Familien, die die nächste Anwartschaft auf +Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser +Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äusserte in +Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch +Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. +Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite +Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des +Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein +Trossbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es +ja noch Churfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein +Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die +moralische Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich +trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige +Ausdruck. So geht es hier und da.</p> + +<p>Der Jäger verliess mich nach einem halben Stündchen +Kosen, und ich verliess den Klitumnus. +<!-- pb n="145" facs="#f0171"/ --> In Spoleto ging ich ohne +Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches +Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte +ich nun Ursache gehabt zu bedauern, dass ich das +Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht +angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe +Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte. +Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten +Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist +ein grosses, altes, dunkles, hässliches, jämmerliches Loch, +das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in +Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, +denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse +Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine +Ausnahme zu machen. Desswegen habe ich mich auch keinen Deut +um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine +ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und +Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdiess in +so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne +Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt, +stehen die Worte in Marmor:</p> + +<p class="center"><span class="spaced">HANNIBAL</span><br /> +CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS<br /> +INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,<br /> +AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,<br /> +INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.</p> + +<!-- pb n="146" facs="#f0172"/ --> +<p>So ist die Ueberschrift. Ich weiss nicht ob es die Worte +des Livius sind; mich däucht, bey diesem lautet es etwas +anders. Die Sache hat indess nach den alten Schriftstellern +ihre Richtigkeit; nur weiss ich nicht ob es eben dieses Thor +seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt +nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch +ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. +Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich +wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen +lassen.</p> + +<p>Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich +sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des +Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den +Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil +desselben; und hier war ich wieder zu Fusse ganz allein. Den +Morgen als ich Spoleto verliess, sah ich links an dem Felsen +noch das alte gothische Schloss, wo sich wackere Kerle +vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können, +ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die +wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man +mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir +einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich +war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen +Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll +der <span class="italic">Jupi</span><span class="italic">ter +Summanus</span> einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur +von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt +es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von +Spoleto ist noch +<!-- pb n="147" facs="#f0173"/ --> nicht so wild und +furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das +Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit, +rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den +ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und +Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen +Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser +und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen +engen Pass anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte +Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele +alte verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von +Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten +Berge sind bis zu einer grossen Höhe mit finstern wilden +Lorberbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu +ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war +mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni +das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage +gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder +erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal +der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor +mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den +Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten +Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu +arbeiten.</p> + +<p>Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. +Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher +zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich, +und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum +Anfange vielleicht +<!-- pb n="148" facs="#f0174"/ --> besser geschmeckt hätten. +Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, dass +dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann +ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht +empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der +Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, +Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in +Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem +Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des +heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich liess mich aber +nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine +Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche +unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in +die Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne +Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir +noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloss der heidnischen +Sonne sein Kompliment zu machen, Richtig. Die Leute haben +bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt +und dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne mehr +scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen +gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht +genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt +Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem +Fegefeuer erlösen wird.</p> + +<p>Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier +Meilen Apenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine +deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Fall des +Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein +Wölk<!-- pb n="149" facs="#f0175"/ -->chen, und es +wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes +etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und +bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der +Atmosphäre einen ganzen hellen herrlich glühenden und einen +grössern dunkeln Bogen im Staube des Falles. Ich sass +gegenüber auf dem Felsen und vergass einige Minuten alles +was die Welt sonst grosses und schönes haben mag. Etwas +grösseres und schöneres von Menschenhänden hat sie +schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb +Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.</p> + +<div class="poem"> +<span class="indent">Hier hat vielleicht der grosse Mann gesessen</span><br /> +Und dem Entwurfe nachgedacht,<br /> +Der seinen Namen ewig macht;<br /> +Hat hier das Riesenwerk gemessen,<br /> +Das grösste, welches je des Menschen Geist vollbracht.<br /> +Es war ein göttlicher Gedanke,<br /> +Und staunend steht die kleine Nachwelt da<br /> +An ihres Wirkens enger Schranke<br /> +Und glaubet kaum, dass es geschah.<br /> +Wie schwebte mit dem Regenbogen,<br /> +Als durch die tiefe Marmorkluft<br /> +Hinab die ersten Donnerwogen<br /> +Wild schäumend in den Abgrund flogen,<br /> +Des Mannes Seele durch die Luft!<br /> +So eine selige Minute<br /> +Wiegt einen ganzen Lebenslauf<br /> +Alltäglichen Genusses auf;<br /> +Sie knüpft das Grosse an das Gute.<br /> +<!-- pb n="150" facs="#f0176"/ --> +Es schlachte nun der zürnende Pelide<br /> +Die Opfer um des Freundes Grab;<br /> +Es zehre sich der Philippide,<br /> +Sein Afterbild, vor Schelsucht ab;<br /> +Es weine Cäsar, stolz und eitel,<br /> +Um einen Lorberkranz um seine kahle Scheitel;<br /> +Es mache sich Oktavian,<br /> +Das Muster schleichender Tyrannen,<br /> +Die je für Sklaverey auf schöne Namen sannen,<br /> +Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:<br /> +Die Motten zehren an dem Rufe,<br /> +Den ihre Ohnmacht sich erwarb,<br /> +Und jedes Sekulum verdarb<br /> +An ihrem Tempel eine Stufe.<br /> +Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,<br /> +Und segnend färbt der Sonnenstrahl<br /> +Des Mannes Monument im Thal,<br /> +Wo sanft der Oehlbaum nickt, und hoch am Firmamente.<br /> +Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,<br /> +Und hoch schlägts links mir in der Seite stark:<br /> +Wer so ein Schöpfer werden könnte!<br /> +</div> + +<p>Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den +hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine +schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke +steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium +an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern +Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie +schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten +Fel<!-- pb n="151" facs="#f0177"/ -->senweg hinunter, +und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung +es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das +Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr +theuer. Es ist traurig für die Humanität, dass man sich mit +Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehlbaums +schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde, +ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein +Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche +gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne +ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und +kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen +und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.</p> + +<p>Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten +des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich +nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter +ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber +ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für +drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die +Reste des alten <span class="italic">ponte rotto</span> bey +Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen, +die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona. +Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben +für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre +eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen +schützt. Ich bekenne, dass ich für zwecklose Pracht, wenn es +auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.</p> + +<!-- pb n="152" facs="#f0178"/ --> +<p>Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und +der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild +genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen +Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bey +Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf +übersieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen, +und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kultur ein +sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In +Otrikoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von +der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor +dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein +Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an +das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich +gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im +Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden +und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so +willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten +ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter +Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen +theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er +war ein starker heisser Politiker und, wie sehr natürlich, +mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten +Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte +weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein +Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und +doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, +die ich noch auf meiner Wanderung in Ita<!-- pb n="153" facs="#f0179"/ -->lien +von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und +Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er musste etwas +Zutrauen zu mir gewonnen haben, dass er mich ohne +Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen liess. Er kannte +die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in +der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz +schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch +vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte +sein Hass den General Murat recht herzlich gefasst, von +dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und +der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm +verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der +erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und +meinte, dass sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so +tief es auch gesunken sey. Wir schüttelten einander +freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden +Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der +alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.</p> + +<p>Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate +zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bey +Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch +noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen +romantisch gross und zuweilen erhaben und furchtbar. Man +vergass leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der +Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die +Bevölkerung wird noch dünner und die Kultur mit jedem +Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für +<!-- pb n="154" facs="#f0180"/ --> das alte Falerii der +Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins +feindliche Lager spazieren führte und von Kamill so brav +unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. +Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten +militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug +als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der +Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast +rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich +sind. Der Anblick flösste mir gleich Respekt ein, und ohne +an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher +erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte +Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke +über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi +und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, +welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es +ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Stil diese +Dinge in Aufschriften erzählt werden: +solche <span class="italic">ampullae et +ses</span><span class="italic">quipedalia verba</span> +scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen. +Die alten Römer thaten und liessen reden, und diese reden +und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher +viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer +angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als dass Pius +der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück +eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen +solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die +Strasse; die alte flaminische geht über Rignano, +Malborghetto und Primaporta nach der +<!-- pb n="155" facs="#f0181"/ --> Stadt, und die neue von +Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die +Strasse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten +Sprichwort: Nun gehen alle Strassen nach Rom; und hielt mich +halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg +kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand. +Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht +sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande +schlimmer als bey uns in Sachsen.</p> + +<p>Erlaube mir über die Strassen im Allgemeinen eine kleine +vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist +empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert +wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um +dieses Geld zu bezahlen. Die Strassen sind einer der ersten +Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. +Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen +Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit +entspringt, für die Strassen zu sorgen; und die Unterthanen +sind nur dann zum Zuschuss verpflichtet, wenn jene Einkünfte +nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die +Befugniss, die Natur und Zweckmässigkeit und den +gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es +nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen. +Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen +Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen +Rechte steht, welches überhaupt als <span class="italic">jus +publicum</span> das traurigste ist, das die Vernunft +ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des +bürgerlichen seyn mag. Bey den +<!-- pb n="156" facs="#f0182"/ --> Strassen tritt noch eine +Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man +durchaus auch mit grossen Summen und anhaltender Arbeit +nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit +Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob +keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird +darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, dass die +Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die +beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben +muss. Ist einmahl der Einschnitt gemacht, so mag man +schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man +will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die +ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das +Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu machen, so +ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und +nach mit mehrern; bis die ganze Strasse ohne Hülfe zu Grunde +gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Massen in +Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des +vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt +entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die +Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige +Veränderung des Drucks die Strasse bessern. Man würde eben +so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlass +mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen +wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde +beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den +Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast +durchaus habe ich den Schaden dieser bö<!-- pb n="157" facs="#f0183"/ -->sen +Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so +viel ich mich erinnere, strengere Massregeln genommen ihn zu +verhüten. Aber ich muss machen, dass ich nach Rom komme.</p> + +<p>Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr +richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger +als ich begegneten mir mit ihren grossen Knotenstöcken bey +Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht +viel gearbeitet wurde. +<span class="italic">Signore è tedesco e va a Roma;</span> +sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen +müssen häufig diese Strasse machen; denn ich hatte noch +keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu +verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben +sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben +würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, +wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiss in +einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung +musste der mir links liegende Berg durchaus +der <span class="italic">Soracte</span> seyn, obgleich kein +Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem +heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat +sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt +ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, dass ich +nicht links die alte flaminische Strasse gehalten hatte; +dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem +ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs +der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser +Seite ganz isoliert; das wusste ich aus einigen Anmerkungen +über den Horaz, +<!-- pb n="158" facs="#f0184"/ --> und desswegen erkannte +ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war. +Hinten schliesst er sich durch eine Kette von Hügeln an den +Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die +Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch +einmahl ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen +geben, und Dir hierbey eine pragmatische Bemerkung machen. +Vielleicht weisst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache +kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des +Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schliessen. Der +Sorakte hat, weil er mit der grossen Bergkette der Apenninen +verglichen, doch nicht ausserordentlich hoch ist und +tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr +Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter +anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich +zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz +vernünftig. Vielleicht war er eben damahls in Tibur, wo er +von Mäcens Landgute bloss die Spitze des beschneyten Sorakte +sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Uebrigens thue ich +dem Horaz keine kleine Ehre, dass ich mich mit einem seiner +Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine +Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, dass die +Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.</p> + +<p>Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute +hier etwas fleissiger seyn wollten: aber je näher man Rom +kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen +Segens, die durchaus wie +<!-- pb n="159" facs="#f0185"/ --> Fluch aussehen. Hinter +Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und +nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, dass ich mich +nothwendig in seinen Wagen setzen musste, wo ich einen +stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und +einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die +Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich +legte meinen Tornister zu meinen Füssen gehörig in Ordnung, +und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er +belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen +Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich +in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren +leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede +Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. +Ganz spasshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher +erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr +possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann +an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach +und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses +fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach +meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der +Bitte: <span class="italic">Qualche cosa della bona grazia +pella guardia.</span> So so; das fängt gut an: ich musste +wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem +grossen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den +drey grossen Strassen ich auf gut Glück hinunter gehen +sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte +hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als +mein Kamerad +<!-- pb n="160" facs="#f0186"/ --> mich fragte wo ich wohnen +würde? Das weiss ich nicht, sagte ich; ich muss ein +Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu +nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey +ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah +dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey +darin, dachte, hier oder da ist einerley, setzte mich wieder +nieder und liess mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem +heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den +Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister +zu seyn scheint.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/17-rom.html b/OEBPS/Text/17-rom.html new file mode 100644 index 0000000..e09a738 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/17-rom.html @@ -0,0 +1,131 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Rom</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Rom2"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Rom</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">S</span>o bin ich denn also +unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in +keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel +Höflichkeit für mich und mehr Aufmerksamkeit als mir lieb +ist: denn ich merke, dass ich hier viel theurer leben werde, +als in irgend einem Wirthshause; wie mir meine Landsleute, +die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt +haben. Ich habe meine Addressen aufgesucht. Uhden und Fernow +empfingen mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme. +Du kennst die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind; +aber sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der +Fall bey literärischen Männern ist. Ich bin also schon kein +Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbstständigen, +originellen und etwas barocken Reinhart +<!-- pb n="161" facs="#f0187"/ --> sah ich gleich den +zweyten Tag, und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin +ist ein lebhafter jovialischer Mann, der nicht umsonst die +Welt gesehn hat, und der eine eigene Gabe besitzt im +Deutschen und Französischen mit der lebendigsten Mimik zu +erzählen.</p> + +<p>Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm +mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein Anderer würde in +seinem Stil Herablassung sagen; nach meinem Begriff lässt +sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen spricht: und +wenn irgend ein so genannter Grosser in seinem Charakter +noch Herablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht +auf dem rechten Punkte. Ich war genöthigt meine Anrede +französisch zu machen, da ich mir im Italiänischen nicht +Wendung genug zutraute, mit einem solchen Manne eine +zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in +der nehmlichen Sprache; aber kaum hörte er, dass ich Latein +wusste, so fuhr er für einen Kardinal drollig genug +lateinisch fort, das Lob dieser Sprache zu machen, durch +welche die Nationen so fest zusammen +hangen. <span class="italic">Haec est illa lingua</span>, +setzte er hinzu, <span class="italic">quae nobis peperit +at</span><span class="italic">que +Virgilios</span>. <span class="italic">Et Tiberios et +Nerones</span>, hätte ich fast unwillkührlich durch die +Zähne gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich musste ihm +einiges von meiner Kriegswanderung nach Amerika erzählen und +von meinem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit +vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und fasste mich im +Ausbruch der Jovialität nicht allein beym Kopf sondern sogar +bey den Ohren. Ein alter militärischer General seiner +Heiligkeit stand dabey, und es wurde +<!-- pb n="162" facs="#f0188"/ --> ein herzliches Trio +gelacht, wo ich so bescheiden als möglich mit einstimmte. Du +wirst schon wissen, dass man in Rom mehr Mönchsgenerale als +Kriegsgenerale antrifft. Beyde spielen mit Kanonen, und es +wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am +besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaubniss ohne +Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für +einen Pilger, wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte +gewaltig, als er hörte, ich wolle übermorgen mein Bündel +nehmen und des Weges weiter wandeln, billigte aber meine +Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor dem +Eintritt der heissen Jahrszeit meinen Spaziergang nach +Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich länger hier +aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung nach Veletri an, um +dort freyeren Eintritt in das Familienkabinett zu haben, +worüber ich mich einiger Massen wunderte. Aber man hat +Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt und Einige +fürchteten sogar, die Franzosen würden die ganze Sammlung +wegschaffen lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre, +nicht; aber es ist doch begreiflich, dass dadurch etwas +Furchtsamkeit und Unordnung entstanden seyn mag. Uebrigens +bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüglich Kabinette +und Gallerien zu sehen und tröste mich leicht mit meiner +Laienphilosophie.</p> + +<p>Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freunde, Reinhart +und Fernow. Es ist überall wohlthätig, wenn sich verwandte +Menschen treffen; aber wenn sie sich auf so klassischem +Boden finden, gewinnt das Gefühl eine eigene Magie schöner +Humanität. Canova +<!-- pb n="163" facs="#f0189"/ --> hat eine zweyte Hebe für +die Pariser gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen +die er gemacht hat und die er doch wohl für Verbesserungen +halten muss, nicht sowohl gefällt wie die venezianische. Du +kennst meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, däucht mich, +dem Urtheil und dem Geschmack der Franzosen geschmeichelt, +denen ich aber in der Anlage einer Batterie eher folgen +wollte, als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt +an allen ihren schönen Weibern immer noch etwas von dem +Charakter aus dem alten Palais Royal zurück. Er hat auch +zwey Fechter nach dem Pausanias gemacht, die nach langer +Ermüdung zur Entscheidung einander freyen Stoss geben. Der +Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor die Stirne +erhalten, — dieses ist der Moment — und reisst +sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner mit der Faust +auf einem Griff das Eingeweide aus. Sie gelten für Muster +der Anatomie und des Ausdrucks. Da sie keine nahe Beziehung +auf reine schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so +sehr beschäftigen: denn Furcht und Grimm sind +Leidenschaften, von denen ich gerne mich wegwende. Die +Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich +weise Dich auf ihn. Demoxenus heisst, glaube ich, der eine +Fechter.</p> + +<p>In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach +Terracina und sodann weiter nach Süden gehen; damit ich vor +der ganz heissen Jahrszeit, wenns glückt, wieder zurück +komme. Missglückt es, denn man spricht gar wunderlich, so +mögen die Barbaren mich auf ihrer Seele haben. Ich will mich +nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter +Haus<!-- pb n="164" facs="#f0190"/ -->genosse in der +Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe +ich <span class="italic">post varios casus</span> Dich +wieder zu sehen.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/18-terracina.html b/OEBPS/Text/18-terracina.html new file mode 100644 index 0000000..92ac9b4 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/18-terracina.html @@ -0,0 +1,273 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Terracina</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Terracina"> +<div class="dateline"><span class="right">Terracina.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>u siehst, dass ich aus den +Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom +hat eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast +Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen über, +überliess es meiner Grossmuth, die seinige zu belohnen. Das +heisst nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefasst. +Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für +drey Tage Wohnung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich +auswärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für +ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches +Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern +begleitete mich noch gefällig bis Sankt Johann vom Lateran, +wo er mir am Thore seine Addresse gab, damit ich ihn bey +meiner Rückkunft finden möchte. Er mochte die Rechnung +gezogen und überlegt haben, dass einen ganzen Monat +verhältnissmässig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das +war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in +die Länge nicht so grossmüthig behandeln lassen. Man hat der +Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen halb +verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganz wüste Gegend +vor derselben nach Albano hinüber.</p> + +<p>Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter +<!-- pb n="165" facs="#f0191"/ --> den Ruinen der alten +Wasserleitungen, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit +einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu +orientieren, und schloss sich, als ich näher kam, an mich +an. Er war ein Franzose, der sich in Veletri schon lange +häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und +jetzt heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst +angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den +Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund umher mir alle +Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des +Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten +hartnäckig geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen +Vortheil und hatten desswegen nach der Weise der +Revolutionäre angefangen höchst grausam zu verfahren: aber +die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie +bald in die Enge; und nun fehlte es wieder nicht an +Gewalthätigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist +rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten +muss; denn der Geruch ist entsetzlich und muss in der +heissen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer +Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt desswegen +kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht +unfruchtbar ist.</p> + +<p>Die Albaner bilden sich ein, dass ihre Stadt das alte +Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und +Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare +haben zwar gezeigt, dass das nicht seyn könne, und dass die +alte Stadt laut der Geschichte an der andern Seite des Sees +am Fusse des Berges müsse gelegen haben: aber drey oder vier +Millien, +<!-- pb n="166" facs="#f0192"/ --> denken die Albaner, +machen keinen grossen Unterschied; und es ist wenigstens +niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba longa +hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz +lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn +aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des +Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun +freylich um das Monument der Kuriatier misslich aus, das auf +dem Wege nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein +ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind +alle, die drey Kuriatier wie die beyden Horatier, unten vor +der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch +ihre Monumente standen: indessen lässt sich wohl denken, +dass die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven +Landsleuten hier ein neues Denkmahl errichteten, als unten +die alten verfallen waren. Wenigstens ist nicht einzusehen, +wozu das Ding mit den drey Spitzen sonst sollte aufgeführt +seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das +Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht +die Gestalt.</p> + +<p>In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey denen er +einkehrte, und ich liess mich auf die Post bringen, welche +das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat +ein artiger junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der +Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung +machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen +Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von +dessen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich +über<!-- pb n="167" facs="#f0193"/ -->zeugt war. +Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber +dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach +französisch und englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in +beyden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht +gewöhnliche Erscheinung unter den +Italiänern. <span class="italic">Je m'appelle Prince,</span> +sagte er, <span class="italic">mais je ne le suis +pas</span>; indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner +Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Oehlbäume +umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust +von zweytausend Piastern verursacht. Die Wahrheit daran +lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann +zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem +Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte +weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht +weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten +Chigi. Die Eiche sollte von seltener Schönheit seyn, und sie +ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir +haben bey uns in Deutschland an vielen Orten grössere und +schönere.</p> + +<p>Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken +von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher +zu besehen. Er selbst ist als Dichter und Deklamator in der +Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen Rubricken viel +Verdienst haben. Er muss indessen ein sehr sonderbarer +Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat +er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen +lassen, und in dem Ueberreste lässt er die Schweine so wild +herum laufen, als ob er sich ganz allein von +<!-- pb n="168" facs="#f0194"/ --> der Mastung nähren wolle. +Darüber sind nun besonders die Maler und Zeichner so +entrüstet, dass sie den Mann förmlich in Verdammniss gesetzt +haben; ich weiss nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die +Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in +Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und +Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus +der Oede Roms kommt, einen sonderbaren wohlthätigen +Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm +vorzüglich gute Banditen zu seyn.</p> + +<p>Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses +Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach +Brundisi gedenkt, nach Gensano und Veletri und immer in die +Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die +fleissigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate +vorgekommen, und sie haben wirklich ihr Fleckchen Land so +gut bearbeitet, dass sie den Wohlthaten der Natur Ehre +machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in +dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von +Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend +noch das Interesse der mythologischen Geschichte.</p> + +<p>Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht mein +gestriger sondern ein anderer, der bey der Condeischen Armee +den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit +Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu +Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwey Minuten +waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz +Europa. +<!-- pb n="169" facs="#f0195"/ --> Nach seinen Briefen +musste er ein sehr braver Offizier gewesen seyn, der selbst +bey Perugia ein Detachement kommandierte; und ich habe ihn +als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir assen zusammen +in Veletri und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab +in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt +ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten; +aber das Wirthshaus hatte die schlechteste Miene von der +Welt, und die päpstlichen Drajoner trieben ein gewaltig +lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, dass dieses +vermuthlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen +gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte, +dass auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe +man ihn in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das +war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumahl da +es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu +wandeln, bis <span class="italic">Torre di tre ponti</span>. +Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein +grosses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um, +wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man +ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die +Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die +Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur +Gesellschaft: das ist nun so römische Wirthschaft. Es war im +ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht +ausserordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es +waren viel Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin +sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein grosses Zutrauen +einflössen können. Die alte gutmüthige Haushälterin +<!-- pb n="170" facs="#f0196"/ --> gab uns eine grosse +Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen, +damit man wenigstens nicht ohne Lärm herein kommen könnte, +legten uns beyde, der französische Oberstlieutenant und ich, +in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere +Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die +Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche schlafen +liessen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und +machte den nicht angenehmen Weg noch verdriesslicher: +vorzüglich fluchte der Franzose nach altem +Stil <span class="italic">tous les diables</span> mit allem +Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat. +Es konnte indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog +bärenmässig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich +in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte +den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man nass ist, muss man +laufen; ich liess ihn ruhen, und versprach, hier in +Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.</p> + +<p>Die letzte Station vor Terracina war für mich die +abenteuerlichste. Die alte appische Strasse geht links etwas +oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen +Umweg: aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger +seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht +recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war +gross, ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht +gemerkt und ging die grosse gerade Linie immer weiter. In +einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der +See hereingetreten war und links durch die Gebüsche weit +hinauf ging. Durch +<!-- pb n="171" facs="#f0197"/ --> den ersten Absatz schritt +ich rasch; aber es kam ein zweyter und ein dritter noch +grösserer. Es war dabey ein furchtbarer Regensturm und ich +konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine +Viertelstunde auf der Strasse bis über den Gürtel im Wasser, +und wusste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl waren +leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den +Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel +durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich +war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine +Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum +Vortheil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, +ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der Circe in der +Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen +von Terracina glänzen. Es war wirklich, als ob die alte +Generalhexe eben einen Hauptprocess machte, und ich konnte +froh seyn, dass ich noch so gut mit einem bischen Schmutz +davon gekommen war. Nachdem ich in +der <span class="italic">Locanda Reale</span>, einem grossen +stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier +gemacht hatte, rekognoscierte ich oben den Ort auf dem +weissen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links +von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und +über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte +mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels und um +den neuen Pallast des Papstes, sondern weidete mich an der +unter mir liegenden schönen Gegend, den herrlichen +Orangengärten, die ich hier zuerst ganz im Freyen +ausgezeichnet schön fand, und der +<!-- pb n="172" facs="#f0198"/ --> üppigen Vegetation aller +Art. Auch mehrere Palmbäume traf ich hier schon, da in Rom +nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom +Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine +herrliche Allee der schönsten und grössten Aprikosenbäume in +die Stadt.</p> + +<p>Mein Franzose kam, und es fand sich, dass der arme Teufel +mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich musste ihn also doch +nach Neapel hinüber transportieren helfen. Zu Abend traf ich +ein Paar ziemlich reiche Mayländer, die mit schöner Equipage +von Neapel kamen, und wir assen zusammen. Die Herren waren +ganz verblüfft zu hören, dass ich von Leipzig nach Agrigent +tornistern wollte, bloss um an dem südlichen Ufer Siciliens +etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz +frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr +lebhaft und angenehm, und die Norditaliäner schienen die +schöne Neapel <span class="italic">quouis modo</span>, +literärisch, ästhetisch und physisch genossen zu haben. +Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das +Neapolitanische.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/19-neapel.html b/OEBPS/Text/19-neapel.html new file mode 100644 index 0000000..a41b7dd --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/19-neapel.html @@ -0,0 +1,419 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neapel</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Neapel"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>er Morgen war frisch und +schön, als wir Anxur verliessen, der Wind stark und die +Brandung hochstürmend, so dass ich am Strande eingenetzt +war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch +an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte +mein französischer Reisekamerad Zwist mit der +<!-- pb n="173" facs="#f0199"/ --> Wache, die ihn nicht +recht gern wollte passieren lassen. Meinen Pass vom Kardinal +Ruffo besah man bloss, schrieb meinen Namen aus, und ich war +abgefertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche +aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an den +Minister und zwang die Wache durch etwas Impertinenz in +Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die +Instruktion gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu +Mittage assen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem +mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der +Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr +weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd +furchtbar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare +Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an +den Bergen noch die Ueberreste von der Ville des Nerva zu +sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangengärten, und +vergass darüber den Kaiser, die alten Stadtmauern, den See, +den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch +einige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den +Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand +in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen +Kriege, wo die Franzosen tüchtig zurückgeworfen wurden. Sie +suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge, ein +Einfall von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten +träumen lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht; +man thut besser zu glauben, dass die Feinde alle Gemsenjäger +sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist +es nie unmöglich, dass sie die +<!-- pb n="174" facs="#f0200"/ --> +Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen +den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf +nach Kajeta.</p> + +<p>Itri war von den Franzosen hässlich mitgenommen worden. +Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus +gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von +Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer +Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige +Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger +östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich +war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu +trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich musste +ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte +er nicht fort, weil seine Füsse nicht mehr in baulichem +Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich +überdiess zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus +zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde. +Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris +hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem +Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken +schon, übergab ihn und mich dem Himmel und wandelte allein +ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte +Geschichte von Itri zu erzählen, nehmlich ernsthaft für +mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere +Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in +der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den +übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte +mich oben auf einem Saale zu Bette, +<!-- pb n="175" facs="#f0201"/ --> und mein Kamerad zechte +unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der +wieder gekommen war, und kam mir sodann nach. Er war etwas +über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte noch +eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wilden Kerl nach +dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte +wohl bis zehen oder zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich, +dass es über unsere Personalitäten geradezu herging und dass +man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisition +hielt. <span class="italic">Sono cattive gente</span>, hiess +es in einem hohen Ton einmahl über das andere; und man that +den Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner +Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst +denken, dass mir nicht sonderlich lieblich dabey zu Muthe +ward. Man schlägt hier zum Anfang gleich die Leute todt, und +macht sodann nachher — eben weiter keinen Process. Die +alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem +exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte, +und behauptete dass wir ehrliche Leute wären; der Kommandant +hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man dem Kommandanten +selbst in der Politik gerade nicht viel gutes zu zutrauen. +Der Himmel weiss, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog +ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz +und mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte +Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen. »Meine Herren, +sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, ich bin ein +fremder Reisender; ich dächte, im Wirthshause wo ich hezahle +dürfte ich zur +<!-- pb n="176" facs="#f0202"/ --> +Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen +verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin +Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und +Ruhe und als ordentliche brave Leute ab.« Es ward +stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich +oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that; +und nach und nach schlichen sie alle fort. Spasshaft +ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne +Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.</p> + +<p>Den andern Morgen wandelte ich also allein zwischen den +Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch +dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden, +als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern +noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein grosses, +schönes, ziemlich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen +Eyern und frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem +Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früchten ein +vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein +Zitronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links +und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des +Vorgebirges rund herum bis hinüber nach Ischia und Procida. +Es ist das köstlichste Dessert in der Entfernung von einigen +hundert Meilen, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend +eines kleinen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere +Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen Stelle +hatte vor mehreren Jahren <span class="spaced">Friedrich +Schulz</span> gesessen und Fische und Früchte gegessen, und +mich aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf +das klassische Land umher schauen würde. Jetzt +<!-- pb n="177" facs="#f0203"/ --> ist er nicht mehr der +Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey +den Fittichen zu halten verstand und sie rund umher gab. Wo +auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie +segnen. Keiner seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte +durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.</p> + +<p>Nun ging ich vergnügt und froh die schöne magische Gegend +hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge +ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. +Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten +des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, +daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte +heraus, und liess sich von dem Hauptmann, dem er das Leben +gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philippiken +zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; +der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als +selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres +sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu +glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina +donnerte, stand seine Existenz auf dem Spiel und er hatte +keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu +gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn +wahrscheinlich Hass und Partheysucht. Im Glück prahlte er, +im Unglück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft +viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, +der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht +mit seinem Leben ausgesöhnt; so wie es Männer in der +Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens +auslöscht, +<!-- pb n="178" facs="#f0204"/ --> Dort unten lag Minturnä; +dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit +dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder +seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwinder +ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte. +»Mensch, wagst du es, den Kajus Marius zu morden?« Weiter +hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der +erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe +verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich +setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte +kaum, dass ich diesseits von einer Menge Mauleseltreiber +umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst +anboten. Da half kein Demonstrieren, sie machten die +Kleinigkeit der Foderung noch kleiner und setzten mich halb +mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen +Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen +Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten +ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts +dawider haben. Ein Junge von ungefähr dreyzehn Jahren hatte +sich einige Millien weiter herab angeschlossen, der in der +Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter +zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu strenge +behauptete. Beyde liefen neben her. Es wurde bald alles +durchfragt, und der Junge musste etwas weitläufig seine +Geschichte erzählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit +wahrhaft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Gefahr +vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that dieses mit +einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit +<!-- pb n="179" facs="#f0205"/ --> einer Behutsamkeit im +Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre +ich Sultan gewesen, ich hätte den Eseltreiber zum Mufti +gemacht, und es würde gut gegangen seyn. Diese schöne +bedachstame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu +wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Gesellschaft +durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein +ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir; +ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füsse. Er gab +dem jungen Menschen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich +griff natürlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas +tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Kalabrese +begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post, +als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.</p> + +<p>Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach +Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkeiten hat und +ehemahls eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der +Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug; +und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten +Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung +weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche +stand und einen heiligen Johannes, der enthauptet wird, +betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen +ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf +dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter +Eseltreiber, der auf der andern Seite herauf gekommen war, +zu mir, mich zu begrüssen. Er hatte mich vielleicht wegen +einiger +<!-- pb n="180" facs="#f0206"/ --> Aeusserungen etwas lieb +gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich +dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, +führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte +mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit +der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn +die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem +Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im +Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr +Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir +mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in +Warschau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm +fasste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise +die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus +diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die +mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu den +Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten +Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten +ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, dass die Leute doch +noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, dass sie +die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das +Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon +gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so +ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. +An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man +noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit +davon jenseits die Reste einer Wasserleitung. Der Fluss +selbst, der nicht sehr breit ist, muss +<!-- pb n="181" facs="#f0207"/ --> doch zuweilen gefährlich +zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und +man erzählte mir, dass, als die Franzosen ungefähr zwey +Stunden aufwärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, +ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern desselben +weiden grosse Heerden Büffel.</p> + +<p>Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner +Wein vor; für die Aechtheit will ich indessen nicht stehen. +Es ist bloss die klassische Neugierde ihn getrunken zu +haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit +verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der +Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten +italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn +man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward +meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das +folgende Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, die +die Passage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz +machten. Jeder Windstoss durch das Gesträuch erschreckte +ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne +abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen +befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, +ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht +hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter +Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute +seyn sollten und von denen +er <!-- choice><sic -->ersckreckliche<!-- /sic><corr>erschreckliche</corr></choice --> +Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle +ausbat, sagte er, män wüsste nicht, woher sie kämen und +wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten +und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin<!-- pb n="182" facs="#f0208"/ -->gen +zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden, +ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen +sie meistens aus den Bergen von Abbruzzo. Ich habe nun +freylich zur Schande der Regierung gefunden, dass der Mensch +ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, +dass ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit +seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt geschlagen +werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher +weiter nicht beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, +und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer +vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu +bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir +aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluss, +als ich mich auf der Strasse von einem Vetturino bereden +liess, mich einzusetzen und mich bis nach Kapua bringen zu +lassen. Als wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach +Kaserta gefahren, und wollte durchaus, ich sollte seine +Rückkehr erwarten, damit er meinen Pass ratifizieren möchte. +Endlich bestürmte ich den <span class="italic">Capitaine du +jour</span> so viel, dass er mir den Pass ohne Vidierung +zurück gab, und dem Offizier von dem Thore Befehl schickte, +er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme +verantworten.</p> + +<p>Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war +mein Kalabrese durchaus nicht zu bringen: er meinte, das +wäre der sichere Tod; da wimmelte es von Mariohlen. Ich gab +dem Schuft einige Karlin; liess ihn rechts nach Aversa +forttrollen, um +<!-- pb n="183" facs="#f0209"/ --> dort am rechten Orte +seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich +links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung +Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche +Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas +Gefahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch +schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen +sich patriotisch ihrer vaterländischen Gegend anzunehmen. Wo +ehmahls Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken +Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die +unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position +angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustparthie +für die Bürger der neuen Stadt, so sehr behauptet der alte +Platz seinen Kredit. Es steht bekanntlich noch der Rest +eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und +also verhältnissmässig neu ist, welches die Antiquare +hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging +durch die Trümmern eines Thors, das vermuthlich das +nehmliche ist, durch welches Hannibal seinen Ruhm hinein und +nicht wieder heraus trug, liess nach kurzer Beschauung das +Theater links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort. +Es stehen dort an der Strasse links und rechts nicht weit +von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische +Begräbnisse sind, und von denen eines wenigstens in sehr +gutem Stil gearbeitet zu seyn scheint.</p> + +<p>Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses +in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiss weit +genauer und besser finden kannst. Der +<!-- pb n="184" facs="#f0210"/ --> erste Anblick ist gross +und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen +Pflanzungen rechts, der prächtige Schlossplatz und die +Gebände rund umher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das +Auge gefesselt von der Ansicht durch das grosse Thor, welche +durch das ganze Schloss und die Gärten bis weit hinaus auf +die Berge geht, über welche man die berühmte Wasserleitung +herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade +schliesst den Grund der Parthie. Man wird selten irgendwo so +etwas magisches finden. Du weisst, dass auch hier die +Franken etwas willkührlich gehaust haben: jetzt ist der +Kronprinz und seine Sardinische Majestät hier.</p> + +<p>Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein +Fussgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald +einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis +Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, dass +ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. +Humane Theilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor +vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit +die Stadt zu besehen; diess war aber zur Auffassung eines +richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich +abgehen wollte, arretierte mich wieder ein Vetturino an der +Ecke des Marktes: <span class="italic">Volete andare in +carozza, Signore</span>? — <span class="italic">Ma +si</span>, <span class="italic">si</span>, sagte ich, +<span class="italic">se partite presto presto</span>. +— <span class="italic">Questo momento; favorisca +montare</span>. Ich stieg ein und setzte mich neben einen +stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwey andere +und wir rollten zum Thore hinaus.</p> + +<p>Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa<!-- pb n="185" facs="#f0211"/ -->nien, +das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese erhoben hat, +für das die römischen Soldaten ihr Kapitol vergessen +wollten. Es ist wahr, der Strich zwischen Aversa, Kapua, +Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und +den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist +von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch +gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre +Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder +Fusstritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er +wächst in kurzer Zeit +<!-- choice><sic -->schwelgericsh<!-- /sic><corr>schwelgerisch</corr></choice --> +breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er +wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen +weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oehlbaum steht +mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden +Berge; die Feige schwillt üppig unter dem grossen Blatte am +gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale die +Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weitzen, nickt die +Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet +dreyfach auf dem nehmlichen Boden in Fülle, Obst und Wein +und Weitzen; und alles ist üppige ewig jugendliche Kraft. +Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in einigen +Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein +Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu +haben, war ehemahls einige Monathe in Wien und Prag gewesen, +wusste einige Dutzend Wörter von unserer Sprache, und war +die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause, +und mich wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst +Höflichkeit in +<!-- pb n="186" facs="#f0212"/ --> +der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden +der Hausofficianten der Grossen gehört. In Neapel brachte er +mich in einem eigenen Wagen vor dem Thor in das Haus eines +seiner Bekannten am Toledo, bis ich den Herrn Heigelin +aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. +Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten +Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfremder +eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich +selbst etwas orientieren kann.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/20-neapel.html b/OEBPS/Text/20-neapel.html new file mode 100644 index 0000000..8ed3c05 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/20-neapel.html @@ -0,0 +1,385 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neapel</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Neapel2"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>u musst und wirst von mir +nicht erwarten, dass ich Dir eine topische, statistische, +literarische oder vollständig kosmische Beschreibung von den +Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist +mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisenden von +Profession oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften +gewiss besser bekommen. Ich erzähle Dir nur +freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht +beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf +Mont Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oehlberges kommt +weiss ich nicht; er ist aber einer der besten Strassen der +Stadt, nicht weit von Toledo, mit welchem er sich oben +vereiniget. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, +die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen +zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache +zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die +<!-- pb n="187" facs="#f0213"/ --> Gesellschaft besteht +meistens aus Fremden, Engländern, Deutschen und Franzosen; +die letzten machen jetzt hier die grösste Anzahl aus.</p> + +<p>Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Genuesen, der +halb Europa kennt und hier den Lohnbedienten und ein Stück +von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte +Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute +und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon +über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Gegend umher, +und bemerkte mit censorischer Strenge, dass sie das +Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, +wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, +wer auf seinem Casino die ausgesuchtesten Vergnügen geniesse +und geniessen lasse, und weiteifere sich oft zur +Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und +Vermögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein +kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf +eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das +erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft +abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des +Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so +herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen +Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine +bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind +einige merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. +Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen +muss; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den +Katakomben. In den Katakomben kroch ich über +<!-- pb n="188" facs="#f0214"/ --> eine Stunde herum, und +beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die +Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner +des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des +Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine +Menge Wunder, die die Heiligen Januarius und Severus hier +ganz gewiss gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen +Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da +lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und +zuweilen ganze grosse Haufen von Knochen, wie man sagte, von +der Zeit der grossen Pest. Die römischen Katakomben habe ich +nicht gesehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil +mich verständige Männer und Kenner versicherten, dass man +dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht +sey, dass das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben +gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem +Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das +wahrscheinlichste.</p> + +<p>Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der +Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die +Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen +sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre +Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen +gesucht. Mein alter Genuese, der ein grosser Hermenevte in +der Kirchengeschichte ist, erzählte mir bey dieser +Gelegenheit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine +Schande macht, und dessen Würdigung ich den Kennern +überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenossin des +heiligen Franciskus und des heiligen Domini<!-- pb n="189" facs="#f0215"/ -->kus; +und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbesondere +glauben lassen, sie sey jedem ausschliesslich mit sehr +feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in +ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Jeder der beyden +Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen +auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein +grosser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des +Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr +ein ätherischer sentimentaler Stutzer, der auch seine +Talente zu gebrauchen wusste. Nun sollen auch die heiligen +Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitäten +lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen +Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen +Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu körperlich vorkam; +er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein +Bratspiess war, und stiess damit so grimmig auf den +unbefugten Himmelsführer los, dass er den armen schwachen +Franz fast vor der Zeit dahin geschickt hätte. Indess der +Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung +entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen +Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich +habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt, +und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt gesehen. Mein +Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins +Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine +Glosse darüber machen, als dass ihm halb unwillkührlich +entfuhr: <span class="italic">Quelles betises on nous donne +à digerer! Chacun les prend à sa façon.</span></p> + +<!-- pb n="190" facs="#f0216"/ --> +<p>Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die umständliche +Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein +romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu +glauben, der Dichter sey hier begraben gewesen, die Urne mag +nun hingekommen seyn, wohin sie wolle. Das Gebäudchen ist +wohl nichts anders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange +der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der +schönen Gegend. Ich weiss nicht, warum man sich nun mit +allem Fleiss bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt +zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der +Vesuv nicht sein Nachbar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber +die ganze Behauptung, dass er dort drüben liege, beruht doch +wohl nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begraben +worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der +Berg ist gerade gegen über: in einigen Stunden war er dort, +wenn er zu Lande ging, und setzte er sich in ein Boot, so +ging es noch schneller. Die Entfernung eines solchen +Nachbars, wie Vesuv ist, wird nicht eben so genau genommen. +Alle übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt. +Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die +vorzüglichsten Niederlassungen der römischen Grossen, +vornehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des +Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokrators und ein +Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und +Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die +Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war +überhaupt der Spielraum seiner liebsten Phantasie. +Wahrscheinlich hat er hier gewohnt, +<!-- pb n="191" facs="#f0217"/ --> und wahrscheinlich ist er +hier begraben. Donat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst +erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte +davon Augenzeuge gewesen seyn, dass das Monument noch ganz +und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem +Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übrigen zu geben, und +dieses ist der Ort seiner Angabe; zwey Steine von der Stadt, +an dem Wege nach Puteoli, nicht weit von dem Eingange in die +Grotte. Ich will nun auch einmal glauben; man hat für +manchen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glaube +ich, dass dieses Maros Grab sey. Den Lorber suchst Du nun +umsonst; die gottlosen Afterverehrer haben ihn so lange +bezupft, dass kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich +nahm mir die Mühe hinauf zu steigen und fand nichts als +einige wild verschlungene Kräuter. Der Gärtner beklagte +sich, dass die gottlosen vandalischen Franzosen ihm den +allerletzten Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben. +Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch +wohl etwas in die Welt erschollen, dass der Lorber von dem +Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sey. +Vielleicht schlägt er dort am Grabe des Mantuaners wieder +aus. Man sollte wenigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel +das seinige beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den +Rath.</p> + +<p>Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit davon in +der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger +Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienstfertigkeit mir die +Antiquitäten erklären zu wollen, dass +<!-- pb n="192" facs="#f0218"/ --> er durchaus nicht eher +von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine +Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm. +Ich habe mich nicht enthalten können bey dieser Gelegenheit +wahres Mitleid mit dem grossen Cicero zu haben, dass sein +Name hier so erbärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen +sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer +unwissender und abenteuerlicher als der andere. Den +vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir +auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duzzend von +Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise +kommentirte.</p> + +<p>Ich versuchte es an dem Fusse des Posilippo an dem +Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es war aber +nicht möglich weiter als ungefähr eine Stunde zu kommen: +dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da +aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von +ungefähr einer Viertelstunde zwey alte Gebäude, die man für +Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr +berüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich +zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es +liesse sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient +haben könnte. Zwischen diesen beyden alten leeren Gebäuden +liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er +beständig den Vesuv vor Augen hatte; und man thut ihm +vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner +Vergnügungen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der +schönen Königin schliesst, die von der bösen Geschichte doch +wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als +<!-- pb n="193" facs="#f0219"/ --> sie war. Ich war +genöthigt wieder zurück zu gehen, und nicht weit von der +Villa reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, +die mich an die Spitze hinaus rudern wollten. Es schien mir +zu spät zu seyn, desswegen wollte ich nichts hören. Aber man +griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die +See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing, +und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte, das +wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, +ich bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und +setzte mich mit meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich +erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch +mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin. +Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm +heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber und die Wogen +machten rechts eine furchtbare Brandung; das Wasser füllte +reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen +die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um +das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht +möglich: wir mussten, als wir einige hundert Schritte vor +dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere Zuflucht in +ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von +der Stadt aus zuweilen Wasserparthien macht, wo es aber +jetzt traurig genug aussah. Indessen fütterte uns doch der +Wirth mit Makkaroni und gutem Käse. Nicht weit von hier, +nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus sich +einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten +Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen +<!-- pb n="194" facs="#f0220"/ --> und die man gewöhnlich +nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl +sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr +wahrscheinlich, dass er hier oft gearbeitet haben mag. Es +ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen +Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. +Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er +hatte hier um sich her einen grossen Theil von dem Theater +seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel +und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach +Surrent.</p> + +<p>Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo +ich einkehrte, stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna, +von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. +Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet +und es der Madonna <span class="italic">della fortuna</span> +geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in +den christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das +Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht +umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in +der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes +Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese +Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten +noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit +für die Fischhälter des Pollio annimmt, und in dieser +Meinung eine grosse marmorne Tafel an der Thür angebracht +hat, auf welcher lateinisch alle Gräuel abscheulich genug +beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn +natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen +<!-- pb n="195" facs="#f0221"/ --> ächt kardinalisch +gepriesen wird. Ich weiss nicht, ob man nicht vielleicht mit +dem brittischen Klagemann sagen +sollte: <span class="italic">A bitter change, feverer for +fevere!</span> Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den +Pollio in den Teich werfen könnte.</p> + +<p>Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht +wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden, +einen andern Weg nach der Stadt zurück zu kehren. Ich zahlte +also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des +Posilippo nach Neapel. Diese Promenade musst du durchaus +machen, wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der +schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. +Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von Neapel und Bajä +rechts und links im Gesicht, geniesst sodann die schöne +Uebersicht auf die Parthie jenseit des Berges nach Puzzuoli, +welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur +Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier +Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils +Grabe wieder herunter auf die Strasse. Der Spaziergang ist +freylich etwas wild, aber desto schöner.</p> + +<p>Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Strasse +rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach +Puzzuoli führen, so dass man nicht nöthig hätte, durch die +Grotte und die etwas ungesunde Gegend jenseits derselben zu +fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das würde in der That +einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe +Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische +Regierung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und +<!-- pb n="196" facs="#f0222"/ --> +Polizey besorgte; das andere würde sich nach und +nach schon machen.</p> + +<p>Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter +liegenden Karthause für die schönste Parthie gehalten; und +sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den +Vesuv oder zu den Kamaldulensern bemühen wollen. Es ist ein +ziemlicher Spaziergang; auf die Karthause, den unser +schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine grosse +Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher +vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll +Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote +sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey den +Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muss vorher dazu +die Erlaubniss haben. Man sieht in der Karthause fast eben +so viel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig +Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König +ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist +jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in +Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne +Gemälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz +vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal +hat noch Stücke von guten Meistern.</p> + +<p>Um die schönste Aussicht zu haben musst Du zu den +Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution +etwas decimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer +empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige +Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde +Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die +Parthie nicht von +<!-- pb n="197" facs="#f0223"/ --> sehr vielen gemacht. Wir +verirrten uns, mein Genuese und ich, in den Feigengärten und +Kastanienwäldern, und ich musste dem alten Kerl noch mit +meiner Topographie im Orientieren helfen. Das ärgerte mich +gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht +hübsche Parthien nach allen Seiten. Es gab Stellen, wo man +bis nach Kajeta hinüber sehen konnte. Da wir uns verspätet +hatten, mussten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum +Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit nehmen. +Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge +über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu +geniessen als die Aussicht; die Kirche hat nichts +merkwürdiges. Ein Layenbruder führte mich mit vieler +Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an +eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige +perennierende Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in +ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil +es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil +von Elmo, Belvedere und einige andere Stückchen sind +sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische +klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava +der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv +mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent, +Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, +der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend, +Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter +ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bey heiterm Wetter +die Berge von Kumä, der +<!-- pb n="198" facs="#f0224"/ --> Gaurus und weiter hin die +beschneyten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte, +deren Eingang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der +neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge, +ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue Städte, +Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest Du mit +Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief tief in +der Ferne sieht man noch Ponza und einige kleinere Inseln. +Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn +Du einmal hörst, dass ich unbegreiflich verschwunden bin, so +bringe mit unter Deine Muthmassungen, dass ich vielleicht +der schönsten Natur die grösste Sottise zum Opfer gebracht +habe und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer +und Virgil, den Thucydides und etwas von der attischen +Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und Juvenal; so +könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das +Bisschen Vernunft bey sich behalten: denn diese wird jetzt +doch überall wieder konterband. Also gehe zu den +Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey +ihnen oben zu bleiben.</p> + +<p>Jetzt schliesse ich und schreibe Dir vermuthlich noch +einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme; +denn eben muss ich zu Schiffe nach Palermo.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/21-palermo.html b/OEBPS/Text/21-palermo.html new file mode 100644 index 0000000..3a5d1e1 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/21-palermo.html @@ -0,0 +1,240 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Palermo</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[199]" facs="#f0225"/ --> + +<div class="chapter" id="Palermo"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Palermo</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">W</span>ir hatten einige Tage auf +leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine +starke Tramontane und führte uns aus den Zauberplatze +heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete +rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, +der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche +Königsstadt lag in einem grossen grossen Amphitheater hinter +uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links +Kapri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleyerte +die ferneren Gegenstände in tiefere Schatten. Ich konnte in +dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt +auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapolitaner und +Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr gewöhnlichen +Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist ziemlich kahl. Ich +hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um +einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem +zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer +Wüstling einige Jahre das Menschengeschlecht misshandelte; +aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich +allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu +ansehnlich gewesen. Ueberdiess war es fast immer schlechtes +Wetter. Zur Ueberfahrt hieher hatte ich mich auf ein +Kauffartheyschiff verdungen, weil ich auf das Paketboot +nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, +aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus +meinem festen Schritt auf dem Verdeck, dass ich schon ein +alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die +<!-- pb n="200" facs="#f0226"/ --> Leute lauter Oel assen, +wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich nicht +befassen; ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot, +Wurst und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen. +Den ganzen Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber +gegen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch hatten +wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und dreyssig +Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleyert. Das war +eine ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die +Kanonen scharf geladen und ungefähr vierzig grosse Musketons +fertig, um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kommen +sollte. Denn Du musst wissen, der Unfug ist jetzt so gross, +und die neapolitanische Marine ist jetzt so schlecht, dass +sie zuweilen bis vor Kapri und sogar bis vor die Stadt +kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können; +wie sich die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken. +Dass ist nun freylich eine Schande für die Regierung; aber +die Regierung hat dergleichen Schandflecke mehr.</p> + +<p>Wir kamen hier ich weiss nicht zu welchem Feste an, wo in +der Stadt so viel geschossen wurde, dass ich die Garnison +wenigstens für zehen tausend Mann stark hielt. Aber ich habe +nachher die Methode des Feuerns gesehen. Sie gehört zur +Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat eine ungeheure +Menge kleiner Mörser, die man in der Reihe nach einander +geladen hinstellt; absatzweise stehen etwas grössere, die +wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, dass, +wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmässig +schnell die ganze Front hinunter greift und am +<!-- pb n="201" facs="#f0227"/ --> Ende mit einigen grossen +Stücken schliesst. Von weitem klingt es wie etwas grosses; +und am Ende besorgt es ein einziger alter lahmer Konstabel. +Unser Hauptmann von der Aurora liess sich mit seiner +Artillerie stark hören.</p> + +<p>Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unterschied alle +Ankommende müssen, mit vieler Artigkeit behandelt, und man +liess mich sogleich gehen, wohin ich wollte, da die andern, +meistens Neapolitaner, noch warten mussten. Mein erster +Gang, nachdem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause +untergebracht hatte, war zu dem königlichen Bibliothekar, +dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der +Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr +ehrwürdigen Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz +Sicilien. Er gab mir durch die ganze Insel Empfehlungen an +Männer von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syrakus, +Katanien und Messina. Der Saal der Bibliothek ist unter +seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und mit allen +sicilianischen Alterthümern sehr geschmackvoll ausgemalt +worden, so dass man hier mit einem Blick alles vorzügliche +übersehen kann. Es finden sich in der hiesigen Bibliothek +viele Ausgaben von Werth, und mir ist sie im Fache der +Klassiker reicher vorgekommen als Sankt Markus in Venedig. +Eine Seltenheit ist der chinesische Konfuzius mit der +lateinischen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren +Missionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten +hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan als Orangen +gegessen, das Theater der heiligen Cecilia ge<!-- pb n="202" facs="#f0228"/ -->sehen, +bin in der Flora und am Hafen herum gewandelt und auf dem +alten Erkte oder dem Monte Pellegrino gewesen.</p> + +<p>Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht +möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen. +Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus +wegen meiner fünf Dreyer hier gewiesen bin, sagen, es werde +sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt hier +länger aufzuhalten, lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen +und will morgen früh in die Insel hineinstechen. Da ich +barfuss nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu +schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hingesetzt +und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den Theokritus, +gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, dass +ich die Feder ergriff und ihn unvermerkt deutsch +niederschrieb. Ich will Dir die Uebersetzung ohne +Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr +zufrieden seyn, wenn Du sie besser machst; denn ich habe +hier weder Apparat noch Geduld und wäre mit ganzen +Stiefelsohlen wohl schwerlich daran gekommen. Also wie +folget:</p> + +<div class="poem"> +Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es kein andres<br /> +Pflaster und keine andere Salbe als Musengesänge.<br /> +Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es zu finden.<br /> +Dieses weisst Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als Liebling,<br /> +<!-- pb n="203" facs="#f0229"/ --> +Als vorzüglicher Liebling der helikonischen Schwestern.<br /> +Also lebte bey uns einst leidlich der alte Cyklope<br /> +Polyphemus, als heiss er in Galateen entbrannt war.<br /> +Nicht mit Versen liebt' er und Aepfeln und zierlichen Locken,<br /> +Sondern mit völliger Wuth, und hielt alles andre für Tand nur.<br /> +Oft oft kamen die Schafe von selbst zurück von der Weide<br /> +Zu der Hürd', und der Hirt sass einsam und sang Galateen<br /> +Bis zum Abend vom Morgen schmelzend im Riedgras am Ufer,<br /> +Mit der schmerzlichen schmerzlichen Wunde tief in dem Herzen,<br /> +Von der cyprischen Göttin, die ihm in die Leber den Pfeil warf.<br /> +Aber er fand das Mittel; er setzte sich hoch auf den Felsen,<br /> +Schaute hinaus in das Meer und hob zum Gesange die Stimme:<br /> +Ach Galatea, Du Schöne, warum verwirfst Du mein Flehen?<br /> +Weisser bist Du als frischer Käse und zärter als Lämmer,<br /> +Stolzer als Kälber, und herber als vor der Reife die Traube.<br /> +Also erscheinest Du mir, wenn der süsse Schlaf mich beschleichet;<br /> +Also gehst Du von mir, wenn der süsse Schlaf mich verlässet;<br /> +Fliehest vor mir, wie ein Schaf, das den Wolf den grauen erblickte.<br /> +Mädchen, die Liebe zu Dir schlich damals zuerst in das Herz mir,<br /> +<!-- pb n="204" facs="#f0230"/ --> +Als mit meiner Mutter Du kamst Hyacinthen zu sammeln<br /> +Auf dem Hügel, und ich die blumigen Pfade Dich führte.<br /> +Seitdem schau ich immer Dich an, und kann es bis jetzt nun,<br /> +Kann es nicht lassen; doch kümmert es, beym Himmel, Dich gar nichts.<br /> +Ach ich weiss wohl, liebliches Mädchen, warum Du mich fliehest:<br /> +Weil sich über die ganze Stirne mir zottig die Braue,<br /> +Von dem Ohre zum Ohre gespannt, die einzige lang zieht,<br /> +Nur ein Auge mir leuchtet und breit mir die Nase zum Mund hängt.<br /> +Aber doch so wie ich bin hab' ich tausend weidende Schafe,<br /> +Und ich trinke von ihnen die süsseste Milch, die ich melke:<br /> +Auch geht mir der Käse nicht aus im Sommer, im Herbst nicht,<br /> +Nicht im spätesten Winter; die Körbe über den Rand voll.<br /> +Auch kann ich pfeifen, so schön wie keiner der andern Cyklopen,<br /> +Wenn, Goldäpfelchen, Dich und mich, den Getreuen, ich singe<br /> +Oft in der Tiefe der Nacht. Ich füttre elf Hirsche mit Jungen,<br /> +Alle für Dich, und für Dich vier junge zierliche Bären.<br /> +Komm, ach komm nur zu mir; Du findest der Schätze viel mehr noch.<br /> +Lass Du die bläulichen Wogen nur rauschen am Felsengestade;<br /> +Süsser schläfst Du bey mir gewiss die Nacht in der Grotte.<br /> +Lorber hab' ich daselbst und schlanke leichte Cypressen,<br /> +<!-- pb n="205" facs="#f0231"/ --> +Dunkeln Epheu zur Laube und süss befruchteten Weinstock;<br /> +Frisches Wasser, das mir der dicht bewaldete Aetna<br /> +Von dem weissesten Schnee zum Göttertranke herabschickt.<br /> +Sprich, wer wollte dagegen die Wogen des Meeres erwählen?<br /> +Und bin ich ja für Dich, mein liebliches Mädchen, zu zottig,<br /> +Ey so haben wir eichenes Holz und glühende Kohlen;<br /> +Und von Dir vertrag ich, dass Du die Seele mir ausbrennst,<br /> +Und, was am liebsten und werthsten mir ist, das einzige Auge.<br /> +Ach warum ward ich nicht ein Triton mit Flössen zum Schwimmen?<br /> +Und ich tauchte hinab, Dir das schöne Händchen zu küssen,<br /> +Wenn Du den Mund mir versagst, und brächte Dir Lilienkränze,<br /> +Oder den weichesten Mohn mit glühenden klatschenden Blättern.<br /> +Aber andre blühen im Sommer und andre im Spatjahr,<br /> +Dass ich Dir nicht alle zugleich zu bringen vermöchte.<br /> +Aber ich lerne gewiss, ich lerne, o Mädchen noch schwimmen,<br /> +Kommt nur ein fremder Schiffer zu uns hieher mit dem Fahrzeug,<br /> +Dass ich doch sehe, wie lieblich es sich bey euch unten dort wohnet.<br /> +Komm, Galatea, herauf, und bist Du bey mir so vergiss dann,<br /> +Wie ich hier sitzend am Felsen, zurück nach Hause zu kehren:<br /> +Komm und wohne bey mir und hilf mir weiden und melken,<br /> +<!-- pb n="206" facs="#f0232"/ --> +Hilf mir mit bitterem Lab die neuen Käse bereiten.<br /> +Ach die Mutter nur ist mein Unglück, und sie nur verklag' ich;<br /> +Denn sie redet bey Dir für mich kein freundliches Wörtchen,<br /> +Und sieht doch von Tage zu Tage mich magerer werden.<br /> +Sagen will ich ihr nun, wie Kopf und Füsse mir beben,<br /> +Dass auch sie sich betrübe, da ich vor Schmerzen vergehe.<br /> +O Cyklope, Cyklope, wo ist Dein Verstand hingeflogen?<br /> +Gingest du hin und flöchtest Dir Körbe und mähetest Gras Dir,<br /> +Deine Lämmer zu füttern, das wäre fürwahr doch gescheidter.<br /> +Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den Flüchtling?<br /> +Und Du findst Galateen; auch wohl eine schönere Andre.<br /> +Mädchen die Menge rufen mir zu zum Scherze die Nacht durch;<br /> +Alle kichern mir nach; so will ich denn ihnen nur folgen:<br /> +Denn ich bin auf der Welt doch wohl auch warlich ein Kerl noch.<br /> +Also weidete Polyphemus und sang von der Liebe,<br /> +Und es ward ihm leichter als hätt' er Schätze vergeudet.<br /> +</div> + +<p>Ist es nicht Schade, dass wir das zärtliche +Liebesbriefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von +dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Es wurde, glaube +ich, durch einen Triton bestellt. Die sicilischen Felsen +machen alle eine ganz eigene idyllische Erscheinung; und +wenn ich mir so einen verliebten +<!-- pb n="207" facs="#f0233"/ --> Cyklopen Homers oder +Virgils in schmelzenden Klagen darauf sitzend vorstelle, so +ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, +ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten +des Polyphemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht +unangenehme Reminiscenzen meiner übergrossen Seligkeit, wenn +ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen +Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey +hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem +Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus +dem dunkelsten Winkel der Loge nicht das Schauspiel sondern +die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches +Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehmliche +Mittel.</p> + +<p>Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir +meine Stiefeln brachte; und diesen Umstande verdankst Du, +dass ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest +bringe.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/22-agrigent.html b/OEBPS/Text/22-agrigent.html new file mode 100644 index 0000000..d53797b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/22-agrigent.html @@ -0,0 +1,433 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Agrigent</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Agrigent"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Agrigent</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">S</span>iehst Du, soweit bin ich +nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen +nicht jedermanns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe +ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste +hinzustreichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn +ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so +würde ich mich ärgern; denn ich habe viel +<!-- pb n="208" facs="#f0234"/ --> versehen. Ich wollte +nehmlich von Palermo über Trapani, Alcamo und Sciakka gehen, +um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die +noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn +ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre +doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in +Palermo mit einem neapolitanischen Offizier, einem Herrn +Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und +breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen +Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu +besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit +keiner Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an +den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in grösster +Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach +aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir einfällt, dass ich +doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber +versicherte mich aber sehr ehrlich, das sey der rechte +gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich bin wieder einige Millien +zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati an, und ich +finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und +erklärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, dass sich +der Eseltreiber dem Henker um meine Promenade bekümmert +hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die +Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da +war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand +wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht +mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und den +andern Weg zu machen. Das +<!-- pb n="209" facs="#f0235"/ --> war meiner Börse zu viel; +ich entschloss mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so +fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu +überlassen, die vielleicht auch ihren Werth besser zu +würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die +Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts +ab. Die Parthien sind angenehm und könnten noch angenehmer +seyn, wenn die Leute etwas fleissiger wären. So wie man sich +von der Hauptstadt entfernt, wird es ziemlich wild. Wir +kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der +Abfall der Kultur und des äusserlichen Wohlstandes war +ziemlich grell. Alles war weit theurer, als in der +Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich +erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden +liess. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der +Anhöhe ein altes Schloss liegen, das man Torre di Diana +nannte, und wo die Saracenen mit den Christen viel +Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu +zeitig bey den schönen Brüdern zu bleiben, zumal da das +Wirthshaus gerade zu der Revers des Namens war; wir ritten +also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war +auch nicht ein Stückchen Brot, auch nicht einmal Makkaronen +zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber +und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte, +fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch +wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt Joseph nicht +weit von einem Flusse ankamen, dessen Namen ich vergessen +habe.</p> + +<p>Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber +<!-- pb n="210" facs="#f0236"/ --> aus allen Theilen der +Insel, und doch wenigstens Makkaronen. Aus Vorsicht hatte +ich für mich in Palermo Brot gekauft, das beste und +schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es +mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den +Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein +Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige +Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das +nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine +Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte meinen Unwillen +kaum bergen.</p> + +<p>Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Makkaronen. +Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, dass ich wohl ihre +Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in +Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken lässt. Da erhob +sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die +Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der +Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die +Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von +Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der +Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von +Palermo hörte königlich zu und sagte — nichts. Ihr +könnt euch auch gross machen, sagte der Treiber von Katanien +zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen, +der nicht einmal euer ist, und fing an auch die Alterthümer +seiner Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde, +heraus zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergass +der in ihrem Theater geredet habe. Du musst wissen, +Margarethe heisst bey den Siciliern durchaus ein +gefäl<!-- pb n="211" facs="#f0237"/ -->liges feiles Mädchen: +das war für die Mutter des frommen Mannes der Aeneide kein +sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du +hieraus, das<!-- supplied>s</supplied --> die sicilischen +Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache +gleich nicht immer ausserordentlich genau nehmen: denn der +Agrigentiner rechnete den benachbarten Makaluba zu den +Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne dass seine Gegner +protestierten; und hätte der Streit länger gedauert, so +hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit +aufgezählt.</p> + +<p>Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen +heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich +eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so +entsetzlich denken können. Die Insel sieht im Innern +furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber +das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so +schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause +durchaus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler kamen in +den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen +auf der Treppe des <span class="spaced">spanischen</span> +Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht, +sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit +Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst +küsste man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich +blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, +und hätte in diesem Augenblicke alle sicilische Barone und +Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche +stellen können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in +Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei<!-- pb n="212" facs="#f0238"/ -->len, +recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist +so vernachlässiget, dass mir der Wein sehr willkommen war. +Ich musste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was +man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach +unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen +Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das +beste war hier ein grosser schöner herrlicher Orangengarten, +wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust +hatte, ohne dass es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich +die köstlichsten hochglühenden Früchte von der Grösse einer +kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera +traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern +Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die +Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich +keinen Fuss vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht +helfen, wenn ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen +gleich machte.</p> + +<p>Der Fluss ohne Brücke, über den ich in einem Strich von +ungefähr drey deutschen Meilen wohl funfzehn Mahl hatte +reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits +gehet, ward diesen Morgen ziemlich gross; und das letzte +Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit +Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus +bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, +trugen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und +suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Verdienst recht +gross zu machen: ich hätte gerade zu Fusse durchgehen +wollen, und wäre nicht schlimmer +<!-- pb n="113 " facs="#f0239"/ --> daran gewesen, als am +Ende der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Foderung +war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich +möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig +würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen, +jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder gerade zu mit +dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die +Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten +nicht weiter. Der Fluss geht nun rechts durch die Gebirge in +die See. Ich habe seinen eigentlichen Namen nicht gefasst; +man nannte ihn bald so bald anders, nach der Gegend; am +häufigsten nannten ihn die +Einwohner <span class="italic">Fiume di San Pietro</span>. +Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent +abwechselnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich +bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege +ab aufsuchte, ist sie etwas mager.</p> + +<p>Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder vielmehr das +Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz unbeträchtlich, und sein +Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rund umher sind +in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge, +so dass ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für +Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen, +aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des +Orts ist verhältnissmässig doch zu gross, und es giebt rund +umher tiefere Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am +wenigsten liesse sich seine periodische Wuth erklären. Wo +ich hinauf stieg fand ich einen einzelnen drey Ellen hohen +Kegel aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben +eine +<!-- pb n="214" facs="#f0240"/ --> Oeffnung hatte, aus +welcher die Masse immer heraus quoll und herab floss und so +den Kegel vergrösserte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs +grössere Oeffnungen, aus denen beständig die Masse hervor +drang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse +flüssiger war. Ich stiess in einige meinen Knotenstock +gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die +Seiten berührte war der Boden hart. In der Mitte und +ziemlich auf der grössten Höhe desselben war die grösste +Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der +Boden nicht trug und ich befürchten musste zu versinken. +Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll +man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich +sah der Oeffnungen rund umher, grössere und kleinere, +ungefähr dreyssig. Einige waren so klein, dass sie nur ganz +kleine Bläschen in Ringelchen ausstiessen, und ich konnte +meinen Stock nur mit Widerstand etwas hinein zwingen. Die +Ausbrüche und die Regenstürme ändern das Ansehen des +Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer als +seine grössern Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer +Entfernung von ungefähr zwey Stunden auf einer +beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich +hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna heisst. +Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe liegenden kleinen +Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drey Wochen sehr in +Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig +gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber diessmahl bey +dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv -Vulkan bis hierher +<!-- pb n="215" facs="#f0241"/ --> +sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich +rauhe Gegend über mehrere Berge,</p> + +<p>Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine gewaltig +starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als ich das Haus +betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben +würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich +wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe +ich mirs versah, schoss ein junger starker Kerl aus einer +Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den +höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der +Gurgel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäusten aus +allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden so gut +ich konnte, und er liess den armen Teufel endlich los, der +auch sogleich abmarschierte. Ich sagte dem Fausthelden so +glimpflich als möglich, dass ich diese Art von Willkommen +etwas zu handgreiflich fände; da trat er ganz friedlich und +sanft vor mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine +Mutter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden. +Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es +auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen: und +damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich +den Ritter Canella, den Onkel meines militärischen Freundes +in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde waren sehr +artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich +sogar in meinem Gasthause. Raimondi, welcher Direktor der +dortigen Schule ist, führte mich in die alte gothische +Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah und das +akustische Kunststück +<!-- pb n="216" facs="#f0242"/ --> nicht hören konnte, da er +den Schlüssel zu der verschlossenen Stelle vergessen hatte +und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit +noch einmahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen. +Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der +Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern +Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort desswegen +verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden +belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des +Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt +genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, dass +Dorville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus +ausserordentlich richtig gezeichnet hat.</p> + +<p>Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in +Alikata. Mein Mauleseltreiber kam beständig und machte den +Bedienten und Cicerone. <span class="italic">Jo saggio +tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,</span> sagte +er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich +eben so wenig einwenden liess, als wider die Infallibilität +des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon +ziemlich kannte, hatte ich weiter nichts gegen die +Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr +neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten +Stadt schon aus den Fenstern des Herrn Raimondi übersehen, +steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die +Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten +der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die +Vergänglichkeit aller weltlichen Grösse helfen? Ich sah da +die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters<!-- pb n="217" facs="#f0243"/ -->tempels, +und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie +nehmlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht etwas zu +bestimmen. Die Trümmern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern +Karuben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und +gross gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem +fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und +sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein +weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen +Gebälke durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin +und her, dass der Agrigentiner, der doch ein Mauleseltreiber +war, vor Angst blass ward, an der Celle blieb und sich +niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten auf dem Gesimms, +bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus +der Tasche und hielt ein Frühstück, das gewiss Scipio auf +den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich +konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht +erwehren, als ich über die Stelle des alten grossen reichen +Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger +unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und jedem die +üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlängelt sich der kleine +Akragas, der der Stadt den Namen gab, hinunter in die See; +und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer +steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt +wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des +feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt die Stadt +steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil der Akropolis. Nun +ging ich noch etwas weiter hin<!-- pb n="218" facs="#f0244"/ +-->auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übrigen Resten, +unter denen man mehrere Tage sehr eparnorthotisch hin und +her wandeln könnte. Die systematischen Reisenden mögen Dir +das übrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der +jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den +Konkordientempel schaffen lassen und dafür die schöne alte +Front mit der pompösen Inschrift +entstellt: <span class="italic">Ferdi</span><span class="italic">nandus +IV. Rex Restaurauit</span>. Ich hätte den Giebel herunter +werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.</p> + +<p>Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel stehen nicht +weit von den alten Mauern, in deren solidem Felsen eine +Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiss was +man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es +wahrscheinlicher vor, dass es Schlafstellen für die Wache +sind, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur +aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern, +so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind +doch als Felsen beträchtlich genug, dass man von der See aus +die Stadt das hohe Akragas nennen konnte; und noch jetzt +würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben +eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht ohne +Grund geschehen, dass man die schönsten Tempel der Mauer so +nahe baute. Sie waren das Heiligthum der Stadt; ihre Nähe +beym Angriff musste anfeuern, wo, die Bürger wirklich +augenscheinlich <span class="italic">pro aris et +focis</span> schlugen. Auch der Tempel des Herkules muss +unten nicht weit von der Mauer gestanden +<!-- pb n="219" facs="#f0245"/ --> haben. Dort sind aber die +Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort +nicht so unterstützte; eben desswegen setzte man vermuthlich +dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der +schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erinnern: eben +desswegen liegen wahrscheinlich dort Tempel und Mauer in +Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl +eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl +Hierons machen soll, weiss ich nicht; ich überlasse es mit +dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt +zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem +Mauleseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt: +<span class="italic">Kischt' è il lempiò di San Gregoli; +Kischta Madonna è antica:</span> und wer es nicht glauben +will, <span class="italic">anathema sit</span>. Der gute +Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und +meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft +alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun +interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur +ϰατ̕ +αντιφϱασιν +της +ϰαλοϰαγαϑιας; +ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rapport halb +unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären +Schweinställe! Weiss der Himmel, was der fromme Kerl +verstanden haben mochte; <span class="italic">Si si</span>, +<span class="italic">Signore</span>, <span class="italic">dice +bene</span>, sagte er +treuherzig; <span class="italic">kischt' è la cosa</span>. +Er rechnete es mir hoch an, dass er italiänisch sprach und +nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht +fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in +ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der +heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt +nicht weit von +<!-- pb n="220" facs="#f0246"/ --> hier nach Alcamo hinab in +dem Gebirge, wo die Leute griechisch sprächen oder gar +türkisch, so dass man sie gar nicht verstehen könnte, wie +das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier +führte er eine Menge Wörter an, die ich leider wieder +vergessen habe. <span class="italic">Non sono cosi boni +latini, come noi autri,</span> sagte er. Du siehst der +Mensch hat Ehre im Leibe.</p> + +<p>Den musikalischen Talenten und der musikalischen Neigung +der Italiäner kann ich bis jetzt eben keine grossen +Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem +Lande und in den Städten, auch noch keine einzige Melodie +gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern +Ländern manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch +von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent, +der eine Art Liebesliedchen sang und sehr emphatisch drollig +genug immer wiederholte +; <span class="italic">Kisch</span>t<span class="italic">a</span> +nu<span class="italic">tte, kischta nutte in verru, iu +verru. (Questa notte io verro.)</span></p> + +<p>Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier +italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg dahin ist +sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen und Mandelgärten. +Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in +Sicilien zu einer ausserordentlichen Grösse wachsen; noch +häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September +reif werden und von denen ich das Stück, so selten sind sie +jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen musste, +da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karuben oder +Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir +bey uns gar keine Begriffe <!-- pb n="221" facs="#f0247"/ --> +haben. Sie sind so haufig, dass in einigen Gegenden des +südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der +Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem +Fünften gebaut. Bonaparte lag einige Tage hier und auf der +Rhede, als er nach Aegypten ging: und damahls kamen auch +einige Franzosen hinauf in die Stadt, wo gar keine Garnison +liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn +der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen. +Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona, und keiner der besten. +Nicht weit davon sind eine Menge unterirdische +Getreidebehälter, weil von Agrigent sehr viel ausgeführt +wird. Die politische Stimmung durch ganz Sicilien ist gar +sonderbar, und ich behalte mir vor Dir an einem andern Orte +noch einige Worte darüber zu sagen.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/23-syrakus.html b/OEBPS/Text/23-syrakus.html new file mode 100644 index 0000000..1f76493 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/23-syrakus.html @@ -0,0 +1,604 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Syrakus</title> +</head> +<body> + +<div class="chapter" id="Syrakus"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>iess ist also das Ziel +meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen +Umschweifen wieder nach Hause.</p> + +<p>Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als +möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel +ward mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte +man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich, +etwas mehr als einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich +ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Diess +war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete, +zumahl auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit +einem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fusse auf einer +Ronde um die Insel begleiten; dafür sollte er mit mir +ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich +wollte ihm täglich noch fünf Karlin, ungefähr einen +deutschen Gulden, geben: dabey könnte er doch zusammen +während der kurzen Zeit drey goldene Unzen Gewinn haben. Der +Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwey Unzen voraus, um für +die eine einige Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen und +die zweyte unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er +kaufte mir einen Habersack, ungefähr wie man ihn den +Mauleseln mit dem Futter umhängt, that meine zwey Bücher, +mein Hemde mit den übrigen Quinquaillerien und etwas +Proviant hinein, und trug mir ihn nach oder vor. Meinen +stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht + +<!-- pb n="223" facs="#f0249"/ --> +zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo +gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und +Liebhaber, dass man mir einige Mahl sagte, man +würde mich bloss meines Tornisters wegen todt +schlagen.</p> + +<p>Ich muss hier noch eine Bekanntschaft nachholen, die ich +in Agrigent machte. Als ich in meinem Zimmer ass, trat ein +stattlich gekleideter Mann zu mir herein und erkundigte sich +theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem +Befinden und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so +weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in +einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen Wirthshause, +bat um die Erlaubniss sein Essen zu mir zu bringen, und wir +assen zusammen. Es fand sich, dass er eine Art Steuerrevisor +war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer +sind ein sehr gutmüthiges neugieriges Völkchen, die in der +ersten Viertelstunde ganz treuherzig dem Fremden alles +abzufragen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteckten +zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor über Tische +auf seine Frage, dass ich ein Ketzer war. Der dicke Herr +legte vor Schrecken Messer und Gabel nieder, und sah mich +an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich +nun über unser Religionssystem, von dem ich ihm so wenig als +möglich so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in +Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und musste, nach +seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur +Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen haben; fluchte +übrigens und zotierte auf lateinisch und +<!-- pb n="224" facs="#f0250"/ --> italiänisch trotz einem +Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie +man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne. +Dabey hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende. +Doch entschloss er sich mit mir fort zu essen, fragte aber +immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und +einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb +spasshaft das Verdammungsurtheil über uns alle +her: <span class="italic">Siete tutti +mincspanoni</span>, <span class="italic">siete come le +bestie</span>. Das nenne ich mir Logik! Indessen, lieber +Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel in der +Welt, <span class="italic">in jure +canonico</span>, <span class="italic">civili et +publico</span>, die uns für Sterling verkauft wird. +Uebrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloss sich +brüderlich an mich an, und meinte ich ginge grossen Gefahren +entgegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich abging, band +er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich +seine Addresse in Palermo und liess mich Ketzer doch unter +dem Schutze aller Heiligen ziehen.</p> + +<p>So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg +hinunter, über den kleinen Fluss hinweg nach dem Monte +chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner +Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel +machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war +das nicht lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle +Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich +einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die +sich über das Margarethentempelchen von Segeste zankten. +Diese Herren staunten +<!-- pb n="225" facs="#f0251"/ --> über meine Verwegenheit, +dass ich zu Fusse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein +Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. +Mein Begleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; +er ass so viel Paste, dass ich über seine Capacität +erstaunte. Indess ein Sicilianer dieser Art hat seine +Talente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich +mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen +der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine +halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, +und verursachte dem Menschen fürchterliche Passionen. Ich +fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von +dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier +rührte ihn von neuem das Gewissen, und er bekannte mir, er +habe schon furchtbare Angst gehabt, dass er mit mir in der +Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein +Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward +nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor +Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun? +Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und +sanft als möglich den Text über seinen unvernünftigen Frass +gelesen hatte, nahm ich ihm meinen Sack ab, übergab ihn +seinem Freunde und Landsmanne, überliess ihn seinen Heiligen +und ging weiter. Es war mir lieb, dass ich ihn so gut +versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that +es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher +erfahren, dass er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, +wäre es gewiss zum Wunder bloss darum gewe<!-- pb n="226" facs="#f0252"/ -->sen, +weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen +hatte, nicht wegen seines bestialischen Makkaronenfrasses. +Ich habe vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen +hören, dass jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an +der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der +gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts +anders als Makkaronen mit Oehl.</p> + +<p>Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste +hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das +Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bey Palma ist wieder +schöne herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und +Thälern, die alle mit Oehlbäumen und Orangengärten besetzt +sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als die +übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und +wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von +Malta nicht ausgenommen, deren man eine Menge in Neapel +findet. Gegen Abend kam ich in Alikata an, wo ich vor der +Stadt zwey sehr wohlgekleidete Spaziergänger antraf, die +mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehen +Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir +gingen zusammen in die Stadt, ich halte sie für die beste, +die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen +habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich gut; ich +hatte also nicht Ursache, dem Marchese Frangipani, an den +ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich +doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit +in seinem ziemlich grossen Hause auf, wo ich eine +ansehnliche Gesell<!-- pb n="227" facs="#f0253"/ -->schaft +fand. Man nöthigte mich, mit den Damen etwas +französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige +zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als man sich zum +Spiel setzte — <span class="italic">c'est partout +comme chés nous</span> — und ich daran nicht Theil +nehmen wollte noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt +anrühre, empfahl ich mich und befand mich in meinem +Wirthshause einsam recht wohl. In der schönen Abenddämmerung +machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der +Fischerey zu. Die hiesige Rhede muss für die Schiffe nicht +viel werth seyn, so viel ich von der Lage mit einem +Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alikata, von Palma +her, liegt ein sich am Meere herziehender Berg, der von den +Gelehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehalten wird. +Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera, denn +der nördliche fliesst bey Termini, ist ein anderer Berg, +dessen Name, glaube ich, Phalarius heisst: und diese beyden +Berge paradieren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos +soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben, +weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen +Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr +auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir erlaubst eine +Konjektur zu machen, so will ich annehmen, dass der Eknomos +deswegen so genannt worden sey, weil er ganz allein, +isoliert, von der ganzen übrigen Bergkette rund herum +abgesondert liegt: die andern Berge hängen in einem grossen +Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name, däucht +mich, könne diess bedeuten: εϰ +τȣ νομȣ +των +αλλων +οϱων +ϰειται +<!-- pb n="228" facs="#f0254"/ --> +γεωλοφος. +Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen +Oelgärten und mehreren Landhäusern besetzt, und giebt der +Gegend ein sehr freundliches Ansehen. Links ist an dem +Himera hinauf eine schöne grosse Ebene mit Weitzenfeldern; +eine der besten die ich je gesehen habe. Alikata ist der +erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.</p> + +<p>Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich +hier in Alikata, wo man sagte, dass die achtzehn Millien von +hier nach Terra nuova die schlimmsten in der ganzen Insel +wären. Sono cattive +<span class="italic">gente</span>, hiess es; +und <span class="italic">cattive</span> war der ewige +Euphemismus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber und +Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahrscheinlich nur +meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am +Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von +Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend +Cirkumherumschweife und blieb bey der schönen Idee stehen, +dass ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme: +da sah ich von weitem drey Reiter und zwar zu Pferde auf +mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maulesels oder +Esels ist mir in Sicilien immer lieber als eines Pferdes. +Mir ward etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so +ernsthaft als möglich vor ihnen vorbey zu gehen. Das litten +sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst +thaten. Sie waren alle drey mit Flinten bewaffnet; der Dolch +versteht sich von selbst. Ich grüsste nicht ganz ohne +Argwohn. Man rief mir halt! und da ich that, als ob ich es +nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Ve<!-- pb +n="229" facs="#f0255"/ -->hemenz auf mich zu, fasste mich +beym Kragen und riss mich so heftig herum, dass das Schisma +noch an meinem Rocke zu sehen ist. Wer seyd Ihr? — Ein +Reisender. — Wo wollt Ihr hin? — Nach Syrakus. +— Warum reitet Ihr nicht? — Es ist mir zu +theuer; ich habe nicht Geld genug dazu. — Einer meiner +Freunde in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge gezeichnet, +den ich damals machte, damit ich, wie er sagte, doch sagen +könnte, ich habe mich in Rom malen lassen. Ich schicke Dir +die Zeichnung zur Erbauung, und Du wirst hier wenigstens +meine Eitelkeit nicht beschuldigen, dass sie sich ins beste +Licht gesetzt hat. Man riss meinen Sack auf und fand +freylich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwey Bücher, ein +Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und +einige Orangen. Man besah mich aufmerksam von der Ferse bis +zur Scheitel. — Ihr habt also kein Geld zum Reiten? +— Ich kann so viel nicht bezahlen. — Meine Figur +und mein Sack schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes +Dokument zu seyn. Man nahm das weisse Buch, in welches ich +einige Bemerkungen geschrieben hatte um die Reminiscenzen zu +erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte es, +und Einer, der etwas Ansehen über die beyden Andern zu haben +schien, machte Miene es einzustecken. Ich sagte etwas +betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen +Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete +mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke, +gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gieb ihm +Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das +<!-- pb n="230" facs="#f0256"/ --> Zeichen der Hospitalität +und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher +reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so +machte ich doch keine Umstände der ehrenvollen Gesellschaft +Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der +dargereichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr engen +Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weisst, hier für das +Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus +genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr +schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses +und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. +— An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? — An den +Ritter Landolina. — Den kenne ich; sagte Einer. +— Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und +geht zu Fusse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich: +Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal +recht verstanden: da ich aber, ausser ein wenig Schach, +durchaus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem +Gewissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und +nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung +ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, +Dank sey es der schlechten Regierung, eine allgemeine Seuche +ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der +Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen +oder auszaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man +wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den +Leuten zu halten? Aus gewöhnlicher Vorsicht hatte ich die +Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein +Taschenbuch, in welchem +<!-- pb n="231" facs="#f0257"/ --> ungefähr noch sieben und +zwanzig Unzen in Gold liegen mochten, war inwendig in einer +Tasche hoch unter dem linken Arm und wurde also nicht +bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine +Zeichen als Polizeyreiter: übrigens waren sie für Sicilien +sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in +Unteritalien zur Schande der Justiz und Polizey jedermann. +Wenn sie ehrlich waren, so thaten sie wenigstens alles +mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen +Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bey uns +in feiner Gesellschaft ein abgefeimter Schurke gerade das +Gegentheil thut. Ich denke immer, meine anscheinende +Armseligkeit hat mich gerettet und die Uhr und die Unzen +hätten mir den Hals brechen können.</p> + +<p>Vor Terra nuova wurde ich wieder freundschaftlich +angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren +unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es +einzuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich +ein mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen; ich +war wirklich müde und that es. Neugierigere Leute als in +Sicilien habe ich nirgends gefunden; aber im Ganzen fehlt es +ihnen nicht an Gutherzigkeit. Was schlecht ist kommt alles +auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man +fragte mich sogar ob ich eine Uhr trüge und begriff wieder +nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch +bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da +ich allein war.</p> + +<p>In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin +kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl +<!-- pb n="232" facs="#f0258"/ --> war, und sagte dabey, ich +würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf +mich auf einen Haufen Haferspreu, die in einem Winkel +aufgeschüttet war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht +ein Stündchen geschlafen haben und es war gegen Abend, da +wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen +kann, war voll Leute aller Art, einige stattlich gekleidet, +andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit, +der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war +ganz höflich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem +Benehmen Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach +dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, dass ich ein +Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und endlich +Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um +so viel als möglich zu kapieren. Man war geneigt mich für +einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik +gedient habe, und so weiter: aber über ihre Stimmung gegen +die Franzosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der +Mann im Matrosenkleide sagte, ich müsste Franzose seyn, weil +ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so +vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward +mir endlich sehr penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen +und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen; +ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr, +so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich +legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizey +sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen +kann. Erlauben Sie mir übri<!-- pb n="233" facs="#f0259"/ -->gens +etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es +ist warm und ich bin müde. Das sagte ich italiänisch so gut +ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der +Herren bat mich höflich um Verzeihung, ohne weiter eine +Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich, und nach +einigen Minuten war ich wieder allein auf meiner Haferspreu. +Den Abend, nachdem ich bey einigen Seefischen sehr gut +gefastet hatte, brachte man mir +Heu<!-- choice><sic -->-<!-- /sic><corr>,</corr></choice --> und ein +gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke +einen grossen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein +Bett, das man nicht haben konnte.</p> + +<p>Den andern Morgen ging ich über den Fluss Gela und durch +ein herrliches Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. +Dieses Thal mit den Parthien an dem Flusse links und rechts +hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe der geloischen +Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt +Terra nuova steht, so lag es doch gewiss nicht weit davon, +und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach +dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste von +Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das Thal ist auch +noch jetzt in der äussersten Vernachlässigung sehr schön, +und es lässt sich begreifen, dass es ehemals bey der +Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen seyn. +Hier in Niscemi ist es wahrscheinlich, wo vor mehrern Jahren +ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina +beschrieben hat.</p> + +<p>Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort +nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien nicht bekannt ist +und ohne Wegweiser reist, so bleibt +<!-- pb n="234" facs="#f0260"/ --> man, wenn man nicht todt +geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt +nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige +Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann +man eigentlich gar nicht sagen, dass in Sicilien Wege sind. +Es sind bloss Mauleseltriften, die sich oft so verlieren, +dass man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren +muss. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht +weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach +Agrigent zu im Wagen gehen: will er weiter, so muss seine +Majestät sich gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen +Maulesel zu besteigen. Das lässt er denn wohl bleiben, und +desswegen geht es auch noch etwas schlechter als gewöhnlich +anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man +rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das +that ich als ein Wildfremder. Aber ich war kaum ein +Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich grossen Wald +perennierender Eichen kam, wo ich alle Spur verlor, einige +Stunden in Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich +mich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem +ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm. +Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und +grosse zahlreiche Heerden. Um Caltagirone herum ist die +Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut +nennen. Die Stadt, welche auf einer nicht unbeträchtlichen +Höhe liegt, hat rund umher schöne angränzende Thäler, und es +herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche +Wohlhabenheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe +<!-- pb n="235" facs="#f0261"/ --> mitten in der Insel. In +der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von +Menschen; man ass und trank, und handelte und zankte, und +sprach überall sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste +vorbeygetragen wurde; schnell ward alles still und stürzte +nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe. +Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit +getrockneter Oliven, die mein Lieblingsgericht hier sind, +unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus +hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist +sehr gut, und verhältnissmässig sehr billig.</p> + +<p>Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam +immer den Weg fort, den man mir bezeichnet hatte, und war, +ehe ich mirs versah, in Palagonia, dem Stammhause des +seligen Patrons der Ungeheuer, barocken Andenkens. Wäre ich +an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn +Palagonia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von +Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen, +Missgeburten aufschlug. Wieland lässt den geächteten +Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniss über Götter +und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut +es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia +liegt herrlich in einem Bergwinkel des Thales Enna. Kommt +man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare +Felsenschluchten und steigt einen Berg herab, als ob es in +die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade dass die +exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser benutzt +und geniesst. Die Stadt ist traurig schmutzig. +<!-- pb n="236" facs="#f0262"/ --> Ueber den Namen der Stadt +habe ich nichts gehört und gelesen; welches freylich nicht +viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will +annehmen, er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit +davon rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der +Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzählen und die +Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein +gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse +nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn +aufgesucht.</p> + +<p>Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der +überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus +Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, grosse, schöne +Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und +links griffen rund herum die hohen felsigen Bergketten, die +es einschliessen und von Noto und Mazzara trennen; und in +dem Grunde gegen über stand furchtbar der Aetna mit seinem +beschneyten Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte +Rauchsäule in der reinen Luft empor stieg, und sich langsam +nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln +Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem +Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent vor dem +Thore des Schulgebäudes zeigte man mir den Riesen in den +fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug ihn +deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich +nahe in seiner ganzen furchtbaren Grösse vor mir. Katanien +lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen +können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, der der +Athene Polias Ehre gemacht +<!-- pb n="237" facs="#f0263"/ --> haben würde, auf die +jungen wilden Hyacinthen nieder und genoss eine +Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Scenen der +Natur. Das war wieder Belohnung und ich dachte nicht weiter +an die Schnapphähne und das Examen von Terra nuova. Ich +würde rechts hinauf gestiegen seyn in die Berge, wo viele +Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen +seyn sollen; aber ich konnte dem Orientieren und der +müssigen Neugierde in einer sehr wilden Gegend nicht so viel +Zeit opfern. Ich verirrte mich abermals und kam anstatt nach +Syrakus nach Lentini. Es war mir nicht unlieb die alte Stadt +zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche +Rolle spielt. Sie ist in dem Misskredit der schlechten Luft, +wesswegen auf einer grössern Anhöhe Karl der Fünfte, däucht +mich, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der +schlechten Luft; aber freylich kann man vom Ende des März +keinen Schluss auf das Ende des July machen. Der See giebt +der Gegend ein heiteres lachendes Ansehen, und diese würde +sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man +fleissiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer +Orangengarten; und Du kannst denken, dass ich mit den +Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht +hoffen durfte Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen +in Lentini, und wenn die Leute daselbst krank werden, so +sind sie wahrscheinlich selbst Schuld daran, nach allem was +ich davon sehe. Ich war nun zwey mal irre gegangen, und +hielt es daher doch für gut einen Mauleselführer zu nehmen. +Er erschien und wir machten bald den Handel, da ich nicht +viel mer<!-- pb n="238" facs="#f0264"/ -->kantilisches +Talent habe und gewöhnlich gleich zuschlage. Nun wollte der +Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas +sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müssten +wir theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen. +Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger +war sein Grund. Er meinte, wenn ich geplündert oder +erschlagen würde, wie sollte er dann zu seinem Gelde kommen? +Das war mir zu arg; ich schickte ihn ärgerlich fort und ging +mit meinem Schnappsack allein.</p> + +<p>Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den +Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler +abermals irre, und kam anstatt nach Syrakus nach Augusta. +Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut; +aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildniss, wo +rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen. +Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wieder an, +und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. +Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle +Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt +die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und +unter diesem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnügen +die Verschiedenheit des Weinbaues von Meissen bis nach +Syrakus zu sehen; und wenn ich ein weingelehrter Mann wäre, +hätte ich viel lernen können. Die Landzunge auf welcher +Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört +zu dem üppigsten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man +Salz +<!-- pb n="239" facs="#f0265"/ --> aus Seewasser, zu welcher +Operation man einen grossen Strich todtes Erdreich brauchte. +Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als +in dieser Gegend. Die Stadt ist rings um vom Meere umgeben, +und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der +Landseite ist der Ort also gut vertheidigt und es würde eine +förmliche Belagerung dazu gehören ihn zu nehmen. Von der +Seeseite scheint das nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach +dem Wasser zu wollen nicht viel sagen. Die Stadt ist nicht +viel kleiner als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus. +Ich wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen Pass +besah und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler +Höflichkeit zurück gab. Hier wurde ich, aus meinem Passe, +Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen +Wege durch die ganze Insel bey allen Mauleseltreibern durch +Ueberlieferung behielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann, +was er seyn mochte, denn ich habe mich um seinen Posten +weiter nicht bekümmert, bewirthete mich mit dem berühmten +syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut +haben muss, und mit englischem Ale und Biskuit. Das Ale war +gut und das Biskuit besser, und über den Wein habe ich keine +Stimme. Mir war er zu stark und zu süss. Ein Perukenmacher, +der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerade +in sein eigenes Haus, bewirthete mich ziemlich gut und liess +mich noch besser bezahlen. Dafür wurde ich aber so viel +beexcellenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der +den grossen päbstlichen Ablass auf hundert Jahre herum +trüge. +<!-- pb n="240" facs="#f0266"/ --> Man erzählte mir, dass +vor einigen Monaten ein Deutscher mit seiner Frau aus Malta +durch Sturm hier einzulaufen genöthigt worden sey, und, da +er keinen Pass gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben +müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche +Guignons können eintreten.</p> + +<p>Um nicht noch einmal in den Bergen herum zu irren, nahm +ich nun endlich einen Maulesel mit einem Führer hierher nach +Syrakus. Ich hatte eine grosse Strecke Weges an dem +Meerbusen wieder zurück zu machen. So lange ich mich in der +Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber +so wie wir Syrakus näher kamen, ward es immer wüster und +leerer. Der Aetna, der über die andern Berge hervor ragte, +rauchte in der schönen Morgenluft. Der Mauleseltreiber hatte +mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich, +sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen +kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und +dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören +auf nichts als diesen Stachel, der ihnen statt aller übrigen +Treibmittel am Halse appliziert wird. Wenn es nicht recht +gehen wollte, rief der kleine Mephistophiles hinter +mir: <span class="italic">Pungite</span>, <span class="italic">Don +Juan</span>, <span class="italic">sempre pungite</span>. +Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der +Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das +Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie der Hals des +Staats sich bey dem Stachel befindet, was kümmert das die +Herren? Wenn es nur geht oder wenigstens schleicht. Mein +kleiner Führer erzählte mir hier und da Geschichten von +Todtschlägen, +<!-- pb n="241" facs="#f0267"/ --> so wie wir an den Bergen +hinritten. Rechts liessen wir die Stadt Melitta liegen, die +auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme +Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht +Millien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo +der Feigen sehr wenig aber viel sehr schöne Oelbäume waren, +fast der Halbinsel Thapsus gegen über. Nun trifft man schon +hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der +alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch +einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die +Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der +ungeheuern Ruine, die jetzt eine Mischung von magern +Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern +ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den +Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab und spazierte +nun zu Fusse weiter fort. Der Bube war gescheidt genug mir +einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging +ich durch alle drey Thore der Festung als Spaziergänger, +ohne dass man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht +weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige +stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den +Spaziergänger lässt man gehen.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/24-syrakus.html b/OEBPS/Text/24-syrakus.html new file mode 100644 index 0000000..9d2bbef --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/24-syrakus.html @@ -0,0 +1,762 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Syrakus</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[242]" facs="#f0268"/ --> + +<div class="chapter" id="Syrakus2"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div> + +<div class="poem"> +Heute will ich fröhlich fröhlich seyn,<br /> +Keine Weise, keine Sitte hören;<br /> +Will mich walzen und vor Freude schreyn:<br /> +Und der König soll mir das nicht wehren.<br /> +</div> + +<p> <span class="initial">S</span>o singt Asmus den ersten +May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den +ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich +gleich vor einigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe +ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich +auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt +und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die +Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bisschen +Unordnung.</p> + +<p>So wie ich zum Thore herein war und eine Strasse herauf +schlenderte, — wohlzumerken, mein Sack hielt keine +grosse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt +leicht in den Taschen bergen — so rief mir ein Mann +aus einer Bude zu: <span class="italic">Vous etes etranger, +Monsieur, et Vous cherchés une auberge</span>? +— <span class="italic">Vous l'avés touché, +Monsieur!</span> sagte ich. <span class="italic">Aiés la +bonté d'entrer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur +de Vous servir</span>. Ich trat ein. Der Mann war ein +Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren +ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich +leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das +beste nannte. Die Nahrung, wenig<!-- pb n="243" facs="#f0269"/ -->stens +das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, dass mein +Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von +Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina +das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer +Fes<!-- supplied>t</supplied -->ung kann ich doch gutwillig nicht +bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus +an den Hafen, nehmlich an den grossen, oder an den +Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den +Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel +auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich +ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das +Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abtheilung des +Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief +gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden +gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den +punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach +Afrika, machte grosse Beute in Utika, und war den dritten +Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war, +von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Livius Bescheid +geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, dass ich, +wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen +Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido +mitmachen könnte.</p> + +<p>Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, +und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines +Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpfgegend hielt mich +auf; sonst wäre ich wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem +Rückwege setzte ich +<!-- pb n="244" facs="#f0270"/ --> mich ein Viertelstündchen +an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel +des Jupiter Olympius gelten. Hier liess Dionysius dem Gott +den goldenen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den +Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener +schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein +ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte +des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber +war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und +so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand +noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte +den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! +An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der +Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich +dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte +nun rechts umzukehren um keinen zu grossen Umweg zu machen; +und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch +etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich +fürchtete man möchte das Thor schliessen; wo man denn eben +so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich +mich doch mit vielem Schweiss in einem nicht gar erbaulichen +Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluss +herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause +wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir +nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die +Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer +der Herrn verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den +Syraka, denkt wie ich, ist aber +<!-- pb n="245" facs="#f0271"/ --> nicht so glücklich, und +sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht +heraus bringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr +um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach +vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit +Stricken herausziehen. Lass Dir es also nicht einfallen, +wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber +nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege, +sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.</p> + +<hr class="hr5" /> + +<p>Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina +zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das +ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er +ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme +mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weisst, dass er +Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in +meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen +ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in +Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke +Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus +bis nach Epipolä, wo wir unsere Pferde liessen und nach den +äussersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen +zu Fusse gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den +Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden +kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die +ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey +Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie +<!-- pb n="246" facs="#f0272"/ --> bey ihm, Landolina +gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten +uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung +nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses +halbe Stündchen für eines der schönsten die ich genossen +habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte, +die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah +man die ganze grosse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, +die nun halb als Ruine und halb als Wildniss da liegt. +Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem +Syraka und dem Hafen: links hinab ging bis ans Meer die +gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche +Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen +liess. Von beyden sieht man noch den Gang durch die +Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke +aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das +Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Grösse des +ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. +Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen +hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette +des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag +der <span class="italic">mons crinitus</span>, wo die +Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen +Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, +welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das +Haus des Timoleon, wo man bey der kleinen Mühle noch die +Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, +drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo +der schöpferische Geist Archimeds mit dem +<!-- pb n="247" facs="#f0273"/ --> Feuer des Himmels seine +Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange +nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken +Besatzung der Aussenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter +links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der +Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab +lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern +Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem +Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind +vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der +Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen +und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde +eine angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die +Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an +Solidität und Grösse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen. +Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie +derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren +es durch die Lage bloss sehr feste Aussenwerke, deren +Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt +hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite +des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich +zu geringe und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr. +Die Römer drangen durch die grosse Linie links. Wäre diese +Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die +Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre +vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht +gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen +Schlacht zum Manöver benutzen kann.</p> + +<!-- pb n="248" facs="#f0274"/ --> +<p>Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner +Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das +Vergnügen theilen, so würde es grösser werden. Mein eigenes +Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo +gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir +mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm +Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Geschenk von +Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las +nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas +magisches. — Sey nur ruhig, ich habe jetzt zu viel +Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du +sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.</p> + +<p>Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina +zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, +die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste +enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen +Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge +Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage +genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und +besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze +gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts +weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser +aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die +jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen +Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen +Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf +ist das alte grosse griechische Theater, +<!-- pb n="249" facs="#f0275"/ --> fast rund herum in Felsen +gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug +hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es +natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren +Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich +deutlich zu lesen. Es lässt sich viel dawider sagen, und sie +beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin +Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der +aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung +geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemahls +auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig +gewesen, so dass ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der +Inschrift floss, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. +Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen, +schalt den Müller und liess es auf der Stelle abändern. +Gegen über steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das +Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freylich +nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, dass +wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und dass +vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der grosse Mann +begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnissweg +hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis +fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die +verschiedenen Gestalten der kleinen und grössern +Begräbnisskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den +Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. +Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne +Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, +<!-- pb n="250" facs="#f0276"/ --> das man am Eingange +zerreisst, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man +stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen +Büchsenschuss, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die +ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir +vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber +als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob +sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die +Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine +Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl +vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe +ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingruben +des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so +vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob +Dionysius dasselbe habe hauen lassen, liesse sich noch +bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; +aber dass er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, +hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein +schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in +dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige +durchgebrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn +mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen +anzuschliessen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am +Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemahls für das +Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel +Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin +zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina +erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt +habe. Die<!-- pb n="251" facs="#f0277"/ -->ses +Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle +selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade +geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine +eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen +in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich; +und es lässt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als +eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten +Gang in das Gefängniss geführt, durch welche der Tyrann +selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem +Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl +nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir, +er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen +Engländern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und +eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein +verworrenes dumpfes Geräusch.</p> + +<p>Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den +hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend +räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche +Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu soll +das Kämmerchen oben gewesen seyn? Zum Anfange einer neuen +Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an +einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit +bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst +entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage +nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts +deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass man ehedem +nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange +vieles zertrümmert und ein<!-- pb n="252" facs="#f0278"/ -->gestürzt, +also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man +sagt, Dionysius habe hier in dieser Gegend der Stadt keinen +Pallast gehabt. Zugegeben dass dieses wahr sey, so war +dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen +Gegenwart zu entfernen. Er konnte desswegen bey wichtigen +Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu +kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und +Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen +sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, dass er +draussen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt +haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in +Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des +ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem +Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von +Syrakus schliesst er nicht ganz übel.</p> + +<p>In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler +ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der +Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von +Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein +anderer Steinbruch, der einer wahren Feerey gleicht. Er ist +von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als +nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den +der Besitzer hat verschliessen lassen. Von oben kann man das +ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den +niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen +Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt +in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den +vaterländischen Baum +<!-- pb n="253" facs="#f0279"/ --> zu finden, den ich fast +in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier +in dem heisseren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das +vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch +sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach +vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. +Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen +Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die +Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur +machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der +Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu +halten; da diese Röhren vermuthlich Luft von aussen +empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der +enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese +Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte +Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut +erhalten ist, dass, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in +Gang gesetzt werden könnte.</p> + +<p>Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen +Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die +furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im +peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich +lange darin herum gewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre +Gärten darin angelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn +würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf +gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Gefahr zehn tausend +ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege +mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt +haben; +<!-- pb n="254" facs="#f0280"/ --> dieses war nun das +grösste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit +schönen Orangen, und bedauerten, dass die Engländer schon +die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten +aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür +erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen +Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen +Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht +ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem +Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum +spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes +und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn +man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze +ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem +Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet. +Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die +bekannte Anekdote, dass viele Gefangene sich aus der +traurigen Lage bloss durch einige Verse des Euripides zogen: +und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter +gebracht worden.</p> + +<p>In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia +ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte +Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man +auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute +noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht +giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie +doch gewiss von dem festen Lande der Insel; und schon dieser +Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es +den Dichtern auf einige Grade Er<!-- pb n="255" facs="#f0281"/ -->höhung +nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine +ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, +die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus +der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen +Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag +zusammen getragen hat. In Sicilien und Italien dankt niemand +für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von +Europa zu wünschen, dass sie bekannter würde. Vielleicht +lässt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist +durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine +Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die +mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die +vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie +quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen +ganz weg, so dass man trocken tief in die Höhle hinein gehen +kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen +physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie +vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu +glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem +Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort +herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu +denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: +das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen +willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet +man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem +Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist. +Seitdem ist das Wasser süss geblieben, heisst es. Ich fand +eine +<!-- pb n="256" facs="#f0282"/ --> Menge Wäscherinnen an der +reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und +hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich +stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der +hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es +schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser +der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muss +also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich +wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat +die nehmliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich +durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt +Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich +bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der +nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es etwas +salziger: das mag vielleicht von der grossen Tiefe und dem +beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es +für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen +Tempeln fand. Sehr möglich; es lässt sich gegen die +Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein +gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn? +Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse +in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiss die Insel +machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt +aus. Man hatte ausser der Arethuse wenig Wasser in den +Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr +bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder +zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz +auf diesen Fall zu verschaffen und ihn +<!-- pb n="257" facs="#f0283"/ --> +vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich +will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben +so wenig hartnäckig behaupten.</p> + +<p>Als ich hier in der Kirche sass, die eben ausgebessert +wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, +gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein +Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen +Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals +mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. +Wenn man diesen Mann von der Regierung und der +Kirchendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom +Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mögen. Alles +bestätigte seine Erzählung, und Unzufriedenheit und Murrsinn +schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. +Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner +Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten +Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller +Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit +einem kleinen Ablassgelde in Ordnung gebracht und +fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich +der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum +Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer +profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet +sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die +ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der +Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die +jedermann wisse, und nannte mir mit grosser Freymüthigkeit +zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich +<!-- pb n="258" facs="#f0284"/ --> gern wieder vergessen +habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die +Glossen.</p> + +<p>Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz +machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen +Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine +ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so +dass nur noch von innen und aussen der griechische +Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen +Stil schön und gross, sticht aber gegen die alte griechische +Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.</p> + +<p>Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines +Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche +singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war +mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und +ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein +Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über +seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen +eigentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz +unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine +Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das +entmannte Bild so in Wuth, dass er mit dem Messer auf den +Geiger zuschoss und ihn erstochen haben würde, wäre dieser +durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. +Auch der Sänger konnte die Aergerniss durchaus nicht +verdauen und entfernte sich.</p> + +<p>Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem +Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherrn gelten, +und die ich also wohl eben so verdienst<!-- pb n="259" facs="#f0285"/ -->los +verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft +und halb mit gefischt. Ich fuhr nehmlich heute nach Mittage +mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um +das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane +links bald in einer solchen Menge, dass wir das Boot kaum +durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich +nicht erreichen. Es war zu spät; wir mussten fürchten +verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich +etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch +und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am +Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir +durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für +meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu +bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den +Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus +meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie +weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König +selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen +liesse. Die Leute beguckten mich und liessen mich abziehen. +Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zu +zubereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich +glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar +keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit +entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser +schlechtes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste +Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien +gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den +Kommentar +<!-- pb n="260" facs="#f0286"/ --> +des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das +Interesse des Alterthums.</p> + +<p>Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen, +welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir +der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler +Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem +alten griechischen Theater sassen und ausruhten. Landolina +machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer +Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, +eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine +Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise +interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes +irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise, +die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache, +welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und +hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, dass man +über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich +und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht +erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es +selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich +nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere +ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die +bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange +sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar +geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manchmal, +setzte Landolina sehr launig hinzu.</p> + +<p>Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von +denen zu Neapel. Was beyde ursprüng<!-- pb n="261" facs="#f0287"/ -->lich +gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber +dass beyde in der Folge zu Begräbnissplätzen gedient haben, +ist ausgemacht. Von den syrakusischen liesse sich vielleicht +aus dem Bau mehr behaupten, dass sie ursprünglich dazu +gehauen wurden. Der grosse Unterschied der neapolitanischen +und syrakusischen besteht darin, dass in den +neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, +und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort +sind unten die grössern und dann an der Wand herauf die +kleinern Behälter; hier sind vorn die grössern und dann +weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so dass in +Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in +Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. +Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr +Umstände; ich weiss nicht ob ich Dir deutlich geworden bin. +Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel +lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, +unten die grösseren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus +in den Felsen hinein, vorn grössere und hinterwärts immer +kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als +Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch +zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens +nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine +alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten +Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige +Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und +Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das +erste Mal, als wir kamen, +<!-- pb n="262" facs="#f0288"/ --> war er nicht zu Hause, +sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten, +begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder +mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen +Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. +Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig um +seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, +da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von +drey und zwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des +Lebens konnte natürlich die grosse Tour nicht aushalten. Der +Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die +Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in +angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden +wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster +aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf +die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine +abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr +gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; +vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein +Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo +noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und +schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen +Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen +; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer +griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: +das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser +verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis +nach Ka<!-- pb n="263" facs="#f0289"/ -->tanien gehen; +vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden +haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der +Baumannshöhle versichert, dass sie sich bis nach Gosslar +erstrecke.</p> + +<p>Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchterlich seyn; +denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde, +den man <span class="italic">il ponente</span> nennt, +welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch +alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume +entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein +kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in +einem solchen Grade alles verdorret, dass man es sogleich zu +Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch +der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf, +dass er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume +nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey +gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die +Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der +vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen +Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige +Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, +besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse +Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den +Gipfeln ferner Berge.</p> + +<p>Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall; die +Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur +zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben +mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr +melancholische Viertelstunde, als +<!-- pb n="264" facs="#f0290"/ --> ich mit Landolina oben +auf der Felsenspitze von Euryalus sass, der würdige +patriotisch eifernde Mann über das grosse traurige Feld +seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und +sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das +kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der +vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und +liebenswürdigsten Charakter gefunden, und er sprach mit +schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter +und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und +von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein +hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur +der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich +schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und +Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es +durchaus. Ehemals schickte man bey der grossen Bevölkerung +Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der +Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget +gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit +die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger +litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung +und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der +physischen Verschlimmerung des Landes durch die +Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle +fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der +Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige +Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, +wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese +verschrieenen Ge<!-- pb n="265" facs="#f0291"/ -->genden, +geben reichlich, wenn man fleissig ist. Sicilien ist ein +Land des Fleisses, der Arbeit und der Ausdauer. Man will +jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu +arbeiten. Es sind freylich wenig grosse Striche hier, die so +schwelgerisch fruchtbar wären wie das Kampanerthal: aber es +könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.</p> + +<p>Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der +schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium +und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und +hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als +im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel +zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht +tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir +unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum +hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus +ausser Stande zu seyn schnell zu handeln, lässt alle Kaliber +der Kugeln durch einander werfen und die Munition in +Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach +Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die +Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem +Verdruss. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser +verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel +anzugreifen; mit zehn tausend Mann hätten sie dieselbe mit +ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger +Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere +Maassregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre +zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er<!-- pb n="266" facs="#f0292"/ -->griffen +haben. — Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus. +Bloss im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die +Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. +Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der +Ankommenden beständig wieder.</p> + +<p>Noch etwas literarisches muss ich Dir doch aus dem +südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest ich sey +ganz und gar unter die Analphabeten getreten. Landolina +lässt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher +er beweist, dass der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein +der οιυος +πολλιος +oder πολιος der +Alten sey. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube +ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in +seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im +Homer heisst es, dass an den Weinstöcken reife Trauben und +grünende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich +unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen +nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus +kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des +Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur +die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, +dass sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher +Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zunächst +aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. +Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit +wichtiger seyn, als mir Abaccheveten. Er hat mir noch manche +nicht unange<!-- pb n="267" facs="#f0293"/ -->nehme +philologische Bemerkung über manche griechische Stelle +gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank +wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt +hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser +sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, dass +Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu +urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, +vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey, +weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik +gegen die Insel äussere.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/25-katanien.html b/OEBPS/Text/25-katanien.html new file mode 100644 index 0000000..ceac874 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/25-katanien.html @@ -0,0 +1,402 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Katanien</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[268]" facs="#f0294"/ --> + +<div class="chapter" id="Katanien"> +<div class="dateline"><span class="right">Katanien.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>u siehst, ich bin nun auf +der Rückkehr zu Dir. Syrakus oder vielleicht schon Agrigent +war das südlichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen ritt +ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen Führer +hierher. Man kann die Reise in einem Sommertage sehr bequem +machen; und wenn man recht gut beritten ist, recht früh +aufbricht und sich nicht sehr viel umsieht, kann man wohl +Augusta noch mit nehmen. Die Maulesel machen einen +barbarisch starken Schritt, und +das <span class="italic">Pungite, Don Juan, pungite!</span> +wurde auch nicht gespart. Es war ein herrlicher warmer +Regenmorgen, als ich Syrakus verliess; der Himmel hellte +sich auf, als ich aus der Festung war, und die Nachtigallen +sangen wetteifernd in den Feigengärten und Mandelbäumen so +schön, wie ich ihnen in Sicilien gar nicht zugetraut hätte, +da sie sich noch nicht sonderlich hatten hören lassen. Ich +ging wieder vor der Feigenquelle vorbey und durch einen +Strich der schönen herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor +derselben und nach derselben war es wüste; ununterbrochen +wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des Simäthus. In +einem Wirthshause am Fusse der Berge, ungefähr, ungefähr +noch zehn Millien von Katanien, wo ich essen wollte und +wenigstens Makkaronen suchte, gab der Wirth skoptisch zur +Antwort: In Katanien sind Makkaronen; hier ist nichts. Der +Mensch hatte die trotzige murrsinnige Physionomie der +gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht seine Schuld +war, und gewann nicht eher eine etwas +<!-- pb n="269" facs="#f0295"/ --> freundliche Miene, als +bis ich seinen Kindern von meinem schönen Brote aus Syrakus +gab; dann holte er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete +Oliven. In der Gegend des Simäthus war das Wasser ziemlizh +gross, das man auf die Felder umher auf den Reis leitete. +Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter wohl nicht recht +geschickt lenken mochte, fiel in eine morastige Lache des +Flusses, und bekam meine halbe Personalität unter sich. Mein +linker Fuss, der wegen einer alten Kontusion nicht viel +vertragen kann, wurde gequetscht und etwas verrenkt und ich +kam lahm hier an. Sehr leicht hätte ich eines sehr +unidyllischen schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus +sterben können: doch zürne ich desswegen dem Flusse nicht: +denn er ist doch der einzige Fluss, der diesen Namen auf der +Insel verdient, und durchaus der grösste, wenn gleich einige +den Salzfluss bey Alikata oder gar den Himera bey Termini +grösser machen. Der Simäthus ist ein eigentlicher Fluss, und +die andern sind nur Waldströme, die sich freylich zuweilen +mit vieler Gewalt von den Gebirgen herabwälzen mögen, wie +ich schon selbst die Erfahrung gemacht habe. Das dauert aber +gewöhnlich nur einige Tage; dann kann man wieder zu Fuss +durch ihr Bette gehen. Nicht weit diesseit des Simäthus, +über den hier eine ziemlich gute Fähre geht, führte mich +mein unkundiger Eseltreiber in Büsche und Moräste hinein, +dass weder ich, noch er, noch der Esel weiter wussten. Mein +Schmutz und mein Schmerz am Fusse hatten mich etwas grämlich +gemacht, so dass ich im Aerger dem Jungen mit der Ruthe +einige Schläge über das +<!-- pb n="270" facs="#f0296"/ --> Kollet gab. Er fing an +jämmerlich zu schreyen; wir erholten uns beyde und er sagte +mir sodann mit vieler Mauleseltreiberweisheit, das sey sehr +unklug von mir gewesen, dass ich so wenig Geduld gehabt +habe; ich habe zwar von ihm nichts zu fürchten, weil er +ehrlich sey; aber ich sey doch immer in seiner Gewalt. Avis +dem Leser, der Junge hatte Recht, und ich schämte mich +meiner Uebereilung; wir versöhnten uns und ritten +philosophisch weiter. Die fernere Nachbarschaft von Katanien +ist, für Katanien, schlecht genug gebaut; die ganze Gegend +des Simäthus könnte und sollte etwas besser bearbeitet seyn. +In der Nähe der Stadt fängt die Kultur schöner an. Ich liess +an dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen und +spazierte oder hinkte die Strasse hinab, wendete mich an die +erste Physionomie, die mir gefiel und die mich auch in den +Elephanten sehr gut unterbrachte. Für den beschädigten Fuss +gab mir ein Arzt bey dem Professor Gambino Muskatennussöl, +und es ward sogleich besser, und jetzt marschiere ich schon +wieder ziemlich fest. Das habe ich auch nöthig; denn ich +will auf den Aetna, wo sich mancher schon den Fuss vertreten +hat.</p> + +<p>Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahlzeit auf, +mein Freund; und ich glaube fast, es wäre die beste in +meinem Leben gewesen, wenn nur einige Freunde wie Du aus dem +Vaterlande mit mir gewesen wären. Aber mein Tischgeselle war +ein hiesiger Geistlicher, eben die Physionomie, die ich auf +der Strasse zum Führer bekam. Der Mann ist indessen für +einen sicilischen Theologen vernünftig genug, +<!-- pb n="271" facs="#f0297"/ --> und hat mir eben ich +weiss nicht wie klassisch bewiesen, dass Katanien das +Vaterland der Flöhe sey. Meine Mahlzeit, Freund, war ganz +vom Aetna, bis auf die Fische, welche aus der See an seinem +Fusse waren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die +Feigen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fusse und von +der Seite des Berges. Ich bin Willens ihn auf alle Weise zu +geniessen; desswegen bin ich hergekommen; und wohl nicht +absichtlich um das Unwesen der Regierung und der Möncherey +zu sehen. In Katanien ist es wohl von ganz Sicilien und +vielleicht von ganz Italien noch am hellsten und +vernünftigsten; das hat Biskaris und einige seiner Freunde +gemacht, durch welche etwas griechischer Geist wieder +aufgelebt ist. Es ist hier sogar eine Art von Wohlstand und +Flor, der den schlechten Einrichtungen in der Insel Hohn +spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht bey den +Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier fängt man +wenigstens an, das Unglück des Vaterlandes, die Unordnungen +und Malversationen aller Art, die schrecklichen Wirkungen +der Unterdrückung und des dummen Aberglaubens recht lebhaft +zu fühlen. Die Mönche haben den dritten Theil der Güter in +den Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre, das +sie dem Staate verursachen, so könnte der grässliche +Druckfehler doch vielleicht noch Verzeihung finden. Aber +— mein Gott, wer wird ein Wort über die Mönche +verlieren! Bonaparte wird sich zu seiner Zeit ihrer schon +wieder eben so thätig annehmen, wie der Uebrigen, da sie mit +ihnen zu seinem Systeme gehören. Es entfuhr mir aus +kosmopolitischem In<!-- pb n="272" facs="#f0298"/ -->grimm +hier in einer Gesellschaft, dass ich +sagte: <span class="italic">Les moines avec leur cortege +sont les morpions de l'humanité</span>. Die Sentenz wurde +mit lautem Beyfall aufgenommen, und auf manchen +vorübergehenden Kuttenträger angewendet. Du begreifst, dass +man schon ziemlich liberal seyn muss, um so etwas nur zu +vertragen: freylich verträgt man es nicht überall; aber die +Stimmung ist doch sehr lebendig gegen das Ungeziefer des +Staats. Die Franzosen haben in der ganzen Insel keine +geringe Parthey; und diese nimmt es Bonoparte sehr übel, +dass er nach Aegypten ging und nicht vorher kam und sie +nahm, welches nach ihrer Meinung etwas leichtes gewesen +wäre. Muth, Klugheit, allgemeine Gerechtigkeit und +Humanität, von welchen Eigenschaften er wenigstens die erste +Hälfte besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache +gemacht: und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien für +den Krieg gewesen wäre; wenn es auch nicht mehr so wichtig +ist, als in den karthagischen Kriegen oder unter den +Normännern. Alle vernünftige Insulaner sind völlig +überzeugt, dass sie bey dem nächsten Kriege, an dem Neapel +nur entfernt Antheil nimmt, die Beute der Engländer oder +Franzosen seyn werden; und ich gab ihnen mit voller +Überzeugung den Trost, dass sie sich im Ganzen auf keinen +Fall verschlimmern könnten, so sehr auch einzelne Städte +leiden möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und +sich also nicht zu fürchten.</p> + +<p>Es würde zu weitläufig werden, wenn ich anfangen wollte, +Dir nur etwas systematisch über Literatur und Antiquitäten +zu schreiben. Andere haben +<!-- pb n="273" facs="#f0299"/ --> das besser vor mir +gethan, als ich es könnte. Es hat sich wesentlich nichts +geändert. Der thätige Geist des alten Biscaris scheint nicht +ganz auf seinem Nachfolger übergegangen zu seyn; obgleich +auch dieser noch immer die nehmliche Humanität zeigt. Das +Kabinet ist wohl nicht ganz in der besten Ordnung. Was mich +im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat, waren einige +sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein Torso fast +von der nehmlichen Gestalt, wie der jetzige Pariser, und den +Einige diesem fast gleich schätzen, und eine Büste der +Ceres, die beste die ich gesehen habe. Es sind mehrere +Statüen der Venus da; aber keine einzige, die mir gefallen +hätte. Unter den kleinen Bronzen zeichneten sich für mich +aus, ein Atlas der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur und +ein Herkules. Es sind auch noch einige andere von +vortreflicher Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr +beträchtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter denen +viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische Mysterien +sind, die dem Charakter nach aus den Zeiten der römischen +Kaiser zu seyn scheinen. Manches gehört wohl auf keine Weise +in eine solche Sammlung, vorzüglich nicht die Gewehre, +welche wenig Interesse für Künstler und Kenner haben: +einzelne Anekdoten müssten denn die Stücke merkwürdig +machen. Vorzüglich schön ist noch eine längliche Vase, wo +Ulyss und Diomed die Pferde des Rhösus bringen.</p> + +<p>Das Uebrige findet man besser und geordneter bey dem +Ritter Gioeni, dessen Fach ausschliesslich die +Naturgeschichte ist, und vorzüglich die Naturgeschichte +Siciliens. Man findet bey ihm alle vulkanische Pro<!-- pb n="274" facs="#f0300"/ -->dukte +des Aetna, des Vesuv und der liparischen Inseln, und es ist +ein Vergnügen die Resultate eines anhaltenden Fleisses hier +zusammen zu sehen. Hier sind alle sicilischen Steine, von +denen die Marmorarten vorzüglich schön sind. Bey Landolina +und Biscaris und Gioeni sind Tische, die aus allen +sicilischen Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach der +Muscheln findet man wohl selten so schön und so reich als +bey dem letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die +verschiedenen niedlichen Sorten von Bernstein, alle aus +Sicilien, die ich hier nicht gesucht hätte. Ich wusste wohl, +dass man in Sicilien Bernstein findet, aber ich wusste nicht +dass er so schön und gross angetroffen wird: und ich habe +aus der Ostsee keine so schönen Farben und Schattierungen +davon gesehen. Die Arbeiten waren sehr niedlich und +geschmackvoll. In der neuern Chemie und Physik muss man +indessen nicht sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es +wurde zufällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft +war nicht ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man +gestand sogar Deinem idiotischen Freunde eine Stimme über +die spezifische Schwere des Metalles zu. Endlich musste +unser Landsmann Bergmann den Zwist entscheiden, und ich war +wirklich seinem Ausspruche am nächsten gekommen. Der Ritter +und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität und +unermüdetem Eifer für die Wissenschaft.</p> + +<p>Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsgebäude einer +theologischen Doktorkreation beyzuwohnen. Der Saal ist gross +und schön und hell. Rund herum sind einige grosse Männer des +Alterthums nicht übel +<!-- pb n="275" facs="#f0301"/ --> abgemahlt, von denen +einige Katanier waren; nehmlich Charondas und Stesichorus; +auch Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre +hier zu seyn; sodann der Syrakusier Archimed. Theokrit war +den frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht hier. +Der Kandidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich +gutem Latein die Lobrede der Stadt und der Akademie +Katanien. Der Promotor hielt sodann der Theologie eine +Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloss der +guten Sprache wegen nur in Sicilien noch verzeihe. Nun, +dachte ich, wird die Disputation angehen; und vielleicht +vergönnt man sogar, da die Versammlung nicht zahlreich war, +dem Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das war +schon alles <span class="italic">inter privatos +parietes</span> mit dem Examen abgemacht: man gab dem +Kandidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen +fort. Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber +gut gewählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein +freundlicher verständiger Mann. Er zeigte mir eine erste +Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln anfing, und die, wie +er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.</p> + +<p>In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche +eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch fliesst, war +die Luft so übel, dass der Professor Gambino es nur einige +Minuten aushalten konnte. Meine Brust war etwas stärker; +aber ich machte doch, dass ich wieder heraus kam. Sie werden +selten besucht. Auch in den dreyfachen Korridoren des +Theaters etwas weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde +herum: +<!-- pb n="276" facs="#f0302"/ --> +von hier hat der Prinz Biscaris seine besten Schätze +gezogen. Auch hier ist ein Aquedukt des Amenanus, +aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes +Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist. +Die Kommission der Alterthümer hat aber nun die +Oberaufsicht, und kein Eigenthümer darf ohne ihre +Erlaubniss einen Stein regen.</p> + +<p>Das Kloster und die Kirche der reichen Benediktiner sind +so gut als man eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche +gilt für die grösste in ganz Sicilien und ist noch nicht +ausgebaut; an der Fassade fehlt noch viel. Sie mag dessen +ungeachtet wohl die schönste seyn. Die Gemälde in derselben +sind nicht ohne Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des +Morealese, werden billig geschätzt. Am meisten thut man sich +auf die Orgel zu gute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von +Don Donato del Piano gebauet worden ist. Er hat auch eine in +Sankt Martin bey Palermo gebaut; aber diese hier soll, wie +die Katanier behaupten, weit vorzüglicher seyn. Man hatte +die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Fremde +nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu lassen; und ich +glaube selbst in Rom keine bessere gehört zu haben. +Schwerlich findet man eine grössere Stärke, Reinheit und +Verschiedenheit. Einige kleine Spielwerke für die Mönche +sind freylich dabey, die durchaus alle Instrumente in einem +einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich ein +Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch +gehört. Die Abenddämmerung in der grossen schönen Kirche, +und dann die feyerlich schaurige Beleuchtung wirkten +<!-- pb n="277" facs="#f0303"/ --> mit. Die Bibliothek und +das Kabinet der Benediktiner sind ansehnlich genug, und +könnten bey den Einkünften des Klosters noch weit besser +seyn. Im Museum finden sich einige hübsche Stücke von Guido +Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere +griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf +einer Marmortafel ist so gelehrt, dass sie, wie man sagte, +auch die gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben +erklären können: auch Viskonti nicht. Ich hatte nicht Zeit; +und was wollte ich Rekrut nach diesem athletischen Triarier. +Doch kam es mir vor, als ob sie in einem späteren +griechischen Stile das Märterthum der heiligen Agatha +enthielte. Wenn Du nach Katanien zu den Benediktinern +kommst, magst Du dein Heil versuchen. In der Bibliothek +bewirthete man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit +mit den +<span class="italic">Actis eruditorum</span>, die in einer +Klosterbibliothek in Katanien auch wirklich eine Seltenheit +seyn mögen. Die Byzantiner waren alle +mit <span class="italic">Caute</span> in Verwahrung gesetzt, +und werden nicht jedem gegeben. Als einen, sehr grossen +Schatz zeigte man mir eine ausserordentlich schön +geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin, und verschüttete +die gute Meinung der Herren fast durch die voreilige +Bemerkung, es wäre Schade, dass der Kopist gar kein +Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an; ich war also +genöthigt zu zeigen, dass er aus dieser Unwissenheit vieles +idiotisch und falsch geschrieben habe. Die guten Leute waren +verlegen und legten ihr Heiligthum wieder an seinen Ort, und +ihre Mienen sagten, dass solche Schätze nicht für Profane +wären. Der Pater Sekretär, ein feiner gebildeter +<!-- pb n="278" facs="#f0304"/ --> Mann, der in seinem +Zimmer ein herrliches englisches Instrument hatte, gab mir +einen Brief an ihren Bruder oben am Berge im Namen des Abts, +da er hörte, dass ich auf den Berg wollte. Er schüttelte +indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche +Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde +unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen +Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hinauf zu kommen. Er +erzählte mir von einigen Westphalen, die es auch bey der +nehmlichen Jahrszeit gewagt hätten, aber kaum zur Hälfte +gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich +liess mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht +werth gewesen nordamerikanischen und russischen Winter +erlebt zu haben.</p> + +<p>Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte, und +steht im Kredit, dass es damit viel gutes thut. Das heisst +aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulenzer ernähren +hundert Bettler; dadurch werden beyde dem Staate unnütz und +verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch +nicht essen, sagt unser alter Sirach; und ich finde den +Ausspruch ganz vernünftig, auch wenn er mir selbst das +Todesurtheil schriebe.</p> + +<p>Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nehmlichen +Klosters, der hinter den Gebäuden auf lauter Lava angelegt +ist, und wo man links und rechts und gerade aus die schönste +Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene +hat. Die Lavafelder geben dem Ganzen das Ansehen einer +grossen mächtigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, +neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein +Kano<!-- pb n="279" facs="#f0305"/ -->nikus einen +kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von +Syrakus als eine Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der +Gang in die Gärten des Prinzen Biscaris in der nehmlichen +Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für eine Spielerey; +aber er hat gezeigt, was Fleiss mit Anhaltsamkeit und etwas +Aufwand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung +grünt und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den +schönsten Blumen aller Art. Der Gärtner brachte mir die +gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte mehrere Blumen in +mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.</p> + +<p>Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablissement +für Manufakturen gemacht: und ob dieses Etablissement gleich +noch nicht weit gediehen ist, so ist doch durch die +Vernichtung des Klosters schon viel gewonnen. In der +Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues +Gemälde, ungefähr sechs Fuss im Quadrat, von der letzten +grossen Eruption des Berges 1669, die fast die Stadt zu +Grunde richtete. Ein ächter Künstler sollte es nehmen und +ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch +Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück +werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht +nichts ähnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten +sollen; da war mehr als sein Brand.</p> + +<p>Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus den +Lavaschichten heraus fliesst steht noch etwas von der alten +Mauer Kataniens, ungefähr in gleicher Entfernung zwischen +dem Molo links und dem Lavaberge rechts, der dort weiter in +die See hinein sich empor +<!-- pb n="280" facs="#f0306"/ --> gethürmt hat. An dem Molo +hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich +fürchte aber die See wird gewaltiger seyn als die Arbeit. +Wenn links ein Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den +Wogensturz von Kalabrien her etwas dämmte, so wäre eher +Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der ich nichts +wusste, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige +verständige Leute pflichteten mir bey. Katanien wird sich +wohl müssen mit einer leidlichen Rhede begnügen, wenn nicht +vielleicht einmal der Aetna, der grosse Bauer und Zerstörer, +einen Hafen bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins +Meer schiessen, wie er rechts gethan hat, so ist er fertig. +Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Strasse +Ferdinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her, ist +die Hauptstrasse: eine andere, die ihr etwas aufwärts +parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Katanien so +fort arbeitet, macht es sich nach einem grossen Plane zu +einer prächtigen Stadt. Fast alle öffentliche Monumente sind +von der Kommune aus eigenen Kräften bestritten, und es sind +derselben nicht wenig: des Hofes geschieht nur +Ehrenerwähnung. Es ist der lieblichste Ort, den ich in +Sicilien gesehen habe, und übrigens sehr wenig mit der +Regierung in Kollision; so dass viel gutes zu erwarten ist. +Die Dazwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau +meistens das natürliche Gedeihen der freyen Industrie.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/26-messina.html b/OEBPS/Text/26-messina.html new file mode 100644 index 0000000..b09ad6b --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/26-messina.html @@ -0,0 +1,528 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Messina</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[281]" facs="#f0307"/ --> + +<div class="chapter" id="Messina"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Messina</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">I</span>ch muss mich etwas fassen, +dass ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit +mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich +Geduld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar +schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in +Katanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand und der +sich als einen sehr guten Hodegeten ankündigte, besorgte mir +eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Thiere, der mit mir +die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll +Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken +durchritt ehe ich am Sandkloster ankam, weiss ich nicht +mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen +Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen +Layenbruder haben, welcher die Oekonomie besorgt denn sie +haben rund umher weite Distrikte von Weinbergen. Bey den +Mönchen gilt selten das Sprichwort, im Weine ist Wahrheit; +sondern im Weine ist Schlauheit. Ich kann mir nicht helfen, +und wenn mich die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen, +je grösser das Kloster, desto grösser die Sottise. Die +Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonsequente und +Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut +fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren +freundlich und höflich. Der Layenbruder hier im Sande war +etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen +Empfehlungsbrief, betrachtete ihn und sagte mir ganz +trocken: Der Abt, +<!-- pb n="282" facs="#f0308"/ --> mein Vorgesetzter, hat +ihn nicht unterschrieben; er geht mich also nichts an. Das +ist schlimm für mich, sagte ich: Ja wohl! sagte er. Was soll +ich nun thun? fragte ich: Was Sie wollen; antwortete er. Er +besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen +auf. Er fragte mich, ob ich mit essen wollte; und ich machte +natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war. +Wir setzten uns und über Tische ward mein Wirth +freundlicher. Mein Maulesel mit dem Führer wurde nach dem +nächsten Orte Nikolosi geschickt und mir Quartier und Pflege +gesichert. Man meldete, dass eine fremde sehr vornehme +Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen +wollte: das war mir lieb. Wir assen dreyerley Fische. Denke +Dir, ein Layenbruder der Benediktiner in der höchsten +Wohnung am Aetna zur Fasten dreyerley Fische! Denn über +diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber, +und weiter nichts mehr in der Waldregion bis hinauf an die +alte Geisshöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern +Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns +trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von +Geistlichen zu seyn. Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche +und liess ihn den andern vorlesen: da ergab sich mir denn +erst, dass der Herr Layenbruder wohl gar nicht lesen konnte. +Der Brief lautete ungefähr, dass der Pater Sekretär ihm im +Namen und auf Befehl des Abtes schreibe, dem deutschen +reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre, +nach Würden bestens zu bewirthen. Von meiner Entfernung war +nun gar nicht mehr die +<!-- pb n="283" facs="#f0309"/ --> Rede. Der Bruder erzählte +mir seine Reisen und seine Schicksale, und dass ihn der +Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerey und segnete +sich. Er liess sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch +etwas angelegener seyn, als der palermitanische +Steuerrevisor in Agrigent, fand mich aber ganz +refraktarisch: er musste mich mit seinem besten Futter in +die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er +brauchte, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch +einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seyen auf dem Berge +schon viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt +gefunden würde, nicht einmahl christlich begraben werden. +Das war nun freylich ein triftiges Argument; denn bey diesen +Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so +sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im +ähnlichen Falle aus bat, man möchte ihm nach dem Tode einen +Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann +schüttelte den Kopf und — trank sein Glas. Nun wurde +mir ein Führer bestellt, der theuer genug war, und auf alle +Fälle alles in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft +nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung getroffen +worden war, wurde gemeldet, dass die Engländer nicht kommen +würden, sondern in Nikolosi blieben. Darüber war der Mann +Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft, wie Elisa der +Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Katanien +und oben in Nikolosi. Ich machte eine Ausflucht gegen über +auf die <span class="italic">Monti rossi</span>, die sich +bey der letzten grossen Eruption gebildet haben, vermuthlich +von der Farbe +<!-- pb n="284" facs="#f0310"/ --> den Namen tragen und von +ihren Gipfeln eine herrliche Aussicht geben. Man hat eine +starke Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen +sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuern Lavastrom der +hier ausbrach, alles umwälzte und zernichtete, einen grossen +Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als +eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiss wohl, +dass Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so +von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche +ziemlich unterrichtete Männer waren. Als ich herunter stieg, +begegnete ich zwey Engländern von der Parthie aus Nikolosi, +die den nehmlichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer +waren fünfe, lauter Offiziere von der Garnison aus Malta, +die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mit sehen +wollten; ein Major, ein Hauptmann und drey Lieutenants. Sie +freuten sich noch einen zur Parthie zu bekommen, und ich +holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den +Engländern ins Wirthshaus nach Nikolosi, wo schon vorher +mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte ein finsteres +Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige +Flüche über uns Ketzer alle: ich dankte und ging.</p> + +<p>Hier trieben wir nun, die fünf Britten und Dein Freund, +unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hatten den Wirth +vom goldenen Löwen aus Katanien mitgebracht; ich trat zur +Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich, +und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die +Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante, +von der Themse +<!-- pb n="285" facs="#f0311"/ --> und vom Nil, und bald +traf die Kritik einen General bald ein Mädchen. Vorzüglich +war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse +originelle Trompetersfrau, die sie nach allen Prädikamenten +zur Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen +Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze +Karavane zu Maulesel; sechs <span class="italic">Signori +Forestieri</span>, zwey Führer mit Laternen und ein +Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten +April zu Mitternacht, oder den siebenten des Morgens. Den +vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend +ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf so wie wir aus +dem Wirthshause zogen. Wir gingen bey meinem Mönch in +Sankt <span class="italic">Nicolas del bosco ove della +rena</span> vorbey. Es war frisch und ward bald kalt, und +dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm. Dann +deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann sangen +wir <span class="italic">God save the king</span>, nach +Händel, und +<span class="italic">Britannia, rule the waves</span>, und +andere englischpatriotische Sachen. Jeder gab seinen +Schnak. <span class="italic">We are already pretty +high</span>, sagte der Eine; <span class="italic">it is a +bitter nipping cald</span>, der +Andere. <span class="italic">Methinnks, I hear the dogstar +bark, and Mars meets Venus in the dark</span>; fuhr ein +Dritter fort. <span class="italic">Is that not smoke +there?</span> fragte ein subalterner +Myops; <span class="italic">I believe I see already old Nock +smoking his pipe. But, my dear</span>, sagte der +Major, <span class="italic">You are purblind upon your +starboard eye; it is an oaktree</span>. So war es; das gab +Gelächter, und wir ritten weiter. Bald kamen wir aus der +bebauten Region in die waldige, und gingen nun unter den +Eichen immer bergauf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der +Gegend +<!-- pb n="286" facs="#f0312"/ --> der Geisshöhle an, die +aber jetzt ausser Uebung kommt. Der Fürst von Paterno hat +dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bey +einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und +ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht +besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als +nichts und vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben +wir eine kleine Halbestunde, bestiegen wieder unsere +Maulthiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den +Schnee hinein. Ungefähr eine Viertelstunde über dem Hause +und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee +fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her hier und +da neu und alt lag. Wir mussten nun absteigen und unsere +Maulthiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und +das Steigen sehr beschwerlich. Unsere Führer riethen uns nur +langsam zu gehen, und sie hatten Recht: aber die Herren +ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht +Recht. +<span class="italic">Methinks I smell the morning +air</span>, sagte der Major, und fuhr ganz drollig fort, als +ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein +Lavastück fiel und über den Fuss +klagte: <span class="italic">Alack</span>, <span class="italic">what +dangers do inviron the man that meddles with cold +iron!</span> Die Kälte des Morgens ward schneidend und die +Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche +Parthie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die +Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des so +genannten Philosophenthurms, und die Sonne stieg eben +glühend über die Berge von Kalabrien herauf und vergoldete +was wir von der Meerenge sehen konnten, die +<!-- pb n="287" facs="#f0313"/ --> ganze See und den Taurus +zu unsern Füssen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne +Wolken; um desto magischer war die Scene. Hinter uns lag +noch alles in Nacht und vor uns tanzten hier und da +Nebelgestalten auf dem Ocean. Wer kann beschreiben? Nimm +deinen Benda, und lass auf silbernem Flügel dem Mädchen auf +Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht Etwas von unserm +Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns +Titan auf; aber wir waren über dem werdenden Gewitter: es +konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend +und hoch aufschreyend um die Trümmern herum; denn er hatte +die Finger erfroren. Wir halfen mit Schnee und rieben und +wuschen, und arbeiteten uns endlich zu dem Gipfel des Berges +hinauf. Mich däucht, man müsste bis zum Philosophenthurm +reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die +Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich desswegen nicht +von der Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr +gehen; man muss steigen, und zuweilen klettern, und zuweilen +klimmen. Es scheint noch eine Viertelstunde bis zur höchsten +Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stündchen Arbeit. +Die Britten letzten sich mit Rum, und da ich von dergleichen +Zeug nichts trinke, ass ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine +aus der Tasche. Sie waren ziemlich gefroren; aber ich habe +nie so etwas köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen +mehr hatte, denn der Appetit war stark, stillte ich den +Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre +der deutschen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande +<!-- pb n="288" facs="#f0314"/ --> der grossen ungeheuern +Schlucht, in welcher der Krater liegt. Einer der Führer kam +nach mir, dann der Major, dann der zweyte Führer, dann die +ganze kleine Karavane bis auf den Herrn mit den erfrorenen +Fingern. Hier standen und sassen und lagen wir, halb in dem +Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes eingehüllt und keiner +sprach ein Wort und jeder staunte in den furchtbaren Schlund +hinab, aus welchem es in dunkeln und weisslichen Wolken +dumpf und wüthend herauftobte. — Endlich sagte der +Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft +machte: <span class="italic">Now it is indeed worth a young +man's while to mount and see it; for such a sight is not to +be met with in the parks of old England</span>. Mehr kannst +Du von einem ächten Britten nicht erwarten, dessen +patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter +ambrosisch bewirthet.</p> + +<p>Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag +vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen +Felsenwand, und bückten uns über eine steile Kluft von +vielleicht sechzig bis siebzig Klaftern hinaus. Einige +legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe vor +Schwindel zu sichern. In dieser Schlucht lag tief der +Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der +entgegengesetzten Seite hinüber warf. Der Wind kam von der +Morgensonne und wir standen noch ziemlich sicher vor dem +Dampfe; nur dass hier und da etwas durch die Felsenspalten +heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit vor den +ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinunter ganz nahe +an den Rand des eigentlichen Schlun<!-- pb n="289" facs="#f0315"/ -->des +zu kommen. Bloss von der Seite von Taormina, wo eine sehr +grosse Vertiefung ausgeht, muss man hinein steigen können, +wenn man Zeit und Muth genug hat, die Gefahr zu bestehen: +denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödtlich +werden, und man erstickt wie Plinius. Uebrigens würde man +wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich +drey Tage Zeit und einen entschlossenen, der Gegend ganz +kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben +unten gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müsste +aber mit viel grösserer Schwierigkeit von Taormina hinauf +steigen.</p> + +<p>Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt +hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht +mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon +ziemlich hell. Wir sahen das ganze grosse schöne herrliche +Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten +Theil desselben. Alles was um den Berg herum liegt, das +ganze Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit allen +Städten und Flecken und Flüssen, war wie in magischen Duft +gewebt. Vorzüglich reitzend zog sich der Simäthus aus den +Bergen durch die schöne Fläche lang lang hinab in das Meer, +und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer +hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel +durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, dass die +Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für +unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in +die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und +die Dünste des Himmels, +<!-- pb n="290" facs="#f0316"/ --> der doch fast unbewölkt +war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht +gesehen; und mich däucht, man kann es von hier nicht sehen: +es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge +müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen, +sondern nur die Berge umher. Von den Liparen sahen wir nur +etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund umher genug +hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich zu etwas +Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer +Sitte: <span class="italic">Now be sure, we needs must give +a shout at the top down the gulf;</span> und so stimmten wir +denn drey Mahl ein mächtiges Freudengeschrey an, dass die +Höhlen des furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer +uns warnten, wir möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht +die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit +etwas verändertem Mythus: <span class="italic">la casa del +diavolo</span> und das Echo in den +Klüften <span class="italic">la sua risposta.</span></p> + +<p>Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag +ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und +brauste, und wüthete und tobte und stürmte unaufhörlich aus +ihm herauf. Einen zweyten Krater habe ich nicht gesehen; der +dicke Rauch müsste vielleicht ganz seinen Eingang decken, +oder dieser zweyte Schlund müsste auf der andern Seite der +Felsen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf +dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir +nicht ganz vom Rauche frey; die rothe Uniform der Engländer +mit den goldenen Achselbändern war ganz schwarzgrau +geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich +geändert.</p> + +<p><!-- pb n="291" facs="#f0317"/ --> +Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee +gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter +salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom +Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben, den ich für +todten Schwefel hielt. Er war heiss und wir konnten unsere +Füsse darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und +sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach +Katanien und Paterno hinab. Die <span class="italic">Monti +rossi</span> bey Nikolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und +die ganze grosse ausgestorbene Familie des alten lebendigen +Vaters, lag rund umher. Nur er selbst wirkte mit ewigem +Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche ungeheuere +Werkstatt muss er haben! Der letzte grosse Ausbruch war fast +drey deutsche Meilen vom Gipfel hinab bey Nikolosi. Wenn er +wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von +Taormina, wo nun die Erdschicht am dünsten zu seyn scheint. +Die Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne doch +sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen +war vielleicht noch belohnender als der Aufenthalt auf dem +obersten Gipfel. Bis zum Philosophenthurm war viel +Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger +angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer +griffen zur Rumflasche und ich hielt mich zum gebratenen +Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziemlich +hart gefroren, aber der heisse Hunger thaute es bald auf. +Indem wir assen, genossen wir das schönste Schauspiel, das +vielleicht das Auge eines Menschen geniessen kann. Der +Himmel war fast ganz hell, und +<!-- pb n="292" facs="#f0318"/ --> nur hinter uns über dem +Simäthus hingen einige kleine lichte Wolken. Die Sonne stand +schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war +glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine +Fleckchen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie +Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich was +folgen würde. Die Flecken wurden zusehens grösser, bildeten +flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen +zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut +und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu +Moment annahmen. Es schoss in die Höhe und glich einem Walde +mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Gestalten, +war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und +die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf +das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste +deckte und das wir tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing +an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag +das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem +unnennbaren Halblichte, so dass wir nur noch den See von +Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles und die +Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordostseite, war +das Werk einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so +geschmückte Scene wahrscheinlich in meinem Leben nicht +wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen und auch hier sehr +selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst +desswegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten +dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts +mehr von dem Gipfel des Berges; alles war +<!-- pb n="293" facs="#f0319"/ --> in undurchdringlichem +Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir +im Hinaufsteigen gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne +den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer +halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter +uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir +traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her +nach Katanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte +Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns +an das Feuer setzten; nehmlich diejenigen, die es wagen +durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise eine +eigene Vorkehrung getroffen. Weiss der Himmel, wer es ihnen +mag gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in +Nikolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, +und über diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen +Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie +sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft +hatten. Der Aufzug liess sonderbar genug; sie sahen mit den +grossen Aetnastöcken, von unten auf alle ziemlich aus, wie +samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen +Reisezeug mit gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen +festen Stiefeln. Schon hinaufwärts waren einige holländische +Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und +die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie +natürlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest +ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir +fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte Einer der +jungen Herren die Unvorsichtigkeit ge<!-- pb n="294" facs="#f0320"/ -->habt, +sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu +setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie +Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel +mitgenommen. Vermuthlich wird er in Katanien oder Malta zu +kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende +Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in der Gegend ist: +unten bey Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste +stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und +Füsse. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die +Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche +Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in +Katanien kontraktmässg angeschaft hatte. Wir nahmen +Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich +meines Weges hierher nach Taormina.</p> + +<p>Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so +vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine Höhe kann +ich nicht bestimmen. In einem geographischen Verzeichniss +wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten +Alpen: das mögen die mathematischen Geographen ausmachen. +Der Professor Gambino aus Katanien will diesen August mit +einer Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere +Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das Sprichwort +vom Aetna: <span class="italic">On le voit toujours le +cha</span><span class="italic">peau blanc et la pipe à la +bouche.</span> — Der Schnee soll nie ganz schmelzen; +das ist in einem so sehr südlichen Klima viel. Man nennt ihn +in Sicilien meistens, wie +bekannt, <span class="italic">Monte Gibello</span>: aber man +nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von +Si<!-- pb n="295" facs="#f0321"/ -->cilien oder +geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe +ich am häufigsten und zwar auch unten an der südlichen Küste +gefunden. Mir scheint es überhaupt, dass man jetzt anfängt, +die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So +habe ich den Fluss unten nie anders als Simäthus nennen +hören.</p> + +<p>Bis an das Bergkloster der Benediktiner, ist der Aetna +von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut bebaut; weiter +hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt noch +alle kahl standen; und nicht weit von der Geisshöhle oder +dem jetzigen Hause von Paterno, hört die Vegetation auf. Wir +fanden von dort an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute +Region giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten +mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieblichsten +Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle +Orangengeschlechter wachsen und blühen in goldenem Glanze. +Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oehlbaum, dann +die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie; und dann +nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fusse triffst Du alles +dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen +dazu.</p> + +<p>Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur +auf Einem Punkte, den alten grossen berühmten Kastanienbaum +in der Ferne. Kaum kann ich sagen, dass ich ihn gesehen +habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die +Nacht musste ich in einem kleinen elenden Dörfchen bleiben. +Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten, besonders +einige Millien vor der Stadt. Dieser +<!-- pb n="296" facs="#f0322"/ --> Ort, welcher ehemahls +unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus +steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, +vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke +der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das +fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit +hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich +ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung +durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen +gesetzt, scheint aber dabey nach sehr willkührlichen +Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der +erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, +aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und +doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von +den Barbaren gelitten. Das alte Schloss, welches noch höher +als die Stadt liegt, muss schwer zu nehmen seyn. Die heilige +Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen, +wenn ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären. +Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den +Kommandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht +honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am +Fusse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter +ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und +hätte ich oben ein Wirthshaus finden können, so wäre ich dem +Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern +sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr +Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte +hier meinen Mauleseltreiber fort und wan<!-- pb n="297" facs="#f0323"/ -->derte +wieder allein zu Fusse weiter: denn an der See hinauf, +dachte ich, kann ich nun Messina nicht verfehlen. Ein alter +Sergeant von Taormina, der mir dort den Cicerone machte, +wollte mir eine Order an den Kommandanten von Sankt Alexis, +einen unter ihm stehenden Korporal, mit geben, dass er mir +das Schloss auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte +ihm aber mit der Entschuldigung, dass ich nicht Zeit haben +würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas +halsbrechend, und hat einige schöne, gut bebaute Schluchten. +Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur +zwey kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen und Fische +und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche +alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus einige +Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte. +Einen gar sonderbaren, langgezogenen, nicht unsonorischen +Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich +noch zum nächsten Orte habe, erhielt ich die +Antwort: <span class="italic">Saruhn incuhra cinquuh +migliah</span>; welches jeder ohne Noten verstehen wird.</p> + +<p>Diese Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube +ich, Giumarrinese hiess, und noch achtzehn Millien von +Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen +Tage that mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich +aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut +sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, dass +man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien +vor Messina fand ich wieder Fuhrgleise, +<!-- pb n="298" facs="#f0324"/ --> welches mir ordentlich +eine Wohlthat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen +gesehen. In Syrakus kann man nur eine Viertelstunde an der +See bis an ein Kloster vor der Stadt fahren: und eine +geistliche Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den +Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf, war +alles was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/27-messina.html b/OEBPS/Text/27-messina.html new file mode 100644 index 0000000..023af50 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/27-messina.html @@ -0,0 +1,238 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Messina</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[299]" facs="#f0325"/ --> + +<div class="chapter" id="Messina2"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Messina</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">I</span>n der langen Vorstadt von +Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen, mit +pompösen lateinischen Inschriften, worin ein Brunnen mit +Recht als eine grosse Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade, +dass sie kein Wasser hatten. Die Hafenseite ist noch eine +furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe Spaziergang +für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze +muss gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die Messinesen +haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sey in der Welt +nicht so etwas prächtiges mehr gewesen, als ihre Fassade an +dem Hafen, die sie nur vorzugsweise den Pallast nannten, und +ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal +scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht +gegeben zu haben: Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem +Fleiss in Jahrhunderten; und das kann ich in einem Momente! +Die Monumente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits +und diesseits wurde zerrüttet! — Nur die +Heiligennischen an den Enden werden wieder aufgebaut und +Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut +einzutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und +sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekommen durchaus +nicht mehr als zwey Stockwerke, um bey künftigen +Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden. +Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbaren +Erdbeben überall wenig gelitten.</p> + +<!-- pb n="300" facs="#f0326"/ --> +<p>Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen +einige nicht schlecht sind. Ich habe stundenlang vor dem +Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus +seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf; +und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von +so einem Kopfe genommen zu haben. Die heilige Jungfrau ist +bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du +kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren +Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erdbeben hilft, +so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen +freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben +Gelegenheit, eine grosse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren +zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich +ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das +Palmenfest. Mich wundert nicht, dass die Palmen in Sicilien +nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man +sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plündert. Alles +trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben +konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. +Der Aufzug wäre possierlich gewesen, wenn er nicht zu +ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der +Kathedralkirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau +und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern +Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo +selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen +mögen: <span class="italic">Credat Judaeus apella!</span> +Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten +vergoldeten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, +stieg +<!-- pb n="301" facs="#f0327"/ --> aus und segnete das Volk +und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem +Bau nichts merkwürdiges als die Säulen, die aus dem alten +Neptunustempel am Pharus sind. Der grosse, prächtige Altar +war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wunder der +Arbeit und des Reichthums. Man machte mir Hoffnung, dass ich +ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, dass mir +die Sache so gleichgültig schien.</p> + +<p>Man sagt, die Hafenseite liege desswegen noch so ganz in +Trümmern, weil die Regierung sie durchaus eben so schön nach +dem alten Plan aufgebaut wissen wolle, und die Bürger sie +nur mit dem übrigen gleich, zwey Stock hoch, aufzuführen +gesonnen seyen. Mich däucht, das Ganze, ob ich es gleich von +sehr unterrichteten Leuten gehört habe, sey doch nur ein +Gerücht: und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten soliden +Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der +Regierung. Die Statue des jetzigen Königs, Ferdinand des +vierten, hat man noch 1792 mitten unter die Trümmern +gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen +Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was +die Leute bey der Aufstellung der Statue eben hier mögen +gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder +eine solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient. Die +Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man +aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier +englische Fregatten, und es scheint als ob die Britten über +die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ihnen die Lage +derselben vorkommen. Es sind schöne +<!-- pb n="302" facs="#f0328"/ --> herrliche Schiffe, und so +oft ich etwas von der englischen Flotte gesehen habe, habe +ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern ihr +stolzes <span class="italic">Britannia</span>, +<span class="italic">rule the waves</span> verziehen; eben +so wie dem Pariser Didot +sein <span class="italic">Excudebam</span>, wenn ich die +Arbeit selbst betrachtete.</p> + +<p>Von der Wasserseite möchte es immer etwas kosten, Messina +anzugreifen: aber zu Lande, von Skaletta her, würde man so +ziemlich gleich gegen gleich fechten, und der Ort würde sich +nicht halten. Ich war hier an einen Präpositus in einem +Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit aber +ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem +guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muss. Er +begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und +wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte schon in +der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die Kirche des +heiligen Gregorius auf einer ziemlichen Anhöhe ist reich an +Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist +als dieses, sie giebt von ihrer Fassade links und rechts die +schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen; und mit +einem guten Glase muss man hier sehen können, was gegen über +am Ufer in Italien und in Rhegio auf den Gassen geschieht. +In dem Hause des Herrn Marini, eines Patriciers der Stadt, +steht als neuestes Alterthum ein Stück einer alten Säule mit +Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat +auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, ihre +Inschrift sey griechisch; aber niemand ist da, der sie +erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so +konnte ich +<!-- pb n="303" facs="#f0329"/ --> doch nicht einmal heraus +bringen, ob es nur griechichische Lettern waren. Vielleicht +ist es altes phönizisches Griechisch, und in diesem Falle +vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor +haben sehr gelitten, da sie so lange unter der Erde gelegen +haben. Das Stück ist, so viel ich weiss, noch nicht bekannt, +und wird sorgfältig aufgehoben. Ich empfehle es Männern, die +gelehrter sind als ich; da es doch vielleicht für irgend +einen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.</p> + +<p>Die Herren des Klosters luden mich ein zum Fasttage bey +ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in +Italien bey Italiänern genossen habe; und sie war stattlich. +Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten, +aber nichts zu essen. Das ist nun so die italiänische Weise, +die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand +nur aus wenigen Geistlichen: der Layenbrüder, welche die +Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz +und war sehr artig und ich sollte dankbar seyn: aber erst +für Humanität — <span class="italic">magis amica +veritas</span>. Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muss +sie Dir hier nennen, damit Du siehst, wie man an einem +sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe +mit jungen Erbsen und jungem Kohlraby; sodann kamen +Makkaronen mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen, +Oliven, Kapern und starken aromatischen Kräutern; ferner ein +Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige grosse +herrliche goldgelbe Fische aus der See, die ich für die +beste Art von Börsen hielt; weiter hochgewürzte vor<!-- pb n="304" facs="#f0330"/ -->trefliche +Artischocken: das Dessert bestand aus Lattichsallat, den +schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Kastanien und Nüssen: +alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität, +und schon einzeln <span class="italic">quantum satis +superque</span>. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends +so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich +Dich, heisst das nicht, mit diesen Fasten einem ehrlichen +Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bey +dieser Diät muss man freylich orthodoxen Glauben gewinnen, +der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige +Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber +die Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das +nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag. Meine +fusswandelnde Person war wohl nicht so wichtig, dass man +desswegen eine Aenderung in der Klosterregel sollte gemacht +haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster +herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man +dazu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum +Heil der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden. +Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen haben, weiss ich +nicht; die Herren zeigten mir nichts mehr von ihren übrigen +Herrlichkeiten. Hier las man mir ein Manuskript von einem +Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der +Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte: aber +nach dem zu urtheilen, was davon gelesen wurde, brauchen wir +es nicht zu bedauern, dass der Schatz im Kloster liegt; die +Abhandlung scheint bloss für Mönche pragmatisch.</p> + +<!-- pb n="305" facs="#f0331"/ --> +<p>Die Festung zu sehen, muss man Erlaubniss haben, welches +etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich +schon so viel aus der Anlage sahe, dass man mit zwey tausend +braven Grenadieren ohne Erlaubniss hinein gehen könnte. +Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der +Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo +ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. +Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich +mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig +durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige +Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren +will, gewiss eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind +die Gestalten vieler Nationen durch einander gruppiert. +Schon in der Stadt selbst wohnt eine grosse Verschiedenheit, +und der Fremden sind eine Menge. Einen der schönsten +Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch +über die Menschen mich fast der Freudenthränen nicht +enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem +mittelländischen Meer die Meerenge herab. Ich weiss nicht, +ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten +hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest +sehen sollen, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast +übermenschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen +Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeiteten, um +die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzosen, Engländer, +Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe: +sie waren glücklich und +<!-- pb n="306" facs="#f0332"/ --> brachtern alles ohne +Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich +fast, dass ich nicht reich war, hier den Rettern ein +menschliches Fest zu geben: aber ein zweyter Augenblick gab +mir Besinnung; es war so schöner. Das brave bunte Gewimmel +war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glücklich, +dass ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, Wurde ich an +einer Heiligennische <span class="italic">per la santa +vergine</span> um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann +forschend an und er fuhr fort: <span class="italic">Date +nella vostra idea</span>, +<span class="italic">date pure; sara bene impiegato</span>. +Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn +auch betrügen sollte; ich gab.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/28-palermo.html b/OEBPS/Text/28-palermo.html new file mode 100644 index 0000000..09291aa --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/28-palermo.html @@ -0,0 +1,286 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Palermo</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[307]" facs="#f0333"/ --> + +<div class="chapter" id="Palermo2"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Palermo</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">H</span>ier bin ich wieder von der +Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der +beschwerlichste, aber er hat auch viel belohnendes. Die +Berge hierher waren mir gar fürchterlich beschrieben worden; +ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und +setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den alten Messeniern, der +eisernen Tyranney der Spartaner, der muthigen Flucht der +braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen, +Unglücksfällen, Ausartungen und Erholungen, die Seele voll +von diesen Gedanken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg +herauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwey so +schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer +weitausgehenden Landzunge macht von fern einen hübschen +Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebaut zu +seyn. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben +gelitten. Unten am Pelor sahe ich zum ersten Mal wieder +grüne vaterländische Eichen und die Nachtigallen schlugen +wetteifernd aus den Schluchten. Mir ward auf einmal so +heimisch wohl dabey, dass ich hier hätte bleiben mögen. Es +geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bey +Barcellona, wie man den Ort nannte, sah ich das schönste +Thal in ganz Sicilien; und andere sind, däucht mich, schon +vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reitzendes +Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und +Wein, Bohnen und Weitzen; und die anschliessenden Berge sind +nicht zu +<!-- pb n="308" facs="#f0334"/ --> hoch und rauh, sondern +ihre Gipfel sind noch mit schöner Waldung bekrönt. In Patti +war kein Pferdestall zu finden; wir ritten also von einem +Ort zum andern immer weiter am Ufer hin bis Mitternacht. +Patti dankt, däucht mich, seinen Ursprung, oder wenigstens +seinen Namen, einem dort geschlossenen Vergleiche in den +punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich +vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar +stürmisch, und es hatte entsetzlich geregnet. Mit vieler +Mühe konnten wir noch einige Fische und Eyer erhalten. Es +hatten sich zwey Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina +kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein +Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlafstelle: +diese war auf einem steinernen Absatze neben der Krippe; die +andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein +Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir +seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich es +habe wagen können ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare +Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke +ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien eine +Hauptmöbel. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen; und +wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll, so habe ich Talent +zum Kapuziner, denn ich schlief gut. Den ersten Tag machten +wir funfzig Millien.</p> + +<p>In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen +Lage, wollten wir die zweyte Nacht bleiben; und dort scheint +kein übles Wirthshaus zu seyn: aber es war noch zu früh und +wir ritten mehrere +<!-- pb n="309" facs="#f0335"/ --> Millien weiter bis Aque +dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in +Fontana fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen +Urbewohner der Insel, gross und stark und rauh und +furchtbar. Hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerey +wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von +Geistlichen hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in +Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, +vor dem er sich zu fürchten schien. Anderwärts war der +Bekehrungseifer gutmüthig und wohlwollend sanft; hier hatte +er etwas cyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in +dem Felsen eine Höhle, in die man mich mit Gewalt führen +wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht +Lust, mit solchen Physionomien allein in den Felsenhöhlen +herum zu kriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Ich +musste hier für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich +bemerkte, dass ich für Bett und Zimmer zusammen in Palermo +nur drey bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz +skoptisch: Freylich; aber dafür sind Sie auch eben jetzt +nicht in Palermo und bekommen doch ein Bett. Der Grund war +in Sicilien so unrecht nicht.</p> + +<p>Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr +einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie +Santa Maria nannten. Es musste oben fluthend geregnet haben; +denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses +macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer +der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte +nehmen können, so riesenhaft war er selbst und +<!-- pb n="310" facs="#f0336"/ --> so gross und zackig der +wilde Stamm, den er als Stock führte, machte die Gefahr noch +grösser. Die Gesellschaft hatte sich gesammelt; keiner +wollte es wagen zu reiten. Meinem Führer war für sich, und +noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die +Insulaner sind an grosse Flüsse nicht gewöhnt. Man machte +viele Kreuze und betete Stossgebetchen an alle Heiligen, ehe +man den Maulesel einen Fuss ins Wasser setzen liess; und +dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. +An einem solchen Strome, wo ich allein war, wollte mein +Führer, ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren und +liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen +wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht +an. Ich erklärte ihm rein heraus, ich würde reiten, er +möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und +seine Seele schloss er sich auf der Kruppe fest an mich an, +zitterte und betete; und ich leitete und schlug und spornte +den Maulesel glücklich hinüber. Da haben uns die lieben +Heiligen gerettet, sagte er, als er am andern Ufer wieder +Luft schöpfte: und mein Stock und der Maulesel, sagte ich. +Der Bursche kreuzigte sich drey Mal, fasste aber doch in +Zukunft etwas mehr Muth zu dem meinigen. Sodann blieben wir +in einem einzigen isolierten Hause vor einem Orte, dessen +Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte sollen +beständig einen Nomenklator bey mir haben. Das Donnerwetter +hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt; und es +schneyte und graupelte bis über einen Fuss hoch. Die +Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und +<!-- pb n="311" facs="#f0337"/ --> vielleicht zuweilen gar +gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind +und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem grossen +Wasser eine schöne Scene. Der Fluss war, nach der Meinung +meines Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und er +ritt mit mir an demselben hinauf, wo er eine Brücke wusste. +Der Weg war zwar lang und ich ward etwas ungeduldig; aber +ich kam in ein Thal, das einen so schönen grossen +Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch +nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun +einmal seine Leidenschaft. Für einige Kreutzer konnte mein +Magen überall haben so viel er nur fassen konnte: aber meine +Augen wollten auch zehren, und diese brauchten mehr zur +Sättigung und liessen dann gern alles hängen und liegen.</p> + +<p>Endlich kamen wir in Cefalu an. Für grosse Schiffe ist +hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich +den Namen vom Berge, der einer der sonderbarsten ist. Wir +hatten bisher die liparischen Inseln immer rechts gehabt; +nun verschwanden sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu +ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an +etwas besser zu werden. Es kommen nun viel Reissfelder. Bey +Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, blühende +Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahlreich aufbrachen. +Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die +ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah. Die +Leute sind schändliche Verräther an der schönen Natur.</p> + +<p>In Termini erholte ich mich; hier findet man +<!-- pb n="312" facs="#f0338"/ --> wieder etwas +Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Meine Wirthin war eine +alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich +zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie +examinierte mich theilnehmend über alles; nur nicht über +meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir +vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben +müsste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch +einen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück erwartete. +Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so +war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.</p> + +<p>Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über +Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in +der Hand auf den Himerafluss hinabschaute, ward +unwillkührlich eine Elegie in meiner Seele lebendig. Es war +mir, als ob ich die Göttin der Insel mit noch mehr Schmerz +als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und +ich gebe Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in +die meinige herüber hallte.</p> + +<div class="poem"> +<h4> <span class="spaced">Trauer der Ceres.</span></h4> +Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet,<br /> +Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,<br /> +Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus vergassen!<br /> +Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,<br /> +<!-- pb n="313" facs="#f0339"/ --> +Dass sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!<br /> +Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,<br /> +Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Auge beym Jammer des Anblicks.<br /> +Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen seligen Kinder<br /> +Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,<br /> +Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?<br /> +Ach wo find' ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,<br /> +Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter?<br /> +Die mit Reichthum und Macht die hohe Karthago bedrohten,<br /> +Und die höhere Rom? Wo find' ich die Reihen der Jungfraun,<br /> +Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,<br /> +Dass die Olympier selbst mit Neid und Schelsucht herabsahn?<br /> +Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Thoren,<br /> +Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,<br /> +Durch die reichen Gefilde, die ich mit Garben bedeckte.<br /> +Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings<br /> +Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das Schlachtwort<br /> +Für die Sache der Freyheit und für des Vaterlands Sache.<br /> +Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,<br /> +Vom Simäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.<br /> +Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,<br /> +War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.<br /> +Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen,<br /> +<!-- pb n="314" facs="#f0340"/ --> +Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares Elend!<br /> +Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,<br /> +Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,<br /> +Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.<br /> +Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes<br /> +Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas<br /> +Mächtig durch die Gebirge, und schufen den Felsen zum Tanzsaal<br /> +Gegenüber des Aetna ewigem Feuerhaupte.<br /> +Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden Volkes,<br /> +Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen gesunkenen Antlitz,<br /> +Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blösse behangen.<br /> +Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören<br /> +Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,<br /> +Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.<br /> +Finster lauscht jetzt Misstraun tief in den Furchen der Stirne;<br /> +Stumm und einsam schleicht es daher, und tönet die Seele<br /> +Unwillkührlich einen Gesang, so klingt er wie Todesangst.<br /> +Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,<br /> +Und er wandelte froh, wie in den Fluren der Heimath.<br /> +Wildniss starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,<br /> +Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.<br /> +Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen<br /> +Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner;<br /> +<!-- pb n="315" facs="#f0341"/ --> +Als besäss es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,<br /> +Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche Traube;<br /> +Ünd noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.<br /> +Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne<br /> +Dass sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe.<br /> +</div> + +<p>Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen +hätte der Minister, der den Weg gebaut hat, ihn mit weniger +Kosten vermuthlich besser und dauerhafter machen können. Die +Wasserableitung ist nicht sonderlich beachtet. In der +Bagaria sah ich von aussen noch einige sublime Grotesken des +sublim grotesken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem +Tode nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder +Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Ungeheuer zu sehen. +Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur +Verschönerung der Gegend umher beygetragen hat, so will ich +ihm die Misshandlung der Mythologie, der ich übrigens selbst +nicht ausserordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die +ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo zu, ist +die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen +kann, wenn es gleich keine der schönsten und reichsten +ist.</p> + +<p>Mir war es wirklich recht wohl, als ich wieder in die +Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als +etwas heimisch betrachtete. Mein Einzug in die Residenz war, +als ob ich ihn noch bey dem +<!-- pb n="316" facs="#f0342"/ --> hochseligen Fürsten von +Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend +eines Bischofs, vermuthlich des Bischofs von Cefalu, ein. +Sie war überall mit Schellen behangen und wurde nach der +Gewohnheit von zweyen der stärksten Maulesel getragen, die +von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte +war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den +Bischof und seine Nichte; denn ich habe es in Sicilien +durchaus gemerkt, dass die vornehmen Geistlichen viel auf +Nichten halten. Ein alter dicker satirischer Eseltreiber +setzte sich gravitätisch hinein, fing an barock daraus zu +diakonieren und mit grossen Grimassen den Segen zu spenden. +Die Schellen klangen, er nickte und schnitt ein Bocksgesicht +und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der +Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze +originelle Kavalkade hinter mir mit Schellengeläute in +Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit ein +Schauspiel für ein Quartier der Stadt machen können; in +Palermo lachten bloss zwey Visitatoren.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/29-palermo.html b/OEBPS/Text/29-palermo.html new file mode 100644 index 0000000..e974990 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/29-palermo.html @@ -0,0 +1,365 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Palermo</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[317]" facs="#f0343"/ --> + +<div class="chapter" id="Palermo3"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Palermo auf dem Paketboote</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">M</span>ein alter Wirth hier +schickte mich zu einem neuen, seinem Freunde, weil sein Haus +voll war. Ich war hier eben so gut wie dort und noch etwas +billiger; und hatte überdiess die Aussicht auf den Hafen. +Nun habe ich wieder meinen Reisegefährten von Seehund, +welcher den Maro mit einigen andern Kameraden hält. Die Zeit +wird mir aber so wenig lang, dass ich nur selten die alten +Knaster aus dem Felle nehme.</p> + +<p>Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am Hafen, auf +welchen die Palermitaner etwas zu halten scheinen, wo aber +ausser einigen Quinquaillerien, nicht viel zu haben ist. Man +hat wenigstens dabey die Gelegenheit, fast die ganze galante +Welt von Palermo spazieren gehen und fahren zu sehen. Es +sind hier mehr schöne Wagen als in Messina, oh dort gleich +im Allgemeinen mehr Wohlstand zu herrschen scheint. Es +herrscht hier, wie fast an allen Höfen, Verschwendung und +Armuth. In Messina ist man in Gefahr von den Wagen etwas +gerädert zu werden; aber hier hat man für die Fussgänger am +Strande eigene Wege gemacht, die für schön gelten. Du magst +Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen. Noch +einmahl habe ich die Promenade auf den Monte Pellegrino +gemacht, als ob ich auch ein heiliger Pilger wäre. Mich +lockte bloss die Aussicht, wie wohl auch manchen andern +Pilger bloss irgend eine Aussicht locken mag. Das Wetter war +mir wieder nicht +<!-- pb n="318" facs="#f0344"/ --> günstig; ich liess mich +indessen nicht abhalten, und stieg bis ziemlich auf den +höchsten Gipfel des Felsenbergs hinauf. Wo das Kloster steht +ist ein Absatz von etwas fruchtbarem Erdreich, das noch sehr +gutes Getreide hält. Ich ging hinaus bis an die äusserste +Spitze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia stehet mit +ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die +Fremden aller Länder hatten sich hier verewigt und mir wenig +Platz gelassen. Alles war voll, und Stirn und Wange und +Busen des heiligen Rosenmädchens waren beschrieben; es blieb +mir nichts übrig als ihr meinen Namen auf die Nasenspitze zu +setzen. Vielleicht dachte jeder durch die Aufsetzung seines +Namens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze ist +wenigstens durch den meinigen nicht verdorben worden: und +dieses ist das einzige Mal, dass ich auf der ganzen Wandlung +meinen Namen geschrieben habe, wenn mich nicht die Polizey +dazu nöthigte.</p> + +<p>Zwischen diesem isolierten Felsen und der höheren +Bergkette liegt ein herrliches kleines Thal, das sich von +der Stadt immer enger bis an die See vorzieht. Es ist +reichlich gesegnet und der Fleiss könnte noch mehr gewinnen. +Hier muss nach der Topographie das Städchen Hykkara gelegen +haben, aus welchem Nicias die schöne Lais holte und nach +Griechenland brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen +Hofmannischen Augen den Eryx bey Trapani, und knüpfte in +vielen schnellen Uebergängen Wieland, Aristipp, und die +erycinische Göttin zusammen. Weiss der Himmel wie ich in +diesem Thema auf den Hudibras kam; die Ideenverbindung mag +wohl etwas +<!-- pb n="319" facs="#f0345"/ --> schnell und gesetzlos +gewesen seyn, und ich halte es nicht für wichtig genug sie +wieder aufzusuchen. Ich guckte hin nach Trapani und sang +oder murmelte nach einer beliebten Melodie aus Mozarts +Zauberflöte die schönen harmonischen Verse von Butler, die +ich immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik gehalten +habe. Sie passten vortreflich zur Melodie des Vogelfängers. +Also ich brummte:</p> + +<div class="poem"> +<span class="italic">So learned Taliacotius from</span><br /> +<span class="italic">The brawny part of porters bum</span><br /> +<span class="italic">Cut supplemental noses, which</span><br /> +<span class="italic">Would last as long as parent breech;</span><br /> +<span class="italic">And as the date of Knock was out,</span><br /> +<span class="italic">Off dropt the sympathetic snout.</span><br /> +</div> + +<p>Ich hatte in meinem musikalischen Enthusiasmus nicht auf +den Weg Achtung gegeben; und kaum hatte ich die letzte Zeile +gesungen und wollte die erste wieder anfangen, so fiel ich +auf die Nase, welches mir selbst auf dem Aetna nicht +begegnet war, wo doch die Landsleute Butlers in ihren +Strümpfen alle sehr oft zu Falle kamen. Hatte vielleicht die +Göttin von Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen +wollen; die Nase blutete mir. Besser die Nase, als das Herz, +dachte ich. Auch dieses war mir wohl ehemals etwas enge +gewesen; jetzt war ihm längst wieder leicht. Ich hatte aus +Gewohnheit noch ein kleines niedliches Madonnenbildchen an +einer seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das +Prädikat der Katholicität erworben hatte. Das Original hatte +mich +<!-- pb n="320" facs="#f0346"/ --> königlich betrogen. Jetzt +nahm ich es unwillkührlich von der linken Seite, nach +welcher sich das Idolchen immer neigte, schloss +unwillkührlich das Glas auf, nahm das elfenbeinerne +Täfelchen heraus und erschrak, als ich es heftig +unwillkührlich in zehen Stücke zersplittert zwischen dem +Daumen hielt. War das lauter Rache Rosaliens und der vom +Eryx? Mögen sie sich an niemand bitterer rächen! Ich hielt +die Trümmerchen in der Hand; Freund Schnorr mag verzeihen: +er hatte mit Liebe an dem Bildchen gepinselt. Einige Minuten +hielt mich Phantasus noch mit Wehmuth am Original; ich sass +auf einem Felsenstücke des Erkta und sah es im Geist an der +Spree im goldenen Wagen rollen. Rolle zu; und so flogen die +Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hinunter. +Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprungen; noch jetzt dem +Original. Aber ich stieg nun ruhig den Schneckengang nach +der Königsstadt hinab; die röthlichen Wölkchen vom Aetna her +flockten lieblich mir vor den Augen. Ich vergass das +Gemälde; möge es dem Original wohl gehen!</p> + +<p>Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet, und wurde +zu Hause grässlich bewillkommt. Aber da muss ich Dir noch +mehreres erzählen, ehe Du dieses gehörig verstehest. Du +erinnerst dich des guten Steuerrevisors, der sich in +Agrigent meiner so freundschaftlich annahm, dass er mir fast +die Menschheit streitig machte. Kaum hatte ich in meinem +Wirthshause die erste Nacht ausgeschlafen, als mein +Steuerrevisor zu mir herein trat. Das that mir nun recht +wohl; denn wer freut sich nicht, dass sich jemand um ihn +beküm<!-- pb n="321" facs="#f0347"/ -->mert? Er +erzählte mir, er sey meinetwegen in grossem Schrecken +gewesen, als der Eseltreiber zurück gekommen, habe geglaubt, +ich werde nun sicher umkommen, da ich allein ohne Waffen in +der Insel herum laufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein +Begleiter, sagte er mir zum Trost, sey völlig von der Paste +wieder genesen, und er habe die zwey Unzen bis auf den Abzug +einiger Kleinigkeiten ihm wieder herausgeben müssen. Gut, +dachte ich; also wieder zwey Unzen gerettet; ich kann sie +brauchen. Sogleich nach seiner Ankunft in Palermo habe er +sich nach meinem Wirthshause erkundigt und es bald erfahren. +Nun sey er seit acht Tagen täglich da gewesen, um +nachzufragen, Heute früh habe er meine Ankunft erfahren und +sey sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich ein zu +ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir nun nicht ganz +recht; denn ich wäre lieber geblieben wo ich war. Indessen +der Mann bat so freundlich, war so besorgt gewesen; ich +packte also ein, und liess hintragen. Er wohnte vor dem +Thore nach Montreale. Wir assen, und seine Frau, eine heisse +zelotische nicht unfeine Sicilianerin, fing nun meine +Bekehrung an. Das Examen ging über Tische und zum Dessert +von Artikel zu Artikel, von dem Papste und den Mönchen bis +auf die unbefleckte Empfängniss. Das letzte war das +Allerheiligste, von dem ich nichts wusste. Die gute Frau +hätte, wie es schien, lieber ihre eigene Keuschheit in +Gefahr gesetzt, als das geringste von der Jungferschaft +Mariens aufgegeben. Man sprach mit aller Wärme und Salbung, +mich zu überzeugen; aber vergebens. Man fing nun an mir +Aussichten zu eröff<!-- pb n="322" facs="#f0348"/ -->nen: +ja, lieber Gott, wenn ich ein anderer Kerl wäre, als ich +bin, könnte ich im Vaterlande Aussichten haben, wo man sie +doch am liebsten hat. <span class="italic">Don Juan, fate vi +cristiano</span>, <span class="italic">et state</span> qui +in <span class="italic">Sicilia</span>. +— <span class="italic">Ma lo sono</span>. +— <span class="italic">Ma non siete cattolico</span>. +— <span class="italic">Ma sono bene +cosi</span>; <span class="italic">non si puo meglio</span>. +Die Frau ass im Eifer Bonbon und trank Wein und ward heftig, +und da ich denn trocken halsstarrig fort blieb, rief sie in +heiliger Wuth aus, indem sie den Teller von sich +stiess: <span class="italic">Ma voi altri voi siete tutti +baroni f-t-ti</span>. Ueber diese Naivetät erschrak ich, und +wäre jetzt für zwey Unzen gern zurück in mein Wirthshaus +gewesen. Nach Tische ging ich zu Rosalien, wie ich Dir +erzählte. Ich glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut +gemerkt zu haben und irrte mich doch; ich kam in ein +unrechtes. Nun wollte ich eben fragen, wo hier Don Filippo +wohne, als ein Kerl <span class="italic">ladro, briccone, +furfante</span> heraus schrie und wüthend mit dem Messer auf +mich zu stürzte. Ich hob so schnell ich konnte die +Eisenzwinge meines Knotenstocks, flüchtete eben so schnell +zum Hause hinaus und eilte die finstere Gasse hinunter. Die +Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne Nachbarschaft, +dachte ich, und ging in mein altes Gasthaus. Dort war ich +sehr willkommen. Ich hatte mich eben zu Bette gelegt, als +der Herr Steuerrevisor kam und mich aufsuchte. Er war +meinetwegen in Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer +und sagte, dass ich in einer solchen Nachbarschaft nicht +wohnen möchte; er liess aber nicht nach bis ich ihm +versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen, denn diesen Abend +war ich nicht wieder aus dem Bette zu +<!-- pb n="323" facs="#f0349"/ --> bringen. Den andern +Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun +lebten wir leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene +wurde bedauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur +im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn wir zuweilen +zusammen ausgingen, welches der Herr sehr gut zu +veranstalten wusste, hatte er immer etwas zu kaufen und kein +Geld bey sich: ich war also ziemlich stark in Auslage und +bezahlte jede Mahlzeit dadurch sehr theuer. Ich musste Geld +haben von dem Kaufmann, und er erbot sich sogar meine +Geschäfte bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht +recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller meiner +indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget, +dankte und verbat seine Mühwaltung, und holte meine +Barschaft nicht eher als bis ich abreisen wollte. Er half +mir zuletzt noch manches besorgen, und da er sich +meinetwegen bey Nacht etwas enrhümiert hatte, musste ich bey +dem schlechten Wetter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. +Hier erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine +Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der Insel +herum reisen, die rückständigen Steuern einzutreiben, und im +Namen des Königes den Leuten Kleider, Betten und das übrige +Hausgeräthe wegzunehmen, wenn sie nicht zahlen können. Es +packte mich bey diesen trockenen Worten eine Kälte, dass ich +im Wagen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkührlich +nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen wurden +vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie gleich nun +lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte, +<!-- pb n="324" facs="#f0350"/ --> der so grossen +unglücklichen Appetit an der Paste hatte. Ueberdiess war ich +mit vielem in Auslage, und es war mir sehr lieb, als der +Kapitän an Bord rufen liess. Er begleitete mich bis ans +Wasser im Wagen mit seinen kleinen Mädchen, die in der That +allerliebst niedliche Geschöpfchen waren. Beym Abschied in +meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum Geschenk für +diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse und +gab ihm schweigend das Goldstück hin. Er hatte mir es sehr +verübelt, dass ich mir auf dem Paketboote ein Zimmer für +mich genommen und mich an die Tafel des Kapitäns verdungen +hatte. Das war nach seiner Meinung Verschwendung, und ich +hätte für das Viertel der Summe mich unter die Takelage des +Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher Wirth, der Herr +Steuerrevisor! Der Wind blieb widrig, wir fuhren nicht ab, +und ich zog lieber wieder hinaus ins Wirthshaus: gleich +suchte er mich wieder auf und wollte mich wieder zu sich +haben. Der Mensch ward endlich unerträglich zudringlich und +weggeworfen unverschämt, und ich musste noch bey einigen +Parthien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich recht +bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn, zu +benehmen, ass ich in der Auberge unbefangen mit grossem +Appetit ein Gericht nach dem andern, ohne ihn einzuladen +oder für ihn zu bestellen. Nun wünschte er mir gute Reise, +und ich sah ihn nicht wieder, den Herrn Steuerrevisor Don +Filippo — — seinen Geschlechtsnamen will ich +vergessen. Sterzinger, mit dem ich nachher noch sprach, +kannte ihn und lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte +<!-- pb n="325" facs="#f0351"/ --> +und merkantilische Metamorphosen gemacht, bis er +zu seiner jetzigen Würde gedieh. Der Himmel lasse +ihm meine Unzen zur Besserung bekommen!</p> + +<p>Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora am +Hafen ist nun fertig. Der Franzose Julieu hat es gezeichnet +und ein Palermitaner es nach dem Riss aufgeführt. Die +Sicilianer sind mit der Ausführung aber nicht mit der Idee +zufrieden. Wo man rechts und links, auf der Insel und dem +festen Lande, noch so viele schöne Monumente griechischer +Kunst hat, ist man freylich etwas schwierig. Die Säulen sind +nicht rein und oben und unten verziert. Der Saal ist nach +der Anlage des Linneischen in Schweden, und vielleicht einer +der prächtigsten dieser Art. Rund umher stehen die Büsten +der grossen Männer des Fachs in Nischen, von Theophrast bis +zu Büffon. Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre +angethan, sein Gesicht unter einem andern alten Namen mit +darunter zu setzen; eine eigene sonderbare Art von +Belohnung.</p> + +<p>Der alte Cassero oder Corso, in allen italiänischen +Städten von Bedeutung die Hauptstrasse, hat jetzt seinen +Namen verändert und heisst Toledo nach der Hauptstrasse von +Neapel; vermuthlich dem anwesenden Hofe eine Schmeicheley zu +machen. Uebrigens muss der Hof eben nicht ausserordentlich +geliebt seyn; denn ich habe oft gehört, dass man nie so +schlechtes Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier +Jahre, so lange der Hof hier sey.</p> + +<p>Die Polizey scheint hier nicht sehr genau zu seyn, oder +berechnet Dinge nicht, die es doch wohl +<!-- pb n="326" facs="#f0352"/ --> verdienten. Vor einigen +Tagen führte man auf einer breiten Gasse öffentlich ein +Banditendrama auf. Es war sogar Militärwache dabey um +Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war gedrängt voll +Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten grässlich schön, und +der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich wird er +mit poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe +erhalten; aber dergleichen Scenen, wo noch so viel +natürliche heroische Kraft und Deklamation ist, sind zu +blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen Plätzen unter +dem grössten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts; +jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er +will. Haben doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns +angerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem siedenden +Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer noch eben so +sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr, als vor zwanzig +Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon. +Ich ging den Morgen aus; ein Kerl schoss blutig an mir +vorbey, und ein anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es +sammelte sich Volk, und in einigen Minuten war einer +erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die Wache, +welche nicht weit davon stand, that als ob sie dabey gar +nichts zu thun hätte. Dergleichen Auftritte gelten dort für +eine gewöhnliche Festtagstrakasserie. Sie haben einen +erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter +als bey uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den +Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus +einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu +haben. Sie +<!-- pb n="327" facs="#f0353"/ --> erstechen sich unter +einander bey der geringsten Veranlassung, hörte ich einen +kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist +heilig. Ich möchte mich freylich nicht zu sehr auf meine +fremde Heiligkeit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne +Grund. Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Palermo +in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste Besitzer ich +gleich beym ersten Anblick klassificiert hatte. Alles +bestätigte meinen Argwohn und meine Besorgniss. Man speiste +mich indessen leidlich und machte mir sodann ein Lager auf +einer Art von Pritsche, so dass alle Schiessgewehre und +Dolche in einem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte +mich auch darauf aufmerksam, dass ich bewaffnet wäre, und +ich schlief nun ziemlich ruhig.</p> + +<p>Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekommen, weil das +Wetter beständig sehr unfreundlich war, und ich mich die +letzten Tage nicht entfernen durfte, da man mit dem ersten +guten Winde abfahren wollte. Die Mönche dort oben sollen die +prächtigste Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das +Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man bey seinen +Priestern und durch seine Priester sieht, so wäre der +Stifter der hassenswürdigste der Menschen. Das astronomische +Observatorium auf dem Schlosse konnte ich nicht füglich +sehen, weil Piazzi nicht zugegen war. Uebrigens bin ich +auch ein Laie am Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige +Wirkung auf die Insel, dass die Sicilianer nun ihre Göttin +unter den Sternen finden; bisher haben sie das Heiligthum +der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver<!-- pb n="328" facs="#f0354"/ -->achtet. +Eine vaterländische Neuigkeit ist mir noch aufgestossen. Der +Kaiser Karl der Fünfte hat um Sicilien grosse Verdienste, +und sein Andenken ist billig den Insulanern ehrwürdig. +Ueberall findet man noch Arbeiten von ihm, die seinen +thätigen Geist bezeichnen, und die jetzt vernachlässigt und +vergessen werden. Die Wachthürme rund umher, die er nach +seiner afrikanischen Unternehmung aufführen liess, zeigen +von seinem Muth und der damaligen Kraft der Insel. Seine +Bildsäule steht also in Palermo fast mitten in der Stadt am +Toledo auf einem freyen Platze; aber mit einem Bombast, der +nicht in der Natur des Mannes lag. Er hat in der Inschrift +eine lange Reihe Beynamen, und heisst unter andern, +vermuthlich wegen der Mühlberger Schlacht, auch der Sachse +und Hesse. Könnte man nun unsern Kurfürsten Moritz, dessen +Enkomiast ich übrigens nicht ganz unbedingt werden möchte, +nicht wegen der Ehrenberger Klause den Oestreicher und +Spanier nennen? Sein Sieg war bedeutend genug und die Folge +des Tages für die Protestanten auf immer wichtig.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/30-kapri.html b/OEBPS/Text/30-kapri.html new file mode 100644 index 0000000..cf72f6d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/30-kapri.html @@ -0,0 +1,102 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Kapri</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[329]" facs="#f0355"/ --> + +<div class="chapter" id="Kapri"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Bey Kapri</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>er Wind schaukelt uns ohne +Fortkommen hin und her, und fast schon den ganzen Tag tanzen +wir hier vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und +zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, welches +jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von Neapel +ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns aus dem Hafen +heraus. Den andern Morgen hatten wir Sicilien und sogar +Palermo noch ziemlich nah im Gesichte; der Rosalienberg und +die Spitzen von Termini und Cefalu lagen ganz deutlich vor +uns: das andere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere +Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen, um +die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem Paketboot zu +machen. Das letztere hat auch zwanzig Kanonen und ist zum +Schlagen eingerichtet. Wir sassen lange zwischen Ustika und +den liparischen Inseln, und ich las, weiss der Himmel wie +ich eben hier auf diesen Artikel fiel, während der +Windstille die Georgika Virgils, die ich hier besser genoss +als jemals. Nur wollte mir die Schlussfabel von dem +Bienenvater nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber +hierher gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht +kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologischen +Vaterlande waren, ein grosses Stück in die Aeneis hinein. +Hier wollte mir nun, unter vielen Schönheiten im 4. Buche +die Beschreibung des Atlas wieder nicht behagen, so herrlich +sie auch klingt. Es ist, dünkt mich, etwas Unordnung darin, +die man dem Herrn Maro +<!-- pb n="330" facs="#f0356"/ --> nicht zutrauen sollte. Da +ich eben nicht viel zu thun habe, will ich Dir die Stelle +ein wenig vorschulmeistern. Merkur kommt von seinem Herrn +Vater auf der Ambassade zu Frau Dido hierher. Die Verse, +heissen, wie sie in meinem Buche stehen:</p> + +<div class="poem italic"> + — jamque volans apicem et latera ardua cernit<br /> + Atlantis duri, coelum qui vertice fulcit;<br /> + Atlantis, cinctum assidue cui nubibus atris<br /> + Piniferum caput et vento pulsatur et imbre:<br /> + Nix humeros infusa tegit: tum flumina mento<br /> + Praecipitant senis, et glacie riget horrida barba.<br /> +</div> + +<p> +Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch: aber er +bringt auf den obersten Scheitel Sturm und Regen, lässt +Schnee auf die Schultern fallen, Flüsse aus dem Kinn strömen +und weiter unten den Bart von Eis starren. Das ist nun alles +ziemlich umgekehrt, wenn ich meinem bisschen Erfahrung +glaube. Ich weiss nicht was Heyne aus der Stelle gemacht +hat. So weit oben werden überdiess wohl schwerlich noch +Fichten wachsen. Ich überlasse es Dir, Deinen Liebling zu +vertheidigen; ich selbst bleibe hier mit meiner Hermenevtik +etwas stecken. Wer in seinem Leben keine hohen Berge gesehen +und bestiegen hat, nimmt so etwas freylich nicht genau. +Schade um die schönen Verse.</p> + +<p>Diese Nacht begegneten uns viele französische Schiffe, +die ihre Landsleute von Tarent holen wollen. Alles ist +ungeduldig bald am Lande zu seyn; aber +<!-- pb n="331" facs="#f0357"/ --> Aeolus hat uns noch immer +seinen Schlauch nicht gegeben, und wir müssen aushalten. Das +Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine +Geduld ist also weiter auf keiner sehr grossen Probe; und +ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische und +Englische Gesandte sind auf dem grossen Schiffe; wir haben +also noch die Ehre ihrentwegen recht langsam zu fahren. Die +Geschichte des Tags auf unserer Flotte sagt eben, dass der +Russischen Excellenz ein Pferd krank geworden ist. Wie viele +von den Leuten seekrank sind, das ist eine erbärmliche +Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen +Gesandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bey +Tische diess und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute +aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, +die ich durchaus von der neapolitanischen Regierung habe. Es +waren einige sybaritische Herren bey uns, die doch nicht +lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und +einzugestehen, was Stoff zu Aergerniss und Sarkasmen gab. Es +ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch +und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, +Dank sey es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit +gehabt: ich lege mich ruhig nieder und schlafe.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/31-neapel.html b/OEBPS/Text/31-neapel.html new file mode 100644 index 0000000..019cc66 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/31-neapel.html @@ -0,0 +1,861 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Neapel</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[332]" facs="#f0358"/ --> + +<div class="chapter" id="Neapel3"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">I</span>ch erwachte im Hafen. Eine +Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des +Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey +Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und +wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich +sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr +lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein +alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte +den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man +gehört hatte, dass ich viel zu Fusse herum lief und laufen +wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als +gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische +Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten +hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte +ich keinen haben.</p> + +<p>Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach +Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde +gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich liess mir +gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern +und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus +andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung +verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels +anatomierte, wir würden desswegen in unsern Konjekturen +nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des +Kaligula machen soll, weiss ich nicht: die Meinung der +Antiquare, dass es +<!-- pb n="333" facs="#f0359"/ --> ein Molo gewesen seyn +soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch +dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen +aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch +klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten +Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist +nicht so gross, dass es einem Menschen, wie das Stiefelchen, +nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen. +Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der +Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den +Julischen Hafen bilden; der Umweg war also etwas grösser als +jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern weder +Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sey es +wie man wolle. Ich stieg bey dem Lukriner See aus, der durch +die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt +ist er nichts besser als ein grosser Teich. Wir gingen, +vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch +welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den +Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu +bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben +alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt +romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte +der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich +am Eingange hin und sah rechts gegen über den alten Tempel, +der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie +dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen +blieb, die ohne grosse Erschütterung der Nachbarschaft +unmöglich geschehen konnte. +<!-- pb n="334" facs="#f0360"/ --> Man kann nichts +romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See +bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll +Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in +dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das +Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung +nach diesem Orte gearbeitet; denn +das <span class="italic">Facilis descensus Averni</span> +scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer +tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen, +welches ziemlich voll Wasser war. Hier musste ich mich auf +den Rükken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts +und links fand ich hier einen langen Katalog von Neugierigen +aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die +Karthager so brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia +auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem +Wildfremden in dieser Höhle herum zu schleichen, mein +Freund, macht doch etwas unheimisch.</p> + +<div class="poem"> +Ein Schauerchen fuhr mir beym Fackelschein<br /> +Im Heiligthum durch das Gebein;<br /> +Das Wasser ging mir in der Höhle<br /> +Des Mütterchens bis an die Seele.<br /> +Mir ward so ernst und feyerlich,<br /> +Und voll von Ehrfurcht setzt' ich mich<br /> +An einem dreyfach dunkeln Flecke<br /> +Auf einen Stein in einer Ecke.<br /> +Mein Führer liess mir eben etwas Zeit<br /> +Mit seiner Stromgelehrsamkeit,<br /> +<!-- pb n="335" facs="#f0361"/ --> +Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:<br /> +Da hab' ich denn in aller Stille<br /> +Die alte kumische Sibylle<br /> +Für Dich und mich um Rath gefragt;<br /> +Sie hat mir aber — nichts gesagt.<br /> +Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,<br /> +Und glaube, sie hat wohl gethan.<br /> +</div> + +<p>Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter +mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug +weckte: <span class="italic">Era questa Sibylla una grande +putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece</span> +— — Hier brauchte er einige Töne, die in allen +Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin +sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles +macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer +nimmt! Die Leute fabeln hier, dass aus der Höhle ein Gang +nach Bajä und ein anderer nach Kumä gegangen sey, wo die +Hexe ein zweytes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht +möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige +grosse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen +und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch +hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet werden. Die ganze +Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne +romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten +veranlasst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die +Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, +und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so +<!-- pb n="336" facs="#f0362"/ --> +dass der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens +ist.</p> + +<p>Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter und sah die +ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, dass ich +nicht im Stande war hinunter zu steigen? Ich hatte mich +ausgezogen und versuchte es zwey Mal. Der Dampf trieb mir +aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts +ging, einen so entsetzlichen Schweiss aus, dass ich +umkehrte. Ich liess den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine +vornehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen +den Schwitzkasten besser vertragen können als ich: das +Experiment war mir zu heiss. Ob die alten Gebäude, die am +Strande hinstehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich +nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä +und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie +sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey +Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das +Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab +Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören +wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen +sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein +Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem +kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Drath oder +Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es +alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem +Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippine umgekommen +seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch +einige Trümmern ge<!-- pb n="337" facs="#f0363"/ -->zeigt. +Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen. Was die +Piscine und die Felsengänge oder die sogenannten Gefängnisse +des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die +Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen, +wie die römischen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren, +zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind grässlich +und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie +denn alles Grausame bey den Römern schrecklicher und +scheusslicher war, als bey den Griechen, die Spartaner +vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel +trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und +bis hinab an die elyseischen Felder und das todte Meer sind +schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von +dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen +Felsen dieses Namens schliesst. Gegen über liegt nicht weit +davon sogleich Procida, und man erzählte, dass die Engländer +im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen +haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muss aus den +Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen +seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, dass ich +neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von +Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich +fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine +und die nehmliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man +doch in den Propyläen nicht antreffen sollte.</p> + +<p>Ich liess mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber +nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar et<!-- pb n="338" facs="#f0364"/ -->was +spät aber mit desto besserm Appetit eine herrliche Mahlzeit +nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten +berühmt; aber überall, wohin man blickt, findet man nur +Trümmern, Zerstörungen der Zeit, der Barbarey und der +Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen +Sitz der schändlichsten Despotie zu zernichten und nur die +Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt +ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die +Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der +Falerner Berg gestanden und sey in den verschiedenen +Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine +Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser seyn soll, +als der ächte Falerner bey Sessa auf der andern Seite des +Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich +weiss nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Kapri +sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo +und Nisida aus, wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das +seinen Rachen nach Surrent dreht. Diese Einbildung kam mir +immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der +Tiberiade einen abscheulichen +Stempel<!-- supplied>.</supplied --></p> + +<p>Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht durch ein +üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber +als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des +Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg +Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und +nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht +etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du; +<!-- pb n="339" facs="#f0365"/ --> denn Du fährst, wie ein +Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Diess ist die berühmte +Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der +Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey +leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so einen +geraden Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner +als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung +der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung +hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von +dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur +Zeit der Römer muss das Werk nicht unternommen worden seyn; +denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon aufgezeichnet, +weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon +ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von +Neapel aus, ein Behältniss eingehauen, welches jeder +Vernünftige sogleich einer Polizeywache anweisen würde. Aber +hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und +dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus +die Gegend unsicher machen!</p> + +<p>Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum +komme, muss ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur +einigermassen mit mir promenieren sollst. Meine Absicht war, +so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein +hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte +es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdiess drückte +mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji +unerträglich; meine Fusssohlen hatten durch langen Gebrauch +einige Hühneraugen gewonnen, die +<!-- pb n="340" facs="#f0366"/ --> +den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich +liess mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste +Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen. +Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien, +ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich +um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer +zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da +war; ob ich gleich nicht läugnen kann, dass Fleiss +und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte +machen können.</p> + +<p>In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die +Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich +wandelte also in der Stadt herum, und bald fasste mich ein +Geistlicher bey der Krause, der mir alle Herrlichkeiten +seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern +war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen +Stücke gearbeitet, liesse sich wirklich auch in Rom noch +sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten +Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten +gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus +Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer +Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr +schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat. +Man führte mich auch in das Adyton der Krypte des +Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand +die <span class="italic">statua biformis</span> des +Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey dieser +Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die der Apostel +zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es +lässt sich wohl begreifen, wie das +<!-- pb n="341" facs="#f0367"/ --> zuging, und wie irgend +ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel +wirkten, dass die Ungläubigen abziehen mussten. Und nach der +alten Rechtsregel, <span class="italic">quod quis per +alium</span> — kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das +wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu +amalgamieren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die +nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrund der Krypte +stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich +vergessen habe, deren Blut aber noch beständig floss. Ich +hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich +wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den +vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich +die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den +schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir +stillschweigend die Hand als ich fort ging. Nun brachte man +mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne +Kreuzigung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, sondern +ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte +man wohl so etwas heraus oder vielmehr hineinbringen; und +die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten +sich, dass ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere +Reisende; und einer der jungen Herren, die mich begleiteten, +sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich +unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem eine +grosse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein Hauptführer, +der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs +nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas +zu einer Seelenmesse für mich; das +<!-- pb n="342" facs="#f0368"/ --> gab ich auch. Schadet +niemand und hilft wohl; man muss die Gläubigen stärken, +lautet das Schibolet, das Göthens Reincke der Fuchs von +seiner Frau Mutter bekommt. Dann bat er sich etwas für seine +Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und +zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm hinreichte, +schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal +nannte, und von dem ich eben so wenig wusste, wie er zur +Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen +war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem +Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, dass +der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte +mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey ein +Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete beyden ganz +leise, dass ich das nehmliche glaube und es wohl gemerkt +habe. Es ist ein heilloses Leben.</p> + +<div class="poem"> +Mein Freund, Du suchest in Salerne<br /> +Den Menschensinn umsonst mit der Laterne;<br /> +Denn zeigt er sich auch nur von ferne,<br /> +So eilen Kutten und Kaputzen,<br /> +Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,<br /> +Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.<br /> +Da löscht man des Verstandes Zunder,<br /> +Und mischt mit Pfaffenwitz, des Widersinnes Plunder,<br /> +Zum Trost der Schurkerey, zum Wunder:<br /> +Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,<br /> +Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,<br /> +<!-- pb n="343" facs="#f0369"/ --> +Kniet hin und betet, geht und meuchelt;<br /> +Gewiss, Vergebung seiner Sünden<br /> +Beym nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.<br /> +</div> + +<p>Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muss es Dir nur +gestehen, dass ich den Artikel von der Vergebung der Sünden +für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der +Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat +erfinden können. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus, +den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke, +dass Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit allen seinen +bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihm seine +Natur führt. Eine missverstandene Humanität hat den Irrthum +zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und +fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein +als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache +durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, +bleibt in Ewigkeit gefehit; es lässt sich keine einzige +Folge einer einzigen That aus der Kette der Dinge heraus +reissen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur +selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch +ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff +der Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur +in die Welt, um Dich davon zu berzeugen. Soll vielleicht +dieser Trost grossen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle +Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu +Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger werden; +diese sollen zum Heile der Menschheit ver<!-- pb n="344" facs="#f0370"/ -->zweifeln. +Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der +Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer, +das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht +wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern hann; die Vergebung +der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein +Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen +Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur +die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im +grössten Umfange und Unfuge regiert; kein rechtlicher Mann +ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.</p> + +<p>Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer, der mir +sehr problematisch aussah. Er machte mich dadurch +aufmerksam, dass ich bey ihm ausserordentlich sicher sey, +weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannten +grüsste und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts +geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich +nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in +der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, +mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich ihm +dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab, +und blieben die Nacht an der Strasse in einem einzelnen +Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der +Landstrasse nach Eboli und Kalabrien trennt. Diese +Landstrasse geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig +Millien; dann fängt sie an sicilianisch zu werden und ist +nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der +Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich +<!-- pb n="345" facs="#f0371"/ --> +wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als +gewöhnlich.</p> + +<div class="poem"> +Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen<br /> +Mir links und rechts in einem Zauberchor<br /> +Den Vorgeschmack des Himmels vor,<br /> +Und laue leise Weste trugen<br /> +Mich im Genuss für Aug' und Ohr<br /> +Durch Gras wie Korn und Korn wie Rohr.<br /> +Balsamisch schickte jede Blume<br /> +Mir üppig ihren Wohlgeruch,<br /> +Der Göttin um uns her zum Ruhme,<br /> +Aus Florens grossem Heiligthume;<br /> +Und rund umher las ich das schöne Buch<br /> +Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch.<br /> +Die goldnen Hesperiden schwollen<br /> +Am Wege hin in freundlicher Magie,<br /> +Und Mandeln, Wein und Feigen quollen<br /> +Am Lebenstrahl des Segen vollen<br /> +In stillversteckter Eurhythmie;<br /> +Und Klee wie Wald begränzte sie.<br /> +Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,<br /> +Und fühlte schon voraus die Wonne,<br /> +Mit Pästums Rosen in der Hand,<br /> +An eines Tempels hohen Stufen,<br /> +Wo Maro einst begeistert stand,<br /> +Die Muse Maros anzurufen.<br /> +Die Tempel stiegen, gross und hehr,<br /> +Mir aus der ferne schon entgegen,<br /> +<!-- pb n="346" facs="#f0372"/ --> +Da ward die Gegend menschenleer<br /> +Und öd' und öder um mich her,<br /> +Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.<br /> +Da stand ich einsam an dem Thore<br /> +Und an dem hohen Säulengang,<br /> +Wo ehmals dem entzückten Ohre<br /> +Ein voller Zug in vollem Chore<br /> +Das hohe Lob der Gottheit sang.<br /> +Verwüstung herrschet um die Mauer,<br /> +Wo einst die Glücklichen gewohnt,<br /> +Und mit geheimen tiefem Schauer<br /> +Sah ich umher und sahe nichts verschont;<br /> +Und meine Freude ward nun Trauer.<br /> +Umsonst blickt Titan hier so milde,<br /> +Umsonst bekrönet er im Jahr<br /> +Zwey Mal mit Ernte die Gefilde;<br /> +Du suchst von allem, was einst war,<br /> +Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar<br /> +Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,<br /> +Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,<br /> +Um den verschütteten Altar.<br /> +Nur hier und da im hohen Grase wallt,<br /> +Den Menschensinn noch greller anzustossen,<br /> +Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.<br /> +Freund, denke Dir die Seelenlosen,<br /> +In Pastum blühen keine Rosen.<br /> +</div> + +<p>Ich gebe Dir zu, dass in diesen Versen wenig Poesie ist; +aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit. +<!-- pb n="347" facs="#f0373"/ --> Ich hielt mich hier nur +zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher +nichts als die drey bekannten grossen alten Gebäude, die +Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein +elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches +Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in +der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein +klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da +kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund +umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore, +ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte +selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die +Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in +hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen +Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren +wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie +vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche +Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, dass die Rosen +von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt +gewesen, dass er sie nicht musste abreissen lassen, dass er +nachpflanzen sollte, dass es sein Vortheil seyn würde, dass +jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte; +dass ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster +gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte +besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur +schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige +Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, +und ich habe vielleicht das Verdienst, dass +<!-- pb n="348" facs="#f0374"/ --> man künftig in Pästum +wieder Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle +bitten, die nehmlichen Erinnerungen eindringlich zu +wiederholen, bis es fruchtet.</p> + +<p>Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte +mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben +noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter +meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister +zurück käme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern +seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich +bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für +gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent. +Man muss sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich +einen Bruch zu schreiten. Dass einer von den Tempeln dem +Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich auf dem Umstand dass er +der vorzügliche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines +der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die +gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über einander +gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion +gewesen seyn? Denn es lässt sich nicht wohl begreifen, wozu +die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte. +Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich; +unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte +man mir noch eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor +kurzem gefunden seyn muss, weil ich ihn noch von niemand +angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher +Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen +Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch +<!-- pb n="349" facs="#f0375"/ --> überall sehr deutlich zu +unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach +Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor +ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden +übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte, +zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum der Ort +vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist, +scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwey +Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist +nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen +Bergen kommt Salzwasser. Das süsse Wasser musste weit und +mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt +noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der +schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu +Fusse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines +Feigenbaums eine grosse Schlange geringelt, die mich ruhig +ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz +von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar +nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust +ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, dass +Virgil <span class="italic">atros colubros</span> anführt, +die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von +der Sorte zu seyn.</p> + +<p>Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr +ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär +kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an +der Strasse angehalten, und ein Offizier nicht mit der +besten Physionomie setzte sich geradezu zu mir in die +Karriole, ohne eine Sylbe Apo<!-- pb n="350" facs="#f0376"/ -->logie +über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter. +Ich hörte, dass mein Fuhrmann vorher +sagte: <span class="italic">E un signore Inglese</span>: das +half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er +Posten gefasst hatte, wollte er mir durch allerhand +Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so +verblüfft, dass ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt +stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. +Das ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen +Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die +doch auch zuweilen systematisch ungezogen genug ist. Als ich +gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein +Zweyter an: Sie sind ein Engländer? — Nein. — +Aber ein Russe? — Nein. — Doch ein Pole? — +Auch nicht. — Was sind sie denn für ein Landsmann? +— Ich bin ein Deutscher. — Thut nichts; Sie sind +ein Fremder und erlauben mir, dass ich Sie etwas begleite. +— Sehr gern; es wird +m<!-- gap unit="chars" quantity="1"/ --> +angenehm seyn. Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er +fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man +Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben: er führte +mich und ich ass tüchtig, in der Voraussetzung ich würde für +mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so +manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte, +sagte die Wirthin, es sey alles schon berichtigt. Das war +ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden. +Er begleitete mich noch in verschiedene Parthien der Stadt, +besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der +schönsten Aussichten über den ganzen Meer<!-- pb n="351" facs="#f0377"/ -->busen +von Salerne hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen +artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu +erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich +in<!-- choice><sic --> in<!-- /sic><corr/></choice --> der Fremde in +Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offizieres +wüsste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch +vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der +Disciplin gut heisse. Der junge Mann fing nun eine grosse +lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern +glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus +dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch +hat vierzig umgebracht, sagte der Offizier, als wir weiter +gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht +bewiesen werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für +wenigstens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt +werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die +Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er +ganz leise, — braucht ihn. Hier fasste es mich wie die +Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte +ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, +ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit +zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung +ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger +umgeht! Kann man sich eine grössere Summe von +Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er +hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem +unbekannten Freunde. Ach nein, antwortete er; jetzt sitzt er +wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh +kommt er los. — Wie<!-- pb n="352" facs="#f0378"/ -->der +ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde. Die +Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit +rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie +waren brav wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab +Aemter und Ehrenstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk +als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der +Residenz erzählt, auf den Strassen und in Provinzialstädten, +und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände +dabey genannt.</p> + +<p>Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die +andern auch gesehen haben, und lief in den aufgegrabenen +Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die +Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muss bey dem +allen prächtig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts +netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo +fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit +eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist als ob sie nur vor +wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder +einen beträchtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen +viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins +Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen was ihm am +nächsten liegt, und die Regierung schweigt wahrscheinlich +mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig, +dass die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst +sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine +Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren +dabey einige französische Generale, von +<!-- pb n="351 " facs="#f0379"/ --> +denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey +der Sibylle ist es etwas anders.</p> + +<p>Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Kaserta und +ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese hörten, dass ich von +Portici aus auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag +Parthie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten +Esel und ritten. Was vorher zu sehen war geschah; die Dame +konnte, als wir absteigen mussten, zu Fusse nicht weit fort +und blieb zurück; und ich war so ungalant mich nicht darum +zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und +arbeitete mir nach. Als wir an die Oeffnung gekommen waren, +aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter +gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, +weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht +über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte +ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich +würde hinauf steigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz +allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich +stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich +doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als +auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich +es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen +entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts, +als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und +drückend heiss. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der +Krater ist jetzt, wie Du schon weisst, eingestürzt, der Berg +ein beträchtliches niedriger, und es ist gar keine +eigentliche grössere Oeffnung mehr +<!-- pb n="352 " facs="#f0380"/ --> da. Nur an einigen +Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen +hervor. Man kann also hinunter gehen. Die Franzosen, welche +es zuerst thaten, wenigstens so viel man weiss, haben viel +Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von +der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der +herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von +meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den +rechten Weg nicht gefasst, weil ich eine andere kleinere +Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher auch noch etwas +Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war +mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch +ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht seyn, als +die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner +ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist +fast die nehmliche, wie bey den Kamaldulensern: ich würde +jene noch vorziehen, obgleich diese grösser ist. Nur die +Stadt und die ganze Parthie von Posilippo hat man hier +besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden +als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige +Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward +Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. +Ich hatte schon Durst als die Reise aufwärts ging; und nun +suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches +Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge +ein grosses volles Gefäss. So durstig ich auch war, war mir +doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn +ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde +<!-- pb n="353 " facs="#f0381"/ --> den Vulkan gerade auf +diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In +einem grossen Sommerhause, nicht weit von der heiligen +Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen +Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber +als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten +wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.</p> + +<p>Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen, +und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach +Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich +unglücklich. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah +bloss das Schloss und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit +aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu +Pferde aus dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges +enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige +bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die +Statuen selbst sind in der Lava zusammen geschmolzen. So +viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl +diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig +sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich +eine ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort gesehen, +wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die +bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel +schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist +Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und +Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt +darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; +und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine +<!-- pb n="354 " facs="#f0382"/ --> Kirche. Die Dame von +Kaserta gab mir beym Abschied am Toledo ihre Addresse; ich +hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.</p> + +<p>Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein +Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische +Nachbarschaft doch vielleicht ein grösseres Interesse, als +irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend +noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz +nach meinem Genius hatte geniessen können. Ich setzte mich +im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne +blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der +Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt +gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.</p> + +<div class="poem"> +Vom Schedel des Verderbers sieht<br /> +Mein Auge weit hinab durch Flächen,<br /> +Auf welchen er in Feuerbächen<br /> +Verwüstend sich durch das Gebiet<br /> +Der reich geschmückten Schöpfung zieht.<br /> +Wo steht der Nachbar ohne Grausen,<br /> +Wenn zur Zerstörung angefacht<br /> +Aus seinem Schlund der Mitternacht<br /> +Ihm hoch die Eingeweide brausen?<br /> +Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,<br /> +Und sie im Streit der Elemente,<br /> +Als ob des Erdballs Achse brennte,<br /> +Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?<br /> +Der Riese macht mit seinem Hauche<br /> +<!-- pb n="355 " facs="#f0383"/ --> +Die schönste Hesperidenflur<br /> +Zur dürrsten Wüste der Natur,<br /> +Wenn er aus seinem Flammenbauche<br /> +Mit rother Glut und schwarzem Rauche<br /> +Die Stoffe durch die Wolken hebt,<br /> +Und meilenweit was Leben trinket,<br /> +Wo die Zerstörung niedersinket,<br /> +In eine Lavanacht begräbt.<br /> +Parthenope und Pausilype bebt,<br /> +Wenn tief in des Verwüsters Adern<br /> +Die <!-- choice><sic -->Eeuerfluthen<!-- /sic><corr>Feuerfluthen</corr></choice --> furchtbar hadern;<br /> +Und was im Meer und an der Sonne lebt<br /> +Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,<br /> +Sich vor dem Zorn des Tödtenden zu decken<br /> +Er kocht am Meere links und rechts,<br /> +Bis nach Surrent und bis zu Baja's Tannen,<br /> +Wo er die Bäder des Tyrannen<br /> +Aus der Verwandschaft des Geschlechts,<br /> +Indem er weit umher verheeret,<br /> +Mit seinem tiefsten Feuer nähret.<br /> +Er macht die Berge schnell zu Seen,<br /> +Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,<br /> +Und rauchend zeigen seine Bahn,<br /> +So weit die schärfsten Augen gehen,<br /> +Die Inseln in dem Ozean.<br /> +Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet<br /> +Dass er nicht einst in allgemeiner Wuth<br /> +Noch fürchterlich mit seiner Fluth<br /> +Den ganzen Golf zusammen schüttet?<br /> +<!-- pb n="356 " facs="#f0384"/ --> +Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,<br /> +Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde<br /> +Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde<br /> +Mit seinen Lavaschichten füllt?<br /> +Hier brach schon oft aus seinem Herde<br /> +Herauf hinab des Todes Flammenmeer,<br /> +Und machte siedend rund umher<br /> +Das Land zum grössten Grab der Erde.<br /> +</div> + +<p>Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich +gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans +in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin +ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit +dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv +kräuselt blos zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich +fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer +Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er +Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren +zuweilen grosse Bäume gewachsen. Bey seinem künftigen +Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der +Heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten +der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist nach dem äussern +Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so +etwas gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbändiger +hierher setzte.</p> + +<p>Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. +Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, dass +er sich auf seine eigenen +<!-- pb n="357 " facs="#f0385"/ --> Soldaten nicht verlassen +kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiss seine eigene +Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der +bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die +Italiäner. Was ich hier und da schlimmes sagen muss, +betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder +Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich +sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder erkannt +haben. Du weisst dass ich die Schulmeisterey in keinem Dinge +verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, +sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht +gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im +Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und +das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, dass sie +besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und +fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren +sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen +Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleyen +kassiert hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz +possierlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freylich wohl +manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonanz +bey der Armee war sicher gut. Paul war in seiner +Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die +Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen +ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende +Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur +unangenehme Ausnahmen; denn man lässt im Ganzen der Ordnung +und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.</p> + +<!-- pb n="358 " facs="#f0386"/ --> +<p>Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig +gemisshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise +beschimpft: es fehlt wenig dass er nicht des Patronats +völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr +auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch +Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die Januariusfarce +wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich +wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge +wenig Takt, bin also nicht dabey gewesen, ob die Schnurre +gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde +erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger +jungen Weiber und ihrer heissen Andacht, ehe das Mirakel +kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen +Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den +Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine +Urbefugnisse genommen hat.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/32-rom.html b/OEBPS/Text/32-rom.html new file mode 100644 index 0000000..d3acd14 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/32-rom.html @@ -0,0 +1,758 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Rom</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[359]" facs="#f0387"/ --> + +<div class="chapter" id="Rom3"> +<div class="dateline"><span class="right">Rom.</span></div> + +<p> <span class="initial">N</span>un bin ich wieder hier in +dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schoosse. +Wie Schade das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur +Katholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in +geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute etwas +leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Meiner ist der +Katholicismus der Vernunft, der allgemeinen Gerechtigkeit, +der Freyheit und Humanität; und der ihrige ist die +Nebelkappe der Vorurtheile, der Privilegien, des eisernen +Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen +kommen; aber seit Bonapartes Bekehrung habe ich für mich die +Hoffnung sinken lassen. Dank sey es der Frömmeley und dem +Mamelukengeist des grossen französischen Bannerherrn, die +Römer haben nun wieder Ueberfluss an Kirchen, Mönchen und +Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert +Jahre zurückgeworfen. <span class="italic">Homo sum</span> +— sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was +mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner +Wanderschaft wieder aufnehmen.</p> + +<p>Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano +und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien hatte mich gewarnt, +ich möchte mich dort in Acht nehmen: allein im May, dachte +ich, hat so ein Spaziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen +war drückend schwül, und über der Solfatara und dem +Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt +genug; ich wollte nur aus Neugier das +<!-- pb n="360 " facs="#f0388"/ --> Lokale sehen und weiter +keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich ungefähr ein +Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen +hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und +schwer, und ich eilte dass ich durch die Bergschlucht wieder +heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob +sich alle flüssigen Theile mischten und die festen sich +auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte, +kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine +gewisse Schwere und Müdigkeit von der Wärme. Eine eigene +Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als +ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von +Posilippo ass, dass ich mir an einer eben nicht harten +Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen locker +biss. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig +zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drey +Vorderzähne. Aber Veränderung der Luft und etwas Schonung +haben sie bis auf einen wieder ziemlich fest gemacht; und +dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er +nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.</p> + +<p>Von Rom nach Neapel war ich zu Fusse gegangen: von Neapel +nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem +Neapolitanischen Kourier. Noch die Nacht fuhren wir über +Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina. +Anstatt einer attellanischen Fabel erzählte man uns in +Aversa als wahre Geschichte, dass eben die Räuber vom Berge +herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sechzig +Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich +<!-- pb n="361 " facs="#f0389"/ --> +mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn +Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte. +Dieser Herr hatte nehmlich auf meiner Hinreise einen +sehr grossen Gefallen an meinem Seehundstornister +bekommen, wollte ihn durchaus haben und bot mir +bis zu drey goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn +nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch +einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurück käme: und +jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt +nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit +sich zurück? Durch die Pontinen ging es diessmal die +Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der +Morgen graute, als wir in Veletri eintrafen. Nun kam +aber eine ächt italiänische Stelle, über der ich leicht +hätte den Hals brechen können.</p> + +<p>Ich habe die Gewohnheit beständig voraus zu laufen, wo +ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist eine schöne +Waldgegend, durch welche die Strasse geht. Oben am Berge bat +der Postillion, wir möchten aussteigen, weil er vermuthlich +den Hemmschuh einlegen wollte und am Wagen etwas zu hämmern +hatte. Der Offizier blieb bey seinen Depeschen am Wagen, und +ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in +den Wald hinein, und dachte wie ich Freund Reinhart in +Aricia überraschen würde, der jetzt daselbst seyn wollte. +Ungefähr sieben Minuten mochte ich so fort gewandelt seyn, +da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu. +Ihre Bothschaft erklärte sich sogleich. Einer fasste mich +bey der Krause und setzte mir den Dolch an die Kehle; der +andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf +<!-- pb n="362 " facs="#f0390"/ --> die Brust; die beyden +übrigen blieben dispositionsmässig in einer kleinen +Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung +sagte ich halb unwillkührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so +nehmt denn ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte +einer eine doppelt grässliche Pantomime mit Gesicht und +Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stossen und +schiessen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg +also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines +Geld aus den Westentaschen, welches beydes zusammen sich +vielleicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit +der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die +Karabiner suchten mir durch richtige Schwenkung Willigkeit +einzuflössen. Ich machte mich bloss so schwer als möglich, +da weiter thätiger Widerstand zu thun der gewisse Tod +gewesen wäre: man zerriss mir in der Anstrengung Weste und +Hemd. Vermuthlich wollte man mich dort im Busche gemächlich +durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man +für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie +das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen +Schuss oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem +kritischen Momente, denn das Ganze dauerte vielleicht kaum +eine Minute, hörte man den Wagen von oben herabrollen und +auch Stimmen von unten: sie liessen mich also los und nahmen +die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg +fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr sass, wie in +Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak unter dem Arme in +einem Rocksacke: beydes wurde +<!-- pb n="363 " facs="#f0391"/ --> also in der +Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen grässlich +aus wie ihr Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter +zwanzig und keiner über dreissig. Sie hatten sich gemalt und +trugen falsche Bärte; ein Beweiss, dass sie aus der Gegend +waren und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia +nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht in +der schönen klassischen Gegend bleiben können. Dort spielt +ein Theil der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten +daselbst Lausus und Euryalus ihre jugendliche +Unbesonnenheit: nicht eben, dass sie gingen, sondern dass +sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein +preussischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön +polierten glänzenden Helm aufsetzen, um versteckt zu +bleiben? Herr Virgil hat sie bloss der schönen Episode wegen +so ganz unüberlegt handeln lassen.</p> + +<p>Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nachricht, +dass zwey von den Schurken, die mich in dem Walde geplündert +hätten, erwischt wären, und dass ich vielleicht noch das +Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen. Dawider habe ich +weiter nichts, als dass es bey der jetzigen ungeheuern +Unordnung der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier +etwas von einem Manuscript gesehen, das in kurzem in +Deutschland, wenn ich nicht irre bey Perthes, gedruckt +werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom enthält. +Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, dass fast alles +darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle +Fälle kompetenter Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier, +ist ein freyer, unbefan<!-- pb n="364 " facs="#f0392"/ -->gener, +kenntnissvoller Mann, bey dem Herz und Kopf gehörig im +Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer +grössten Ausdehnung eingeführt; und was das Volk eben jetzt +darunter leiden müsse, kannst Du berechnen. Die Klöster +nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in Besitz, die +eingezogenen Kirchen werden wieder geheiligt, und alle +Prälaten behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. +Da mästen sich wieder die Mönche, und wer bekümmert sich +darum, dass das Volk hungert? Die Strassen sind nicht allein +mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben wirklich +daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiss, dass bey meinem +Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger +gestorben sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und +sterben sehen. Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der +Ausdruck ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit. +Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit +dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig +eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächtiger +gehalten werden könnten, erhob sich selbst aus dem gläubigen +Gedränge ein Fünkchen Vernunft in dem dumpfen Gemurmel, dass +man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten mache und die +Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die +Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als +jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizey; +auf dem Lande noch weniger als in der Stadt: und wenn die +Menschheit nicht noch tiefer gesunken ist, als sie wirklich +liegt, so kommt es bloss daher, weil man das Göttliche in +der Natur durch die grösste +<!-- pb n="365 " facs="#f0393"/ --> Unvernunft nicht +ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein +vernünftiger Philanthrop sich +hier <!-- choice><sic -->nmsieht<!-- /sic><corr>umsieht</corr></choice -->. +Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als +ich wieder zu Borgia gehen wollte. <span class="italic">Nil +valent apud Vos leges</span>, <span class="italic">nil +justitia</span>, <span class="italic">nil boni +mores</span>; <span class="italic">saginantur +sacerdotes</span>, <span class="italic">perit +plebs</span>, <span class="italic">caecutit +populus</span>; <span class="italic">vilipenditur quodcunque +est homini sanctum +honestas</span>, <span class="italic">modestia</span>, <span class="italic">omnis +virtus</span>. <span class="italic">Infimus et improbissimus +quisque cum armis per oppida et agros praedabundus +incedit</span>, <span class="italic">furatur</span>, +<span class="italic">rapit</span>, <span class="italic">trucidat</span>, +<span class="italic">jugulat</span>, <span class="italic">incendia +miscet</span>. <span class="italic">Haec est illa religio +scilicet</span>, <span class="italic">auctoris +ignominia</span>, <span class="italic">rationis +opprobrium</span>, <span class="italic">qua Vos homines +liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere +conamini</span>. So gohr es, und ich +versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey. +Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen, +warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen +machen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird +schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu +denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter +gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon +kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu +Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. +Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit +zurück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen +Bedienten im Hause, und geben nur schlechten Sold. Jeder +Fremde der nur die geringste Höflichkeit vom Herrn empfängt, +wird dafür von der Valetaille in Anspruch genommen. Das +hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch +schicklich +<!-- pb n="366 " facs="#f0394"/ --> +nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel +wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium +nicht mehr in Auslage seyn.</p> + +<p>Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz +Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch dass sie die +Sache wieder aufgegeben haben, ist die Menschheit in +unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiss was darüber +gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles +betrachtet werden muss: aber wenn man schlecht angefangen +hat so hat man noch schlechter geendiget; das Zeugniss wird +mit Zähneknirschen jeder rechtliche Römer und Neapolitaner +geben. Geschichte kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren +unbedingten nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste +Anarchie entstanden. Die Heerstrassen sind voll Räuber; die +niederträchtigsten Bösewichter ziehen bewaffnet im Lande +herum. Bloss während meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind +drey Kourier geplündert und fünf Dragoner von der Eskorte +erschossen worden. Niemand wagt es etwas mehr mit der Post +zu geben. Der französische General liess wegen vieler +Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den +Tod bestimmt und liess eine Anzahl Verbrecher vor dem +Volksthore wirklich niederschiessen. Die Härte war Wohlthat; +nun war Sicherheit. Jetzt trägt jedermann wieder seinen +Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer noch in dem +schändlichen Kredit als Beschützer der Verbrecher. Man +erzählt jetzt noch Beyspiele mit allen Namen und Umständen, +dass sie Mörder in ihren Wagen in Sicherheit bringen lassen. +Ueber öffentliche Armenanstalten bey den Katho<!-- pb n="367 " facs="#f0395"/ -->liken +ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die +Metropolis. Jetzt sind durch die Revolution fast alle +öffentliche Armenfonds wie ausgeplündert, und die Noth ist +vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich. In +ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also +keine Sorge für Erziehung; in Rom ist sie schlecht. Der +Kirchenstaat ist eine Oede rund um Rom herum, desswegen +erlaubt aber kein Güterbesitzer, dass man auf seinem Grunde +arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn er +nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus +an. Die Möncherey kommt wieder in ihren grassesten Flor, und +man erzählt sich wieder neue Bubenstücke der Kuttenträger, +die der Schande der finstersten Zeiten gleich kommen. Man +sagt wohl, Italien sey ein Paradies von Teufeln bewohnt: das +heisst der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der Italiäner +ist ein edler herrlicher Mensch; aber seine Regenten sind +Mönche oder Mönchsknechte; die meisten sind Väter ohne +Kinder: das ist Erklärung genug. Ueberdiess ist es der Sitz +der Vergebung der Sünde.</p> + +<p>Ich will nur machen, dass ich hinauskomme, sonst denkst +Du, dass ich beissig und bösartig geworden bin. Die Parthien +rund herum sind ohne mich bekannt genug: ich habe die +meisten, allein und in Gesellschaft, in der schönsten +Jahrszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl +befinden, nur muss man die Humanität zu Hause lassen. Mit +Uhden habe ich die Parthien von Marino, Grottaferrata, +Fraskati und den Albaner See gesehen. Eins der ältesten +Monumente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser +<!-- pb n="368 " facs="#f0396"/ --> aus demselben durch den +Berg in die Ebene hinab lässt, und der, wenn ich nicht irre, +noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner +Entstehung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so durch +den Aberglauben wie damals. Wenn der Gott von Delphi den +Ausspruch der Mathematiker nicht bestätigt hätte, wären die +Römer schwerlich an die Arbeit gegangen. Das ganze Werk +steht noch jetzt in seiner alten herrlichen ursprünglichen +Grösse da und erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, dass +Kluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter, +sagt, es seyen nur noch Spuren da, da doch der ganze Kanal +noch eben so gangbar ist, wie vor zwey tausend Jahren. Mich +däucht zu Kluvers Rechtfertigung muss man annehmen, dass der +Eingang eben damals verschüttet war, welches sich +periodenweise leicht denken lässt; und der Antiquar +untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr +romantischer Platz und der Gegenstand der Zeichner: +vorzüglich wirkt die alte perennirende Eiche an demselben. +Das Schloss Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der +schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier +zeigte man mir im Promenieren einen Priester, der in einem +Gefecht mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen +hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden Kirche! +Wehe der Humanität, wenn sie die triumphierende wird. Wer +auf Hadrian eine Lobrede schreiben will, muss nicht hierher +gehen, und die Ueberreste seiner Ville sehen: man sieht noch +ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die +Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Trajan +<!-- pb n="369 " facs="#f0397"/ --> hat Monumente besserer +Bedeutung hinterlassen. Wo bey Fraskati wahrscheinlich des +grossen Tullius Tuskulum gestanden hat, sieht man jetzt sehr +analog — eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr +philosophisch; nur würde Thucydides hier +schwerlich <span class="italic">de natura +deo</span><span class="italic">rum</span> geschrieben haben. +Der schönste Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch +gesehen habe, ist unstreitig die Ville des Mecän in Tivoli. +Man kann annehmen, dass der Schmeichler Horaz hier mehrere +seiner lieblichsten Oden gedichtet habe, für den gewaltigen +Mann, neben und unter dem er hier hauste. Man wollte mich +unten am Flusse jenseits in ein Haus führen, wo noch +Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte nicht Lust: +es fiel mir seine Canidia ein. Virgil war ein feinerer Mann +und ein besserer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen +und um die Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen. +Wenn ich Dir die Kaskadellen von unserm Reinhart mit bringen +könnte, das würde für Dich noch Beute aus Hesperien seyn: +ich bin nur Laie.</p> + +<p>Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die +Franzosen haben allerdings vieles fortgeschafft; aber der +Abgang wird bey dem grossen Reichthum doch nicht sehr +vermisst. Ueberdiess haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein +Privateigenthum angetastet. Einigen ihrer vehementesten +Gegner haben sie gedroht; doch ist es bey den Drohungen +geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich +zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die +Zeitumstände von ihren Besitzern zersplittert worden; +vor<!-- pb n="370 " facs="#f0398"/ -->züglich die +Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist +kein einziges Stück entfernt. Bloss der Fechter und der +Silen daselbst haben einen so klassischen Werth, wie ihn +mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die +grösste Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht +haben, ist dass sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen +Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese +Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung +auskramte, muss vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. +Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Knabenstatue mit der +Bulle, die man für einen jungen Britannikus hält. Sey es wer +man wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der +männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit +und Anmuth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser +Art mehr gefunden.</p> + +<p>In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich +ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das +man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber +erschrak ich. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich, +unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: +das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat +die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine +Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und ich +genoss in der Träumerey über den Kopf die schönen Salvator +Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, +fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es +sey nun ausgemacht, dass es eine gewisse Gräfin aus +Oberitalien sey. Ich +<!-- pb n="371 " facs="#f0399"/ --> +freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los +wäre.</p> + +<p>Auf dem Kapitol vermisste ich den schönen Brutus. Dieser +ist nach Paris gewandelt, hiess es. Was soll Brutus in +Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und +jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn wie +die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische +Wölfin, die bey Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden seyn +soll. Die Seltenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem +Thurme des Kapitols übersah ich mit einem Blick das ganze +grosse Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freunde machte mir +ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich +gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie +Dir hier, weil ich glauben darf, dass Dir vielleicht die +Ansicht einiges Vergnügen machen kann.</p> + +<div class="poem"> +<p> Du zürnst, dass dort mit breitem Angesichte<br /> Das +Dunstphantom des Aberglaubens glotzt<br /> Und jedem +Feuereifer trotzt,<br /> Der aus der Finsterniss zum +Lichte<br /> Uns führen will; Du zürnst den Bübereyen,<br /> +Dem Frevel und dem frechen Spott,<br /> Mit dem der +Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott<br /> Zum Unsinn +macht; den feilen Schurkereyen,<br /> Und der Harpye der +Mönchereyen,<br /> Dem hässlichsten Gespenst, das dem Kozyt +entkroch,<br /> Das aus dem Schlamm der Dummheit noch<br /> +Am Leitseil der Betrügereyen<br /> +<!-- pb n="372 " facs="#f0400"/ --> +Zehn tausend hier zehn tausend dort ins Joch,<br /> +Dem willig sich die Opferthiere weihen,<br /> +Zum Grabe der Vernunft berückt,<br /> +Und dann mit Hohn und Litaneyen<br /> +Aus seiner Mastung niederblickt:<br /> +Du zürnst, dass man noch jetzt die Götzen meisselt,<br /> +Und mit dem Geist der Mitternacht<br /> +Zu ihrem Dienst die Menschheit nieder geisselt,<br /> +Und die Moral zur feilen Dirne macht,<br /> +Bey der man sich zum Sybariten kr uselt<br /> +Und Recht und Menschenwerth verlacht.</p> + +<p> +<span class="indent">Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!</span><br /> +Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung<br /> +Und Kraft und Muth zur Besserung;<br /> +Indessen lau mit seichtem Hirne<br /> +Der Schachmaschienenmensch nach den Figuren schielt,<br /> +Und von dem Busen seiner Dirne<br /> +Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.</p> + +<p> +<span class="indent">Geh hin und lies, fast ist es unsre +Schande,</span><br /> Es scheint es war das Schicksal +Roms<br /> In Geyerflug von Land zu Lande<br /> Zu ziehn; es +schlug die Erde rund in Bande,<br /> Und wechselt nur den +Sitz des Doms.<br /> Was einst der Halbbarbar ins Joch mit +Eisen sandte,<br /> Beherrschet nun der Hierofante<br /> Mit +dem Betruge des Diploms.<br /> Jetzt thürmet sich am alten +Vatikane<br /> +<!-- pb n="373 " facs="#f0401"/ --> +Des Aberglaubens Burg empor,<br /> +In deren dumpfigem Arkane<br /> +Sich längst schon die Vernunft verlor,<br /> +Und wo man mit geweihtem Ohr<br /> +Und Nebelhirn zur neuen Fahne<br /> +Des alten Unsinns gläubig schwor.<br /> +Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spotte<br /> +Mit dem er Menschensinn verhöhnt;<br /> +Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,<br /> +Einst hier die Burg des Donnergottes,<br /> +Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:<br /> +Und wer bestimmt, aus welchem Schlunde<br /> +Des Wahnsinns stygischer Betrug<br /> +Der armen Welt die grösste Wunde<br /> +Zur ewigen Erinnrung schlug?</p> + +<p> +<span class="indent">Hier herrschten eisern die +Katonen</span><br /> Mit einem Ungeheur von Recht<br /> Und +stempelten das menschliche Geschlecht<br /> Despotisch nur +zu ihren Frohnen;<br /> Als wäre von Natur vor ihnen Jeder +Knecht,<br /> Den Zevs von seinem Kapitole<br /> Mit dem +Gefolge der Idole<br /> Sich nicht zum Lieblingssohn +erkohr;<br /> Und desto mehr, je mehr er kühn empor<br /> +Mit seines Wesens Urkraft strebte<br /> Und sklavisch nicht, +wie vor dem Sturm das Rohr,<br /> Beym Zorn der Herrn der +Erde bebte.<br /> Nur wer von einem Räuber stammte,<br /> +<!-- pb n="374 " facs="#f0402"/ --> +Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,<br /> +Bepanzert mit dem dicksten Erz,<br /> +Den Hohn der Menschheit lodernd flammte,<br /> +Und alle Andern wie Verdammte<br /> +Zur tiefsten Knechtschaft von sich stiess<br /> +Und den Beweis in seinem Schwerte wies; —<br /> +Nur der gelangte zu der Ehre<br /> +Ein Mann zu seyn im grossen Würgerheere.</p> + +<p> +<span class="indent">Oft treibt Verzweiflung zu dem +Berge,</span><br /> Dem Heiligen, dem Retter in der +Noth,<br /> Wenn blutig des Bedrückers Scherge<br /> Mit +Fesseln, Beil und Ruthen droht:<br /> Und, was erstaunt +jetzt kaum die Nachwelt glaubet<br /> Dem grössten Theil der +Nation,<br /> Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet<br /> Der +Blutgeist selbst die Rechte der Person,<br /> Und setzt ihn +mit dem Vieh der Erde<br /> Zum Spott der Macht in eine +Heerde.<br /> Der Wüstling warf dann in der Wuth<br /> Für +ein zerbrochnes Glas mit wahrer Römerseele<br /> Den Knecht +in die Muränenhöhle,<br /> Und fütterte mit dessen +Blut<br /> Auf seine schwelgerischen Tische<br /> Die +seltnen weitgereisten Fische:<br /> Und für die Kleinigkeit +der Sklavenstrafe liess<br /> Mit Zorn der schlauste der +Tyrannen,<br /> Den seine Welt Augustus hiess,<br /> Zehn +Tage lang den Herrn von sich verbannen.<br /> +<!-- pb n="375 " facs="#f0403"/ --> +Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies<br /> +Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;<br /> +Was ihre Zehner kühn gewannen,<br /> +Durch die man frech die Menschheit von sich stiess.</p> + +<p> +<span class="indent">Wer zählet die +Proskriptionen,</span><br /> Die der Triumvir +niederschrieb,<br /> In denen er durch Henker ohne +Schonen<br /> Die Bande von einander hieb,<br /> Die das +Palladium der Menschlichkeit zu retten<br /> Uns brüderlich +zusammen ketten.<br /> Durch sie ward Latium in allen Hainen +roth<br /> Bis in die Grotten der Najaden,<br /> Und mit dem +Grimm des Schrecklichen beladen,<br /> Des Fluchs der Erde, +gingen in den Tod<br /> An Einem Tage Myriaden:<br /> Und +gegen Sullas Henkergeist<br /> Ist zu der neuen Zeiten +Ehre,<br /> Der Aftergallier, der Blutmensch +Robespierre,<br /> Ein Genius der mild und menschlich +heisst.</p> + +<p> +<span class="indent">Man würgte stolz, und hatte +man</span><br /> Mit Spott und Hohn die Unthat frech +gethan,<br /> So stieg man hier auf diesen Hügel<br /> Und +heiligte den Schreckenstag,<br /> Der unter seiner Schande +Siegel<br /> Nun in der Weltgeschichte lag.<br /> Man +schickte, ohne zu erröthen,<br /> Den Liktor mit dem Beil +und liess<br /> +<!-- pb n="376 " facs="#f0404"/ --> +Im Kerker den Gefangnen tödten,<br /> +Der in der Schlacht als Held sich wies,<br /> +Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte<br /> +Und nicht sie zu besiegen wagte.</p> + +<p> +<span class="indent">Dort gegen über setzten +sich</span><br /> Die Cásarn auf dem Palatine,<br /> Wo noch +die Trümmer fürchterlich<br /> Herüber gähnt, und jetzt mit +Herrschermiene<br /> Auch aus dem Schutte der Ruine,<br /> +Wie in der Vorwelt Eisenzeit,<br /> Mit Ohnmacht nur +Gehorsam noch gebeut.<br /> Dort herrschten, hebt man kühn +den Schleyer,<br /> Im Wechsel nur Tyrann und +Ungeheuer;<br /> Dort grub der Schmeichler freche +Zunft<br /> Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;<br /> +Dort starben Recht und Zucht und Ehre,<br /> Dort betete man +einst Sejan,<br /> Narciss und sein Gelichter an,<br /> Wenn +die Neronen und Tibere<br /> Nur schel auf ihre Sklaven +sahn,<br /> Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,<br /> Die +Qual und Tod mit einem Wink geboten.</p> + +<p> +<span class="indent">Dort ragt der Schandfleck hoch +empor,</span><br /> Wo, wenn des Scheusals Wille +heischte,<br /> Des Tigers Zahn ein Menschenherz +zerfleischte,<br /> Und wo der Sklaven grelles Chor<br /> +Dem Blutspektakel Beyfall kreischte,<br /> +<!-- pb n="377 " facs="#f0405"/ --> +Und keinen Zug des Sterbenden verlor;<br /> +Wo zu des Römerpöbels Freude<br /> +Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,<br /> +Der mit dem Dolch im Eingeweide<br /> +Und Grimm im Antlitz starb.</p> + +<p> +<span class="indent">Von aussen Raub und Sklaverey von +innen,</span><br /> Bey Kato wie bey Seneka,<br /> Stehst Du +noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,<br /> Und stellst +sie auf des Ruhmes Zinnen?<br /> Vergleiche was durch sie +geschah,<br /> Von dem Sabiner bis zum Gothen,<br /> Die +Kapitolier bedrohten<br /> Die Menschheit mehr als +Attila,<br /> Trotz allen preisenden Zeloten.<br /> +Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh<br /> Für Einen Titus +schreibest Du<br /> Stets zehn Domitiane nieder.<br /> +Behüte Gott nur uns und unsre Brüder<br /> Vor diesem +blutigen Geschlecht,<br /> Vor Römerfreyheit und vor +Römerrecht!<br /> Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht +wieder.</p> +</div> + +<p>In dem Pallast Spada besuchte ich einige Augenblicke die +Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nehmliche +ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann +auch vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche +Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts Merkwürdiges +und ist artistisch +<!-- pb n="378 " facs="#f0406"/ --> von keinem grossen +Werth. Unter dieser Statue sollten alle Revolutionäre mit +wahren hellen gemässigten Philanthropen zwölf Mitternächte +Rath halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein gut oder +schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der +Gesammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die +Menschheit jetzt stehet.</p> + +<p>Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen +Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das +enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das unselige Schisma +wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen +Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mässigung +hätte damals die Päbste mit Hülfe des abergläubischen +Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit +kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen oder +verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist als ob man +der stillen Grösse der alten Kunst mit diesem herkulischen +Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon als +den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor, +verhältnissmässigen ungeheuern Raum, als die Area des +Heiligentempels, zu einer grossen Höhe aufgeführt, und oben +das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die +Peterskirche. Das Riesenmässige hat man erreicht. Wir sassen +in dem Knopfe der Kuppel unser drey, und übersahen die +gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade +die grösste Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die grösste +Ruine der Welt ist.</p> + +<p>In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich +<!-- pb n="379 " facs="#f0407"/ --> nur Raphaels Logen und +Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt, +dass ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein +Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo +in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und +hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und +die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben +eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft +und Seele.</p> + +<p>Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden +und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will +mir kein anderer mehr genug thun. So muss Sokrates gewesen +seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da +liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange fest, als +Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht +der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde +dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vorzimmer die +Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich +würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender +Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand +seinen Parnass sähe, auf welchen er als den Apoll den +Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt +hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als +eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der +Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark +zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und +vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die +Gallier nichts antasten, sie hätten denn als Vandalen +zerstören müssen: +<!-- pb n="380 " facs="#f0408"/ --> +und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen +was sie wollen. Ich müsste Dir von Rom allein ein +Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger +schriebe; und ich würde doch nur wenig erschöpfen.</p> + +<p>Zum Schluss schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art +von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute. +Aber ich muss Dir die Schöpfungsgeschichte erzählen, damit +Du das Werk verstehst.</p> + +<p>Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte +auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch +ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord +eine Ehre der Nation noch als Bischof eine Zierde der Kirche +von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bey der +Impertinenz des Reichthums die Marotte den Kenner und Gönner +in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar +so unglücklich, dass seine Urtheile in Italien hier und da +bey Verständigen fast für Verdammung gelten. Vorzüglich +hasst er Raphael und zieht bey jeder Gelegenheit +seine <span class="italic">deos minorum gentium</span> auf +dessen Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es +geben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht +manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittelmässigkeit +stempelt. Viele lassen sich vieles von dem reichen Britten +gefallen, der selten in den Gränzen der feinern Humanität +bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern +Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein +Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud +ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen +Unge<!-- pb n="381 " facs="#f0409"/ -->zogenheiten +gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal +bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene +Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord +mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein +Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. +Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu +nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der +gnädigen Herrn ist, und sichs wohl gar beygehen lässt +Urbefungnisse in den Menschen zu finden, die er behaupten +muss, wenn er Menschenwerth haben will. Dem Künstler musste +dieser Ton missfallen, und ein Fremder suchte ihn durch +Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn +nach seinem Vaterlande fragte. Ey was, fiel der Lord +polternd ein, es ist ein Mensch der kein Vaterland hat, ein +Universalmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, Mylord, +versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland, dessen ich +mich gar nicht schäme; und ich hoffe mein Vaterland soll +sich auch meiner nicht schämen: Sono +<span class="italic">Prussiano</span>. Man sprach +italiänisch. <span class="italic">Prussiano? +Prus</span><span class="italic">siano?</span> sagte der +Wirth: <span class="italic">Ma mi pare che siete +ruffiano</span>. Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, +den man zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler +machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord +keines Blicks und verliess das Zimmer und das Haus. Nach +seiner Zurückkunft in sein eignes Zimmer schrieb er in +gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief:</p> + +<!-- pb n="382 " facs="#f0410"/ --> +<p class="anrede">»Mylord,</p> + +<p>»Ganz Europa weiss, dass Sie ein alter Geck sind, an dem +nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreyssig weniger, +so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine +Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern +berechtiget sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich +schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf +Stand und Vermögen, nach dem was er selbst werth ist; und +Sie sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen, +meine Verachtung.«</p> + +<p>Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die +Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der +Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir +gebe. Das lang gestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf +dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das +Glas, der Finger, der Krummstab, der grosse antike Weinkrug, +der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch +ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist +Wahrheit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe lässt noch +kein Mädchen ruhig.</p> + +<div class="poem"> +Auch seines Lebens letzten Rest<br /> +Beschäftigt noch Lucinde;<br /> +Wenn ihn die Sünde schon verlässt,<br /> +Verlässt er nicht die Sünde.<br /> +</div> + +<p>Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz +in den guten Gesellschaften in Rom herum lief, und knirschte +doch mit den Zähnen. Für so verwe<!-- pb n="383 " facs="#f0411"/ -->gen +hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder +noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der +gewöhnlichen Regel wo man zu bösem Spiele gute Miene +macht: <span class="italic">Il s'est venge en homme de +genie</span>. Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein +Bedenken sie Dir mitzutheilen. *)</p> + +<div class="footnote">*)Nach reiflicher Ueberlegung trage +ich auch kein Bedenken das Ganze hier mit drucken zu lassen. +Mich über sogenannte Personalitäten zu erklären, wäre hier +zu weitläufig. Die Sache hat ihre Gränzen diesseits und +jenseits. Für solche Delinquenten ist keine Strafe als die +öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung +nicht — öffentlich seyn und öffentlich dokumentiert +werden? Die Parthien sind der Maler Reinhart und Lord +Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu +erwarten; aber Andere sollen nicht so werden wie er ist: +desswegen wird es erzählt. +</div> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/33-mailand.html b/OEBPS/Text/33-mailand.html new file mode 100644 index 0000000..c81e18d --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/33-mailand.html @@ -0,0 +1,861 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Mailand</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[384]" facs="#f0412"/ --> + +<div class="chapter" id="Mailand"> +<div class="dateline"><span class="right">Mailand.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Rom hierher ging ich +halb im Wagen, halb zu Fusse; im Wagen so weit ich musste, +zu so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts +in Rom auf der Strasse von Florenz Kouriere geplündert, +Soldaten erschossen und grosse Summen geraubt. Es wäre +Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht +geradezu ein Bettler war, und sich durch +das <span class="italic">cantabit vacuus</span> sichern +konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz. +Von Ronciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den +Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts +hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht +hinüber nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach +Otrikoli, und weiter hin in die noch beschneyten Apenninen. +Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten +den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich +doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fusse +voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns +eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung, die ich +schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher +Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen +fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht +erkundigen.</p> + +<p>Du kannst denken, dass ich auf Thümmels Empfehlung in +Montefiaskone den Estest nicht vergass. Er ist für mich der +erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches +Blut: zwey Flaschen trank +<!-- pb n="385 " facs="#f0413"/ --> ich den Manen unsers +Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hinein zu bemühen in +die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte: +der Wirth erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen +Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein +Kompliment. Es war gut, dass ich nicht hier bleiben konnte; +ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe geworden. Aus +dem Munde des Wirths lautete die +Grabschrift: <span class="italic">Est est +est</span>, <span class="italic">et propter nimium est +dominus Fuggerus spanc mortuus est</span>. Ob nun der Herr +Bischof, der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige +Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht +dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen +Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach +Bolsena zu, am See hin nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte +Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist +romantisch. Dass unten Altlorenzo so ausserordentlich +ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint +nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn.</p> + +<p>Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die +Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich +selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer +durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen +Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste +dem Minister überreicht haben. Weiss der Himmel wie viel +daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon +in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien +war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man laut sagte aus +Furcht vor Unruhen in Neapel, und +<!-- pb n="386 " facs="#f0414"/ --> wohnte im Pallast +Kolonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabey in ihrem +Ingrimm ihre gewöhnliche alte unüberlegte Strenge gebraucht. +In Montefiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und +zwanzig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger +Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurück +gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist diese ganze +Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen. +Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun, +da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen +und mein Alter in Ruhe geniessen. Der Mann sagte dieses +alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur +Uebersetzer.</p> + +<p>Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne Parthie und +ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt. +Was das für eine närrische Benennung der Oerter ist, sagte +ein Engländer, Aquapendente und Montefiaskone; es muss +heissen Montependente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an +der Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier +geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey +umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des +Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus dem Wirthshause zu +gehen. Er ist der nehmliche Herr, der zur Zeit Josephs des +Zweyten päbstlicher Legat in den Niederlanden war, und +daselbst allem Guten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in +der Revolution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft +ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der Franzosen +den Glauben gewonnen haben, dass sie +<!-- pb n="387 " facs="#f0415"/ --> auch Menschen seyn, und +sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. +Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu +Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht +und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen. +Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein +Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht +ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens weigerte sich +standhaft gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die +Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit +lebendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog, +gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen +Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.</p> + +<p>Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg; +und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer +besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem +letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von +Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana +gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die +Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in +Rom. Der allgemeine grosse Wohlstand, der durch die +östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden +war, wird indess nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen +und Fleiss zusammen. Der neue König wird nicht geachtet; +jedermann sieht ihn als nicht existierend an: bloss der +römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser +Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein +ungehorsamer Sohn, +<!-- pb n="388 " facs="#f0416"/ --> das durch den Willen des +heiligen Vaters und das Ansehen der +Kirche <span class="italic">ipso jure</span> null ist. Du +kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie +schwach man die am Arno halten muss, dass man eine solche +Sprache wagt. Aber sie wissen, dass sie mit dem Herrn in +Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt +vielleicht ihre Kühnheit. Die grösste Anzahl seufzt hier +nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf +Verbindung mit den Herren jenseit des Berges, oder gar mit +den Franzosen; die jezzige Regierung hat den kleinsten +Anhang. Der König ist nicht gemacht ihn zu vergrössern: das +hat man sehr wohl gewusst, sonst hätte man ihn nicht zum +Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die +Anekdote sehr laut herum, dass er in seinem Privattheater +den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich +darüber.</p> + +<p>Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bonapartes +Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas +näher kennen muss, soll darüber ganz eigene Berichtigungen +gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich +vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war als +Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen +Umstand und den individuellen Charakter des korsischen +Franzosen liess sich schon etwas bauen. Du siehst es ist +gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst +und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises +noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus +der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das +andere. In +<!-- pb n="389 " facs="#f0417"/ --> eine eigene Verlegenheit +kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto, +welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten. +Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich +gefürchtet, dass sie das heilige Wunderbild wegführen +würden; desswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür +hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den +Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne dass man in Rom +sogleich etwas davon erfährt. — Ich habe es in Loretto +selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des +andern wenig bekümmert. — Nun unterhandelt man in Rom +über das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue +zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun +fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie +das andere, und beyde thun natürlich Wunder in die +Wette.</p> + +<p>Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste in +Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe und die +besten Bilder; doch hat die Gallerie immer noch sehr +interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der +Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich +wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft auch dieses +Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In +Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause +gegessen, wo oben die Schätze unter Schloss und Siegel und +Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der +Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte +Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die +Stücke zeigen. In Rom und Neapel +<!-- pb n="390 " facs="#f0418"/ --> wusste man öffentlich +gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich +ausgesprengt, das Schiff, welches alles von Livorno nach +Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sey zu +Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen +abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine +gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft +nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner +hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl +keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches +Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reitzen als +beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat +seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk +ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die +Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig, +dass es die gewöhnlichste ist, in welche sich die +Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand +fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich +selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beyspiel davon, +das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der Russische +Hauptmann Graf Dessessarts — Gott tröste seine Seele, +er ist wie ich höre an dem Versuche in Quiberon gestorben, +den ich ihm nicht gerathen habe — er und ich, wir +gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort +fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein, +und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von ungefähr +sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch +gelegenheitlich zu sehen ob Geschäfte zu machen wären. Wir +waren beyde etwas +<!-- pb n="391 " facs="#f0419"/ --> zu ernsthaft. Das arme +artige Geschöpfchen dauert mich, sagte der Graf; aber der +Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz +verläugnen. <span class="italic">Je voudrais pourtant la +voir toute entiere</span>, sagte er, und machte ihr den +Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und +bekannte, dass sie für einen Dukaten in der letzten Instanz +gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht +verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik, brachte mit +feiner Schmeicheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab +endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr +Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die +nehmliche Stellung. <span class="italic">Voilà la coquine de +Medicis</span>! sagte der Graf. Es war ein gemeines +pohlnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für +ihren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte; eine +Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den +Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal ist mir +bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Pohlin eingefallen +und meine Konjunktur kam zurück; und mancher Künstler war +nicht übel Willens meiner Meinung beyzutreten. Urania könnte +in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken +an diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken +könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.</p> + +<p>Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze +Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leidet durch +die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der +Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muss es +brauchen: aber mich däucht, dass Sokrates sodann seine +Grazien mit Recht +<!-- pb n="392 " facs="#f0420"/ --> bekleidete. Kabinette +und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte; +denn es geht nur hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas +über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in +Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich +die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist +es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in +unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das hässlichste +Bild der Aphrodite Pandemos mit den hässlichsten Attributen +zuweilen aufgestellt sieht. Das heisst die Sittenlosigkeit +auf der Strasse predigen; und bloss ein tiefes Gefühl für +Freyheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die +schändlichen Missgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe +des Flusses zu stürzen.</p> + +<p>Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte ich +nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek der +Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten +Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger in der Kirche +Santa Croce die Monumente einiger grossen Männer +aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen +Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das +Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter auf der nehmlichen +Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es +verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so +vortrefflicher Männer nahe beysammen.</p> + +<p>Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation +jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preussische +Geheime Rath Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem +rechtlichen Charakter +<!-- pb n="393 " facs="#f0421"/ --> und vielen feinen +Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für +Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er +besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein +anderer Privatmann. Was ich bey ihm gesehen habe, war +vorzüglich, eine komplette alte römische Toilette von +Silber; ein grosses altes silbernes ziemlich kubisches +Gefäss, welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und +Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier +Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur +Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche +abgebildet. Dieses ist vielleicht das grösste silberne +Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er +vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen +Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die +Konsuln oder vielleicht auch die andern kurrulischen +Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel +führten. Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt +er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit +Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind +seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von +seltenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen; +mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze +Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis Augustulus. +Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst dass +dieses eine Liebhaberey nicht für jedermann ist. Ich +schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich +vielleicht interessiert und Du es noch nicht in Büchern +findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt.</p> + +<!-- pb n="394 " facs="#f0422"/ --> +<p>Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an +dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest +gewiss nicht, dass ich als Spaziergänger Dir alle die andern +Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir +traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und +Geschicklichkeit. Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die +Amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas +bey mir in Kredit gesetzt, dass sie diesen Kodex nicht +genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten +Schlosse einer Akademie der Georgophilen bey. Hier hielt man +eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der +Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der +Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System. +Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben +meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur +durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über +eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut, +dass mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie +ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in +Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu +werden.</p> + +<p>Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen +Vetturino verdungen und fand im Wagen einen französischen +Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine +italiänische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schosse; +und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit +einem furchtbar grossen Säbel, der in Handelsgeschäf<!-- pb n="395 " facs="#f0423"/ -->ten +seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von +Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz +allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben +von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren +Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch +Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes +Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er +die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft +lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf +dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen +im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen +mussten das nehmliche meinen; denn die Gruppierung fand +Beyfall und der Junge war gern bey mir.</p> + +<p>Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast +auf die grösste Höhe. Du kannst denken, dass ich viel zu +Fusse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen +Gesellschaft. Der Schweizer mit dem grosen Säbel kam selten +aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem +Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, dass man hier +jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die +Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas +weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf; +denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von +Kreuzen seyn. Ich muss Dir bekennen, dass ich von dem Kreuze +gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres +aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und +weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um +<!-- pb n="396 " facs="#f0424"/ --> alles kühne Emporstteben +der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken, +und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der +Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Grossmuth +und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth +ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die +zweydeutigste aller Tugenden. In der alten +griechischen <!-- choice><sic -->uud<!-- /sic><corr>und</corr></choice --> +römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die +Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im +Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich +selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch +philosophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber +es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als +beydes: mit Muth und Kraft verhindern, dass durchaus kein +Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das +Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen +hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch +noch etwas besser vor. Christus hat gewiss seiner Religion +keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie +nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. +Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen +zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre +Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, dass +keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des +Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. +Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.</p> + +<p>Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan +nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den +<!-- pb n="397 " facs="#f0425"/ --> Felsen lag und der Wagen +nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen +Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie +nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf +der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun +wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit +des Bergs schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein +alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine grosse Freude +mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel +herum, als man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der +Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die +Kaffeehäuser als in die Museen. Ein pohlnischer Hauptmann +von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, sich selbst +einige Grade avanciert und hier geheirathet hatte, schloss +sich geflissentlich an uns an und freute sich mit Deutschen +deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher +Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sey in seinem +Leben kein Republikaner gewesen, das liess sich von einem +pohlnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sey nun +froh, dass die H—e von Freyheit nach und nach wieder +abgeschaft werde. Man hatte eben das Wappen über dem +Generalzollhause geändert, und anstatt der Freyheit die +Gerechtigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die +wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur +behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerechtigkeiten. +Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der +Pohlen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich +also nicht zweifelte.</p> + +<p>Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna +<!-- pb n="398 " facs="#f0426"/ --> noch zu sehen genöthigt +war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist +nicht gross, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey +Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren +in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der +Sammlung, und nach einigen die beste Arbeit von Guido Reni, +ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses +Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr +beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den +Mythus gefasst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, +nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar +ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebietendes Weib, das +in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der +Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter +seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine +boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben +Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen +Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheilhaft +auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter +gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm +der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit +Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, +so viele Unsittlichkeiten in Beyspielen und Vorschriften, +dass ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen pflege, der +Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons +Weisheit behüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht, +wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein +Gewebe menschlicher Thorheiten und +<!-- pb n="399 " facs="#f0427"/ --> Tugenden, als einen +Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und +hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde +unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der +Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon +nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen +glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu +entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres +dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die +Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind +freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten +Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger +Geist als Wahrheit stempeln.</p> + +<p>Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die +Schulter und pilgerte durch die grosse schöne Ebene herüber +nach Mailand. In Modena gefiel mirs sehr wohl, ohne dass ich +den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und +lebendig und lachend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind +gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den +Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein einziges +Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man +wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und +wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, +der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode +Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in +der Gegend geplündert worden; der General liess sie +arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war +richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren +<!-- pb n="400 " facs="#f0428"/ --> +Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen +das Geld zu ersetzen, und man liess die Fremden ziehen. Ich finde darin, +wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht, +keine Ungerechtigkeit.</p> + +<p>In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein +Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte und +ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen +preussischen Pass zu sehen, den ich mir von dem preussischen +Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht +zu meiner Absicht für den besten hielt.</p> + +<p>Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder +zwey Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe +von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen +gebracht wurde. Am Thore wurde ich den achten Juny mit +vieler Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem +Gefreyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die +Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten Mal +begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die +gutaussehenden Kaffeehäuser und sass schon im Geist bey +einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt. +Die Parmesaner sassen gemüthlich dort und schienen viel +Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein +breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der +Hauptwache las der Offizier meinen Pass, rief einen andern +Gefreyten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich +sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon +auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien. +Aber der Zug dauerte mir sehr lan<!-- pb n="401 " facs="#f0429"/ -->ge; +ich fragte und erfuhr, ich müsste zum Thore hinaus, ich +dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs +Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so +entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten +Merletons, so gross wie das Kattegat. Ich foderte, man +sollte mich zum Kommandanten +bringen. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio +caro</span>, <span class="italic">non posso mica</span>; +sagte er. Ich drang +darauf. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio +caro</span>, <span class="italic">non +sa</span><span class="italic">pete il +servizio</span>; <span class="italic">questo</span>, <span class="italic">non +posso mica</span>. Ich alter Kriegsknecht musste mir die +Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der +Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den +Offizier, indem ich ihm meinen Pass wies, ob das eine humane +Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an, +sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich +verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden; +ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die +Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres +Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der +Offizier war +unschlüssig: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio +caro</span>, +<span class="italic">non possiamo mica</span>, sagte der +Gefreyte von der Hauptwache, der noch dabey stand. Der +Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen, ich +könne morgen wieder herein kommen und dann thun was ich +wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der +Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von Parma und +den Parmesanern geben +können: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio +caro</span>, <span class="italic">non possono mica</span>. +Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine +gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine +aufmerksame besorg<!-- pb n="402 " facs="#f0430"/ -->liche +Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen lassen, ein +reines feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet. +Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und +Terranuova, und ihre nicht problematischen Landsleute +zwischen Gensano und Aricia hatten zwar bey ihrer braven +Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber +dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter +Gesellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich zog +einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisdor +Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor +betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartier in der +Stadt. Und nun denkst Du, dass ich den andern Morgen hinein +ging und mich des fernern erkundigte? Das liess ich hübsch +bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich +nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich +ass gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den +Weg nach Piacenza ein. Man merkte, dass die Leute hier in +Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer +Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele +Dolche und Schiessgewehre, wie bey den ächten Italiänern +jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herrlich und +so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe +eines so konfiscierten Orts noch einen Ton anschlagen +konnten. Aber sie schlugen fort und endlich vergass ich das +Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu. +Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange +über den Fluss aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler +<!-- pb n="403 " facs="#f0431"/ --> war hier gewesen und +hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der +Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren. +Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluss macht schöne +Parthien.</p> + +<p>In Lodi ass ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte, +wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm erwarb, und konnte +gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. +Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten +Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich +das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch +wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: +wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathhause +behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches +Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter +andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, +der sehr geistreich das Mass nahm.</p> + +<p>Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin +schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen +blühn. In Rom sagte man, dass das Erdbeben vorigen Monat den +Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein +herunter geworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet +vielleicht mit dem Münster in Strassburg um den Vorzug, ob +es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie +werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht +alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du +weisst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators. +Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu +sagen. Man scheint +<!-- pb n="404 " facs="#f0432"/ --> hier der goldenen +Freyheit nicht durchaus ausserordentlich hold zu seyn. Einer +meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und +unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen +Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der +geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den +Schultern hangend. Er gilt für eine grässlich schöne +Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete ihn einige +Minuten: das sin<span class="spaced">d</span> wir, sagte er +endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser +Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade +vor dem Pallast der Republik: nur wird es mir schwer, die +allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa +gezittert hat. Das alte weitläufige Schloss vor der Stadt +wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte +gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.</p> + +<p>Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte +Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der +heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das +Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der +Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall. +Das Stück ist einige Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt +gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der +Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey +euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen. +Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen +Zustande ist mir das Original noch weit lieber als der +Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht +etwas willkührlich bey +<!-- pb n="405 " facs="#f0433"/ --> der Kopierung zu Werke +gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe +ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die +Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der +übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler +den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die +ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast +schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er +sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht +ganz unzufriedener Finanzminister, der einen grossen Streich +wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch +psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein +Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er +glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte +freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise +in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht, +weil ich nicht so viel Glauben habe als er. — Jetzt +muss man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der +untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch +feuchte dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher +durch andere üble Behandlung.</p> + +<p>Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder +das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil +acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater +geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater +nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so +schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, dass ich +gar nicht Lust bekam eins zu su<!-- pb n="406 " facs="#f0434"/ -->chen. +Man sagt, das Haus sey hier eben so gross, als das grosse in +Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet und für das +grosse Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote +von der Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie +Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns +etwas ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur dass weder +unser Missfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging als +die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die +Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bey +ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so +sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, dass man +sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor musste +erscheinen und es sich als eine grosse Gefälligkeit für sich +selbst erbitten, dass man ihr nur eine einzige Scene +erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die +Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt und ging nun +in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung +des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die +Sängerin durch einen grossen Theil der Stadt nach Hause. Es +wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das +aufrichtige Bekenntniss der Weiber zu hören, ob sie das +zweyte für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat +keine Stimme mehr über die Sache.</p> + +<p>Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man +arbeitete mit einer grossen Menge Gewehr und sogar mit +Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem grossen Raume +sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich +bei der Mutter. Man +<!-- pb n="407 " facs="#f0435"/ --> hatte gute Springer, +aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze +nicht mit Einer Seele arbeitet. Ich habe nie wieder so gute +Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs +Poniatowsky. An ihm ist ein grosser Balletmeister verloren +gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.</p> + +<p>In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den +General Dombrowsky erhalten und er nahm mich mit vieler +Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreyheit +auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier +fand ich mit ihm und andern von Pohlen aus Berührung. Ich +hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und +er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen +noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die +die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest +bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen +andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freyer +strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das +Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche +Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter +Kupferstiche von den Köpfen grosser Männer; besonders ist +darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und +charakteristisch ist und auf den er viel hält. Eine Anekdote +aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht +unangenehm seyn. Dombrowsky liebt Schillers dreyssigjährigen +Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey +Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch +lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet +Ich habe das durchschlagene Exem<!-- pb n="408 " facs="#f0436"/ -->plar +selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken +geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des +Generals. Er sagte mir lachend, Schiller hat mich gerettet, +aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die +Kugel hat eine Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort, +die Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten: das +ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen haben nie für +Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen wir noch für unser +Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren +ist. Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich +meinte, es wäre voraus zu sehen gewesen, dass für Pohlen +keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer +noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der +furchtbaren Tripleallianz bloss stellen, um ein Zwitterding +von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun +gar kein Interesse mehr hatten. Die Eifersucht zwischen den +grossen mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen +vortheilhaft. Wenn die Pohlen noch unter einem einzigen +Herrn wären, so liesse sich durch eben diese Eifersucht noch +Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen, +und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt +war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu kommen. Ich +weiss selbst, dass ich als russischer Offizier in Posen vor +der Hauptwache vor den preussischen Kanonen von einem +Dutzend junger Pohlen belagert wurde, die mirs nahe ans Herz +legten, dass doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie +sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so +wollten +<!-- pb n="409 " facs="#f0437"/ --> sie die Preussen +zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe, +warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten; +aber die wahren verbargen sie gewiss. Sie dachten +unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch +irgend eine Konjunktur bald wieder politische Existenz +gewinnen. Der General fand die Schlussfolge ziemlich bündig, +sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache +Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und +edel.</p> + +<p>Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Organisation +und tragen ihre alten Abzeichen, so dass man die alten +Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im +Kriege muss in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es +wurde erzählt, dass einmal die Portion des Soldaten auf acht +Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die +Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art +militärisch drolliger Vertraulichkeit geäussert. So sagten +die Franzosen von den Pohlen: <span class="italic">Ah ce +sont de braves coquins</span>; +<span class="italic">ils mangent comme les +loups</span>, <span class="italic">boivent +diablement</span>, <span class="italic">et se battent comme +les lions</span>. Die Pohlnischen Offiziere konnten den +französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren +Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. +Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiss alle Mal +ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, dass das +Pohlnische Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann +stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil +davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, +als ob Bonaparte alle Truppen, die +<!-- pb n="410 " facs="#f0438"/ --> ihm zu seinen Absichten +in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute +kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und +da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort +vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als +wohl sonst die französische Energie vermöchte.</p> + +<p>Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere +Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in +den Mussenstunden lese ich mit viel Genuss Wielands Oberon, +den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man +mich im Wirthshause mit einem gewissen Misstrauen wie einen +gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich +zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige +Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich +wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln liess, ward +das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger +ungewöhnlich artig. Noch muss ich Dir bemerken, dass ich in +Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten +Weiber gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenommen. +Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich +sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun +vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen +reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise +behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft +protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit +behaupten, so war ich immer <span class="italic">Signor +Inglese</span> und <span class="italic">Eccellenza</span>; +und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man +auch nach verjüngtem Massstabe in Mailand denken. Die +<!-- pb n="411 " facs="#f0439"/ --> Industrie ist +mancherley. Ich sass an einem Sonntag Morgens recht ruhig in +meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den +Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat +ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne +Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne +Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten +Hetärenkünste berechnet zu haben. Ich will durch ihre +Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als +Philosoph zu erhöhen suchen. <span class="italic">Signore +comanda qualche cosa?</span> fragte sie in lieblich +lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem +Körbchen spielen liess und Miene machte es zu öffnen. Ich +sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, +ehe ich etwas unschlüssig <span class="italic">No</span> +antwortete. <span class="italic">Niente?</span> fragte sie, +und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich +warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im +Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir +schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige +gab. <span class="italic">Niente</span>, brummte ich +grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin +nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiss, ob +ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn +die Teufelin zum dritten Mal mit der nehmlichen Stimme +gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein +Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so +engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt +haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zufrieden zum +General.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/34-zuerich.html b/OEBPS/Text/34-zuerich.html new file mode 100644 index 0000000..a125cd9 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/34-zuerich.html @@ -0,0 +1,713 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Zürich</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[412]" facs="#f0440"/ --> + +<div class="chapter" id="Zuerich"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Zürich</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">N</span>un bin ich bey den +Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande, und +bereite mich in einigen Tagen einen kleinen Abstecher zu den +Galliern zu machen. Viel Erbauliches wird nach allen +Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören +seyn: indessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch +an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder fest sitze +möchte es etwas schwer halten.</p> + +<p>Den vierzehnten Juny ging ich aus Mailand und ging diesen +Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so +beträchtlich gehalten hätte als ich ihn fand. In der Gegend +von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und alles +war in voller Arbeit; und als ich über den Berg herüber kam, +fing das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schossen: +das ist merklicher Kontrast. Die grösste Wohlthat war mir +nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von +Mailand hatte ich die beschneyten Alpen mit Vergnügen +gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und +kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem +Ticino und dem Lago maggiore herauf, bloss um die schöne +Gegend zu geniessen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus +Unteritalien und Sicilien und gab mir also keine grosse Mühe +die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein +Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also +wohl zwey Dukaten mehr kosten. Ich sah also bey Varone links +an der Anhöhe den gigan<!-- pb n="413 " facs="#f0441"/ -->tischen +heiligen Karl Borromeus aus der Ferne und fuhr dann sowohl +bey der schönen Insel als bey der Mutterinsel vorbey. Man +hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur Orangengärten +gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und +hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und +hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum +so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem +Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette +schlief Friedrich der Zweyte nach der Schlacht bey Rossbach. +Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen +ausserordentlich gross, und wo die Gegend vor den rauheren +Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in +der ganzen Lombardey umsonst sucht. Es sind hier noch recht +schöne Oelbäume, die man diesseit der Apenninen nur selten +findet, und sogar indische Feigen in der freyen Luft. Ich +schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin +hinein fällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen +rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem +Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen +über den Gotthardt herüber brachte. Zwey Tage ging ich am +Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der Schlucht +ziemlich drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube +zum Frohnleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der mir +besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, obgleich für +mich weiter nichts da war als Kirschen. Den ersten Abend +blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen +ist. Der Ticin stürzte unter meinem Fenster durch die Felsen +hinunter, gegen<!-- pb n="414 " facs="#f0442"/ -->über +lag am Abhange ein Kloster, und hinter demselben erhob sich +eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren +Scheitel jetzt fast zu Johannis mit Schnee bedeckt war. Die +Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften +erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Ticin +köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu +haben. Mein grösster Genuss waren hier die Alpenquellen, vor +denen ich selten vorbey ging ohne zu ruhen und zu trinken, +wenn auch beydes eben nicht nöthig war, und in den +Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und +rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt schmolz eben +der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier +bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den +nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herab +stürzten, und von denen der kleinste doch eine sehr starke +Wassersäule gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere +Parthien als die Reuss auf der deutschen; und nichts muss +überraschender seyn, als hier hinauf und dort hinunter zu +steigen. Ayrolles war mein zweytes Nachtlager. Hier sprach +man im Hause deutsch, italiänisch und französisch fast +gleich fertig, und der Wirth machte mit seiner Familie einen +sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war. +Suworow hatte einige Zeit bey ihm gestanden, und wir hatten +beyde einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus +für den alten General, und rühmte vorzüglich seine +Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen +etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe +nicht ein, was den Wirth in +<!-- pb n="415 " facs="#f0443"/ --> Ayrolles oben am +Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er +nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm +im Kriege die Ehre angethan hatte bey ihm zu seyn: er +zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon +sind allgemein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück +gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und +ich suchte nur seinen wahren Charakter zu retten und einige +Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In +Prag hatte er zu einem hässlichen Gemälde gesessen. Der Löwe +ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiss sehr wohl, +dass das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von +Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag +und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mürrischer +Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war +er doch gewiss nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein +Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen +jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen +ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in +welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich +befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische +Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne +Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person +gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines +Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen +Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger +seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last +gelegt; und er selbst war freylich nicht der +<!-- pb n="416 " facs="#f0444"/ --> Mann, der durch schöne +Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte +empfehlen können. Seines Werths sich bewusst, fest +rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er +voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und +Marotten aussahen; war äusserst strenge gegen sich und dann +auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach +skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war +sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft als +sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke +verläugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein +Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige +Filzerey gezeigt haben, weggefahren seyn ohne einen Kreuzer +zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf +zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener +Art aufbewahrt. Diess ist nun gewiss wieder ein barockes +Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem Charakter als +prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von +wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln +und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen. +Aber man muss auch den Teufel nicht schwärzer machen als er +ist, und ich bin fest überzeugt, dass Suworow durchaus ein +ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine +starke Dose Excentricität hatte und mit der Welt im +Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im +öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weisst, +dass ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe und kannst +also in meinen Aeusserungen nichts als meine ehrliche +Meinung fin<!-- pb n="417 " facs="#f0445"/ -->den. +Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren +persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt +haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr +war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der +Humanität gegen den Helden des Tages Bonaparte, der auf +seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu +Tausenden nieder kartätschen liess.</p> + +<p>Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte +nur noch sechs Tausend Mann über den Berg hinüber nach +Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht eben so fürchterlich +gegen die Franzosen ausgefallen, wie nun gegen die Russen. +Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen +habe, gestehen das nehmliche ein und sagen, bloss die +Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen +Manövers am Unterrhein ging, sey die Ursache ihres Glücks +gewesen; und sie bekennen, dass sie im ganzen Kriege +meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben. +Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen +der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das +Zeugniss einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als +abscheulich geschildert hat. Das thut Partheygeist. Man +beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg +zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muss, da sie +selten Magazine bey sich haben und zusammen treiben was +möglich ist. Das geht einmal und zweymal; das drittemal muss +es gefährlich werden; welches die Schlauköpfe sehr wohl +wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr +subalterner Zweck. +<!-- pb n="418 " facs="#f0446"/ --> +Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und +nicht der ganzen Nation zuzurechnen.</p> + +<p>Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und diesseit +des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen. +Zwey Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also +denken, dass der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe +steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht +rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges +herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein +majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der +höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen +Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal +hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo +hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.</p> + +<p>In dem Wirthshause zu Ayrolles sass ein armer Teufel, der +sich leise beklagte, dass seine Börse ihm keine Suppe +erlaubte. Du kannst denken, dass ich ihm zur Suppe auch noch +ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal +die Schwachheit, dass es mir nicht schmeckt, wenn andere in +meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder +Schneider aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen +wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so +viel von der Theuerung und der Unsicherheit in Italien, dass +er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot +sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich +wollte auf seine Entschliessungen durchaus keinen Einfluss +haben, er müsste seine Umstände am besten wissen, ich wäre +gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt +<!-- pb n="419 " facs="#f0447"/ --> wieder zurück, und ich +trug kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu lassen. +Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny +rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr +schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern +Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch weiter hinauf +vor dem Schneegestöber durchaus nichts sehen; links und +rechts blickten die beschneyten Gipfel aus der Dunkelheit +des Sturms drohend herunter. Nach zwey starken Stunden +hatten wir uns auf die obere Fläche hinauf gearbeitet, wo +das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen +Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und +der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufgeschichtet; +das Wirthshaus ist ziemlich wieder hergestellt und man hat +schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muss eine +herkulische Arbeit gewesen seyn hier nur kleine +Artilleriestücke herauf zu bringen, und war wohl nur in den +wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt +auf dem Wege sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die +Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen +würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor den Nebel +kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den +Annalen der Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen, +dass man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauf +trug: <span class="italic">coelum ipsum petimus +stultitia</span>. Das Wasser auf der obersten Fläche des +Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es giesst sich rund +umher die Ausbeute des Regens und Schnee von den höchsten +Felsen in den See, +<!-- pb n="420 " facs="#f0448"/ --> aus dem sodann die +Flüsse nach mehrern Seiten hinabrauschen. Es müsste das +grösste Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander +Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit +der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen +um seine Füsse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder +umgürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluchten +stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern, von denen die +Flüsse nach allen Meeren herabrauschen, und das Haupt des +Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter +mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters +seyn: doch war die Veränderung so schnell, dass in einer +Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, +Regen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon wieder +durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt +hatte ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel, +durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücken herab. +Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich +links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die +Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, dass es eine +Teufelsparthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz +nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward das +Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in +den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee +gefüllt, und die Spitzen der Berge weiss. Mein Schneider von +Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der +nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch keine +Ahndung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An<!-- pb n="421 " facs="#f0449"/ -->fang +mit dem Bekenntniss, dass er in seinem ganzen Leben nicht +gearbeitet habe und nun in seinem acht und vierzigsten Jahre +nicht anfangen werde. — So so, das ist erbaulich; und +was hat Er denn gethan? — Ich habe gedient. — +Besser arbeiten als dienen. — Nun erzählte er mir, wo +er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine +Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte +die Boulewards besser als seine Hölle und hatte alle +Weinhäuser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte +versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann +Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und +zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die +Franzosen, die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt +hatten, weil sie die Nester zerstörten. Jetzt machte er +Miene mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen +Beyfall über seine ewige unstete Landläuferey nicht zu +erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl +besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu +halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da wir in +einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über +Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen +Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz +abbrannte, wird jetzt recht schön aber eben so unordentlich +wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr +Symetrie erlauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser +sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und konnte +nicht schnell genug den Weg in die Reuss finden, dass wir +eine Viertelstunde ziemlich bis an den +<!-- pb n="422 " facs="#f0450"/ --> Gürtel auf der Strasse +im Wasser waden mussten. Es war kein Ausweg. Gehts nicht, so +schwimmt man, dachte ich; und mein Schneider tornisterte +hinter mir her. Den Morgen nahm ich ein Boot herüber nach +Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den +Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt +rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht +weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, dass oben in +den Alpen ein beträchtlicher See von dem Wasser der noch +höhern Berge wäre, der hier herab flösse. Schade dass man +nicht Zeit hat hinauf zu klettern; die Parthie sieht von +unten aus schon sehr romantisch, und oben muss man eine der +herrlichsten Aussichten nach der Reuss und den +Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest +sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen +Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren +beklagten sich bitter, dass ihnen die Franzosen ihre +geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem +Wasser herab bis nach Luzern ist eine der schönsten; links +und rechts liegen die kleinen Kantone und höher die +Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht. +Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vorhof +der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter +der guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller, +die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die +Brücken und den Fluss beschaut hatte, ging ich zum General +Pfeiffer um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist +bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie +<!-- pb n="423 " facs="#f0451"/ --> wohl einige glauben. Der +Mann hat mit Liebe viel schöne Jahre seines Lebens daran +gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur +wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen +haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte +General zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wusste +durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des +Greises so zu gewinnen, dass er sich als seinen Schüler +ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird +allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in +den Bergen nicht so vortheilhaft gemacht haben ohne des +Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist +Schade, dass ihn die Jahre nicht erlauben das Uebrige zu +vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen +gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen, +die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben +Wege gemacht, die nur ihre Gemsenjäger vorher machten; +vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf +einmal überzeugt, dass die Schweiz bisher vorzüglich nur +durch die Eifersucht der grossen Nachbarn ihr politisches +Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in +das Murter Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt. +Die Katholicität scheint in Luzern sehr gemässigt und +freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich war noch, +dass mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe hier im +See zwey und dreyssig Sorten Forellen, so dass man also bey +der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. +Diejenigen welche man mir gab hätten einen Apicius in +<!-- pb n="424 " facs="#f0452"/ --> +Entzücken setzen können, und ich rathe Dir, wenn +Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten, +wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden +solltest.</p> + +<p>Von Luzern liess ich mich auf dem Wasser wieder zurück +rudern, durch die Bucht links, ging über den kleinen +Bergrücken herab an den Zuger See, setzte mich wieder ein +und liess mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas frömmer +gewesen, so wäre ich zur heiligen Mutter von Einsiedel +gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beyden Seen +steht die bekannte andere Kapelle Tells mit der schönen +Poesie. Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich +fürchte, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer noch +die Alten wären, würden sie sich doch in diesen Konjunkturen +schwerlich retten. Man nimmt die grösseren fruchtbaren +Kantons und lässt die Alpenjäger jagen und hungern; sie +werden schon kommen und bitten. Bloss die Eifersucht gegen +Oestreich gab der Schweiz Existenz und Dauer.</p> + +<p>Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf +den Rücken. Der Schneider sah einige Minuten verblüfft, +brummte und bemerkte sodann, ich müsse doch sehr furchtsam +seyn, dass ich ihm meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle. +Ich machte ihm begreiflich, dass hier zwischen Zug und +Zürich gar nichts zu fürchten sey, dass mich allenfalls mein +Knotenstock gegen ihn schütze, dass ich ihm aber keine +Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft sey +mir auch zu theuer, er sey unbescheiden und fast +unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezah<!-- pb n="425 " facs="#f0453"/ -->len. +Nun erzählte ich ihm, dass ich in Luzern für meine eigene +Rechnung vier und dreyssig Batzen und für die seinige sechs +und dreyssig bezahlt habe; das konveniere mir nicht. Er +entschuldigte sich, er habe einen Landsmann gefunden und mit +ihm etwas getrunken, und der Wirth habe zu viel +angeschrieben. Vielleicht ist beydes, sagte ich, Er hat zu +viel getrunken und jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir +das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht wahrscheinlich +vorkommt: aber, mein Freund, Er hat wahrscheinlich der +Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich zahle gern eine +Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber ich +lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen. Er verliess mich +indessen doch nicht, wir wandelten zusammen den Albis hinauf +und herab, setzten uns unten in ein Boot und liessen uns +über den See herab nach Zürich fahren, wo ich dem Sünder +einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn laufen liess. Er +wird indessen beydes schon oft umsonst bekommen haben.</p> + +<p>Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden +und könnte bald bey Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas +links abgehen wollte. In Zürich möchte ich wohl leben: das +Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl gefallen. Ich +trug einen Brief aus Rom zu Madam Gessner, der Wittwe des +liebenswürdigen Dichters, und ging von ihr hinaus an das +Monument, das die patriotische Freundschaft dem ersten +Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem +Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätzchen ist +idyllisch schön und ganz in dem Geiste des +<!-- pb n="426 " facs="#f0454"/ --> Mannes, den man ehren +wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat die edle +Einfalt nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde. +Akazien, Platanen, Silberpappeln und Trauerweiden umgeben +den heiligen Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf die +Schlachtgegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen, +wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten. Ich +verschone Dich mit Beschreibungen; die Du in vielen Büchern +vielleicht besser findest. Eine eigene Erscheinung war es +mir hier, dass bey Vidierung des Passes zwey Batzen bezahlt +werden mussten. Ich möchte wohl wissen wie man dieses mit +liberaler Humanität oder nur mit Rechtlichkeit in +Uebereinstimmung wollte.</p> + +<p>Nun erlaube mir noch fragmentarisch etwas über meinen +Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen. Du hast aus +meiner Erzählung gesehen, dass es jetzt wirklich traurig +dort aussieht; vielleicht trauriger als es je war. Ich bin +gewissenhaft gewesen und jedes Wort ist Wahrheit, so weit +man historische Wahrheit verbürgen kann. Dass Brydone in +Sicilien gewesen ist, bezweifelt niemand; aber viele haben +vieles gegen seine schönen Erzählungen. So viel weiss ich, +dass in Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und +Syrakus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Barthels +ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfahren. Mehrere +Augen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre +Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, dass er seiner +poetischen Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über +die Insel von den Neuern sind wohl Barthels und Münter. +Dorville habe ich fast +<!-- pb n="427 " facs="#f0455"/ --> +durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem +Fluge habe bemerken können.</p> + +<p>Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten +Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach +Neapel gehen soll, hält den Weg immer für gefährlicher als +einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war +sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner +völligen Resignation, dass er noch lebte. Ich könnte +sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr +machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes. +Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört +haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel +aufzuweisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten, +haben die royalistischen Lazaronen und Kalabresen in Neapel +zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten +Sinne die Menschen lebendig gebraten, Stücken abgeschnitten +und ihre Freunde gezwungen davon zu essen; der andern +schändlichen Abscheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein +wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit +einer Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und +Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer +derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit +und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Missbilligung zu +zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das +ist unter Ruffo geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch +hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von +Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die +Exgemahlin Hamiltons, liessen im Namen der Regierung +<!-- pb n="428 " facs="#f0456"/ --> die Kapitulation +kassieren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese +Weise kann man alles was heilig ist niederreissen. Man nennt +den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit +Abscheu und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In +Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist +begreiflich. Bildung ist nicht, und das Bisschen +Christenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der +Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Revolution; +die Halbwilden trauten und wurden verrathen. Ruffo kam im +Namen des Königs und versprach; die Betrogenen folgten und +wütheten unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in +der Hauptstadt. Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger +betrogen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie +Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn; +schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und der Insel +zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen: +diese haben einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold +wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen denken. +Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich +habe die meisten Städte des Reichs gesehen, und nach meinem +Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen. +Die sogenannten Patrioten schreyen über Verrätherey der +Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung. +Mässigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit +fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wieder +reformieren und behaupten, sagte mir ein eben nicht +zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute +<!-- pb n="429 " facs="#f0457"/ --> wurden gezwungen der +Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach +wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses +Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen +erzählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem +Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer +gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel, die Gemüther +noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge +nöthig wäre, und grausam, wo weise Mässigung frommen würde. +In Sicilien treibt das Feudalsystem in den grässlichsten +Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte +der Insel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuss +lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbeiten +lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und +geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein +Beyspielchen von den Lazaronen in Neapel gehört. Es kam ein +Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung +des Königs. Unter andern wurde ein grosser schöner Maulesel +ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich +gedrängt umher. <span class="italic">Kischt' è il primo +minischtro</span>, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die +ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel +ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde +machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter +Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt +täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An +Manufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und +Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich +Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war +<!-- pb n="430 " facs="#f0458"/ --> nichts einheimisches zu +finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden +Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Strassen ganz +laut, der Minister verkaufe als Halbbritte die Nation an die +Engländer. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die +öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der +Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und +Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind empörend. Der König ist +ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind +es auch, ohne Könige zu seyn. In der Revolution wurde eine +Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal +verurtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau +appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so +weit, dass sie zur endlichen Entscheidung ihres Schicksals +nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer +Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die +strengen Strafprediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach +Neapel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie +erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem +Blutgerüste. Das ist verhältnissmässig eben so schlimm als +die eingesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und +Umstände und den ganzen Prozess wiederholt genannt.</p> + +<p>Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen warten, und +dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000 +neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt +Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich +weiss nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat? +Jener handelt nicht als Kö<!-- pb n="431 " facs="#f0459"/ -->nig +und dieser nicht als Republikaner. Anders that Fabricius. +Die Räuber streifen aus einer Provinz in die andere, und +plündern und morden, o ne dass die Justiz weiter darnach +fragt. Man lässt die Leute so gut und so schlecht seyn als +sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der +Guten, zumal bey solchen Vernachlässigungen: so ist die +Unordnung leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes +hilft dem Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und +Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung keine +Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine +militärische Patrouille gesehen, aber Haufen Bewaffnete bis +zu fünf und zwanzig. Diese sollen Polizey seyn; aber sie +tragen kein Abzeichen, sind nicht zu finden, und alle +ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.</p> + +<p>Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drey Partheyen +bemerkt; die Parthey des Königs und der jetzigen Regierung, +zu welcher alle Anhänger des Königs und des Ministers +gehören: die Parthey des Kronprinzen, von dem man sich ohne +vielen Grund etwas besseres verspricht: und die Parthey der +Malkontenten, die keine Hoffnung vom Vater und Sohn haben, +und glauben, keine Veränderung könne schlimmer werden. Die +letzte scheint die stärkste zu seyn, weiss aber nun, da sie +von den Franzosen gänzlich verlassen worden ist, in der +Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichtspunkt nehmen +soll.</p> + +<p>In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der +Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des +Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizey werden schon +<!-- pb n="432 " facs="#f0460"/ --> folgen, so weit sie sich +mit beyden vertragen können. Die Mönche glänzen von Fett und +segnen ihren Heiland Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt, +oder flucht und raubt, nachdem es mehr Energie oder fromme +Eselsgeduld hat. Es wird schon besser werden, so viel es das +System leidet.</p> + +<p>In Hetrurien weiss man sich vor Erstaunen über alle die +Veränderungen zu Hause und auswärts noch nicht zu fassen. +Die Meisten, da die Menschen nun doch einmal beherrscht seyn +müssen, wünschen sich das sanfte östreichische Joch, wie es +unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch +wohl laut über die Anmasslichkeit des römischen Hofes und +die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen +Polypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits der +Berge.</p> + +<p>Die italische Republik windet sich, trotz den +Eigenmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen ihrer +Herren Nachbarn, nach und nach aus der tausendjährigen +Lethargie. Hier war an einigen Orten viel vorgearbeitet: +aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas +humaner. Das Päpstliche diesseits der Apenninen scheint +indessen nie so tief gesunken zu seyn, als in der Nähe des +Heiligthums. Alles liegt noch im Werden und in der Krise. +Die grossen Städte klagen über Verlust, aber das platte Land +hebt sich doch merklich. Das lässt sich wieder sehr leicht +erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land +verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch noch +kosmisch gut ist.</p> + +<p>Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Ita<!-- pb n="433 " facs="#f0461"/ -->lien +gut betragen, so wie man ihnen das nehmliche Zeugniss auch +wohl in Deutschland nicht versagen kann. Man erzählt +Beyspiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem humanen +Zuhörer ausserordentlich wohl thun, und seine sympathetische +Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen +zeigt. Einzelne Generale, Kommissäre und Offiziere machen +oft grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat als +Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mich däucht +der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bey +einem grossen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel, +deren Richtigkeit ich mir nicht abstreiten lasse. Wer in dem +Dienst des Staats reich wird, kann kein Mann von edelm +Charakter seyn. Jeder Staat besoldet seine Diener nur so, +dass sie anständig leben und höchstens einen +Sichherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann +es auf eine ehrenvolle Weise durchaus keiner bringen. Es +giebt nach meiner Meinung nur zwey rechtliche Wege zum +Reichthum, nehmlich Handel und Oekonomie; einige wenige +Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdiener zugleich +Handelsmann, so hört er eben dadurch auf einem wichtigen +Posten gut vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das +unselige Privilegium die Nationen zu betrügen, weil man +ihnen unmöglich alles genau durchschauen kann; und die +französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben. +Revoltierend für mich ist es gewesen, wenn ich hörte, dass +viele französische Offiziere frey durch alle Provinzen +reisten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Charakter +für sich und ihre Begleitung eine Menge Pfer<!-- pb n="434 " +facs="#f0462"/ -->de zahlen liessen und doch allein gingen +und knickerisch nur zwey nahmen, und das Geld für die +übrigen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum noch +Brot hatte, musste bey dergleichen Gelegenheiten +exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammen bringen, +um den fremden so genannten republikanischen Wohlthäter zu +bezahlen. Das nenne ich Völkerbeglückung! Man muss bekennen, +dass die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit +fluchten; aber sie geschahe doch oft. Wo Murat als General +kommandirt, fällt so etwas nicht auf; Moreau würde seine +Nation von einem solchen Schandflecken zu retten wissen. So +viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Soldaten und +Unteroffiziere gesehen habe, und ich bin manche Meile in +ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie alle gesittet, +artig, bescheiden und sehr unterrichtet gefunden. Sie +urtheilten meistens mit Bündigkeit und Bestimmtheit und +äusserten durchaus ein so feines Gefühl, dass es mir immer +ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das alte +vornehme Zotenreissen im Fluchen ist sehr selten geworden, +und sie sprechen über militärische Dispositionen mit einer +solchen Klugheit und zugleich mit einem solchen +Subordinationsgeist, dass sich nur ein schlechter Offizier +andere Soldaten wünschen könnte.</p> + +<p>In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach +Syrakus und zurück an den Zürcher See, wenn er auch nur +flüchtig ist, mit vielen angenehmen Erscheinungen verbunden. +Auf der Insel ist das lieblichste Gemisch des Reichthums +aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung gewinnen +kann; Oran<!-- pb n="435 " facs="#f0463"/ -->gen aller +Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische und gemeine, +Kastanien, Wein, Weitzen, Reiss. Bey Neapel werden die +indischen Feigen, die Karuben und Pahnen schon selten; +diesseits der Pontinen die Orangen; diesseits der Apenninen +Oel und Feigen. Die südliche Seite des Bergs von Florenz aus +hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beym Herabsteigen +nach Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind +Kastanienwälder. In der Lombardey ist der Trieb üppig an +Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr nördlich. Ein +einziger Weinstock macht noch eine grosse Laube, und auf +einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen, +welche Blätter pflückten: aber ein Oelbaum ist schon eine +Seltenheit. Die südlichen Seiten der Alpenberge geben durch +ihre Lage hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs, +und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten, +Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, indische +Feigen. Am Ticino herauf trifft man noch Kastanien die Menge +und sehr schöne und grosse Bäume, und bis Ayrolles wächst +gutes Getreide. Dann hört nach und nach die Vegetation auf. +An der Reuss diesseits kann man weit tiefer herab gehen, ehe +sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als +Ayrolles und man hat dort noch nichts von Getreide. +Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur +höchst selten, und der Nussbaum nimmt ihre Stelle ein. +Weiter herab ist alles vaterländisch.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/35-paris.html b/OEBPS/Text/35-paris.html new file mode 100644 index 0000000..6b28fab --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/35-paris.html @@ -0,0 +1,316 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Paris</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[436]" facs="#f0464"/ --> + +<div class="chapter" id="Paris"> +<div class="dateline"><span class="right">Paris.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Zürich hierher ist ein +hübsches Stück Weges, und ich schreibe Dir davon so wenig +als möglich, weil alles ziemlich bekannt ist. Einige Freunde +begleiteten mich den 24sten Juny ein Stündchen von Zürich +aus, und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter. +Bey Eglisau begrüsste ich das erste Mal den herrlichen Rhein +und ging von da nach Schafhausen, bloss um den Fall zu +sehen. Er hat an Masse freylich weit mehr als der Velino; +aber ich wäre sehr verlegen, welchen ich die grösste +malerische Schönheit zugestehen sollte. Dort ist die Natur +noch grösser als hier und der Sturz noch weit furchtbarer. +Mich däucht, ich habe gehört, ein Engländer habe versucht +den Fall herunter zu fahren: und ich glaube, die +Donquischotterie ist allerdings nicht unmöglich, wenn der +Fluss voll ist. Bey kleinem Wasser würde man unfehlbar +zerschmettert. Nur müsste die Seite von Laufen gewählt +werden; denn die von Schafhausen würde ziemlich gewisser Tod +seyn. Ich sage nicht, dass man nicht auf der Unternehmung +umkommen könne: aber gesetzt ich würde auf der Seite von +Laufen oben verfolgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich +kein Bedenken tragen mich in einem guten Boot den Fall hinab +zu wagen und würde meine Rettung nicht ganz unwahrscheinlich +finden. In der Krone in Schafhausen war sehr gute +Gesellschaft von Kaufleuten, Kommissären und Engländern.</p> + +<p>Den 25sten stach ich in das Breisgau herüber. +<!-- pb n="437 " facs="#f0465"/ --> Laufenburg, wo ich die +Nacht blieb, ist ein ärmlicher Ort, wo der Rhein einen +zweyten kleinern nicht so gefährlichen Fall bildet: doch ist +auch dieser Schuss zwischen den Felsen sehr malerisch. +Weiter hin stehen in den Dörfern noch Franzosen bis zum +Austrag der Sache, und die Einwohner sind in Verzweiflung +über den Druck von allen Seiten. Bloss unsere geringe Anzahl +verhindert uns, sagte man mir laut, gewaltsame Mittel zu +unserer Befreyung zu versuchen. Die Franzosen müssen hier +sehr schlechte abscheuliche Mannszucht halten: denn ich habe +wiederholt erzählen hören, dass sie durchreisende Weiber mit +Gewalt hinauf in den Wald zur Misshandlung schleppen. An den +eingebohrnen wagen sie sich nicht zu vergreifen, weil sie +unfehlbar todtgeschlagen würden, es entstände daraus was +wolle: diese Unordnungen fürchten sie doch. Jeder +Einquartierte muss täglich zwey Pfund Brot, ein Pfund +Fleisch und eine Flasche Wein erhalten. Seit einiger Zeit +müssen die Wirthe für den Wein zehn Kreuzer täglich +bezahlen: dafür werden dem Soldaten Kittel angeschafft. Da +ist denn doch die grosse Nation verächtlich klein. Das ist +heute den 26sten Juny unseres Jahres 1802; und der +Kommandant der Truppen mag seine Ehre retten, wenn er kann: +ich sage was ich vielfältig gehört habe.</p> + +<p>Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus schön, und +besonders bey Rheinfelden. In Basel am Thore lud man mich +zum Kriegsdienst der Spanier ein, die hier für junges Volk +von allen Nationen freye Werbung hatten, ausgenommen die +Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich +<!-- pb n="438 " facs="#f0466"/ --> gleich die +Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn es zeigt wenigstens, +ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beissen und mit +schlagen könne. Im Wilden Manne war die Gesellschaft an des +Wirthstafel ziemlich zahlreich und sehr artig. Der +französische Kommandant, zu dem ich wegen meines Passes +ging, war freundlich und höflich. Der preussische Pass war +in Mailand revidiert worden, und der General Charpentier +hatte daselbst bloss darauf geschrieben, dass er durch die +Schweiz nach Paris gültig sey. In Basel wies man mich damit +an den ersten Gränzposten, ungefähr noch eine Stunde vor der +Stadt. Als ich dort ankam, sahe der Offizier nur flüchtig +hinein, gab ihn zurück und sagte: <span class="italic">Vous +etes bien en regle. Bon voyage!</span> und seitdem bin ich +nirgends mehr darnach gefragt worden. So wie ich in das +französische Gebiet trat, war alles merklich wohlfeiler und +man war durchaus höflicher und billiger. In einem Dorfe +nicht weit von Belfort hielt ich eine herrliche +Mittagsmahlzeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht, +Braten, zweyerley Desert und gutem Wein und zahlte dafür +dreyssig Sols. Dafür hätte ich jenseit der Alpen wenigstens +dreymal so viel bezahlen müssen. Den nehmlichen Abend, vier +Meilen von Basel, zahlte ich für ein recht gutes Quartier +mit Zehrung nur sechs und vierzig Sols. So ging es +verhältnissmässig immer fort; und auch nicht viel theurer +ist es in Paris. Mir thut die Humanität und das allgemeine +Wohlbefinden besser als der wohlfeile Preis. Man spricht +dort noch etwas deutsch und Leute von Erziehung bemühen sich +beyde Sprachen richtig und angenehm zu reden. Das +<!-- pb n="439 " facs="#f0467"/ --> Dorf war ziemlich gross +und als ich gegen Abend noch einen Gang an den Gärten und +Wiesen hin machte, hörte ich in der Ferne an einem kleinen +buschigen Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir +in ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam hörte +ich eine schöne einfache ländliche Melodie zu einem +deutschen Texte, den ich für ein Gedicht von Matthison +hielt. Die Sängerinnen waren drey Mädchen, die man wohl in +der schönen Abendröthe für Grazien hätte nehmen können. Die +Zuhörer mehrten sich und ich war so heimisch, als ob ich an +den Ufern der Saale gesessen hätte.</p> + +<p>Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon +herunter. Es war ein Vergnügen zu wandeln; überall sahe man +Fleiss und zuweilen auch Wohlstand. Wenigstens war nirgends +der drückende Mangel und die exorbitante Theurung, die man +jenseits der Alpen fand: und doch hatte hier die Revolution +gewüthet und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein +Waffenplatz als eine Festung. Wenigstens würde bey einer +Belagerung die Stadt bald zu Grunde gehen und der Ort sich +kaum halten. In Auxonne wurden alle Festungswerke +niedergerissen, und jedermann ging und ritt und fuhr +ungehindert und ungefragt aus und ein. Das fand ich selbst +gegen die Schweiz sehr liberal. Einen Abend blieb ich in +Genlis, dem Gute der bekannten Schriftstellerin. Die +Besitzung ist sehr nett, aber sehr bescheiden; und die Dame +wird trotz allem was ihre Feinde von ihr sagen hier sehr +geliebt.</p> + +<p>Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und rund um die +Stadt einen ziemlich angenehmen Spa<!-- pb n="440 " facs="#f0468"/ -->ziergang. +Der Ort empfindet die Folgen der Revolution vor allen +übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute +wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer +Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königlich zu seyn. +Mein Wirth, der sehr höflich mit mir herum lief, erzählte +mir in langen Klagen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer +Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so +viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in den +Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat +freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel +der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu +machen: diese können allerdings bey keiner vernünftigern +Einrichtung gewinnen. Alle grosse Städte, die nicht auf +Handel, Fabriken und Industrie beruhen, die Kapitale +ausgenommen, müssen durch die Veränderung nothwendig +verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die +reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst +verzehren. Der Park des Prinzen Condé vor dem Petersthore +ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belustigungsort. Im +Ganzen ist die Stadt sehr todt.</p> + +<p>Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiss ward, +mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort mit der +Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mittelstadt, aber +ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhafter als Dijon. Zum +Friedensfeste hatte man an dem Boulewardskoffee der Hebe +einen Tempel aufgeführt, der der franzö ischen Kunst eben +keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die +Bewirthung gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der +alten +<!-- pb n="441 " facs="#f0469"/ --> ächt französischen +Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in die Gartenlaube und +hielt mir bey Gelegenheit der Bezahlung einen langen +Unterricht über den Geldkurs, und gab mir Warnungen, damit +ich als Fremder mit der Münze nicht betrogen würde; welches +indessen zur Ehre der Nation nur sehr selten geschehen ist. +In Italien war der Fall häufiger, und auch in der +Schweiz.</p> + +<p>Die Gesellschaft in der Diligence war besser als der +einsylbige Kourier von Dijon. Ein alter General von der +alten Regierung, ein fremder Edelmann aus der Schweiz, ein +Landpfarrer der zugleich Mediciner war, ein Kaufmann ehmals +Adjutant des General Lecourbe, ein Gelehrter von Auxerres, +der vorzüglich in der Oekonomie stark zu seyn schien und +einige andere Unbekannte machten eine sehr bunte +Konversation. Ich sass zwischen dem Geistlichen und dem +Gelehrten im Fond, und vor mir der General auf dem +Mittelsitze. Der General hatte ehemals in Domingo +kommandiert, wäre fast bey seiner Rückkehr in Brest +guillottiniert worden, und nur die Intervention vieler +angesehener Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner +politischen Orthodoxie in der damaligen Zeit das beste +Zeugniss gaben. Der Geistliche war ausgewandert gewesen und +hatte als Arzt einige Zeit auf der Gränze gelebt, war aber +mit vieler Klugheit zu rechter Zeit zurückgekommen und hatte +seitdem nach dem Winde laviert. Jetzt zeigte er nun wieder +mehr seinen eigentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen +Kenntnissen und vielem Scharfsinn und vieler Verbindung mit +den ehemaligen Grossen; also allerdings kein Plattkopf, +sondern ein Spitzkopf.</p> + +<!-- pb n="442 " facs="#f0470"/ --> +<p>Er erzählte, als ob das so seyn müsste, eine Menge +heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in seinem eigenen +Munde zwar unterhaltend aber eben nicht salbungsreich waren. +So war er bey Sens einmal als falscher Bischof gereist und +hatte falsche Offizialien gehalten, und man hatte sich fast +todt gelacht als er den Spass entdeckte. Ein andermal hatte +er einst als Chorschüler gesehen, dass ein Bauer seinem +Beichtvater einen grossen schönen Karpfen brachte und ihn +unterdessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der +Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte seine +grosse Freude, als der absolvierte Bauer kam und in und +unter dem Weihkessel umsonst den eingesetzten Karpfen +suchte, um ihn nun in die Küche des geistlichen Herrn +abzuliefern. Dergleichen Schnurren hatte er zu Dutzenden, +und erzählte sie besser als ich. Noch eine Drolerie +zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte. +Es lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen +Gütern und war als sehr guter Haushalter bekannt. Einst +kommt ein Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet, +er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun, seyd Ihr denn +sein Peruckenmacher? fragte der Beichtvater. — Nein; +ich habe sie ihm nur so gekämmt. — Das sind Possen; +die könnt ihr künftig bleiben lassen: was gehn Euch des +Kanzlers Perücken an. — Dieser geht mit der Absolution +fort und ein anderer kommt und beichtet, er habe dem Kanzler +die Perücke gekämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche +Verweis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter mit +der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen +<!-- pb n="443 " facs="#f0471"/ --> Herrn plötzlich auf, es +müsse eine ganz eigene Kämmerey seyn. Die Vorhergehenden +hielten in der Kirche noch etwas +Andacht; <span class="italic">écoutés +donc</span>, <span class="italic">Messieurs les +perruquiers</span>, ruft er ihnen +zu, <span class="italic">venés encore un peu ici</span>; +<span class="italic">il y a encore à peigner</span>. Was hat +das für eine Bewandtniss mit der Perücke? Nun erklärte denn +das beichtende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne +Heuschober draussen auf der Wiese stehen, und sie gingen +zuweilen mit dem Rechen hinaus und zögen rund herum +bedächtig herunter, dass es niemand merkte: das nennten sie +des Kanzlers Perücke kämmen. Die neue Manier die Perücke zu +behandeln wurde also nun scharf gerügt, untersagt und schwer +verpönt.</p> + +<p>Nung fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu erzählen, +was die heiligen Reliquien hier und da in der Nachbarschaft +von Paris wieder für Wunder thäten, und dem Himmel zu +danken, dass man endlich wieder anfange an die +allerheiligste Religion zu denken und sie nun wieder wagen +dürfe, ihr Haupt empor zu heben. Er erzählte wenigstens ein +halbes Dutzend ganz nagelneue Wunder, von denen ich +natürlich keins behalten habe. Er selbst hatte mit heissem +heiligen Eifer <span class="italic">un abregé precis sur la +verité de la religion chrétienne</span> geschrieben, so +hiess glaube ich der Titel, und das Buch dem Kardinal +Kaprara zugeschickt. Nach dem Tone zu urtheilen, kann ich +mir die Gründe denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte, +ein schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufgemuntert, +in seinem Eifer muthig fort zu fahren. Einen komplettern +Beweis für die Wahrheit in dem Buche kann man nun füglich +nicht verlangen, als das Urtheil und den Stempel des +Kardinals Kaprara.</p> + +<!-- pb n="444 " facs="#f0472"/ --> +<p>Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die Ceremonien +und Feyerlichkeiten des Hofs beschrieben und nicht ganz +leise hingedeutet, dass man die glückliche Rückkehr +derselben bald hoffe. Der geistliche Herr, der den Sprecher +machte und wirklich gut sprach, erhob nun vorzüglich die +Mätressen der Könige von Frankreich, von der schönen +Gabriele bis zur Pompadour und weiter herunter. Es wurde +dabey das Ehrengesetz der Galanterie nicht +vergessen: <span class="italic">Les rois ne font que des +princes, les princes font des nobles et les nobles des +roturiers</span>. Er behauptete aus gar nicht unscheinbaren +Gründen, dass alle diese Damen sehr gutmüthige Geschöpfe +gewesen, und ich bin selbst der Meinung, dass sie dem Reiche +weit weniger Schaden zugefügt haben als die Minister und die +Könige selbst, deren Schwachheiten gegen beyde oft unerhört +waren. Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr +orthodoxen Geistlichen etwas drollig. Gegen Bonaparte hatte +er weiter nichts, als dass er zu schnell gehe, dass man aber +von dem grossen Manne noch nicht urtheilen dürfe. Da hatte +ich denn freylich gesündigt; denn ich hatte nun leider +einmal geurtheilt. Das Urtheil über öffentliche Männer, es +mag wahr oder falsch seyn, kommt nie zu früh, aber oft zu +spät. Mit frommer Andacht meinte er +noch, <span class="italic">que Bonaparte seroit le plus +grand homme de l'univers et de toute l'histoire, s'il +mettoit en se retirant le vrai rejetton sur le throne</span>. +Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem geheimen +Rath machen. Das alles wurde ohne viele Vorsicht öffentlich +in der Diligence geäussert: Du siehst, dass sich die Fahne +sehr gedreht hat. Man sagte laut, +<!-- pb n="445 " facs="#f0473"/ --> dass die Mehrheit den +König wünsche, und ihre Zuchtmeister mögen ihnen wohl den +Wunsch ausgepresst haben. Die Generale nannte man +nur <span class="italic">les mangeurs de la +republique,</span> und das ohne Zweifel mit +Recht<span class="italic">.</span></p> + +<p>Unter diesen und andern Ventilationen kamen wir den 6sten +July in Paris an, wo man mich in das +<span class="italic">Hotel du Nord</span> in der Strasse +Quincampoi brachte, wo, wie ich höre, der berüchtigte Law +ehemals sein Wesen oder Unwesen trieb. Das war mir zu +entfernt von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein +erster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen. Ich fand mit der +Addresse sogleich sein Haus und hörte zu meinem grossen +Leidwesen, dass er vor sieben Tagen schon abgereist war. +Seine Stube war noch leer, der Kolonnade des Louvers gegen +über; ich zog also wenigstens in seine Stube: und aus dieser +schreibe ich Dir, in der Hoffnung Dich bald selbst wieder zu +sehen; denn meine Börse wird mich bald genug erinnern die +väterlichen Laren zu suchen.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/36-paris.html b/OEBPS/Text/36-paris.html new file mode 100644 index 0000000..9030192 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/36-paris.html @@ -0,0 +1,753 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Paris</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[446]" facs="#f0474"/ --> + +<div class="chapter" id="Paris2"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Paris</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">E</span>s würde anmasslich seyn, +wenn ich Dir eine grosse Abhandlung über Paris schreiben +wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein +Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin +nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder +fertig abzusegeln.</p> + +<p>Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein +Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs +Dreyer. Ich habe nicht das Introduktionstalent und im +Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten grossen +Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die +ihrige und ist des Willkommens selten gewiss; trifft sie +vielleicht selten zur schönen Stunde, und hätte mehr von +ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder +ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist +der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht +Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht +auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt +vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er +solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem +Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch +übertreffen; und man bedenkt nicht, dass das Buch die +Quintessenz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und dass +die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen +gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnoth +seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam, +<!-- pb n="447 " facs="#f0475"/ --> +und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen +glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag +besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber dieses kann +nicht zur Regel dienen.</p> + +<p>Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden +hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen +Namen genannt und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich +bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch +ohne diess freundlich aufgenommen worden seyn. Millin ist +für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris +besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine grosse +Peripherie von Kenntnissen, die ächte französische +Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen +Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität. +Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen Zimmern +zu arbeiten und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn +oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf +der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und +eine beyspiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Dass in der +öffentlichen Gerechtigkeit grosse Lücken sind, ist bekannt, +und dass ihre gepriesene Freiheit täglich presshafter wird, +leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein +Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte hatte dem +Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen Russischen +Goldmünzen gemacht: der Werth muss beträchtlich gewesen +seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die +Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen +Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber +dess<!-- pb n="448 " facs="#f0476"/ -->wegen sind sie +nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. +— Sie sind nicht da. — Aber sie sollten da seyn. +— Freylich. — Wer hat denn die Besorgung gehabt? +— Man schwieg. — Der Kommissär muss doch bekannt +seyn. Man antwortete nicht. — Warum untersucht man die +Sache nicht? — Man zuckte die Schultern. — Aber +das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit +und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu +fragen befugt ist. — Wenn die Herren an der Spitze, +sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn +müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen; +wer will es wagen? — Wagen, wagen! brummte ich; so so, +das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte +und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und +es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der +nur so eine Aeusserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, +ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine +Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung +verirrt man sich, oder vielmehr sucht andere zu +verwirren.</p> + +<p>In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und +Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem +chinesischen Werke. Ich liess mir den Plutarch von Sankt +Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen +zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir +sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von +Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich +alles vorgezogen ist. In der Kupferstich<!-- pb n="449 " facs="#f0477"/ -->sammlung +hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von +Raphaels Psyche aus der Farnesine; aber sie gewährt kein +ausserordentlich grosses Vergnügen, wenn man das Original +noch in ganz frischem Andenken hat.</p> + +<p>Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louver kam, war +zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen +Sammlung der Abgüsse und in Florenz bey der schönen Kopie +des Biondelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort +nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sey so im Original; +und das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte den +alten grossen Künstler eines Fehlers. Die Sache war, das +linke Bein, um welches sich an der Wade mit grosser Gewalt +die Schlange windet, war im Abguss und in der Marmorkopie +gar nicht eingedrückt. Ich weiss wohl, dass die grosse +Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern +muss: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und +auf dem Kunstwerk ist, musste mit ihrer ganzen Kraft der +Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier +sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war +an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte +die Stücke zusammen gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der +Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. +Beym Abguss und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet +zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich +gemacht, als ob sie durch einen seidenen Strumpf gezogen +würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und +Beurtheilung; mir kommt +<!-- pb n="450 " facs="#f0478"/ --> +es vor, als ob die so verschönerte Wade desswegen +nicht schöner wäre.</p> + +<p>Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, +zum Nero dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl +für sich, dass Nero in dieser Gestalt existiert haben könne; +es kommt darauf an, dass man beweise, er sey es wirklich. Es +wäre Schade um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn +seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt +haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige +seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey, die hohen +Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf, +nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht +haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben, +den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die +Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen +könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige +Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und +vor allen die beyden Brutus, die man links am Fenster in ein +ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht +der Fall ist: denn die meisten Kunstwerke, selbst der +Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich +bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und +rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu +den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich +gestehe Dir meine Schwachheit, dass ich lieber +Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter den Idealen +finde ich mehr Portraite und Geschichte, als die Künstler +vielleicht zugestehen wollen.</p> + +<!-- pb n="451 " facs="#f0479"/ --> +<p>Die Gemäldesammlung oben ist verhältnissmässig noch +reicher und kostbarer als der Antikensaal unten: ber die +Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch ehlerhafter. +Wenig Stücke, ausgenommen der grosse Vordersaal, haben ein +gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bey Madonna +Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter +den Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht +gesehen. Dafür war ich glücklich den Saal der Zeichnungen +offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, dass Schnorr nicht +mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen Element +gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle +Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner +Schule, mich däucht, fast so gross wie das Gemälde selbst. +Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige +wenige Veränderungen gemacht. Ich genoss und liess die +Andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates +und Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah ich +auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische +Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich +auch durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Dass die +eine Inschrift Δεπας +heisst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die +Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des +Gegenstandes; denn man könnte aus den Zügen eben so gut +Κοϱαϰας als +Πεπαυσο +machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch +nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine +Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluss +darüber.</p> + +<!-- pb n="452 " facs="#f0480"/ --> +<p>Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris +so viel problematisches über seinen Charakter, dass mir die +Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem +kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht +ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir +leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich +hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was +ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll. +Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künstler +auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle. +Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines +Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches +Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und +ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die +Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der +weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des +Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese +Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt +entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die +Verwaisung seines Hauses. Diess ist nach meiner Meinung die +ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte +und kann, so viel ich weiss, nach der Geschichte nicht +darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die +Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols +Entre gezeigt werden. Ich weiss nicht ob David es nöthig +hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht +weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt, +weil mich sein Sohn führte. Es +<!-- pb n="453 " facs="#f0481"/ --> thut mir in seine und +jedes guten Franzosen Seele leid, dass die Kunst hier so +sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich, +da ich im Ganzen der Meinung der andern deutschen +Beurtheiler bin.</p> + +<p>In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um +zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten, +als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles +unentgeltlich und überall war zuvorkommende Gefälligkeit: in +Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die +Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem +Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber +murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den +ehemaligen Zimmern des Königs dreyssig Sols; dafür war er +nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle +Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung +der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett +ist sehr artig und enthält mehrere Kuriositäten, muss aber +freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den +botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene +Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine +Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des +Erdbodens. Darunter stand auch noch das Kreuz, und mich +wundert, dass man es nach Abschliessung des Konkordats noch +nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst +durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf +den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und +es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr +durch Geschichtsbe<!-- pb n="454 " facs="#f0482"/ -->ziehung +interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie +wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist +wohl wahrscheinlich, was man sagt, dass Bäume dabey sind, +die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben. +Die Parthien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön, +als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche +unstreitig von allen am meisten durch die Revolution +verloren haben und bey denen das monarchische Wesen +vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, dass +der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht +gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und +ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn +sie vom Grosskonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen +Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist +er absoluter und despotischer als irgend ein König von +Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglücklichen +Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.</p> + +<p>Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, +der der grossen Nation mit zehnfachem Wucher zurück giebt, +was die grosse Nation seine kleine seit langer Zeit hatte +empfinden lassen. Es war der vierzehnte July und ein grosses +Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm +herzog. Früh hielt er grosse Parade auf dem Hofe der +Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter +in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher +Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu +sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den +schönsten Männern, die man an Ei<!-- pb n="455 " facs="#f0483"/ -->nem +Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir in den +französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will, +immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind +mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen +Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden. +Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber nur der +Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch +gethan. Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber +schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen +Mann sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser als +auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu +liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn +mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern +nur der Freund der Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit. +Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich +nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner +ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe +seinen Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und +politische Grösse nie verkannt. Problematisch ist er in +seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als +jemals, wenn man ihn nicht verdammen soll. Bis auf den Tag +von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen +Gränzen heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen +handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines +Republikaners gethan.</p> + +<p>Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines +Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris thut, dachte +ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn +<!-- pb n="456 " facs="#f0484"/ --> nicht, dass er das +Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter +irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und +Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, +dass er so viel als möglich in der wichtigen Periode das +Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: +es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige +Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt +an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. +Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern +alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend +etwas mehr für sich selbst zu thun, sondern alles für die +Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich +berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik +rückwärts. Land gewinnen heisst nicht die Republik +befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, +den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie +fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe +für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm +die Macht in die Hände gelegt der grösste Mann der +Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht +Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen +Grossen auf gleichen Fuss. Er ist grösser als die Dionyse +und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt +sich ihren Ruhm. Dass er nicht sah, dass die Konstitution +die neue Republik zertrümmern würde und dem Despotismus die +Wege wieder bahnen, das lässt sich von seinem tiefen Blick +nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter +seyn. Ich habe wider +<!-- pb n="457 " facs="#f0485"/ --> das Konsulat nichts, +nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war +sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr +republikanisch. Ich gebe zu, dass die Dauer der römischen +Magistraturen von Einem Jahre zu kurz war, zumal bey der +Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer +Gesetze <span class="italic">de ambitu</span>; aber die +Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. +Der letzte Stoss war, dass der alte Konsul wieder gewählt +werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast +gränzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müsste ein +Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher +Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich +wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel die Wahl +zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine +Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik +lebenslänglich seyn; wenn es aber die grossen sind, geht der +Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht +geglaubt, dass es so schnell gehen würde; aber auch dieses +zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die +Franzosen seyen zur Despotie gemacht, so kommen sie ihr +überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution +viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen +Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber +selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie +republikanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da +einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der +Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung +freylich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth +gepredigt worden, die +<!-- pb n="458 " facs="#f0486"/ --> man sich vorher nur sehr +leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen +seyn werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser +Ideen und der Missbrauch derselben geben den etwas +gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. +Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar +weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine +haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist. +Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel +zugesehen und immer geglaubt und gehofft, dass aus dem wild +gährenden Chaos endlich noch etwas vernünftiges +hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freyheit +entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob +ich Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, +dass eine grosse Republik nicht dauern könne. Wir haben an +der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer +gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich +halte dafür, dass in einer wohlgeordneten Republik am +meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine +Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. +Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen +und hier nicht der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das +Grab der Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt +sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit, +oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man +klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Theil an +manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht +so leicht unbefangen aus einander gesetzt werde, und die +Beleuchtung Publicität ge<!-- pb n="459 " facs="#f0487"/ -->winne. +In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem +einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug +gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder +einschleichen und festsetzen, und man arbeitete selbst +dadurch für sie, dass man auf der Gegenseite ohne Schonung +stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch +die freye Fischerey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz +skoptisch in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der +Polizey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel im +Lande allerhand Jagd. Muss man denn bey Abstellung der +Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frey geben? Oder ist +dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frey seyn. In +jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der +Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniss +haben das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den +Process gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner +Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in Frankreich +abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen; +denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach +meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freyheit und +Gerechtigkeit in einem Staate, dass der Staat durchaus nur +reine Besitzungen giebt und sichert und dafür reine +Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die +Rechtsverhältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller +Art aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Gesetz, +das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint: +dieses ist aber nicht weiter, als in so fern gar niemand ein +Eigenthumsrecht zum Nachtheil +<!-- pb n="460 " facs="#f0488"/ --> des Staats haben kann +und darf. Niemand darf nehmlich die Erlaubuiss haben seine +Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu +vergeben, sondern muss sie durchaus rein veräussern. Nur +durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der +Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle +Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen +aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem, +und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur +Sklaverey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln +Grundstücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre +Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl +schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu +viele Grundstücke hat, dass er sie nicht durch sich und +seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und +bestellen lassen kann; so hat er für den Staat in jeder +Rücksicht zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann +verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer +als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der +Bürger kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate: +und Bürger ist jeder, der nur einen Fuss Landes +besitzt. <span class="italic">In detrimentum +reipublicae</span> finden keine Besitzungen Statt. Es +versteht sich von selbst, dass dann alle Steuerkataster nach +der Regel Detri gemacht werden; und die erste Realimmunität +ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten +nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir +nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, +nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich +<!-- pb n="461 " facs="#f0489"/ --> ist kein Gesetz, das den +belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist +voraus zu sehen.</p> + +<p>Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf +Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur +Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allgemein +gefühlt: aber niemand hat die Macht dem Allmächtigen zu +widerstehen, der den Bayonetten befiehlt. Die Bayonette +sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und +die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis +auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung +militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit +gethan. Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit +spricht wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so +schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher +stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde +auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, dass vor +einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht +Schuld daran war dass die Esel keine Hörner haben, sich +höchlich freute, dass nun wenigstens ein Edelmann allein an +der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der +Mann muss in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele +gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen. +Man sagt, Kaprara habe schon auf Wiederherstellung der +Klöster angetragen, sey aber von Bonaparte zurück gewiesen +worden. Bonaparte müsste nicht der kluge Mann seyn, der er +ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder +mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muss. Es ist das Glück +des Adels und der Geistlichkeit, dass sie mit +Modificationen, in +<!-- pb n="462 " facs="#f0490"/ --> seine Zwecke gehören. +Wenns Noth thut, wird sich schon alles geben. Dass die +Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus +Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik +hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich +den Katholicismus zur Staatsreligion, das heisst zur +herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so +fort geht, dass man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft +nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde durch die +Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht überrascht; es +war seine Konsequenz: er war bey der Osterceremonie der +nehmliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest +anfing: Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat! +Er dachte, <span class="italic">mundus vult</span> +— <span class="italic">ergo</span> —; aber das +Sprichwort ist wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, dass +er nicht so gedacht hätte. <span class="italic">Il est un +peu singe, mais il est comme il faut;</span> sagte der +geistliche Herr im Postwagen. Er ist dadurch von seiner +Grösse herab gestiegen. Man sagt, er habe sogar die Fahnen +weihen wollen, sey aber durch das Gemurmel der alten +Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die +Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und +Petersburg entschieden republikanische Massregeln nimmt, +gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung +verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegentheil muss +aus dem nehmlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich +gelten: man müsste denn in der Berechnung etwas höher gehen; +welches aber sodann jedem +Revolutionär <span class="italic">in utramque partem</span> +zu Statten kommen würde.</p> + +<!-- pb n="463 " facs="#f0491"/ --> +<p>Jetzt lebt er einsam und misstrauisch, mehr als je ein +Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade; +der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint +selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im +Schauspiel in seiner Loge Reverbers nach allen Seiten haben, +die ihm alles zeigen ohne dass ihn jemand sieht. Bey andern +Massregeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige +Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein Name würde +in der Weltgeschichte die Grösse aller andern +niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder +wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür thut er auf den +kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht. Ich könnte +weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel +verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft +grossen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht.</p> + +<p>Man sagt sich hier und da still und leise mehrere +Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des +ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen +Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die +Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer +Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die +er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabey bedeutend +sagte: <span class="italic">Citoyen, vous +entr</span>é<span class="italic">s ici dans la chambre d'un +tyran:</span> antwortete er mit schnellem +Scharfsinn: <span class="italic">S'il avoit</span> +été <span class="italic">tyran, il le serait encore</span>: +Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm +vorgestellt wurde, das Volk murre bey einigen seiner +Schritte, er möchte bedenken; erwiederte +er: <span class="italic">Le peuple n'est rien pour qui le +sait me<!-- pb n="464 " facs="#f0492"/ -->ner</span>. Dem +Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey jeder Gelegenheit +als einen flachen sehr subalternen Kopf darstellt, soll er +auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt +haben: <span class="italic">Si j'avois été roi en</span> +1790<span class="italic">, je le serois encore; et si +j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de +même</span>. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich +an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es +niemand, weil seine <span class="italic">lettres de +cachet</span> eben so sicher nach Bicetre führen als unter +den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das +lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr +unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein +angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann +war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht +wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey alles sehr gut, +aber jetzt nur noch etwas zu früh. Jedermann der etwas +weiter blickte, behauptete, es sey leider etwas zu spät. Das +Gesetzgebende Korps nennt man hier die Versammlung, durch +welche er Gesetze giebt. Als sein Kommissär, ich glaube +Reding, mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen +Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand; +sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er +bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern +geknackt und gesagt haben: <span class="italic">Ah je saurai +les attraper</span>. Das hat er gehalten. Er schmiedete +schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen +und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn. +Ueber die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber +sie ist geschehen.</p> + +<p>Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen, +<!-- pb n="465 " facs="#f0493"/ --> +<span class="italic">le premier +consul</span>, <span class="italic">le grand +consul</span>, <span class="italic">le consul</span> +vorzugsweise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil +der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird +weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen +Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn +auch <span class="italic">Sa Majesté</span>, und ich stehe +nicht dafür, dass es nicht Ernst wird. Auch heisst er +ziemlich öffentlich +<span class="italic">empereur des Gaules</span>, vielleicht +die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die +Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf +Cäsar folgte August, und so weiter.</p> + +<p>Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloss ein +Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem +Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen +gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und +that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst +gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen +feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe +den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und +vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere +Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe +Magistraturen der Republik, wie sie noch heisst, in ihrem +Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, +denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul liess +sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich +fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber +nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht +über hundert Tausend, und kaum der hundertste Theil gab die +Ehrenbezeugung. Der +<!-- pb n="466 " facs="#f0494"/ --> Enthusiasmus war also +nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde +hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die +Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und +man sprach hier und da davon, dass die republikanischen +Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich. +Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die +Republik selbst.</p> + +<p>Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder +anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe +ich weder Lust noch Zeit noch Kenntniss. Die bunte Scene +wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloss +der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern, +welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend +ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit. +Die Pressfreyheit ist hier verhältnissmässig eingeschränkter +als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe +jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen als +damals und Moliere könnte wieder +sagen: <span class="italic">Monsieur président ne veut pas, +qu'on le joue</span>. Die Dekaden sind durch das Konkordat +und die Einführung der römischen Religion nothwendig +geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch +rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten +Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen +Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den +Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als in +Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach +Belieben; in Dijon musste ich einigemal, sogar an der +Wirthstafel, zur Fasten mit der +<!-- pb n="467 " facs="#f0495"/ --> Gesellschaft +Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war +es einerley, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist +doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere +Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freylich noch keine +Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten +Namen der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder +ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast +gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie +die neuen Namen gar nicht wüssten; so sah mich ein sehr +wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in +die <span class="italic">rue de la loi</span> wollte, wiess +mich aber sehr höflich weiter, als ich +sie <span class="italic">rue de Richelieu</span> nannte. Das +Pantheon heisst wieder die heilige Genoveve, und wird höchst +wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob +sich alles so sanft wieder machen wird, weiss der Himmel. +Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen +Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder +eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten +schon überall von neuem mit ihren Anmasslichkeiten hervor +und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie +versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn +man die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben will. +Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische +Gerechtigkeit seyn: aber der Missbrauch kann weit führen. +Man erzählt viele Beyspiele, dass die französischen +Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Lasst +nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seyd +ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich +sonderbare Abhandlung in einem +<!-- pb n="468 " facs="#f0496"/ --> öffentlichen Blatte, wo +der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und +englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiss, ob das +Ganze Ernst oder Ironie war. Er liess den Britten wirklich +den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine +Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. +Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die +Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, +die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der +Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man +fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme +Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig +dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der +Herren von der Seine.</p> + +<p>Die Polizey ist im Allgemeinen ausserordentlich liberal, +wenn man sich nur nicht beygehen lässt, sich mit Politik zu +bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das +alte Schibolet zu brauchen, +<span class="italic">panem et circenses</span>. Wenn ich in +irgend einer grossen Stadt zu leben mich entschliessen +könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr +als eine andere Nation dafür gesorgt, dass man in der +Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, +die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der +botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere +andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die +man durchaus in keiner andern grossen Stadt so trifft. Eine +meiner sentimentalen Morgenpromenaden war die Wachparade der +Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender +ge<!-- pb n="469 " facs="#f0497"/ -->wesen, als diese +ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für +sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die +Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer +Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füsse so +fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine +Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben +vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit gefochten zu +haben und verstümmelt zu seyn.</p> + +<p>Morgen will ich zu Fusse fort, und bin eben bloss aus +Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewesen: denn man +weiss doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz +haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatte mir gleich +beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müsste mich mit +meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von +Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die +Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; +ich weiss nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis +hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an +der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte +übrigens kein Wort, dass ich etwas zu thun hätte. Wenn mich +die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen +lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen +oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand. +Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier, +der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich +an, besahe mich und den Pass und sagte sehr freundlich, ohne +ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie +<!-- pb n="470 " facs="#f0498"/ --> reisen so ab, wenn Sie +wollen. — Der Pass war noch der Preussische von Rom +aus. — Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Luchesini +wollen vidieren lassen, das können Sie thun; aber nöthig +ists nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen +thue ich nicht gern mehr als ich muss; ich ging also nicht +zu dem Gesandten.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/37-frankfurt.html b/OEBPS/Text/37-frankfurt.html new file mode 100644 index 0000000..ab30f81 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/37-frankfurt.html @@ -0,0 +1,370 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Frankfurt</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[471]" facs="#f0499"/ --> + +<div class="chapter" id="Frankfurt"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Frankfurt</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">D</span>en Himmel sey Dank, nun +bin ich wieder diesseit des Rheins im Vaterlande. Ich werde +Dir über meinen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen +haben, da er so oft gemacht wird und bekannter ist als eine +Poststrasse in Deutschland.</p> + +<p>Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in +Meaux. Der Weg ist angenehm und volkreich, wenn gleich nicht +malerisch; und die Bewirthung ist überall ziemlich gut, +freundlich und billig. Wenn ich zwischen Rom und Paris eine +Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der +Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber +in Rücksicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur +das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen +wie viel für Humanität und Umgang dort zu haben ist; für +Wissenschaft ist fast nicht mehr. Alte Geschichte und alles +was sich darauf bezieht ist das einzige, was man dort an Ort +und Stelle gründlich und geschmackvoll studieren kann. In +Paris sind die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen +für jedermann, und es gehört sogar zum guten Ton, wenigstens +zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer +zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige +Kupferstiche zu beschauen. Wer sie benutzen will findet in +allen Zweigen Reichthümer; und alles wird mit Gefälligkeit +gereicht. In Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange +ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in +Ita<!-- pb n="472 " facs="#f0500"/ -->lien, und es ist +vielleicht kein Unglück, dass sie etwas geweckt und zu +wandern gezwungen worden sind.</p> + +<p>Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte +die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute +besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten +allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die +Hauptwerke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch haben +sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag +vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als +Paris; aber die ersten Meisterwerke der grössten Künstler, +die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht +weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle, +die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel +Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den +ganzen Reichthum ihres Geistes niedergelegt haben, mussten +unangetastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören +wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze +Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der +Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn; +aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die +Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie +unter den Pferdekennern so viel Lärm machen werden, als sie +unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiquaren +gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist +mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus +Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige +Vorzug, den sie haben, ist, dass sie vielleicht die einzigen +Tethrip<!-- pb n="473 " facs="#f0501"/ -->pen sind, die wir +noch übrig haben: und auch dazu fehlt ihnen noch viel. +Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit +Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere +Pferde seyn. Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern +gegeben. Gegen das Kapitol haben diese nicht nöthig zu +krähen, wie die Gänse gegen die Gallier schrien; wenn sie +nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht vorbey lassen.</p> + +<p>Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen, +die vatikanische und kapitolinische, in Kontribution +gesetzt. Es ist kein Privateigenthum angegriffen worden. Die +Privatsammlungen machen aber in Rom vielleicht den grössten +Theil aus. In der Villa Borghese steht alles wie es war; und +der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an +klassischem Werth in Paris ihres gleichen suchen. Die +schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese +und auf dem Kapitol und sonst hier und da. Sarkophagen, +freylich sehr untergeordnete Kunstwerke, und Badegefässe +sind in Rom noch in grosser Menge von ausgesuchter +Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwey ärmliche +Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist +die Gegend um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die +Natur hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtragen +kann. Man hat zwar die Namen Fraskati und Tivoli nach Paris +gebracht und alles schön genug eingerichtet: aber Fraskati +und Tivoli selbst werden für den Maler dort bleiben, wenn +man auch alles umher zerstört. Der Fall, die Grotte, die +Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt +wer<!-- pb n="474 " facs="#f0502"/ -->den, und stehen +noch jetzt, wie vor zwey tausend Jahren, mit dem ganzen +Zauber des Alterthums. Das Haus des Mecän verfällt, wie die +Häuser des Flakkus und Katullus; man zieht keine Musen mehr +aus ihrem Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend +Reitzungen ohne sie. Man hat in Paris keinen Albaner See, +kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe nach +Paris; der Künstler wird zur Vollendung immer noch nach Rom +gehen, wenn er gleich für sein Fach auch hier an der Seine +jetzt zehnmal mehr findet als vorher. Sobald die Franzosen +Raphaele und Bonarotti haben werden, sind sie die Koryphäen +der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie ins +Vatikan.</p> + +<p>Füger und David scheinen mir indessen jetzt die einzigen +grossen Figurenmaler zu seyn. Die Italiäner haben, so viel +ich weiss, keinen Mann, den sie diesen beyden an die Seite +stellen können. Dafür haben die andern keinen Canova. Ein +grosser Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt +nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten +seines Lehrers vorziehen.</p> + +<p>Den zweyten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern +Unterricht schlug ich die Strasse rechts ein, war aber +diessmal nicht dem besten Genius gefolgt. Sie war sehr öde +und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es +ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Strassen bey +Chalons wieder zusammen fielen. Ich verlor dadurch einen +grossen Strich von Champagne, und die schönen Rephühneraugen +in Epernay, auf die ich mich schon beym Estest in +Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das +<!-- pb n="475 " facs="#f0503"/ --> man mir dort in den +Wirthshäusern unter dem Namen Champagner gab, kann ich nicht +empfehlen. Einige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht +an einem Ort der Pogny heisst, und der seinem Namen nach +vielleicht der Ort seyn kann, wo Attila sehr tragisch das +Nonplusultra seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in +Longchamp, dann in Ligne en Barrois. In Nancy, wo ich +Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das Schloss und die +Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen +Spaziergang gewähren und ziemlich gut unterhalten werden. +Hier hatte ich den 26sten July schon reife ziemlich gute +Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit einem Briefe +von Paris besuchte, macht seinem holländischen Namen durch +wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder deutsch noch +holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und spricht +mit vieler Zärtlichkeit von ihm, so wie dieser oft mit +kindlicher Dankbarkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet +war mit der deutschen Literatur und besonders mit dem +Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutschland sehr +gut bekannt und schätzte die Genauigkeit und Gründlichkeit +der deutschen Untersuchungen.</p> + +<p>Von da ging ich über Toul immer nach Strassburg herauf. +Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf den +Wirthshausschildern in französischer und deutscher Sprache +zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug +aussieht. Bey Zabern ist die Gegend ungewöhnlich schön und +es muss in den Bergen hinauf romantische Parthien geben. Da +ich den letzten Abend noch gern nach Strassburg wollte, nahm +ich die letzte +<!-- pb n="476 " facs="#f0504"/ --> Station Extrapost und +liess mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir zu +heiss und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence +nach Mainz fahren: aber des alten wackern Oberlins +Höflichkeit und einige neue angenehme Bekanntschaften +hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten +Abfahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte +die Güte mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Unter den +bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weiblicher Satyr +aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die Seltenheit +solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte +verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der +verstümmelten Statüen vom Münster und mit sarkastischen +Inschriften auf die vandalischen Zerstörer aufbewahrt, wo +Rühl und einige andere sich nicht über ihre Enkomien freuen +würden. Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft +über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner +Pilgerschaft bey Kehl zuerst wieder den vaterländischen +Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen +Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr +viel wieder aufgebaut. Dass ich mich etwas auf dem Münster +umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine +herrliche Aussicht auf die ganze grosse schöne reiche Gegend +und den majestätischen Fluss hinauf und hinab. Es wäre +vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder +diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beyden Gebäude +sind wohl auf alle Fälle die grössten Monumente gothischer +Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlechtgedachte +und schön gearbeitete Mo<!-- pb n="477 " facs="#f0505"/ -->nument +des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige +französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie +hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich musste ihnen +von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich +wusste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf +der Polizey wunderte man sich, dass mein Pass nirgends +unterschrieben war und ich wunderte mich mit und erzählte +meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis +Strassburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne +Unterschrift zurück.</p> + +<p>Nun fuhren wir über Weissenburg, Landau, Worms und so +weiter nach Mainz. Nach meiner alten Gewohnheit lief ich bey +dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine +Stunde Weges gemacht. Die Deutschen der dortigen Gegend und +tiefer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonderbaren +Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich +ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu +sprechen; desto schnurriger musste es mir vorkommen, dass +ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden +gehalten wurde. Ich sass unter einem Nussbaum und ass Obst, +als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. +Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligence +hier nothwendig vorbey musste; er bejahte dieses. Ein Wort +gab das andere, und er fragte mich in seiner lieblichen +Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz? +— Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum +glaubt Er dass ich ein Jude sey? — Wähl der Härr +okkeroht sprücht wü<!-- pb n="478 " facs="#f0506"/ --> ain +Jüd. Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine +Sprache gemacht; aber ein solches war nicht darunter.</p> + +<p>Von der Gegend von Weissenburg kann ich militärisch +nichts sagen, da es noch ziemlich finster war, als wir dort +durchgingen. Landau ist weiter nichts als Festung, und alles +was in der Stadt steht, scheint bloss auf diesen einzigen +Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen Morgen an +und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich +höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch +mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen als an irgend einem +andern Orte. Der Krieg hat verhältnissmässig weniger +geschadet. Ich hielt mich nur einen Tag auf um einige Männer +zu sehen, an die ich von Oberlin Addresse hatte. Auch unser +Bergrath Werner von Freyberg war hier und geht, wie ich +höre, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem +Ansehen.</p> + +<p>Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence +durch einen der schönsten Striche Deutschlands hierher.</p> + +<p>Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit +ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und +nahm die Nachrichten immer mit verschiedener Stimmung auf. +Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul +wiederholen: <span class="italic">Mais pourtant il n'est pas +aimé</span>; besonders von Militären. Das ist begreiflich. +Es giebt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen +haben und die doch auch für die Republik brave Männer +gewesen +<!-- pb n="479 " facs="#f0507"/ --> +sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern +zum General, aber nicht zum Souverain, wie es das +Ansehen gewinnt. <span class="italic">Il fait diablement des choses, ce +petit caporal d' Italie; cela va loin!</span> sagte man; und +ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war, +bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck: +<span class="italic">Bonaparte qui gloriam bene partam male +perdit</span>. In der Gegend von Strassburg habe ich hier +und da gehört, dass man bey seinem Namen knirscht und +behauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder ein, +den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein +einziger Mann wieder einfahren kann, ist wohl eigentlich +nicht abgeschafft. Man wollte in der ersten Konstitution +dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben +wir sogar einen fremden Abentheurer zum König, der +willkührlicher mit uns verfährt als je ein Bourbonide: wer +ihm missfällt ist Verbrecher und ihm missfällt jeder, der +selbständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiss sich +vortrefflich die ehemalige Wuth und den Hass der Partheyen +zu Nutze zu machen.</p> + +<p>Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik +und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den +Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über +die neue Freiheit. Den Zehnten geben wir nicht mehr, den +behalten wir, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine +grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch +die neun Zehntheile eine grosse Hyperbel sind. Ein Zeichen, +dass die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen +verfährt, ist nach meiner Meinung im<!-- pb n="480 " facs="#f0508"/ -->mer, +wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt +ausschliesslich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In +Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein +General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten +Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug +durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation +ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die grosse +stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends +gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man +nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose +Rechtlichkeit, seine Mässigung und Humanität gepriesen +hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der +Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll, +und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die +Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man thut ihm +vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in +Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall +ziemlich laut erzählt. Seine Partisane, die weniger +Mässigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da +laut am Ruder und sagten nur <span class="italic">Moreau +grand consul</span>; zogen aber die Worte so sonderbar, dass +es klang wie <span class="italic">Mort au grand +consu</span>l. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, +hinter welche sich die Partheysucht versteckt.</p> + +<p>In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von +Menschen und einige segneten sich wirklich ganz laut, dass +sie aus der vermaledeyten Freiheit einmal heraus wären, in +der man sie blutig so sklavisch behandle. Diess waren ihre +eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen +Ver<!-- pb n="481 " facs="#f0509"/ -->mögen noch +jenseit des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte +ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es +schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn +von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde +Gelegenheit eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu +halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn +nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde: denn +alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm sein Beyspiel +nicht bloss von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste, +und musste tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem +Geschlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit +ein Gemälde, gegen welches +Juvenals <span class="italic">lassata viris</span> noch eine +Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der +Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du +weisst, ich habe eben nicht Ursache geflissentlich den +Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muss man ihnen +doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, dass sie — +nicht schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer +Sünden leiden noch etwas mehr Apologie als die Sottisen +unseres Geschlechts.</p> + +<p>Frankfurt muss dem Anschein nach durch den Krieg weit +mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich +und momentan; der Gewinn ging fast durch alle Klassen und +war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrath; man bauet +und bessert und erweitert von allen Seiten: und die ganze +Gegend rund umher ist wie ein Paradies; besonders nach +Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien +<!-- pb n="482 " facs="#f0510"/ --> +zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl damit +messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.</p> + +<p>Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von +der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte +und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der +Börse <span class="italic">à mon aise</span> wäre, würde ich +vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist +eine Mittelstadt, die gerade genug Genuss des Lebens giebt +für Leib und Seele, um nicht zu fasten und sich nicht zu +übersättigen. Im Fall eines Kriegs mit den Franzosen liegt +es freylich schlimm: die Herren können alle Nächte eine +Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum +Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.</p> + +<p>Bey der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten +Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des +kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister +in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von +öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit +ein so grosses reines Zutrauen gefasst hätte: so sehr trägt +sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen +Rechtlichkeit mit der feinsten Humanität.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/38-leipzig.html b/OEBPS/Text/38-leipzig.html new file mode 100644 index 0000000..416bca6 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/38-leipzig.html @@ -0,0 +1,252 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Leipzig</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[483]" facs="#f0511"/ --> + +<div class="chapter" id="Leipzig"> +<div class="dateline"><span class="right">Leipzig.</span></div> + +<p> <span class="initial">M</span>eine Ronde ist vollendet +und ich bin wieder bey unsern väterlichen Laren an der +Pleisse. Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in +Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein +freundliches Mahl zugedacht hatte. Bey Bergen und Kolin +haben unsere Landsleute gezeigt, dass sie nicht Schuld an +den übeln Streichen bey Pirna waren. Vor Hanau ging ich +vorbey und hielt mich immer die Strasse nach Fulda herein. +Die Hitze des vorzüglich heissen Sommers drückte mich zwar +ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem +Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern +zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so +schlecht gefunden als hier einige Mal in Hessen. Zwischen +Fulda und Hünefeld drückte mich die Hitze furchtbar und der +Durst war brennend, und auf meiner ganzen Wanderung habe ich +vielleicht keine so grosse Wohlthat genossen, als da ich +sodann links an der Strasse eine schöne Quelle fand. Leute +welche einen guten Flaschenkeller im englischen Wagen haben, +haben davon keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen +nicht viel weniger, aber die Erquickung können sie nicht so +fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe dieses und jenes +versucht. In Hünefeld war Schiessen, +<!-- pb n="484 " facs="#f0512"/ --> die Gesellschaft der +Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich hatte +das Vergnügen die Musik so gut zu hören, als man sie +wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben +können. Wenn auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft, +thut nichts; sie können das Gute doch nicht ganz verderben, +eben so wenig als man es in der Welt durch Verkehrtheit und +Unvernunft ganz ausrotten kann.</p> + +<p>In Vach hatten mich ehemals die Handlanger des alten +Landgrafen in Beschlag genommen und nach Ziegenhain und +Kassel und von da nach Amerika geliefert. Jetzt sollen +dergleichen Gewaltthätigkeiten abgestellt seyn. Doch möchte +ich den fürstlichen Bekehrungen nicht zu viel trauen; sie +sind nicht sicherer als die Demagogischen. Es wäre +unbegreiflich, wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört +willkührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum +Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet und +förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht +durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände +wurden selten gefragt, und konnten dann fast keine Stimme +haben. Der Adel ist nicht reich und abhängig vom Hofe. Die +Minister und Generale hatten ihren Vortheil dem Herrn zu +Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder +hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine +Verwandten. Die grossen Offiziere gewannen Geld und Ehre, +die kleinen Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen +litten den Schlag. Das Volk selbst ist bis zum Uebermass +treu und brav. +<!-- pb n="485 " facs="#f0513"/ --> Hier und da war +Verzweiflung; aber der alte Kriegsgeist half. Die Hessen +glauben, wo geschlagen wird müssen sie dabey seyn. Das ist +ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich +in einem Klassiker gelesen zu haben, dass die Katten lange +vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in +Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden +Verbindungen aufgegeben.</p> + +<p>Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem +Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da +nicht sogleich Postpferde zu haben waren, mich hinüber zu +schaffen, liess sich die Posttaxe für zwey Pferde und den +Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das +nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich +auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war +schon tief Nacht als ich den Berg hinein ritt und gegen zehn +Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen +Oerter und Dörfer, durch die ich ging, zeichneten sich immer +sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht +einleuchten wollte, war, dass man überall so viel herrliches +Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das +sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht +mehr als irgend ein anderes Beyspiel, dass der Mensch ein +Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünf +hundert Jahre Land genug hat, mag man die Pflanze auf Kosten +der Nachbarn immer pflegen, aber bey uns ist es schlimm, +wenn man durchaus die Oe<!-- pb n="486 " facs="#f0514"/ -->konomie +mehr merkantilisch als patriotisch berechnet.</p> + +<p>Ich liess mich den andern Morgen meinem Freunde ohne +meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt +käme. Wir hatten uns seit neunzehn Jahren nicht gesehen und +unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als +der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit +hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht +manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wusste +vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien +schnell seinen ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand +vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines +Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger +hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe +war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er +fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im +Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder eine der schönsten +Minuten meines Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und +seinen Freunden, und genoss, so weit mir meine ernstere +Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der +Gesellschaft.</p> + +<p>Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das +Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends +einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst +durchaus noch eine gewisse Bonhommie des Charakters, dass +ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere +Bekanntschaft meine Börse +<!-- pb n="487 " facs="#f0515"/ --> hätte anvertrauen +wollen, um sie an einem bezeichneten Ort zu bringen, wo ich +sie sicher wieder gefunden haben würde. Ich habe in diesem +Ländchen weniger Bekanntschaft als sonst irgend wo: Du +kannst also glauben, dass ich nicht aus Gefälligkeit rede. +So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung +und Verehrung gegen den Herzog gefasst Um einen Fürsten zu +sehen braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen, +oder gar die Gnade zu geniessen ihm vorgestellt zu werden. +Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und +Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft; +vorausgesetzt er ist kein junger Mann, der die Regierung +erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und +Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier +schlecht und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo +ich die Dörfer verfallen und elend und doch die Visitatoren +nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als +möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität +sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel +spricht und wenig thut.</p> + +<p>Schon in Paris hatte ich gehört die Preussen wären in +Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier +fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn +etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame +Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund. +Hier erinnerte mich ein heimlicher Aerger, dass ich ein +Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die +Grossmuth +<!-- pb n="488 " facs="#f0516"/ --> und Uneigennützigkeit +der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des +Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die alten, +rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen +konnte und machen musste. Wenn Sachsen eine Macht von +hundert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik +das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles seyn was Du +willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mich däucht, dass +man in Dresden doch wohl etwas lebendigere wirksamere +Massregeln hätte nehmen können und sollen. Es war voraus zu +sehen. Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freylich wird +man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig thun; +aber man hat doch nun die Kneipzange von beyden Seiten in +den Händen, und kann sicher das +<span class="italic">festina lente</span> spielen. Politisch +muss man immer denken, was geschehen kann wird geschehen. +Der gegenwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem +künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in +diesen Verhältnissen zu Dresden solche Resultate nicht +erwartet.</p> + +<p>In Weimar freute ich mich einige Männer wieder zu sehen, +die das ganze Vaterland ehrt. Der Patriarch Wieland und der +wirklich wackere Böttiger empfingen mich mit +freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte +die Güte, mit vieler Theilnahme sich nach ihren Freunden +diesseit und jenseit der Pontinen zu erkundigen und den +unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden. +Jedermann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdigste +Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.</p> + +<!-- pb n="489 " facs="#f0517"/ --> +<p>Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach +Naumburg herüber wandelte, begegnete mir ein Preussisches +Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nehmlichen +Rocke mit der nehmlichen Chaussüre über Wien und Rom nach +Syrakus und über Paris zurück geht, mag der Aufzug freylich +etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche +Gewohnheit unserer deutschen Landsleute mit den Fremden +zuweilen etwas unfein Nekkerey zu treiben. Die Soldaten +waren ordonanzmässig artig genug; aber einige Offiziere +geruhten sich mit meiner Personalität ein Spässchen zu +machen. Ich ging natürlich den Fusssteg am Busche hin und +der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte +seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen +Dialekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm +nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der dort geht? +Der andere antwortete zu meiner Bezeichnung: Er wird wohl +gehen und das Handwerk begrüssen. Nein, hörte ich eine +andere Stimme, ich weiss nicht was es für ein närrischer +Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bey der Herzogin im +Garten sitzen sehen. Uebersetze das erst etwas ins +Pommerische, wenn Du finden willst, dass es mir ziemlich +schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmassgeblich, die +Herren hätten ihre Untersuchung und Beurtheilung über mich +etwas höflicher doch wohl einige Minuten sparen können, bis +ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem Philister macht +bekanntlich ein Preussischer Offizier nicht viel Umstände. +Ob das recht +<!-- pb n="490 " facs="#f0518"/ --> +und human ist, wäre freylich etwas näher zu bestimmen.</p> + +<p>Meiner alten guten Mutter in Posern bey Weissenfels war +meine Erscheinung überraschend. Man hatte ihr den Vorfall +mit den Banditen schon erzählt, und Du kannst glauben, dass +sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als orthodoxe +Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem +Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus +nicht, dass ich zu Fusse weiter ging, sondern liess mich +bedächtlich in den Wagen packen und hierher an die +Pleissenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, dass ich +froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war +der erste den ich aufsuchte, und das enthusiastische +Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste +seiner drolligen Gesichter und machte einen praktischen +Kommentar auf Horazens Stelle, dass man bey der Rückkehr +eines Freundes von den Cyklopen wohl ein Bisschen närrisch +seyn könne.</p> + +<p>Morgen gehe ich nach Grimme und Hohenstädt, und da will +ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mich däucht, dass ich +nun einige Wochen ehrlich lungern kann. Wer in neun Monaten +meistens zu Fusse eine solche Wanderung macht, schützt sich +noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines +Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig, +muss ich Dir noch sagen, dass ich in den nehmli<!-- pb +n="491 " facs="#f0519"/ -->chen Stiefeln ausgegangen und +zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und +dass diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch +eine solche Wanderung mit zu machen.</p> + +<p>Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir plaudern; von +manchen mehr als ich geschrieben habe, von manchem +weniger.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/39-errata.html b/OEBPS/Text/39-errata.html new file mode 100644 index 0000000..6d357a5 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/39-errata.html @@ -0,0 +1,86 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Errata</title> +</head> +<body> + +<div class="copyright"> +<p class="center"><span class="spaced">Braunschweig</span> +gedruckt +<span class="spaced">bei Friedrich Vieweg</span>.</p> </div> + +<div class="corrigenda"> +<h4> <span class="spaced">Wichtigere Druckfehler</span>. </h4> +<p>Seite 13. Zeile 5. lese man braten.<br /> +40, 13. hat. <br /> +48, 1. wie ich mich. <br /> +53, 2. Tross. <br /> +65, 4. v. u. mit dem. <br /> +70, 18. aufwärts. <br /> +76, 5. zu Lueg. <br /> +103, 21. glaube ich. <br /> +121, 14. doutés. <br /> +145, 17. auch. <br /> +147, 8. Strettura. <br /> +163, 8. v. u. Demoxenus. <br /> +177, 5. Keiner. <br /> +183, 9. v. u. du jour. <br /> +184, 4. v. u. favorisca. <br /> +186, 4. vor dem Thor in das Haus eines seiner Bekannten am Toledo. <br /> +190, 8. v. u. Niederlassungen.<br /> +191, 1. Donat. <br /> +198, 2. v. u. Trinakrien. <br /> +201, 11. v. u. allen.<br /> +205, 8. werthsten. <br /> +206, 11. findst. <br /> +240, 1. v. u. Todtschlägen. <br /> +244, 11. noch. <br /> +266, 1. v. u. Abacchevten. <br /> +272, 8. v. u. Überzeugung. <br /> +307, 6. v. u. Barcellona. <br /> +313, 3. v. u. sahe. <br /> +315, 4. v. u. recht. <br /> +318, 7. v. u. Micias. <br /> +320, 5. v. u. dass er mir fast. <br /> +322, 5. cattolico. ibid. 11. voi. <br /> +325, 11. v. u. Corso. <br /> +352. 2. Armee. <br /> +353, 9. wir rollten. <br /> +354, 6. doch vielleicht. <br /> +362. 2. v. u. Taschenbuch. <br /> +373, 12. Wer.<br /> +375, 3. gewannen. <br /> +378, 10. v. u. verhältnissmässigen. <br /> +381, 10. Urbefugnisse. <br /> +384, 7. v. u. von Paris nach Rom. <br /> +401, 5. Merletons. <br /> +403, 11. v. u. sagte. <br /> +410, 3. v. u. war ich immer. <br /> +411, 7. Hetärenkünste. <br /> +415, 8. nur. <br /> +417, 13. v. u. nur durch die. <br /> +426, 5. v. u. Rügen. <br /> +440, 4. v. u. Boulewardskoffee. <br /> +441, 2. v. u. den. <br /> +450, 12. v. u. die beyden.<br /> +466, 10. v. u. und die Einführung. <br /> +476, 14. mit sarkastischen.<br /> +484, 6. doch. <br /> +489, 2. Naumburg.</p> + +<p>Die übrigen kleinern Fehler der Officin in Interpunktion, +Grammatik und Orthographie wird der gütige Leser leicht selbst +auffinden und verbessern.</p> + +<p>Jupiters goldner Mantel in Syrakus ist ein Irrthum des Verfassers.</p> +</div> + +<hr class="hr5" /> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/inhalt.html b/OEBPS/Text/inhalt.html new file mode 100644 index 0000000..c49303a --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/inhalt.html @@ -0,0 +1,59 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>INHALT</title> +</head> +<body> + +<h2>Inhalt</h2> +<h3>Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802</h3> +<h4 class="sub"><a href="01-vorrede.html">Vorrede</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="02-dresden.html">Dresden</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="03-budin.html">Budin</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="04-prag.html">Prag</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="05-znaym.html">Znaym</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="06-wien.html">Wien</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="07-schottwien.html">Schottwien</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="08-muerzhofen.html">Mürzhofen</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="09-graez.html">Gräz</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="10-laybach.html">Laybach</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="11-prewald.html">Prewald</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="12-triest.html">Triest</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="13-venedig.html">Venedig</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="14-bologna.html">Bologna</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="15-ankona.html">Ankona</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="16-rom.html">Rom</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="17-rom.html">Rom</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="18-terracina.html">Terracina</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="19-neapel.html">Neapel</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="20-neapel.html">Neapel</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="21-palermo.html">Palermo</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="22-agrigent.html">Agrigent</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="23-syrakus.html">Syrakus</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="24-syrakus.html">Syrakus</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="25-katanien.html">Katanien</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="26-messina.html">Messina</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="27-messina.html">Messina</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="28-palermo.html">Palermo</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="29-palermo.html">Palermo</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="30-kapri.html">Kapri</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="31-neapel.html">Neapel</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="32-rom.html">Rom</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="33-mailand.html">Mailand</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="34-zuerich.html">Zürich</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="35-paris.html">Paris</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="36-paris.html">Paris</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="37-frankfurt.html">Frankfurt</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="38-leipzig.html">Leipzig</a></h4> +<h4 class="sub"><a href="39-errata.html">Errata</a></h4> +<h3>Anhang</h3> +<h3><a href="inhaltc.html">Inhalt — Übersicht</a></h3> +<h3><a href="textnachweis.html">Text- und Bildnachweis und Lizenz</a></h3> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/inhaltc.html b/OEBPS/Text/inhaltc.html new file mode 100644 index 0000000..9891667 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/inhaltc.html @@ -0,0 +1,57 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Inhalt</title> +</head> + +<body> +<h2>Inhalt</h2> +<div class="inhalt-entry"><a href="01-vorrede.html">Vorrede</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="02-dresden.html">Dresden, den 9ten Dec. 1801</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="03-budin.html">Budin</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="04-prag.html">Prag</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="05-znaym.html">Znaym</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="06-wien.html">Wien</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="07-schottwien.html">Schottwien</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="08-muerzhofen.html">Mürzhofen</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="09-graez.html">Gräz</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="10-laybach.html">Laybach</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="11-prewald.html">Prewald</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="12-triest.html">Triest</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="13-venedig.html">Venedig</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="14-bologna.html">Bologna</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="15-ankona.html">Ankona</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="16-rom.html">Rom, den 2ten März</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="17-rom.html">Rom</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="18-terracina.html">Terracina</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="19-neapel.html">Neapel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="20-neapel.html">Neapel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="21-palermo.html">Palermo</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="22-agrigent.html">Agrigent</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="23-syrakus.html">Syrakus</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="24-syrakus.html">Syrakus</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="25-katanien.html">Katanien</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="26-messina.html">Messina</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="27-messina.html">Messina</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="28-palermo.html">Palermo</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="29-palermo.html">Palermo auf dem Paketboote</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="30-kapri.html">Bey Kapri</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="31-neapel.html">Neapel</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="32-rom.html">Rom</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="33-mailand.html">Mailand</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="34-zuerich.html">Zürich</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="35-paris.html">Paris</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="36-paris.html">Paris</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="37-frankfurt.html">Frankfurt</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="38-leipzig.html">Leipzig</a></div> +<div class="inhalt-entry"><a href="39-errata.html">Errata</a></div> +<p> </p> +<h3>Anhang</h3> +<div class="inhalt-entry"><a href="textnachweis.html">Textnachweis und Lizenz</a></div> +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/textnachweis.html b/OEBPS/Text/textnachweis.html new file mode 100644 index 0000000..fa08741 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/textnachweis.html @@ -0,0 +1,46 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Textnachweis und Lizenz</title> +</head> +<body> + + <h3>Textnachweis und Lizenz</h3> + + <p>Bei dem Text handelt es sich um die digitalisierte + Erstausgabe des »Spaziergangs«, wie sie im Deutschen + Textarchiv vorliegt + (s. <a href="http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/seume_syrakus_1803">www.deutschestextarchiv.de/book/show/seume_syrakus_1803</a>) + Dieser E-Book-Fassung liegt die XML-Version des Textes + zu Grunde, die unter der Maßgabe, das Markup so + zurückhaltend wie möglich zu halten, in HTML übertragen + wurde. </p> + + <p>Die auffälligsten Abweichungen gegenüber der Vorlage + bestehen zum Einen im Austausch des langen »s« + (»ſ«, utf: x017F) gegen das heute gebräuchliche + runde »s«. Zum anderen wurde die seitentreue Übertragung + der Vorlage nicht übernommen. Die Seitenzahlen im + Quelltext der Vorlage wurden als HTML-Kommentar + übernommen. Das gleiche gilt für die in der Vorlage als + korrigierbar vermerkten Stellen (kenntlich durch das Tag + »choice«). Zwar gehören nach der Korrektur der + Druckvorlage m.E. auch (womöglich vermeintliche) + Druckfehler dem Autor, aber die Information als solche + kann erhalten bleiben. Um die Navigation zu + vereinfachen, wurde die Vorlage um eine Inhaltsübersicht + ergänzt.</p> + + <p>Die Vorlage wurde unter der Creative-Commons-Lizenz + <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/"> + Namensnennung-Nicht kommerziell(CC BY-NC 3.0 DE)</a> + veröffentlicht, dem folgt daher auch diese + E-Book-Fassung. </p> + +</body> +</html> diff --git a/OEBPS/Text/titel.html b/OEBPS/Text/titel.html new file mode 100644 index 0000000..0e740ca --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/titel.html @@ -0,0 +1,43 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Johann Gottfried Seume - Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802</title> + <style type="text/css"> + html, body { height:100%; } + </style> +</head> +<body> + +<p class="center"> +<img src="../Images/titel.png" alt="Georg Heym - Der ewige Tag" /></p> + +<!-- +<table class="titlepage"> + <tr> + <td valign="top"> + <h2 class="center">Spaziergang nach Syrakus</h2> + <h3 class="italic center">im Jahre 1802.</h3> + <h3 class="center">von</h3> + <h3 class="center">J.G. Seume.</h3> + </td> + </tr> + <tr> + <td valign="bottom"> + <div class="center"> + Veritatem sequi et colere, tueri justitiam, æque omnibus<br /> + bene velle ac facere, nil extimescere.</div> + <hr /> + <div class="center">Braunschweig und Leipzig<br /> + 1803</div> + </td> + </tr> +</table> +--> + +</body> +</html> |