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+ <title>Vorrede</title>
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+<body>
+
+<div class="chapter" id="vorrede">
+
+<p class="anrede">Lieber Leser,</p>
+
+<p> <span class="initial">V</span>origes Jahr machte ich den
+Gang, den ich hier erzähle; und ich thue das, weil einige
+Männer von Beurtheilung glaubten, es werde vielleicht Vielen
+nicht unangenehm, und Manchen sogar nützlich seyn.
+Vielleicht waren diese Männer der Meinung, ich würde es
+anders und besser machen: darüber kann ich, in der Sache,
+nur an meine eigene individuelle Ueberzeugung appelliren; so
+gern ich auch eingestehen will, dass sie hier und da Recht
+haben mögen, was die Form betrifft.</p>
+
+<p>Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und
+ist nicht das eine und wird nicht das andere, so bin ich so
+eigensinnig zu glauben, dass die Schuld nicht an mir liegt.
+Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts neues. Die
+Vernünftigen wissen das alles längst.
+<!-- pb n="IV" facs="#f0014" --> Aber es wird doch meistens
+entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt: und mich
+däucht es ist doch nothwendig, dass es nun nach und nach
+auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht
+in Ewigkeit Milch trinken wollen. Bey dieser Kindernahrung
+möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke
+Speise wird aber kein Mann im Einzelnen, werden keine Männer
+im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen.
+Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmasslichkeit
+gefallen seyn sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne
+Verrath der Sache unmöglich, bey gewissen Gegenständen die
+schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte
+der Prüfung und seiner Wirkung, und bin zufrieden, dass ich
+das Wahre und Gute wollte.</p>
+
+<p>Es ist eine sehr alte Bemerkung, dass fast jeder
+Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das
+kann nicht anders seyn und soll wohl nicht anders seyn; wenn
+sich nur jeder vorher in gutes Licht und reine Stimmung
+setzt. Ich bin mir bewusst, dass ich lieber das Gute sehe
+und mich darüber freue, als das
+<!-- pb n="V" facs="#f0015"/ --> Böse finde und darüber
+zürne: aber die Freude bleibt still, und der Zorn wird
+laut.</p>
+
+<p>In Romanen hat man uns nun lange genug alte nicht mehr
+geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt
+und tausend mal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist
+der Anfang: aber immer nur Milchspeise der Kinder. Wir
+sollten doch endlich auch Männer werden und beginnen die
+Sachen ernsthaft geschichtsmässig zu nehmen, ohne Vorurtheil
+und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter,
+Personen, Namen, Umstände sollten immer bey den Thatsachen
+als Belege seyn, damit alles so viel als
+<!-- choice><sic -->möglieh<!-- /sic><corr>möglich</corr></choice -->
+aktenmässig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz
+allein das Magazin unsers Guten und Schlimmen.</p>
+
+<p>Die Sache hat allerdings ihre Schwierigkeit. Wagt man
+sich an ein altes Vorurtheil des Kultus, so ist man noch
+jetzt ein Gottloser; sondirt man etwas näher ein politisches
+und spricht über Malversationen, so wird man stracks unter
+die unruhigen Köpfe gesetzt: und beydes weiss man sodann
+sehr leicht mit Bösewicht synonym zu machen. Wer den Stempel
+<!-- pb n="VI" facs="#f0016"/ --> hat schlägt die Münze. Wer
+für sich noch etwas hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner
+nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen,
+die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es so
+oft hört und liest; sondern, hier
+handelt <span class="spaced">dieser</span> Fürst ungerecht,
+widersprechend, grausam; und hier
+handelt <span class="spaced">dieser</span> Minister als
+isolirter Plusmacher und Volkspeiniger.
+Dergleichen <span class="bold">P</span>ersonalitäten sind
+nothwendige heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn
+sie von allen Regierungen
+als <span class="bold">P</span>asquille gebrandmarkt würden.
+Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und
+schlechten. Die Sklaven haben Tyrannen gemacht, der Blödsinn
+und Eigennutz haben
+die <span class="bold">P</span>rivilegien erschaffen, und
+Schwachheit und <span class="bold">L</span>eidenschaft
+verewigen beydes. Sobald
+die <span class="bold">K</span>önige den Muth haben werden
+sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, werden sie
+ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker
+durch Freyheit nothwendig machen. Aber dazu gehört mehr als
+Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muss es jedem
+rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt
+seyn zu glauben und
+<!-- pb n="VII" facs="#f0017"/ -->
+zu sagen, dass alter Sauerteig alter Sauerteig
+sey.</p>
+
+<p>Man findet es vielleicht sonderbar, dass ein Mann, der
+zwey mal gegen die Freyheit zu Felde zog, einen solchen Ton
+führt. Die Enträthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal
+hat mich gestossen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine
+eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu
+wollen: aber ich habe Selbstständigkeit genug, sie vor
+Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu
+verläugnen.</p>
+
+<p>Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt,
+haben mich aufgefodert etwas öffentlich über mein Leben und
+meine successive Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht
+dazu entschliessen. In meiner Jugend war es der Kampf eines
+jungen Menschen mit seinen Umständen und seinen
+Inkonsequenzen; als ich Mann ward, waren meine
+Verflechtungen zuweilen so sonderbarer Art, dass ich nicht
+immer ihre Erinnerung mit Vergnügen zurückrufe. Wer sagt
+gern, ich war ein Thor, um durch sein Beyspiel einige längst
+bekannte Wahrheiten eindringlicher zu machen?
+<!-- pb n="VIII" facs="#f0018"/ --> Als ich als ein junger
+Mensch von achtzehn Jahren als theologischer Pflegling von
+der Akademie in die Welt hinein lief, fand man bey
+Untersuchung, dass ich keinen Schulfreund erstochen, kein
+Mädchen in den Klagestand gesetzt und keine Schulden
+hinterlassen, dass ich sogar die wenigen Thaler Schulden den
+Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte
+nun den Grund der Entfernung durchaus nicht entdecken und
+hielt mich für melancholisch verirrt, und liess mich sogar
+in dieser Voraussetzung so schonend als möglich zur
+Nachsuchung in öffentliche Blätter sezzen. Dass ein Student
+den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt,
+schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den
+Philantropen die Betrachtung über diesen Schluss, der eine
+sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend
+verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn
+ich ihm sage, dass die Gesinnungen, die ich seitdem hier und
+da und vorzüglich in folgender Erzählung geäussert habe,
+schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich
+mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta<!-- pb n="IX" facs="#f0019"/ -->sche
+auf und davon ging. Was sollte ein Dorfpfarrer mit diesen
+Gährungen? Bey einem Kosmopoliten können sie auf einem
+festen Grunde von Moralität wohl noch etwas Gutes wirken.
+Der Sturm wird bey mir nie so hoch, dass er mich von der
+Base, auf welcher ich als vernünftiger rechtlicher Mann
+stehen muss, herunterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen
+in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach
+Sicilien war vielleicht der erste ganz freye Entschluss von
+einiger Bedeutung.</p>
+
+<p>Man hat mich getadelt, dass ich unstet und flüchtig sey:
+man that mir Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es
+hielt mich keine höhere Pflicht. Dass ich einige Jahre über
+dem Druck von Klopstocks Oden und Messiade sass, ist wohl
+nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, dass ich
+kein Amt suche. Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich;
+und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf
+lächerlichen Stolz gründen, dass ich glaube, der Staat müsse
+Männer suchen für seine Aemter. Es ist mir also lieb, dass
+ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande
+dreyssig tausend Geschicktere und
+<!-- pb n="X" facs="#f0020"/ --> Bessere seyn als ich. Wäre
+ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem
+Manne ein Amt geben, der es suchte. Das werden Viele für
+Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolierter nicht strenge
+nach meinen Grundsätzen handeln will, wer soll es sonst?</p>
+
+<p>Man hat es gemissbilligt, dass ich den Russischen Dienst
+verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall
+weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrscheinlich
+auch Zufall: und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele,
+um mir darüber eine Suppe verderben zu lassen, In der
+wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grodno
+und Warschau die deutsche und französische diplomatische
+Korrespondanz zwischen dem General Igelström, Pototzky,
+Möllendorf und den andern preussischen und russischen
+Generalen besorgt, weil eben kein anderer Offizier im
+Hauptquartier war, der so viel mit der Feder arbeiten
+konnte. &mdash; Sie sind noch nicht verpflichtet, sagte
+Igelström zu mir, als er mir den ersten Brief von Möllendorf
+gab, Sie haben noch nicht geschworen. Der ehrliche Mann,
+antwortete ich, kennt und thut seine
+<!-- pb n="XI" facs="#f0021"/ --> Pflicht ohne Eid, und der
+Schurke wird dadurch nicht gehalten. &mdash; Man hat alten
+Staabsoffizieren Dinge von grosser Bedeutung abgenommen und
+sie mir übergeben, als Möllendorf noch die Piliza zur Gränze
+forderte, und als man nachher russisch die Dietinen in Polen
+nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete. Igelström,
+Friesel und ich waren einige Zeit die Einzigen, die von dem
+ganzen Plane unterrichtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und
+Nacht, bis zur letzten Stunde als der erste Kanonenschuss
+unter meinem Fenster fiel: und mich däucht, dass ich dann
+auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich
+gleich während des langen Feuers kartätschensicher zuweilen
+in einer Mauernische neben den Grenadieren sass und in
+meinem Taschenhomer blätterte. Zu den russischen Arbeiten
+hatte der General Dutzende; zu den deutschen und
+französischen, die der Lage der Sachen nach nicht unwichtig
+seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst,
+Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose
+Sion ankam, waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan.
+Dafür wurde mir
+<!-- pb n="XII" facs="#f0022"/ --> denn dann und wann ein
+Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt
+hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhnlich. Ich
+hatte das Schicksal gefangen zu werden. Der General
+Igelström schickte mich nach Beendigung der ganzen
+Geschichte mit einem schwer verwundeten jungen Manne, der
+mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien,
+damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir
+konnten nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten.
+Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an dem Tage zurück
+auf meinem Posten seyn, den Paul in seiner Ukase bestimmt
+hatte, und wurde aus dem Dienst geschlossen. Man hat in
+Russland wenig schöne Humanität bey dem Anblick auf das
+flache Land. Schon vorher war ich halb entschlossen nicht
+zurückzugehen, und war es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf
+meine sehr freymüthige Vorstellung an ihn selbst, da ich
+durchaus keinen Dienstfehler gemacht hatte, endlich den
+förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General Pahlen
+zuschickte. Es ist sonst Gewohnheit
+<!-- pb n="XIII" facs="#f0023"/ --> in Russland, Offizieren,
+die einige Dienste geleistet haben, ihren Gehalt zu lassen;
+ich erhielt nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode,
+und es würde Schwachheit von mir seyn mich darüber zu
+ärgern. Wenn ich jetzt etwas in Anregung bringen wollte,
+würde man die Sache für längst antiquirt halten und der Sinn
+des Resultats würde heissen: Wir Löwen haben gejagt. &mdash;
+Ich will mir den Nachsatz ersparen. Wenn ich nicht einige
+Kenntnisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genügsamkeit
+hätte, könnte ich den Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot
+im deutschen Vaterlande umher tragen.</p>
+
+<p>Ich habe mich in meinem Leben nie erniedriget, um etwas
+zu bitten das ich nicht verdient hatte; und ich will auch
+nicht einmal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der
+Welt viele Mittel ehrlich zu leben: und wenn keines mehr
+ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach
+reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am
+Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen
+abzutreten.
+<!-- pb n="XIV" facs="#f0024"/ -->
+Auf Billigung der Menschen muss man nicht
+rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen
+und brauchen morgen den Ostracismus für
+den nehmlichen Mann und für die nehmliche
+That.</p>
+
+<p>Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und
+dann nichts mehr zu thun finde, kann es wohl noch eine
+kleine Ausflucht werden, die Winkel meines Gedächtnisses
+aufzustäuben, und meine Geschichte zur Epanorthose der
+Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut und
+ruhig leben, so gut und ruhig man ohne einen Pfennig Vorrath
+leben kann. Es wird gewiss gehen wie es bisher gegangen ist:
+denn ich habe keine Ansprüche, keine Furcht und keine
+Hoffnung.</p>
+
+<p>Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du,
+lieber Leser, schon zu sichten wissen. Ich stehe für alles
+was ich selbst gesehen habe, in so fern ich meinen Ansichten
+und Einsichten trauen darf: und ich habe nichts vorgetragen,
+was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholt
+<!-- pb n="XV" facs="#f0025"/ --> gehört hätte. Wenn ich
+über politische Dinge etwas freymüthig und warm gewesen bin,
+so glaube ich, dass diese Freymüthigkeit und Wärme dem Manne
+ziemt; sie mag nun einigen gefallen oder nicht. Ich bin
+übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem
+ganzen Meissnischen Kreise kaum einen Thorschreiber hat.
+Manches ist jetzt weiter gediehen und gekommen, wie es wohl
+zu sehen war, ohne eben besser geworden zu seyn. Machte ich
+die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen
+haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben
+können.</p>
+
+<p>Freylich möchte ich gern ein Buch gemacht haben, das auch
+ästhetischen Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit
+würde durch ängstliche Glättung zu sehr leiden. Niemand kann
+die Sachen und sich selbst besser geben, als beyde sind.
+Ich fühle sehr wohl, dass diese Bogen keine Lektüre für
+Toiletten seyn können. Dazu müsste vieles heraus und vieles
+hinein, und vieles müsste anders seyn. Wenn aber hier und da
+<!-- pb n="XVI" facs="#f0026"/ --> ein guter, unbefangener,
+rechtlicher, entschlossener Mann einige Gedanken für sich
+und andere brauchen kann, so soll mir die Erinnerung Freude
+machen.</p>
+
+<div class="abspann">Leipzig 1803.</div>
+<div class="sign"><span class="right">Seume.</span></div>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Dresden</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[1]" facs="#f0027"/ -->
+<div class="chapter" id="Dresden">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Dresden</span>, den 9ten Dec. 1801.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">I</span>ch schnallte in Grimme
+meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane guter
+gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge
+des Muldenthals, und Freund Grossmann sprach mit Freund
+Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon
+ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich
+einige Minuten für mich, setzte mich Sankt Georgens grossem
+Lindwurm gegen über und betete mein Reisegebet, dass der
+Himmel mir geben möchte billige freundliche Wirthe und
+höfliche Thorschreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und
+zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; dass er mich
+behüten möchte vor den Händen der monarchischen und
+demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns
+schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der
+Samojete seinen Thieren den Ring.</p>
+
+<p>Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon
+Melanchthon so lieblich fand, dass er dort zu leben
+wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen
+Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruss
+sind leicht vergessen. Dort
+<!-- pb n="2" facs="#f0028"/ --> stand Hohenstädt mit seinen
+schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens
+herrliche Siedeley, wo wir so oft gruben und pflanzten und
+jäteten und plauderten und ernteten, und Kartoffeln assen
+und Pfirschen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer
+umher, und der Fluss wand sich gekrümmt durch die
+Bergschluchten hinab, in denen mir kein Pfad und kein
+Eichbaum unbekannt war.</p>
+
+<p>Die Sonne blickte warm wie im Frühling und wir nahmen
+dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von
+unsern Begleitern Abschied. Noch einmahl sah ich links nach
+der neuen Mühle auf die grösste Höhe hin, die uns im
+Gartenhause zu Hohenstädt so oft zur Gränze unserer Aussicht
+über die Thäler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die
+Strasse nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns
+mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete uns mit der
+Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden
+Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens Liede &mdash;
+Kennst du das Land? &mdash; unter den wärmsten Wünschen
+weiter nach Meissen, wo wir eben so traulich willkommen
+waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an der
+südlichen Küste von Sicilien bestellen könnten! Die Elbe
+rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab.
+Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder
+hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Flusse an
+den alten Scharfenberg romantisch hinauf. Das Wetter war den
+achten December so schwül, dass es unserm Gefühl sehr
+wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des
+Waldes kamen.</p>
+
+<!-- pb n="3" facs="#f0029"/ -->
+<p>Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich
+damahls von Leipzig herauf wandelte, um einige Stellen
+in <span class="italic">Guischards memoires
+militaires</span> nachzusuchen, die ich dort nicht finden
+konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie
+einem General in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner
+Rückkehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem
+Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen
+Kram getaugt hätte. So macht man manchen Marsch in der Welt
+wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke,
+sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe
+kam; und ich kann nicht sagen, dass Dresden diessmahl eine
+Ausnahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bey
+Meissen gewesen war. Man trifft so viele trübselige,
+unglückliche, entmenschte Gesichter, dass man alle fünf
+Minuten auf eins stösst, das den Staupbesen verdient zu
+haben oder ihn eben zu applicieren bereit scheint: Du kannst
+denken, dass weder dieser noch jener Anblick wohl thut.
+Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören
+oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an
+dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit
+grollend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer
+Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Impertinenz
+ist bekanntlich am meisten unter dem Hofgesinde der Grossen
+zu Hause, das sich oft dadurch für die Misshandlungen
+schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen
+Willkühr der Herren erfahren muss. Höflichkeit sollte vom
+Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im
+Leben,
+<!-- pb n="4" facs="#f0030"/ --> die Antiphrase des Sinnes
+zu seyn, und Hof heisst oft nur ein Ort, wo man keine
+Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von
+Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber
+verdammt ist; es ist ein grosses Glück, wenn sein Geist
+nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr
+als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem gehörigen
+Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.</p>
+
+<p>Eben komme ich aus dem Theater, wo man Grossmanns alte
+sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie
+arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war
+beschnitten worden, und ich erwartete nach der Gewohnheit
+eine förmliche Kombabusierung, fand aber bey genauer
+Vergleichung, dass man dem Verfasser eine Menge Leerheiten
+und Plattheiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn
+war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten
+Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es vielleicht
+noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der
+gewöhnlichen Dresdner Engbrüstigkeit manches weggelassen
+worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben
+wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen
+König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die
+eigenmächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, dass es
+bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in
+Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde
+dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern
+unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war
+sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen
+Churfürsten
+<!-- pb n="5" facs="#f0031"/ --> muss eher durch solche
+Winkelzüge beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen
+Leben vielleicht nur eine oder zwey Uebereilungen zur Last
+gelegt, und davon ist keine in diesem Stücke berührt. Dass
+man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre wegwischt,
+hat moralischen und
+ästhetischen <span class="spaced">Grund</span>: aber ich
+sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten
+und Gebrechen der Adelskaste nicht mit Freymüthigkeit
+gesagt, gerügt und mit der Geissel des Spottes zur Besserung
+gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr trifft, ist es
+nicht mehr nöthig; dass es aber noch nöthig ist, zeigt die
+ängstliche Behutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des
+jüngsten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.</p>
+
+<p> <span class="spaced">Christ</span>, als Hofrath, sprach
+durchaus bestimmt und richtig, und seine Aktion war genau,
+gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt.
+Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer gewöhnlichen
+Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher sehr
+glücklicher Kunst. Madam Ochsenheimer fängt an eine ziemlich
+gute Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres
+Mannes viel gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht zu
+seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wilsdorf.
+Thering und Bösenberg kennst Du: beyde hatten, der erste als
+Philipp, der zweyte als Wunderlich, ein ziemlich dankbares
+Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen
+barocken <span class="spaced">Laune</span> und musste
+gefallen; aber Bösenberg that einen beleidigenden Missgriff,
+der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann.
+Wunderlich wollte für den gelieferten
+Wagen <span class="italic">stande<!-- pb n="6" facs="#f0032"/ -->bene</span>
+bezahlt seyn: und nun denke dir Bösenbergs obersächsische
+Aussprache hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte
+weich macht, und die noch dazu hier sehr markiert zu seyn
+schien. Der halblateinische Theil des Publikums lachte
+heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der ersten
+Grösse vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch
+Drewitz machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht
+machte. Aber Henke war ein Major wie ein Stallknecht, und
+arbeitete oder vielmehr pfuschte zur grossen Belustigung
+aller Militäre, die um mich her im Parket sassen. Der Fehler
+war nicht so wohl sein eigen, als des Direktoriums, das ihn
+zum Major gemacht hatte. <span class="italic">Non omnia
+possumus omnes</span>; er macht den Becker Ehlers in einem
+Ifflandischen Stücke recht gut.</p>
+
+<p>Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten
+wegen Oestreichischer Pässe haben; aber ich muss die
+Humanität der Gesandschaft rühmen. Herr von Büel, als
+Sekretär, nahm uns sehr gütig auf, und fertigte, da er
+unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit grosser
+Freundlichkeit sogleich selbst aus; und in einigen Stunden
+erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich
+unterschrieben, durch alle Kaiserliche Länder.</p>
+
+<p>Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in
+gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im
+Heiligthum? Die Galerie sah ich nicht, weil ich dazu noch
+einmahl hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah
+ich nicht, weil ich den Inspektor das erste Mahl nicht traf;
+und das übrige
+<!-- pb n="7" facs="#f0033"/ -->
+nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts;
+ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen
+und beschreiben.</p>
+
+<p>Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Gesellschaft
+und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als
+weil ich mich sehr gedrängt gefühlt hätte seine Arbeiten zu
+sehen: und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich
+bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes
+Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung. Mich
+däucht, er hat von dem strengen Ernst der alten ächten
+Schule etwas nachgelassen, und seine eigene blühende
+unaussprechlich reizende Grazie dafür ausgegossen. Er hat
+mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten
+Manier thun wollte, durch welche er, wie die Kritiker der
+Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beyde
+schmeicheln; aber Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und
+Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir
+noch manches von Warschau, wo wir beyde in der grossen Krise
+der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte
+durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten
+erlitten, und musste während der Belagerung bey dem
+Bürgerkorps als Korporal zehn Mann kommandieren. Stelle Dir
+den sanften Künstler auf einer Batterie mit einer
+Korporalschaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln
+durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freundschaft und
+Kunstsinn brachten den guten Mann endlich in Sicherheit,
+indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem
+schrecklichen Schauplatz aus<!-- pb n="8" facs="#f0034"/ -->wirkte
+und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab, bis er
+nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst denken, dass
+unser Freund Schnorr sich mit Enthusiasmus an den Mann
+anschloss; und die Herzlichkeit, mit der sich beyde einander
+öffneten, machte beyden Ehre.</p>
+
+<p>Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt
+und erfuhr beym Aufstehen, dass dem Hause ein Prinz geboren
+war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder
+so viel Lärm, als bey seiner Ankunft auf unserm Planeten.
+Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit
+mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens.
+Dadurch werden ihre Verdienste gewiss erhöht, und ihr Muth
+wird doch nicht mehr problematisch, als ob sie Schlachten
+gewännen.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+</body>
+</html>
+
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+ <title>Budin</title>
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+<body>
+
+<div class="chapter" id="Budin">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Budin</span>.</span></div>
+
+<p><span class="initial">D</span>u weisst, dass
+Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst
+mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich
+Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel
+hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in
+meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit
+Fragmenten vorlieb, aus denen am Ende doch unser ganzes
+Leben besteht. In Dresden missfiel mir noch zuletzt gar
+sehr, dass man zur Bequemlichkeit der Ankömmlinge und
+Fremden noch nicht die Strassen und
+<!-- pb n="9" facs="#f0035"/ --> Gassen an den Ecken
+bezeichnet hat; ein Polizeyartikel, an den man schon vor
+zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen
+gedacht hat, und der die Topographie ausserordentlich
+erleichtert: und Topographie erleichtert wieder
+Geschäfte.</p>
+
+<p>Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsche
+Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen,
+von welchem Werth sie ist, und Küttner hat es, meines
+Wissens, schon sehr gut gethan. Du weisst, dass ich hier
+ziemlich Idiot bin und mich nicht, in das Heiligthum der
+Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum
+Beyspiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken
+habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit seiner
+Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den
+Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo
+es, wie ich denke, jetzt steht. Hier intressierten mich eine
+Menge Köpfe am meisten, die ich grössten Theils für römische
+hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabey ein, dass der
+Churfürst diese Sammlung zur Wohlthat für die Kunst mehr
+komplettieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu
+beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwey Tage und
+den Winter öffentlich gar nicht zu sehen ist. Einige
+Verordnungen die Kunst betreffend sind mir barock genug
+vorgekommen. Kein Künstler, zum Beyspiel, darf auf der
+Galerie ein Stück ganz fertig kopieren, wie man mich
+versichert hat. Diess zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht.
+Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn
+Kopien grosser Meister von dort kämen, die man mit den
+<!-- pb n="10" facs="#f0036"/ --> Originalen verwechseln
+könnte. Auch darf kein Maler länger als die bestimmten zwey
+Stunden oben arbeiten, welches für die Kopisten in Oehl eine
+Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber
+das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuweilen bis zur
+Ungezogenheit treiben; und es soll vor kurzem ein nahmhafter
+Maler unsers deutschen Vaterlandes seine Pinsel auf einem
+der schönsten Originale abgewischt haben um die Farben zu
+versuchen. Da würde mir Laien unwillkührlich der Knotenstock
+sich in der Faust geregt haben.</p>
+
+<p>Den letzten Abend sahe ich noch eine Oper, die mit
+ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Gedächtniss ist
+wie ein Sieb; aber mich däucht, es war die Gräfin von
+Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch.
+Es war bey der Vorstellung kein einziger schlechter Sänger
+und Akteur; aber nach meiner Meinung auch kein einziger
+vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses
+behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich
+mich fast in jedem Fache eines bessern Subjekts
+unwillkührlich erinnerte.</p>
+
+<p>In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Siegfried, den du
+als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns
+mit einigen Bekannten an die Gränze brachte. Nun gieng es in
+die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so
+rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon
+Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter
+Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bey
+Aussig wieder ganz auf.</p>
+
+<!-- pb n="11" facs="#f0037"/ -->
+<p>Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den
+auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholicität
+gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegentheil muss ich
+sagen, es gefiel mir alles ausserordentlich wohl. Unser
+Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger
+Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der
+Zollbeamte, der den Pass bescheinigte, war freundlich. Die
+Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst
+niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir
+Griesgram. Man müsste eine sehr verstimmte unästhetische
+Seele haben, wenn man nicht lieber ein junges, hübsches,
+freundliches Gesicht sähe, als ein altes, hässliches,
+murrsinniges. Das Mädchen setzte ihr Silbermützchen vor
+einem Spiegel, der zwischen zwey Marienbildern hing, so
+reitzend unbefangen in Ordnung, als ob sie sich in Ehren
+eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der
+Ketzer Schnorr sahe dem rechtgläubigen Geschöpf so
+enthusiastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr
+bekehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen wollte.
+Ueberdiess ist der böhmischdeutsche Dialekt bis Lowositz
+ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick
+und widrig hervor, wie der gebirgische in Sachsen.</p>
+
+<p>Der Weg von Peterswalde nach Aussig ist rauh, aber schön;
+von Aussig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch
+wild, links und rechts an dem Flusse hohe Berge mit
+Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die
+Klage über die Undisciplin unserer sächsischen Landesleute
+ins Ohr, die in
+<!-- pb n="12" facs="#f0038"/ --> dem Bayerischen
+Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle
+verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher
+steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in
+die Seele anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm
+machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird unsere
+Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwischen? Bey
+Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger
+hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches,
+fruchtbares Land, das zwey Stunden hinter Budin nun ganz
+Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit
+zu seyn scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine
+kleine Sammlung guter Bücher an, und liess mir von ihm, da
+er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den
+Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration
+über das Daseyn Gottes geben.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Prag</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Prag">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Prag</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Budin bis hierher
+stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir
+von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem
+ab, und sassen doch noch über eine Stunde zu Mittage in
+einem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit
+fasten und dafür funzig Kreuzer bezahlen mussten; welches
+ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll
+Geld finde. Da war
+<!-- pb n="13" facs="#f0039"/ --> es in Peterswalde
+verhältnissmässig billiger und besser. Der Wirth zur
+goldenen Rose in Budin hatte ein gutes Haus von aussen und
+ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldauen, altes
+dürres Rindfleisch und eine sehr zähe lederne Braten von
+einer Gans, die noch mit eine Retterin des Kapitols gewesen
+seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am
+schlechtesten war der Preis. Die schlechten Sachen waren
+ungeheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war.
+Aber Muss ist ein Bretnagel, heisst das Sprichwort: er ist
+der Einzige in Budin, und mich däucht, schon Küttner hat
+gehörig sein Lob gesungen. Uebrigens lasse ich die Qualität
+der Wirthshäuser mich wenig anfechten. Das beste ist mir
+nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiss ich noch
+fertig zu werden. Ich denke, es ist noch lange nicht so
+schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man
+uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte,
+oder auf der Brandwache, wo ich einen Stein zum Kopfkissen nahm,
+sanft schlief und das Donnerwetter ruhig über mir wegziehen
+liess.</p>
+
+<p>In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von
+Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier
+und da zur Verschönerung wahrscheinlich etwas dazu logen.
+Einige Oestreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige
+Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft
+gewesen waren, und einige Sachsen von dem Kontingent machten
+eine erbauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang
+und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Besonders machte
+einer der Soldaten eine so gräuliche Be<!-- pb n="14" facs="#f0040"/ -->schreibung
+von den Läusen im Felde und in der Gefangenschaft, dass wir
+andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir
+war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten
+Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich
+säuberlich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum
+Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge
+bekamen, dass sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein
+Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und
+seine Cameraden in Iglau neulich einige Soldaten, in einem
+Streit wegen der Mädchen, gar furchtbar zusammen geprügelt
+hätten.
+<span class="italic">Where there is a quarrel, there is
+always a lady in the case</span>, dachte ich; gilt auch bey
+der Oestreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, dass die
+Fuhrknechte denn doch etwas sehr missliches und
+ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern
+des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am
+Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte der Fuhrknecht,
+es waren ja nur Legioner. Das ist etwas anders, erwiederte
+der Soldat beruhigt; das waren nur Studenten und
+Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot
+weinten wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer
+tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu
+vertreiben.</p>
+
+<p>In Prag registrierte uns eine Art von Thorschreiber
+gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere
+Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium. Die Herren
+der Polizey waren gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern
+Ländern die Höflichkeit selbst,
+<!-- pb n="15" facs="#f0041"/ --> den andern Morgen war in
+zehn Minuten alles abgethan, und wir hatten unsern Bescheid
+bis Wien. Unsere Bekannten wunderten sich sehr über unser
+Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit
+Gesandschaftspässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.</p>
+
+<p>Das Theater hier ist polizeymässig richtig und nicht ohne
+Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die
+Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht
+viel besser als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das
+wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt;
+und es war Schade, dass in der Vorstellung weder Charakter
+noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unternehmer
+der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen
+als der italiänischen. Die deutsche habe ich höchst
+mittelmässig gefunden, und die italiänische soll noch einige
+Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bey ihm
+sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde
+Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, dass ich nicht
+Lust hatte einen meiner Lieblinge gemisshandelt zu
+sehen.</p>
+
+<p>Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuersgefahr
+gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird
+länger dauern, als ich zu warten gesonnen bin. Der
+Bibliothekar, Rath Unger, der um Literatur und Aufklärung
+viel Verdienste und gegen Fremde grosse Gefälligkeit hat,
+würde indessen unstreitig die Güte gehabt haben uns die
+gelehrten Schätze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen
+hätten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyssigjährigen
+Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch
+<!-- pb n="16" facs="#f0042"/ --> Einverständniss mit ihrer
+Parthey sogar die unterirdischen Gewölbe ausfindig zu machen
+wussten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen.
+Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat
+die Bibliothek wieder ausserordentlich gewonnen; aber die
+aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben dadurch für die
+Literatur grösserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem
+einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die
+Besorgniss bestätigt und erhöht. Ein Glück war es, dass eben
+damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die
+Nachlässigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer
+arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale
+Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den
+musterhaftesten gehört, ihre Rettung.</p>
+
+<p>Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster,
+und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend
+hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die
+Kathedrale hat für die Liebhaber der Geschichte manches
+Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen
+gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuss;
+und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht
+auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr
+es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel
+und Karls des Vierten, und fand, dass die Zeiten der
+goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und
+für <!-- choice><sic -->bie<!-- /sic><corr>die</corr></choice --> ganze
+übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers
+Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein
+verdorbener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde.
+<!-- pb n="17" facs="#f0043"/ -->
+Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob
+man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken
+wollte.</p>
+
+<p>Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen
+Gesellschaft gewährt den frommen Seelen noch viel Trost. Es
+scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter
+Protestanten, noch eine grosse Anzahl Zeloten zu geben: nur
+nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die
+Toleranz selbst sind.</p>
+
+<p>Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böhmen auf
+die Ebenen kam, und hoffte nun einen beträchtlichen Grad von
+Wohlstand und Kultur zu finden, da der Boden rund umher
+ausserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine
+Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn,
+und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in
+den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren
+leer; die Einwohner schlichen so niedergedrückt herum, als
+ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich
+däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig
+gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier
+noch schwerer durch die Frohnen gedrückt als irgendwo. Wo
+die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den
+Anhang des grossen und kleinen Adels und theilen den Raub.
+Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die
+Franzosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten,
+sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre
+Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in
+<!-- pb n="18" facs="#f0044"/ --> Rücksicht der Franzosen
+Recht hatte, ist eine andere Frage: ab er in seiner Freude
+bey der furchtbaren Krise des Vaterlandes lag ein grosser
+Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch
+vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die
+verlornen Schlachten.</p>
+
+<p>Die Leute jagen uns hier Angst ein, dass rund umher in
+der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten sie nun
+wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz
+sollen über hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger.
+Die Auflösung der militärischen Korps ist immer von solchen
+Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen
+gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und verlasse mich
+etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem
+ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen
+nachstossen kann. Freund Schnorr wird auch das seinige thun,
+und so müssen es schon drey gut bewaffnete entschlossene
+Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als
+ob wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir
+das wenige das wir tragen so leicht hergeben
+würden<!-- choice><sic -->,<!-- /sic><corr>.</corr></choice --></p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Znaym</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Znaym">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Znaym</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">W</span>ir nahmen den Segen unsrer
+Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich
+nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise nichts
+<!-- pb n="19" facs="#f0045"/ -->
+erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir
+Schinken oder Wurst oder beydes zugleich assen, kann
+Dir ziemlich gleichgültig seyn.</p>
+
+<p>Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir
+durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfelds gingen.
+Daun wusste alle seine Schlachten mit vieler Kunst zu
+Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als
+einmahl das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er
+bey Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich
+eine zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin
+bis Czasslau kam mir sehr angenehm vor, vorzüglich geben die
+Dörfer rechts im Thale einen schönen Anblick. Die vorletzte
+Anhöhe vor Czasslau gewährt eine herrliche Aussicht, rechts
+und links, vorwärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit
+Dörfern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre
+einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig
+kann man nach allen Gegenden hinab streichen: und mich
+sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgend wo in
+der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin ass ich zu
+Mittage in einem Wirthshause an der Strasse, ohne mich eben
+viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer
+eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmuth,
+unter den furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus
+einer Ecke des grossen finstern Zimmers eine schwache,
+zitternde, einfach magische Musik zu. Ich gestehe Dir meine
+Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und
+mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin
+<!-- pb n="20" facs="#f0046"/ --> sass an einem helleren
+Fenster uns gegen über und trocknete sich die Augen, und ein
+junges schönes Mädchen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien
+ihr mit Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand
+hier und da in der Entfernung nur einiges aus der
+Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weisst,
+ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung
+bricht bey mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität
+allmächtig hinreisst. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur
+öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein
+goldhariger junger Kerl in dem andern dunkeln Winkel
+spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und
+ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht
+Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den
+eigentlichen Nahmen des Instruments nicht nennen; am
+ähnlichsten war es der Russischen
+<span class="italic">Balalaika</span>.</p>
+
+<p>Mich däucht, schon andere haben angemerkt, dass die
+Strasse von Prag nach Wien vielleicht die befahrenste in
+ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen
+mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die
+meisten brachten Mehl in die Magazine bey Czasslau und
+weiter hin nach der Gränze.</p>
+
+<p>Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die
+vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen
+Dresden und Prag einmahl etwas cynisch essen, trinken und
+liegen müssen. Man tröstete uns, dass wir in Deutschbrot ein
+sehr gutes Haus finden würden: aber nie wurde eine so gute
+Hoffnung so
+<!-- pb n="21" facs="#f0047"/ --> schlecht erfüllt. Wir
+gingen in zwey, die eben keine sonderliche Miene machten,
+und konnten keine Stube erhalten: die Officiere, hiess es,
+haben auf dem Durchmarsche alles besetzt. Das mochte
+vielleicht auch der Fall seyn; denn alles ging von der Armee
+nach Hause: desswegen die sichern Wege. Im dritten legte ich
+missmüthig sogleich meinen Tornister auf den Tisch, und
+quartierte mich ein ohne ein Wort zu sagen. Der Wirth war
+ein Kleckser und nennte sich einen Maler, und seine Mutter
+ein Muster von einem alten, hässlichen, keifischen Weibe,
+das schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die
+siebente getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge
+Juden, Glashändler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller
+Art, von denen einer bis nach Sibirien an den Jenisey zu
+handeln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte sich
+sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen Pfifferling zu
+bekümmern: und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern
+so enge auf das Stroh, dass ich auf dem brittischen
+Transport nach Kolumbia kaum drückender eingelegt war.
+Solche Abende und Nächte mussten schon mit eingerechnet
+werden, als ich zu Hause den Reisesack schnallte.</p>
+
+<p>In Iglau habe ich bey meinem Durchmarsch nichts gesehen,
+als den grossen schönen hellen Markt, dessen Häuser aber in
+der Ferne sich weit besser machen als in der Nähe, wie fast
+alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft
+zu haben. Ziemlich in der Mitte des Markts steht ein
+herrliches Dreyfaltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten
+und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber
+traurig
+<!-- pb n="22" facs="#f0048"/ --> wie die Barbarey. Einige
+feine Artikel waren zerspalten und bekleckst; aber
+die <span class="italic">conceptio immaculata</span> und
+die <span class="italic">sponsa spiritus sancti</span>
+standen unter dem Ave Maria zum Trost der Gläubigen noch
+fest und wohl erhalten. Es soll bey Iglau schon ein recht
+guter Wein wachsen; er muss aber nicht in Menge kommen; denn
+ich habe in der Gegend nicht viel Weingärten gesehen. Eine
+halbe Stunde diesseits Iglau stehen an der Gränze zwey
+Pyramiden nicht weit von einander, welche im Jahr 1750 unter
+Maria Theresia von den böhmischen und mährischen Ständen
+errichtet worden sind. Die Inschriften sind ächtes
+neudiplomatisches Latein, und schon ziemlich verloschen; so
+dass man in hundert Jahren wohl schwerlich mehr etwas davon
+wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhnlich, zum
+ewigen Gedächtniss gesetzt. In Mähren scheint mir durchaus
+noch mehr Liberalität und Bonhommie zu herrschen als in
+Böhmen.</p>
+
+<p>Im Städchen Stannern müssen beträchtliche
+Wollenmanufakturen seyn; denn alle Fenster sind mit diesen
+Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mützen, Strümpfe,
+Handschuhe und dergleichen zu ausserordentlich niedrigen
+Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes bequemes Wirthshaus,
+das erste, das wir seitdem wir aus Prag sind trafen, hatte
+den Ort gleich etwas mehr in Kredit bey uns gesetzt. Wenn
+man nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fusse trotzig vor
+sich hin stapelt, muss man sich sehr oft sehr huronisch
+behelfen. Meine grösste Furcht ist indessen vor der etwas
+ekeln Einquartierung gewisser weisser schwarz besattelter
+Thierchen, die in Polen vorzüglich gedei<!-- pb n="23" facs="#f0049"/ -->hen
+und auch in Italien nicht selten seyn sollen. Uebrigens ist
+es mir ziemlich einerley, ob ich mich auf Eyderdunen oder
+Bohnenstroh wälze: <span class="italic">Sed quam misere ista
+animalcula excruciare possint, apud nautas expertus
+sum</span>; darum haben ihnen auch vermuthlich die Griechen
+den verderblichen Nahmen gegeben.</p>
+
+<p>Hier in Znaym musste ich zum ersten Mahl Wein trinken,
+weil der Göttertrank der Germanen in Walhalla nicht mehr zu
+finden war. Der Wein war das Mass für vier und zwanzig
+Kreuzer sehr gut, wie mich Schnorr versicherte; denn ich
+verstehe nichts davon und trinke den besten Burgunder mit
+Wasser wie den schlechtesten Potzdamer. Hier möchte ich wohl
+wohnen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend,
+selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stösst die Stadt
+an ziemliche Anhöhen, und auf den andern, vorzüglich nach
+Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch durch die
+Menge Weingärten, die alle an sanften Abhängen hin gepflanzt
+sind. Die beyden Klöster an den beyden Enden der Stadt sind,
+wie die meisten Mönchsitze, treffliche Plätze. Das eine nach
+der Oestreichischen Seite hat Joseph der Zweyte unter andern
+mit eingezogen. Die Gebäude desselben sind so stattlich,
+dass man sie für die Wohnung keines kleinen Fürsten halten
+sollte. Im Kriege diente das Kloster zu verschiedenen
+Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalt für
+Gefangene: jetzt steht es leer.</p>
+
+<p>Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwey
+Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend.
+Da ich aber in Mähren keine römischen Ruinen studieren will,
+wandelte ich meines
+<!-- pb n="24" facs="#f0050"/ --> Weges weiter. Ein hiesiger
+Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit
+deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen
+Weinfeldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre dass
+die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte
+ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die
+Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den grossen
+weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu
+seyn scheint, doch wohl besser angewendet werden als zu
+Weinbau. Die Armen müssen billig eher Brot haben als die
+Reichen Wein; und Aebte und Domherren können in diesem
+Punkte weder Sinn noch Stimme haben.</p>
+
+<p>Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe ich kein
+Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich
+schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten
+scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu seyn.
+Ich nehme die Sache als Philanthrop und nicht als Trinker
+und Procentist. Schlechtes Pflaster, das seit langer Zeit
+nicht ausgebauet seyn muss, gilt für Chaussee.</p>
+
+<p>Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon
+will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen. Ich bezahlte
+gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in
+Sachsen eben nicht sonderlich gut sind; das sah ein
+Tabuletkrämer, machte mich aufmerksam wie viel ich verlöre,
+und nahm hastig, da ich ihn versicherte ich könne es nicht
+ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner
+weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen war, neue
+schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander<!-- pb n="25" facs="#f0051"/ -->mahl
+fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlichkeit,
+Wohlhabenheit und sogar Ueberfluss herrschte, und wo man uns
+sehr gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir
+fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: Das
+kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe
+seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes
+Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der
+alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem
+Gelde und Papier sehr wohl und war zufrieden, ohne sich um
+Dukaten zu bekümmern.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Wien</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Wien">
+<div class="dateline"><span class="right">Wien.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>en zweyten
+Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir
+die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen
+und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine
+Instanz angehalten und an die andere zur Visitation
+gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für
+einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter
+Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man
+musste doch den <span class="italic">casum in
+terminis</span> gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde
+ausgepackt, meine weisse und schwarze Wäsche durchwühlt,
+mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein
+Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas französischer
+Konterband darin stecke: meine Taschen wurden betastet und
+selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein
+durchsucht; alles sehr höflich.
+<!-- pb n="26" facs="#f0052"/ -->
+<span class="italic">I must needs have the face of a
+smuggler</span>. Meine Briefe wurden mir aus dem
+Taschenbuche genommen, und dazu musste ich einen goldnen
+Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein
+Gesetz gesündigt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wusste
+und zu wissen gar nicht gehalten bin. »Du sollst kein
+versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen.« Der
+Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen. Aus besonderer
+Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, dass ich weder
+mit Brüssler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte,
+erhielt ich die Briefe nach drey Tagen wieder zurück, ohne
+weitere Strafe, als dass man mir für den schönen
+vollwichtigen Dukaten, nach der Kaisertaxe von welcher kein
+Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiss, neue blecherne
+Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freundlich und
+höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der
+Polizey. Wider alles Vermuthen bekümmerte man sich um uns
+nun mit keiner Sylbe weiter, als dass man unsere Pässe dort
+behielt und sagte, bey der Abreise möchten wir sie wieder
+abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post
+wieder erhalten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern
+und meine Personalität vorzustellen. Die Herren waren alle
+sehr freundschaftlich, und honorierten die Zettelchen mit
+wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer
+unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und
+die ich hier zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem
+Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.</p>
+
+<p>Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne
+<!-- pb n="27" facs="#f0053"/ --> Stunde wahren Genusses.
+Der Mann hat mich mit seinen Gesinnungen und seiner
+Handelsweise sehr interessiert. Er hatte eben Geschäfte, und
+ich konnte daher seine offene Ungezwungenheit desto besser
+bemerken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein
+gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen. Wer in den
+Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist
+keine Rettung. Er hatte so eben seinen Achilles bey dem
+Leichnam des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet
+und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle
+nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du
+kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke
+hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in
+Lebensgrösse bey dem Todten, der bis an die Brust neben ihm
+sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefesten
+Schmerz zu erholen und Rache zu beschliessen. Die Figur ist
+ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Färbung und
+Zeichnung; aber der Kopf ist göttlich. Du weisst, ich bin
+nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im Anschauen
+sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich
+mit der himlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht
+ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden
+sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den
+Töchtern Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon
+gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der
+Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch
+zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann
+sollte schon etwas vollende<!-- pb n="28" facs="#f0054"/ -->ter
+seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit
+vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und
+überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave
+steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und
+Furcht liest.</p>
+
+<p>Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade.
+Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an
+der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte
+mir, dass er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse
+habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle,
+bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm
+dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vieren hat
+Göschen die Kupfer zu seiner schönen Ausgabe erhalten. Es
+wäre werth, dass Göschen mit seinem gewöhnlichen
+Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit
+wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle
+mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen
+Aufwand erfordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte.
+Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostolischen
+Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Satan grässlich
+charakteristisch, ohne Karikatur. Vorzüglich hat mich gerüht
+das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten
+Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist
+ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler
+gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe
+eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und
+der Hauptmann der Römer gleicht Einem, der in seinem
+Schrecken es noch zeigt, dass er zu dem alten Kapitol
+<!-- pb n="29" facs="#f0055"/ --> gehört. Porcia ist ein
+göttliches Weib. Am wenigstens hat mich das erste und letzte
+Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der
+Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man
+nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter
+Olympius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht
+genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christlichen
+Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser
+Bruder. Bis zu ihm kann sich unsere Sinnlichkeit erheben,
+aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die
+Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig
+wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler
+empor gewagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich
+wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in
+diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und
+Füger für die seinige.</p>
+
+<p>Ich muss Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen,
+die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du
+vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner
+mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und
+Gefälligkeit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für
+Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuss
+hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Gemälde sind
+ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das
+zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er
+seine Söhne verdammt; und der Moment ist das
+furchtbare: <span class="italic">Expedi secures!</span> Man
+muss das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die
+Grösse der Wirkung zu haben, die der Künst<!-- pb n="30" facs="#f0056"/ -->ler
+hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander
+setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Figuren; aber es ist
+keine müssig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen
+Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher
+Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt
+römisch, und schön und gross. Ich darf nicht wagen zu
+beschreiben; es muss gesehen werden. Vorzüglich rührend für
+mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich
+erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn
+er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in
+der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey
+Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck
+eines flammenden Patriotismus auf den Richter und das
+Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so
+müsste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Vater
+und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.</p>
+
+<p>Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter
+geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt,
+und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur
+einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für
+den Geist des Künstlers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius
+und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber
+unbeschreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst
+hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das sterbende
+Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den
+Vater, nicht um den tyrannischen Richter, nicht um das Volk,
+um nichts was um sie her geschieht; sie sind ganz allein mit
+dem geliebten Leich<!-- pb n="31" facs="#f0057"/ -->nam
+beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung schwebte
+selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die
+Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des
+Augenblicks dazu. Es ist eine der schönsten Kompostionen aus
+der Seele eines Künslers, den der Genius der hohen und
+schönen Humanität belebte. Ich würde nieder knien und
+anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weisst
+aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als
+Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Russland leben,
+an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem
+Palladium der römischen Freyheit. Beschuldige mich nicht zu
+schnell eines Paradoxons. Wehe den neuen Galliern, wenn sie
+die altrömische Freyheit ihrer Nation oder gar ihren
+Nachbarn aufdringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen
+wollen! Aber wo gerathe ich hin?</p>
+
+<p>Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für
+den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, arbeitet, ist ein
+Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde
+vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll,
+ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn,
+sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken
+auszuführen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der
+grosse Künstler, dass er einige seiner herrlichsten
+Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun
+wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie
+ich es Füger war; und ich hoffe es soll mir gelingen.</p>
+
+<p>Während der vierzehn Tage, die ich hier hause<!-- pb n="32" facs="#f0058"/-->te,
+war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber
+nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, dass dieses
+fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen
+allein für mich auf dem Walle und etymologisierte
+eins. <span class="italic">Vindobana</span>, <span class="italic">quia
+dat vinum bonum; Danubius</span>, <span class="italic">qui
+dat nubes;</span> und dergleichen mehr: wer weiss, ob die
+Römer bey ihrer Nomenklatur nicht so gedacht haben. Wenn
+Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht
+gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen
+schenkten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen
+Tornister wieder packen müssen.</p>
+
+<p>Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel
+Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Nationaltheaters ist
+abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt
+so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm
+als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert
+dort und ragt über die andern so sehr empor, dass er durch
+seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die
+andern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht
+nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da
+auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das
+Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, dass es mir
+ungewöhnlich viel Vergnügen gemacht hat; vielleicht schon
+desswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der
+Geschichte behandelte. Ich halte das Stück für recht gut
+gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung
+urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum
+Genuss hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind
+<!-- pb n="33" facs="#f0059"/ --> allerdings mehrere kleine
+Verzeichnungen in den Charaktern; aber das Ganze hat doch
+durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen
+Gang: die Sprache ist meistens rein und edel, und ich war
+zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches;
+aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir
+Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen
+grossen Genuss gewähren, Brockmann in der Rolle des Regulus
+gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der
+auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es
+hier vorzüglich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten
+Liebhaberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre
+Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die
+Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für
+dieses Fach.</p>
+
+<p>Die Italiäner sind verhältnissmässig nicht besser. Man
+trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Kastrat
+Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarmherzig in seine
+eigene verstümmelte Natur hinein, dass es für die Ohren des
+Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit
+solcher Unmenschlichkeit so traurige Missgriffe in die
+Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie
+vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft
+verantworten, wenn sie können.</p>
+
+<div class="poem">
+<span class="indent">Ich, meines Theils, will keine Helden,</span><br />
+Die uns, entmannt und kaum noch mädchenhaft,<br />
+Sogleich den Mangel ihrer Kraft<br />
+Im ersten Tone quiekend melden,<br />
+<!-- pb n="34" facs="#f0060"/ -->
+Und ihre lächerliche Wuth<br />
+Im Schwindel durch die Fistelhöhen<br />
+Von ihrem Brett herunter krähen,<br />
+Wie Meister Hahns gekappte Brut.<br />
+Wenn ich des Hämmlings Singsang nicht<br />
+Wie die Taranteltänze hasse,<br />
+So setze mich des Himmels Strafgericht<br />
+Mit ihm in Eine Klasse.<br />
+</div>
+
+<p>Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der
+Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen
+Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen
+könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiss
+ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein grosser Vorzug ist
+Lokalität, deren er sich oft mit einer Freymüthigkeit
+bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre
+macht. Ich habe auf seinem Theater über die
+Nationalnarrheiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge
+gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen,
+ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über
+Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er
+im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu
+haben; und ich muss bekennen, dass mir seine barocke
+Personalität als Tyroler Wastel ungemeines Vergnügen gemacht
+hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar
+nicht übel zu nehmen, dass sie zuweilen zu ihm und Kasperle
+herausfahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer
+lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt
+verhältnissmässig weit besser, als jene für die Burg. Die
+Klei<!-- pb n="35" facs="#f0061"/ -->dung ist an der Wien
+meistens ordentlicher und geschmackvoller, als die
+verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des
+Heldengefolges noch manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug
+machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine
+eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und
+der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er auch
+Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl vergnügen; aber
+wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium
+und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfodern, muss
+der Versuch allerdings immer sehr schlecht ausfallen. Aber
+hier wird er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus:
+dawider ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann
+nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst
+wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel
+zwischen Kasperle und der Vollendung der mimischen Kunst im
+Nationaltheater. Die Herren Kasperle und Schikaneder mögen
+ihre subordinirten Zwecke so ziemlich erreicht haben; aber
+das Nationaltheater ist, so wie ich es sah, noch weit
+entfernt, dem ersten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz
+eines grossen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu
+machen.</p>
+
+<p>Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich
+höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der
+Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die
+dazu erhoben werden. Er soll überdiess das wesentliche
+Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.</p>
+
+<p>Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in
+<!-- pb n="36" facs="#f0062"/ --> Wien fast nichts
+geäussert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf
+öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Propos hörst,
+das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter
+Strenge eben so wohl auf Orthodoxie im Staate wie in der
+Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille auf den
+Kaffehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder
+kaum zu athmen wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu
+enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu
+sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freundliche Weisung
+von Bekannten, die mich vor den Unsichtbaren warnten. In wie
+fern sie Recht hatten, weiss ich nicht; aber so viel
+behaupte ich, dass die Herren sehr Unrecht haben, welche die
+Unsichtbaren brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene
+Sorglosigkeit fast einen Streich. Du weisst, dass ich
+durchaus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens
+das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber die
+Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut halte zuweilen
+etwas lauter werden zu lassen, als vielleicht gut ist. So
+hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches
+Stück gefallen, und es begegnet mir wohl, dass ich, ohne
+eben irgend etwas zu denken, eben so wie aus irgend einem
+andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die
+Zähne brumme. Diess geschah einmahl, freylich sehr am
+unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein
+Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten
+Leute als für mich: denn ich hatte weiter keinen Gedanken,
+als dass mir die Musik der Takte gefiel, und selbst diesen
+jetzt nur sehr dunkel.</p>
+
+<!-- pb n="37" facs="#f0063"/ -->
+<p>Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaften, halb
+komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die
+übergrosse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein
+alter ehrlicher, eben nicht sehr politischer
+Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in
+Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch
+lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz
+gerufen, und er fand da an öffentlichen Orten überall eine
+Klosterstille. Das war ihm sehr missbehaglich. Einige Tage
+hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt
+soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger
+Unbefangenheit: »Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein
+verdammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht
+sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine grosse Karthause?
+Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder
+darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, dass
+man überall lauern lässt: ist das wahr? Hole der Henker die
+Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut
+reden und lustig seyn.« Du hättest die Gesichter der
+Gesellschaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige waren
+ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere
+nickten gefällig und bedeutend über den Spass: aber niemand
+schloss sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen,
+sagte dieser, dass ich wieder zur Armee komme; Das todte
+Wesen gefällt mir nicht.</p>
+
+<p>Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vorgedrungen
+waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa
+ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber
+desto grösser war die
+<!-- pb n="38" facs="#f0064"/ --> allgemeine Besorgniss vor
+den Unordnungen der zurückgeworfenen Armee. Damahls fing
+Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen
+Aussichten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise
+den Oestreichern grosse Angst und grosse Verwirrungen
+erspart.</p>
+
+<p>Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhalten, sich
+es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leuten gleich am
+Schedel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll
+seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.</p>
+
+<p>Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und
+schlechtes Geld. Die Manege mit schlechtem Gelde ist
+bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier
+ist noch das unschuldigste Mittel die Armuth zu decken, so
+lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den
+Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts
+ungerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere
+Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privilegien
+und Immunitäten, die freylich eine Sottise des öffentlichen
+Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf
+Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der
+Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören
+meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten.
+Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften
+bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden.
+Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die
+Wohlthätigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch
+beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder
+<!-- pb n="39" facs="#f0065"/ --> unterbringen könne. Nach
+diesem Schlusse sind die Krankheiten ein grosses Gut für die
+Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon
+nähren. Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen
+können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher
+unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vieles
+Nachdenken, dass durch die Staatsschulden die Aermern
+gezwungen sind, ausser der alten Last, noch den Reichen
+Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. »Bey
+Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre
+es anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine
+und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur
+bey einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo
+hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen auf Kosten
+der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch das
+Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke,
+und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig,
+sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf
+Humes Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand
+bekannt ist.</p>
+
+<p>Sonderbar war es, dass man in dem letzten Jahre des
+Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffenplatz machen
+wollte; das Schlimmste, was die Regierung für ihre Sache
+thun konnte. Wenn damahls die Franzosen den Frieden nicht
+eben so nöthig hatten wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte
+andere Absichten hatte, als er nachher zeigte, so war das
+Unglück für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was
+konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war
+be<!-- pb n="40" facs="#f0066"/ -->kannt, Wien hätte
+sich nicht acht Tage halten können; und welche Folgen hätte
+es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der
+Feinde gekommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, dass es
+nicht dahin kommen würde; aber eben desswegen waren die
+Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit
+Entschlossenheit der Maxime des Ministers folgen können,
+dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen
+möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte
+gewogen wären: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es
+ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, dass die
+Kapitale so viel Einfluss auf das Ganze hat.</p>
+
+<p>Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir
+bekannt ist, nur selten eine glückliche Stimmung; ich will
+Dir also, zumahl da das Feld hier zu gross ist, darüber
+nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen
+lassen, der vermuthlich eher zurück kommt als ich.</p>
+
+<p>Ich darf rühmen, dass ich in Wien überall mit einer
+Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man
+vielleicht in Residenzen nicht so gewöhnlich findet. Selbst
+die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die
+Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen
+böotischen, aber auch ächt böotischen, Auftritt hatte ich
+den letzten Tag auf der italiänischen Kanzley. Hierher wurde
+ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen
+gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich,
+da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art
+von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er
+<!-- pb n="41" facs="#f0067"/ -->
+hatte meinen Pass von Dresden schon vor sich in der
+Hand, als ich eintrat.</p>
+
+<p>»Währ üfs Aehr?« fragte er mich mit einem stier
+glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wiener
+Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Provinz, so lange
+es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit
+ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege
+gemacht, dass ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich
+that ein kurzes Stossgebetchen an die heilige Humanität,
+dass sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Namen,
+indem ich auf den Pass zeigte.</p>
+
+<p>»Wu will Aehr hünn?«</p>
+
+<p>Steht im Passe: nach Italien.</p>
+
+<p>»Italien üss gruhss.«</p>
+
+<p>Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.</p>
+
+<p>»Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Gesüendel
+härümmer.«</p>
+
+<p>Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Menschen zu
+antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und
+Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er
+mich nicht gar zurück geschickt hätte: denn er war ja ein
+Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische
+Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich
+in Dresden muss wohl wissen, was er thut und wem er seine
+Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so
+bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von
+dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis
+auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne
+Stiefeln geknöpft waren.</p>
+
+<!-- pb n="42" facs="#f0068"/ -->
+<p>»Wu wüll Aehr weiter hünn?«</p>
+
+<p>Vorzüglich nach Sicilien.</p>
+
+<p>Er glotzte von neuem, und fragte:</p>
+
+<p>»Wafs wüll Aehr da machchen?«</p>
+
+<p>Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit gesagt, dass
+ich bloss spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus
+einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von
+Klopstocks Oden etwas zusammen gesessen hatte, so hätte der
+Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt
+und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen.</p>
+
+<p>Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.</p>
+
+<p>Weiss der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und
+sah auf den Pass und sah mich wieder an, und schrieb sodann
+etwas auf den Pass, welches, wie ich nachher sah, der Befehl
+zur Ausfertigung eines andern war.</p>
+
+<p>»Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uffhalten.«</p>
+
+<p>Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen
+Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust
+dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Pass, und
+ich ging.</p>
+
+<p>Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, dass
+dieses durchaus sein Charakter sey, und dass er bey dem
+Kaiser in gar grossem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe.
+Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener
+und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das
+Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick
+sehen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu
+<!-- pb n="43" facs="#f0069"/ --> haben. Seinen Namen habe
+ich geflissentlich vergessen, erinnere mich aber noch so
+viel, dass er, nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher,
+obgleich Präsident der italiänischen Kanzley war. Ist das
+der Vorschmack von Italien? dachte ich; das fängt erbaulich
+an.</p>
+
+<p>Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die
+Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers
+des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so
+viel <span class="spaced">Euer Gnohden</span> gescholten,
+dass meine Bescheidenheit weder ein noch aus wusste, und
+erhielt sogleich einen grossen Realbogen voll Latein in
+ziemlich gutem Stil, worin ich allen Ober- und
+Unteroffizianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar
+nachdrücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsident
+etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nehmlichen
+oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden
+können. Auf dem neuen Passe
+stand <span class="italic">gratis</span> und man foderte mir
+zwey Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren
+Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und
+froh war, dass ich dem Uebermass der Grobheit und
+Höflichkeit zugleich entging.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Schottwien</title>
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+<body>
+
+<div class="chapter" id="Schottwien">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Schottwien</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>un nahm ich von meinen
+alten und neuen Bekannten in der Kaiserstadt Abschied,
+packte meine Siebensachen zusammen und wandelte mit meinem
+neuen kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes
+<!-- pb n="44" facs="#f0070"/ --> die Strasse nach
+Steyermark. Schnorr hatte als Hausvater billig Bedenken
+getragen, den Gang nach Hesperien weiter mit mir zu machen.
+Man hatte die Gefahr, die wohl ziemlich gross war, von allen
+Seiten noch mehr vergrössert; und was ich als einzelnes
+isoliertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für
+einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Komme ich um, so
+ist die Rechnung geschlossen und es ist Feyerabend: aber bey
+ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete
+mich den zehnten Januar, an einem schönen hellen kalten
+Morgen eine Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches
+Monument, und übergab mich meinem guten Genius. Unsere
+Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und
+hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.</p>
+
+<p>Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts immer grösser
+wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel denken ist,
+zumahl in einer solchen Stimmung und bey einer solchen
+Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen
+Fuss vor den andern immer weiter fort. Als die Nacht
+einbrach blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und
+Neustadt. So wie ich in die grosse Wirthsstube trat fand ich
+sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die
+Reminiscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts wegen
+eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaksdampf und
+Kleinbierwitz leben musste, hielten mich, dass ich nicht
+sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am
+Ofen, und liess ungefähr dreyssig Wildlinge ihr Unwesen so
+toll um mich her treiben, dass mir die Ohren gellten. Einige
+spielten Karten,
+<!-- pb n="45" facs="#f0071"/ --> andere sangen, andere
+disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund
+und Hand und Fuss. Da entstand Streit im Ernst und die
+Handfestesten schienen schon im Begriff, sich einander
+die <span class="italic">Argumenta ad hominem</span> mit den
+Fäusten zu applicieren, da fing ein alter Kerl an in der
+entferntesten Ecke der grossen gewölbten Stube auf einer Art
+von Sackpfeife zu blasen, und alles ward auf einmahl
+friedlich und lachte. Bey dem dritten und vierten Takte ward
+es still; bey dem sechsten fassten ein Paar Grenadiere
+einander unter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball
+vermehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man
+ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin, und
+aller Zank war vergessen. Dann traten Solotänzer auf und
+tanzten steyerisch, dann kosakisch, und dann den
+ausgelassensten ungezogensten Kordax, dass die Mädchen davon
+liefen und selbst der Sakpfeifer aufhörte. Dann ging die
+Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und
+zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder
+anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war
+ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus grossen Glaskrügen
+trank, that endlich seine Wirkung; alles ward ein volles,
+grosses, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den
+Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen
+Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein
+Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und
+gewiss wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht
+von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt
+worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden,
+<!-- pb n="46" facs="#f0072"/ --> überall das sicherste bey
+militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen
+Gästen wohl gern ihre Kreuzer geschenkt, wenn sie ihn nur in
+Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton
+vermuthete, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr
+Schicht, und es ward ruhig.</p>
+
+<p>Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen alten Mann bey
+seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche
+Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir
+denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise,
+dass sie der Gegend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren
+auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war,
+und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis
+nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur
+die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser
+aus den Bergen bey Neustadt und Neukirchen war so schön und
+hell, dass ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen.
+Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und
+überall wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte und
+trank. Du musst wissen, dass ich noch nicht so ganz
+diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu trinken,
+sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resine
+gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in
+alle Formen fügt. Eine Stunde von Schottwien fängt die
+Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster
+rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das
+Ganze hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Aussig
+und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluss
+<!-- pb n="47" facs="#f0073"/ --> kleiner; doch sind die
+Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert.
+Das Städtchen Schottwien liegt an dem kleinen Flüsschen Wien
+zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine
+einzige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am
+Eingange und Ausgange.</p>
+
+<p>Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und fing heute
+zu Mittage merklich an zu thauen, und jetzt schlagen
+Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schiesst von den
+Dächern und der kleine Fluss rauscht mächtig durch die Gasse
+hinab. Mir schmeckt der Horaz und die gute Mahlzeit hinter
+dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der
+Horaz schmeckt mir, das heisst, viele seiner Verse; denn der
+Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich
+zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, neben dem der
+Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu
+entscheiden, wer von beyden den Anstand und die Sitten mehr
+ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia;
+es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum
+Vortheil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder gar
+ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, dass es ihm
+gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin:
+bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer Ingrimm. Er
+beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bey ihm ist mehr
+Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt
+sich; Juvenal nennt sie wie sie ist, aber Zorn und Unwille
+hat den Vers gemacht.</p>
+
+<p>Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in
+welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend
+<!-- pb n="48" facs="#f0074"/ --> an, die, wie ich mich
+erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz
+verglichen haben. Wie wird es aber auf den steyermärkischen
+Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborene
+bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth,
+damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt
+und Neukirchen, einer langen langen Ebene zwischen den
+Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr
+zusammen schliessen, begegnete mir ein starkes Kommando mit
+Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine
+sehr gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und
+klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute,
+welche die Strassen unsicher gemacht hatten. Aber desto
+besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und
+diese werden gewiss nicht so bald wieder losgelassen. In
+Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, dass man
+die Pressburger Post angefallen, ausgeplündert und den
+Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau,
+nicht weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das waren
+aber gewiss Leute, die vorher gehörig rekognosciert hatten,
+dass die Post beträchtliche Summen führte, die sich auch
+wirklich zusammen über hundert und dreyssig tausend Gulden
+belaufen haben sollen. Bey mir ist nicht viel zu
+rekognoscieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden
+wenig Räuber in Versuchung bringen.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+<div class="chapter" id="Muerzhofen">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Mürzhofen</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Schottwien bis hierher
+war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung.
+Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte
+Hälfte der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir
+hoch an die Waden; ich wusste keinen Schritt Weg, und es war
+durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief ich den Morgen noch im
+Finstern unten im Thal zu weit links, und musste durch
+Verschläge in dem tiefen Schnee die grosse Strasse wieder
+suchen. Nun ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach
+kamen einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeigten mir
+wenigstens, dass ich dort hin musste, wo sie kerkamen. Links
+und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der
+mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber
+kaum zwanzig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen
+begegneten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege
+nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und
+überdiess waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert. Herren
+und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem
+Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter
+hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf bergab,
+und trabte zum grossen Neide der dick bepelzten Herren an
+dem englischen Wagen fürbass. Ein andermahl rollten sie vor
+mir vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der Welt:
+sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf dieser Seite
+des Sömmerings kommt aus verschiedenen
+<!-- pb n="50" facs="#f0076"/ --> Schluchten die Wien herab;
+und auf der zweyten Hälfte der Station, nach Mürzzuschlag,
+nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt eben
+so die Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein recht
+schöner Bach. Bey Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert
+Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo
+sie grösser wird, nun schon einen ansehnlichen Fluss bildet,
+und nur mit Kosten gebraucht werden kann. Es ist angenehm,
+die Industrie zu sehen, mit welcher man das kleine
+Wässerchen zu seinen Behufen zu leiten und zu gebrauchen
+weiss; und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind
+ausserordentlich lieblich, und machen auch unter dem Schnee
+mit ihren fleissigen Gruppen ein schönes Winterbild.</p>
+
+<p>Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach
+den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie
+<span class="italic">nomina male ominata</span>, deren
+Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich
+nicht zu faul gewesen wäre irgend einen Pastor aufzusuchen:
+und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich
+aus der abenteuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr
+gewöhnliches, dass man einem Gaste, wenn er die Zeche
+bezahlt hat und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man
+denkt nicht viel dabey: aber Du kannst nicht glauben, wie
+angenehm es ist, wenn es in einer solchen Lage, im Januar
+wenn der Sturm den Schnee' gegen die Felsen jagt, mit
+Theilnahme von einem artigen hübschen Mädchen geschieht,
+zumahl wenn man den Kopf voll Räuber und Marodeurs hat.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Gräz</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[51]" facs="#f0077"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Graez">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Gräz</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">H</span>ier will ich einige Tage
+bleiben und ruhen; die Stadt und die Leute gefallen mir. Du
+weisst, dass der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr
+angenehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen Anblick
+von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von
+Schottwien aus machte ich den ersten Tag mit vieler
+Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweyten mit vieler
+Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem
+entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den
+zweyten ging ich bey ziemlich gutem Wetter an der Mürz
+bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren
+Quellen zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden.
+Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muss die erste Meile
+schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in
+der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es
+versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwey Mahl
+dagegen gesündiget, und bin über eine Stunde die Nacht
+gelaufen. Indessen wer wird gern in einer
+schlechten <span class="italic">Kabacke</span> übernachten,
+wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet ihr ein gutes
+Wirthshaus.</p>
+
+<p>An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem
+kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht
+mehr als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philanthropie
+sehr wohl; denn Du weisst, dass ich mir aus den Kreuzern so
+wenig mache wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch
+natürlich
+<!-- pb n="52" facs="#f0078"/ --> auf die schöne Tugend der
+Billigkeit und auf die unbillige Forderung, dass alle
+Richter als Richter sie haben sollen. Billigkeit ist die
+Nachlassung von seinem eigenen Rechte: und nun frage ich
+Dich, ob ein Richter dabey etwas zu thun hat? Nur die
+Partheyen können und sollen billig seyn. Bey billigen
+Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen
+Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirthshause nieder,
+und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über
+die Billigkeit.</p>
+
+<div class="poem">
+<p>
+<span class="indent">Verdammt den Richter nicht; er darf nicht billig seyn:</span><br />
+Für ihn ist das Gesetz von Eisen,<br />
+Und seine Pflichten sind von Stein,<br />
+Die taub und kalt ihn auf das Recht verweisen.<br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Nur das was mir gehört, geb' ich mit Bruderhand</span><br />
+Dem Bruder für die kleine Spende,<br />
+Und schlinge freundlicher das Band,<br />
+Das beyde knüpft, und schüttle froh die Hände.<br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Hier ist der Uebergang zu der Erhabenheit</span><br />
+Der göttergleichen Heldentugend,<br />
+Die sich der Welt zum Opfer weiht;<br />
+Der erste Blick von unsrer Geistesjugend.<br />
+</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Die strenge Pflicht, die der Vertrag erzwingt,</span><br />
+Bleibt ewig Grund zu dem Gebäude;<br />
+Doch Milde nur und Güte bringt<br />
+Ins leere Haus den Harrenden die Freude.<br />
+</p>
+
+<!-- pb n="53" facs="#f0079"/ -->
+
+<p>
+<span class="indent">Mit seinem Eisenstab befriedige das Recht</span><br />
+Den grossen Tross gemeiner Seelen;<br />
+Mit dem olympischen Geschlecht<br />
+Soll uns schon hier die Göttliche vermählen.<br />
+</p>
+</div>
+
+<p>Jeder <span class="spaced">soll</span> billig seyn für
+sich; das ist menschlich, das ist schön: aber
+alle <span class="spaced">müssen</span> gerecht seyn gegen
+alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht
+bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Richter,
+oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des
+Richters wäre ein Eingriff in die Gerechtigkeit. Zur
+Gerechtigkeit kann, muss der Mensch gezwungen werden; zur
+Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet.
+Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter
+nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die
+Gerechtigkeit ist die erste grosse göttliche Kardinaltugend,
+welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die
+Gerechtigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nachher
+Justinian lehren liess. Jeder unbefangene Geschichtsforscher
+weiss, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten
+und wie sie zu Werke gingen, und wie viel Unsinn Papinian
+von der Toilette der heiligen Theodora annehmen musste.
+Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend
+Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein
+Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuss tödten
+könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine
+Morgenröthe, die sie hervorzuführen versprach. Aber die
+Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke
+Wolken und endlich
+<!-- pb n="54" facs="#f0080"/ --> Nebeltage. Es war ein
+Phantom. Wenn Du Gerechtigkeit in Gesetzen suchst, irrest Du
+sehr; die Gesetze sollen erst aus der Gerechtigkeit hervor
+gehen. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute,
+schliessen: je mehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; je
+mehr Theologie, desto weniger Religion; je längere
+Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer
+bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn
+die Gewalthaber begreifen wohl, dass ohne diese durchaus
+nichts bestehen kann, dass sie sich ohne dieselbe selbst
+auflösen: aber desto schlimmer sieht es mit der öffentlichen
+aus; und mich däucht, wir werden wohl noch einige
+platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der
+That bessert, so oft es sich auch ändern mag. Dazu ist die
+Erziehung des Menschengeschlechts noch zu wenig gemacht, und
+diejenigen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse
+sie nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. So bald
+Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und Glück: sie ist
+die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit,
+Grossmuth, Menschenliebe, Gnade, Erbarmung genug im
+Einzelnen, bloss weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit
+haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der
+Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit;
+die Gnade gehört bloss für Verbrecher; und meistens sind die
+Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der
+Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Thronen der
+Fürsten getragen hat, soll verdammt seyn von blosser Gnade
+zu leben: vermuthlich war er ein Mensch, der mit
+Gerechtigkeit nichts
+<!-- pb n="55" facs="#f0081"/ -->
+fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter,
+rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und
+wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es
+ist ein Widerspruch; man lästert die Gottheit, wenn
+man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber
+Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in
+Gräz?</p>
+
+<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht
+alle herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter,
+kam in Brüg an die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab.
+Schon zu Neukirchen waren mir eine Menge Wagen begegnet, die
+leer zu seyn schienen und doch ausserordentlich schwer
+gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und entdeckte
+nun, dass sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich
+von Gräz und noch weiter von der italiänischen Armee
+brachten und deren Lavetten vermuthlich verbraucht waren.
+Vor Einem Wagen zogen oft sechzehn Pferde, und der Wagen
+waren mehr als hundert. Für mich hatten sie den Vortheil,
+dass sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung; und
+Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jezt immer gern:
+denn im Allgemeinen darf man annehmen, diese sind ehrliche
+Leute; die Schlechten behält man in der Garnison und lässt
+sie nicht mit Gewehr im Lande herum ziehen.</p>
+
+<p>Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu
+Mittage in Gräz, heisst im Januar immer ehrlich zu Fusse
+gegangen. Die Thäler am Flusse herunter sind fast alle
+romantisch schön, die Berge von beträchtlicher Höhe. Noch
+eine Meile von Brüg,
+<!-- pb n="56" facs="#f0082"/ --> gleich an dem Ufer der
+Mürz, steht ein schönes Landhaus; auf der einen Seite
+desselben siehst Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem
+ganzen Gefolge in sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf
+der andern die Musik mit den meisten Instrumenten nach der
+Reihe noch grotesker und fast an Karikatur gränzend. Das
+Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possierlich
+angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der
+Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziemlich beschneyt war,
+konnte man nicht entdecken, ob er abgeschlagen war oder ob
+man sie absichtlich ohne Kopf hingestellt hatte. Die Oerter
+in der Gegend haben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.</p>
+
+<p>Bey Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich
+eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse
+anrichteten, die aus den Bergen herab kämen. Der Schnee ward
+hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau,
+bloss weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen
+hatte. Aber das Quartier war so traurig als ich es kaum auf
+der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit
+einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz
+nach Gräz zum Examen ging und der mich durch seine drolligen
+Schilderungen der öffentlichen Verhältnisse in Steyermark,
+für das schlechte Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel
+Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein Steyermärker war,
+und lobte Klagenfurt nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging
+ich vollends hierher.</p>
+
+<p>Gräz ist eine der schönsten grossen Gegenden, die ich bis
+jetzt gesehen habe; die Berge rund umher ge<!-- pb n="57" facs="#f0083"/ -->ben
+die herrlichsten Aussichten, und müssen in der schönen
+Jahrszeit eine vortrefliche Wirkung thun. Das
+Schlos<!-- supplied>s</supplied -->, auf einem ziemlich hohen
+Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund
+umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch
+Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert
+ist. Als ich oben in das Schlossthor trat, stand ein
+Korporal dort und pfiff mit grosser Andacht eines der besten
+Stücke aus der Oper <span class="spaced">die
+Krakauer</span>, welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch
+der Revolution in Warschau war. Da ich die Oper dort
+genossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst
+mitgemacht hatte, so kannst Du denken, dass diese Musik hier
+in Gräz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte
+mich oft so sehr beschäftigt, dass ich manchmahl in
+Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text
+darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich
+verstehe. Die Gefängnisse des Schlosses sind jetzt voll
+Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das
+Spital, gleich unten am Schlossberge, ist von Joseph dem
+Zweyten, ein stattliches Gebäude; und das neue sehr
+geschmackvolle Schauspielhaus, mit einer kurzen ächt
+lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner
+spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich
+habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue
+Bearbeitung des alten Stücks <span class="spaced">der Teufel
+ist los</span>. Der Text hält freylich, wie in den meisten
+Opern keine Kritik. Schade dass man nicht in dem Tone
+fortgefahren ist, den Weisse angeschlagen hatte. Es hätten
+eine Menge zu niedriger Redensarten ausge<!-- pb n="58" facs="#f0084"/ -->merzt
+werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab
+Reminiscenzen, war aber sehr gefällig, und schon mehr
+italiänisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn
+seit Guardasonis schöner Periode irgend wo gehört habe. Das
+Personale ist ziemlich gut besetzt, und vorzüglich das
+weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien. Das
+einzige was mir missfiel waren die Furien und Teufel, welche
+durchaus aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.</p>
+
+<p>In einer Prolepse muss ich Dir, nicht ganz zur Ehre
+unserer Mitbürger, sagen, dass ich auf meiner ganzen
+Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe,
+als bey uns in Leipzig. Hier in Oestreich und durch ganz
+Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige bequeme
+Vorzimmer am Eingange, und die meisten haben Kaffeehäuser
+von mehrern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut
+haben kann. Bey uns wird das Publikum in einem schlechten
+Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und
+Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Scene oder diesen
+Akt nicht sehen wollen, ist gar nicht gesorgt. An
+Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und
+sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und
+Ausflucht zusammen.</p>
+
+<p>Die Gräzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches
+Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch
+als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das
+ist nun so überall sein Geist, etwas gröber oder feiner;
+ausgenommen vielleicht in grossen Städten und grossen
+Residenzen, wo sich die Menschen
+<!-- pb n="59" facs="#f0085"/ --> etwas mehr an einander
+schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Murr
+herunter giebt es links und rechts noch manche alte
+Schlösser, die aber, dem Himmel sey Dank, immer mehr und
+mehr in Ruinen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das
+Romantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war,
+spricht man so wohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus.
+An der Wirthstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von
+der Bärenjagd und den Abenteuern die es dabey gäbe. Ich
+glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jezt nur noch in
+Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier
+in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang
+schon wieder mehrere. Vor einigen Jahren wurde eine Bärin
+erlegt, die Junge hatte, und auf einen Hof geschafft. Kurze
+Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der todten Mutter
+und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo
+sie sich endlich ruhig fangen liessen. Die Gärten und der
+Lindenberg waren verschneyt, so dass ich diese
+Vergnügungsörter nur von weitem sah.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Laybach</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Laybach">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Laybach</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">H</span>ier mache ich, wenn Du
+erlaubst, wieder eine Pause und lasse meine Hemden waschen
+und meine Stiefeln besohlen.</p>
+
+<p>Von Gräz aus war es sehr kalt und ward immer kälter. Die
+erste Nacht blieb ich in Ehrenhausen, einem ganz hübschen
+Städtchen das seinem Namen
+<!-- pb n="60" facs="#f0086"/ --> Ehre macht, wo ich von
+meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen glühte, aber das
+Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach
+Mahrburg ist ein wahrer Garten, links und rechts mit
+Obstpflanzungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz
+hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem Flusse
+hinauf und hinab sind voll der schönsten Weingärten. Eine
+herrliche ökonomische Musik war es für mich, dass die Leute
+hier überall links und rechts auf Bohlentennen droschen. Man
+kann sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte
+nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das Italiänische
+fing nicht an: dafür hörte ich das krainerische Rothwelsch,
+von dem ich nur hier und da etwas aus der Analogie mit dem
+Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf zu
+gute, dass man sie so weit herab in ihrer Muttersprache
+versteht, und nennen sich desswegen die Slawen, die
+Berühmten, ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die
+grosse Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden sie
+hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen sogleich leicht
+und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine
+grosse Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor
+mehreren Jahren aus Russland zurück kam und einen alten
+russischen Grenadier als Bedienten mit mir hatte, dass er
+mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte: »Aber,
+mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Russland; hier
+spricht man ja noch gut russisch.« So viel Aehnlichkeit
+haben die slawischen Dialekte unter sich, von dem russischen
+bis zum wendischen und krainischen.</p>
+
+<!-- pb n="61" facs="#f0087"/ -->
+<p>Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler Berg,
+weit steiler als der Sömmering; so dass vier und dreyssig
+Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwagen zogen, den die
+sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fort brachten.
+Die Berge sind hier meistens mit schönen Buchen bewachsen,
+da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt
+sind.</p>
+
+<p>In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir gütlich
+in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu werden
+anfängt. Ich muss aus Verzweiflung Wein trinken, und zwar
+viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein
+Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem
+Gelde klingelte. Es wurde hier bey meiner späten Ankunft so
+stark geschossen und geschrien, dass ich glaubte es wäre
+Revolution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich, dass es
+Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine
+Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich ass gut und viel,
+wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir
+ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich
+kalt war: denn die steyermärkischen und krainerischen Winter
+halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vorzüglich
+strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich
+aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich
+zu Bette. Du weisst dass ich ein gar gesunder Kerl bin und
+jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch
+hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens
+seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und
+den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich
+<!-- pb n="62" facs="#f0088"/ --> Besinnung, dass ich
+errieth, ich schlief in einem neu geweissten Zimmer, das man
+auf mein Verlangen gewaltig geheitzt hatte. Als ich mich
+aufzurichten versuchte, um das Fenster zu öffnen, fiel ich
+kraftlos und dumpf auf den Pfühl zurück und verlor das
+Bewusstseyn. Als es helle ward erwachte ich wieder, sammelte
+so viel Kraft das Fenster zu öffnen, mich anzuziehen, in der
+Eile das Zimmer zu verlassen, hinunter zu taumeln und unten
+etwas Wein und Brot zu bestellen. Hier kam der zweyte
+Paroxysmus; ich sank am Tische hin in einen namenlosen
+Zustand, wie in einen lichtleeren Abgrund, wo Finsterniss
+hinter mir zuschloss. So viel erinnere ich mich noch; ich
+dachte, das ist der Tod, und war ruhig; sie werden mich
+schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte ich
+wieder unter dem entsetzlichsten Schweisse, der mich aber
+mit jedem Augenblicke leichter ins Leben zurück brachte. Der
+ganze Körper war nass, die Haare waren wie getaucht, und auf
+den Händen standen grosse Tropfen bis vorn an die Nägel der
+Finger. Niemand war in dem Zimmer; der Schweiss brachte mir
+nach der Schwere des Todes ein Gefühl unaussprechlicher
+Behaglichkeit. Etwas Schwindel kam zurück; nun suchte ich
+mich zu ermannen und nahm etwas Wein und Brot. Die Luft,
+dachte ich, ist die beste Arzney, und auf alle Fälle stirbt
+man besser in dem freyen Elemente, als in der engen Kajüte.
+So nahm ich meinen Tornister mit grosser Anstrengung auf die
+Schulter und ging oder wankte vielmehr nur; aber mit jedem
+Schritte ward ich leichter und stärker und in einer halben
+Stunde fühlte ich nichts mehr, ob mir
+<!-- pb n="63" facs="#f0089"/ --> gleich Kleid, Hut, Haar
+und Bart und das ganze Gesicht schwer bereift war und der
+ganze Kerl wie schlechte verschossene Silberarbeit aussah;
+denn es fiel ein entsetzlicher kalter Nebel. Nach zwey
+Stunden frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich
+je gethan hatte. Siehst Du, lieber Freund, so hätte mich der
+verdammte Kalk beynahe etwas früher als nöthig ist aus der
+Welt gefördert. Doch vielleicht kam mir dieses auch nur so
+gefährlich vor, weil ich keiner Phänomene von Krankheit,
+Ohnmacht und so weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde
+ich dadurch für die Zukunft und ich visitierte nun allemahl
+erst die Wände eines geheitzten Zimmers, ehe ich mich ruhig
+einquartierte.</p>
+
+<p>Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am Berge
+eine Pyramide mit einem Postament von schwarzem Marmor, auf
+dem die Unterwerfungsakte der Krainer an Karl den Sechsten
+eingegraben ist: <span class="italic">Se
+substrauerunt</span>, heisst es mit klassisch diplomatischer
+Demuth. Eine Viertelstunde weiter hin ist links ein anderes
+neueres Monument, wie es mir schien zur Ehre eines
+Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war sehr
+kalt; die Schrift war schon ganz unleserlich und der Weg war
+auch wieder in übeln Umständen, obgleich beydes höchstens
+nur von Karl dem Sechsten.</p>
+
+<p>Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt Oswald an,
+ob ich gleich recht gut zu Mittage gegessen hatte; denn der
+Zufall mochte mich doch etwas geschwächt haben. Der Wirth,
+zu dem man mich hier wies, war ein Muster von Grobheit und
+hat die Ehre der Einzige seiner Art auf meiner ganzen Reise
+<!-- pb n="64" facs="#f0090"/ --> zu seyn: denn alle übrigen
+waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen
+Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf.
+»Was will der Herr?« fragte mich ein ziemlich dicker
+handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen
+Kanzley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz
+sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weisst, dass
+sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames
+Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten.
+»Was will der Herr?« Ich trat ihm etwas näher und sagte:
+Essen, trinken und schlafen. »Das erste kann er, das zweyte
+nicht.« Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? »Nicht
+für Ihn.« Für wen denn sonst? »Für andere ehrliche Leute.«
+Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrlicher Mann. »Geht mich
+nichts an.« Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und
+werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas
+bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine
+beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit
+jeder auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knotenstöcke
+zerbrechen wollte, wie ich trug. »Mach der Herr nur kein
+Federlesens, und pack' Er sich; oder ich rufe meine Knechte,
+da soll die Geschichte bald zu Ende seyn.« Er deutete
+grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte
+mich, als er hinaus war, an einen jungen Menschen, der der
+Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um
+die Ursache einer solchen Behandlung. Er antwortete mir
+nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man
+meine Sachen in Verwahrung
+<!-- pb n="65" facs="#f0091"/ --> nehmen, und Börse und Pass
+und Taschenbuch dazu. Er sagte mir ängstlich, der Herr wäre
+aufgebracht, und es würde wohl bey dem bleiben was er gesagt
+hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder. »Ist der Herr
+noch nicht fort?« Aber, Lieber es ist ganz Nacht; ich bin
+sehr müde und es ist sehr kalt. »Geht mich nichts an.« Es
+ist kein anderes Wirthshaus in der Nähe. »Wird schon eins
+finden.« Auch wieder ein solches? »Nur nicht räsonniert und
+Marsch fort!« Hier ist mein Pass aus der Wiener
+Staatskanzley. »Ey, was! rief er grimmig wüthend, und ohne
+mit Respekt zu sagen, ich sch..... auf den Quark.« Was war
+zu thun? Zur Bataille durfte ich es nicht wohl kommen
+lassen; denn da hätte ich trotz meinem schwerbezwingten
+Knotenstock Schläge bekommen für die Humanität, quantum
+satis, und noch etwas mehr. Der Mensch schien Kaiser und
+Papst in Sankt Oswald in Einer Person zu seyn. Ich nahm ganz
+leise meinen Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das
+nicht ein erbaulicher sehr ästhetischer Dialog?</p>
+
+<p>Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter
+nichts als dieses ziemlich ansehnliche Wirthshaus, die Post,
+ich glaube die Pfarre, und einige kleine Tagelöhnerhütten.
+Zu der Postnation habe ich durch ganz Deutschland nicht das
+beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und Höflichkeit:
+das ist ein Resultat meiner Erfahrung als ich mit Extrapost
+reiste; nun denke Dir, wenn ein Kerl mit dem Habersack käme!
+Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben, und
+zehren wie ein reicher Erbe; das wäre wider Polizey und die
+Ehre des Hauses. Zu dem
+<!-- pb n="66" facs="#f0092"/ --> Pfarrer hätte ich wohl
+gehen sollen, wie ich nachher überlegte um meine
+Schuldigkeit ganz gethan zu haben. Aber das Unwesen wurmte
+mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drey
+Nasenstüber, dass er seine Leute so schlecht in der Zucht
+hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die
+Schlucht hinunter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung,
+wo man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb
+pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich
+gespielt haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander
+hätten hell ins Gesicht sehen können, es wäre etwas
+glimpflicher gegangen. Die Gegend war nun voll Räuber und
+Wölfe, wie man mir erzählt hatte; ich marschierte also auf
+gutes Glück geradezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem
+Heiligen traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und
+erbärmlich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und
+etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte wieder ab.
+Da sassen drey Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe
+deutsch sprach, und sangen bey einem kleinen Lichtchen ihrer
+kleinen Schwester ein gar liebliches krainerisches Trio vor,
+um sie einzuschläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas
+deutsch radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und
+ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh dass man mir
+kein Bett anbot; denn mein Lager war unstreitig das beste im
+ganzen Hause. Es war mir lieb, bey dieser Gelegenheit eine
+gewöhnliche krainerische Wirthschaft zu sehen, die dem
+Ansehen nach noch nicht die schlechteste war und die doch
+nicht viel besser schien als man sie bey den Letten und
+Esthen in
+<!-- pb n="67" facs="#f0093"/ --> Kurland und Liefland
+findet. Gleiche Ursachen bringen gleiche Wirkungen.</p>
+
+<p>Bey Popetsch steht rechts von der Post oben auf der
+Anhöhe ein stattliches Haus und hinter demselben zieht sich
+am Berge eine herrliche Parthie von Eichbäumen hin. Es waren
+die ersten schönen Bäume dieser Art, die ich seit meinem
+letzten Spaziergange in dem Leipziger Rosenthale sah. Im
+Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der
+Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.</p>
+
+<p>Nicht weit von Laybach fallen die Save und Laybach
+zusammen; und über die Save ist eine grosse hölzerne Brücke.
+Die Lage des Laybacher Schlosses hat von fern viel
+Aehnlichkeit mit dem Gräzer; und auch die Stadt liegt hier
+ziemlich angenehm an beyden Seiten des Flusses, eben so wie
+Gräz an der Murr. Die Brücken machen hier wie in Gräz die
+besten Marktplätze, da sie sehr bequem auf beyden Seiten mit
+Kaufmannsläden besetzt sind, eine grosse Annehmlichkeit für
+Fremde. Das Komödienhaus ist zwar nicht so gut als in Gräz,
+aber doch immer sehr anständig; und auch hier sind am
+Eingange links und rechts Kaffee- und Billardzimmer.</p>
+
+<p>Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der abwechselnd
+hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zuweilen in Triest
+ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst spielte in einem
+ziemlich schlechten Dialekt, und seine ganze Gesellschaft
+hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Gräz
+aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das
+alles, was Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter
+sich lassen soll.
+<!-- pb n="68" facs="#f0094"/ --> Herr Schantroch, der mit
+mir in der nehmlichen Auberge speiste, schien ein eben so
+seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmässiger
+Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz
+ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren
+Dialekt ziemlich überwunden haben: und Herr Schantroch soll
+als Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut
+zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren
+Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch sein
+unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet haben sollte;
+und dieser war nach seinem Familiennamen zu urtheilen,
+leider unser Landsmann. Die Kaffeehäuser sind in Gräz und
+hier weit besser als in Wien; und das hiesige
+Schweizerkaffeehaus ist ganz artig und verhältnissmässig
+anständiger als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo
+man sitzt, als ob man zur Finsterniss verdammt wäre. Du
+siehst, dass man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen
+Vaterlandes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre
+genug macht.</p>
+
+<p>Einige Barone aus der Provinz, die in meiner Auberge
+speisten, sprachen von den hiesigen öffentlichen
+Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Unterthanen,
+oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das
+erste ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für
+mich, den stillen Zuhörer, dass alles noch ein grosses,
+grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher
+Unterdrückung und alter Sklaverey.</p>
+
+<p>Was Küttner von dem bösen Betragen der Franzosen in der
+hiesigen Gegend gesagt hat, muss wohl
+<!-- pb n="69" facs="#f0095"/ --> sehr übertrieben seyn.
+Alle Eingeborene, mit denen ich gesprochen habe, reden mit
+Achtung von ihnen, und sagen, sie haben weit mehr von ihren
+eigenen Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr
+Entschuldigung, als man ihnen vieilleicht gönnen will. Die
+Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterliche Lage
+solcher Leute vor, wenn sie zumahl in kleine Partheyen
+geworfen werden. Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon
+in den Seiten; sie wissen nicht wo ihre Oberanführer sind,
+haben keine Kasse, keinen Mundvorrath mehr: nun kämpfen sie
+ums Leben überall wo sie Vorrath treffen. Gutwillig giebt
+man ihnen nichts oder wenig; und die Bedürfnisse Vieler sind
+gross. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer im
+Stande, sich in den Gränzen der Besonnenheit zu halten. Die
+Einen wollen nichts geben, die Andern nehmen mehr als sie
+nothwendig brauchen. Dass dieses so ziemlich der Fall war,
+beweist der Erfolg. Es wurden einige hundert eingefangen und
+auf das Schloss zu Laybach gesetzt. Nun waren sie ordentlich
+und ruhig und sagten: Wir wollen weiter nichts als Essen;
+wir konnten doch nicht verhungern.</p>
+
+<p>Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterliche Dinge
+erzählte und sagte, es habe Laybach ganz zu Grunde
+gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen und hat nur
+einige alte Mauern eingestürzt. In Fiume, Triest und Görz
+soll man es stärker gespürt haben; doch hat es auch dort
+sehr wenig Schaden gethan. Die Transporte kommen auf der
+Save von Ungarn herauf bis in die Gegend der Stadt und
+werden von hier zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen
+<!-- pb n="70" facs="#f0096"/ -->
+die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort
+stehenden Truppen, und auch nach Tirol, das sich
+von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.</p>
+
+<p>Zwischen der Save und der Laybach, wo beyde Flüsse sich
+vereinigen, soll in den Berggegenden ein grosser Strich
+Marschland liegen, an den die Regierung schon grosse Summen
+ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl Holländer, denen man
+in Unternehmungen dieser Art wohl am meisten trauen darf,
+hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend
+brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine gewisse Zeit
+frey von Abgaben zu bleiben. Aber die Regierung ist bis
+jetzt nicht zu bewegen; aus welchen Gründen, kann man nicht
+wohl begreifen: und so bleibt der Landstrich öde und leer,
+und das Wasser thut immer mehr Schaden.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<div class="chapter" id="Prewald">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Prewald</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Laybach aus geht es nun
+allmählich immer aufwärts, und man hat die hohe Bergspitze
+des Loibels rechts hinter sich. Bey Oberlaybach, einem
+ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den
+Bergen, und trägt gleich einige hundert Schritte von dem
+Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von sechzig Zentnern. Von hier
+geht es immer höher bis nach Loitsch und so fort bis nach
+Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene
+ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen
+liegt. Der Weg von Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich
+viel Kul<!-- pb n="71" facs="#f0097"/ -->tur; aber von
+da wird er wild und rauh, und man trifft ausser den
+Stationen bis nach Adlersberg wenig Häuser an. Hier in
+Planina hatte das Wasser vielen Unfug gemacht. Es dringt
+überall aus den Bergen hervor, und hat das ganze schöne Thal
+zu einer ausserordentlichen Höhe überschwemmt, so dass die
+Eichen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen. Dieses
+war noch nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf
+mehrern Fahrzeugen beständig über nach Planina. Der Fall ist
+nicht selten in dieser Jahrszeit; aber dieses Mahl war die
+Fluth ausserordentlich hoch. Die Hälfte von Planina auf der
+andern Seite des Thals stand unter Wasser. Vorzüglich soll
+die Fluth auch mit vermehrt werden durch den Bach von
+Adlersberg, der dort bey der Schlosshöhle sich in die Felsen
+stürzt, so einige Meilen unter der Erde fortschiesst und
+hier in einer Schlucht wieder zum Vorschein kommt.</p>
+
+<p>Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen
+Schneckenlinie den grossen Berg hinan, und giebt in mehrern
+Punkten rückwärts sehr schöne Parthien, wie auch schon, wenn
+ich nicht irre, Herr Küttner bemerkt hat. Mich däucht, dass
+man ohne grossen Aufwand die Strasse in ziemlich gerader
+Linie hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen
+Absätzen, eben nicht beschwerlich seyn würde. Ehrliche
+Krainer hatten es hier und da schon mit ihren kleinen Wagen
+gethan, und zu Fusse konnte man schon überall mit
+Bequemlichkeit durchschneiden. Die Herrschaft Adlersberg
+liegt oben auf der grössten Höhe, und ist nur von noch
+höheren Bergspitzen umgeben. Der Schlossberg ist bey weitem
+nicht der höch<!-- pb n="72" facs="#f0098"/ -->ste,
+sondern nur der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft
+ausmacht. Von allen Seiten sammelt sich das Wasser und
+bildet einen ziemlichen Fluss, der bey der Grotte am
+Schlossberge nahe bey der Mühle, wie oben erwähnt worden
+ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst
+die Höhle sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu
+finden, der mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch
+von der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und führte
+mich weit weit zum Orte hinaus durch den tiefsten Schnee
+immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe Stunde ohne
+Bahn so fort, und der Mensch wusste sodann nicht mehr wo er
+war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu
+orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den
+hohen Schnee, in dem dicksten Fichtenwalde, und keine
+Grotte. Du begreifst, dass es mir etwas bedenklich ward, mit
+einem wildfremden baumstarken Kerl so allein in den
+Schluchten herum zu kriechen und in Krain eine Höhle zu
+suchen: mich beruhigte aber, dass ich von dem öffentlichen
+Kaffeehause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abgegangen
+war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie ich gehört habe,
+doch nahe an der Stadt am Schlossberge seyn, und er
+antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem
+Rückwege sehen; aber diese entfernte sey die merkwürdigere.
+Endlich kamen wir nach vielem Irren und Suchen, in noch
+einer halben Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist
+romantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel, rund
+umher mit grossen Felsenstücken umgeben und
+<!-- pb n="73" facs="#f0099"/ --> mit dem dichtesten
+Schwarzwalde bewachsen. Hier zündeten wir in dem Gewölbe
+halb am Tage die Fackel an und gingen in die Höhle hinein,
+ungefähr eine Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle,
+sehr abschüssig immer bergab. Beym Hinabsteigen hörte ich
+links in einer ungeheuern Tiefe einen Strom rauschen,
+welches vermuthlich das Wasser ist, das bey der Stadt in den
+Felsen fällt und bey Planina wieder heraus dringt. Wir
+stiegen nicht ohne Gefahr noch einige hundert Schritte
+weiter über ungeheuere eingestürzte Felsenstücke immer
+bergab, und mein Führer sagte mir, weiter würde er nicht
+gehen, er wisse nun keinen Weg mehr und die Fackel würde
+sonst nicht den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der
+beste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich in
+der grossen Tiefe und vermuthlich in der Nähe von Dünsten
+nur mit Mühe; wir stiegen also wieder heraus und förderten
+uns bald zu Tage. Nun fand mein Begleiter den Weg rückwärts
+nach der Stadt sehr leicht. Unterwegs erzählte er mir von
+allen den vornehmen und grossen Personagen, die die Höhlen
+gesehen hätten. Diese entferntere sähen nur wenige; und
+unter diesen Wenigen nannte er vorzüglich den Prinzen
+Konstantin von Russland. Mein Führer hatte den kürzesten Weg
+nehmen wollen und hatte mich unbemerkt auf die hohen Felsen
+über der Höhle am Schlosse gebracht, wo wir wie die Gemsen
+hingen und mit Gefahr hinunter klettern mussten, wenn wir
+nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen wollten.
+Einige Untenstehende riefen uns und zeigten uns die Pfade,
+auf denen es möglich war hinunter zu
+<!-- pb n="74" facs="#f0100"/ --> kommen. Nun standen wir am
+Eingange der andern Grotte, wo sich der Fluss in den Felsen
+hineinstürzt. Der Fluss nimmt sodann die Richtung ein wenig
+links; der Weg in der Grotte geht ziemlich gerade fort
+rechts. In einiger Entfernung vom Eingange erweitert sich
+das Gewölbe, es wird sehr hoch und breit, man hört links den
+Fluss wieder herauschen, und bald kommt man auf eine
+natürliche Felsenbrücke über denselben mitten unter dem
+Gewölbe. Hier thut die Flamme der Fackeln eine furchtbar
+schöne Wirkung. Man hört das Wasser unter sich, und sieht
+über sich und rund um sich die Nacht des hohen breiten
+Gewölbes. Hier haben die Führer die Gewohnheit einige Bund
+Stroh auf den Felsenwänden der Brücke anzuzünden, und hatten
+diessmahl sehr reichlich zugetragen. Die magische
+Beleuchtung der ganzen unterirdischen Brückenregion mit
+ihrem schauerlichen Felsengewölbe, den grotesken
+Felsenwänden und dem unten im Abgrunde rauschenden Strom
+macht einen der schönsten Anblicke, deren ich mir bewusst
+bin. Wenn der Strohhaufen fast verzehrt ist, stürzt man ihn
+von der Brücke hinab in den Strom, und so sieht man ihn
+unten in der Tiefe auf dem Wasserbette noch einige
+Augenblicke fortglühen. Die plötzlich aufsteigende weite
+Flammenhelle und die schnell zurückkehrende Finsterniss, wo
+man bey dem schwachen Fackellichte nur einige Schritte
+sieht, macht einen überraschenden Kontrast. Es hatten sich
+einige gemeine Krainer zu uns gesellet, die gern die
+Gelegenheit mitnehmen das schöne Schauspiel in der Grotte
+wieder zu sehen, dabey ihre Geschichten aus<!-- pb n="75" facs="#f0101"/ -->zukramen
+und noch einige Groschen zu verdienen. Bis hierher sind die
+Franzosen gekommen, sagten sie, als wir auf der Brücke
+standen; aber weiter wagten sie sich nicht. Warum nicht?
+fragte ich. Die Kerle zogen ein wichtiges Gesicht beym
+Fackelschein und suchten den Muth der Franzmänner verdächtig
+zu machen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursachen
+haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht zahlreich
+genug, hatten draussen nicht gehörige Massregeln genommen
+und besorgten in der grossen Tiefe der Höhle irgend ein
+unterirdisches Abenteuer kriegerischer Natur. Ausserdem ist
+nichts zu fürchten. Ich ging nun links am Flusse jenseit der
+Brücke ungefähr noch einige hundert Schritte weiter fort;
+dann aber mussten wir anfangen mit Lebensgefahr über die
+Felsen am Wasser hinzuklettern. Mein Führer sagte, es sey
+unmöglich weiter zu kommen. Das glaubte ich nun eben nicht:
+aber es war Schwierigkeit und Gefahr; ich wollte den Weg im
+Sonnenlichte weiter und wir krochen und wandelten zurück.
+Die Bielshöhle bey Elbingerode hat mehr Verschiedenheit und
+die benachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben so
+grosse Parthien aufzuweisen; aber sie haben nichts
+ähnliches, wie die furchtbare Höllenfahrt in der ersten und
+der Fluss und die Brücke in der letztern sind. Die
+Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger, grotesker und
+schöner als hier. Zum Beweiss dass dieser Fluss das bey
+Planina wieder heraus strömende Wasser sey, erzählte man
+mir, man habe vor einiger Zeit hier bey dem Einsturz
+ungefähr eine Metze Korke
+<!-- pb n="76" facs="#f0102"/ --> hinein geworfen, und diese
+seyen dort in der Bergschlucht wieder zum Vorschein
+gekommen.</p>
+
+<p>Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen
+Bergspitze gegen über und zittere vor Frost bis man mein
+Zimmer heitzt. Die Höhle zu Lueg, einem Gute des Grafen
+Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Es thut mir leid; sie ist
+wie bekannt vorzüglich. Mein Wirth in Adlersberg erzählte
+mir abenteuerliche Dinge davon. Sie soll von dort vier
+Stunden bis nach Wippach gegangen seyn, sey aber jetzt durch
+ein Erdbeben sehr verschüttet. Küttner hat sie gesehen und
+den Eingang abgebildet. Das Land ist rund umher voll von
+dergleichen Höhlen, und wäre wohl der Bereisung eines
+Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete ein Landmann
+Weitzen auf einem schönen Feldstriche am Abhange eines
+Berges und erntete sehr reichlich; als er für das künftige
+Jahr bestellen wollte, schoss der ganze Acker gegen zehn
+Klafter tief herab, und es fand sich dass ein unterirdischer
+Fluss unter demselben hingegangen war, und den Grund so
+ausgewaschen hatte, dass er einstürzen musste. Auch soll in
+einem See unweit Adlersberg eine noch ganz unbekannte Art
+von Eydechsen hausen, von der man erst seit kurzem den
+Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe. Vor
+einigen Jahren soll sogar ein Bauer ein Krokodil geschossen
+haben. Das alles lasse ich indessen auf der Erzählung des
+Herrn Merk in Laybach beruhen, der mir jedoch ein sehr
+wahrhafter unterrichteter Mann zu seyn scheint.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
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+<!-- pb n="[77]" facs="#f0103"/ -->
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+<div class="chapter" id="Triest">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Triest</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>a ich nicht Kaufmann bin
+und nach den Bemerkungen meiner Freunde durchaus keine
+merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl
+nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In
+Prewald wohnte ich bey den drey Schwestern, die, wenn ich
+mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen
+treiben eine gar drollige Wirthschaft, und ich befand mich
+bey ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und
+behandelten mich wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu
+behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit
+hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich
+und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesellschafter traf ich
+einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bey den
+Oestreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun
+hier ganz allein bey den Mädchen gar gemächlich in
+Kantonnierung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war
+noch ein ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl
+einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erinnern
+können. Die erste Bekanntschaft mit den drey Personagen, ich
+nennte sie gerne Grazien wenn ich nicht historisch zu
+gewissenhaft wäre, machte ich drollig genug in der Küche, wo
+sie sich alle drey auf Stühlen oben auf dem grossen Herde um
+ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des
+hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der
+ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, dass
+<!-- pb n="78" facs="#f0104"/ --> alle drey aus vollem Halse
+lachten. Das war nun ein Jargon von Deutsch, Italiänisch und
+Krainerisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische
+Quintessenz, und ich verstand blutwenig davon. Indessen
+stellte ich mich doch so nahe als möglich, um von dem Feuer,
+wenn auch nicht der Unterhaltung doch des Herds meinen
+Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir,
+belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der
+geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein
+italiänisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich
+das beste Mönchslatein. Da es hier darauf ankam, kannst Du
+denken, dass ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den
+Filz machte, und der Mann fasste bald eine gar gewaltige
+Affektion zu mir, als ich glücklich genug einige Dinge aus
+dem Griechischen zitierte, die er nur halb verstand. Nun
+empfahl er mich auch den schönen Wirthinnen sehr
+nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum
+Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über
+unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zu viel Respekt
+bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler
+Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte.
+Natürlich erhielt er, durch das Lob das er mir zukommen
+liess, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so
+laut und gründlich beurtheilt, muss ihn übersehen
+können.</p>
+
+<p>Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle gekommen,
+nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen
+ziemlich früh fort gewollt hätte, wäre mir die lustige
+Unterhaltung des geistlichen
+<!-- pb n="79" facs="#f0105"/ --> Harlekins noch länger
+vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und
+liess die Leutchen lärmen. Als ich den andern Morgen
+aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, grossen,
+nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig.
+Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich
+offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär so schlechte
+Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so
+gutherziger Leutchen nicht missbrauchen. Ich trabte mit
+meinen schweren Stiefeln einige Mahl über den Saal weg;
+niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige
+Zimmer; keine Antwort. Endlich kam ich an ein Zimmer das
+nicht verschlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das
+hübsche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette
+und entschuldigte sich freundlich, dass noch niemand im
+Hause wach sey. Weiss der Himmel, ob ich armes Menschenkind
+nicht in grosse Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie
+nicht um ihre Schultern den Mantel geworfen hätte, den
+gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der
+Mantel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus;
+ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tempel
+hinaus.</p>
+
+<p>Du musst wissen, dass ich entweder gar nicht frühstücke,
+oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin,
+versteht sich wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte
+ich mirs zum Gesetz, meine Rechnung alle Mahl den Tag vorher
+zu bezahlen, damit ich den Morgen auf keine Weise
+aufgehalten werde. In Prewald gab man mir zuerst Görzer
+Wein,
+<!-- pb n="80" facs="#f0106"/ --> der hier in der Gegend in
+besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört
+unter die wenigen Weine die ich ohne Wasser trank, welche
+Ehre, zum Beyspiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt.
+Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente
+Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen.
+Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein
+einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im
+Januar die fünf Meilen recht stattlich ab. In Sessana hatte
+mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene, und es
+hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist
+nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein
+anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul
+zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vorwärts; und nun
+war von Sessana bis an die Douane von Triest nichts zu
+haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken und es war kein
+Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen
+Fussgänger das verdriesslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein
+Stückchen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so
+wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah
+ich bis nach Triest, und sie schien mir immer so nahe, als
+ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schiessen können.
+Von Schottwien bis Prewald hatte ich abwechselnd sehr viel
+Schnee; bey Sessana hörte er allmählich auf, und hier liegt
+er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In
+Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier
+diesseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es
+<!-- pb n="81" facs="#f0107"/ -->
+ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm,
+dass überall Thüren und Fenster offen stehen.</p>
+
+<p>Der erste Anblick der Stadt Triest von oben herab ist
+überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der
+Aufenthalt auf einige Zeit muss viel Vergnügen gewähren;
+aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des
+Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am
+Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um
+angenehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller
+angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht
+alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für
+kleine Fahrzeuge: die grössern und alle Kriegsschiffe müssen
+in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht
+ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und
+man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den
+Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach
+den Hafen vielleicht auch für grosse Schiffe anfahrbar
+macht.</p>
+
+<p>An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab
+terrassiert und dadurch ziemlich schöne Weingärten angelegt.
+Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber
+nicht urtheilen, und in meinem Gasthause giebt man
+gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell
+ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der
+See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat,
+mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten
+grossen Gasthofe, einem Hause von gewaltigem Umfange und dem
+nehmlichen, worin Winkelmann von seinem meuchlerischen
+Bedienten ermor<!-- pb n="82" facs="#f0108"/ -->det
+wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und
+vielleicht ist es das nehmliche Zimmer, in welchem das
+Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich
+vergessen.</p>
+
+<p>Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in
+Triest den Sprachmeister für die Italiäner deutsch und für
+die Deutschen italiänisch macht. Die Schicksale dieses
+sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche angenehme
+Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von
+Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien
+nach Laybach, von Laybach nach Triest, und überall in
+genialischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein
+hat ihm manchen Streich gespielt und ihn zuletzt genöthigt,
+seine Stelle in Laybach aufzugeben, wo er Professor der
+Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine
+mannigfaltigen verflochtenen Schicksale ein gewisses
+barockes Unterhaltungstalent gewonnen, das den Mann nicht
+ohne Theilnahme lässt.
+<span class="italic">Per varios casus, per tot discrimina
+rerum tendimus Tergestum</span>, sagte er mit vieler
+Drolerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole.
+Wir gingen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht
+finden. Niemand wusste etwas davon.</p>
+
+<p>Das Haus eines Griechen, wenn ich mich nicht irre ist
+sein Name Garciatti, ist das beste in der Stadt und wirklich
+prächtig, ganz neu und in einem guten Stil gebaut. Eine ganz
+eigene recht traurige Klage der Triester ist über den
+Frieden. Mit christlicher Humanität bekümmern sie sich um
+die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen
+nur, dass ih<!-- pb n="83" facs="#f0109"/ -->nen der
+Himmel noch zehen Jahre einen so gedeihlichen Krieg
+bescheren möchte; dann sollte ihr Triest eine Stadt werden,
+die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabey
+haben die guten kaufmännischen Seelen gar nichts arges;
+schlagt euch todt, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und
+türkischen Tücher. Das neue Schauspielhaus ist das beste,
+das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab
+man auf demselben <span class="italic">Theodoro Re di
+Corsica</span>, welches ein Lieblingsstück der Triester zu
+seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Parthie Rialto
+in Venedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich,
+wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der
+Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet
+haben wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser als
+in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel
+aus die Tochter des Wirths und der Kammerherr des Theodor.
+Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleuten
+genommen und ein Fremder muss sich auf ihre Höflichkeit
+verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren
+haben die Logen gekauft, bezahlen aber noch jederzeit die
+Entree; eine eigene Art des Geldstolzes. Der Patriotismus
+könnte wohl eine etwas humanere Art finden die Kunst zu
+unterstützen. Der Fremde, der doch wohl zu weilen Ursache
+haben kann im Publikum isoliert zu seyn, ist sehr wenig
+dabey berücksichtiget worden. Hier hörte ich zuerst den
+betäubenden Lärm in den italiänischen Theatern. Man bedient
+sich des Schauspiels zu Rendesvous, zu Konversationen, zur
+Börse, und wer weiss
+<!-- pb n="84" facs="#f0110"/ --> wozu sonst noch? Nur die
+Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein
+Andächtiger Thaliens nicht viel Genuss haben; und die
+Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die
+Vernachlässigung. Etwas eigenes war mir im Hause, dass das
+Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich
+mochte mich hinwenden wo ich wollte.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Venedig</title>
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+<body>
+
+<div class="chapter" id="Venedig">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Venedig</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>ie Leute meinten wieder,
+ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wolle zu Fusse
+von Triest über die Berge nach Venedig gehen und sagten, da
+würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber
+ich liess mich nicht irre machen und wandelte wieder den
+Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen grossen Fahrweg, kam
+aber doch, nach ungefähr zwey Stunden Herumkreuzen am Ufer
+und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstrasse. Ich
+besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze
+Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der
+Wildniss doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten
+in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr
+rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher,
+weil sie, wie die genuesischen, der Zufluchtsort alles
+Gesindels der benachbarten Staaten waren. Da ganz Venedig in
+Oestreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen
+Polizey leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man
+spürt in dieser Rücksicht schon den Vortheil der
+Veränderungen. An dem
+<!-- pb n="85" facs="#f0111"/ --> Zwickel der Berge kommt
+hier ein schöner Fluss aus der Erde hervor, der vermuthlich
+auch Höhlen bildet. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiss
+Virgils Felsen des Timavus und ich sah stolz umher, dass ich
+nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt
+zwischen den Bergen, oder das Thal zwischen Santa Croce und
+Montefalkone macht noch jetzt der Beschreibung der Alten
+Ehre. Unten rechts am Meere stand vermuthlich der
+Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am
+Ausflusse des Timavus war der Hafen. Ich schlug mich hier
+rechts von der geraden Strasse nach Venedig ab über die
+Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke
+Meilen von Triest liegt. Wenn man einmahl über die Berge
+hinüber ist, welche freylich etwas kahl sind, hat man die
+schönsten Weinthäler. Der Wein wird hier schon nach
+italiänischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden,
+und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne
+Gruppierungen.</p>
+
+<p>Von Görz nach Gradiska sind die Berge links ziemlich
+sanft und man hat die grossen Höhen in beträchtlicher
+Entfernung rechts: und wenn man über Gradiska nach Palma
+Nuova heraus kommt, ist man ganz in der schönen Fläche des
+ehemahligen venetianischen Friaul, hat links fast lauter
+Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler
+Alpen. Von Görz nach Udine stehen im Kalender fünf Meilen;
+aber Oestreichische Offiziere versicherten mich, es seyen
+gute sieben Meilen; und ich fand Ursache der Versicherung zu
+glauben. Palma Nuova war eine venetianische Gränzfestung,
+und nun hausen die Kai<!-- pb n="86" facs="#f0112"/ -->serlichen
+hier. Sie exercierten eben auf dem grossen Platze vor dem
+Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn
+er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch
+rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen
+werden.</p>
+
+<p>In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar
+meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den
+Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu
+begehen, und also vor allen Dingen hier Ruhetag zu halten.
+Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der
+Künstlergeschichte bekannt, und war überdiess der Geburtsort
+unserer braven Grassi in Dresden und Wien. Die grosse
+feyerlich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dunkeln
+Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine
+ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln
+vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische
+Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der
+mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber
+ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich
+hinein trat, sassen, standen und lagen eine Menge gemeiner
+Kerle bacchantisch vor ungeheuer grossen Weinfässern, als ob
+sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben
+wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine
+Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text
+des alten englischen Bischofs hat dieses Bild nicht. In dem
+ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu
+bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig,
+dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon
+fin<!-- pb n="87" facs="#f0113"/ -->den. Der Sergeant
+gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre
+Höflichkeit ein gutes Trinkgeld geben wollte. Nun holte man
+Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine
+fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr
+Quartier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant
+ganz höflich, es sey kein Platz mehr da. Das sah ich auch
+selbst ein. Er machte auch Dienstschwierigkeiten, die ich
+als ein alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überliess
+Brot und Wein dem Ueberbringer und verlangte, man solle mich
+auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand
+ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhabenden meinen
+Fall und schloss mit der Meinung, dass ich doch Quartier
+haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die
+Herren lärmten, fluchten und lachten und sagten, es gehe
+ihnen eben so; die Welschen schlugen die Deutschen todt nach
+Noten, wo sie konnten. Man schickte mich zum Platzmajor.
+Gut. Dieser foderte meinen Pass, fand ihn richtig,
+revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den kommenden Morgen
+bey der Polizey melden, die ihn auch unterschreiben müsse,
+und machte einige Knasterbemerkungen über die Nothwendigkeit
+der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. Das ist
+alles recht gut, sagte ich; aber ich kann kein Quartier
+finden. Ach das wird nicht fehlen, meinte er: aber es fehlt,
+meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich
+nieder, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbraunen und
+schickte den Gefreyten mit mir und meinem
+Tornister <span class="italic">alla nave</span>. Der
+Gefreyte wies mich ins
+<!-- pb n="88" facs="#f0114"/ --> Schiff und ging. Als ich
+eintrat, sagte man mir, es sey durchaus kein Zimmer mehr
+leer; es sey alles besetzt. Ich that gross und bot viel
+Geld; aber es half nichts. Sie sollten es für den vierten
+Theil haben, antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche
+Frau; aber es ist kein Platz. Ich kann nicht fort, es ist
+spät; ich bin müde und es ist draussen kalt. Die Italiänerin
+machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich.
+Ich gehe nicht, sagte ich, wenn man mir nicht einen Menschen
+mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt. Den gab
+man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und
+foderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von
+neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben.
+Wort gab Wort. Einer der Herren sagte lachend; Warten Sie,
+vielleicht bin ich noch so glücklich Ihnen Quartier zu
+verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns
+oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich
+habe hier einige Bekanntschaft. Der Offizier ging einige
+hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt
+Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und
+Bette waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu
+haben. <span class="italic">Ma Signore</span>; sagte die
+Wirthin, <span class="italic">questa casa non è locanda; non
+si mangia qui.</span> Ich hatte sieben Meilen im Januar
+gemacht und war auf, dem Pflaster noch eine Stunde herum
+trottiert; ich konnte mich nicht entschliessen spät in der
+Finsterniss noch einmahl auszugehen. Der Officier war fort.
+Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen
+freundlich <span class="italic">Felicissima notte</span>:
+ich ging
+<!-- pb n="89" facs="#f0115"/ -->
+ärgerlich zu Bette und schlief herrlich. Den andern
+Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die
+Polizey gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn
+Tagen wohl vier Mahl verändert worden: man wies
+mich hier hin und dort hin, und ich fand sie
+nirgends.</p>
+
+<div class="poem">
+Der Henker hohl' Euch mit der Polizey!<br />
+Es ist doch alles lauter Hudeley.<br />
+</div>
+
+<p>So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel
+und einige Aepfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte
+den sehr billigen Preis für mein Quartier, stekte meinen
+Pass ohne die Polizey wieder in die Brieftasche und reiste
+zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den
+Abend aber, denn zu Mittage konnte ich kein schickliches
+Haus finden und fastete, erholte ich mich ziemlich wieder zu
+Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein
+Deutscher und Feldwebel bey einem kaiserlichen Regimente
+war, kam zu Fusse mit ihrem kleinen Jungen von ungefähr zwey
+Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weisst ich liebe
+schöne reinliche Kinder in diesem Alter ungewöhnlich, und
+der Knabe fing so eben an etwas von der Sprache seines
+Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stammeln
+und hatte sein grosses Wesen mit und auf meinem Tornister.
+Der Wirth brachte uns Polenta, Eyerkuchen und zweyerley
+Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du
+siehst, dabey war kein Fleisch; das war also an meinem
+Geburtstage gefastet nach den besen Regeln der Kirche.</p>
+
+<!-- pb n="90" facs="#f0116"/ -->
+<p>Der Weg zwischen Triest und Venedig ist ausserordentlich
+wasserreich; sehr viele grosse und kleine Flüsse kommen
+rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und
+die Piave die vorzüglichsten sind. Zwischen Codroipo und
+Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen,
+auf dem Rücken eines grossen ehrenfesten Charons, der seine
+langen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der
+Fluss war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu solcher
+Zeit die Methode Fussgänger überzusetzen. Sein Bett ist über
+eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muss,
+wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche gross
+sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man
+kann durchaus an den Betten sehen, welche ungeheuere
+Wassermenge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Wasser
+so schön und hell, dass ich überall trinke: denn für mich
+geht nichts über schönes Wasser. Die Wohlthat und den Werth
+davon zu empfinden, musst Du dich von den Engländern einmahl
+nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden
+Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase
+zuhalten muss, wenn man es durch ein Tuch geschlagen trinken
+will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke
+zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging
+es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich
+die Ehre
+<!-- choice><sic -->hattte<!-- /sic><corr>hatte</corr></choice --> dem
+König die dreyzehn Provinzen mit verlieren zu helfen.</p>
+
+<p>In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffentliche
+Mummerey von Gassenmaskerade, musste bey
+<!-- pb n="91" facs="#f0117"/ --> gar jämmerlichen Fischen
+wieder fasten, und wäre übel gefahren, wenn mich ein
+kleines niedliches Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig
+mit Kastanien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche
+einige hübsche Votivgemählde, mit denen man sich wohl eine
+halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis
+Pordenone ist viel dürres Land; doch findet man mit unter
+auch sehr schöne Weinpflanzungen. Die Deutschen stehen, wie
+Du aus der Geschichte von Udine gesehen hast, eben nicht in
+dem besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein
+Unglück für mich, dass man mich meistens für einen Franzosen
+hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer
+Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhohle,
+ich sey ein Deutscher; so will man es doch nicht glauben. In
+der Vermuthung, ich müsse ein französischer Offizier seyn,
+der das Land umher durchzieht, werde ich oft recht gut
+bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also
+doch so ungewöhnlich nicht
+seyn. <span class="italic">Signore è Francese, ma non volete
+dirlo; Fate bene, fate bene</span>: sagte man mir mit sehr
+freundlichem Gesichte. Alles kommt freylich auf den
+Partheygeist an, der hier eben so mächtig ist, als irgendwo.
+Viele klagen über die Franzosen; aber die Meisten scheinen
+es doch nicht gern zu sehen, dass sie nicht mehr hier
+sind.</p>
+
+<p>In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von
+Venedig kamen und den Weg nach Triest zu Fusse machen
+wollten, den ich eben gekommen war. Das Herz ward ihnen sehr
+leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es sey mir
+keine Gefahr aufgesto<!-- pb n="92" facs="#f0118"/ -->ssen:
+denn man hatte auch diesen Herrn von der andern Seite das
+Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort,
+wie er sich selbst in der Gesellschaft einführte, ein
+grosser Philosoph, ungarischer Hussarenunteroffizier, der
+hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte
+gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und
+indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses
+Verbrechens verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem
+Pass zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die Worte
+zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie aber glauben, dass
+es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur
+Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von ihrer
+Philosophie etwas Humanität. Das wirkte: der Mann fing nun
+an ein halbes dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich
+das Italiänische und Ungarische mit einer horrenden
+Volubilität. So bald wir nur lateinisch zusammen kamen,
+waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner
+politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends
+zu meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehörten wir
+durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich
+an die Pastetchen, und alle Coneglianer, Trevisaner und
+Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der
+Mann aus seinem Schatze hervorgoss.</p>
+
+<p>Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf einem
+eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab
+zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach,
+der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der
+Bedingung, dass ich gleich
+<!-- pb n="93" facs="#f0119"/ --> abginge, liess ich mir die
+Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in
+Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig
+überzusetzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich
+niedriger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten
+Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein Fuhrwerk
+zeigte; so dass ich nicht wusste was ich denken sollte. Aber
+vor der Stadt hielt er an und packte noch einen
+venetianischen Kaufmann und eine Tyrolerin ein, die als
+Kammerjungfer ihrer Gräfin nachreiste; und nun begriff ich
+freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent
+und die Landhäuser werden häufiger und schöner; und von
+Treviso ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter
+Garten. Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber
+ununterbrochen deutsch und italiänisch; der Italiäner war
+ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald in
+einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem die
+deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet
+ist: und doch kann man nicht sagen, dass sie geradezu in
+Unanständigkeit ausgeartet wären. Bloss der unreine Nasenton
+der Tyrolerin missfiel mir; und da ich bey der zufälligen
+Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens
+einige beträchtliche Narben erblickte, war ich sehr froh,
+dass ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die
+Ehrenstelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich erhielt
+meinen Theil Witz von den Leutchen für meine überstoische
+Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat
+eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der
+italiänischen Sprache
+<!-- pb n="94" facs="#f0120"/ --> und einige Sarkasmen, die
+ich ganz trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus
+Artigkeit mit in ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte
+morgen mit der Gräfin zusammen die Ueberfahrt nach dem
+schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesellschaft von
+Venetianern, die noch diesen Abend übersetzen wollte und
+schloss mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern
+waren alle Einheimische und hatten weiter nichts nöthig als
+dieses zu sagen; aber ich Fremdling musste einige Zeit auf
+der Wache warten, bis der Offiziant meinen Pass gehörig
+registriert hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen
+Passierzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung,
+mich damit in Venedig auf der Polizey zu melden. Das foderte
+etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war;
+und meine Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas
+übellaunig. Doch das gab sich bald. Man fragte mich, als ich
+zurück kam, mit vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich
+sey? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich
+höchlich als man hörte, dass ich zu Fusse allein einen
+Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der
+Abend war schön, und ehe wir es uns versahen, kamen wir am
+Rialto an, wovon ich aber jetzt natürlich weiter nichts als
+die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von
+Conegliano, mit dem ich während der ganzen Ueberfahrt viel
+geplaudert hatte, begleitete mich durch eine grosse Menge
+enge Gässchen in den Gasthof <span class="italic">The Queen
+of England</span>; und da hier alles besetzt war zum goldnen
+Stern, nicht weit vom
+<!-- pb n="95" facs="#f0121"/ --> Markusplatze, wo ich für
+billige Bezahlung ziemlich gutes Quatier und artige
+Bewirthung fand.</p>
+
+<p>Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in
+Venedig an, und lief gleich den Morgen darauf mit einem
+alten abgedankten Bootsmann, der von Lissabon bis
+Konstantinopel und auf der afrikanischen Seite zurück die
+ganze Küste kannte, und jetzt den Lohnbedienten machen
+musste, in der Stadt herum; sah mehr als zwanzig Kirchen in
+einigen Stunden, von der Kathedrale des heiligen Markus
+herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen
+Beherrscherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Kenner
+wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem was da ist und
+was da war. Aber das alles ist Dir wahrscheinlich schon aus
+Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der
+Aufzählung noch mit dem Urtheil grosse Ehre erwerben. Der
+Pallast der Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der
+Rialto ist mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des
+Markusplatzes nach dem Hafen zu haben die Oestreicher sechs
+Kanonen stehen, und gegen über auf Sankt George hatten schon
+die Franzosen eine Batterie angelegt, welche die
+Kaiserlichen natürlich unterhalten und erweitern. Die
+Parthie des Rialto hat meine Erwartung nicht befriedigt;
+aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er noch jetzt ist,
+übertroffen.</p>
+
+<p>Es mögen jetzt ungefähr drey Regimenter hier liegen, eine
+sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle. So wie die
+Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete man mit zehn
+tausend Mann Venedig; wenn man nehmlich im Anfange energisch
+und sodann klug und
+<!-- pb n="96" facs="#f0122"/ --> human zu Werke ginge. Das
+Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens
+nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am
+Zeughause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich
+leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und einige Mahl
+den grossen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig
+vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müsste
+denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön
+sind.</p>
+
+<p>Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Betteley.
+Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den
+schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden;
+und der Anblick des Elends unterstützt das Nothgeschrey des
+Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht
+Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last
+meiner Gefühle erliegen. Schon Küttner hat viele Beyspiele
+erzählt, und ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die
+niederschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen von
+guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdringlichen
+Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu finden, wie sie,
+die Hände gefaltet auf die Brust gelegt, ein kleines
+hölzernes Gefäss vor sich stehen haben, in welches die
+vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in
+Venedig bliebe, müsste ich nothwendig mit meiner Börse oder
+mit meiner Empfindung Bankerott machen.</p>
+
+<p>Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisatoren und
+Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen
+Kreis um sich her schliessen lassen und für eine Kleinigkeit
+irgend eine berühmte Stelle
+<!-- pb n="97" facs="#f0123"/ --> sprechen, oder auch aus
+dem Stegreife über ein gegebenes Thema theils in Prose
+theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, dass man
+sie wirklich einige Mahl mit grossem Vergnügen hört. Du
+kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie
+erniedrigend das Handwerk seyn muss. Eine Menge Leute von
+allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, sassen auf
+Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den
+Anfang, und eine Art von buntscheckigem Bedienten, der
+seinem Prinzipal das Geld sammelte, rief und wiederholte mit
+lauter Stimme:
+<span class="italic">Manca ancora cinque soldi; ancora
+cinque soldi!</span> Jeder warf seinen Soldo hin, und man
+machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem
+schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte
+und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von diesen
+Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen
+in unsern deutschen Blättern lesen!</p>
+
+<p>Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärmlicher als
+in der Stadt; aber eben desswegen sind dort nicht so viele
+Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine
+leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst
+die beste, und ihre Kapuziner sind die Einzigen, die in
+Venedig noch etwas schöne Natur geniessen. Die Kirche ist
+mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach
+der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst
+einigen Oleastern in der Gegend des Zeughauses, sind die
+einzigen Bäume, die ich in Venedig gesehen habe. Die Insel
+Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo
+der jetzige Papst <!-- pb n="98" facs="#f0124"/ -->gewählt
+wurde, und wo auch noch sein Bildniss ist, das bey den
+Venetianern von gemeinem Schlage in ausserordentlicher
+Verehrung steht. Der Maler hat sein mögliches gethan, die
+Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein
+gar stattliches Gebäude, und wie ich schon oben gesagt habe,
+mit Batterien umgeben.</p>
+
+<p>Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche,
+billige, freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen
+Artigkeiten genossen, die ich in meinem Vaterlande nicht
+herzlicher hätte erwarten können. Einen etwas schnurrigen
+Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf dem Markusplatze.
+Man hatte mich beständig in dem nehmlichen Reiserocke, (die
+Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich keinen
+andern im Tornister tragen wollte,) an den öffentlichen
+Orten der Stadt herum laufen sehen, und doch gesehen, dass
+ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren verzehrte. Ich
+zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn
+nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch
+ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Dirnen der
+Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, dass ich bey der
+Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner
+Liren aus der Tasche gezogen hatte, und legten sich, als der
+Bediente fort war und ich allein gemächlich nach Hause
+schlenderte, ganz freundlich und gefällig an meinen Arm. Ich
+blieb stehen und sie thaten das nehmliche. Man gruppierte
+sich um uns herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die
+Mühe zu geben mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit
+<!-- pb n="99" facs="#f0125"/ --> ihrer artigen
+Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde
+ganz hübsche Sünderinnen, und trugen sich ganz niedlich und
+anständig mit der feineren Klasse. Ich demonstrierte in
+meinem gebrochenen Italiänisch so gut ich konnte, sie
+möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die
+Gesellschaft in einiger Entfernung lächelte und Einige
+lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich
+so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiss
+und fing an in meinem stärksten Basstone auf gut Russisch zu
+fluchen, mischte so etwas
+von <span class="italic">Impudenza</span>
+und <span class="italic">senza vergogna</span> dazu,
+stampfte mit meinem Knotenstocke emphatisch auf das
+Pflaster, dass die Gesellschaft sich schüchtern zerstreute
+und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.</p>
+
+<p>Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäftigte
+mich fast eine halbe Stunde. Ich verschliesse den Abend mein
+Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe,
+finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern
+Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab
+geworfen. Das Schloss war unberührt und mir fehlte übrigens
+nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus
+grübeln, und mir schwebten mancherley sonderbare Gedanken
+von der alten venetianischen Polizey vor dem Gehirne; so
+dass ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem
+Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war
+gross und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den
+Aufschluss, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und
+man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem
+<!-- pb n="100" facs="#f0126"/ -->
+Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt.
+Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer
+weiss was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.</p>
+
+<p>Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen
+Gegenstande, von Canovas Hebe. Ich weiss nicht, ob Du die
+liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich
+wird sie lange, vielleicht immer beherrschen. Fast glaube
+ich nun, dass die Neuen die Alten erreicht haben. Sie soll
+eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend.
+Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint
+den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin
+einen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem
+grossen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine
+Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, dass sie die
+Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich
+habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen
+guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr
+als alle
+<span class="italic">veneres cupidinesque</span>.</p>
+
+<div class="poem">
+<span class="indent">Ich stand von süssem Rausche trunken,</span><br />
+Wie in ein Meer von Seligkeit versunken,<br />
+Mit Ehrfurcht vor der Göttin da,<br />
+Die hold auf mich herunter sah,<br />
+Und meine Seele war in Funken:<br />
+Hier thronte mehr als Amathusia.<br />
+Ich war der Sterblichkeit entflogen,<br />
+Und meine stillen Blicke sogen<br />
+Aus ihrem Blick Ambrosia<br />
+Und Nektar in dem Göttersaale;<br />
+<!-- pb n="101" facs="#f0127"/ -->
+Ich wusste nicht, wie mir geschah:<br />
+Und stände Zevs mit seinem Blitze nah,<br />
+Vermessen griff' ich nach der Schale,<br />
+Mit welcher sie die Gottheit reicht,<br />
+Und wagte taumelnd jetzt vielleicht<br />
+Selbst dem Alciden Holm zu sagen,<br />
+Und mit dem Gott um seinen Lohn zu schlagen. &mdash;<br />
+</div>
+
+<p>Du denkst wohl, dass mich das marmorne Mädchen etwas
+ausser mich gebracht hat; und so mag es allerdings seyn. Der
+Italiäner betrachtete meine Andacht eben so aufmerksam, wie
+ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine
+Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin
+ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis
+jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe; und ich
+verzweifle selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können.
+Ich muss Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo
+er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäss, die
+goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiss
+nicht bestochen; ich habe bloss die Göttin angebetet, auf
+deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel
+liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt
+und Glieder und des Gewandes will ich nicht eingehen; das
+mögen die Geweiheten thun. Alles ist des Ganzen würdig.</p>
+
+<p>In dem nehmlichen Hause steht auch noch ein schöner
+Gypsabguss von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein
+schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich
+zu diesem Seelchen zu wenden.
+<!-- pb n="102" facs="#f0128"/ --> In dem Zimmer, wo der
+Abguss der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in
+Gyps von Canovas übrigen Arbeiten. Eine Grablegung des
+Sokrates durch seine Freunde. Die Scene, wo der Verurtheilte
+den Becher nimmt. Der Abschied von seiner Familie. Der Tod
+des Priamus nach Virgil. Der Tanz der Phäacier in Gegenwart
+des Ulysses, wo die beyden tanzenden Figuren vortrefflich
+sind: und die opfernden Trojanerinnen vor der Minerva, unter
+Anführung der Hekuba. Alles ist eines grossen und weisen
+Künstlers würdig; aber Hebe hat sich nun einmahl meines
+Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übrig
+gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem
+Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das
+Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so wird
+seine Seele gewiss es erst zu diesem Ideal erhoben haben,
+das jetzt alle Anschauer begeistert.</p>
+
+<p>Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatze ist, habe ich
+fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen
+die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den
+konsularischen Pallast der Gallier bewachen sollen.
+Sonderbar; wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer,
+in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen
+andern gewöhnlichen Schätzen. Die Venetianer liessen ihren
+Verbündeten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt
+kommen die Herren und holen die Pferde nach. Wo ist der
+Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem
+adriatischen Meere feyerte? Die Britten gingen seit geraumer
+Zeit schon etwas willkührlich
+<!-- pb n="203 " facs="#f0129"/ --> und ungebührlich mit
+seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der
+Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr
+Mühe seinen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und
+nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur
+Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modificieren
+müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von
+der einen Seite mit Schonung und von der andern mit
+gehöriger Resignation geschieht.</p>
+
+<p>Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey
+gelegen hatte und dort unterschrieben werden musste. Ich bin
+überhaupt kein grosser Wälscher, und der zischende Dialekt
+der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der
+Kanzley mit dem Ausfertiger nicht gut fertig werden, und man
+wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der
+fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter
+einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach
+ich Deutscher deutsch. <span class="italic">Non son asino
+ferino</span>, antwortete der feine
+Mann, <span class="italic">per ruggire tedesco</span>. Das
+waren, glaube ich, seine Worte, die freylich eine grelle
+Ausnahme von der venetianischen Höflichkeit machten. Die
+Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen dass
+ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie
+verstanden hatte, sagte ziemlich
+mürrisch: <span class="italic">Mais pourtant, Monsieur, il
+est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui</span>
+sache <span class="italic">la langue de votre
+Souverain</span>. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er
+fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte
+mir, dass mein Pass ausgefertiget sey, und in drey Minuten
+war ich fort. Ich
+<!-- pb n="104" facs="#f0130"/ -->
+erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis,
+wie man gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese
+Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher
+scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie
+zu ändern.</p>
+
+<p>Morgen will ich über Padua am Adria hinab wandeln und
+mich so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich
+hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den
+Aetna hinüber bugsieren lassen kann. Die Sache ist nicht
+ganz leicht. Denn unter Ankona bey Loretto endigt die
+Poststrasse; und durch Abbruzzo und Kalabrien mag es nicht
+gar wegsam und wirthlich seyn: <span class="italic">sed non
+sine dis animosus infans</span>. Ich weiss, dass mich Deine
+freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt
+seyn wirst, dass meine Seele oft bey meinen Freunden und
+also auch bey Dir ist.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<div class="chapter" id="Bologna">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Bologna</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>eun Tage war ich in
+Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die
+Nacht fuhr ich mit der Korriere wieder ab. Die Gesellschaft
+war ziemlich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen
+Pferde zusammen geschichtet. Das Wetter war nicht sehr
+günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr
+des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta
+herauf soll sehr angenehm seyn; aber das Wasser hatte
+bekanntlich die Strassen durch ganz Oberitalien so
+fürchterlich zugerichtet, dass es
+<!-- pb n="105" facs="#f0131"/ --> ein trauriger Anblick
+war; und ich grämte mich nicht sehr, dass ich auf meiner
+Fahrt und wegen stürmischen Wetters wenig davon sehen
+konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter
+leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie
+die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gesprochen,
+was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die einzige Bemerkung
+nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann
+machte: es wäre nun zu hoffen, dass wir in dreyssig oder
+vierzig Jahren zu Fusse nach Venedig würden gehen können. Er
+deutete bloss kurz an, die alte Regierung habe ein Interesse
+gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die
+Räumung der Lagunen viel Geld kosten lassen; die neue
+Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und
+brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die
+Strasse von Mestre nach Venedig fest zu machen. Ich lasse
+die Hypothese dahin gestellt seyn.</p>
+
+<p>Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hatte, nahm ich
+meinen Tornister und machte dem heiligen Antonius meinen
+Besuch. Sogleich war ein Cicerone da, der mich führte, und
+meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich
+wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und
+wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller
+Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in
+der gothischen Kathedrale herum. In der Kirche drängten sich
+mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und liessen sich mit
+Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich
+gekleidet und zeigten
+<!-- pb n="106" facs="#f0132"/ --> mir alle ihre Wunder mit
+viel Salbung; und ich hatte die Ehre dreye zu bezahlen.
+Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von
+welchem alle meine drey Führer nichts wussten. Er muss in
+seiner Vaterstadt jetzt so ausserordentlich berühmt nicht
+seyn: denn drey stattlich gekleidete Männer, die ich nach
+der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von
+seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwey davon
+geläufig genug französisch. Endlich wies mich ein alter
+Graukopf nach dem Stadthause, wo es sich befinde. Ich
+wandelte in dem ungeheuren Saale des Stadthauses neugierig
+herum, und redete einen Mann mit einem ziemlich
+literärischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir
+italiänisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber
+es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu
+alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf
+an einen Andern, der mit einem Buch in einer Ecke sass.
+Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den
+alten Stein über dem Eingange einer Expedition. Du kennst
+ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts
+sagt, als dass die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier
+dieses Andenken errichtet haben. Das neue prächtige
+Monument, das der ehemalige venetianische Senat und das
+Paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es
+zu entfernt war und ich diesen Abend noch nach Battaglia
+patrollieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner
+sehr artig: <span class="italic">Gratias tibi habemus pro
+tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis
+aliis testimonio, quantopere noster Livius apud
+<!-- pb n="107" facs="#f0133"/ --> exteros merito colatur.
+Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas</span>. Der
+Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen
+klassischen Wichtigkeit, die ihm sehr wohl anstand.</p>
+
+<p>Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Kopfe gerades
+Weges durch seine alte trojanische Vaterstadt in das
+klassische Land hinein, das ehemahls so grosse Männer gab.
+Du weisst, dass ich sehr wenig Literator bin; weisst aber
+auch, dass ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe,
+dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache
+zu lesen. Livius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich
+gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also
+wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, dass
+wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten
+etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier
+und da über seine Wiederfindung gemacht hat, sehr
+verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da
+fand ich denn in meinem Sinn, dass wir wohl schwerlich den
+ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu
+bedauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der römischen
+Geschichte für öffentliches Recht und Menschenkunde, und wo
+sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius
+in ihrem ganzen Gange gezeigt hat, der Sklavenkrieg und die
+Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den
+Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, dass
+er aus Zufall oder Vernachlässigung gekommen sey. Livius war
+ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer
+Patriot und Verehrer der Freyheit,
+<!-- pb n="108" facs="#f0134"/ --> wie alle seine Mitbürger,
+die es bey den letzten Unruhen in Rom unter dem Triumvirat
+thätig genug gezeigt hatten; er war ein erklärter Feind der
+Despotie. August selbst, dem die römische Schmeicheley
+schändlicher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn
+mit einer sehr feinen Tyrannenmässigung nur einen
+Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun Meister; man
+kennt die Folge der erbaulichen Subjekte derselben, die
+schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so
+schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest
+doch wohl begreiflich, dass die Cäsarn nicht absichtlich ein
+Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden
+gefördert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des
+Tacitus sehr wahrscheinlich, dass man alles gethan hat sie
+zu unterdrücken; wenigstens die Stellen, wo der
+aristokratisch römische Geist überhaupt und die Tyranney der
+Cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben
+gezeichnet seyn musste. Dieses waren vorzüglich der
+Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt
+ein weitläufiges Werk, und nicht jeder war im Stande sich
+dasselbe kopieren zu lassen. Alle fanden es also
+wahrscheinlich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse
+gemäss, die Stellen nicht bey sich zu haben, die ihnen von
+dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herrscher leicht die
+blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das
+Schätzbarste von Livius im eigentlichen Sinne nicht sowohl
+verloren gegangen als vernichtet worden: und als man anfing
+ihn ins Arabische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so
+<!-- pb n="109" facs="#f0135"/ --> verstümmelt, wie wir ihn
+jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt
+die wichtigen Bruchstücke fänden sich noch irgendwo in einem
+seltenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vulkans, so
+kannst Du, aus der Analogie der neuen Herrscher mit den
+alten, ziemlich sicher darauf rechnen, dass wir die Schätze
+nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und
+vergrösserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden
+zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat.
+Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte
+drey Fussreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort
+von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der
+grössten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr
+bin.</p>
+
+<p>Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir
+überlasse, wandelte ich die Strasse nach Rovigo fort. Diese
+Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von
+Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen
+Regenwasser hatten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog
+sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueberall
+war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend
+ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die
+jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war diess noch mit Folge
+des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage
+an der Strasse in einem Wirthshause ein, das nicht die
+schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts,
+als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte
+viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern
+<!-- pb n="110" facs="#f0136"/ --> nur etwas Brot schaffen
+könnte. Aber es war unmöglich; man gab mir aus Gutmüthigkeit
+noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich musste damit
+und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.</p>
+
+<p>Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das
+Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses,
+der meinen Pass mit aller Schwerfälligkeit der alten
+Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, dass
+ich diesseits bey dem französischen Kommandanten wohl
+Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war
+alles gerade das Gegentheil. Er war ein freundlicher
+jovialischer Mann, der mir den Pass, nach einem flüchtigen
+Blick auf mich und auf den Pass, ohne ihn zu unterschreiben,
+zurück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, dass er
+nicht unterschriebe. <span class="italic">Vous n' en avés
+pas be</span><span class="italic">soin</span>; sagte
+er: <span class="italic">Vous venés de l' autre coté?</span>
+&mdash; <span class="italic">Je viens de
+Vienne</span>, <span class="italic">et je m' en vais par
+Ferrare à Ancone</span>.
+&mdash; <span class="italic">N'importe</span>; versetzte
+er; <span class="italic">allés
+toujours</span>. <span class="italic">Bon voyage</span>! Die
+Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die
+Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des
+Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo
+war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn
+Triest und Venedig und die übrigen Oerter hatten alle noch
+so etwas Nordisches in ihrer Erscheinung, dass es mir kaum
+einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in
+Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach
+Pässen, ob ich gleich überall starke französische
+Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem
+Platze der grosse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der
+<!-- pb n="111" facs="#f0137"/ --> Spitze, und gegen über in
+dem grossen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von
+Italiänern und Franzosen, die sich der jovialischen Laune
+der Ungebundenheit überliessen. Aber alles war sehr
+anständig und ohne Lärm.</p>
+
+<p>Ich muss Dir bekennen, dass mir dieses heitere kühne
+Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in Wien und
+Venedig sehr wohl gefiel, und dass ich selber etwas freyer
+zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freyheit für
+mich behalten und sie überhaupt den Menschenkindern wünschen
+möchte. Das Wasser hatte hier überall ausserordentlichen
+Schaden gethan, wie Du gewiss schon aus den öffentlichen
+Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der
+sogenannte <span class="italic">canale bianco</span> seine
+Dämme durchbrochen und links und rechts grosse Verwüstungen
+angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den
+Dämmen und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in
+den alten Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen
+der Armuth in einem ziemlich gesegneten Landstriche; und ich
+schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und
+grossen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da die
+Strasse ganz abscheulich war, liess ich mich bis Ponte di
+Lagoscuro auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf
+Ruderknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine
+Summe von zehn Liren. Der Po ist ein grosses schönes
+majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne
+vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in
+weiter weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte,
+und die Griechen haben
+<!-- pb n="112" facs="#f0138"/ -->
+ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer
+oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun
+die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus
+scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.</p>
+
+<p>Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des
+Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist
+ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch
+gebratener Kapaun ein sehr angenehmer Willkommen. Diesen
+fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen
+darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich
+guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich
+und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die
+architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Strassen
+sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur
+eine Kleinigkeit, nehmlich Menschen. Französische Soldaten
+sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die
+öffentlichen Gebäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne
+Schönheit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem
+Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an
+der Bibliothek, sehr viele alte lateinische Inschriften
+eingemauert, die meistens Leichensteine sind und für mich
+wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich
+ansehnlich; und man wiederholte mit Nachdruck einige Mahl,
+dass durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern,
+dass alles durch die Beyträge des Publikums und von
+Privatleuten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft
+worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das
+Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den
+<!-- pb n="113" facs="#f0139"/ --> Benediktinern stand: das
+sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere
+Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von
+Ariost und sein metallenes sehr schön gearbeitetes
+Dintenfass, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die
+Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu
+Oden und Dithyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas
+inspirationsfähiger wäre. So viel muss ich sagen, die
+Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich gesehen
+habe.</p>
+
+<p>Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit
+Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst,
+Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, dass ich
+gewöhnlich nicht faste, wie an meinem Geburtstage zu Udine,
+und dass die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier
+ein kleines Exempel nehmen könnten. Das Wetter war
+fürchterlich. Ich hatte gelesen von den grossen gefährlichen
+Morästen zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzählungen
+bestätigten es und sagten weislich noch mehr; so dass ich
+nicht ungern mit einem Vetturino handelte, der sich mir nach
+Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die
+Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon
+in Padua konnte ich eine kleine Ahndung davon haben: denn
+eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Verona und Mantua
+bringen; da ich aber sagte, dass ich nach Bologna wollte,
+verlor kein Einziger ein Wort weiter, als dass sie alle
+etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine
+Kutschengefährten waren ein cisalpinischer Kriegskommissär,
+und eine Da<!-- pb n="114" facs="#f0140"/ -->me von
+Cento, die ihren Mann in der Revolution verloren hatte. Wir
+zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter
+gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlimmsten
+Strecken zu Fusse gegangen waren. Einige Stunden von Ferrara
+aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an
+die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen;
+die billigen Bauern foderten aber für zwey Stunden nicht
+mehr als acht und zwanzig Liren für zwey Ochsen, ungefähr
+sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann
+jammerte mich und ich rieth ihm selbst gar kein Gebot auf
+die unverschämte Foderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit
+der furchbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde
+weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und
+arbeiteten uns zu Fusse durch, und es ward mit dem leeren
+Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich
+dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert
+Schritte weiter fielen alle beyde und wälzten sich ermattet
+in dem schlammigen thonigen Boden. Da hatten wir denn in
+Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche
+Elend <span class="italic">in concreto</span>. Die Pferde
+halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen sass fest.
+Nun stelle Dir die ganz bekothete Personalität deines
+Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen
+Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens
+setzte und heben und schieben half, dass die Dame und der
+Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und
+nach drey Versuchen machte ich den Fuhrmann wieder flott.
+Aber ans Einsetzen war nicht zu
+<!-- pb n="115" facs="#f0141"/ --> denken. Nun hatte ich das
+Amt, die Dame und den Kommissär durch die engen schweren
+Passagen zu bugsieren, und that es mit solchem Nachdruck und
+so geschicktem Gleichgewicht auf den schmahlen Stegen und
+Verschlägen und an den Gräben, dass ich ihnen von meiner
+Kraft und Gewandtheit eine gar grosse Meinung gab. Schon
+hatten wir uns, als wir zu Fusse voraus über den
+italiänischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluss,
+gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirthshause zu
+Malalbergho einquartiert und uns in die Pantoffeln geworfen,
+als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht
+italiänische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts
+dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus
+sollte der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder
+in den Wagen und liessen uns weiter ziehen. Nun trat eine
+andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär, drollig
+genug an Italiänern, ward bange vor Gespenstern. Der
+Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Muth nicht viel
+zur Befreyung seines Vaterlandes beygetragen zu haben. Mir
+ward zwar auch etwas unheimisch, nicht vor Geistern sondern
+vor Strassenräubern, für welche die Strasse zwischen tiefen
+breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle
+ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer
+meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht
+kamen wir glücklich auf unserer Station, einem isolierten,
+ziemlich grossen und guten Gasthof an, der, wenn ich mich
+nicht irre, Althee hiess und von dem ich Dir weiter nichts
+zu sagen weiss, als dass man mir einen Wein gab, der
+<!-- pb n="116" facs="#f0142"/ --> dem Champagner ähnlich
+war und also meinen Beyfall hatte. Bey diesem Weine und der
+guten Mahlzeit schien der Kriegskommissär ganz eigentlich in
+seinem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun freylich
+nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich nach einer
+solchen Fahrt dabey auch ganz behaglich.</p>
+
+<p>Den andern Mittag langten wir hier in der alten
+päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach
+meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so
+strenge, als mit meinem Kameraden dem Kommissär, der aus der
+Gegend von Parma war, und der ein förmliches
+Kandidatenexamen aushalten musste. Auf der Polizey, wo ich
+den Pass signieren lassen musste, war man eben so artig und
+höflich als an dem Gränzflusse. Hier in Bologna fand ich
+überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an
+Schweinerey gränzt: und wenn man der häuslichen Nettigkeit
+der Italiäner überhaupt kein grosses Lob geben kann, so
+haben die Leute in Bologna den grössten Schmutz aufzuweisen.
+Ausser dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die
+Bologneser noch, dass ihre Stadt so gross sey wie Rom. Daran
+thun sie nun freylich etwas zu viel; wenn man aber auf den
+Thurm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den
+Raum doch gross genug finden, um in eine solche Versuchung
+zu gerathen, zumahl wenn man etwas patriotisch ist. Der
+Hauptplatz mit der daran stossenden Kathedrale, und dem
+Gemeinehause rechts und den grossen schönen Kaufmannshallen
+links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf
+demselben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine
+<!-- pb n="117" facs="#f0143"/ --> Verdienste; nur Schade,
+dass der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat,
+dass er wohl kaum den Nachbaren auf hundert Schritte in die
+Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses
+ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht sehr
+demüthig in einem sehr spiessbürgerlichen Aufzug daneben.
+Ueber dem Portal hängt ein nicht unfeines Bild der Freyheit
+mit der Umschrift in grossen
+Buchstaben: <span class="italic">Republica Italiana</span>;
+welches erst vor einigen Wochen hingesetzt war, da man
+die <span class="spaced">Cisalpiner</span> in diese
+Nomenklatur metamorphosiert hatte.</p>
+
+<p>Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man
+daselbst durchaus immer die
+niedrigsten <span class="spaced">Hans</span>wurstiaden gebe
+und zum Intermezzo Hunde nach Katzenmusik tanzen lasse.
+Hätte ich mehr Zeit gehabt so hätte ich doch wohl die
+Schnurrpfeifereyen mit angesehen. Ich ging aber auf das
+kleine Theater <span class="italic">Da Ruffi</span>, und
+fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich
+kann nicht begreifen, wie die Leute bey einem so geringen
+Eintrittsgelde und den kleinen Raum des Schauspielhauses den
+Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten
+französischen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo
+natürlich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert
+wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf
+Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man vielleicht
+voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der
+Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und
+angenehm; die meisten Schauspieler waren, wie man mir sagte,
+Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem
+Stück
+<!-- pb n="118" facs="#f0144"/ --> gab man das beliebte
+Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und
+auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir
+an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus
+dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem
+Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt
+wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren
+Munizipalbeamten mit Wache auf dem Theater, die Lose wurden
+vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den
+Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte,
+hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze
+Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir
+hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle
+dergleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der
+Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone
+war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte
+von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob
+er die Dialektik studiert hätte und Professor der Aesthetik
+wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, dass ich
+nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die
+Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für
+einen Barbaren und halb für einen armen Teufel; und ich
+überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging
+trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern
+Morgen zum Thore hinaus.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<!-- pb n="[119]" facs="#f0145"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Ankona">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Ankona</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Bologna geht es auf dem
+alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr
+wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Bloss von
+Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse.
+Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren;
+der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte
+ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den
+Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone
+schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in
+Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Strassen herum.
+Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Männer
+und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine
+Erscheinung mochte für die Leute freylich etwas
+hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Kleidung, ein
+Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein
+grosser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade
+hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt.
+Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand
+lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die
+ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit;
+einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freylich nicht
+auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den
+possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mich
+hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don
+Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein
+anderes
+<!-- pb n="120" facs="#f0146"/ --> Bocksgesicht setzte sich
+hinter mich, um von seinem Attribut der Klystierspritze
+Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von
+halb Imola vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer
+Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch
+nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas aus dem
+Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muss ich Dir sagen,
+dass mein Bart wirklich über drey Tage lang war und dass ich
+von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt
+war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge
+zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleideter
+Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte
+mich durch einige Strassen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das
+war nun freylich kein erbaulicher Name; indessen ich war
+ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch
+einmahl durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirthshaus
+zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem
+ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu
+dem Haufen; und nun muss ich den Farcenspielern die
+Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie sich, so weit es
+ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig
+betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich
+in drey verschiedenen Sprachen, in der deutschen,
+französischen und italiänischen, anredete, verliess mich mit
+seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige
+französische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in
+ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste
+Tummelplatz der Maskierten, die in
+<!-- pb n="121" facs="#f0147"/ --> hundert lächerlichen
+Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder
+liefen. Ein siedend heisser politischer Imolait schloss sich
+an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene
+Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich,
+wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der
+Wahrheit gemäss, ganz ruhig. <span class="italic">On les a
+bien forcé à coups de bayonettes à être en repos</span>;
+sagte er. <span class="italic">Apparemment</span>; sagte
+ich. &mdash; <span class="italic">C'est toujours la
+meilleure maniere de disposer les gens à se conformer à la
+raison</span>. &mdash; <span class="italic">Mais oui</span>,
+entgegnete ich, <span class="italic">après en avoir essayé
+les autres</span>; <span class="italic">pourvù toute
+fois</span>, <span class="italic">qu' il y ait de la raison
+et de la justice au fond de l'affaire</span>
+&mdash; <span class="italic">Estce que vous en doutés pour
+la notre</span>? &mdash; <span class="italic">On ne peut pas
+repondre à cela en deux mots</span>. Nun wollte er eine
+Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich
+entschuldigte mich mit meiner alten
+Formel: <span class="italic">Quand on
+commence</span>, <span class="italic">il faut toujours
+commencer par le commencement</span>; da würde sich denn
+ergeben das alte <span class="italic">Iliacos intra muros
+peccatur et extra</span>. Der Abend rief mich zum Essen und
+zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich indem er
+meinte: Wenn es auf uns beyde angekommen wäre, würde wohl
+kein Krieg entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für
+mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle
+Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft
+schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum
+Papst bilden kann?</p>
+
+<p>In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und
+in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts zu sehen wäre:
+Antiquare und Künstler finden daselbst
+<!-- pb n="122" facs="#f0148"/ --> reichliche Unterhaltung
+für ihre Liebslingsfächer. Aber ich dachte weder an alte
+noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus,
+das <span class="italic">Hotel de Naples</span>. Auf mein
+ltaliänisch war man nicht ausserordentlich höflich,
+vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war.
+<span class="italic">Ne pourrai je pas parler au maitre de
+la maison?</span> fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen
+Tornister abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und
+alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so
+oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In
+Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren
+etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir
+über mich mit lautem Gelächter etwas zu
+erlustigen. <span class="italic">Qu'est ce qu'il y a là,
+Messieurs?</span> fragte ich mit einer enrhumierten rauhen
+Stimme. <span class="italic">Niente, Signore,</span> war die
+Antwort; und alles trat still in eine bescheidnere
+Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten
+können. Ich fand in dem <span class="italic">Hotel de
+Naples</span> zwey Kaufleute und drey Schiffer; der Kellner
+war ein jovialischer Mensch; man begrüsste mich in einer
+Minute zehn Mahl mit dem
+Prädikate <span class="italic">cittadino</span>, gab mir den
+Ehrenplatz und fütterte mich <span class="italic">à qui
+mieux</span> mit den besten Gerichten. Es machte keinen
+Unterschied als man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so
+sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung.
+Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war,
+um den Kamin her, machten einen traulichen freundlichen
+Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten
+Jungen, der wie ein Toast
+<!-- pb n="123" facs="#f0149"/ -->
+der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den
+Knien des Andern ging.</p>
+
+<p>Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten
+<span class="italic">Forum Pompilii</span>, und die Trümmer
+einer Brücke, welche auch alt zu seyn scheint. Ich sah von
+allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke
+gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bey den
+Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in
+dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt
+mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und
+also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde
+ich von dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit
+aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich
+ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter
+nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen
+geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas
+ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu
+besuchen, und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen
+umquartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus
+versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: Man habe mich
+für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität
+logiert würde: nun pflegte die Munizipalität seit geraumer
+Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu
+bezahlen; man könnte es also nicht übel deuten, dass sie auf
+diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche.
+Aber ein Galantuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient
+werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause
+waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als
+<!-- pb n="124" facs="#f0150"/ --> man in Ehren nur
+verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir
+Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im
+mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er
+bedauerte, dass es Friede sey und der Schleichhandel nicht
+mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr
+verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute
+Bewirthung ausserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine
+alte sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte
+Freyheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des
+fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste
+muss für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde
+ihm weit rühmlicher seyn, als der verunglückte Pallast für
+seinen verdienstlosen Nepoten.</p>
+
+<p>Vor Savignano ging ich, nicht wie Cäsar, über den
+Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher
+hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten
+entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit
+seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu
+eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der
+Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu
+bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Hass verdienen. Ich
+erinnere mich, dass es mir in einem solchen moralischen
+Kampfe einmahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste
+Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeusserung hätte
+mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät
+zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus
+sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz
+Liebenswürdigkeit. So, so; <span class="italic">bien vous
+fasse!</span> Ihr
+<!-- pb n="125" facs="#f0151"/ --> seyd werth, Cäsarn mit
+seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen
+Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich
+nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu
+vertheidigen. Also hier gingen wir beyde über den Rubikon,
+Cäsar und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einander
+gemein, als dass wir &mdash; nach Rimini gingen.</p>
+
+<p>In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten,
+die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen.
+Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem
+Speisehause. Er besah mich ganz misstrauisch, schaute nach
+meinem Huthe und da er rund herum keine Kokarde entdeckte,
+ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der
+höflichen Formel weiter: <span class="italic">Andate al
+diavolo!</span> Das war der Revers von Cesena. So gehts zu
+Revolutionszeiten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt,
+dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.</p>
+
+<p>In Rimini schlief ich gewiss ruhiger, als der mächtige
+Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag. Vor der
+Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem
+Platze <span class="italic">della Fontana</span> steht der
+heilige <span class="italic">Gaudentius</span> von Bronze,
+der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul,
+ich weiss nicht welcher, hat hier ein Monument für eine
+Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen liess.
+Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der
+wichtigsten Werke und für eine der grössten Wohlthaten; und
+hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht
+schöne wohlthätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast
+vergeben, dass er Papst ist. Auf dem andern Platze stand
+<!-- pb n="126" facs="#f0152"/ --> der Baum mit der Mütze
+und der
+Inschrift: <span class="italic">L</span>' <span class="italic">Union
+des Fran</span>ç<span class="italic">ois et des
+Cisalpins</span>. Aber welche Union! das mag der heilige
+Bartholomäus in Mayland sagen.</p>
+
+<p>Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender
+wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge
+gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu
+besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die
+Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber
+ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die
+Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini
+den Meister gespielt; desswegen gingen die rechtgläubigen
+Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten
+ihre muthige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht,
+wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer
+grossen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu
+Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas
+abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen.
+In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher
+Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten
+besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir
+antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann
+hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden,
+ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich,
+was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner
+Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu
+frieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte
+selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an
+oft der Fall, dass der
+<!-- pb n="127" facs="#f0153"/ --> Herr Wirth sich
+hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete
+und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz
+leise, dass die gottlosen Franzosen viere der schönsten
+Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern
+Morgen im Kaffeehause sass und mein Frühstück verzehrte,
+liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich
+einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein
+Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz
+sein Kreuz machte, sein Stossgebetchen sagte, seine Messe
+brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen
+Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen
+so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in
+vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre
+solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und
+Vernichtung für das Konsequenteste halten: denn solche
+Seelen können nicht fort leben.</p>
+
+<p>Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend
+ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den
+Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden
+Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel
+machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus
+den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluss, und hat
+eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man
+wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo
+Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber
+nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den
+alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist
+gewiss, dass sie hier in
+<!-- pb n="128" facs="#f0154"/ --> der Gegend und am Flusse
+vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte
+es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau
+aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italie
+kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr
+bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen
+Konsuln selig!</p>
+
+<p>Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage:
+vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gärten der
+Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich hatte hier das
+Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht zu sehen, wo die
+Hunde ziemlich hoch geworfen wurden und ziemlich blutig
+wegkamen, und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc
+hien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich
+weiter bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit des
+Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war
+schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungen
+Weitzen und Oehlbäumen geschmückt. Vor Ankona blühten den
+neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge
+rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oehl und
+Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ankona mag
+für die Alten ausserordentlich gut gewesen seyn; für die
+Neuern ist er es nicht mehr in dem Grade: und wenn nicht der
+Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig
+mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig grosse Schiffe
+sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange des alten
+Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans von weissem Marmor,
+der aus den Antiquitätenbüchern
+<!-- pb n="129" facs="#f0155"/ --> hinlänglich bekannt ist.
+Die Schrift fängt an ziemlich zu verwittern, und man muss
+schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es
+müsste denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der
+Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Van
+Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig
+da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor
+demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo
+hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke
+decken oder wehren bloss den Eingang von der Seite von
+Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man
+in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die
+Besatzung ziemlich stark ist. <span class="italic">Est ce
+qu'il est permis de monter la tour pour voir la
+contrée?</span> fragte ich. <span class="italic">Non</span>;
+war die Antwort: ich musste also zurückgehen und die Berge
+rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht theilweise haben
+wollte, die ich hier ganz hätte haben können. Es mag
+freylich wohl der beste militärische Augenpunkt seyn. Das
+Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege
+von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein
+sehr schönes Gebäude ganz im Meere, so dass eine Brücke
+hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schöner bequemer
+Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch
+Röhren vom Berge und ein ziemlich grosses Waarenhaus. Auch
+das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges
+Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung
+hebt sich nur sehr langsam durch die Massregel des römischen
+Hofes, dass man Ankona zu einem Frey<!-- pb n="130" facs="#f0156"/ -->hafen
+erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte
+Kathedralkirche, wo ausser dem unverweslichen heiligen
+Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen,
+deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne
+prächtige, funkelnagelneue Inskription, dass Pius der
+Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die
+Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des
+Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem
+dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist
+dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark
+Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen
+errichtet worden.
+<span class="italic">O sancta!</span></p>
+
+<p>Die Börse ist ein grosser, schöner, gewölbter Saal mitten
+in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten Gemählden
+und Statüen, welche moralische und bürgerliche Tugenden
+vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man
+mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.</p>
+
+<p>Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster,
+gar nicht übel; und das italiänische Talent zur Burleske mit
+dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich
+hier sehr vortheilhaft. Ich kann nicht umhin, Dir hier
+einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne
+zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, dass sie etwas von der
+Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist
+bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den
+Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, dass dieses
+eine schöne ästhetische Wir<!-- pb n="131" facs="#f0157"/ -->kung
+thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; wenigstens für
+mich muss ich bekennen, dass mir nichts langweiliger und
+peinlicher wird als eine solche Zärtlichkeitsscene. Ein Kuss
+ist alles, und ein Kuss ist nichts; und hier ist er weniger
+als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört
+durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der
+Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn
+er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiss die
+Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie
+alle zu beantworten. Der Italiäner weiss durch die feinen
+Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere
+Küsse. Es versteht sich, dass seltene Ausnahmen Statt
+finden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell
+behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf
+dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer
+Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir
+unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers
+Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und
+der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten
+Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das
+Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum
+unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man
+zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als
+ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet
+getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, dass ich da in
+dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man
+Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.</p>
+
+<!-- pb n="132" facs="#f0158"/ -->
+<p>Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo
+es so theuer wäre wie in Ankona; selbst nicht das theure
+Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen
+Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld
+schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den
+Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr
+gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem
+Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür wollte
+er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit
+Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewaltige
+Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte,
+da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht
+nicht leicht wieder zu finden glaubte. Er pflanzte sich im
+Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen
+Impertinenzen; und dafür musste ich ihm die Entree bezahlen
+und zwey Paolo Nachschuss für die Nachtstunden. Die Barbiere
+bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von
+Lehrling, der das Becken trägt und das Bartscheren von dem
+grossen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der
+That so geräumig, dass man bequem einige Ferkel darin
+abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr,
+dass die erhitzte Phantasie Don Quischotts so etwas für
+einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so
+kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in
+Ordnung gelegt hat und fodert
+etwas <span class="italic">della bona mano</span>,
+<span class="italic">della bona grazia</span>, und macht zu
+einer Kleinigkeit kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart
+hat mich bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und
+<!-- pb n="133" facs="#f0159"/ -->
+wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die
+Bequemlichkeit der Kapuziner halten.</p>
+
+<p>Die Leute klagten über Noth und hielten bey hellem Tage
+durch die ganze Stadt Faschingsmummereyen, dass die
+Franzosen die Polizeywache verdoppeln mussten, damit das
+Volk einander nur nicht todt trat, so voll waren die Gassen
+gepfropft. Da gab es denn eben so possierliche Auftritte,
+wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine
+sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz
+vorbey zog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen
+weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich
+eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter
+den Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld
+ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten
+und mit den soliden Fuhrleuten in ernsthafte
+Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter
+den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen
+Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit
+Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche
+zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man
+in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort zum Verkauf
+trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehen Scheffel
+sammeln können. Freylich lesen den andern Tag die Armen auf,
+was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit
+entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr
+närrisch lustige Art Almosen auszutheilen.</p>
+
+<p>Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man
+trifft daselbst immer sehr angenehme unter<!-- pb n="134" facs="#f0160"/ -->haltende
+Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare
+Erscheinung muss die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege
+gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa,
+Oestreicher, Engländer, Russen, Italiäner und Türken gegen
+die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen
+Anstrengungen der Herren endlich doch darin behaupteten, und
+die nun bloss durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer
+Machthaber daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiss in
+jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen
+Posten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am
+ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lautete mein Pass
+von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italiänischen
+Kanzley ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber
+hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Pass
+zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen
+besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Dawider liess
+sich nun freylich kein mathematischer Beweis führen: ich
+machte den guten freundschaftlichen Leuten aber deutlich,
+dass meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die
+sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke
+suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts
+schlägt man doch nirgends die Leute todt.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Rom</title>
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+<body>
+
+<!-- pb n="[135]" facs="#f0161"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Rom">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Rom</span>, den 2ten März.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">W</span>ider meine Absicht bin ich
+nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so
+nahe ans Gewissen, dass es Tollkühnheit gewesen wäre, von
+dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien
+zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Beschreibungen waren
+fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus
+bey meiner anscheinenden Hartnäckigkeit für meine arme
+erschlagene Seele.
+<span class="italic">Vous avés bien l'air d'être un peu
+François; et tout François est perdû sans ressource en
+Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles</span>; sagte
+man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich
+denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem
+Vaterlande zu essen. <span class="italic">On Vous prendra
+pour François, et on Vous coupera la gorge sans
+pitié</span>; hiess es.
+<span class="italic">Fort bien</span>, sagte
+ich; <span class="italic">ou plûtot bien fort</span>. Was
+war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto meinen
+Besuch, liess meinen Knotenstock von dem Sakristan zur Weihe
+durch das Allerheiligste tragen, beguckte etwas die Votiven
+und die gewaltig vielen Beichtstühle, liess mir für einige
+Paolo ein halbes Dutzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen,
+um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu
+beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der
+Tiber zu. Freylich gab es auch hier keinen Mangel an
+Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren
+die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und
+da zum Denk<!-- pb n="136" facs="#f0162"/ -->mahl und
+zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich
+habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen,
+als ich doch wirklich bin; und so bin ich glücklich auf dem
+Kapitole angelangt.</p>
+
+<p>Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich,
+abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem
+Getreide und Obst und Oehlbäumen besetzt sind; desto
+schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis
+gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars
+bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam,
+vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges
+unerträglich.</p>
+
+<p>Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt
+gewesen, dass ich auf der Strasse den dritten Menschen immer
+für einen Bettler ansah. Desto überraschender war mir ein
+kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen
+wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an
+einem Brückensteine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler
+Deferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise,
+das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt.
+Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner
+Miene, dass er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und
+reichte ihm ein kleines Silberstück. Das setzte ihn in die
+grösste Verlegenheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine
+Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und
+glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas
+näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem
+ganzen Wesen, dass ich mich
+<!-- pb n="137" facs="#f0163"/ --> über meine Uebereilung
+ärgerte. Wahrscheinlich hielten wir beyde einander für
+ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, dass solche
+Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des
+augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr
+wohl thun müssen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von
+Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute
+gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häuschen im gelobten
+Lande nicht behaupten konnten, dass sie es durch die Luft
+aus Dalmatien hierher bugsiert haben. Es steht hier doch
+wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es
+auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war.
+Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier
+etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport
+nöthig machen würde; denn die entsetzlichen Franzosen, die
+doch sonst die allerchristlichste Nation waren, hatten sich
+nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt
+anzuthun, worüber die hiesigen Frommen grosse Klagelieder
+und Verwünschungen anstimmen: aber die neue Salbung des
+grossen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die
+Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder
+ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn
+selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum
+Fasching vor dem heiligen Hause in Pomp auf und abführen
+sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle
+Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft
+in der Vergebung der Sünden; aber wer
+<!-- pb n="138" facs="#f0164"/ -->
+diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der
+Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.</p>
+
+<p>Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange
+Gasse von Loretto den Berg hinauf und hinab, durch die
+schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links
+haben die Leute eine herrliche Wasserleitung angelegt, die
+das Wasser von Recanati nach Loretto bringt. Wenn ich
+überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis
+Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre
+Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor
+ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymässig die
+Freyheit meinen Pass zu beschauen. Der Mann war übrigens
+recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus
+nicht weit vom Thore, wo ich so freundlich und billig
+behandelt wurde, dass mir die Leutchen mit ihrem gewaltig
+starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit ausserordentlich
+werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig
+und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief
+so ruhig wie in der Nachbarschaft des Leipziger Paulinums.
+Es war meine Gewohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut
+Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste
+Wirthshaus an der Strasse zu halten. Die Gegend war
+paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich
+nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab,
+und ich gerieth in grosse Versuchung mich dort hinunter nach
+Fermo und Bari zu schlagen. Bloss mein Versprechen in Ankona
+hielt mich zurück.
+<!-- pb n="139" facs="#f0165"/ --> Ich bat die guten
+Bruttier um Verzeihung für mein Misstrauen und meinen
+Unglauben, und wanderte fürbass. Der Hunger fing an mir
+ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein
+ziemlich schmutziges Schild erblickte und nach einem
+Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel.
+Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch
+Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto
+besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war
+warm und trank in grossen Zügen das Rebengeschenk, das wie
+die Gabe aus Galliens Kampanien perlte und wie Nektar
+hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig;
+und als ich die Kaupone verliess, war es als schwebte ich
+davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die
+Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte
+Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen.
+Schade, dass ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie
+aufzuschreiben; so würdest Du doch wenigstens sehen, wie mir
+Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr
+nüchtern. Die Feldarbeiter betrachteten mich aufmerksam, wie
+ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die
+Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein
+Eselstreiber: <span class="italic">Vo</span><span class="italic">lete
+andare a Cavallo, Signore</span>? Ich sah seine Kavallerie
+an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht
+wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die
+Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken,
+so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem
+Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben
+Esel; und ich
+<!-- pb n="140" facs="#f0166"/ --> gab auf den wiederholten
+Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen
+Bescheid: <span class="italic">Jo sono pedone e non voglio
+andare a cavallo sul asino</span>. Die Leute sahen mich an
+und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und
+meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das
+waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, dass im
+gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.</p>
+
+<p>In Tolentino gings gut, und ich liess mich überreden von
+hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes
+zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu
+seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für
+Italien ein ganz hübscher Fluss, hat auch etwas besseres
+Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen
+zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu
+seinem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt,
+in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen
+der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber
+der Wirth als Vermiether kam mit der Entschuldigung: es sey
+jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten.
+Das war nun nicht erbaulich: Aergerniss hätte mich aber nur
+mehr aufgehalten; ich fasste also Geduld und liess mich mit
+meinem Tornister auf einen Maulesel schroten; mein Führer
+setzte sich, als wir zur Stadt hinaus waren, auf die Kruppe,
+und so trabten wir italiänisch immer in den Schluchten
+hinauf. Diese wurden bald ziemlich enge und wild, und hier
+und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die
+beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren
+<!-- pb n="141" facs="#f0167"/ --> Namen ich vergessen habe,
+nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im
+punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man
+mich sehr gastfreundlich und ich erhielt den bedungenen
+Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein grosses langes Dorf
+in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluss, nicht weit
+von der grössten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich,
+dass man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem
+See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden,
+geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg
+windet sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke
+hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Abhange des
+Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der
+andern Seite. Die Leute hier verstehen sich sehr gut zu
+nähren, indem sie die Sympathie der Reisenden in
+Kontribution setzen. Sie übertheuern den Fremden nicht,
+sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an
+seine Grossmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen,
+furchtbaren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man
+müsste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tiefer in die
+Tasche griffe und den gutmüthigen Menschen leben hülfe.</p>
+
+<p>Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es
+vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und
+romantisch ist sie. Man erhebt sich wieder auf eine
+ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche
+Gegend eine der grössten Aussichten. Unten rechts, tief in
+der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden
+Thale die
+<!-- pb n="142" facs="#f0168"/ --> Papiermühlen des Papstes
+angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben
+sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche,
+geben dann Oehlbäume und haben am Fusse üppige Weingärten.
+Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche,
+die in Rom eine der ersten Zierden des Borghesischen Gartens
+ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter
+rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten
+Thrasymen sehen können. Ich war nicht so glücklich; es war
+ziemlich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher Anblick.
+Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentliches gelernt hätte!
+Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne
+Namen ist. Mit magischen Wolken überzogen liegt das alte
+finstere Foligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens
+ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die
+gewiss in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter
+weideten ehemahls die vom Klitumnus weissgefärbten Stiere,
+welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt
+holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer
+Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom
+Thrasymen siegreich herabstürzende Heer Hannibals zum ersten
+Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen
+wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen
+Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen haben. Die
+Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit
+Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man
+mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen
+liess. Eine Be<!-- pb n="143" facs="#f0169"/ -->wirthung,
+für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem
+Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, musste ich hier in dem
+Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich
+überdiess mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich
+diess durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein
+Empfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach
+Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natürlich, dass
+ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich
+selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen.
+Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und
+wandelte immer wieder im Thale hinauf nach Hannibals
+Kopfstoss. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des
+Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und
+Waschweibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch
+eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so
+enthusiastisch davon sprach. Grosse Haine und viele Tempel
+giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist
+allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit
+grossen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene
+gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe
+Cypressen, die ehmahls in der Gegend berühmt gewesen seyn
+sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre
+Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es
+sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel
+seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich
+auf dem jungen Rasan sonnte, setzte sich ein stattlich
+gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf
+Politik, zog
+<!-- pb n="144" facs="#f0170"/ --> einige Zeitungsblätter
+aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach
+dem Frieden die endliche Ausgleichung machen würde, und wie
+besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten
+dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit keiner
+Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das
+überliesse ich
+denen, <span class="italic">interesset</span>.</p>
+
+<p>Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungsprojekten;
+denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein
+Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir
+nichts Anmasslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes,
+Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist;
+nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Sprösslinge
+der grossen Familien, die die nächste Anwartschaft auf
+Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser
+Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äusserte in
+Warschau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch
+Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben.
+Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite
+Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des
+Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein
+Trossbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es
+ja noch Churfürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein
+Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die
+moralische Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich
+trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige
+Ausdruck. So geht es hier und da.</p>
+
+<p>Der Jäger verliess mich nach einem halben Stündchen
+Kosen, und ich verliess den Klitumnus.
+<!-- pb n="145" facs="#f0171"/ --> In Spoleto ging ich ohne
+Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches
+Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte
+ich nun Ursache gehabt zu bedauern, dass ich das
+Empfehlungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht
+angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe
+Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gasthaus finden konnte.
+Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten
+Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist
+ein grosses, altes, dunkles, hässliches, jämmerliches Loch,
+das Spoleto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in
+Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier,
+denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse
+Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine
+Ausnahme zu machen. Desswegen habe ich mich auch keinen Deut
+um ihre Alterthümer bekümmert, deren hier noch eine
+ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und
+Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdiess in
+so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne
+Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt,
+stehen die Worte in Marmor:</p>
+
+<p class="center"><span class="spaced">HANNIBAL</span><br />
+CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS<br />
+INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS,<br />
+AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS,<br />
+INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.</p>
+
+<!-- pb n="146" facs="#f0172"/ -->
+<p>So ist die Ueberschrift. Ich weiss nicht ob es die Worte
+des Livius sind; mich däucht, bey diesem lautet es etwas
+anders. Die Sache hat indess nach den alten Schriftstellern
+ihre Richtigkeit; nur weiss ich nicht ob es eben dieses Thor
+seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt
+nicht seit den punischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch
+ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht.
+Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich
+wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen
+lassen.</p>
+
+<p>Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich
+sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des
+Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den
+Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil
+desselben; und hier war ich wieder zu Fusse ganz allein. Den
+Morgen als ich Spoleto verliess, sah ich links an dem Felsen
+noch das alte gothische Schloss, wo sich wackere Kerle
+vielleicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen können,
+ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die
+wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man
+mich überall mit Räubergeschichten und Mordthaten, um mir
+einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich
+war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen
+Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll
+der <span class="italic">Jupi</span><span class="italic">ter
+Summanus</span> einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur
+von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt
+es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von
+Spoleto ist noch
+<!-- pb n="147" facs="#f0173"/ --> nicht so wild und
+furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das
+Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit,
+rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den
+ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und
+Waldströmen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen
+Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser
+und ein halbes Dutzend in Strettura, dessen Name schon einen
+engen Pass anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte
+Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele
+alte verlassene Gebäude, die ziemlich den Anblick von
+Räuberhöhlen tragen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten
+Berge sind bis zu einer grossen Höhe mit finstern wilden
+Lorberbüschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu
+ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war
+mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni
+das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage
+gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder
+erblickte, unter denen der junge Weitzen grünte. Das Thal
+der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor
+mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den
+Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten
+Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Gewalt zu
+arbeiten.</p>
+
+<p>Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an.
+Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher
+zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich,
+und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum
+Anfange vielleicht
+<!-- pb n="148" facs="#f0174"/ --> besser geschmeckt hätten.
+Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, dass
+dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann
+ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht
+empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der
+Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist,
+Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in
+Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem
+Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des
+heiligen Erlösers. Sie war verschlossen, ich liess mich aber
+nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine
+Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche
+unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in
+die Kirche weisen liess. Der Mann hatte in seinem Sinne
+Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir
+noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloss der heidnischen
+Sonne sein Kompliment zu machen, Richtig. Die Leute haben
+bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt
+und dafür gesorgt, dass in den Sonnentempel keine Sonne mehr
+scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen
+gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht
+genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt
+Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem
+Fegefeuer erlösen wird.</p>
+
+<p>Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier
+Meilen Apenninen von Spoleto herüber gekommen war, noch eine
+deutsche Meile lang den hohen Steinweg zu dem Fall des
+Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein
+Wölk<!-- pb n="149" facs="#f0175"/ -->chen, und es
+wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes
+etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und
+bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der
+Atmosphäre einen ganzen hellen herrlich glühenden und einen
+grössern dunkeln Bogen im Staube des Falles. Ich sass
+gegenüber auf dem Felsen und vergass einige Minuten alles
+was die Welt sonst grosses und schönes haben mag. Etwas
+grösseres und schöneres von Menschenhänden hat sie
+schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb
+Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.</p>
+
+<div class="poem">
+<span class="indent">Hier hat vielleicht der grosse Mann gesessen</span><br />
+Und dem Entwurfe nachgedacht,<br />
+Der seinen Namen ewig macht;<br />
+Hat hier das Riesenwerk gemessen,<br />
+Das grösste, welches je des Menschen Geist vollbracht.<br />
+Es war ein göttlicher Gedanke,<br />
+Und staunend steht die kleine Nachwelt da<br />
+An ihres Wirkens enger Schranke<br />
+Und glaubet kaum, dass es geschah.<br />
+Wie schwebte mit dem Regenbogen,<br />
+Als durch die tiefe Marmorkluft<br />
+Hinab die ersten Donnerwogen<br />
+Wild schäumend in den Abgrund flogen,<br />
+Des Mannes Seele durch die Luft!<br />
+So eine selige Minute<br />
+Wiegt einen ganzen Lebenslauf<br />
+Alltäglichen Genusses auf;<br />
+Sie knüpft das Grosse an das Gute.<br />
+<!-- pb n="150" facs="#f0176"/ -->
+Es schlachte nun der zürnende Pelide<br />
+Die Opfer um des Freundes Grab;<br />
+Es zehre sich der Philippide,<br />
+Sein Afterbild, vor Schelsucht ab;<br />
+Es weine Cäsar, stolz und eitel,<br />
+Um einen Lorberkranz um seine kahle Scheitel;<br />
+Es mache sich Oktavian,<br />
+Das Muster schleichender Tyrannen,<br />
+Die je für Sklaverey auf schöne Namen sannen,<br />
+Mit Schlangenlist den Erdball unterthan:<br />
+Die Motten zehren an dem Rufe,<br />
+Den ihre Ohnmacht sich erwarb,<br />
+Und jedes Sekulum verdarb<br />
+An ihrem Tempel eine Stufe.<br />
+Hier steigt die Glorie im Streit der Elemente,<br />
+Und segnend färbt der Sonnenstrahl<br />
+Des Mannes Monument im Thal,<br />
+Wo sanft der Oehlbaum nickt, und hoch am Firmamente.<br />
+Das Feuer glüht mir durch das Rückenmark,<br />
+Und hoch schlägts links mir in der Seite stark:<br />
+Wer so ein Schöpfer werden könnte!<br />
+</div>
+
+<p>Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwischen den
+hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine
+schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke
+steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium
+an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern
+Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie
+schlugen hier Anfangs die Franzosen durch den alten
+Fel<!-- pb n="151" facs="#f0177"/ -->senweg hinunter,
+und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung
+es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das
+Manöver und bezahlten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr
+theuer. Es ist traurig für die Humanität, dass man sich mit
+Tigerwuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehlbaums
+schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte beschuldiget werde,
+ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein
+Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche
+gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne
+ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und
+kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veilchen
+und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.</p>
+
+<p>Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten
+des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich
+nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter
+ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber
+ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für
+drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die
+Reste des alten <span class="italic">ponte rotto</span> bey
+Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen,
+die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona.
+Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben
+für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre
+eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen
+schützt. Ich bekenne, dass ich für zwecklose Pracht, wenn es
+auch Riesenwerke wären, keine sonderliche Stimmung habe.</p>
+
+<!-- pb n="152" facs="#f0178"/ -->
+<p>Eine halbe Stunde von Narni lässt man die Nera rechts und
+der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild
+genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen
+Spoleto und Terni. Das Interamner Thal, das man hier bey
+Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf
+übersieht, stand bey den Alten billig in grossem Ansehen,
+und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kultur ein
+sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In
+Otrikoli, einem alten schmutzigen Orte nicht sehr weit von
+der Tiber, wo ich gegen Abend ankam, lud man mich gleich vor
+dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein
+Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an
+das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich
+gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im
+Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden
+und den Weg zurück zu machen, wo ich dann nicht so
+willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten
+ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter
+Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen
+theilnehmenden Erkundigungen Rede abzugewinnen suchte. Er
+war ein starker heisser Politiker und, wie sehr natürlich,
+mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten
+Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte
+weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein
+Ansehen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und
+doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer,
+die ich noch auf meiner Wanderung in Ita<!-- pb n="153" facs="#f0179"/ -->lien
+von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und
+Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er musste etwas
+Zutrauen zu mir gewonnen haben, dass er mich ohne
+Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen liess. Er kannte
+die heutigen Staatsverhältnisse ungewöhnlich gut und war in
+der alten Geschichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz
+schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch
+vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte
+sein Hass den General Murat recht herzlich gefasst, von
+dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und
+der schon durch seinen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm
+verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der
+erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und
+meinte, dass sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so
+tief es auch gesunken sey. Wir schüttelten einander
+freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden
+Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der
+alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.</p>
+
+<p>Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kirchenstaate
+zu reisen. Jenseits der Berge vor und hinter Ankona, bey
+Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch
+noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen
+romantisch gross und zuweilen erhaben und furchtbar. Man
+vergass leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der
+Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die
+Bevölkerung wird noch dünner und die Kultur mit jedem
+Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für
+<!-- pb n="154" facs="#f0180"/ --> das alte Falerii der
+Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins
+feindliche Lager spazieren führte und von Kamill so brav
+unter den Ruthenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde.
+Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten
+militärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug
+als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der
+Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast
+rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich
+sind. Der Anblick flösste mir gleich Respekt ein, und ohne
+an Cluver zu denken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher
+erwiesen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte
+Festung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke
+über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi
+und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut,
+welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es
+ist übrigens gar erbaulich, in welchem pompösen Stil diese
+Dinge in Aufschriften erzählt werden:
+solche <span class="italic">ampullae et
+ses</span><span class="italic">quipedalia verba</span>
+scheinen recht in der Seele der heutigen Römlinge zu liegen.
+Die alten Römer thaten und liessen reden, und diese reden
+und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher
+viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer
+angeschwollenen Sprache weiter nichts sagten, als dass Pius
+der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück
+eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen
+solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die
+Strasse; die alte flaminische geht über Rignano,
+Malborghetto und Primaporta nach der
+<!-- pb n="155" facs="#f0181"/ --> Stadt, und die neue von
+Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die
+Strasse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten
+Sprichwort: Nun gehen alle Strassen nach Rom; und hielt mich
+halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg
+kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand.
+Doch von Wegen darf ich mit meinen Landsleuten nicht
+sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande
+schlimmer als bey uns in Sachsen.</p>
+
+<p>Erlaube mir über die Strassen im Allgemeinen eine kleine
+vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist
+empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert
+wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um
+dieses Geld zu bezahlen. Die Strassen sind einer der ersten
+Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt.
+Geleite und Wegegeld und Postregal haben durchaus keinen
+Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlichkeit
+entspringt, für die Strassen zu sorgen; und die Unterthanen
+sind nur dann zum Zuschuss verpflichtet, wenn jene Einkünfte
+nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die
+Befugniss, die Natur und Zweckmässigkeit und den
+gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es
+nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen.
+Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen
+Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen
+Rechte steht, welches überhaupt als <span class="italic">jus
+publicum</span> das traurigste ist, das die Vernunft
+ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des
+bürgerlichen seyn mag. Bey den
+<!-- pb n="156" facs="#f0182"/ --> Strassen tritt noch eine
+Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man
+durchaus auch mit grossen Summen und anhaltender Arbeit
+nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit
+Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob
+keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird
+darauf gesehen. Es ist mathematisch zu beweisen, dass die
+Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die
+beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben
+muss. Ist einmahl der Einschnitt gemacht, so mag man
+schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man
+will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die
+ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das
+Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu machen, so
+ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und
+nach mit mehrern; bis die ganze Strasse ohne Hülfe zu Grunde
+gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Massen in
+Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des
+vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt
+entstehen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die
+Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige
+Veränderung des Drucks die Strasse bessern. Man würde eben
+so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlass
+mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen
+wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde
+beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den
+Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast
+durchaus habe ich den Schaden dieser bö<!-- pb n="157" facs="#f0183"/ -->sen
+Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so
+viel ich mich erinnere, strengere Massregeln genommen ihn zu
+verhüten. Aber ich muss machen, dass ich nach Rom komme.</p>
+
+<p>Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr
+richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger
+als ich begegneten mir mit ihren grossen Knotenstöcken bey
+Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht
+viel gearbeitet wurde.
+<span class="italic">Signore è tedesco e va a Roma;</span>
+sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen
+müssen häufig diese Strasse machen; denn ich hatte noch
+keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu
+verrathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben
+sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben
+würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm,
+wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiss in
+einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung
+musste der mir links liegende Berg durchaus
+der <span class="italic">Soracte</span> seyn, obgleich kein
+Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem
+heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat
+sich die alte Benennung noch nicht verloren, denn man nennt
+ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, dass ich
+nicht links die alte flaminische Strasse gehalten hatte;
+dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem
+ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs
+der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser
+Seite ganz isoliert; das wusste ich aus einigen Anmerkungen
+über den Horaz,
+<!-- pb n="158" facs="#f0184"/ --> und desswegen erkannte
+ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war.
+Hinten schliesst er sich durch eine Kette von Hügeln an den
+Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die
+Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch
+einmahl ein recht schulmeisterlich hermenevtisches Ansehen
+geben, und Dir hierbey eine pragmatische Bemerkung machen.
+Vielleicht weisst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache
+kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des
+Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schliessen. Der
+Sorakte hat, weil er mit der grossen Bergkette der Apenninen
+verglichen, doch nicht ausserordentlich hoch ist und
+tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr
+Horaz wollte durch seinen Schnee den ziemlich starken Winter
+anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich
+zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz
+vernünftig. Vielleicht war er eben damahls in Tibur, wo er
+von Mäcens Landgute bloss die Spitze des beschneyten Sorakte
+sehr malerisch gruppiert vor sich hatte. Uebrigens thue ich
+dem Horaz keine kleine Ehre, dass ich mich mit einem seiner
+Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine
+Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, dass die
+Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.</p>
+
+<p>Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute
+hier etwas fleissiger seyn wollten: aber je näher man Rom
+kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen
+Segens, die durchaus wie
+<!-- pb n="159" facs="#f0185"/ --> Fluch aussehen. Hinter
+Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und
+nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, dass ich mich
+nothwendig in seinen Wagen setzen musste, wo ich einen
+stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und
+einen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die
+Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich
+legte meinen Tornister zu meinen Füssen gehörig in Ordnung,
+und pflanzte mich Barbaren neben den zierlichen Römer. Er
+belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen
+Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich
+in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren
+leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede
+Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe.
+Ganz spasshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher
+erfahren habe: aber eine solche Furcht ist doch sehr
+possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann
+an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach
+und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses
+fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patrontaschen nach
+meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der
+Bitte: <span class="italic">Qualche cosa della bona grazia
+pella guardia.</span> So so; das fängt gut an: ich musste
+wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem
+grossen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den
+drey grossen Strassen ich auf gut Glück hinunter gehen
+sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte
+hinab durch den Corso genommen und wollte aussteigen, als
+mein Kamerad
+<!-- pb n="160" facs="#f0186"/ --> mich fragte wo ich wohnen
+würde? Das weiss ich nicht, sagte ich; ich muss ein
+Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu
+nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey
+ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah
+dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey
+darin, dachte, hier oder da ist einerley, setzte mich wieder
+nieder und liess mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem
+heiligen Franziskus mit den Stigmen gegen über, in den
+Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister
+zu seyn scheint.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
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+<body>
+
+<div class="chapter" id="Rom2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Rom</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">S</span>o bin ich denn also
+unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in
+keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel
+Höflichkeit für mich und mehr Aufmerksamkeit als mir lieb
+ist: denn ich merke, dass ich hier viel theurer leben werde,
+als in irgend einem Wirthshause; wie mir meine Landsleute,
+die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt
+haben. Ich habe meine Addressen aufgesucht. Uhden und Fernow
+empfingen mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme.
+Du kennst die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind;
+aber sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der
+Fall bey literärischen Männern ist. Ich bin also schon kein
+Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbstständigen,
+originellen und etwas barocken Reinhart
+<!-- pb n="161" facs="#f0187"/ --> sah ich gleich den
+zweyten Tag, und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin
+ist ein lebhafter jovialischer Mann, der nicht umsonst die
+Welt gesehn hat, und der eine eigene Gabe besitzt im
+Deutschen und Französischen mit der lebendigsten Mimik zu
+erzählen.</p>
+
+<p>Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm
+mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein Anderer würde in
+seinem Stil Herablassung sagen; nach meinem Begriff lässt
+sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen spricht: und
+wenn irgend ein so genannter Grosser in seinem Charakter
+noch Herablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht
+auf dem rechten Punkte. Ich war genöthigt meine Anrede
+französisch zu machen, da ich mir im Italiänischen nicht
+Wendung genug zutraute, mit einem solchen Manne eine
+zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in
+der nehmlichen Sprache; aber kaum hörte er, dass ich Latein
+wusste, so fuhr er für einen Kardinal drollig genug
+lateinisch fort, das Lob dieser Sprache zu machen, durch
+welche die Nationen so fest zusammen
+hangen. <span class="italic">Haec est illa lingua</span>,
+setzte er hinzu, <span class="italic">quae nobis peperit
+at</span><span class="italic">que
+Virgilios</span>. <span class="italic">Et Tiberios et
+Nerones</span>, hätte ich fast unwillkührlich durch die
+Zähne gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich musste ihm
+einiges von meiner Kriegswanderung nach Amerika erzählen und
+von meinem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit
+vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und fasste mich im
+Ausbruch der Jovialität nicht allein beym Kopf sondern sogar
+bey den Ohren. Ein alter militärischer General seiner
+Heiligkeit stand dabey, und es wurde
+<!-- pb n="162" facs="#f0188"/ --> ein herzliches Trio
+gelacht, wo ich so bescheiden als möglich mit einstimmte. Du
+wirst schon wissen, dass man in Rom mehr Mönchsgenerale als
+Kriegsgenerale antrifft. Beyde spielen mit Kanonen, und es
+wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am
+besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaubniss ohne
+Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für
+einen Pilger, wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte
+gewaltig, als er hörte, ich wolle übermorgen mein Bündel
+nehmen und des Weges weiter wandeln, billigte aber meine
+Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor dem
+Eintritt der heissen Jahrszeit meinen Spaziergang nach
+Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich länger hier
+aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung nach Veletri an, um
+dort freyeren Eintritt in das Familienkabinett zu haben,
+worüber ich mich einiger Massen wunderte. Aber man hat
+Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt und Einige
+fürchteten sogar, die Franzosen würden die ganze Sammlung
+wegschaffen lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre,
+nicht; aber es ist doch begreiflich, dass dadurch etwas
+Furchtsamkeit und Unordnung entstanden seyn mag. Uebrigens
+bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüglich Kabinette
+und Gallerien zu sehen und tröste mich leicht mit meiner
+Laienphilosophie.</p>
+
+<p>Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freunde, Reinhart
+und Fernow. Es ist überall wohlthätig, wenn sich verwandte
+Menschen treffen; aber wenn sie sich auf so klassischem
+Boden finden, gewinnt das Gefühl eine eigene Magie schöner
+Humanität. Canova
+<!-- pb n="163" facs="#f0189"/ --> hat eine zweyte Hebe für
+die Pariser gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen
+die er gemacht hat und die er doch wohl für Verbesserungen
+halten muss, nicht sowohl gefällt wie die venezianische. Du
+kennst meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, däucht mich,
+dem Urtheil und dem Geschmack der Franzosen geschmeichelt,
+denen ich aber in der Anlage einer Batterie eher folgen
+wollte, als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt
+an allen ihren schönen Weibern immer noch etwas von dem
+Charakter aus dem alten Palais Royal zurück. Er hat auch
+zwey Fechter nach dem Pausanias gemacht, die nach langer
+Ermüdung zur Entscheidung einander freyen Stoss geben. Der
+Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor die Stirne
+erhalten, &mdash; dieses ist der Moment &mdash; und reisst
+sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner mit der Faust
+auf einem Griff das Eingeweide aus. Sie gelten für Muster
+der Anatomie und des Ausdrucks. Da sie keine nahe Beziehung
+auf reine schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so
+sehr beschäftigen: denn Furcht und Grimm sind
+Leidenschaften, von denen ich gerne mich wegwende. Die
+Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich
+weise Dich auf ihn. Demoxenus heisst, glaube ich, der eine
+Fechter.</p>
+
+<p>In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach
+Terracina und sodann weiter nach Süden gehen; damit ich vor
+der ganz heissen Jahrszeit, wenns glückt, wieder zurück
+komme. Missglückt es, denn man spricht gar wunderlich, so
+mögen die Barbaren mich auf ihrer Seele haben. Ich will mich
+nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter
+Haus<!-- pb n="164" facs="#f0190"/ -->genosse in der
+Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe
+ich <span class="italic">post varios casus</span> Dich
+wieder zu sehen.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Terracina</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Terracina">
+<div class="dateline"><span class="right">Terracina.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>u siehst, dass ich aus den
+Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom
+hat eingetroffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast
+Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen über,
+überliess es meiner Grossmuth, die seinige zu belohnen. Das
+heisst nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefasst.
+Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für
+drey Tage Wohnung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich
+auswärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für
+ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches
+Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern
+begleitete mich noch gefällig bis Sankt Johann vom Lateran,
+wo er mir am Thore seine Addresse gab, damit ich ihn bey
+meiner Rückkunft finden möchte. Er mochte die Rechnung
+gezogen und überlegt haben, dass einen ganzen Monat
+verhältnissmässig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das
+war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in
+die Länge nicht so grossmüthig behandeln lassen. Man hat der
+Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen halb
+verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganz wüste Gegend
+vor derselben nach Albano hinüber.</p>
+
+<p>Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter
+<!-- pb n="165" facs="#f0191"/ --> den Ruinen der alten
+Wasserleitungen, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit
+einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu
+orientieren, und schloss sich, als ich näher kam, an mich
+an. Er war ein Franzose, der sich in Veletri schon lange
+häuslich niedergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und
+jetzt heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst
+angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den
+Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund umher mir alle
+Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des
+Albanerbergs hatten sich die Franzosen und Insurgenten
+hartnäckig geschlagen. Die Insurgenten hatten zuerst einigen
+Vortheil und hatten desswegen nach der Weise der
+Revolutionäre angefangen höchst grausam zu verfahren: aber
+die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie
+bald in die Enge; und nun fehlte es wieder nicht an
+Gewalthätigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist
+rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten
+muss; denn der Geruch ist entsetzlich und muss in der
+heissen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer
+Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt desswegen
+kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht
+unfruchtbar ist.</p>
+
+<p>Die Albaner bilden sich ein, dass ihre Stadt das alte
+Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und
+Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare
+haben zwar gezeigt, dass das nicht seyn könne, und dass die
+alte Stadt laut der Geschichte an der andern Seite des Sees
+am Fusse des Berges müsse gelegen haben: aber drey oder vier
+Millien,
+<!-- pb n="166" facs="#f0192"/ --> denken die Albaner,
+machen keinen grossen Unterschied; und es ist wenigstens
+niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba longa
+hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz
+lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn
+aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des
+Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun
+freylich um das Monument der Kuriatier misslich aus, das auf
+dem Wege nach Aricia steht, und welches mir überhaupt ein
+ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind
+alle, die drey Kuriatier wie die beyden Horatier, unten vor
+der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch
+ihre Monumente standen: indessen lässt sich wohl denken,
+dass die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven
+Landsleuten hier ein neues Denkmahl errichteten, als unten
+die alten verfallen waren. Wenigstens ist nicht einzusehen,
+wozu das Ding mit den drey Spitzen sonst sollte aufgeführt
+seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das
+Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht
+die Gestalt.</p>
+
+<p>In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey denen er
+einkehrte, und ich liess mich auf die Post bringen, welche
+das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat
+ein artiger junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der
+Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung
+machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen
+Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von
+dessen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich
+über<!-- pb n="167" facs="#f0193"/ -->zeugt war.
+Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber
+dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach
+französisch und englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in
+beyden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht
+gewöhnliche Erscheinung unter den
+Italiänern. <span class="italic">Je m'appelle Prince,</span>
+sagte er, <span class="italic">mais je ne le suis
+pas</span>; indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner
+Angabe prinzlich genug behandelt, alle seine Oehlbäume
+umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust
+von zweytausend Piastern verursacht. Die Wahrheit daran
+lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann
+zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem
+Charakter. Sodann führte er mich einige hundert Schritte
+weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht
+weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten
+Chigi. Die Eiche sollte von seltener Schönheit seyn, und sie
+ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir
+haben bey uns in Deutschland an vielen Orten grössere und
+schönere.</p>
+
+<p>Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charakteristiken
+von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher
+zu besehen. Er selbst ist als Dichter und Deklamator in der
+Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen Rubricken viel
+Verdienst haben. Er muss indessen ein sehr sonderbarer
+Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat
+er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen
+lassen, und in dem Ueberreste lässt er die Schweine so wild
+herum laufen, als ob er sich ganz allein von
+<!-- pb n="168" facs="#f0194"/ --> der Mastung nähren wolle.
+Darüber sind nun besonders die Maler und Zeichner so
+entrüstet, dass sie den Mann förmlich in Verdammniss gesetzt
+haben; ich weiss nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die
+Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in
+Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und
+Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus
+der Oede Roms kommt, einen sonderbaren wohlthätigen
+Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm
+vorzüglich gute Banditen zu seyn.</p>
+
+<p>Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses
+Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach
+Brundisi gedenkt, nach Gensano und Veletri und immer in die
+Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die
+fleissigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate
+vorgekommen, und sie haben wirklich ihr Fleckchen Land so
+gut bearbeitet, dass sie den Wohlthaten der Natur Ehre
+machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in
+dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von
+Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend
+noch das Interesse der mythologischen Geschichte.</p>
+
+<p>Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht mein
+gestriger sondern ein anderer, der bey der Condeischen Armee
+den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit
+Empfehlungen von dem alten General Suworow nach Neapel zu
+Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwey Minuten
+waren wir bekannt und musterten die Armeen durch ganz
+Europa.
+<!-- pb n="169" facs="#f0195"/ --> Nach seinen Briefen
+musste er ein sehr braver Offizier gewesen seyn, der selbst
+bey Perugia ein Detachement kommandierte; und ich habe ihn
+als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir assen zusammen
+in Veletri und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab
+in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt
+ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten;
+aber das Wirthshaus hatte die schlechteste Miene von der
+Welt, und die päpstlichen Drajoner trieben ein gewaltig
+lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, dass dieses
+vermuthlich der Ort war, wo Horaz so sehr von den Flöhen
+gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte,
+dass auch der Apostel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe
+man ihn in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das
+war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zumahl da
+es noch hoch am Tage war, noch eine Station weiter zu
+wandeln, bis <span class="italic">Torre di tre ponti</span>.
+Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein
+grosses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um,
+wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man
+ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die
+Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die
+Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur
+Gesellschaft: das ist nun so römische Wirthschaft. Es war im
+ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht
+ausserordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es
+waren viel Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin
+sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein grosses Zutrauen
+einflössen können. Die alte gutmüthige Haushälterin
+<!-- pb n="170" facs="#f0196"/ --> gab uns eine grosse
+Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen,
+damit man wenigstens nicht ohne Lärm herein kommen könnte,
+legten uns beyde, der französische Oberstlieutenant und ich,
+in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere
+Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die
+Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche schlafen
+liessen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und
+machte den nicht angenehmen Weg noch verdriesslicher:
+vorzüglich fluchte der Franzose nach altem
+Stil <span class="italic">tous les diables</span> mit allem
+Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat.
+Es konnte indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog
+bärenmässig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich
+in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte
+den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man nass ist, muss man
+laufen; ich liess ihn ruhen, und versprach, hier in
+Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.</p>
+
+<p>Die letzte Station vor Terracina war für mich die
+abenteuerlichste. Die alte appische Strasse geht links etwas
+oben an den Bergen hin und macht dadurch einen ziemlichen
+Umweg: aber die Neuen wollten dem Elemente zum Trotz klüger
+seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht
+recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war
+gross, ich hatte den Abweg links über eine alte Brücke nicht
+gemerkt und ging die grosse gerade Linie immer weiter. In
+einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der
+See hereingetreten war und links durch die Gebüsche weit
+hinauf ging. Durch
+<!-- pb n="171" facs="#f0197"/ --> den ersten Absatz schritt
+ich rasch; aber es kam ein zweyter und ein dritter noch
+grösserer. Es war dabey ein furchtbarer Regensturm und ich
+konnte nicht zwanzig Schritte sehen. Ich ging fast eine
+Viertelstunde auf der Strasse bis über den Gürtel im Wasser,
+und wusste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl waren
+leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den
+Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel
+durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich
+war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine
+Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum
+Vortheil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war,
+ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der Circe in der
+Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen
+von Terracina glänzen. Es war wirklich, als ob die alte
+Generalhexe eben einen Hauptprocess machte, und ich konnte
+froh seyn, dass ich noch so gut mit einem bischen Schmutz
+davon gekommen war. Nachdem ich in
+der <span class="italic">Locanda Reale</span>, einem grossen
+stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier
+gemacht hatte, rekognoscierte ich oben den Ort auf dem
+weissen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links
+von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und
+über die Inseln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte
+mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels und um
+den neuen Pallast des Papstes, sondern weidete mich an der
+unter mir liegenden schönen Gegend, den herrlichen
+Orangengärten, die ich hier zuerst ganz im Freyen
+ausgezeichnet schön fand, und der
+<!-- pb n="172" facs="#f0198"/ --> üppigen Vegetation aller
+Art. Auch mehrere Palmbäume traf ich hier schon, da in Rom
+nur ein einziger als eine Seltenheit nicht weit vom
+Kolosseum gezeigt wird. Von der letzten Station führt eine
+herrliche Allee der schönsten und grössten Aprikosenbäume in
+die Stadt.</p>
+
+<p>Mein Franzose kam, und es fand sich, dass der arme Teufel
+mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich musste ihn also doch
+nach Neapel hinüber transportieren helfen. Zu Abend traf ich
+ein Paar ziemlich reiche Mayländer, die mit schöner Equipage
+von Neapel kamen, und wir assen zusammen. Die Herren waren
+ganz verblüfft zu hören, dass ich von Leipzig nach Agrigent
+tornistern wollte, bloss um an dem südlichen Ufer Siciliens
+etwas herumzuschlendern und etwa junge Mandeln und ganz
+frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr
+lebhaft und angenehm, und die Norditaliäner schienen die
+schöne Neapel <span class="italic">quouis modo</span>,
+literärisch, ästhetisch und physisch genossen zu haben.
+Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das
+Neapolitanische.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Neapel</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Neapel">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>er Morgen war frisch und
+schön, als wir Anxur verliessen, der Wind stark und die
+Brandung hochstürmend, so dass ich am Strande eingenetzt
+war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch
+an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte
+mein französischer Reisekamerad Zwist mit der
+<!-- pb n="173" facs="#f0199"/ --> Wache, die ihn nicht
+recht gern wollte passieren lassen. Meinen Pass vom Kardinal
+Ruffo besah man bloss, schrieb meinen Namen aus, und ich war
+abgefertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche
+aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an den
+Minister und zwang die Wache durch etwas Impertinenz in
+Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die
+Instruktion gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu
+Mittage assen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem
+mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der
+Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr
+weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd
+furchtbar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare
+Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an
+den Bergen noch die Ueberreste von der Ville des Nerva zu
+sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangengärten, und
+vergass darüber den Kaiser, die alten Stadtmauern, den See,
+den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch
+einige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den
+Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand
+in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen
+Kriege, wo die Franzosen tüchtig zurückgeworfen wurden. Sie
+suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge, ein
+Einfall von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten
+träumen lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht;
+man thut besser zu glauben, dass die Feinde alle Gemsenjäger
+sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist
+es nie unmöglich, dass sie die
+<!-- pb n="174" facs="#f0200"/ -->
+Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen
+den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf
+nach Kajeta.</p>
+
+<p>Itri war von den Franzosen hässlich mitgenommen worden.
+Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus
+gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von
+Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer
+Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige
+Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger
+östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich
+war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu
+trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich musste
+ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte
+er nicht fort, weil seine Füsse nicht mehr in baulichem
+Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich
+überdiess zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus
+zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde.
+Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris
+hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem
+Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken
+schon, übergab ihn und mich dem Himmel und wandelte allein
+ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte
+Geschichte von Itri zu erzählen, nehmlich ernsthaft für
+mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere
+Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in
+der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den
+übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte
+mich oben auf einem Saale zu Bette,
+<!-- pb n="175" facs="#f0201"/ --> und mein Kamerad zechte
+unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der
+wieder gekommen war, und kam mir sodann nach. Er war etwas
+über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte noch
+eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wilden Kerl nach
+dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte
+wohl bis zehen oder zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich,
+dass es über unsere Personalitäten geradezu herging und dass
+man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisition
+hielt. <span class="italic">Sono cattive gente</span>, hiess
+es in einem hohen Ton einmahl über das andere; und man that
+den Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner
+Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst
+denken, dass mir nicht sonderlich lieblich dabey zu Muthe
+ward. Man schlägt hier zum Anfang gleich die Leute todt, und
+macht sodann nachher &mdash; eben weiter keinen Process. Die
+alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem
+exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte,
+und behauptete dass wir ehrliche Leute wären; der Kommandant
+hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man dem Kommandanten
+selbst in der Politik gerade nicht viel gutes zu zutrauen.
+Der Himmel weiss, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog
+ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz
+und mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte
+Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen. »Meine Herren,
+sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, ich bin ein
+fremder Reisender; ich dächte, im Wirthshause wo ich hezahle
+dürfte ich zur
+<!-- pb n="176" facs="#f0202"/ -->
+Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen
+verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin
+Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und
+Ruhe und als ordentliche brave Leute ab.« Es ward
+stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich
+oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that;
+und nach und nach schlichen sie alle fort. Spasshaft
+ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne
+Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.</p>
+
+<p>Den andern Morgen wandelte ich also allein zwischen den
+Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch
+dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden,
+als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern
+noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein grosses,
+schönes, ziemlich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen
+Eyern und frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem
+Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früchten ein
+vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein
+Zitronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links
+und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des
+Vorgebirges rund herum bis hinüber nach Ischia und Procida.
+Es ist das köstlichste Dessert in der Entfernung von einigen
+hundert Meilen, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend
+eines kleinen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere
+Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen Stelle
+hatte vor mehreren Jahren <span class="spaced">Friedrich
+Schulz</span> gesessen und Fische und Früchte gegessen, und
+mich aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf
+das klassische Land umher schauen würde. Jetzt
+<!-- pb n="177" facs="#f0203"/ --> ist er nicht mehr der
+Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey
+den Fittichen zu halten verstand und sie rund umher gab. Wo
+auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie
+segnen. Keiner seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte
+durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.</p>
+
+<p>Nun ging ich vergnügt und froh die schöne magische Gegend
+hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge
+ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab.
+Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten
+des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius,
+daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte
+heraus, und liess sich von dem Hauptmann, dem er das Leben
+gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philippiken
+zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben;
+der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als
+selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres
+sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu
+glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina
+donnerte, stand seine Existenz auf dem Spiel und er hatte
+keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu
+gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn
+wahrscheinlich Hass und Partheysucht. Im Glück prahlte er,
+im Unglück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft
+viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth,
+der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht
+mit seinem Leben ausgesöhnt; so wie es Männer in der
+Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens
+auslöscht,
+<!-- pb n="178" facs="#f0204"/ --> Dort unten lag Minturnä;
+dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit
+dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder
+seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwinder
+ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte.
+»Mensch, wagst du es, den Kajus Marius zu morden?« Weiter
+hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der
+erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe
+verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich
+setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte
+kaum, dass ich diesseits von einer Menge Mauleseltreiber
+umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst
+anboten. Da half kein Demonstrieren, sie machten die
+Kleinigkeit der Foderung noch kleiner und setzten mich halb
+mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen
+Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen
+Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten
+ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts
+dawider haben. Ein Junge von ungefähr dreyzehn Jahren hatte
+sich einige Millien weiter herab angeschlossen, der in der
+Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter
+zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu strenge
+behauptete. Beyde liefen neben her. Es wurde bald alles
+durchfragt, und der Junge musste etwas weitläufig seine
+Geschichte erzählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit
+wahrhaft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Gefahr
+vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that dieses mit
+einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit
+<!-- pb n="179" facs="#f0205"/ --> einer Behutsamkeit im
+Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre
+ich Sultan gewesen, ich hätte den Eseltreiber zum Mufti
+gemacht, und es würde gut gegangen seyn. Diese schöne
+bedachstame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu
+wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Gesellschaft
+durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein
+ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir;
+ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füsse. Er gab
+dem jungen Menschen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich
+griff natürlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas
+tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Kalabrese
+begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post,
+als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.</p>
+
+<p>Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach
+Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkeiten hat und
+ehemahls eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der
+Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug;
+und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten
+Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung
+weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkirche
+stand und einen heiligen Johannes, der enthauptet wird,
+betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen
+ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf
+dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter
+Eseltreiber, der auf der andern Seite herauf gekommen war,
+zu mir, mich zu begrüssen. Er hatte mich vielleicht wegen
+einiger
+<!-- pb n="180" facs="#f0206"/ --> Aeusserungen etwas lieb
+gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich
+dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten,
+führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte
+mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit
+der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn
+die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem
+Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im
+Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr
+Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir
+mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in
+Warschau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm
+fasste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise
+die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus
+diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die
+mich weiter herum begleiteten, und vorzüglich zu den
+Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten
+Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten
+ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, dass die Leute doch
+noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, dass sie
+die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das
+Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon
+gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so
+ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen.
+An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man
+noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit
+davon jenseits die Reste einer Wasserleitung. Der Fluss
+selbst, der nicht sehr breit ist, muss
+<!-- pb n="181" facs="#f0207"/ --> doch zuweilen gefährlich
+zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und
+man erzählte mir, dass, als die Franzosen ungefähr zwey
+Stunden aufwärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten,
+ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern desselben
+weiden grosse Heerden Büffel.</p>
+
+<p>Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner
+Wein vor; für die Aechtheit will ich indessen nicht stehen.
+Es ist bloss die klassische Neugierde ihn getrunken zu
+haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit
+verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der
+Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten
+italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn
+man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward
+meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das
+folgende Dorf bestände aus lauter Räubern und Mördern, die
+die Passage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz
+machten. Jeder Windstoss durch das Gesträuch erschreckte
+ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne
+abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen
+befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe,
+ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht
+hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter
+Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute
+seyn sollten und von denen
+er <!-- choice><sic -->ersckreckliche<!-- /sic><corr>erschreckliche</corr></choice -->
+Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle
+ausbat, sagte er, män wüsste nicht, woher sie kämen und
+wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten
+und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin<!-- pb n="182" facs="#f0208"/ -->gen
+zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und verschwänden,
+ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen
+sie meistens aus den Bergen von Abbruzzo. Ich habe nun
+freylich zur Schande der Regierung gefunden, dass der Mensch
+ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll,
+dass ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit
+seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt geschlagen
+werden sollte, so wollte ich mich doch wenigstens vorher
+weiter nicht beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor,
+und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer
+vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu
+bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir
+aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Entschluss,
+als ich mich auf der Strasse von einem Vetturino bereden
+liess, mich einzusetzen und mich bis nach Kapua bringen zu
+lassen. Als wir in Kapua ankamen, war der Gouverneur nach
+Kaserta gefahren, und wollte durchaus, ich sollte seine
+Rückkehr erwarten, damit er meinen Pass ratifizieren möchte.
+Endlich bestürmte ich den <span class="italic">Capitaine du
+jour</span> so viel, dass er mir den Pass ohne Vidierung
+zurück gab, und dem Offizier von dem Thore Befehl schickte,
+er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme
+verantworten.</p>
+
+<p>Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta gehen; dazu war
+mein Kalabrese durchaus nicht zu bringen: er meinte, das
+wäre der sichere Tod; da wimmelte es von Mariohlen. Ich gab
+dem Schuft einige Karlin; liess ihn rechts nach Aversa
+forttrollen, um
+<!-- pb n="183" facs="#f0209"/ --> dort am rechten Orte
+seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich
+links nach Altkapua. Einige ehrsame Bürger aus der Festung
+Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche
+Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas
+Gefahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch
+schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen
+sich patriotisch ihrer vaterländischen Gegend anzunehmen. Wo
+ehmahls Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken
+Sankt Martin, ungefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die
+unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position
+angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lustparthie
+für die Bürger der neuen Stadt, so sehr behauptet der alte
+Platz seinen Kredit. Es steht bekanntlich noch der Rest
+eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und
+also verhältnissmässig neu ist, welches die Antiquare
+hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging
+durch die Trümmern eines Thors, das vermuthlich das
+nehmliche ist, durch welches Hannibal seinen Ruhm hinein und
+nicht wieder heraus trug, liess nach kurzer Beschauung das
+Theater links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort.
+Es stehen dort an der Strasse links und rechts nicht weit
+von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische
+Begräbnisse sind, und von denen eines wenigstens in sehr
+gutem Stil gearbeitet zu seyn scheint.</p>
+
+<p>Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses
+in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiss weit
+genauer und besser finden kannst. Der
+<!-- pb n="184" facs="#f0210"/ --> erste Anblick ist gross
+und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen
+Pflanzungen rechts, der prächtige Schlossplatz und die
+Gebände rund umher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das
+Auge gefesselt von der Ansicht durch das grosse Thor, welche
+durch das ganze Schloss und die Gärten bis weit hinaus auf
+die Berge geht, über welche man die berühmte Wasserleitung
+herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade
+schliesst den Grund der Parthie. Man wird selten irgendwo so
+etwas magisches finden. Du weisst, dass auch hier die
+Franken etwas willkührlich gehaust haben: jetzt ist der
+Kronprinz und seine Sardinische Majestät hier.</p>
+
+<p>Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein
+Fussgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald
+einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis
+Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, dass
+ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre.
+Humane Theilnahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor
+vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit
+die Stadt zu besehen; diess war aber zur Auffassung eines
+richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich
+abgehen wollte, arretierte mich wieder ein Vetturino an der
+Ecke des Marktes: <span class="italic">Volete andare in
+carozza, Signore</span>? &mdash; <span class="italic">Ma
+si</span>, <span class="italic">si</span>, sagte ich,
+<span class="italic">se partite presto presto</span>.
+&mdash; <span class="italic">Questo momento; favorisca
+montare</span>. Ich stieg ein und setzte mich neben einen
+stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwey andere
+und wir rollten zum Thore hinaus.</p>
+
+<p>Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa<!-- pb n="185" facs="#f0211"/ -->nien,
+das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese erhoben hat,
+für das die römischen Soldaten ihr Kapitol vergessen
+wollten. Es ist wahr, der Strich zwischen Aversa, Kapua,
+Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und
+den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist
+von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch
+gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre
+Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder
+Fusstritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er
+wächst in kurzer Zeit
+<!-- choice><sic -->schwelgericsh<!-- /sic><corr>schwelgerisch</corr></choice -->
+breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er
+wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen
+weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oehlbaum steht
+mit bescheidener Schönheit an dem Abhange der schützenden
+Berge; die Feige schwillt üppig unter dem grossen Blatte am
+gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale die
+Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Weitzen, nickt die
+Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet
+dreyfach auf dem nehmlichen Boden in Fülle, Obst und Wein
+und Weitzen; und alles ist üppige ewig jugendliche Kraft.
+Unter diesen magischen Abwechselungen kamen wir in einigen
+Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein
+Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion genommen zu
+haben, war ehemahls einige Monathe in Wien und Prag gewesen,
+wusste einige Dutzend Wörter von unserer Sprache, und war
+die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause,
+und mich wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst
+Höflichkeit in
+<!-- pb n="186" facs="#f0212"/ -->
+der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden
+der Hausofficianten der Grossen gehört. In Neapel brachte er
+mich in einem eigenen Wagen vor dem Thor in das Haus eines
+seiner Bekannten am Toledo, bis ich den Herrn Heigelin
+aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete.
+Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten
+Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfremder
+eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich
+selbst etwas orientieren kann.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<div class="chapter" id="Neapel2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>u musst und wirst von mir
+nicht erwarten, dass ich Dir eine topische, statistische,
+literarische oder vollständig kosmische Beschreibung von den
+Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist
+mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisenden von
+Profession oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften
+gewiss besser bekommen. Ich erzähle Dir nur
+freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht
+beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf
+Mont Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oehlberges kommt
+weiss ich nicht; er ist aber einer der besten Strassen der
+Stadt, nicht weit von Toledo, mit welchem er sich oben
+vereiniget. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin,
+die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen
+zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache
+zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die
+<!-- pb n="187" facs="#f0213"/ --> Gesellschaft besteht
+meistens aus Fremden, Engländern, Deutschen und Franzosen;
+die letzten machen jetzt hier die grösste Anzahl aus.</p>
+
+<p>Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Genuesen, der
+halb Europa kennt und hier den Lohnbedienten und ein Stück
+von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte
+Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute
+und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon
+über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Gegend umher,
+und bemerkte mit censorischer Strenge, dass sie das
+Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich,
+wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe,
+wer auf seinem Casino die ausgesuchtesten Vergnügen geniesse
+und geniessen lasse, und weiteifere sich oft zur
+Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und
+Vermögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein
+kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf
+eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das
+erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft
+abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des
+Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so
+herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen
+Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine
+bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind
+einige merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen.
+Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen
+muss; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den
+Katakomben. In den Katakomben kroch ich über
+<!-- pb n="188" facs="#f0214"/ --> eine Stunde herum, und
+beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die
+Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner
+des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des
+Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine
+Menge Wunder, die die Heiligen Januarius und Severus hier
+ganz gewiss gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen
+Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da
+lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und
+zuweilen ganze grosse Haufen von Knochen, wie man sagte, von
+der Zeit der grossen Pest. Die römischen Katakomben habe ich
+nicht gesehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil
+mich verständige Männer und Kenner versicherten, dass man
+dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht
+sey, dass das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben
+gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem
+Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das
+wahrscheinlichste.</p>
+
+<p>Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der
+Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die
+Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen
+sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre
+Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen
+gesucht. Mein alter Genuese, der ein grosser Hermenevte in
+der Kirchengeschichte ist, erzählte mir bey dieser
+Gelegenheit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine
+Schande macht, und dessen Würdigung ich den Kennern
+überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenossin des
+heiligen Franciskus und des heiligen Domini<!-- pb n="189" facs="#f0215"/ -->kus;
+und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbesondere
+glauben lassen, sie sey jedem ausschliesslich mit sehr
+feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in
+ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Jeder der beyden
+Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen
+auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein
+grosser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des
+Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr
+ein ätherischer sentimentaler Stutzer, der auch seine
+Talente zu gebrauchen wusste. Nun sollen auch die heiligen
+Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitäten
+lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen
+Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen
+Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu körperlich vorkam;
+er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein
+Bratspiess war, und stiess damit so grimmig auf den
+unbefugten Himmelsführer los, dass er den armen schwachen
+Franz fast vor der Zeit dahin geschickt hätte. Indess der
+Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung
+entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen
+Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich
+habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt,
+und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt gesehen. Mein
+Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins
+Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine
+Glosse darüber machen, als dass ihm halb unwillkührlich
+entfuhr: <span class="italic">Quelles betises on nous donne
+à digerer! Chacun les prend à sa façon.</span></p>
+
+<!-- pb n="190" facs="#f0216"/ -->
+<p>Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die umständliche
+Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein
+romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu
+glauben, der Dichter sey hier begraben gewesen, die Urne mag
+nun hingekommen seyn, wohin sie wolle. Das Gebäudchen ist
+wohl nichts anders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange
+der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der
+schönen Gegend. Ich weiss nicht, warum man sich nun mit
+allem Fleiss bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt
+zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der
+Vesuv nicht sein Nachbar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber
+die ganze Behauptung, dass er dort drüben liege, beruht doch
+wohl nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begraben
+worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der
+Berg ist gerade gegen über: in einigen Stunden war er dort,
+wenn er zu Lande ging, und setzte er sich in ein Boot, so
+ging es noch schneller. Die Entfernung eines solchen
+Nachbars, wie Vesuv ist, wird nicht eben so genau genommen.
+Alle übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt.
+Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die
+vorzüglichsten Niederlassungen der römischen Grossen,
+vornehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des
+Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokrators und ein
+Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und
+Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die
+Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war
+überhaupt der Spielraum seiner liebsten Phantasie.
+Wahrscheinlich hat er hier gewohnt,
+<!-- pb n="191" facs="#f0217"/ --> und wahrscheinlich ist er
+hier begraben. Donat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst
+erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte
+davon Augenzeuge gewesen seyn, dass das Monument noch ganz
+und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem
+Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übrigen zu geben, und
+dieses ist der Ort seiner Angabe; zwey Steine von der Stadt,
+an dem Wege nach Puteoli, nicht weit von dem Eingange in die
+Grotte. Ich will nun auch einmal glauben; man hat für
+manchen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glaube
+ich, dass dieses Maros Grab sey. Den Lorber suchst Du nun
+umsonst; die gottlosen Afterverehrer haben ihn so lange
+bezupft, dass kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich
+nahm mir die Mühe hinauf zu steigen und fand nichts als
+einige wild verschlungene Kräuter. Der Gärtner beklagte
+sich, dass die gottlosen vandalischen Franzosen ihm den
+allerletzten Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben.
+Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch
+wohl etwas in die Welt erschollen, dass der Lorber von dem
+Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sey.
+Vielleicht schlägt er dort am Grabe des Mantuaners wieder
+aus. Man sollte wenigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel
+das seinige beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den
+Rath.</p>
+
+<p>Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit davon in
+der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger
+Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienstfertigkeit mir die
+Antiquitäten erklären zu wollen, dass
+<!-- pb n="192" facs="#f0218"/ --> er durchaus nicht eher
+von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine
+Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm.
+Ich habe mich nicht enthalten können bey dieser Gelegenheit
+wahres Mitleid mit dem grossen Cicero zu haben, dass sein
+Name hier so erbärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen
+sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer
+unwissender und abenteuerlicher als der andere. Den
+vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir
+auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duzzend von
+Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise
+kommentirte.</p>
+
+<p>Ich versuchte es an dem Fusse des Posilippo an dem
+Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es war aber
+nicht möglich weiter als ungefähr eine Stunde zu kommen:
+dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da
+aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von
+ungefähr einer Viertelstunde zwey alte Gebäude, die man für
+Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr
+berüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich
+zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es
+liesse sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient
+haben könnte. Zwischen diesen beyden alten leeren Gebäuden
+liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er
+beständig den Vesuv vor Augen hatte; und man thut ihm
+vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner
+Vergnügungen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der
+schönen Königin schliesst, die von der bösen Geschichte doch
+wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als
+<!-- pb n="193" facs="#f0219"/ --> sie war. Ich war
+genöthigt wieder zurück zu gehen, und nicht weit von der
+Villa reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag,
+die mich an die Spitze hinaus rudern wollten. Es schien mir
+zu spät zu seyn, desswegen wollte ich nichts hören. Aber man
+griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die
+See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing,
+und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte, das
+wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen,
+ich bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und
+setzte mich mit meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich
+erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch
+mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin.
+Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm
+heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber und die Wogen
+machten rechts eine furchtbare Brandung; das Wasser füllte
+reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen
+die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um
+das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht
+möglich: wir mussten, als wir einige hundert Schritte vor
+dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere Zuflucht in
+ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von
+der Stadt aus zuweilen Wasserparthien macht, wo es aber
+jetzt traurig genug aussah. Indessen fütterte uns doch der
+Wirth mit Makkaroni und gutem Käse. Nicht weit von hier,
+nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus sich
+einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten
+Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen
+<!-- pb n="194" facs="#f0220"/ --> und die man gewöhnlich
+nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl
+sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr
+wahrscheinlich, dass er hier oft gearbeitet haben mag. Es
+ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen
+Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann.
+Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er
+hatte hier um sich her einen grossen Theil von dem Theater
+seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel
+und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach
+Surrent.</p>
+
+<p>Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo
+ich einkehrte, stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna,
+von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind.
+Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet
+und es der Madonna <span class="italic">della fortuna</span>
+geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in
+den christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das
+Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht
+umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in
+der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes
+Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese
+Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten
+noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit
+für die Fischhälter des Pollio annimmt, und in dieser
+Meinung eine grosse marmorne Tafel an der Thür angebracht
+hat, auf welcher lateinisch alle Gräuel abscheulich genug
+beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn
+natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen
+<!-- pb n="195" facs="#f0221"/ --> ächt kardinalisch
+gepriesen wird. Ich weiss nicht, ob man nicht vielleicht mit
+dem brittischen Klagemann sagen
+sollte: <span class="italic">A bitter change, feverer for
+fevere!</span> Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den
+Pollio in den Teich werfen könnte.</p>
+
+<p>Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht
+wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden,
+einen andern Weg nach der Stadt zurück zu kehren. Ich zahlte
+also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des
+Posilippo nach Neapel. Diese Promenade musst du durchaus
+machen, wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der
+schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann.
+Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von Neapel und Bajä
+rechts und links im Gesicht, geniesst sodann die schöne
+Uebersicht auf die Parthie jenseit des Berges nach Puzzuoli,
+welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur
+Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier
+Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils
+Grabe wieder herunter auf die Strasse. Der Spaziergang ist
+freylich etwas wild, aber desto schöner.</p>
+
+<p>Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Strasse
+rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach
+Puzzuoli führen, so dass man nicht nöthig hätte, durch die
+Grotte und die etwas ungesunde Gegend jenseits derselben zu
+fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das würde in der That
+einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe
+Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische
+Regierung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und
+<!-- pb n="196" facs="#f0222"/ -->
+Polizey besorgte; das andere würde sich nach und
+nach schon machen.</p>
+
+<p>Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter
+liegenden Karthause für die schönste Parthie gehalten; und
+sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den
+Vesuv oder zu den Kamaldulensern bemühen wollen. Es ist ein
+ziemlicher Spaziergang; auf die Karthause, den unser
+schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine grosse
+Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher
+vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll
+Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote
+sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey den
+Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muss vorher dazu
+die Erlaubniss haben. Man sieht in der Karthause fast eben
+so viel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig
+Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König
+ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist
+jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in
+Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne
+Gemälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz
+vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal
+hat noch Stücke von guten Meistern.</p>
+
+<p>Um die schönste Aussicht zu haben musst Du zu den
+Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution
+etwas decimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer
+empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige
+Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde
+Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die
+Parthie nicht von
+<!-- pb n="197" facs="#f0223"/ --> sehr vielen gemacht. Wir
+verirrten uns, mein Genuese und ich, in den Feigengärten und
+Kastanienwäldern, und ich musste dem alten Kerl noch mit
+meiner Topographie im Orientieren helfen. Das ärgerte mich
+gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht
+hübsche Parthien nach allen Seiten. Es gab Stellen, wo man
+bis nach Kajeta hinüber sehen konnte. Da wir uns verspätet
+hatten, mussten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum
+Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit nehmen.
+Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge
+über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu
+geniessen als die Aussicht; die Kirche hat nichts
+merkwürdiges. Ein Layenbruder führte mich mit vieler
+Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an
+eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige
+perennierende Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in
+ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil
+es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil
+von Elmo, Belvedere und einige andere Stückchen sind
+sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische
+klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava
+der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv
+mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent,
+Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida,
+der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend,
+Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter
+ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bey heiterm Wetter
+die Berge von Kumä, der
+<!-- pb n="198" facs="#f0224"/ --> Gaurus und weiter hin die
+beschneyten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte,
+deren Eingang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der
+neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge,
+ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue Städte,
+Elysium und die Hölle: &mdash; alles dieses fassest Du mit
+Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief tief in
+der Ferne sieht man noch Ponza und einige kleinere Inseln.
+Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn
+Du einmal hörst, dass ich unbegreiflich verschwunden bin, so
+bringe mit unter Deine Muthmassungen, dass ich vielleicht
+der schönsten Natur die grösste Sottise zum Opfer gebracht
+habe und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer
+und Virgil, den Thucydides und etwas von der attischen
+Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und Juvenal; so
+könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das
+Bisschen Vernunft bey sich behalten: denn diese wird jetzt
+doch überall wieder konterband. Also gehe zu den
+Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey
+ihnen oben zu bleiben.</p>
+
+<p>Jetzt schliesse ich und schreibe Dir vermuthlich noch
+einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme;
+denn eben muss ich zu Schiffe nach Palermo.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+<!-- pb n="[199]" facs="#f0225"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Palermo">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Palermo</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">W</span>ir hatten einige Tage auf
+leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine
+starke Tramontane und führte uns aus den Zauberplatze
+heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete
+rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte,
+der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche
+Königsstadt lag in einem grossen grossen Amphitheater hinter
+uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links
+Kapri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleyerte
+die ferneren Gegenstände in tiefere Schatten. Ich konnte in
+dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt
+auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapolitaner und
+Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr gewöhnlichen
+Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist ziemlich kahl. Ich
+hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um
+einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem
+zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer
+Wüstling einige Jahre das Menschengeschlecht misshandelte;
+aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich
+allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu
+ansehnlich gewesen. Ueberdiess war es fast immer schlechtes
+Wetter. Zur Ueberfahrt hieher hatte ich mich auf ein
+Kauffartheyschiff verdungen, weil ich auf das Paketboot
+nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch,
+aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus
+meinem festen Schritt auf dem Verdeck, dass ich schon ein
+alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die
+<!-- pb n="200" facs="#f0226"/ --> Leute lauter Oel assen,
+wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich nicht
+befassen; ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot,
+Wurst und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen.
+Den ganzen Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber
+gegen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch hatten
+wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und dreyssig
+Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleyert. Das war
+eine ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die
+Kanonen scharf geladen und ungefähr vierzig grosse Musketons
+fertig, um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kommen
+sollte. Denn Du musst wissen, der Unfug ist jetzt so gross,
+und die neapolitanische Marine ist jetzt so schlecht, dass
+sie zuweilen bis vor Kapri und sogar bis vor die Stadt
+kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können;
+wie sich die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken.
+Dass ist nun freylich eine Schande für die Regierung; aber
+die Regierung hat dergleichen Schandflecke mehr.</p>
+
+<p>Wir kamen hier ich weiss nicht zu welchem Feste an, wo in
+der Stadt so viel geschossen wurde, dass ich die Garnison
+wenigstens für zehen tausend Mann stark hielt. Aber ich habe
+nachher die Methode des Feuerns gesehen. Sie gehört zur
+Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat eine ungeheure
+Menge kleiner Mörser, die man in der Reihe nach einander
+geladen hinstellt; absatzweise stehen etwas grössere, die
+wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, dass,
+wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmässig
+schnell die ganze Front hinunter greift und am
+<!-- pb n="201" facs="#f0227"/ --> Ende mit einigen grossen
+Stücken schliesst. Von weitem klingt es wie etwas grosses;
+und am Ende besorgt es ein einziger alter lahmer Konstabel.
+Unser Hauptmann von der Aurora liess sich mit seiner
+Artillerie stark hören.</p>
+
+<p>Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unterschied alle
+Ankommende müssen, mit vieler Artigkeit behandelt, und man
+liess mich sogleich gehen, wohin ich wollte, da die andern,
+meistens Neapolitaner, noch warten mussten. Mein erster
+Gang, nachdem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause
+untergebracht hatte, war zu dem königlichen Bibliothekar,
+dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der
+Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr
+ehrwürdigen Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz
+Sicilien. Er gab mir durch die ganze Insel Empfehlungen an
+Männer von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syrakus,
+Katanien und Messina. Der Saal der Bibliothek ist unter
+seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und mit allen
+sicilianischen Alterthümern sehr geschmackvoll ausgemalt
+worden, so dass man hier mit einem Blick alles vorzügliche
+übersehen kann. Es finden sich in der hiesigen Bibliothek
+viele Ausgaben von Werth, und mir ist sie im Fache der
+Klassiker reicher vorgekommen als Sankt Markus in Venedig.
+Eine Seltenheit ist der chinesische Konfuzius mit der
+lateinischen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren
+Missionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten
+hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan als Orangen
+gegessen, das Theater der heiligen Cecilia ge<!-- pb n="202" facs="#f0228"/ -->sehen,
+bin in der Flora und am Hafen herum gewandelt und auf dem
+alten Erkte oder dem Monte Pellegrino gewesen.</p>
+
+<p>Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht
+möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen.
+Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus
+wegen meiner fünf Dreyer hier gewiesen bin, sagen, es werde
+sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt hier
+länger aufzuhalten, lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen
+und will morgen früh in die Insel hineinstechen. Da ich
+barfuss nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu
+schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hingesetzt
+und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den Theokritus,
+gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, dass
+ich die Feder ergriff und ihn unvermerkt deutsch
+niederschrieb. Ich will Dir die Uebersetzung ohne
+Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr
+zufrieden seyn, wenn Du sie besser machst; denn ich habe
+hier weder Apparat noch Geduld und wäre mit ganzen
+Stiefelsohlen wohl schwerlich daran gekommen. Also wie
+folget:</p>
+
+<div class="poem">
+Nicias, gegen die Liebe, so däucht mich, giebt es kein andres<br />
+Pflaster und keine andere Salbe als Musengesänge.<br />
+Lindernd und mild ist das Mittel, doch nicht so leicht es zu finden.<br />
+Dieses weisst Du, glaub' ich, sehr wohl, als Arzt und als Liebling,<br />
+<!-- pb n="203" facs="#f0229"/ -->
+Als vorzüglicher Liebling der helikonischen Schwestern.<br />
+Also lebte bey uns einst leidlich der alte Cyklope<br />
+Polyphemus, als heiss er in Galateen entbrannt war.<br />
+Nicht mit Versen liebt' er und Aepfeln und zierlichen Locken,<br />
+Sondern mit völliger Wuth, und hielt alles andre für Tand nur.<br />
+Oft oft kamen die Schafe von selbst zurück von der Weide<br />
+Zu der Hürd', und der Hirt sass einsam und sang Galateen<br />
+Bis zum Abend vom Morgen schmelzend im Riedgras am Ufer,<br />
+Mit der schmerzlichen schmerzlichen Wunde tief in dem Herzen,<br />
+Von der cyprischen Göttin, die ihm in die Leber den Pfeil warf.<br />
+Aber er fand das Mittel; er setzte sich hoch auf den Felsen,<br />
+Schaute hinaus in das Meer und hob zum Gesange die Stimme:<br />
+Ach Galatea, Du Schöne, warum verwirfst Du mein Flehen?<br />
+Weisser bist Du als frischer Käse und zärter als Lämmer,<br />
+Stolzer als Kälber, und herber als vor der Reife die Traube.<br />
+Also erscheinest Du mir, wenn der süsse Schlaf mich beschleichet;<br />
+Also gehst Du von mir, wenn der süsse Schlaf mich verlässet;<br />
+Fliehest vor mir, wie ein Schaf, das den Wolf den grauen erblickte.<br />
+Mädchen, die Liebe zu Dir schlich damals zuerst in das Herz mir,<br />
+<!-- pb n="204" facs="#f0230"/ -->
+Als mit meiner Mutter Du kamst Hyacinthen zu sammeln<br />
+Auf dem Hügel, und ich die blumigen Pfade Dich führte.<br />
+Seitdem schau ich immer Dich an, und kann es bis jetzt nun,<br />
+Kann es nicht lassen; doch kümmert es, beym Himmel, Dich gar nichts.<br />
+Ach ich weiss wohl, liebliches Mädchen, warum Du mich fliehest:<br />
+Weil sich über die ganze Stirne mir zottig die Braue,<br />
+Von dem Ohre zum Ohre gespannt, die einzige lang zieht,<br />
+Nur ein Auge mir leuchtet und breit mir die Nase zum Mund hängt.<br />
+Aber doch so wie ich bin hab' ich tausend weidende Schafe,<br />
+Und ich trinke von ihnen die süsseste Milch, die ich melke:<br />
+Auch geht mir der Käse nicht aus im Sommer, im Herbst nicht,<br />
+Nicht im spätesten Winter; die Körbe über den Rand voll.<br />
+Auch kann ich pfeifen, so schön wie keiner der andern Cyklopen,<br />
+Wenn, Goldäpfelchen, Dich und mich, den Getreuen, ich singe<br />
+Oft in der Tiefe der Nacht. Ich füttre elf Hirsche mit Jungen,<br />
+Alle für Dich, und für Dich vier junge zierliche Bären.<br />
+Komm, ach komm nur zu mir; Du findest der Schätze viel mehr noch.<br />
+Lass Du die bläulichen Wogen nur rauschen am Felsengestade;<br />
+Süsser schläfst Du bey mir gewiss die Nacht in der Grotte.<br />
+Lorber hab' ich daselbst und schlanke leichte Cypressen,<br />
+<!-- pb n="205" facs="#f0231"/ -->
+Dunkeln Epheu zur Laube und süss befruchteten Weinstock;<br />
+Frisches Wasser, das mir der dicht bewaldete Aetna<br />
+Von dem weissesten Schnee zum Göttertranke herabschickt.<br />
+Sprich, wer wollte dagegen die Wogen des Meeres erwählen?<br />
+Und bin ich ja für Dich, mein liebliches Mädchen, zu zottig,<br />
+Ey so haben wir eichenes Holz und glühende Kohlen;<br />
+Und von Dir vertrag ich, dass Du die Seele mir ausbrennst,<br />
+Und, was am liebsten und werthsten mir ist, das einzige Auge.<br />
+Ach warum ward ich nicht ein Triton mit Flössen zum Schwimmen?<br />
+Und ich tauchte hinab, Dir das schöne Händchen zu küssen,<br />
+Wenn Du den Mund mir versagst, und brächte Dir Lilienkränze,<br />
+Oder den weichesten Mohn mit glühenden klatschenden Blättern.<br />
+Aber andre blühen im Sommer und andre im Spatjahr,<br />
+Dass ich Dir nicht alle zugleich zu bringen vermöchte.<br />
+Aber ich lerne gewiss, ich lerne, o Mädchen noch schwimmen,<br />
+Kommt nur ein fremder Schiffer zu uns hieher mit dem Fahrzeug,<br />
+Dass ich doch sehe, wie lieblich es sich bey euch unten dort wohnet.<br />
+Komm, Galatea, herauf, und bist Du bey mir so vergiss dann,<br />
+Wie ich hier sitzend am Felsen, zurück nach Hause zu kehren:<br />
+Komm und wohne bey mir und hilf mir weiden und melken,<br />
+<!-- pb n="206" facs="#f0232"/ -->
+Hilf mir mit bitterem Lab die neuen Käse bereiten.<br />
+Ach die Mutter nur ist mein Unglück, und sie nur verklag' ich;<br />
+Denn sie redet bey Dir für mich kein freundliches Wörtchen,<br />
+Und sieht doch von Tage zu Tage mich magerer werden.<br />
+Sagen will ich ihr nun, wie Kopf und Füsse mir beben,<br />
+Dass auch sie sich betrübe, da ich vor Schmerzen vergehe.<br />
+O Cyklope, Cyklope, wo ist Dein Verstand hingeflogen?<br />
+Gingest du hin und flöchtest Dir Körbe und mähetest Gras Dir,<br />
+Deine Lämmer zu füttern, das wäre fürwahr doch gescheidter.<br />
+Melke das Schäfchen, das da ist; warum verfolgst Du den Flüchtling?<br />
+Und Du findst Galateen; auch wohl eine schönere Andre.<br />
+Mädchen die Menge rufen mir zu zum Scherze die Nacht durch;<br />
+Alle kichern mir nach; so will ich denn ihnen nur folgen:<br />
+Denn ich bin auf der Welt doch wohl auch warlich ein Kerl noch.<br />
+Also weidete Polyphemus und sang von der Liebe,<br />
+Und es ward ihm leichter als hätt' er Schätze vergeudet.<br />
+</div>
+
+<p>Ist es nicht Schade, dass wir das zärtliche
+Liebesbriefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von
+dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Es wurde, glaube
+ich, durch einen Triton bestellt. Die sicilischen Felsen
+machen alle eine ganz eigene idyllische Erscheinung; und
+wenn ich mir so einen verliebten
+<!-- pb n="207" facs="#f0233"/ --> Cyklopen Homers oder
+Virgils in schmelzenden Klagen darauf sitzend vorstelle, so
+ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch,
+ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten
+des Polyphemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht
+unangenehme Reminiscenzen meiner übergrossen Seligkeit, wenn
+ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen
+Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey
+hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem
+Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus
+dem dunkelsten Winkel der Loge nicht das Schauspiel sondern
+die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches
+Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehmliche
+Mittel.</p>
+
+<p>Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir
+meine Stiefeln brachte; und diesen Umstande verdankst Du,
+dass ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest
+bringe.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Agrigent</title>
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+<body>
+
+<div class="chapter" id="Agrigent">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Agrigent</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">S</span>iehst Du, soweit bin ich
+nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen
+nicht jedermanns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
+ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste
+hinzustreichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn
+ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so
+würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
+<!-- pb n="208" facs="#f0234"/ --> versehen. Ich wollte
+nehmlich von Palermo über Trapani, Alcamo und Sciakka gehen,
+um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die
+noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn
+ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre
+doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in
+Palermo mit einem neapolitanischen Offizier, einem Herrn
+Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und
+breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen
+Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu
+besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit
+keiner Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an
+den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in grösster
+Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach
+aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir einfällt, dass ich
+doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber
+versicherte mich aber sehr ehrlich, das sey der rechte
+gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich bin wieder einige Millien
+zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati an, und ich
+finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und
+erklärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, dass sich
+der Eseltreiber dem Henker um meine Promenade bekümmert
+hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die
+Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da
+war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand
+wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht
+mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und den
+andern Weg zu machen. Das
+<!-- pb n="209" facs="#f0235"/ --> war meiner Börse zu viel;
+ich entschloss mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so
+fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu
+überlassen, die vielleicht auch ihren Werth besser zu
+würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die
+Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts
+ab. Die Parthien sind angenehm und könnten noch angenehmer
+seyn, wenn die Leute etwas fleissiger wären. So wie man sich
+von der Hauptstadt entfernt, wird es ziemlich wild. Wir
+kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der
+Abfall der Kultur und des äusserlichen Wohlstandes war
+ziemlich grell. Alles war weit theurer, als in der
+Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich
+erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden
+liess. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der
+Anhöhe ein altes Schloss liegen, das man Torre di Diana
+nannte, und wo die Saracenen mit den Christen viel
+Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu
+zeitig bey den schönen Brüdern zu bleiben, zumal da das
+Wirthshaus gerade zu der Revers des Namens war; wir ritten
+also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war
+auch nicht ein Stückchen Brot, auch nicht einmal Makkaronen
+zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber
+und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte,
+fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch
+wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt Joseph nicht
+weit von einem Flusse ankamen, dessen Namen ich vergessen
+habe.</p>
+
+<p>Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber
+<!-- pb n="210" facs="#f0236"/ --> aus allen Theilen der
+Insel, und doch wenigstens Makkaronen. Aus Vorsicht hatte
+ich für mich in Palermo Brot gekauft, das beste und
+schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es
+mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den
+Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein
+Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige
+Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das
+nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine
+Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte meinen Unwillen
+kaum bergen.</p>
+
+<p>Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Makkaronen.
+Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, dass ich wohl ihre
+Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in
+Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken lässt. Da erhob
+sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die
+Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der
+Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die
+Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von
+Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der
+Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von
+Palermo hörte königlich zu und sagte &mdash; nichts. Ihr
+könnt euch auch gross machen, sagte der Treiber von Katanien
+zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen,
+der nicht einmal euer ist, und fing an auch die Alterthümer
+seiner Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde,
+heraus zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergass
+der in ihrem Theater geredet habe. Du musst wissen,
+Margarethe heisst bey den Siciliern durchaus ein
+gefäl<!-- pb n="211" facs="#f0237"/ -->liges feiles Mädchen:
+das war für die Mutter des frommen Mannes der Aeneide kein
+sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du
+hieraus, das<!-- supplied>s</supplied --> die sicilischen
+Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache
+gleich nicht immer ausserordentlich genau nehmen: denn der
+Agrigentiner rechnete den benachbarten Makaluba zu den
+Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne dass seine Gegner
+protestierten; und hätte der Streit länger gedauert, so
+hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit
+aufgezählt.</p>
+
+<p>Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen
+heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich
+eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so
+entsetzlich denken können. Die Insel sieht im Innern
+furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber
+das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so
+schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause
+durchaus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler kamen in
+den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen
+auf der Treppe des <span class="spaced">spanischen</span>
+Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht,
+sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit
+Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst
+küsste man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich
+blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden,
+und hätte in diesem Augenblicke alle sicilische Barone und
+Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche
+stellen können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in
+Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei<!-- pb n="212" facs="#f0238"/ -->len,
+recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist
+so vernachlässiget, dass mir der Wein sehr willkommen war.
+Ich musste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was
+man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach
+unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen
+Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das
+beste war hier ein grosser schöner herrlicher Orangengarten,
+wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust
+hatte, ohne dass es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich
+die köstlichsten hochglühenden Früchte von der Grösse einer
+kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera
+traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern
+Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die
+Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich
+keinen Fuss vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht
+helfen, wenn ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen
+gleich machte.</p>
+
+<p>Der Fluss ohne Brücke, über den ich in einem Strich von
+ungefähr drey deutschen Meilen wohl funfzehn Mahl hatte
+reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits
+gehet, ward diesen Morgen ziemlich gross; und das letzte
+Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit
+Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus
+bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme,
+trugen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und
+suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Verdienst recht
+gross zu machen: ich hätte gerade zu Fusse durchgehen
+wollen, und wäre nicht schlimmer
+<!-- pb n="113 " facs="#f0239"/ --> daran gewesen, als am
+Ende der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Foderung
+war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich
+möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig
+würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen,
+jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder gerade zu mit
+dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die
+Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten
+nicht weiter. Der Fluss geht nun rechts durch die Gebirge in
+die See. Ich habe seinen eigentlichen Namen nicht gefasst;
+man nannte ihn bald so bald anders, nach der Gegend; am
+häufigsten nannten ihn die
+Einwohner <span class="italic">Fiume di San Pietro</span>.
+Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent
+abwechselnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich
+bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege
+ab aufsuchte, ist sie etwas mager.</p>
+
+<p>Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder vielmehr das
+Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz unbeträchtlich, und sein
+Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rund umher sind
+in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge,
+so dass ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für
+Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen,
+aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des
+Orts ist verhältnissmässig doch zu gross, und es giebt rund
+umher tiefere Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am
+wenigsten liesse sich seine periodische Wuth erklären. Wo
+ich hinauf stieg fand ich einen einzelnen drey Ellen hohen
+Kegel aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben
+eine
+<!-- pb n="214" facs="#f0240"/ --> Oeffnung hatte, aus
+welcher die Masse immer heraus quoll und herab floss und so
+den Kegel vergrösserte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs
+grössere Oeffnungen, aus denen beständig die Masse hervor
+drang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse
+flüssiger war. Ich stiess in einige meinen Knotenstock
+gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die
+Seiten berührte war der Boden hart. In der Mitte und
+ziemlich auf der grössten Höhe desselben war die grösste
+Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der
+Boden nicht trug und ich befürchten musste zu versinken.
+Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll
+man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich
+sah der Oeffnungen rund umher, grössere und kleinere,
+ungefähr dreyssig. Einige waren so klein, dass sie nur ganz
+kleine Bläschen in Ringelchen ausstiessen, und ich konnte
+meinen Stock nur mit Widerstand etwas hinein zwingen. Die
+Ausbrüche und die Regenstürme ändern das Ansehen des
+Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer als
+seine grössern Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer
+Entfernung von ungefähr zwey Stunden auf einer
+beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich
+hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna heisst.
+Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe liegenden kleinen
+Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drey Wochen sehr in
+Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig
+gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber diessmahl bey
+dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv -Vulkan bis hierher
+<!-- pb n="215" facs="#f0241"/ -->
+sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich
+rauhe Gegend über mehrere Berge,</p>
+
+<p>Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine gewaltig
+starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als ich das Haus
+betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben
+würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich
+wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe
+ich mirs versah, schoss ein junger starker Kerl aus einer
+Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den
+höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der
+Gurgel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäusten aus
+allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden so gut
+ich konnte, und er liess den armen Teufel endlich los, der
+auch sogleich abmarschierte. Ich sagte dem Fausthelden so
+glimpflich als möglich, dass ich diese Art von Willkommen
+etwas zu handgreiflich fände; da trat er ganz friedlich und
+sanft vor mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine
+Mutter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden.
+Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es
+auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen: und
+damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich
+den Ritter Canella, den Onkel meines militärischen Freundes
+in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde waren sehr
+artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich
+sogar in meinem Gasthause. Raimondi, welcher Direktor der
+dortigen Schule ist, führte mich in die alte gothische
+Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah und das
+akustische Kunststück
+<!-- pb n="216" facs="#f0242"/ --> nicht hören konnte, da er
+den Schlüssel zu der verschlossenen Stelle vergessen hatte
+und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit
+noch einmahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
+Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der
+Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern
+Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort desswegen
+verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden
+belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des
+Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt
+genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, dass
+Dorville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus
+ausserordentlich richtig gezeichnet hat.</p>
+
+<p>Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in
+Alikata. Mein Mauleseltreiber kam beständig und machte den
+Bedienten und Cicerone. <span class="italic">Jo saggio
+tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,</span> sagte
+er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich
+eben so wenig einwenden liess, als wider die Infallibilität
+des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon
+ziemlich kannte, hatte ich weiter nichts gegen die
+Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr
+neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten
+Stadt schon aus den Fenstern des Herrn Raimondi übersehen,
+steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die
+Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten
+der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die
+Vergänglichkeit aller weltlichen Grösse helfen? Ich sah da
+die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters<!-- pb n="217" facs="#f0243"/ -->tempels,
+und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie
+nehmlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht etwas zu
+bestimmen. Die Trümmern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern
+Karuben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und
+gross gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem
+fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und
+sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein
+weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen
+Gebälke durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin
+und her, dass der Agrigentiner, der doch ein Mauleseltreiber
+war, vor Angst blass ward, an der Celle blieb und sich
+niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten auf dem Gesimms,
+bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus
+der Tasche und hielt ein Frühstück, das gewiss Scipio auf
+den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich
+konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht
+erwehren, als ich über die Stelle des alten grossen reichen
+Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger
+unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und jedem die
+üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlängelt sich der kleine
+Akragas, der der Stadt den Namen gab, hinunter in die See;
+und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer
+steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt
+wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des
+feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt die Stadt
+steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil der Akropolis. Nun
+ging ich noch etwas weiter hin<!-- pb n="218" facs="#f0244"/
+-->auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übrigen Resten,
+unter denen man mehrere Tage sehr eparnorthotisch hin und
+her wandeln könnte. Die systematischen Reisenden mögen Dir
+das übrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der
+jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den
+Konkordientempel schaffen lassen und dafür die schöne alte
+Front mit der pompösen Inschrift
+entstellt: <span class="italic">Ferdi</span><span class="italic">nandus
+IV. Rex Restaurauit</span>. Ich hätte den Giebel herunter
+werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.</p>
+
+<p>Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel stehen nicht
+weit von den alten Mauern, in deren solidem Felsen eine
+Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiss was
+man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es
+wahrscheinlicher vor, dass es Schlafstellen für die Wache
+sind, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur
+aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern,
+so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind
+doch als Felsen beträchtlich genug, dass man von der See aus
+die Stadt das hohe Akragas nennen konnte; und noch jetzt
+würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben
+eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht ohne
+Grund geschehen, dass man die schönsten Tempel der Mauer so
+nahe baute. Sie waren das Heiligthum der Stadt; ihre Nähe
+beym Angriff musste anfeuern, wo, die Bürger wirklich
+augenscheinlich <span class="italic">pro aris et
+focis</span> schlugen. Auch der Tempel des Herkules muss
+unten nicht weit von der Mauer gestanden
+<!-- pb n="219" facs="#f0245"/ --> haben. Dort sind aber die
+Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort
+nicht so unterstützte; eben desswegen setzte man vermuthlich
+dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der
+schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erinnern: eben
+desswegen liegen wahrscheinlich dort Tempel und Mauer in
+Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl
+eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl
+Hierons machen soll, weiss ich nicht; ich überlasse es mit
+dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt
+zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem
+Mauleseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt:
+<span class="italic">Kischt' è il lempiò di San Gregoli;
+Kischta Madonna è antica:</span> und wer es nicht glauben
+will, <span class="italic">anathema sit</span>. Der gute
+Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und
+meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft
+alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun
+interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur
+&#x03F0;&#x03B1;&#x03C4;&#x0315;
+&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03C6;&#x03F1;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD;
+&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;
+&#x03F0;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03F0;&#x03B1;&#x03B3;&#x03B1;&#x03D1;&#x03B9;&#x03B1;&#x03C2;;
+ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rapport halb
+unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären
+Schweinställe! Weiss der Himmel, was der fromme Kerl
+verstanden haben mochte; <span class="italic">Si si</span>,
+<span class="italic">Signore</span>, <span class="italic">dice
+bene</span>, sagte er
+treuherzig; <span class="italic">kischt' è la cosa</span>.
+Er rechnete es mir hoch an, dass er italiänisch sprach und
+nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht
+fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in
+ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der
+heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt
+nicht weit von
+<!-- pb n="220" facs="#f0246"/ --> hier nach Alcamo hinab in
+dem Gebirge, wo die Leute griechisch sprächen oder gar
+türkisch, so dass man sie gar nicht verstehen könnte, wie
+das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier
+führte er eine Menge Wörter an, die ich leider wieder
+vergessen habe. <span class="italic">Non sono cosi boni
+latini, come noi autri,</span> sagte er. Du siehst der
+Mensch hat Ehre im Leibe.</p>
+
+<p>Den musikalischen Talenten und der musikalischen Neigung
+der Italiäner kann ich bis jetzt eben keine grossen
+Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem
+Lande und in den Städten, auch noch keine einzige Melodie
+gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern
+Ländern manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch
+von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent,
+der eine Art Liebesliedchen sang und sehr emphatisch drollig
+genug immer wiederholte
+; <span class="italic">Kisch</span>t<span class="italic">a</span>
+nu<span class="italic">tte, kischta nutte in verru, iu
+verru. (Questa notte io verro.)</span></p>
+
+<p>Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier
+italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg dahin ist
+sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen und Mandelgärten.
+Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in
+Sicilien zu einer ausserordentlichen Grösse wachsen; noch
+häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September
+reif werden und von denen ich das Stück, so selten sind sie
+jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen musste,
+da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karuben oder
+Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir
+bey uns gar keine Begriffe <!-- pb n="221" facs="#f0247"/ -->
+haben. Sie sind so haufig, dass in einigen Gegenden des
+südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der
+Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem
+Fünften gebaut. Bonaparte lag einige Tage hier und auf der
+Rhede, als er nach Aegypten ging: und damahls kamen auch
+einige Franzosen hinauf in die Stadt, wo gar keine Garnison
+liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn
+der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen.
+Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona, und keiner der besten.
+Nicht weit davon sind eine Menge unterirdische
+Getreidebehälter, weil von Agrigent sehr viel ausgeführt
+wird. Die politische Stimmung durch ganz Sicilien ist gar
+sonderbar, und ich behalte mir vor Dir an einem andern Orte
+noch einige Worte darüber zu sagen.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Syrakus</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="chapter" id="Syrakus">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>iess ist also das Ziel
+meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen
+Umschweifen wieder nach Hause.</p>
+
+<p>Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als
+möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel
+ward mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte
+man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich,
+etwas mehr als einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich
+ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Diess
+war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete,
+zumahl auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit
+einem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fusse auf einer
+Ronde um die Insel begleiten; dafür sollte er mit mir
+ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich
+wollte ihm täglich noch fünf Karlin, ungefähr einen
+deutschen Gulden, geben: dabey könnte er doch zusammen
+während der kurzen Zeit drey goldene Unzen Gewinn haben. Der
+Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwey Unzen voraus, um für
+die eine einige Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen und
+die zweyte unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er
+kaufte mir einen Habersack, ungefähr wie man ihn den
+Mauleseln mit dem Futter umhängt, that meine zwey Bücher,
+mein Hemde mit den übrigen Quinquaillerien und etwas
+Proviant hinein, und trug mir ihn nach oder vor. Meinen
+stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht
+
+<!-- pb n="223" facs="#f0249"/ -->
+zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo
+gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und
+Liebhaber, dass man mir einige Mahl sagte, man
+würde mich bloss meines Tornisters wegen todt
+schlagen.</p>
+
+<p>Ich muss hier noch eine Bekanntschaft nachholen, die ich
+in Agrigent machte. Als ich in meinem Zimmer ass, trat ein
+stattlich gekleideter Mann zu mir herein und erkundigte sich
+theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem
+Befinden und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so
+weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in
+einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen Wirthshause,
+bat um die Erlaubniss sein Essen zu mir zu bringen, und wir
+assen zusammen. Es fand sich, dass er eine Art Steuerrevisor
+war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer
+sind ein sehr gutmüthiges neugieriges Völkchen, die in der
+ersten Viertelstunde ganz treuherzig dem Fremden alles
+abzufragen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteckten
+zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor über Tische
+auf seine Frage, dass ich ein Ketzer war. Der dicke Herr
+legte vor Schrecken Messer und Gabel nieder, und sah mich
+an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich
+nun über unser Religionssystem, von dem ich ihm so wenig als
+möglich so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in
+Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und musste, nach
+seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur
+Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen haben; fluchte
+übrigens und zotierte auf lateinisch und
+<!-- pb n="224" facs="#f0250"/ --> italiänisch trotz einem
+Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie
+man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne.
+Dabey hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende.
+Doch entschloss er sich mit mir fort zu essen, fragte aber
+immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und
+einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb
+spasshaft das Verdammungsurtheil über uns alle
+her: <span class="italic">Siete tutti
+mincspanoni</span>, <span class="italic">siete come le
+bestie</span>. Das nenne ich mir Logik! Indessen, lieber
+Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel in der
+Welt, <span class="italic">in jure
+canonico</span>, <span class="italic">civili et
+publico</span>, die uns für Sterling verkauft wird.
+Uebrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloss sich
+brüderlich an mich an, und meinte ich ginge grossen Gefahren
+entgegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich abging, band
+er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich
+seine Addresse in Palermo und liess mich Ketzer doch unter
+dem Schutze aller Heiligen ziehen.</p>
+
+<p>So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg
+hinunter, über den kleinen Fluss hinweg nach dem Monte
+chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner
+Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel
+machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war
+das nicht lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle
+Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich
+einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die
+sich über das Margarethentempelchen von Segeste zankten.
+Diese Herren staunten
+<!-- pb n="225" facs="#f0251"/ --> über meine Verwegenheit,
+dass ich zu Fusse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein
+Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang.
+Mein Begleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten;
+er ass so viel Paste, dass ich über seine Capacität
+erstaunte. Indess ein Sicilianer dieser Art hat seine
+Talente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich
+mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen
+der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine
+halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen,
+und verursachte dem Menschen fürchterliche Passionen. Ich
+fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von
+dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier
+rührte ihn von neuem das Gewissen, und er bekannte mir, er
+habe schon furchtbare Angst gehabt, dass er mit mir in der
+Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein
+Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward
+nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor
+Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun?
+Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und
+sanft als möglich den Text über seinen unvernünftigen Frass
+gelesen hatte, nahm ich ihm meinen Sack ab, übergab ihn
+seinem Freunde und Landsmanne, überliess ihn seinen Heiligen
+und ging weiter. Es war mir lieb, dass ich ihn so gut
+versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that
+es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher
+erfahren, dass er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre,
+wäre es gewiss zum Wunder bloss darum gewe<!-- pb n="226" facs="#f0252"/ -->sen,
+weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen
+hatte, nicht wegen seines bestialischen Makkaronenfrasses.
+Ich habe vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen
+hören, dass jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an
+der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der
+gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts
+anders als Makkaronen mit Oehl.</p>
+
+<p>Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste
+hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das
+Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bey Palma ist wieder
+schöne herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und
+Thälern, die alle mit Oehlbäumen und Orangengärten besetzt
+sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als die
+übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und
+wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von
+Malta nicht ausgenommen, deren man eine Menge in Neapel
+findet. Gegen Abend kam ich in Alikata an, wo ich vor der
+Stadt zwey sehr wohlgekleidete Spaziergänger antraf, die
+mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehen
+Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir
+gingen zusammen in die Stadt, ich halte sie für die beste,
+die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen
+habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich gut; ich
+hatte also nicht Ursache, dem Marchese Frangipani, an den
+ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich
+doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit
+in seinem ziemlich grossen Hause auf, wo ich eine
+ansehnliche Gesell<!-- pb n="227" facs="#f0253"/ -->schaft
+fand. Man nöthigte mich, mit den Damen etwas
+französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige
+zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als man sich zum
+Spiel setzte &mdash; <span class="italic">c'est partout
+comme chés nous</span> &mdash; und ich daran nicht Theil
+nehmen wollte noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt
+anrühre, empfahl ich mich und befand mich in meinem
+Wirthshause einsam recht wohl. In der schönen Abenddämmerung
+machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der
+Fischerey zu. Die hiesige Rhede muss für die Schiffe nicht
+viel werth seyn, so viel ich von der Lage mit einem
+Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alikata, von Palma
+her, liegt ein sich am Meere herziehender Berg, der von den
+Gelehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehalten wird.
+Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera, denn
+der nördliche fliesst bey Termini, ist ein anderer Berg,
+dessen Name, glaube ich, Phalarius heisst: und diese beyden
+Berge paradieren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos
+soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben,
+weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen
+Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr
+auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir erlaubst eine
+Konjektur zu machen, so will ich annehmen, dass der Eknomos
+deswegen so genannt worden sey, weil er ganz allein,
+isoliert, von der ganzen übrigen Bergkette rund herum
+abgesondert liegt: die andern Berge hängen in einem grossen
+Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name, däucht
+mich, könne diess bedeuten: &#x03B5;&#x03F0;
+&#x03C4;&#x0223; &#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x0223;
+&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;
+&#x03B1;&#x03BB;&#x03BB;&#x03C9;&#x03BD;
+&#x03BF;&#x03F1;&#x03C9;&#x03BD;
+&#x03F0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9;
+<!-- pb n="228" facs="#f0254"/ -->
+&#x03B3;&#x03B5;&#x03C9;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C6;&#x03BF;&#x03C2;.
+Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen
+Oelgärten und mehreren Landhäusern besetzt, und giebt der
+Gegend ein sehr freundliches Ansehen. Links ist an dem
+Himera hinauf eine schöne grosse Ebene mit Weitzenfeldern;
+eine der besten die ich je gesehen habe. Alikata ist der
+erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.</p>
+
+<p>Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich
+hier in Alikata, wo man sagte, dass die achtzehn Millien von
+hier nach Terra nuova die schlimmsten in der ganzen Insel
+wären. Sono cattive
+<span class="italic">gente</span>, hiess es;
+und <span class="italic">cattive</span> war der ewige
+Euphemismus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber und
+Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahrscheinlich nur
+meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am
+Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von
+Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend
+Cirkumherumschweife und blieb bey der schönen Idee stehen,
+dass ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme:
+da sah ich von weitem drey Reiter und zwar zu Pferde auf
+mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maulesels oder
+Esels ist mir in Sicilien immer lieber als eines Pferdes.
+Mir ward etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so
+ernsthaft als möglich vor ihnen vorbey zu gehen. Das litten
+sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst
+thaten. Sie waren alle drey mit Flinten bewaffnet; der Dolch
+versteht sich von selbst. Ich grüsste nicht ganz ohne
+Argwohn. Man rief mir halt! und da ich that, als ob ich es
+nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Ve<!-- pb
+n="229" facs="#f0255"/ -->hemenz auf mich zu, fasste mich
+beym Kragen und riss mich so heftig herum, dass das Schisma
+noch an meinem Rocke zu sehen ist. Wer seyd Ihr? &mdash; Ein
+Reisender. &mdash; Wo wollt Ihr hin? &mdash; Nach Syrakus.
+&mdash; Warum reitet Ihr nicht? &mdash; Es ist mir zu
+theuer; ich habe nicht Geld genug dazu. &mdash; Einer meiner
+Freunde in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge gezeichnet,
+den ich damals machte, damit ich, wie er sagte, doch sagen
+könnte, ich habe mich in Rom malen lassen. Ich schicke Dir
+die Zeichnung zur Erbauung, und Du wirst hier wenigstens
+meine Eitelkeit nicht beschuldigen, dass sie sich ins beste
+Licht gesetzt hat. Man riss meinen Sack auf und fand
+freylich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwey Bücher, ein
+Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und
+einige Orangen. Man besah mich aufmerksam von der Ferse bis
+zur Scheitel. &mdash; Ihr habt also kein Geld zum Reiten?
+&mdash; Ich kann so viel nicht bezahlen. &mdash; Meine Figur
+und mein Sack schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes
+Dokument zu seyn. Man nahm das weisse Buch, in welches ich
+einige Bemerkungen geschrieben hatte um die Reminiscenzen zu
+erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte es,
+und Einer, der etwas Ansehen über die beyden Andern zu haben
+schien, machte Miene es einzustecken. Ich sagte etwas
+betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen
+Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete
+mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke,
+gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gieb ihm
+Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das
+<!-- pb n="230" facs="#f0256"/ --> Zeichen der Hospitalität
+und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher
+reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so
+machte ich doch keine Umstände der ehrenvollen Gesellschaft
+Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der
+dargereichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr engen
+Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weisst, hier für das
+Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus
+genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr
+schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses
+und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete.
+&mdash; An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? &mdash; An den
+Ritter Landolina. &mdash; Den kenne ich; sagte Einer.
+&mdash; Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und
+geht zu Fusse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich:
+Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal
+recht verstanden: da ich aber, ausser ein wenig Schach,
+durchaus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem
+Gewissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und
+nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung
+ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier,
+Dank sey es der schlechten Regierung, eine allgemeine Seuche
+ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der
+Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen
+oder auszaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man
+wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den
+Leuten zu halten? Aus gewöhnlicher Vorsicht hatte ich die
+Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein
+Taschenbuch, in welchem
+<!-- pb n="231" facs="#f0257"/ --> ungefähr noch sieben und
+zwanzig Unzen in Gold liegen mochten, war inwendig in einer
+Tasche hoch unter dem linken Arm und wurde also nicht
+bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine
+Zeichen als Polizeyreiter: übrigens waren sie für Sicilien
+sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in
+Unteritalien zur Schande der Justiz und Polizey jedermann.
+Wenn sie ehrlich waren, so thaten sie wenigstens alles
+mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen
+Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bey uns
+in feiner Gesellschaft ein abgefeimter Schurke gerade das
+Gegentheil thut. Ich denke immer, meine anscheinende
+Armseligkeit hat mich gerettet und die Uhr und die Unzen
+hätten mir den Hals brechen können.</p>
+
+<p>Vor Terra nuova wurde ich wieder freundschaftlich
+angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren
+unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es
+einzuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich
+ein mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen; ich
+war wirklich müde und that es. Neugierigere Leute als in
+Sicilien habe ich nirgends gefunden; aber im Ganzen fehlt es
+ihnen nicht an Gutherzigkeit. Was schlecht ist kommt alles
+auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man
+fragte mich sogar ob ich eine Uhr trüge und begriff wieder
+nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch
+bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da
+ich allein war.</p>
+
+<p>In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin
+kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl
+<!-- pb n="232" facs="#f0258"/ --> war, und sagte dabey, ich
+würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf
+mich auf einen Haufen Haferspreu, die in einem Winkel
+aufgeschüttet war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht
+ein Stündchen geschlafen haben und es war gegen Abend, da
+wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen
+kann, war voll Leute aller Art, einige stattlich gekleidet,
+andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit,
+der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war
+ganz höflich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem
+Benehmen Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach
+dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, dass ich ein
+Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und endlich
+Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um
+so viel als möglich zu kapieren. Man war geneigt mich für
+einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik
+gedient habe, und so weiter: aber über ihre Stimmung gegen
+die Franzosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der
+Mann im Matrosenkleide sagte, ich müsste Franzose seyn, weil
+ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so
+vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward
+mir endlich sehr penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen
+und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen;
+ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr,
+so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich
+legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizey
+sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen
+kann. Erlauben Sie mir übri<!-- pb n="233" facs="#f0259"/ -->gens
+etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es
+ist warm und ich bin müde. Das sagte ich italiänisch so gut
+ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der
+Herren bat mich höflich um Verzeihung, ohne weiter eine
+Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich, und nach
+einigen Minuten war ich wieder allein auf meiner Haferspreu.
+Den Abend, nachdem ich bey einigen Seefischen sehr gut
+gefastet hatte, brachte man mir
+Heu<!-- choice><sic -->-<!-- /sic><corr>,</corr></choice --> und ein
+gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke
+einen grossen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein
+Bett, das man nicht haben konnte.</p>
+
+<p>Den andern Morgen ging ich über den Fluss Gela und durch
+ein herrliches Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf.
+Dieses Thal mit den Parthien an dem Flusse links und rechts
+hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe der geloischen
+Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt
+Terra nuova steht, so lag es doch gewiss nicht weit davon,
+und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach
+dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste von
+Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das Thal ist auch
+noch jetzt in der äussersten Vernachlässigung sehr schön,
+und es lässt sich begreifen, dass es ehemals bey der
+Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen seyn.
+Hier in Niscemi ist es wahrscheinlich, wo vor mehrern Jahren
+ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina
+beschrieben hat.</p>
+
+<p>Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort
+nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien nicht bekannt ist
+und ohne Wegweiser reist, so bleibt
+<!-- pb n="234" facs="#f0260"/ --> man, wenn man nicht todt
+geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt
+nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige
+Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann
+man eigentlich gar nicht sagen, dass in Sicilien Wege sind.
+Es sind bloss Mauleseltriften, die sich oft so verlieren,
+dass man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren
+muss. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht
+weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach
+Agrigent zu im Wagen gehen: will er weiter, so muss seine
+Majestät sich gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen
+Maulesel zu besteigen. Das lässt er denn wohl bleiben, und
+desswegen geht es auch noch etwas schlechter als gewöhnlich
+anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man
+rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das
+that ich als ein Wildfremder. Aber ich war kaum ein
+Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich grossen Wald
+perennierender Eichen kam, wo ich alle Spur verlor, einige
+Stunden in Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich
+mich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem
+ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm.
+Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und
+grosse zahlreiche Heerden. Um Caltagirone herum ist die
+Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut
+nennen. Die Stadt, welche auf einer nicht unbeträchtlichen
+Höhe liegt, hat rund umher schöne angränzende Thäler, und es
+herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche
+Wohlhabenheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe
+<!-- pb n="235" facs="#f0261"/ --> mitten in der Insel. In
+der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von
+Menschen; man ass und trank, und handelte und zankte, und
+sprach überall sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste
+vorbeygetragen wurde; schnell ward alles still und stürzte
+nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe.
+Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit
+getrockneter Oliven, die mein Lieblingsgericht hier sind,
+unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus
+hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist
+sehr gut, und verhältnissmässig sehr billig.</p>
+
+<p>Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam
+immer den Weg fort, den man mir bezeichnet hatte, und war,
+ehe ich mirs versah, in Palagonia, dem Stammhause des
+seligen Patrons der Ungeheuer, barocken Andenkens. Wäre ich
+an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn
+Palagonia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von
+Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen,
+Missgeburten aufschlug. Wieland lässt den geächteten
+Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniss über Götter
+und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut
+es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia
+liegt herrlich in einem Bergwinkel des Thales Enna. Kommt
+man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare
+Felsenschluchten und steigt einen Berg herab, als ob es in
+die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade dass die
+exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser benutzt
+und geniesst. Die Stadt ist traurig schmutzig.
+<!-- pb n="236" facs="#f0262"/ --> Ueber den Namen der Stadt
+habe ich nichts gehört und gelesen; welches freylich nicht
+viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will
+annehmen, er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit
+davon rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der
+Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzählen und die
+Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein
+gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse
+nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn
+aufgesucht.</p>
+
+<p>Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der
+überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus
+Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, grosse, schöne
+Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und
+links griffen rund herum die hohen felsigen Bergketten, die
+es einschliessen und von Noto und Mazzara trennen; und in
+dem Grunde gegen über stand furchtbar der Aetna mit seinem
+beschneyten Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte
+Rauchsäule in der reinen Luft empor stieg, und sich langsam
+nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln
+Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem
+Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent vor dem
+Thore des Schulgebäudes zeigte man mir den Riesen in den
+fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug ihn
+deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich
+nahe in seiner ganzen furchtbaren Grösse vor mir. Katanien
+lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen
+können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, der der
+Athene Polias Ehre gemacht
+<!-- pb n="237" facs="#f0263"/ --> haben würde, auf die
+jungen wilden Hyacinthen nieder und genoss eine
+Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Scenen der
+Natur. Das war wieder Belohnung und ich dachte nicht weiter
+an die Schnapphähne und das Examen von Terra nuova. Ich
+würde rechts hinauf gestiegen seyn in die Berge, wo viele
+Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen
+seyn sollen; aber ich konnte dem Orientieren und der
+müssigen Neugierde in einer sehr wilden Gegend nicht so viel
+Zeit opfern. Ich verirrte mich abermals und kam anstatt nach
+Syrakus nach Lentini. Es war mir nicht unlieb die alte Stadt
+zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche
+Rolle spielt. Sie ist in dem Misskredit der schlechten Luft,
+wesswegen auf einer grössern Anhöhe Karl der Fünfte, däucht
+mich, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der
+schlechten Luft; aber freylich kann man vom Ende des März
+keinen Schluss auf das Ende des July machen. Der See giebt
+der Gegend ein heiteres lachendes Ansehen, und diese würde
+sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man
+fleissiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer
+Orangengarten; und Du kannst denken, dass ich mit den
+Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht
+hoffen durfte Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen
+in Lentini, und wenn die Leute daselbst krank werden, so
+sind sie wahrscheinlich selbst Schuld daran, nach allem was
+ich davon sehe. Ich war nun zwey mal irre gegangen, und
+hielt es daher doch für gut einen Mauleselführer zu nehmen.
+Er erschien und wir machten bald den Handel, da ich nicht
+viel mer<!-- pb n="238" facs="#f0264"/ -->kantilisches
+Talent habe und gewöhnlich gleich zuschlage. Nun wollte der
+Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas
+sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müssten
+wir theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen.
+Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger
+war sein Grund. Er meinte, wenn ich geplündert oder
+erschlagen würde, wie sollte er dann zu seinem Gelde kommen?
+Das war mir zu arg; ich schickte ihn ärgerlich fort und ging
+mit meinem Schnappsack allein.</p>
+
+<p>Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den
+Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler
+abermals irre, und kam anstatt nach Syrakus nach Augusta.
+Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut;
+aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildniss, wo
+rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen.
+Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wieder an,
+und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel.
+Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle
+Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt
+die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und
+unter diesem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnügen
+die Verschiedenheit des Weinbaues von Meissen bis nach
+Syrakus zu sehen; und wenn ich ein weingelehrter Mann wäre,
+hätte ich viel lernen können. Die Landzunge auf welcher
+Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört
+zu dem üppigsten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man
+Salz
+<!-- pb n="239" facs="#f0265"/ --> aus Seewasser, zu welcher
+Operation man einen grossen Strich todtes Erdreich brauchte.
+Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als
+in dieser Gegend. Die Stadt ist rings um vom Meere umgeben,
+und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der
+Landseite ist der Ort also gut vertheidigt und es würde eine
+förmliche Belagerung dazu gehören ihn zu nehmen. Von der
+Seeseite scheint das nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach
+dem Wasser zu wollen nicht viel sagen. Die Stadt ist nicht
+viel kleiner als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus.
+Ich wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen Pass
+besah und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler
+Höflichkeit zurück gab. Hier wurde ich, aus meinem Passe,
+Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen
+Wege durch die ganze Insel bey allen Mauleseltreibern durch
+Ueberlieferung behielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann,
+was er seyn mochte, denn ich habe mich um seinen Posten
+weiter nicht bekümmert, bewirthete mich mit dem berühmten
+syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut
+haben muss, und mit englischem Ale und Biskuit. Das Ale war
+gut und das Biskuit besser, und über den Wein habe ich keine
+Stimme. Mir war er zu stark und zu süss. Ein Perukenmacher,
+der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerade
+in sein eigenes Haus, bewirthete mich ziemlich gut und liess
+mich noch besser bezahlen. Dafür wurde ich aber so viel
+beexcellenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der
+den grossen päbstlichen Ablass auf hundert Jahre herum
+trüge.
+<!-- pb n="240" facs="#f0266"/ --> Man erzählte mir, dass
+vor einigen Monaten ein Deutscher mit seiner Frau aus Malta
+durch Sturm hier einzulaufen genöthigt worden sey, und, da
+er keinen Pass gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben
+müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche
+Guignons können eintreten.</p>
+
+<p>Um nicht noch einmal in den Bergen herum zu irren, nahm
+ich nun endlich einen Maulesel mit einem Führer hierher nach
+Syrakus. Ich hatte eine grosse Strecke Weges an dem
+Meerbusen wieder zurück zu machen. So lange ich mich in der
+Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber
+so wie wir Syrakus näher kamen, ward es immer wüster und
+leerer. Der Aetna, der über die andern Berge hervor ragte,
+rauchte in der schönen Morgenluft. Der Mauleseltreiber hatte
+mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich,
+sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen
+kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und
+dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören
+auf nichts als diesen Stachel, der ihnen statt aller übrigen
+Treibmittel am Halse appliziert wird. Wenn es nicht recht
+gehen wollte, rief der kleine Mephistophiles hinter
+mir: <span class="italic">Pungite</span>, <span class="italic">Don
+Juan</span>, <span class="italic">sempre pungite</span>.
+Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der
+Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das
+Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie der Hals des
+Staats sich bey dem Stachel befindet, was kümmert das die
+Herren? Wenn es nur geht oder wenigstens schleicht. Mein
+kleiner Führer erzählte mir hier und da Geschichten von
+Todtschlägen,
+<!-- pb n="241" facs="#f0267"/ --> so wie wir an den Bergen
+hinritten. Rechts liessen wir die Stadt Melitta liegen, die
+auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme
+Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht
+Millien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo
+der Feigen sehr wenig aber viel sehr schöne Oelbäume waren,
+fast der Halbinsel Thapsus gegen über. Nun trifft man schon
+hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der
+alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch
+einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die
+Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der
+ungeheuern Ruine, die jetzt eine Mischung von magern
+Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern
+ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den
+Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab und spazierte
+nun zu Fusse weiter fort. Der Bube war gescheidt genug mir
+einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging
+ich durch alle drey Thore der Festung als Spaziergänger,
+ohne dass man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht
+weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige
+stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den
+Spaziergänger lässt man gehen.</p>
+
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+
+</body>
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+
+<!-- pb n="[242]" facs="#f0268"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Syrakus2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div>
+
+<div class="poem">
+Heute will ich fröhlich fröhlich seyn,<br />
+Keine Weise, keine Sitte hören;<br />
+Will mich walzen und vor Freude schreyn:<br />
+Und der König soll mir das nicht wehren.<br />
+</div>
+
+<p> <span class="initial">S</span>o singt Asmus den ersten
+May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den
+ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich
+gleich vor einigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe
+ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich
+auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt
+und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die
+Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bisschen
+Unordnung.</p>
+
+<p>So wie ich zum Thore herein war und eine Strasse herauf
+schlenderte, &mdash; wohlzumerken, mein Sack hielt keine
+grosse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt
+leicht in den Taschen bergen &mdash; so rief mir ein Mann
+aus einer Bude zu: <span class="italic">Vous etes etranger,
+Monsieur, et Vous cherchés une auberge</span>?
+&mdash; <span class="italic">Vous l'avés touché,
+Monsieur!</span> sagte ich. <span class="italic">Aiés la
+bonté d'entrer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur
+de Vous servir</span>. Ich trat ein. Der Mann war ein
+Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren
+ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich
+leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das
+beste nannte. Die Nahrung, wenig<!-- pb n="243" facs="#f0269"/ -->stens
+das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, dass mein
+Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von
+Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina
+das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer
+Fes<!-- supplied>t</supplied -->ung kann ich doch gutwillig nicht
+bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus
+an den Hafen, nehmlich an den grossen, oder an den
+Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den
+Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel
+auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich
+ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das
+Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abtheilung des
+Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief
+gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden
+gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den
+punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach
+Afrika, machte grosse Beute in Utika, und war den dritten
+Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war,
+von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Livius Bescheid
+geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, dass ich,
+wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen
+Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido
+mitmachen könnte.</p>
+
+<p>Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus,
+und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines
+Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpfgegend hielt mich
+auf; sonst wäre ich wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem
+Rückwege setzte ich
+<!-- pb n="244" facs="#f0270"/ --> mich ein Viertelstündchen
+an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel
+des Jupiter Olympius gelten. Hier liess Dionysius dem Gott
+den goldenen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den
+Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener
+schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein
+ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte
+des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber
+war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und
+so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand
+noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte
+den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka!
+An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der
+Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich
+dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte
+nun rechts umzukehren um keinen zu grossen Umweg zu machen;
+und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch
+etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich
+fürchtete man möchte das Thor schliessen; wo man denn eben
+so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich
+mich doch mit vielem Schweiss in einem nicht gar erbaulichen
+Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluss
+herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause
+wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir
+nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die
+Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer
+der Herrn verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den
+Syraka, denkt wie ich, ist aber
+<!-- pb n="245" facs="#f0271"/ --> nicht so glücklich, und
+sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht
+heraus bringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr
+um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach
+vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit
+Stricken herausziehen. Lass Dir es also nicht einfallen,
+wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber
+nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege,
+sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.</p>
+
+<hr class="hr5" />
+
+<p>Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina
+zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das
+ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er
+ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme
+mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weisst, dass er
+Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in
+meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen
+ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in
+Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke
+Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus
+bis nach Epipolä, wo wir unsere Pferde liessen und nach den
+äussersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen
+zu Fusse gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den
+Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden
+kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die
+ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey
+Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie
+<!-- pb n="246" facs="#f0272"/ --> bey ihm, Landolina
+gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten
+uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung
+nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses
+halbe Stündchen für eines der schönsten die ich genossen
+habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte,
+die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah
+man die ganze grosse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt,
+die nun halb als Ruine und halb als Wildniss da liegt.
+Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem
+Syraka und dem Hafen: links hinab ging bis ans Meer die
+gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche
+Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen
+liess. Von beyden sieht man noch den Gang durch die
+Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke
+aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das
+Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Grösse des
+ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet.
+Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen
+hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette
+des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag
+der <span class="italic">mons crinitus</span>, wo die
+Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen
+Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer,
+welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das
+Haus des Timoleon, wo man bey der kleinen Mühle noch die
+Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein,
+drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo
+der schöpferische Geist Archimeds mit dem
+<!-- pb n="247" facs="#f0273"/ --> Feuer des Himmels seine
+Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange
+nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken
+Besatzung der Aussenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter
+links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der
+Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab
+lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern
+Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem
+Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind
+vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der
+Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen
+und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde
+eine angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die
+Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an
+Solidität und Grösse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen.
+Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie
+derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren
+es durch die Lage bloss sehr feste Aussenwerke, deren
+Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt
+hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite
+des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich
+zu geringe und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr.
+Die Römer drangen durch die grosse Linie links. Wäre diese
+Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die
+Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre
+vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht
+gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen
+Schlacht zum Manöver benutzen kann.</p>
+
+<!-- pb n="248" facs="#f0274"/ -->
+<p>Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner
+Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das
+Vergnügen theilen, so würde es grösser werden. Mein eigenes
+Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo
+gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir
+mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm
+Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Geschenk von
+Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las
+nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas
+magisches. &mdash; Sey nur ruhig, ich habe jetzt zu viel
+Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du
+sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.</p>
+
+<p>Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina
+zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis,
+die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste
+enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen
+Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge
+Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage
+genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und
+besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze
+gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts
+weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser
+aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die
+jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen
+Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen
+Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf
+ist das alte grosse griechische Theater,
+<!-- pb n="249" facs="#f0275"/ --> fast rund herum in Felsen
+gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug
+hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es
+natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren
+Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich
+deutlich zu lesen. Es lässt sich viel dawider sagen, und sie
+beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin
+Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der
+aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung
+geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemahls
+auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig
+gewesen, so dass ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der
+Inschrift floss, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war.
+Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen,
+schalt den Müller und liess es auf der Stelle abändern.
+Gegen über steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das
+Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freylich
+nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, dass
+wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und dass
+vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der grosse Mann
+begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnissweg
+hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis
+fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die
+verschiedenen Gestalten der kleinen und grössern
+Begräbnisskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den
+Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius.
+Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne
+Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,
+<!-- pb n="250" facs="#f0276"/ --> das man am Eingange
+zerreisst, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man
+stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen
+Büchsenschuss, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die
+ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir
+vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber
+als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob
+sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die
+Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine
+Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl
+vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe
+ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingruben
+des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so
+vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob
+Dionysius dasselbe habe hauen lassen, liesse sich noch
+bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint;
+aber dass er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen,
+hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein
+schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in
+dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige
+durchgebrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn
+mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen
+anzuschliessen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am
+Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemahls für das
+Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel
+Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin
+zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina
+erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt
+habe. Die<!-- pb n="251" facs="#f0277"/ -->ses
+Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle
+selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade
+geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine
+eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen
+in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich;
+und es lässt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als
+eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten
+Gang in das Gefängniss geführt, durch welche der Tyrann
+selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem
+Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl
+nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir,
+er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen
+Engländern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und
+eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein
+verworrenes dumpfes Geräusch.</p>
+
+<p>Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den
+hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend
+räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche
+Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu soll
+das Kämmerchen oben gewesen seyn? Zum Anfange einer neuen
+Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an
+einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit
+bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst
+entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage
+nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts
+deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass man ehedem
+nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange
+vieles zertrümmert und ein<!-- pb n="252" facs="#f0278"/ -->gestürzt,
+also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man
+sagt, Dionysius habe hier in dieser Gegend der Stadt keinen
+Pallast gehabt. Zugegeben dass dieses wahr sey, so war
+dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen
+Gegenwart zu entfernen. Er konnte desswegen bey wichtigen
+Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu
+kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und
+Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen
+sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, dass er
+draussen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt
+haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in
+Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des
+ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem
+Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von
+Syrakus schliesst er nicht ganz übel.</p>
+
+<p>In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler
+ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der
+Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von
+Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein
+anderer Steinbruch, der einer wahren Feerey gleicht. Er ist
+von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als
+nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den
+der Besitzer hat verschliessen lassen. Von oben kann man das
+ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den
+niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen
+Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt
+in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den
+vaterländischen Baum
+<!-- pb n="253" facs="#f0279"/ --> zu finden, den ich fast
+in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier
+in dem heisseren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das
+vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch
+sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach
+vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand.
+Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen
+Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die
+Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur
+machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der
+Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu
+halten; da diese Röhren vermuthlich Luft von aussen
+empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der
+enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese
+Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte
+Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut
+erhalten ist, dass, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in
+Gang gesetzt werden könnte.</p>
+
+<p>Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen
+Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die
+furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im
+peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich
+lange darin herum gewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre
+Gärten darin angelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn
+würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf
+gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Gefahr zehn tausend
+ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege
+mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt
+haben;
+<!-- pb n="254" facs="#f0280"/ --> dieses war nun das
+grösste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit
+schönen Orangen, und bedauerten, dass die Engländer schon
+die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten
+aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür
+erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen
+Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen
+Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht
+ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem
+Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum
+spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes
+und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn
+man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze
+ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem
+Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet.
+Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die
+bekannte Anekdote, dass viele Gefangene sich aus der
+traurigen Lage bloss durch einige Verse des Euripides zogen:
+und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter
+gebracht worden.</p>
+
+<p>In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia
+ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte
+Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man
+auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute
+noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht
+giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie
+doch gewiss von dem festen Lande der Insel; und schon dieser
+Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es
+den Dichtern auf einige Grade Er<!-- pb n="255" facs="#f0281"/ -->höhung
+nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine
+ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen,
+die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus
+der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen
+Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag
+zusammen getragen hat. In Sicilien und Italien dankt niemand
+für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von
+Europa zu wünschen, dass sie bekannter würde. Vielleicht
+lässt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist
+durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine
+Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die
+mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die
+vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie
+quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen
+ganz weg, so dass man trocken tief in die Höhle hinein gehen
+kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen
+physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie
+vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu
+glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem
+Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort
+herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu
+denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht:
+das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen
+willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet
+man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem
+Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist.
+Seitdem ist das Wasser süss geblieben, heisst es. Ich fand
+eine
+<!-- pb n="256" facs="#f0282"/ --> Menge Wäscherinnen an der
+reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und
+hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich
+stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der
+hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es
+schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser
+der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muss
+also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich
+wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat
+die nehmliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich
+durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt
+Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich
+bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der
+nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es etwas
+salziger: das mag vielleicht von der grossen Tiefe und dem
+beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es
+für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen
+Tempeln fand. Sehr möglich; es lässt sich gegen die
+Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein
+gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn?
+Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse
+in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiss die Insel
+machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt
+aus. Man hatte ausser der Arethuse wenig Wasser in den
+Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr
+bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder
+zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz
+auf diesen Fall zu verschaffen und ihn
+<!-- pb n="257" facs="#f0283"/ -->
+vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich
+will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben
+so wenig hartnäckig behaupten.</p>
+
+<p>Als ich hier in der Kirche sass, die eben ausgebessert
+wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete,
+gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein
+Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen
+Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals
+mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht.
+Wenn man diesen Mann von der Regierung und der
+Kirchendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom
+Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mögen. Alles
+bestätigte seine Erzählung, und Unzufriedenheit und Murrsinn
+schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen.
+Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner
+Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten
+Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller
+Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit
+einem kleinen Ablassgelde in Ordnung gebracht und
+fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich
+der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum
+Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer
+profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet
+sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die
+ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der
+Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die
+jedermann wisse, und nannte mir mit grosser Freymüthigkeit
+zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich
+<!-- pb n="258" facs="#f0284"/ --> gern wieder vergessen
+habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die
+Glossen.</p>
+
+<p>Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz
+machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen
+Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine
+ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so
+dass nur noch von innen und aussen der griechische
+Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen
+Stil schön und gross, sticht aber gegen die alte griechische
+Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.</p>
+
+<p>Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines
+Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche
+singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war
+mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und
+ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein
+Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über
+seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen
+eigentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz
+unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine
+Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das
+entmannte Bild so in Wuth, dass er mit dem Messer auf den
+Geiger zuschoss und ihn erstochen haben würde, wäre dieser
+durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden.
+Auch der Sänger konnte die Aergerniss durchaus nicht
+verdauen und entfernte sich.</p>
+
+<p>Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem
+Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherrn gelten,
+und die ich also wohl eben so verdienst<!-- pb n="259" facs="#f0285"/ -->los
+verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft
+und halb mit gefischt. Ich fuhr nehmlich heute nach Mittage
+mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um
+das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane
+links bald in einer solchen Menge, dass wir das Boot kaum
+durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich
+nicht erreichen. Es war zu spät; wir mussten fürchten
+verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich
+etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch
+und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am
+Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir
+durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für
+meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu
+bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den
+Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus
+meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie
+weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König
+selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen
+liesse. Die Leute beguckten mich und liessen mich abziehen.
+Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zu
+zubereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich
+glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar
+keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit
+entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser
+schlechtes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste
+Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien
+gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den
+Kommentar
+<!-- pb n="260" facs="#f0286"/ -->
+des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das
+Interesse des Alterthums.</p>
+
+<p>Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen,
+welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir
+der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler
+Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem
+alten griechischen Theater sassen und ausruhten. Landolina
+machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer
+Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte,
+eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine
+Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise
+interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes
+irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise,
+die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache,
+welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und
+hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, dass man
+über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich
+und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht
+erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es
+selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich
+nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere
+ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die
+bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange
+sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar
+geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manchmal,
+setzte Landolina sehr launig hinzu.</p>
+
+<p>Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von
+denen zu Neapel. Was beyde ursprüng<!-- pb n="261" facs="#f0287"/ -->lich
+gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber
+dass beyde in der Folge zu Begräbnissplätzen gedient haben,
+ist ausgemacht. Von den syrakusischen liesse sich vielleicht
+aus dem Bau mehr behaupten, dass sie ursprünglich dazu
+gehauen wurden. Der grosse Unterschied der neapolitanischen
+und syrakusischen besteht darin, dass in den
+neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts,
+und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort
+sind unten die grössern und dann an der Wand herauf die
+kleinern Behälter; hier sind vorn die grössern und dann
+weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so dass in
+Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in
+Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist.
+Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr
+Umstände; ich weiss nicht ob ich Dir deutlich geworden bin.
+Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel
+lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf,
+unten die grösseren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus
+in den Felsen hinein, vorn grössere und hinterwärts immer
+kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als
+Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch
+zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens
+nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine
+alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten
+Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige
+Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und
+Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das
+erste Mal, als wir kamen,
+<!-- pb n="262" facs="#f0288"/ --> war er nicht zu Hause,
+sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten,
+begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder
+mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen
+Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug.
+Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig um
+seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also,
+da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von
+drey und zwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des
+Lebens konnte natürlich die grosse Tour nicht aushalten. Der
+Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die
+Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in
+angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden
+wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster
+aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf
+die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine
+abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr
+gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt;
+vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein
+Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo
+noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und
+schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen
+Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen
+; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer
+griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können:
+das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser
+verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis
+nach Ka<!-- pb n="263" facs="#f0289"/ -->tanien gehen;
+vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden
+haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der
+Baumannshöhle versichert, dass sie sich bis nach Gosslar
+erstrecke.</p>
+
+<p>Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchterlich seyn;
+denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde,
+den man <span class="italic">il ponente</span> nennt,
+welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch
+alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume
+entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein
+kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in
+einem solchen Grade alles verdorret, dass man es sogleich zu
+Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch
+der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf,
+dass er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume
+nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey
+gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die
+Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der
+vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen
+Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige
+Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest,
+besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse
+Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den
+Gipfeln ferner Berge.</p>
+
+<p>Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall; die
+Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur
+zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben
+mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr
+melancholische Viertelstunde, als
+<!-- pb n="264" facs="#f0290"/ --> ich mit Landolina oben
+auf der Felsenspitze von Euryalus sass, der würdige
+patriotisch eifernde Mann über das grosse traurige Feld
+seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und
+sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das
+kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der
+vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und
+liebenswürdigsten Charakter gefunden, und er sprach mit
+schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter
+und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und
+von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein
+hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur
+der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich
+schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und
+Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es
+durchaus. Ehemals schickte man bey der grossen Bevölkerung
+Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der
+Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget
+gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit
+die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger
+litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung
+und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der
+physischen Verschlimmerung des Landes durch die
+Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle
+fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der
+Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige
+Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden,
+wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese
+verschrieenen Ge<!-- pb n="265" facs="#f0291"/ -->genden,
+geben reichlich, wenn man fleissig ist. Sicilien ist ein
+Land des Fleisses, der Arbeit und der Ausdauer. Man will
+jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu
+arbeiten. Es sind freylich wenig grosse Striche hier, die so
+schwelgerisch fruchtbar wären wie das Kampanerthal: aber es
+könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.</p>
+
+<p>Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der
+schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium
+und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und
+hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als
+im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel
+zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht
+tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir
+unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum
+hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus
+ausser Stande zu seyn schnell zu handeln, lässt alle Kaliber
+der Kugeln durch einander werfen und die Munition in
+Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach
+Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die
+Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem
+Verdruss. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser
+verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel
+anzugreifen; mit zehn tausend Mann hätten sie dieselbe mit
+ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger
+Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere
+Maassregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre
+zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er<!-- pb n="266" facs="#f0292"/ -->griffen
+haben. &mdash; Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus.
+Bloss im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die
+Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen.
+Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der
+Ankommenden beständig wieder.</p>
+
+<p>Noch etwas literarisches muss ich Dir doch aus dem
+südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest ich sey
+ganz und gar unter die Analphabeten getreten. Landolina
+lässt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher
+er beweist, dass der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein
+der &#x03BF;&#x03B9;&#x03C5;&#x03BF;&#x03C2;
+&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;
+oder &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; der
+Alten sey. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube
+ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in
+seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im
+Homer heisst es, dass an den Weinstöcken reife Trauben und
+grünende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich
+unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen
+nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus
+kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des
+Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur
+die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums,
+dass sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher
+Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zunächst
+aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen.
+Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit
+wichtiger seyn, als mir Abaccheveten. Er hat mir noch manche
+nicht unange<!-- pb n="267" facs="#f0293"/ -->nehme
+philologische Bemerkung über manche griechische Stelle
+gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank
+wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt
+hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser
+sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, dass
+Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu
+urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse,
+vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey,
+weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik
+gegen die Insel äussere.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Katanien</title>
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+
+<!-- pb n="[268]" facs="#f0294"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Katanien">
+<div class="dateline"><span class="right">Katanien.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>u siehst, ich bin nun auf
+der Rückkehr zu Dir. Syrakus oder vielleicht schon Agrigent
+war das südlichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen ritt
+ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen Führer
+hierher. Man kann die Reise in einem Sommertage sehr bequem
+machen; und wenn man recht gut beritten ist, recht früh
+aufbricht und sich nicht sehr viel umsieht, kann man wohl
+Augusta noch mit nehmen. Die Maulesel machen einen
+barbarisch starken Schritt, und
+das <span class="italic">Pungite, Don Juan, pungite!</span>
+wurde auch nicht gespart. Es war ein herrlicher warmer
+Regenmorgen, als ich Syrakus verliess; der Himmel hellte
+sich auf, als ich aus der Festung war, und die Nachtigallen
+sangen wetteifernd in den Feigengärten und Mandelbäumen so
+schön, wie ich ihnen in Sicilien gar nicht zugetraut hätte,
+da sie sich noch nicht sonderlich hatten hören lassen. Ich
+ging wieder vor der Feigenquelle vorbey und durch einen
+Strich der schönen herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor
+derselben und nach derselben war es wüste; ununterbrochen
+wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des Simäthus. In
+einem Wirthshause am Fusse der Berge, ungefähr, ungefähr
+noch zehn Millien von Katanien, wo ich essen wollte und
+wenigstens Makkaronen suchte, gab der Wirth skoptisch zur
+Antwort: In Katanien sind Makkaronen; hier ist nichts. Der
+Mensch hatte die trotzige murrsinnige Physionomie der
+gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht seine Schuld
+war, und gewann nicht eher eine etwas
+<!-- pb n="269" facs="#f0295"/ --> freundliche Miene, als
+bis ich seinen Kindern von meinem schönen Brote aus Syrakus
+gab; dann holte er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete
+Oliven. In der Gegend des Simäthus war das Wasser ziemlizh
+gross, das man auf die Felder umher auf den Reis leitete.
+Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter wohl nicht recht
+geschickt lenken mochte, fiel in eine morastige Lache des
+Flusses, und bekam meine halbe Personalität unter sich. Mein
+linker Fuss, der wegen einer alten Kontusion nicht viel
+vertragen kann, wurde gequetscht und etwas verrenkt und ich
+kam lahm hier an. Sehr leicht hätte ich eines sehr
+unidyllischen schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus
+sterben können: doch zürne ich desswegen dem Flusse nicht:
+denn er ist doch der einzige Fluss, der diesen Namen auf der
+Insel verdient, und durchaus der grösste, wenn gleich einige
+den Salzfluss bey Alikata oder gar den Himera bey Termini
+grösser machen. Der Simäthus ist ein eigentlicher Fluss, und
+die andern sind nur Waldströme, die sich freylich zuweilen
+mit vieler Gewalt von den Gebirgen herabwälzen mögen, wie
+ich schon selbst die Erfahrung gemacht habe. Das dauert aber
+gewöhnlich nur einige Tage; dann kann man wieder zu Fuss
+durch ihr Bette gehen. Nicht weit diesseit des Simäthus,
+über den hier eine ziemlich gute Fähre geht, führte mich
+mein unkundiger Eseltreiber in Büsche und Moräste hinein,
+dass weder ich, noch er, noch der Esel weiter wussten. Mein
+Schmutz und mein Schmerz am Fusse hatten mich etwas grämlich
+gemacht, so dass ich im Aerger dem Jungen mit der Ruthe
+einige Schläge über das
+<!-- pb n="270" facs="#f0296"/ --> Kollet gab. Er fing an
+jämmerlich zu schreyen; wir erholten uns beyde und er sagte
+mir sodann mit vieler Mauleseltreiberweisheit, das sey sehr
+unklug von mir gewesen, dass ich so wenig Geduld gehabt
+habe; ich habe zwar von ihm nichts zu fürchten, weil er
+ehrlich sey; aber ich sey doch immer in seiner Gewalt. Avis
+dem Leser, der Junge hatte Recht, und ich schämte mich
+meiner Uebereilung; wir versöhnten uns und ritten
+philosophisch weiter. Die fernere Nachbarschaft von Katanien
+ist, für Katanien, schlecht genug gebaut; die ganze Gegend
+des Simäthus könnte und sollte etwas besser bearbeitet seyn.
+In der Nähe der Stadt fängt die Kultur schöner an. Ich liess
+an dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen und
+spazierte oder hinkte die Strasse hinab, wendete mich an die
+erste Physionomie, die mir gefiel und die mich auch in den
+Elephanten sehr gut unterbrachte. Für den beschädigten Fuss
+gab mir ein Arzt bey dem Professor Gambino Muskatennussöl,
+und es ward sogleich besser, und jetzt marschiere ich schon
+wieder ziemlich fest. Das habe ich auch nöthig; denn ich
+will auf den Aetna, wo sich mancher schon den Fuss vertreten
+hat.</p>
+
+<p>Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahlzeit auf,
+mein Freund; und ich glaube fast, es wäre die beste in
+meinem Leben gewesen, wenn nur einige Freunde wie Du aus dem
+Vaterlande mit mir gewesen wären. Aber mein Tischgeselle war
+ein hiesiger Geistlicher, eben die Physionomie, die ich auf
+der Strasse zum Führer bekam. Der Mann ist indessen für
+einen sicilischen Theologen vernünftig genug,
+<!-- pb n="271" facs="#f0297"/ --> und hat mir eben ich
+weiss nicht wie klassisch bewiesen, dass Katanien das
+Vaterland der Flöhe sey. Meine Mahlzeit, Freund, war ganz
+vom Aetna, bis auf die Fische, welche aus der See an seinem
+Fusse waren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die
+Feigen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fusse und von
+der Seite des Berges. Ich bin Willens ihn auf alle Weise zu
+geniessen; desswegen bin ich hergekommen; und wohl nicht
+absichtlich um das Unwesen der Regierung und der Möncherey
+zu sehen. In Katanien ist es wohl von ganz Sicilien und
+vielleicht von ganz Italien noch am hellsten und
+vernünftigsten; das hat Biskaris und einige seiner Freunde
+gemacht, durch welche etwas griechischer Geist wieder
+aufgelebt ist. Es ist hier sogar eine Art von Wohlstand und
+Flor, der den schlechten Einrichtungen in der Insel Hohn
+spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht bey den
+Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier fängt man
+wenigstens an, das Unglück des Vaterlandes, die Unordnungen
+und Malversationen aller Art, die schrecklichen Wirkungen
+der Unterdrückung und des dummen Aberglaubens recht lebhaft
+zu fühlen. Die Mönche haben den dritten Theil der Güter in
+den Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre, das
+sie dem Staate verursachen, so könnte der grässliche
+Druckfehler doch vielleicht noch Verzeihung finden. Aber
+&mdash; mein Gott, wer wird ein Wort über die Mönche
+verlieren! Bonaparte wird sich zu seiner Zeit ihrer schon
+wieder eben so thätig annehmen, wie der Uebrigen, da sie mit
+ihnen zu seinem Systeme gehören. Es entfuhr mir aus
+kosmopolitischem In<!-- pb n="272" facs="#f0298"/ -->grimm
+hier in einer Gesellschaft, dass ich
+sagte: <span class="italic">Les moines avec leur cortege
+sont les morpions de l'humanité</span>. Die Sentenz wurde
+mit lautem Beyfall aufgenommen, und auf manchen
+vorübergehenden Kuttenträger angewendet. Du begreifst, dass
+man schon ziemlich liberal seyn muss, um so etwas nur zu
+vertragen: freylich verträgt man es nicht überall; aber die
+Stimmung ist doch sehr lebendig gegen das Ungeziefer des
+Staats. Die Franzosen haben in der ganzen Insel keine
+geringe Parthey; und diese nimmt es Bonoparte sehr übel,
+dass er nach Aegypten ging und nicht vorher kam und sie
+nahm, welches nach ihrer Meinung etwas leichtes gewesen
+wäre. Muth, Klugheit, allgemeine Gerechtigkeit und
+Humanität, von welchen Eigenschaften er wenigstens die erste
+Hälfte besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache
+gemacht: und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien für
+den Krieg gewesen wäre; wenn es auch nicht mehr so wichtig
+ist, als in den karthagischen Kriegen oder unter den
+Normännern. Alle vernünftige Insulaner sind völlig
+überzeugt, dass sie bey dem nächsten Kriege, an dem Neapel
+nur entfernt Antheil nimmt, die Beute der Engländer oder
+Franzosen seyn werden; und ich gab ihnen mit voller
+Überzeugung den Trost, dass sie sich im Ganzen auf keinen
+Fall verschlimmern könnten, so sehr auch einzelne Städte
+leiden möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und
+sich also nicht zu fürchten.</p>
+
+<p>Es würde zu weitläufig werden, wenn ich anfangen wollte,
+Dir nur etwas systematisch über Literatur und Antiquitäten
+zu schreiben. Andere haben
+<!-- pb n="273" facs="#f0299"/ --> das besser vor mir
+gethan, als ich es könnte. Es hat sich wesentlich nichts
+geändert. Der thätige Geist des alten Biscaris scheint nicht
+ganz auf seinem Nachfolger übergegangen zu seyn; obgleich
+auch dieser noch immer die nehmliche Humanität zeigt. Das
+Kabinet ist wohl nicht ganz in der besten Ordnung. Was mich
+im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat, waren einige
+sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein Torso fast
+von der nehmlichen Gestalt, wie der jetzige Pariser, und den
+Einige diesem fast gleich schätzen, und eine Büste der
+Ceres, die beste die ich gesehen habe. Es sind mehrere
+Statüen der Venus da; aber keine einzige, die mir gefallen
+hätte. Unter den kleinen Bronzen zeichneten sich für mich
+aus, ein Atlas der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur und
+ein Herkules. Es sind auch noch einige andere von
+vortreflicher Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr
+beträchtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter denen
+viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische Mysterien
+sind, die dem Charakter nach aus den Zeiten der römischen
+Kaiser zu seyn scheinen. Manches gehört wohl auf keine Weise
+in eine solche Sammlung, vorzüglich nicht die Gewehre,
+welche wenig Interesse für Künstler und Kenner haben:
+einzelne Anekdoten müssten denn die Stücke merkwürdig
+machen. Vorzüglich schön ist noch eine längliche Vase, wo
+Ulyss und Diomed die Pferde des Rhösus bringen.</p>
+
+<p>Das Uebrige findet man besser und geordneter bey dem
+Ritter Gioeni, dessen Fach ausschliesslich die
+Naturgeschichte ist, und vorzüglich die Naturgeschichte
+Siciliens. Man findet bey ihm alle vulkanische Pro<!-- pb n="274" facs="#f0300"/ -->dukte
+des Aetna, des Vesuv und der liparischen Inseln, und es ist
+ein Vergnügen die Resultate eines anhaltenden Fleisses hier
+zusammen zu sehen. Hier sind alle sicilischen Steine, von
+denen die Marmorarten vorzüglich schön sind. Bey Landolina
+und Biscaris und Gioeni sind Tische, die aus allen
+sicilischen Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach der
+Muscheln findet man wohl selten so schön und so reich als
+bey dem letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die
+verschiedenen niedlichen Sorten von Bernstein, alle aus
+Sicilien, die ich hier nicht gesucht hätte. Ich wusste wohl,
+dass man in Sicilien Bernstein findet, aber ich wusste nicht
+dass er so schön und gross angetroffen wird: und ich habe
+aus der Ostsee keine so schönen Farben und Schattierungen
+davon gesehen. Die Arbeiten waren sehr niedlich und
+geschmackvoll. In der neuern Chemie und Physik muss man
+indessen nicht sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es
+wurde zufällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft
+war nicht ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man
+gestand sogar Deinem idiotischen Freunde eine Stimme über
+die spezifische Schwere des Metalles zu. Endlich musste
+unser Landsmann Bergmann den Zwist entscheiden, und ich war
+wirklich seinem Ausspruche am nächsten gekommen. Der Ritter
+und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität und
+unermüdetem Eifer für die Wissenschaft.</p>
+
+<p>Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsgebäude einer
+theologischen Doktorkreation beyzuwohnen. Der Saal ist gross
+und schön und hell. Rund herum sind einige grosse Männer des
+Alterthums nicht übel
+<!-- pb n="275" facs="#f0301"/ --> abgemahlt, von denen
+einige Katanier waren; nehmlich Charondas und Stesichorus;
+auch Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre
+hier zu seyn; sodann der Syrakusier Archimed. Theokrit war
+den frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht hier.
+Der Kandidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich
+gutem Latein die Lobrede der Stadt und der Akademie
+Katanien. Der Promotor hielt sodann der Theologie eine
+Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloss der
+guten Sprache wegen nur in Sicilien noch verzeihe. Nun,
+dachte ich, wird die Disputation angehen; und vielleicht
+vergönnt man sogar, da die Versammlung nicht zahlreich war,
+dem Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das war
+schon alles <span class="italic">inter privatos
+parietes</span> mit dem Examen abgemacht: man gab dem
+Kandidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen
+fort. Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber
+gut gewählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein
+freundlicher verständiger Mann. Er zeigte mir eine erste
+Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln anfing, und die, wie
+er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.</p>
+
+<p>In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche
+eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch fliesst, war
+die Luft so übel, dass der Professor Gambino es nur einige
+Minuten aushalten konnte. Meine Brust war etwas stärker;
+aber ich machte doch, dass ich wieder heraus kam. Sie werden
+selten besucht. Auch in den dreyfachen Korridoren des
+Theaters etwas weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde
+herum:
+<!-- pb n="276" facs="#f0302"/ -->
+von hier hat der Prinz Biscaris seine besten Schätze
+gezogen. Auch hier ist ein Aquedukt des Amenanus,
+aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes
+Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist.
+Die Kommission der Alterthümer hat aber nun die
+Oberaufsicht, und kein Eigenthümer darf ohne ihre
+Erlaubniss einen Stein regen.</p>
+
+<p>Das Kloster und die Kirche der reichen Benediktiner sind
+so gut als man eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche
+gilt für die grösste in ganz Sicilien und ist noch nicht
+ausgebaut; an der Fassade fehlt noch viel. Sie mag dessen
+ungeachtet wohl die schönste seyn. Die Gemälde in derselben
+sind nicht ohne Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des
+Morealese, werden billig geschätzt. Am meisten thut man sich
+auf die Orgel zu gute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von
+Don Donato del Piano gebauet worden ist. Er hat auch eine in
+Sankt Martin bey Palermo gebaut; aber diese hier soll, wie
+die Katanier behaupten, weit vorzüglicher seyn. Man hatte
+die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Fremde
+nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu lassen; und ich
+glaube selbst in Rom keine bessere gehört zu haben.
+Schwerlich findet man eine grössere Stärke, Reinheit und
+Verschiedenheit. Einige kleine Spielwerke für die Mönche
+sind freylich dabey, die durchaus alle Instrumente in einem
+einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich ein
+Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch
+gehört. Die Abenddämmerung in der grossen schönen Kirche,
+und dann die feyerlich schaurige Beleuchtung wirkten
+<!-- pb n="277" facs="#f0303"/ --> mit. Die Bibliothek und
+das Kabinet der Benediktiner sind ansehnlich genug, und
+könnten bey den Einkünften des Klosters noch weit besser
+seyn. Im Museum finden sich einige hübsche Stücke von Guido
+Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere
+griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf
+einer Marmortafel ist so gelehrt, dass sie, wie man sagte,
+auch die gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben
+erklären können: auch Viskonti nicht. Ich hatte nicht Zeit;
+und was wollte ich Rekrut nach diesem athletischen Triarier.
+Doch kam es mir vor, als ob sie in einem späteren
+griechischen Stile das Märterthum der heiligen Agatha
+enthielte. Wenn Du nach Katanien zu den Benediktinern
+kommst, magst Du dein Heil versuchen. In der Bibliothek
+bewirthete man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit
+mit den
+<span class="italic">Actis eruditorum</span>, die in einer
+Klosterbibliothek in Katanien auch wirklich eine Seltenheit
+seyn mögen. Die Byzantiner waren alle
+mit <span class="italic">Caute</span> in Verwahrung gesetzt,
+und werden nicht jedem gegeben. Als einen, sehr grossen
+Schatz zeigte man mir eine ausserordentlich schön
+geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin, und verschüttete
+die gute Meinung der Herren fast durch die voreilige
+Bemerkung, es wäre Schade, dass der Kopist gar kein
+Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an; ich war also
+genöthigt zu zeigen, dass er aus dieser Unwissenheit vieles
+idiotisch und falsch geschrieben habe. Die guten Leute waren
+verlegen und legten ihr Heiligthum wieder an seinen Ort, und
+ihre Mienen sagten, dass solche Schätze nicht für Profane
+wären. Der Pater Sekretär, ein feiner gebildeter
+<!-- pb n="278" facs="#f0304"/ --> Mann, der in seinem
+Zimmer ein herrliches englisches Instrument hatte, gab mir
+einen Brief an ihren Bruder oben am Berge im Namen des Abts,
+da er hörte, dass ich auf den Berg wollte. Er schüttelte
+indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche
+Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde
+unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen
+Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hinauf zu kommen. Er
+erzählte mir von einigen Westphalen, die es auch bey der
+nehmlichen Jahrszeit gewagt hätten, aber kaum zur Hälfte
+gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich
+liess mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht
+werth gewesen nordamerikanischen und russischen Winter
+erlebt zu haben.</p>
+
+<p>Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte, und
+steht im Kredit, dass es damit viel gutes thut. Das heisst
+aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulenzer ernähren
+hundert Bettler; dadurch werden beyde dem Staate unnütz und
+verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch
+nicht essen, sagt unser alter Sirach; und ich finde den
+Ausspruch ganz vernünftig, auch wenn er mir selbst das
+Todesurtheil schriebe.</p>
+
+<p>Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nehmlichen
+Klosters, der hinter den Gebäuden auf lauter Lava angelegt
+ist, und wo man links und rechts und gerade aus die schönste
+Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene
+hat. Die Lavafelder geben dem Ganzen das Ansehen einer
+grossen mächtigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten,
+neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein
+Kano<!-- pb n="279" facs="#f0305"/ -->nikus einen
+kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von
+Syrakus als eine Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der
+Gang in die Gärten des Prinzen Biscaris in der nehmlichen
+Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für eine Spielerey;
+aber er hat gezeigt, was Fleiss mit Anhaltsamkeit und etwas
+Aufwand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung
+grünt und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den
+schönsten Blumen aller Art. Der Gärtner brachte mir die
+gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte mehrere Blumen in
+mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.</p>
+
+<p>Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablissement
+für Manufakturen gemacht: und ob dieses Etablissement gleich
+noch nicht weit gediehen ist, so ist doch durch die
+Vernichtung des Klosters schon viel gewonnen. In der
+Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues
+Gemälde, ungefähr sechs Fuss im Quadrat, von der letzten
+grossen Eruption des Berges 1669, die fast die Stadt zu
+Grunde richtete. Ein ächter Künstler sollte es nehmen und
+ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch
+Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück
+werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht
+nichts ähnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten
+sollen; da war mehr als sein Brand.</p>
+
+<p>Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus den
+Lavaschichten heraus fliesst steht noch etwas von der alten
+Mauer Kataniens, ungefähr in gleicher Entfernung zwischen
+dem Molo links und dem Lavaberge rechts, der dort weiter in
+die See hinein sich empor
+<!-- pb n="280" facs="#f0306"/ --> gethürmt hat. An dem Molo
+hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich
+fürchte aber die See wird gewaltiger seyn als die Arbeit.
+Wenn links ein Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den
+Wogensturz von Kalabrien her etwas dämmte, so wäre eher
+Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der ich nichts
+wusste, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige
+verständige Leute pflichteten mir bey. Katanien wird sich
+wohl müssen mit einer leidlichen Rhede begnügen, wenn nicht
+vielleicht einmal der Aetna, der grosse Bauer und Zerstörer,
+einen Hafen bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins
+Meer schiessen, wie er rechts gethan hat, so ist er fertig.
+Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Strasse
+Ferdinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her, ist
+die Hauptstrasse: eine andere, die ihr etwas aufwärts
+parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Katanien so
+fort arbeitet, macht es sich nach einem grossen Plane zu
+einer prächtigen Stadt. Fast alle öffentliche Monumente sind
+von der Kommune aus eigenen Kräften bestritten, und es sind
+derselben nicht wenig: des Hofes geschieht nur
+Ehrenerwähnung. Es ist der lieblichste Ort, den ich in
+Sicilien gesehen habe, und übrigens sehr wenig mit der
+Regierung in Kollision; so dass viel gutes zu erwarten ist.
+Die Dazwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau
+meistens das natürliche Gedeihen der freyen Industrie.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<!-- pb n="[281]" facs="#f0307"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Messina">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Messina</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">I</span>ch muss mich etwas fassen,
+dass ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit
+mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich
+Geduld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar
+schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in
+Katanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand und der
+sich als einen sehr guten Hodegeten ankündigte, besorgte mir
+eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Thiere, der mit mir
+die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll
+Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken
+durchritt ehe ich am Sandkloster ankam, weiss ich nicht
+mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen
+Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen
+Layenbruder haben, welcher die Oekonomie besorgt denn sie
+haben rund umher weite Distrikte von Weinbergen. Bey den
+Mönchen gilt selten das Sprichwort, im Weine ist Wahrheit;
+sondern im Weine ist Schlauheit. Ich kann mir nicht helfen,
+und wenn mich die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen,
+je grösser das Kloster, desto grösser die Sottise. Die
+Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonsequente und
+Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut
+fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren
+freundlich und höflich. Der Layenbruder hier im Sande war
+etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen
+Empfehlungsbrief, betrachtete ihn und sagte mir ganz
+trocken: Der Abt,
+<!-- pb n="282" facs="#f0308"/ --> mein Vorgesetzter, hat
+ihn nicht unterschrieben; er geht mich also nichts an. Das
+ist schlimm für mich, sagte ich: Ja wohl! sagte er. Was soll
+ich nun thun? fragte ich: Was Sie wollen; antwortete er. Er
+besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen
+auf. Er fragte mich, ob ich mit essen wollte; und ich machte
+natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war.
+Wir setzten uns und über Tische ward mein Wirth
+freundlicher. Mein Maulesel mit dem Führer wurde nach dem
+nächsten Orte Nikolosi geschickt und mir Quartier und Pflege
+gesichert. Man meldete, dass eine fremde sehr vornehme
+Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen
+wollte: das war mir lieb. Wir assen dreyerley Fische. Denke
+Dir, ein Layenbruder der Benediktiner in der höchsten
+Wohnung am Aetna zur Fasten dreyerley Fische! Denn über
+diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber,
+und weiter nichts mehr in der Waldregion bis hinauf an die
+alte Geisshöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern
+Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns
+trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von
+Geistlichen zu seyn. Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche
+und liess ihn den andern vorlesen: da ergab sich mir denn
+erst, dass der Herr Layenbruder wohl gar nicht lesen konnte.
+Der Brief lautete ungefähr, dass der Pater Sekretär ihm im
+Namen und auf Befehl des Abtes schreibe, dem deutschen
+reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre,
+nach Würden bestens zu bewirthen. Von meiner Entfernung war
+nun gar nicht mehr die
+<!-- pb n="283" facs="#f0309"/ --> Rede. Der Bruder erzählte
+mir seine Reisen und seine Schicksale, und dass ihn der
+Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerey und segnete
+sich. Er liess sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch
+etwas angelegener seyn, als der palermitanische
+Steuerrevisor in Agrigent, fand mich aber ganz
+refraktarisch: er musste mich mit seinem besten Futter in
+die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er
+brauchte, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch
+einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seyen auf dem Berge
+schon viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt
+gefunden würde, nicht einmahl christlich begraben werden.
+Das war nun freylich ein triftiges Argument; denn bey diesen
+Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so
+sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im
+ähnlichen Falle aus bat, man möchte ihm nach dem Tode einen
+Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann
+schüttelte den Kopf und &mdash; trank sein Glas. Nun wurde
+mir ein Führer bestellt, der theuer genug war, und auf alle
+Fälle alles in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft
+nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung getroffen
+worden war, wurde gemeldet, dass die Engländer nicht kommen
+würden, sondern in Nikolosi blieben. Darüber war der Mann
+Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft, wie Elisa der
+Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Katanien
+und oben in Nikolosi. Ich machte eine Ausflucht gegen über
+auf die <span class="italic">Monti rossi</span>, die sich
+bey der letzten grossen Eruption gebildet haben, vermuthlich
+von der Farbe
+<!-- pb n="284" facs="#f0310"/ --> den Namen tragen und von
+ihren Gipfeln eine herrliche Aussicht geben. Man hat eine
+starke Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen
+sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuern Lavastrom der
+hier ausbrach, alles umwälzte und zernichtete, einen grossen
+Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als
+eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiss wohl,
+dass Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so
+von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche
+ziemlich unterrichtete Männer waren. Als ich herunter stieg,
+begegnete ich zwey Engländern von der Parthie aus Nikolosi,
+die den nehmlichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer
+waren fünfe, lauter Offiziere von der Garnison aus Malta,
+die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mit sehen
+wollten; ein Major, ein Hauptmann und drey Lieutenants. Sie
+freuten sich noch einen zur Parthie zu bekommen, und ich
+holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den
+Engländern ins Wirthshaus nach Nikolosi, wo schon vorher
+mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte ein finsteres
+Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige
+Flüche über uns Ketzer alle: ich dankte und ging.</p>
+
+<p>Hier trieben wir nun, die fünf Britten und Dein Freund,
+unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hatten den Wirth
+vom goldenen Löwen aus Katanien mitgebracht; ich trat zur
+Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich,
+und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die
+Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante,
+von der Themse
+<!-- pb n="285" facs="#f0311"/ --> und vom Nil, und bald
+traf die Kritik einen General bald ein Mädchen. Vorzüglich
+war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse
+originelle Trompetersfrau, die sie nach allen Prädikamenten
+zur Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen
+Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze
+Karavane zu Maulesel; sechs <span class="italic">Signori
+Forestieri</span>, zwey Führer mit Laternen und ein
+Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten
+April zu Mitternacht, oder den siebenten des Morgens. Den
+vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend
+ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf so wie wir aus
+dem Wirthshause zogen. Wir gingen bey meinem Mönch in
+Sankt <span class="italic">Nicolas del bosco ove della
+rena</span> vorbey. Es war frisch und ward bald kalt, und
+dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm. Dann
+deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann sangen
+wir <span class="italic">God save the king</span>, nach
+Händel, und
+<span class="italic">Britannia, rule the waves</span>, und
+andere englischpatriotische Sachen. Jeder gab seinen
+Schnak. <span class="italic">We are already pretty
+high</span>, sagte der Eine; <span class="italic">it is a
+bitter nipping cald</span>, der
+Andere. <span class="italic">Methinnks, I hear the dogstar
+bark, and Mars meets Venus in the dark</span>; fuhr ein
+Dritter fort. <span class="italic">Is that not smoke
+there?</span> fragte ein subalterner
+Myops; <span class="italic">I believe I see already old Nock
+smoking his pipe. But, my dear</span>, sagte der
+Major, <span class="italic">You are purblind upon your
+starboard eye; it is an oaktree</span>. So war es; das gab
+Gelächter, und wir ritten weiter. Bald kamen wir aus der
+bebauten Region in die waldige, und gingen nun unter den
+Eichen immer bergauf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der
+Gegend
+<!-- pb n="286" facs="#f0312"/ --> der Geisshöhle an, die
+aber jetzt ausser Uebung kommt. Der Fürst von Paterno hat
+dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bey
+einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und
+ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht
+besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als
+nichts und vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben
+wir eine kleine Halbestunde, bestiegen wieder unsere
+Maulthiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den
+Schnee hinein. Ungefähr eine Viertelstunde über dem Hause
+und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee
+fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her hier und
+da neu und alt lag. Wir mussten nun absteigen und unsere
+Maulthiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und
+das Steigen sehr beschwerlich. Unsere Führer riethen uns nur
+langsam zu gehen, und sie hatten Recht: aber die Herren
+ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht
+Recht.
+<span class="italic">Methinks I smell the morning
+air</span>, sagte der Major, und fuhr ganz drollig fort, als
+ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein
+Lavastück fiel und über den Fuss
+klagte: <span class="italic">Alack</span>, <span class="italic">what
+dangers do inviron the man that meddles with cold
+iron!</span> Die Kälte des Morgens ward schneidend und die
+Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche
+Parthie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die
+Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des so
+genannten Philosophenthurms, und die Sonne stieg eben
+glühend über die Berge von Kalabrien herauf und vergoldete
+was wir von der Meerenge sehen konnten, die
+<!-- pb n="287" facs="#f0313"/ --> ganze See und den Taurus
+zu unsern Füssen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne
+Wolken; um desto magischer war die Scene. Hinter uns lag
+noch alles in Nacht und vor uns tanzten hier und da
+Nebelgestalten auf dem Ocean. Wer kann beschreiben? Nimm
+deinen Benda, und lass auf silbernem Flügel dem Mädchen auf
+Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht Etwas von unserm
+Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns
+Titan auf; aber wir waren über dem werdenden Gewitter: es
+konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend
+und hoch aufschreyend um die Trümmern herum; denn er hatte
+die Finger erfroren. Wir halfen mit Schnee und rieben und
+wuschen, und arbeiteten uns endlich zu dem Gipfel des Berges
+hinauf. Mich däucht, man müsste bis zum Philosophenthurm
+reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die
+Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich desswegen nicht
+von der Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr
+gehen; man muss steigen, und zuweilen klettern, und zuweilen
+klimmen. Es scheint noch eine Viertelstunde bis zur höchsten
+Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stündchen Arbeit.
+Die Britten letzten sich mit Rum, und da ich von dergleichen
+Zeug nichts trinke, ass ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine
+aus der Tasche. Sie waren ziemlich gefroren; aber ich habe
+nie so etwas köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen
+mehr hatte, denn der Appetit war stark, stillte ich den
+Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre
+der deutschen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande
+<!-- pb n="288" facs="#f0314"/ --> der grossen ungeheuern
+Schlucht, in welcher der Krater liegt. Einer der Führer kam
+nach mir, dann der Major, dann der zweyte Führer, dann die
+ganze kleine Karavane bis auf den Herrn mit den erfrorenen
+Fingern. Hier standen und sassen und lagen wir, halb in dem
+Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes eingehüllt und keiner
+sprach ein Wort und jeder staunte in den furchtbaren Schlund
+hinab, aus welchem es in dunkeln und weisslichen Wolken
+dumpf und wüthend herauftobte. &mdash; Endlich sagte der
+Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft
+machte: <span class="italic">Now it is indeed worth a young
+man's while to mount and see it; for such a sight is not to
+be met with in the parks of old England</span>. Mehr kannst
+Du von einem ächten Britten nicht erwarten, dessen
+patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter
+ambrosisch bewirthet.</p>
+
+<p>Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag
+vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen
+Felsenwand, und bückten uns über eine steile Kluft von
+vielleicht sechzig bis siebzig Klaftern hinaus. Einige
+legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe vor
+Schwindel zu sichern. In dieser Schlucht lag tief der
+Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der
+entgegengesetzten Seite hinüber warf. Der Wind kam von der
+Morgensonne und wir standen noch ziemlich sicher vor dem
+Dampfe; nur dass hier und da etwas durch die Felsenspalten
+heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit vor den
+ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinunter ganz nahe
+an den Rand des eigentlichen Schlun<!-- pb n="289" facs="#f0315"/ -->des
+zu kommen. Bloss von der Seite von Taormina, wo eine sehr
+grosse Vertiefung ausgeht, muss man hinein steigen können,
+wenn man Zeit und Muth genug hat, die Gefahr zu bestehen:
+denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödtlich
+werden, und man erstickt wie Plinius. Uebrigens würde man
+wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich
+drey Tage Zeit und einen entschlossenen, der Gegend ganz
+kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben
+unten gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müsste
+aber mit viel grösserer Schwierigkeit von Taormina hinauf
+steigen.</p>
+
+<p>Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt
+hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht
+mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon
+ziemlich hell. Wir sahen das ganze grosse schöne herrliche
+Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten
+Theil desselben. Alles was um den Berg herum liegt, das
+ganze Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit allen
+Städten und Flecken und Flüssen, war wie in magischen Duft
+gewebt. Vorzüglich reitzend zog sich der Simäthus aus den
+Bergen durch die schöne Fläche lang lang hinab in das Meer,
+und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer
+hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel
+durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, dass die
+Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für
+unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in
+die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und
+die Dünste des Himmels,
+<!-- pb n="290" facs="#f0316"/ --> der doch fast unbewölkt
+war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht
+gesehen; und mich däucht, man kann es von hier nicht sehen:
+es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge
+müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen,
+sondern nur die Berge umher. Von den Liparen sahen wir nur
+etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund umher genug
+hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich zu etwas
+Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer
+Sitte: <span class="italic">Now be sure, we needs must give
+a shout at the top down the gulf;</span> und so stimmten wir
+denn drey Mahl ein mächtiges Freudengeschrey an, dass die
+Höhlen des furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer
+uns warnten, wir möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht
+die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit
+etwas verändertem Mythus: <span class="italic">la casa del
+diavolo</span> und das Echo in den
+Klüften <span class="italic">la sua risposta.</span></p>
+
+<p>Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag
+ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und
+brauste, und wüthete und tobte und stürmte unaufhörlich aus
+ihm herauf. Einen zweyten Krater habe ich nicht gesehen; der
+dicke Rauch müsste vielleicht ganz seinen Eingang decken,
+oder dieser zweyte Schlund müsste auf der andern Seite der
+Felsen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf
+dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir
+nicht ganz vom Rauche frey; die rothe Uniform der Engländer
+mit den goldenen Achselbändern war ganz schwarzgrau
+geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich
+geändert.</p>
+
+<p><!-- pb n="291" facs="#f0317"/ -->
+Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee
+gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter
+salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom
+Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben, den ich für
+todten Schwefel hielt. Er war heiss und wir konnten unsere
+Füsse darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und
+sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach
+Katanien und Paterno hinab. Die <span class="italic">Monti
+rossi</span> bey Nikolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und
+die ganze grosse ausgestorbene Familie des alten lebendigen
+Vaters, lag rund umher. Nur er selbst wirkte mit ewigem
+Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche ungeheuere
+Werkstatt muss er haben! Der letzte grosse Ausbruch war fast
+drey deutsche Meilen vom Gipfel hinab bey Nikolosi. Wenn er
+wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von
+Taormina, wo nun die Erdschicht am dünsten zu seyn scheint.
+Die Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne doch
+sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen
+war vielleicht noch belohnender als der Aufenthalt auf dem
+obersten Gipfel. Bis zum Philosophenthurm war viel
+Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger
+angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer
+griffen zur Rumflasche und ich hielt mich zum gebratenen
+Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziemlich
+hart gefroren, aber der heisse Hunger thaute es bald auf.
+Indem wir assen, genossen wir das schönste Schauspiel, das
+vielleicht das Auge eines Menschen geniessen kann. Der
+Himmel war fast ganz hell, und
+<!-- pb n="292" facs="#f0318"/ --> nur hinter uns über dem
+Simäthus hingen einige kleine lichte Wolken. Die Sonne stand
+schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war
+glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine
+Fleckchen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie
+Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich was
+folgen würde. Die Flecken wurden zusehens grösser, bildeten
+flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen
+zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut
+und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu
+Moment annahmen. Es schoss in die Höhe und glich einem Walde
+mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Gestalten,
+war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und
+die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf
+das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste
+deckte und das wir tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing
+an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag
+das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem
+unnennbaren Halblichte, so dass wir nur noch den See von
+Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles und die
+Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordostseite, war
+das Werk einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so
+geschmückte Scene wahrscheinlich in meinem Leben nicht
+wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen und auch hier sehr
+selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst
+desswegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten
+dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts
+mehr von dem Gipfel des Berges; alles war
+<!-- pb n="293" facs="#f0319"/ --> in undurchdringlichem
+Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir
+im Hinaufsteigen gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne
+den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer
+halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter
+uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir
+traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her
+nach Katanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte
+Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns
+an das Feuer setzten; nehmlich diejenigen, die es wagen
+durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise eine
+eigene Vorkehrung getroffen. Weiss der Himmel, wer es ihnen
+mag gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in
+Nikolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe,
+und über diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen
+Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie
+sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft
+hatten. Der Aufzug liess sonderbar genug; sie sahen mit den
+grossen Aetnastöcken, von unten auf alle ziemlich aus, wie
+samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen
+Reisezeug mit gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen
+festen Stiefeln. Schon hinaufwärts waren einige holländische
+Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und
+die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie
+natürlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest
+ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir
+fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte Einer der
+jungen Herren die Unvorsichtigkeit ge<!-- pb n="294" facs="#f0320"/ -->habt,
+sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu
+setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie
+Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel
+mitgenommen. Vermuthlich wird er in Katanien oder Malta zu
+kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende
+Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in der Gegend ist:
+unten bey Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste
+stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und
+Füsse. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die
+Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche
+Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in
+Katanien kontraktmässg angeschaft hatte. Wir nahmen
+Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich
+meines Weges hierher nach Taormina.</p>
+
+<p>Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so
+vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine Höhe kann
+ich nicht bestimmen. In einem geographischen Verzeichniss
+wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten
+Alpen: das mögen die mathematischen Geographen ausmachen.
+Der Professor Gambino aus Katanien will diesen August mit
+einer Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere
+Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das Sprichwort
+vom Aetna: <span class="italic">On le voit toujours le
+cha</span><span class="italic">peau blanc et la pipe à la
+bouche.</span> &mdash; Der Schnee soll nie ganz schmelzen;
+das ist in einem so sehr südlichen Klima viel. Man nennt ihn
+in Sicilien meistens, wie
+bekannt, <span class="italic">Monte Gibello</span>: aber man
+nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von
+Si<!-- pb n="295" facs="#f0321"/ -->cilien oder
+geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe
+ich am häufigsten und zwar auch unten an der südlichen Küste
+gefunden. Mir scheint es überhaupt, dass man jetzt anfängt,
+die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So
+habe ich den Fluss unten nie anders als Simäthus nennen
+hören.</p>
+
+<p>Bis an das Bergkloster der Benediktiner, ist der Aetna
+von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut bebaut; weiter
+hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt noch
+alle kahl standen; und nicht weit von der Geisshöhle oder
+dem jetzigen Hause von Paterno, hört die Vegetation auf. Wir
+fanden von dort an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute
+Region giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten
+mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieblichsten
+Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle
+Orangengeschlechter wachsen und blühen in goldenem Glanze.
+Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oehlbaum, dann
+die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie; und dann
+nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fusse triffst Du alles
+dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen
+dazu.</p>
+
+<p>Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur
+auf Einem Punkte, den alten grossen berühmten Kastanienbaum
+in der Ferne. Kaum kann ich sagen, dass ich ihn gesehen
+habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die
+Nacht musste ich in einem kleinen elenden Dörfchen bleiben.
+Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten, besonders
+einige Millien vor der Stadt. Dieser
+<!-- pb n="296" facs="#f0322"/ --> Ort, welcher ehemahls
+unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus
+steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten,
+vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke
+der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das
+fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit
+hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich
+ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung
+durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen
+gesetzt, scheint aber dabey nach sehr willkührlichen
+Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der
+erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich,
+aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und
+doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von
+den Barbaren gelitten. Das alte Schloss, welches noch höher
+als die Stadt liegt, muss schwer zu nehmen seyn. Die heilige
+Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen,
+wenn ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären.
+Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den
+Kommandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht
+honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am
+Fusse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter
+ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen; und
+hätte ich oben ein Wirthshaus finden können, so wäre ich dem
+Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern
+sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr
+Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte
+hier meinen Mauleseltreiber fort und wan<!-- pb n="297" facs="#f0323"/ -->derte
+wieder allein zu Fusse weiter: denn an der See hinauf,
+dachte ich, kann ich nun Messina nicht verfehlen. Ein alter
+Sergeant von Taormina, der mir dort den Cicerone machte,
+wollte mir eine Order an den Kommandanten von Sankt Alexis,
+einen unter ihm stehenden Korporal, mit geben, dass er mir
+das Schloss auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte
+ihm aber mit der Entschuldigung, dass ich nicht Zeit haben
+würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas
+halsbrechend, und hat einige schöne, gut bebaute Schluchten.
+Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur
+zwey kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen und Fische
+und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche
+alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus einige
+Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte.
+Einen gar sonderbaren, langgezogenen, nicht unsonorischen
+Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich
+noch zum nächsten Orte habe, erhielt ich die
+Antwort: <span class="italic">Saruhn incuhra cinquuh
+migliah</span>; welches jeder ohne Noten verstehen wird.</p>
+
+<p>Diese Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube
+ich, Giumarrinese hiess, und noch achtzehn Millien von
+Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen
+Tage that mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich
+aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut
+sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, dass
+man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien
+vor Messina fand ich wieder Fuhrgleise,
+<!-- pb n="298" facs="#f0324"/ --> welches mir ordentlich
+eine Wohlthat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen
+gesehen. In Syrakus kann man nur eine Viertelstunde an der
+See bis an ein Kloster vor der Stadt fahren: und eine
+geistliche Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den
+Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf, war
+alles was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<!-- pb n="[299]" facs="#f0325"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Messina2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Messina</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">I</span>n der langen Vorstadt von
+Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen, mit
+pompösen lateinischen Inschriften, worin ein Brunnen mit
+Recht als eine grosse Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade,
+dass sie kein Wasser hatten. Die Hafenseite ist noch eine
+furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe Spaziergang
+für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze
+muss gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die Messinesen
+haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sey in der Welt
+nicht so etwas prächtiges mehr gewesen, als ihre Fassade an
+dem Hafen, die sie nur vorzugsweise den Pallast nannten, und
+ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal
+scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht
+gegeben zu haben: Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem
+Fleiss in Jahrhunderten; und das kann ich in einem Momente!
+Die Monumente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits
+und diesseits wurde zerrüttet! &mdash; Nur die
+Heiligennischen an den Enden werden wieder aufgebaut und
+Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut
+einzutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und
+sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekommen durchaus
+nicht mehr als zwey Stockwerke, um bey künftigen
+Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden.
+Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbaren
+Erdbeben überall wenig gelitten.</p>
+
+<!-- pb n="300" facs="#f0326"/ -->
+<p>Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen
+einige nicht schlecht sind. Ich habe stundenlang vor dem
+Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus
+seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf;
+und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von
+so einem Kopfe genommen zu haben. Die heilige Jungfrau ist
+bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du
+kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren
+Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erdbeben hilft,
+so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen
+freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben
+Gelegenheit, eine grosse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren
+zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich
+ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das
+Palmenfest. Mich wundert nicht, dass die Palmen in Sicilien
+nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man
+sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plündert. Alles
+trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben
+konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen.
+Der Aufzug wäre possierlich gewesen, wenn er nicht zu
+ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der
+Kathedralkirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau
+und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern
+Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo
+selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen
+mögen: <span class="italic">Credat Judaeus apella!</span>
+Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten
+vergoldeten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln,
+stieg
+<!-- pb n="301" facs="#f0327"/ --> aus und segnete das Volk
+und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem
+Bau nichts merkwürdiges als die Säulen, die aus dem alten
+Neptunustempel am Pharus sind. Der grosse, prächtige Altar
+war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wunder der
+Arbeit und des Reichthums. Man machte mir Hoffnung, dass ich
+ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, dass mir
+die Sache so gleichgültig schien.</p>
+
+<p>Man sagt, die Hafenseite liege desswegen noch so ganz in
+Trümmern, weil die Regierung sie durchaus eben so schön nach
+dem alten Plan aufgebaut wissen wolle, und die Bürger sie
+nur mit dem übrigen gleich, zwey Stock hoch, aufzuführen
+gesonnen seyen. Mich däucht, das Ganze, ob ich es gleich von
+sehr unterrichteten Leuten gehört habe, sey doch nur ein
+Gerücht: und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten soliden
+Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der
+Regierung. Die Statue des jetzigen Königs, Ferdinand des
+vierten, hat man noch 1792 mitten unter die Trümmern
+gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen
+Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was
+die Leute bey der Aufstellung der Statue eben hier mögen
+gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder
+eine solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient. Die
+Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man
+aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier
+englische Fregatten, und es scheint als ob die Britten über
+die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ihnen die Lage
+derselben vorkommen. Es sind schöne
+<!-- pb n="302" facs="#f0328"/ --> herrliche Schiffe, und so
+oft ich etwas von der englischen Flotte gesehen habe, habe
+ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern ihr
+stolzes <span class="italic">Britannia</span>,
+<span class="italic">rule the waves</span> verziehen; eben
+so wie dem Pariser Didot
+sein <span class="italic">Excudebam</span>, wenn ich die
+Arbeit selbst betrachtete.</p>
+
+<p>Von der Wasserseite möchte es immer etwas kosten, Messina
+anzugreifen: aber zu Lande, von Skaletta her, würde man so
+ziemlich gleich gegen gleich fechten, und der Ort würde sich
+nicht halten. Ich war hier an einen Präpositus in einem
+Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit aber
+ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem
+guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muss. Er
+begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und
+wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte schon in
+der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die Kirche des
+heiligen Gregorius auf einer ziemlichen Anhöhe ist reich an
+Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist
+als dieses, sie giebt von ihrer Fassade links und rechts die
+schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen; und mit
+einem guten Glase muss man hier sehen können, was gegen über
+am Ufer in Italien und in Rhegio auf den Gassen geschieht.
+In dem Hause des Herrn Marini, eines Patriciers der Stadt,
+steht als neuestes Alterthum ein Stück einer alten Säule mit
+Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat
+auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, ihre
+Inschrift sey griechisch; aber niemand ist da, der sie
+erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so
+konnte ich
+<!-- pb n="303" facs="#f0329"/ --> doch nicht einmal heraus
+bringen, ob es nur griechichische Lettern waren. Vielleicht
+ist es altes phönizisches Griechisch, und in diesem Falle
+vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor
+haben sehr gelitten, da sie so lange unter der Erde gelegen
+haben. Das Stück ist, so viel ich weiss, noch nicht bekannt,
+und wird sorgfältig aufgehoben. Ich empfehle es Männern, die
+gelehrter sind als ich; da es doch vielleicht für irgend
+einen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.</p>
+
+<p>Die Herren des Klosters luden mich ein zum Fasttage bey
+ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in
+Italien bey Italiänern genossen habe; und sie war stattlich.
+Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten,
+aber nichts zu essen. Das ist nun so die italiänische Weise,
+die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand
+nur aus wenigen Geistlichen: der Layenbrüder, welche die
+Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz
+und war sehr artig und ich sollte dankbar seyn: aber erst
+für Humanität &mdash; <span class="italic">magis amica
+veritas</span>. Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muss
+sie Dir hier nennen, damit Du siehst, wie man an einem
+sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe
+mit jungen Erbsen und jungem Kohlraby; sodann kamen
+Makkaronen mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen,
+Oliven, Kapern und starken aromatischen Kräutern; ferner ein
+Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige grosse
+herrliche goldgelbe Fische aus der See, die ich für die
+beste Art von Börsen hielt; weiter hochgewürzte vor<!-- pb n="304" facs="#f0330"/ -->trefliche
+Artischocken: das Dessert bestand aus Lattichsallat, den
+schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Kastanien und Nüssen:
+alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität,
+und schon einzeln <span class="italic">quantum satis
+superque</span>. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends
+so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich
+Dich, heisst das nicht, mit diesen Fasten einem ehrlichen
+Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bey
+dieser Diät muss man freylich orthodoxen Glauben gewinnen,
+der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige
+Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber
+die Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das
+nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag. Meine
+fusswandelnde Person war wohl nicht so wichtig, dass man
+desswegen eine Aenderung in der Klosterregel sollte gemacht
+haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster
+herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man
+dazu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum
+Heil der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden.
+Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen haben, weiss ich
+nicht; die Herren zeigten mir nichts mehr von ihren übrigen
+Herrlichkeiten. Hier las man mir ein Manuskript von einem
+Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der
+Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte: aber
+nach dem zu urtheilen, was davon gelesen wurde, brauchen wir
+es nicht zu bedauern, dass der Schatz im Kloster liegt; die
+Abhandlung scheint bloss für Mönche pragmatisch.</p>
+
+<!-- pb n="305" facs="#f0331"/ -->
+<p>Die Festung zu sehen, muss man Erlaubniss haben, welches
+etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich
+schon so viel aus der Anlage sahe, dass man mit zwey tausend
+braven Grenadieren ohne Erlaubniss hinein gehen könnte.
+Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der
+Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo
+ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe.
+Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich
+mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig
+durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige
+Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren
+will, gewiss eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind
+die Gestalten vieler Nationen durch einander gruppiert.
+Schon in der Stadt selbst wohnt eine grosse Verschiedenheit,
+und der Fremden sind eine Menge. Einen der schönsten
+Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch
+über die Menschen mich fast der Freudenthränen nicht
+enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem
+mittelländischen Meer die Meerenge herab. Ich weiss nicht,
+ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten
+hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest
+sehen sollen, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast
+übermenschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen
+Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeiteten, um
+die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzosen, Engländer,
+Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe:
+sie waren glücklich und
+<!-- pb n="306" facs="#f0332"/ --> brachtern alles ohne
+Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich
+fast, dass ich nicht reich war, hier den Rettern ein
+menschliches Fest zu geben: aber ein zweyter Augenblick gab
+mir Besinnung; es war so schöner. Das brave bunte Gewimmel
+war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glücklich,
+dass ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, Wurde ich an
+einer Heiligennische <span class="italic">per la santa
+vergine</span> um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann
+forschend an und er fuhr fort: <span class="italic">Date
+nella vostra idea</span>,
+<span class="italic">date pure; sara bene impiegato</span>.
+Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn
+auch betrügen sollte; ich gab.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Palermo</title>
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+<body>
+
+<!-- pb n="[307]" facs="#f0333"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Palermo2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Palermo</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">H</span>ier bin ich wieder von der
+Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der
+beschwerlichste, aber er hat auch viel belohnendes. Die
+Berge hierher waren mir gar fürchterlich beschrieben worden;
+ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und
+setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den alten Messeniern, der
+eisernen Tyranney der Spartaner, der muthigen Flucht der
+braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen,
+Unglücksfällen, Ausartungen und Erholungen, die Seele voll
+von diesen Gedanken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg
+herauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwey so
+schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer
+weitausgehenden Landzunge macht von fern einen hübschen
+Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebaut zu
+seyn. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben
+gelitten. Unten am Pelor sahe ich zum ersten Mal wieder
+grüne vaterländische Eichen und die Nachtigallen schlugen
+wetteifernd aus den Schluchten. Mir ward auf einmal so
+heimisch wohl dabey, dass ich hier hätte bleiben mögen. Es
+geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bey
+Barcellona, wie man den Ort nannte, sah ich das schönste
+Thal in ganz Sicilien; und andere sind, däucht mich, schon
+vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reitzendes
+Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und
+Wein, Bohnen und Weitzen; und die anschliessenden Berge sind
+nicht zu
+<!-- pb n="308" facs="#f0334"/ --> hoch und rauh, sondern
+ihre Gipfel sind noch mit schöner Waldung bekrönt. In Patti
+war kein Pferdestall zu finden; wir ritten also von einem
+Ort zum andern immer weiter am Ufer hin bis Mitternacht.
+Patti dankt, däucht mich, seinen Ursprung, oder wenigstens
+seinen Namen, einem dort geschlossenen Vergleiche in den
+punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich
+vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar
+stürmisch, und es hatte entsetzlich geregnet. Mit vieler
+Mühe konnten wir noch einige Fische und Eyer erhalten. Es
+hatten sich zwey Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina
+kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein
+Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlafstelle:
+diese war auf einem steinernen Absatze neben der Krippe; die
+andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein
+Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir
+seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich es
+habe wagen können ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare
+Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke
+ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien eine
+Hauptmöbel. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen; und
+wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll, so habe ich Talent
+zum Kapuziner, denn ich schlief gut. Den ersten Tag machten
+wir funfzig Millien.</p>
+
+<p>In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen
+Lage, wollten wir die zweyte Nacht bleiben; und dort scheint
+kein übles Wirthshaus zu seyn: aber es war noch zu früh und
+wir ritten mehrere
+<!-- pb n="309" facs="#f0335"/ --> Millien weiter bis Aque
+dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in
+Fontana fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen
+Urbewohner der Insel, gross und stark und rauh und
+furchtbar. Hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerey
+wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von
+Geistlichen hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in
+Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse,
+vor dem er sich zu fürchten schien. Anderwärts war der
+Bekehrungseifer gutmüthig und wohlwollend sanft; hier hatte
+er etwas cyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in
+dem Felsen eine Höhle, in die man mich mit Gewalt führen
+wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht
+Lust, mit solchen Physionomien allein in den Felsenhöhlen
+herum zu kriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Ich
+musste hier für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich
+bemerkte, dass ich für Bett und Zimmer zusammen in Palermo
+nur drey bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz
+skoptisch: Freylich; aber dafür sind Sie auch eben jetzt
+nicht in Palermo und bekommen doch ein Bett. Der Grund war
+in Sicilien so unrecht nicht.</p>
+
+<p>Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr
+einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie
+Santa Maria nannten. Es musste oben fluthend geregnet haben;
+denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses
+macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer
+der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte
+nehmen können, so riesenhaft war er selbst und
+<!-- pb n="310" facs="#f0336"/ --> so gross und zackig der
+wilde Stamm, den er als Stock führte, machte die Gefahr noch
+grösser. Die Gesellschaft hatte sich gesammelt; keiner
+wollte es wagen zu reiten. Meinem Führer war für sich, und
+noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die
+Insulaner sind an grosse Flüsse nicht gewöhnt. Man machte
+viele Kreuze und betete Stossgebetchen an alle Heiligen, ehe
+man den Maulesel einen Fuss ins Wasser setzen liess; und
+dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung.
+An einem solchen Strome, wo ich allein war, wollte mein
+Führer, ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren und
+liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen
+wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht
+an. Ich erklärte ihm rein heraus, ich würde reiten, er
+möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und
+seine Seele schloss er sich auf der Kruppe fest an mich an,
+zitterte und betete; und ich leitete und schlug und spornte
+den Maulesel glücklich hinüber. Da haben uns die lieben
+Heiligen gerettet, sagte er, als er am andern Ufer wieder
+Luft schöpfte: und mein Stock und der Maulesel, sagte ich.
+Der Bursche kreuzigte sich drey Mal, fasste aber doch in
+Zukunft etwas mehr Muth zu dem meinigen. Sodann blieben wir
+in einem einzigen isolierten Hause vor einem Orte, dessen
+Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte sollen
+beständig einen Nomenklator bey mir haben. Das Donnerwetter
+hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt; und es
+schneyte und graupelte bis über einen Fuss hoch. Die
+Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und
+<!-- pb n="311" facs="#f0337"/ --> vielleicht zuweilen gar
+gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind
+und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem grossen
+Wasser eine schöne Scene. Der Fluss war, nach der Meinung
+meines Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und er
+ritt mit mir an demselben hinauf, wo er eine Brücke wusste.
+Der Weg war zwar lang und ich ward etwas ungeduldig; aber
+ich kam in ein Thal, das einen so schönen grossen
+Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch
+nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun
+einmal seine Leidenschaft. Für einige Kreutzer konnte mein
+Magen überall haben so viel er nur fassen konnte: aber meine
+Augen wollten auch zehren, und diese brauchten mehr zur
+Sättigung und liessen dann gern alles hängen und liegen.</p>
+
+<p>Endlich kamen wir in Cefalu an. Für grosse Schiffe ist
+hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich
+den Namen vom Berge, der einer der sonderbarsten ist. Wir
+hatten bisher die liparischen Inseln immer rechts gehabt;
+nun verschwanden sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu
+ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an
+etwas besser zu werden. Es kommen nun viel Reissfelder. Bey
+Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, blühende
+Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahlreich aufbrachen.
+Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die
+ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah. Die
+Leute sind schändliche Verräther an der schönen Natur.</p>
+
+<p>In Termini erholte ich mich; hier findet man
+<!-- pb n="312" facs="#f0338"/ --> wieder etwas
+Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Meine Wirthin war eine
+alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich
+zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie
+examinierte mich theilnehmend über alles; nur nicht über
+meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir
+vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben
+müsste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch
+einen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück erwartete.
+Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so
+war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.</p>
+
+<p>Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über
+Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in
+der Hand auf den Himerafluss hinabschaute, ward
+unwillkührlich eine Elegie in meiner Seele lebendig. Es war
+mir, als ob ich die Göttin der Insel mit noch mehr Schmerz
+als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und
+ich gebe Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in
+die meinige herüber hallte.</p>
+
+<div class="poem">
+<h4> <span class="spaced">Trauer der Ceres.</span></h4>
+Meine Wiege, Du liebliches Eyland, wie bist Du verödet,<br />
+Ach wie bist Du verödet, Du herrlicher Garten der Erde,<br />
+Wo die Götter bey Sterblichen einst den Olympus vergassen!<br />
+Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne,<br />
+<!-- pb n="313" facs="#f0339"/ -->
+Dass sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe!<br />
+Glühend rinnt mir die Thräne, wie sie Unsterblichen rinnet,<br />
+Rinnt mir schmerzlich die Thräne vom Auge beym Jammer des Anblicks.<br />
+Wo, wo sind sie, die Kinder, die fröhlichen seligen Kinder<br />
+Meiner Liebe, die einst mit Tethrippen die Wege befuhren,<br />
+Wo jetzt kaum ein ärmlicher Bastard des Langohrs hinzieht?<br />
+Ach wo find' ich die Männer von Akragas, von Syrakusä,<br />
+Von Selinunt, die stolzen Söhne der stolzeren Väter?<br />
+Die mit Reichthum und Macht die hohe Karthago bedrohten,<br />
+Und die höhere Rom? Wo find' ich die Reihen der Jungfraun,<br />
+Die die heiligen Züge mir führten in bräutlichem Glanze,<br />
+Dass die Olympier selbst mit Neid und Schelsucht herabsahn?<br />
+Schaaren von Glücklichen drängten sich einst aus marmornen Thoren,<br />
+Durch die schattigen Haine der Götter, zu Traubengebirgen,<br />
+Durch die reichen Gefilde, die ich mit Garben bedeckte.<br />
+Eherne Krieger zogen zum Streit, dem Stolze des Fremdlings<br />
+Furcht und Verderben; es hallte von Felsen zu Felsen das Schlachtwort<br />
+Für die Sache der Freyheit und für des Vaterlands Sache.<br />
+Leben und Freude athmeten hoch vom Aetna zum Eryx,<br />
+Vom Simäthus, dem Heerdenernährer, zum fetten Anapus.<br />
+Zeus Kronion, wenn ich mit Stolz die Gesegneten sahe,<br />
+War ich die reichste Mutter und fühlte doppelt die Gottheit.<br />
+Ach wie bist Du gefallen, mein Liebling, wie bist Du gefallen,<br />
+<!-- pb n="314" facs="#f0340"/ -->
+Tief in Jammer und Armuth, Zerstörung und furchtbares Elend!<br />
+Deine Städte, mein Stolz, sie liegen in Trümmern am Meere,<br />
+Ihre Tempel verwüstet und ihre Odeen zerstöret,<br />
+Ihre Mauern verschüttet und ihre Wege verschwunden.<br />
+Im Gefühl des unendlichen Werths des Menschengeschlechtes<br />
+Schritten erhabene Söhne der götterbefreundeten Hellas<br />
+Mächtig durch die Gebirge, und schufen den Felsen zum Tanzsaal<br />
+Gegenüber des Aetna ewigem Feuerhaupte.<br />
+Jetzt durchwandelt die Thale der Jammer des bettelnden Volkes,<br />
+Einsam, scheu, mit Hunger im bleichen gesunkenen Antlitz,<br />
+Nur mit schmutzigen Lumpen die zitternde Blösse behangen.<br />
+Hymnen ertöneten einst den Göttern in glücklichen Chören<br />
+Durch die Städte der Insel; melodisch pflügte der Landmann,<br />
+Schnitt der Winzer und zog die Netze der freundliche Fischer.<br />
+Finster lauscht jetzt Misstraun tief in den Furchen der Stirne;<br />
+Stumm und einsam schleicht es daher, und tönet die Seele<br />
+Unwillkührlich einen Gesang, so klingt er wie Todesangst.<br />
+Gastlich empfingen den Fremdling einst Siciliens Küsten,<br />
+Und er wandelte froh, wie in den Fluren der Heimath.<br />
+Wildniss starret nunmehr dem kühnen Pilger entgegen,<br />
+Und mit der Miene der Mordlust ziehen die Räuber am Ufer.<br />
+Wie einst vor den unwirthlichen Zeiten der alten Cyklopen<br />
+Trägt das Land den Anblick der wildesten Höhlenbewohner;<br />
+<!-- pb n="315" facs="#f0341"/ -->
+Als besäss es noch nicht mein herrliches Aehrengebinde,<br />
+Nicht den friedlichen Oelbaum, nicht die erfreuliche Traube;<br />
+Ünd noch nicht der Hesperiden goldene Früchte.<br />
+Zeus Kronion, Du Retter, rette Trinakriens Schöne<br />
+Dass sie nicht endlich ganz mit der letzten Trümmer vergehe.<br />
+</div>
+
+<p>Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen
+hätte der Minister, der den Weg gebaut hat, ihn mit weniger
+Kosten vermuthlich besser und dauerhafter machen können. Die
+Wasserableitung ist nicht sonderlich beachtet. In der
+Bagaria sah ich von aussen noch einige sublime Grotesken des
+sublim grotesken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem
+Tode nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder
+Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Ungeheuer zu sehen.
+Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur
+Verschönerung der Gegend umher beygetragen hat, so will ich
+ihm die Misshandlung der Mythologie, der ich übrigens selbst
+nicht ausserordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die
+ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo zu, ist
+die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen
+kann, wenn es gleich keine der schönsten und reichsten
+ist.</p>
+
+<p>Mir war es wirklich recht wohl, als ich wieder in die
+Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als
+etwas heimisch betrachtete. Mein Einzug in die Residenz war,
+als ob ich ihn noch bey dem
+<!-- pb n="316" facs="#f0342"/ --> hochseligen Fürsten von
+Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend
+eines Bischofs, vermuthlich des Bischofs von Cefalu, ein.
+Sie war überall mit Schellen behangen und wurde nach der
+Gewohnheit von zweyen der stärksten Maulesel getragen, die
+von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte
+war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den
+Bischof und seine Nichte; denn ich habe es in Sicilien
+durchaus gemerkt, dass die vornehmen Geistlichen viel auf
+Nichten halten. Ein alter dicker satirischer Eseltreiber
+setzte sich gravitätisch hinein, fing an barock daraus zu
+diakonieren und mit grossen Grimassen den Segen zu spenden.
+Die Schellen klangen, er nickte und schnitt ein Bocksgesicht
+und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der
+Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze
+originelle Kavalkade hinter mir mit Schellengeläute in
+Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit ein
+Schauspiel für ein Quartier der Stadt machen können; in
+Palermo lachten bloss zwey Visitatoren.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+<body>
+
+<!-- pb n="[317]" facs="#f0343"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Palermo3">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Palermo auf dem Paketboote</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">M</span>ein alter Wirth hier
+schickte mich zu einem neuen, seinem Freunde, weil sein Haus
+voll war. Ich war hier eben so gut wie dort und noch etwas
+billiger; und hatte überdiess die Aussicht auf den Hafen.
+Nun habe ich wieder meinen Reisegefährten von Seehund,
+welcher den Maro mit einigen andern Kameraden hält. Die Zeit
+wird mir aber so wenig lang, dass ich nur selten die alten
+Knaster aus dem Felle nehme.</p>
+
+<p>Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am Hafen, auf
+welchen die Palermitaner etwas zu halten scheinen, wo aber
+ausser einigen Quinquaillerien, nicht viel zu haben ist. Man
+hat wenigstens dabey die Gelegenheit, fast die ganze galante
+Welt von Palermo spazieren gehen und fahren zu sehen. Es
+sind hier mehr schöne Wagen als in Messina, oh dort gleich
+im Allgemeinen mehr Wohlstand zu herrschen scheint. Es
+herrscht hier, wie fast an allen Höfen, Verschwendung und
+Armuth. In Messina ist man in Gefahr von den Wagen etwas
+gerädert zu werden; aber hier hat man für die Fussgänger am
+Strande eigene Wege gemacht, die für schön gelten. Du magst
+Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen. Noch
+einmahl habe ich die Promenade auf den Monte Pellegrino
+gemacht, als ob ich auch ein heiliger Pilger wäre. Mich
+lockte bloss die Aussicht, wie wohl auch manchen andern
+Pilger bloss irgend eine Aussicht locken mag. Das Wetter war
+mir wieder nicht
+<!-- pb n="318" facs="#f0344"/ --> günstig; ich liess mich
+indessen nicht abhalten, und stieg bis ziemlich auf den
+höchsten Gipfel des Felsenbergs hinauf. Wo das Kloster steht
+ist ein Absatz von etwas fruchtbarem Erdreich, das noch sehr
+gutes Getreide hält. Ich ging hinaus bis an die äusserste
+Spitze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia stehet mit
+ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die
+Fremden aller Länder hatten sich hier verewigt und mir wenig
+Platz gelassen. Alles war voll, und Stirn und Wange und
+Busen des heiligen Rosenmädchens waren beschrieben; es blieb
+mir nichts übrig als ihr meinen Namen auf die Nasenspitze zu
+setzen. Vielleicht dachte jeder durch die Aufsetzung seines
+Namens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze ist
+wenigstens durch den meinigen nicht verdorben worden: und
+dieses ist das einzige Mal, dass ich auf der ganzen Wandlung
+meinen Namen geschrieben habe, wenn mich nicht die Polizey
+dazu nöthigte.</p>
+
+<p>Zwischen diesem isolierten Felsen und der höheren
+Bergkette liegt ein herrliches kleines Thal, das sich von
+der Stadt immer enger bis an die See vorzieht. Es ist
+reichlich gesegnet und der Fleiss könnte noch mehr gewinnen.
+Hier muss nach der Topographie das Städchen Hykkara gelegen
+haben, aus welchem Nicias die schöne Lais holte und nach
+Griechenland brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen
+Hofmannischen Augen den Eryx bey Trapani, und knüpfte in
+vielen schnellen Uebergängen Wieland, Aristipp, und die
+erycinische Göttin zusammen. Weiss der Himmel wie ich in
+diesem Thema auf den Hudibras kam; die Ideenverbindung mag
+wohl etwas
+<!-- pb n="319" facs="#f0345"/ --> schnell und gesetzlos
+gewesen seyn, und ich halte es nicht für wichtig genug sie
+wieder aufzusuchen. Ich guckte hin nach Trapani und sang
+oder murmelte nach einer beliebten Melodie aus Mozarts
+Zauberflöte die schönen harmonischen Verse von Butler, die
+ich immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik gehalten
+habe. Sie passten vortreflich zur Melodie des Vogelfängers.
+Also ich brummte:</p>
+
+<div class="poem">
+<span class="italic">So learned Taliacotius from</span><br />
+<span class="italic">The brawny part of porters bum</span><br />
+<span class="italic">Cut supplemental noses, which</span><br />
+<span class="italic">Would last as long as parent breech;</span><br />
+<span class="italic">And as the date of Knock was out,</span><br />
+<span class="italic">Off dropt the sympathetic snout.</span><br />
+</div>
+
+<p>Ich hatte in meinem musikalischen Enthusiasmus nicht auf
+den Weg Achtung gegeben; und kaum hatte ich die letzte Zeile
+gesungen und wollte die erste wieder anfangen, so fiel ich
+auf die Nase, welches mir selbst auf dem Aetna nicht
+begegnet war, wo doch die Landsleute Butlers in ihren
+Strümpfen alle sehr oft zu Falle kamen. Hatte vielleicht die
+Göttin von Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen
+wollen; die Nase blutete mir. Besser die Nase, als das Herz,
+dachte ich. Auch dieses war mir wohl ehemals etwas enge
+gewesen; jetzt war ihm längst wieder leicht. Ich hatte aus
+Gewohnheit noch ein kleines niedliches Madonnenbildchen an
+einer seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das
+Prädikat der Katholicität erworben hatte. Das Original hatte
+mich
+<!-- pb n="320" facs="#f0346"/ --> königlich betrogen. Jetzt
+nahm ich es unwillkührlich von der linken Seite, nach
+welcher sich das Idolchen immer neigte, schloss
+unwillkührlich das Glas auf, nahm das elfenbeinerne
+Täfelchen heraus und erschrak, als ich es heftig
+unwillkührlich in zehen Stücke zersplittert zwischen dem
+Daumen hielt. War das lauter Rache Rosaliens und der vom
+Eryx? Mögen sie sich an niemand bitterer rächen! Ich hielt
+die Trümmerchen in der Hand; Freund Schnorr mag verzeihen:
+er hatte mit Liebe an dem Bildchen gepinselt. Einige Minuten
+hielt mich Phantasus noch mit Wehmuth am Original; ich sass
+auf einem Felsenstücke des Erkta und sah es im Geist an der
+Spree im goldenen Wagen rollen. Rolle zu; und so flogen die
+Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hinunter.
+Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprungen; noch jetzt dem
+Original. Aber ich stieg nun ruhig den Schneckengang nach
+der Königsstadt hinab; die röthlichen Wölkchen vom Aetna her
+flockten lieblich mir vor den Augen. Ich vergass das
+Gemälde; möge es dem Original wohl gehen!</p>
+
+<p>Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet, und wurde
+zu Hause grässlich bewillkommt. Aber da muss ich Dir noch
+mehreres erzählen, ehe Du dieses gehörig verstehest. Du
+erinnerst dich des guten Steuerrevisors, der sich in
+Agrigent meiner so freundschaftlich annahm, dass er mir fast
+die Menschheit streitig machte. Kaum hatte ich in meinem
+Wirthshause die erste Nacht ausgeschlafen, als mein
+Steuerrevisor zu mir herein trat. Das that mir nun recht
+wohl; denn wer freut sich nicht, dass sich jemand um ihn
+beküm<!-- pb n="321" facs="#f0347"/ -->mert? Er
+erzählte mir, er sey meinetwegen in grossem Schrecken
+gewesen, als der Eseltreiber zurück gekommen, habe geglaubt,
+ich werde nun sicher umkommen, da ich allein ohne Waffen in
+der Insel herum laufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein
+Begleiter, sagte er mir zum Trost, sey völlig von der Paste
+wieder genesen, und er habe die zwey Unzen bis auf den Abzug
+einiger Kleinigkeiten ihm wieder herausgeben müssen. Gut,
+dachte ich; also wieder zwey Unzen gerettet; ich kann sie
+brauchen. Sogleich nach seiner Ankunft in Palermo habe er
+sich nach meinem Wirthshause erkundigt und es bald erfahren.
+Nun sey er seit acht Tagen täglich da gewesen, um
+nachzufragen, Heute früh habe er meine Ankunft erfahren und
+sey sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich ein zu
+ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir nun nicht ganz
+recht; denn ich wäre lieber geblieben wo ich war. Indessen
+der Mann bat so freundlich, war so besorgt gewesen; ich
+packte also ein, und liess hintragen. Er wohnte vor dem
+Thore nach Montreale. Wir assen, und seine Frau, eine heisse
+zelotische nicht unfeine Sicilianerin, fing nun meine
+Bekehrung an. Das Examen ging über Tische und zum Dessert
+von Artikel zu Artikel, von dem Papste und den Mönchen bis
+auf die unbefleckte Empfängniss. Das letzte war das
+Allerheiligste, von dem ich nichts wusste. Die gute Frau
+hätte, wie es schien, lieber ihre eigene Keuschheit in
+Gefahr gesetzt, als das geringste von der Jungferschaft
+Mariens aufgegeben. Man sprach mit aller Wärme und Salbung,
+mich zu überzeugen; aber vergebens. Man fing nun an mir
+Aussichten zu eröff<!-- pb n="322" facs="#f0348"/ -->nen:
+ja, lieber Gott, wenn ich ein anderer Kerl wäre, als ich
+bin, könnte ich im Vaterlande Aussichten haben, wo man sie
+doch am liebsten hat. <span class="italic">Don Juan, fate vi
+cristiano</span>, <span class="italic">et state</span> qui
+in <span class="italic">Sicilia</span>.
+&mdash; <span class="italic">Ma lo sono</span>.
+&mdash; <span class="italic">Ma non siete cattolico</span>.
+&mdash; <span class="italic">Ma sono bene
+cosi</span>; <span class="italic">non si puo meglio</span>.
+Die Frau ass im Eifer Bonbon und trank Wein und ward heftig,
+und da ich denn trocken halsstarrig fort blieb, rief sie in
+heiliger Wuth aus, indem sie den Teller von sich
+stiess: <span class="italic">Ma voi altri voi siete tutti
+baroni f-t-ti</span>. Ueber diese Naivetät erschrak ich, und
+wäre jetzt für zwey Unzen gern zurück in mein Wirthshaus
+gewesen. Nach Tische ging ich zu Rosalien, wie ich Dir
+erzählte. Ich glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut
+gemerkt zu haben und irrte mich doch; ich kam in ein
+unrechtes. Nun wollte ich eben fragen, wo hier Don Filippo
+wohne, als ein Kerl <span class="italic">ladro, briccone,
+furfante</span> heraus schrie und wüthend mit dem Messer auf
+mich zu stürzte. Ich hob so schnell ich konnte die
+Eisenzwinge meines Knotenstocks, flüchtete eben so schnell
+zum Hause hinaus und eilte die finstere Gasse hinunter. Die
+Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne Nachbarschaft,
+dachte ich, und ging in mein altes Gasthaus. Dort war ich
+sehr willkommen. Ich hatte mich eben zu Bette gelegt, als
+der Herr Steuerrevisor kam und mich aufsuchte. Er war
+meinetwegen in Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer
+und sagte, dass ich in einer solchen Nachbarschaft nicht
+wohnen möchte; er liess aber nicht nach bis ich ihm
+versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen, denn diesen Abend
+war ich nicht wieder aus dem Bette zu
+<!-- pb n="323" facs="#f0349"/ --> bringen. Den andern
+Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun
+lebten wir leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene
+wurde bedauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur
+im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn wir zuweilen
+zusammen ausgingen, welches der Herr sehr gut zu
+veranstalten wusste, hatte er immer etwas zu kaufen und kein
+Geld bey sich: ich war also ziemlich stark in Auslage und
+bezahlte jede Mahlzeit dadurch sehr theuer. Ich musste Geld
+haben von dem Kaufmann, und er erbot sich sogar meine
+Geschäfte bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht
+recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller meiner
+indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget,
+dankte und verbat seine Mühwaltung, und holte meine
+Barschaft nicht eher als bis ich abreisen wollte. Er half
+mir zuletzt noch manches besorgen, und da er sich
+meinetwegen bey Nacht etwas enrhümiert hatte, musste ich bey
+dem schlechten Wetter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen.
+Hier erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine
+Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der Insel
+herum reisen, die rückständigen Steuern einzutreiben, und im
+Namen des Königes den Leuten Kleider, Betten und das übrige
+Hausgeräthe wegzunehmen, wenn sie nicht zahlen können. Es
+packte mich bey diesen trockenen Worten eine Kälte, dass ich
+im Wagen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkührlich
+nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen wurden
+vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie gleich nun
+lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,
+<!-- pb n="324" facs="#f0350"/ --> der so grossen
+unglücklichen Appetit an der Paste hatte. Ueberdiess war ich
+mit vielem in Auslage, und es war mir sehr lieb, als der
+Kapitän an Bord rufen liess. Er begleitete mich bis ans
+Wasser im Wagen mit seinen kleinen Mädchen, die in der That
+allerliebst niedliche Geschöpfchen waren. Beym Abschied in
+meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum Geschenk für
+diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse und
+gab ihm schweigend das Goldstück hin. Er hatte mir es sehr
+verübelt, dass ich mir auf dem Paketboote ein Zimmer für
+mich genommen und mich an die Tafel des Kapitäns verdungen
+hatte. Das war nach seiner Meinung Verschwendung, und ich
+hätte für das Viertel der Summe mich unter die Takelage des
+Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher Wirth, der Herr
+Steuerrevisor! Der Wind blieb widrig, wir fuhren nicht ab,
+und ich zog lieber wieder hinaus ins Wirthshaus: gleich
+suchte er mich wieder auf und wollte mich wieder zu sich
+haben. Der Mensch ward endlich unerträglich zudringlich und
+weggeworfen unverschämt, und ich musste noch bey einigen
+Parthien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich recht
+bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn, zu
+benehmen, ass ich in der Auberge unbefangen mit grossem
+Appetit ein Gericht nach dem andern, ohne ihn einzuladen
+oder für ihn zu bestellen. Nun wünschte er mir gute Reise,
+und ich sah ihn nicht wieder, den Herrn Steuerrevisor Don
+Filippo &mdash; &mdash; seinen Geschlechtsnamen will ich
+vergessen. Sterzinger, mit dem ich nachher noch sprach,
+kannte ihn und lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte
+<!-- pb n="325" facs="#f0351"/ -->
+und merkantilische Metamorphosen gemacht, bis er
+zu seiner jetzigen Würde gedieh. Der Himmel lasse
+ihm meine Unzen zur Besserung bekommen!</p>
+
+<p>Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora am
+Hafen ist nun fertig. Der Franzose Julieu hat es gezeichnet
+und ein Palermitaner es nach dem Riss aufgeführt. Die
+Sicilianer sind mit der Ausführung aber nicht mit der Idee
+zufrieden. Wo man rechts und links, auf der Insel und dem
+festen Lande, noch so viele schöne Monumente griechischer
+Kunst hat, ist man freylich etwas schwierig. Die Säulen sind
+nicht rein und oben und unten verziert. Der Saal ist nach
+der Anlage des Linneischen in Schweden, und vielleicht einer
+der prächtigsten dieser Art. Rund umher stehen die Büsten
+der grossen Männer des Fachs in Nischen, von Theophrast bis
+zu Büffon. Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre
+angethan, sein Gesicht unter einem andern alten Namen mit
+darunter zu setzen; eine eigene sonderbare Art von
+Belohnung.</p>
+
+<p>Der alte Cassero oder Corso, in allen italiänischen
+Städten von Bedeutung die Hauptstrasse, hat jetzt seinen
+Namen verändert und heisst Toledo nach der Hauptstrasse von
+Neapel; vermuthlich dem anwesenden Hofe eine Schmeicheley zu
+machen. Uebrigens muss der Hof eben nicht ausserordentlich
+geliebt seyn; denn ich habe oft gehört, dass man nie so
+schlechtes Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier
+Jahre, so lange der Hof hier sey.</p>
+
+<p>Die Polizey scheint hier nicht sehr genau zu seyn, oder
+berechnet Dinge nicht, die es doch wohl
+<!-- pb n="326" facs="#f0352"/ --> verdienten. Vor einigen
+Tagen führte man auf einer breiten Gasse öffentlich ein
+Banditendrama auf. Es war sogar Militärwache dabey um
+Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war gedrängt voll
+Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten grässlich schön, und
+der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich wird er
+mit poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe
+erhalten; aber dergleichen Scenen, wo noch so viel
+natürliche heroische Kraft und Deklamation ist, sind zu
+blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen Plätzen unter
+dem grössten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts;
+jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er
+will. Haben doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns
+angerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem siedenden
+Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer noch eben so
+sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr, als vor zwanzig
+Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon.
+Ich ging den Morgen aus; ein Kerl schoss blutig an mir
+vorbey, und ein anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es
+sammelte sich Volk, und in einigen Minuten war einer
+erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die Wache,
+welche nicht weit davon stand, that als ob sie dabey gar
+nichts zu thun hätte. Dergleichen Auftritte gelten dort für
+eine gewöhnliche Festtagstrakasserie. Sie haben einen
+erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter
+als bey uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den
+Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus
+einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu
+haben. Sie
+<!-- pb n="327" facs="#f0353"/ --> erstechen sich unter
+einander bey der geringsten Veranlassung, hörte ich einen
+kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist
+heilig. Ich möchte mich freylich nicht zu sehr auf meine
+fremde Heiligkeit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne
+Grund. Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Palermo
+in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste Besitzer ich
+gleich beym ersten Anblick klassificiert hatte. Alles
+bestätigte meinen Argwohn und meine Besorgniss. Man speiste
+mich indessen leidlich und machte mir sodann ein Lager auf
+einer Art von Pritsche, so dass alle Schiessgewehre und
+Dolche in einem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte
+mich auch darauf aufmerksam, dass ich bewaffnet wäre, und
+ich schlief nun ziemlich ruhig.</p>
+
+<p>Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekommen, weil das
+Wetter beständig sehr unfreundlich war, und ich mich die
+letzten Tage nicht entfernen durfte, da man mit dem ersten
+guten Winde abfahren wollte. Die Mönche dort oben sollen die
+prächtigste Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das
+Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man bey seinen
+Priestern und durch seine Priester sieht, so wäre der
+Stifter der hassenswürdigste der Menschen. Das astronomische
+Observatorium auf dem Schlosse konnte ich nicht füglich
+sehen, weil Piazzi nicht zugegen war. Uebrigens bin ich
+auch ein Laie am Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige
+Wirkung auf die Insel, dass die Sicilianer nun ihre Göttin
+unter den Sternen finden; bisher haben sie das Heiligthum
+der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver<!-- pb n="328" facs="#f0354"/ -->achtet.
+Eine vaterländische Neuigkeit ist mir noch aufgestossen. Der
+Kaiser Karl der Fünfte hat um Sicilien grosse Verdienste,
+und sein Andenken ist billig den Insulanern ehrwürdig.
+Ueberall findet man noch Arbeiten von ihm, die seinen
+thätigen Geist bezeichnen, und die jetzt vernachlässigt und
+vergessen werden. Die Wachthürme rund umher, die er nach
+seiner afrikanischen Unternehmung aufführen liess, zeigen
+von seinem Muth und der damaligen Kraft der Insel. Seine
+Bildsäule steht also in Palermo fast mitten in der Stadt am
+Toledo auf einem freyen Platze; aber mit einem Bombast, der
+nicht in der Natur des Mannes lag. Er hat in der Inschrift
+eine lange Reihe Beynamen, und heisst unter andern,
+vermuthlich wegen der Mühlberger Schlacht, auch der Sachse
+und Hesse. Könnte man nun unsern Kurfürsten Moritz, dessen
+Enkomiast ich übrigens nicht ganz unbedingt werden möchte,
+nicht wegen der Ehrenberger Klause den Oestreicher und
+Spanier nennen? Sein Sieg war bedeutend genug und die Folge
+des Tages für die Protestanten auf immer wichtig.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Kapri</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[329]" facs="#f0355"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Kapri">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Bey Kapri</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>er Wind schaukelt uns ohne
+Fortkommen hin und her, und fast schon den ganzen Tag tanzen
+wir hier vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und
+zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, welches
+jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von Neapel
+ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns aus dem Hafen
+heraus. Den andern Morgen hatten wir Sicilien und sogar
+Palermo noch ziemlich nah im Gesichte; der Rosalienberg und
+die Spitzen von Termini und Cefalu lagen ganz deutlich vor
+uns: das andere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere
+Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen, um
+die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem Paketboot zu
+machen. Das letztere hat auch zwanzig Kanonen und ist zum
+Schlagen eingerichtet. Wir sassen lange zwischen Ustika und
+den liparischen Inseln, und ich las, weiss der Himmel wie
+ich eben hier auf diesen Artikel fiel, während der
+Windstille die Georgika Virgils, die ich hier besser genoss
+als jemals. Nur wollte mir die Schlussfabel von dem
+Bienenvater nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber
+hierher gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht
+kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologischen
+Vaterlande waren, ein grosses Stück in die Aeneis hinein.
+Hier wollte mir nun, unter vielen Schönheiten im 4. Buche
+die Beschreibung des Atlas wieder nicht behagen, so herrlich
+sie auch klingt. Es ist, dünkt mich, etwas Unordnung darin,
+die man dem Herrn Maro
+<!-- pb n="330" facs="#f0356"/ --> nicht zutrauen sollte. Da
+ich eben nicht viel zu thun habe, will ich Dir die Stelle
+ein wenig vorschulmeistern. Merkur kommt von seinem Herrn
+Vater auf der Ambassade zu Frau Dido hierher. Die Verse,
+heissen, wie sie in meinem Buche stehen:</p>
+
+<div class="poem italic">
+ &mdash; jamque volans apicem et latera ardua cernit<br />
+ Atlantis duri, coelum qui vertice fulcit;<br />
+ Atlantis, cinctum assidue cui nubibus atris<br />
+ Piniferum caput et vento pulsatur et imbre:<br />
+ Nix humeros infusa tegit: tum flumina mento<br />
+ Praecipitant senis, et glacie riget horrida barba.<br />
+</div>
+
+<p>
+Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch: aber er
+bringt auf den obersten Scheitel Sturm und Regen, lässt
+Schnee auf die Schultern fallen, Flüsse aus dem Kinn strömen
+und weiter unten den Bart von Eis starren. Das ist nun alles
+ziemlich umgekehrt, wenn ich meinem bisschen Erfahrung
+glaube. Ich weiss nicht was Heyne aus der Stelle gemacht
+hat. So weit oben werden überdiess wohl schwerlich noch
+Fichten wachsen. Ich überlasse es Dir, Deinen Liebling zu
+vertheidigen; ich selbst bleibe hier mit meiner Hermenevtik
+etwas stecken. Wer in seinem Leben keine hohen Berge gesehen
+und bestiegen hat, nimmt so etwas freylich nicht genau.
+Schade um die schönen Verse.</p>
+
+<p>Diese Nacht begegneten uns viele französische Schiffe,
+die ihre Landsleute von Tarent holen wollen. Alles ist
+ungeduldig bald am Lande zu seyn; aber
+<!-- pb n="331" facs="#f0357"/ --> Aeolus hat uns noch immer
+seinen Schlauch nicht gegeben, und wir müssen aushalten. Das
+Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine
+Geduld ist also weiter auf keiner sehr grossen Probe; und
+ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische und
+Englische Gesandte sind auf dem grossen Schiffe; wir haben
+also noch die Ehre ihrentwegen recht langsam zu fahren. Die
+Geschichte des Tags auf unserer Flotte sagt eben, dass der
+Russischen Excellenz ein Pferd krank geworden ist. Wie viele
+von den Leuten seekrank sind, das ist eine erbärmliche
+Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen
+Gesandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bey
+Tische diess und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute
+aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung,
+die ich durchaus von der neapolitanischen Regierung habe. Es
+waren einige sybaritische Herren bey uns, die doch nicht
+lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und
+einzugestehen, was Stoff zu Aergerniss und Sarkasmen gab. Es
+ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch
+und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten,
+Dank sey es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit
+gehabt: ich lege mich ruhig nieder und schlafe.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Neapel</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[332]" facs="#f0358"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Neapel3">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Neapel</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">I</span>ch erwachte im Hafen. Eine
+Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des
+Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey
+Minuten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und
+wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoliveto, wo ich
+sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr
+lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein
+alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte
+den ersten Tag keinen Lohnbedienten erhalten, weil man
+gehört hatte, dass ich viel zu Fusse herum lief und laufen
+wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als
+gewöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische
+Bequemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anekdoten
+hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte
+ich keinen haben.</p>
+
+<p>Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach
+Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegweisern, und ich wurde
+gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich liess mir
+gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern
+und da die alten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus
+andern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschreibung
+verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels
+anatomierte, wir würden desswegen in unsern Konjekturen
+nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des
+Kaligula machen soll, weiss ich nicht: die Meinung der
+Antiquare, dass es
+<!-- pb n="333" facs="#f0359"/ --> ein Molo gewesen seyn
+soll, will mir nicht recht einleuchten. Es sind noch
+dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen
+aus dem Wasser hervorragen. Wenn es nicht zu idiotisch
+klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten
+Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist
+nicht so gross, dass es einem Menschen, wie das Stiefelchen,
+nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen.
+Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der
+Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den
+Julischen Hafen bilden; der Umweg war also etwas grösser als
+jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern weder
+Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinetwegen sey es
+wie man wolle. Ich stieg bey dem Lukriner See aus, der durch
+die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt
+ist er nichts besser als ein grosser Teich. Wir gingen,
+vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch
+welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den
+Averner, zusammen verbunden hatte, um den Julischen Hafen zu
+bilden. Häufige Erdbeben und vulkanische Ausbrüche haben
+alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt
+romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte
+der Sibylle wirklich schön und schauerlich. Ich setzte mich
+am Eingange hin und sah rechts gegen über den alten Tempel,
+der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie
+dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen
+blieb, die ohne grosse Erschütterung der Nachbarschaft
+unmöglich geschehen konnte.
+<!-- pb n="334" facs="#f0360"/ --> Man kann nichts
+romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See
+bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll
+Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in
+dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das
+Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzählung
+nach diesem Orte gearbeitet; denn
+das <span class="italic">Facilis descensus Averni</span>
+scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer
+tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen,
+welches ziemlich voll Wasser war. Hier musste ich mich auf
+den Rükken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts
+und links fand ich hier einen langen Katalog von Neugierigen
+aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die
+Karthager so brav und lange schlugen, der heiligen Rosalia
+auf der Nase; und damit genug. So ganz allein mit einem
+Wildfremden in dieser Höhle herum zu schleichen, mein
+Freund, macht doch etwas unheimisch.</p>
+
+<div class="poem">
+Ein Schauerchen fuhr mir beym Fackelschein<br />
+Im Heiligthum durch das Gebein;<br />
+Das Wasser ging mir in der Höhle<br />
+Des Mütterchens bis an die Seele.<br />
+Mir ward so ernst und feyerlich,<br />
+Und voll von Ehrfurcht setzt' ich mich<br />
+An einem dreyfach dunkeln Flecke<br />
+Auf einen Stein in einer Ecke.<br />
+Mein Führer liess mir eben etwas Zeit<br />
+Mit seiner Stromgelehrsamkeit,<br />
+<!-- pb n="335" facs="#f0361"/ -->
+Und machte sich zur Fahrt ins Licht bereit:<br />
+Da hab' ich denn in aller Stille<br />
+Die alte kumische Sibylle<br />
+Für Dich und mich um Rath gefragt;<br />
+Sie hat mir aber &mdash; nichts gesagt.<br />
+Mit Danke nahm ich ihr Orakel an,<br />
+Und glaube, sie hat wohl gethan.<br />
+</div>
+
+<p>Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter
+mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug
+weckte: <span class="italic">Era questa Sibylla una grande
+putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece</span>
+&mdash; &mdash; Hier brauchte er einige Töne, die in allen
+Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophetin
+sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles
+macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer
+nimmt! Die Leute fabeln hier, dass aus der Höhle ein Gang
+nach Bajä und ein anderer nach Kumä gegangen sey, wo die
+Hexe ein zweytes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht
+möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige
+grosse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen
+und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch
+hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet werden. Die ganze
+Anlage ist ein Werk der Kunst, vielleicht durch die schöne
+romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten
+veranlasst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die
+Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum,
+und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so
+<!-- pb n="336" facs="#f0362"/ -->
+dass der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens
+ist.</p>
+
+<p>Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter und sah die
+ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, dass ich
+nicht im Stande war hinunter zu steigen? Ich hatte mich
+ausgezogen und versuchte es zwey Mal. Der Dampf trieb mir
+aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts
+ging, einen so entsetzlichen Schweiss aus, dass ich
+umkehrte. Ich liess den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine
+vornehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen
+den Schwitzkasten besser vertragen können als ich: das
+Experiment war mir zu heiss. Ob die alten Gebäude, die am
+Strande hinstehen, Tempel oder Bäder gewesen, vermag ich
+nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä
+und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie
+sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey
+Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das
+Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab
+Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören
+wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen
+sind sehr niedlich und geschmackvoll. Ich fand darin ein
+Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem
+kleinen Loche in der Mitte, durch welches ein Drath oder
+Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es
+alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem
+Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippine umgekommen
+seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch
+einige Trümmern ge<!-- pb n="337" facs="#f0363"/ -->zeigt.
+Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen. Was die
+Piscine und die Felsengänge oder die sogenannten Gefängnisse
+des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die
+Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen,
+wie die römischen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren,
+zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind grässlich
+und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle dagegen: wie
+denn alles Grausame bey den Römern schrecklicher und
+scheusslicher war, als bey den Griechen, die Spartaner
+vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel
+trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und
+bis hinab an die elyseischen Felder und das todte Meer sind
+schöne Pflanzungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von
+dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen
+Felsen dieses Namens schliesst. Gegen über liegt nicht weit
+davon sogleich Procida, und man erzählte, dass die Engländer
+im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen
+haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muss aus den
+Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen
+seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, dass ich
+neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von
+Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich
+fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine
+und die nehmliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man
+doch in den Propyläen nicht antreffen sollte.</p>
+
+<p>Ich liess mich von Misene gern über den Meerbusen hinüber
+nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar et<!-- pb n="338" facs="#f0364"/ -->was
+spät aber mit desto besserm Appetit eine herrliche Mahlzeit
+nahm. Der Bajische Meerbusen ist wegen seiner Schönheiten
+berühmt; aber überall, wohin man blickt, findet man nur
+Trümmern, Zerstörungen der Zeit, der Barbarey und der
+Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen
+Sitz der schändlichsten Despotie zu zernichten und nur die
+Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt
+ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die
+Leute behaupten hier mit Gewalt, hier habe ehemals der
+Falerner Berg gestanden und sey in den verschiedenen
+Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine
+Sorte Wein für Falerner, der allerdings besser seyn soll,
+als der ächte Falerner bey Sessa auf der andern Seite des
+Gaurus. Eine sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich
+weiss nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Kapri
+sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo
+und Nisida aus, wie der Kopf eines ungeheuern Krokodils, das
+seinen Rachen nach Surrent dreht. Diese Einbildung kam mir
+immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der
+Tiberiade einen abscheulichen
+Stempel<!-- supplied>.</supplied --></p>
+
+<p>Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht durch ein
+üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber
+als sehr ungesund bekannt, wegen der Solfatara und des
+Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg
+Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und
+nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht
+etwas bange vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du;
+<!-- pb n="339" facs="#f0365"/ --> denn Du fährst, wie ein
+Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Diess ist die berühmte
+Grotte. Vermuthlich war die Veranlassung dazu der
+Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey
+leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so einen
+geraden Weg zu machen. Der Eingang von Neapel ist schöner
+als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung
+der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung
+hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von
+dieser Arbeit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur
+Zeit der Römer muss das Werk nicht unternommen worden seyn;
+denn diese hätten wahrscheinlich etwas davon aufgezeichnet,
+weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon
+ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von
+Neapel aus, ein Behältniss eingehauen, welches jeder
+Vernünftige sogleich einer Polizeywache anweisen würde. Aber
+hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und
+dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und daraus
+die Gegend unsicher machen!</p>
+
+<p>Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum
+komme, muss ich vom Anfange anfangen, wenn Du nur
+einigermassen mit mir promenieren sollst. Meine Absicht war,
+so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein
+hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte
+es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdiess drückte
+mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji
+unerträglich; meine Fusssohlen hatten durch langen Gebrauch
+einige Hühneraugen gewonnen, die
+<!-- pb n="340" facs="#f0366"/ -->
+den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich
+liess mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste
+Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen.
+Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien,
+ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich
+um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer
+zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da
+war; ob ich gleich nicht läugnen kann, dass Fleiss
+und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte
+machen können.</p>
+
+<p>In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die
+Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich
+wandelte also in der Stadt herum, und bald fasste mich ein
+Geistlicher bey der Krause, der mir alle Herrlichkeiten
+seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern
+war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen
+Stücke gearbeitet, liesse sich wirklich auch in Rom noch
+sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten
+Erzbischöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten
+gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus
+Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer
+Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr
+schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat.
+Man führte mich auch in das Adyton der Krypte des
+Schutzpatrons, welches Matthäus ist. Hier stand
+die <span class="italic">statua biformis</span> des
+Heiligen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey dieser
+Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die der Apostel
+zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es
+lässt sich wohl begreifen, wie das
+<!-- pb n="341" facs="#f0367"/ --> zuging, und wie irgend
+ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel
+wirkten, dass die Ungläubigen abziehen mussten. Und nach der
+alten Rechtsregel, <span class="italic">quod quis per
+alium</span> &mdash; kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das
+wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu
+amalgamieren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die
+nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrund der Krypte
+stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich
+vergessen habe, deren Blut aber noch beständig floss. Ich
+hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich
+wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den
+vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich
+die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den
+schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir
+stillschweigend die Hand als ich fort ging. Nun brachte man
+mich noch mit Gewalt in eine andere Kirche, wo eine schöne
+Kreuzigung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, sondern
+ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte
+man wohl so etwas heraus oder vielmehr hineinbringen; und
+die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten
+sich, dass ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere
+Reisende; und einer der jungen Herren, die mich begleiteten,
+sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich
+unterrichtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem eine
+grosse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein Hauptführer,
+der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs
+nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas
+zu einer Seelenmesse für mich; das
+<!-- pb n="342" facs="#f0368"/ --> gab ich auch. Schadet
+niemand und hilft wohl; man muss die Gläubigen stärken,
+lautet das Schibolet, das Göthens Reincke der Fuchs von
+seiner Frau Mutter bekommt. Dann bat er sich etwas für seine
+Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und
+zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm hinreichte,
+schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal
+nannte, und von dem ich eben so wenig wusste, wie er zur
+Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen
+war. Darüber entstand Streit zwischen dem Klerikus und dem
+Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, dass
+der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte
+mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey ein
+Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete beyden ganz
+leise, dass ich das nehmliche glaube und es wohl gemerkt
+habe. Es ist ein heilloses Leben.</p>
+
+<div class="poem">
+Mein Freund, Du suchest in Salerne<br />
+Den Menschensinn umsonst mit der Laterne;<br />
+Denn zeigt er sich auch nur von ferne,<br />
+So eilen Kutten und Kaputzen,<br />
+Der heiligen Verfinsterung zum Nutzen,<br />
+Zum dümmsten Glauben ihn zu stutzen.<br />
+Da löscht man des Verstandes Zunder,<br />
+Und mischt mit Pfaffenwitz, des Widersinnes Plunder,<br />
+Zum Trost der Schurkerey, zum Wunder:<br />
+Und jeder Schuft, der fromm dem Himmel schmeichelt,<br />
+Und wirklich dumm ist, oder Dummheit heuchelt,<br />
+<!-- pb n="343" facs="#f0369"/ -->
+Kniet hin und betet, geht und meuchelt;<br />
+Gewiss, Vergebung seiner Sünden<br />
+Beym nächsten Plattkopf lästerlich zu finden.<br />
+</div>
+
+<p>Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muss es Dir nur
+gestehen, dass ich den Artikel von der Vergebung der Sünden
+für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der
+Vernunft zum angeblichen Troste der Schwachköpfe nur hat
+erfinden können. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus,
+den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedanke,
+dass Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit allen seinen
+bösen und guten Werken hingehen müssen, wohin ihm seine
+Natur führt. Eine missverstandene Humanität hat den Irrthum
+zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und
+fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein
+als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache
+durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat,
+bleibt in Ewigkeit gefehit; es lässt sich keine einzige
+Folge einer einzigen That aus der Kette der Dinge heraus
+reissen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Natur
+selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch
+ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff
+der Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur
+in die Welt, um Dich davon zu berzeugen. Soll vielleicht
+dieser Trost grossen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle
+Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu
+Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger werden;
+diese sollen zum Heile der Menschheit ver<!-- pb n="344" facs="#f0370"/ -->zweifeln.
+Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der
+Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer,
+das der Tugend und der Göttlichkeit unserer Natur gebracht
+wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern hann; die Vergebung
+der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein
+Widerspruch, gehört zu den Gängelbändern der geistlichen
+Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur
+die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im
+grössten Umfange und Unfuge regiert; kein rechtlicher Mann
+ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.</p>
+
+<p>Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer, der mir
+sehr problematisch aussah. Er machte mich dadurch
+aufmerksam, dass ich bey ihm ausserordentlich sicher sey,
+weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannten
+grüsste und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts
+geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich
+nicht wegen seiner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in
+der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit,
+mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich ihm
+dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab,
+und blieben die Nacht an der Strasse in einem einzelnen
+Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der
+Landstrasse nach Eboli und Kalabrien trennt. Diese
+Landstrasse geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig
+Millien; dann fängt sie an sicilianisch zu werden und ist
+nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der
+Himmel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich
+<!-- pb n="345" facs="#f0371"/ -->
+wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als
+gewöhnlich.</p>
+
+<div class="poem">
+Ich eilte fort, und Nachtigallen schlugen<br />
+Mir links und rechts in einem Zauberchor<br />
+Den Vorgeschmack des Himmels vor,<br />
+Und laue leise Weste trugen<br />
+Mich im Genuss für Aug' und Ohr<br />
+Durch Gras wie Korn und Korn wie Rohr.<br />
+Balsamisch schickte jede Blume<br />
+Mir üppig ihren Wohlgeruch,<br />
+Der Göttin um uns her zum Ruhme,<br />
+Aus Florens grossem Heiligthume;<br />
+Und rund umher las ich das schöne Buch<br />
+Der Schöpfung, jauchzend, Spruch vor Spruch.<br />
+Die goldnen Hesperiden schwollen<br />
+Am Wege hin in freundlicher Magie,<br />
+Und Mandeln, Wein und Feigen quollen<br />
+Am Lebenstrahl des Segen vollen<br />
+In stillversteckter Eurhythmie;<br />
+Und Klee wie Wald begränzte sie.<br />
+Ich eilte fort, hochglühend ward die Sonne,<br />
+Und fühlte schon voraus die Wonne,<br />
+Mit Pästums Rosen in der Hand,<br />
+An eines Tempels hohen Stufen,<br />
+Wo Maro einst begeistert stand,<br />
+Die Muse Maros anzurufen.<br />
+Die Tempel stiegen, gross und hehr,<br />
+Mir aus der ferne schon entgegen,<br />
+<!-- pb n="346" facs="#f0372"/ -->
+Da ward die Gegend menschenleer<br />
+Und öd' und öder um mich her,<br />
+Und Wein wuchs wild auf meinen Wegen.<br />
+Da stand ich einsam an dem Thore<br />
+Und an dem hohen Säulengang,<br />
+Wo ehmals dem entzückten Ohre<br />
+Ein voller Zug in vollem Chore<br />
+Das hohe Lob der Gottheit sang.<br />
+Verwüstung herrschet um die Mauer,<br />
+Wo einst die Glücklichen gewohnt,<br />
+Und mit geheimen tiefem Schauer<br />
+Sah ich umher und sahe nichts verschont;<br />
+Und meine Freude ward nun Trauer.<br />
+Umsonst blickt Titan hier so milde,<br />
+Umsonst bekrönet er im Jahr<br />
+Zwey Mal mit Ernte die Gefilde;<br />
+Du suchst von allem, was einst war,<br />
+Umsonst die Spur; ein zottiger Barbar<br />
+Schleicht mit der Dummheit Ebenbilde,<br />
+Ein Troglodyt, erbärmlicher als Wilde,<br />
+Um den verschütteten Altar.<br />
+Nur hier und da im hohen Grase wallt,<br />
+Den Menschensinn noch greller anzustossen,<br />
+Dumpf murmelnd eine Mönchsgestalt.<br />
+Freund, denke Dir die Seelenlosen,<br />
+In Pastum blühen keine Rosen.<br />
+</div>
+
+<p>Ich gebe Dir zu, dass in diesen Versen wenig Poesie ist;
+aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit.
+<!-- pb n="347" facs="#f0373"/ --> Ich hielt mich hier nur
+zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher
+nichts als die drey bekannten grossen alten Gebäude, die
+Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein
+elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerliches
+Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in
+der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein
+klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da
+kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund
+umher, versicherte mich einer von den Leuten des Monsignore,
+ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durchsuchte
+selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die
+Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in
+hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen
+Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren
+wären noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie
+vollends alle weggerissen. Das war nun eine erbärmliche
+Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, dass die Rosen
+von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt
+gewesen, dass er sie nicht musste abreissen lassen, dass er
+nachpflanzen sollte, dass es sein Vortheil seyn würde, dass
+jeder Fremde gern etwas für eine pästische Rose bezahlte;
+dass ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster
+gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte
+besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur
+schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige
+Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken,
+und ich habe vielleicht das Verdienst, dass
+<!-- pb n="348" facs="#f0374"/ --> man künftig in Pästum
+wieder Rosen findet: wenigstens will ich hiermit alle
+bitten, die nehmlichen Erinnerungen eindringlich zu
+wiederholen, bis es fruchtet.</p>
+
+<p>Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte
+mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben
+noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter
+meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister
+zurück käme und mich Hyperboreer unter den letzten Trümmern
+seiner Vaterstadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich
+bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für
+gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent.
+Man muss sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich
+einen Bruch zu schreiten. Dass einer von den Tempeln dem
+Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich auf dem Umstand dass er
+der vorzügliche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines
+der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die
+gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über einander
+gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion
+gewesen seyn? Denn es lässt sich nicht wohl begreifen, wozu
+die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte.
+Vielleicht war es auch Bulevterion und Palästra zugleich;
+unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte
+man mir noch eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor
+kurzem gefunden seyn muss, weil ich ihn noch von niemand
+angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein gewöhnlicher
+Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen
+Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch
+<!-- pb n="349" facs="#f0375"/ --> überall sehr deutlich zu
+unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach
+Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor
+ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden
+übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte,
+zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptursache, warum der Ort
+vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist,
+scheint mir das schlechte Wasser zu seyn. Ich versuchte zwey
+Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist
+nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen
+Bergen kommt Salzwasser. Das süsse Wasser musste weit und
+mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation rechtfertigt
+noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist einer der
+schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu
+Fusse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines
+Feigenbaums eine grosse Schlange geringelt, die mich ruhig
+ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz
+von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar
+nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust
+ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, dass
+Virgil <span class="italic">atros colubros</span> anführt,
+die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von
+der Sorte zu seyn.</p>
+
+<p>Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr
+ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär
+kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an
+der Strasse angehalten, und ein Offizier nicht mit der
+besten Physionomie setzte sich geradezu zu mir in die
+Karriole, ohne eine Sylbe Apo<!-- pb n="350" facs="#f0376"/ -->logie
+über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter.
+Ich hörte, dass mein Fuhrmann vorher
+sagte: <span class="italic">E un signore Inglese</span>: das
+half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er
+Posten gefasst hatte, wollte er mir durch allerhand
+Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so
+verblüfft, dass ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt
+stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit.
+Das ist noch etwas stärker als die Impertinenz der deutschen
+Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die
+doch auch zuweilen systematisch ungezogen genug ist. Als ich
+gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein
+Zweyter an: Sie sind ein Engländer? &mdash; Nein. &mdash;
+Aber ein Russe? &mdash; Nein. &mdash; Doch ein Pole? &mdash;
+Auch nicht. &mdash; Was sind sie denn für ein Landsmann?
+&mdash; Ich bin ein Deutscher. &mdash; Thut nichts; Sie sind
+ein Fremder und erlauben mir, dass ich Sie etwas begleite.
+&mdash; Sehr gern; es wird
+m<!-- gap unit="chars" quantity="1"/ -->
+angenehm seyn. Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er
+fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man
+Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben: er führte
+mich und ich ass tüchtig, in der Voraussetzung ich würde für
+mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so
+manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte,
+sagte die Wirthin, es sey alles schon berichtigt. Das war
+ein schöner Gegensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden.
+Er begleitete mich noch in verschiedene Parthien der Stadt,
+besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der
+schönsten Aussichten über den ganzen Meer<!-- pb n="351" facs="#f0377"/ -->busen
+von Salerne hat. Ich konnte mich nicht enthalten, dem jungen
+artigen Manne das schlimme Betragen seines Kameraden zu
+erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich
+in<!-- choice><sic --> in<!-- /sic><corr/></choice --> der Fremde in
+Händel einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offizieres
+wüsste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch
+vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der
+Disciplin gut heisse. Der junge Mann fing nun eine grosse
+lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern
+glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus
+dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch
+hat vierzig umgebracht, sagte der Offizier, als wir weiter
+gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht
+bewiesen werden; erwiederte ich. &mdash; Doch, doch; für
+wenigstens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt
+werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die
+Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er
+ganz leise, &mdash; braucht ihn. Hier fasste es mich wie die
+Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte
+ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre,
+ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit
+zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung
+ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger
+umgeht! Kann man sich eine grössere Summe von
+Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er
+hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem
+unbekannten Freunde. Ach nein, antwortete er; jetzt sitzt er
+wegen eines kleinen Subordinationsfehlers, und morgen früh
+kommt er los. &mdash; Wie<!-- pb n="352" facs="#f0378"/ -->der
+ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde. Die
+Amnestie des Königs hat die Armee und die Provinzen mit
+rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie
+waren brav wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab
+Aemter und Ehrenstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk
+als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der
+Residenz erzählt, auf den Strassen und in Provinzialstädten,
+und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände
+dabey genannt.</p>
+
+<p>Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die
+andern auch gesehen haben, und lief in den aufgegrabenen
+Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die
+Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muss bey dem
+allen prächtig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts
+netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo
+fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit
+eingelegter Bronze vor dem Proscenium ist als ob sie nur vor
+wenigen Jahren gemacht wäre. Die Franzosen haben wieder
+einen beträchtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen
+viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins
+Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen was ihm am
+nächsten liegt, und die Regierung schweigt wahrscheinlich
+mit berechneter Klugheit. Es ist etwas mehr als unartig,
+dass die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst
+sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine
+Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vorzüglich waren
+dabey einige französische Generale, von
+<!-- pb n="351 " facs="#f0379"/ -->
+denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey
+der Sibylle ist es etwas anders.</p>
+
+<p>Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Kaserta und
+ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese hörten, dass ich von
+Portici aus auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag
+Parthie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten
+Esel und ritten. Was vorher zu sehen war geschah; die Dame
+konnte, als wir absteigen mussten, zu Fusse nicht weit fort
+und blieb zurück; und ich war so ungalant mich nicht darum
+zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und
+arbeitete mir nach. Als wir an die Oeffnung gekommen waren,
+aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter
+gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte,
+weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht
+über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte
+ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich
+würde hinauf steigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz
+allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich
+stapelte immer rasch den Sandberg hinauf. Er besann sich
+doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als
+auf den Aetna zu gehen; wenigstens über den Schnee, wie ich
+es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen
+entsetzlich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts,
+als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und
+drückend heiss. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der
+Krater ist jetzt, wie Du schon weisst, eingestürzt, der Berg
+ein beträchtliches niedriger, und es ist gar keine
+eigentliche grössere Oeffnung mehr
+<!-- pb n="352 " facs="#f0380"/ --> da. Nur an einigen
+Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen
+hervor. Man kann also hinunter gehen. Die Franzosen, welche
+es zuerst thaten, wenigstens so viel man weiss, haben viel
+Rotomontade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von
+der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der
+herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von
+meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den
+rechten Weg nicht gefasst, weil ich eine andere kleinere
+Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher auch noch etwas
+Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war
+mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch
+ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht seyn, als
+die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner
+ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist
+fast die nehmliche, wie bey den Kamaldulensern: ich würde
+jene noch vorziehen, obgleich diese grösser ist. Nur die
+Stadt und die ganze Parthie von Posilippo hat man hier
+besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden
+als im Heraufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige
+Wölkchen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward
+Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell.
+Ich hatte schon Durst als die Reise aufwärts ging; und nun
+suchte ich lechzend überall Wasser. Ein artiges liebliches
+Mädchen brachte uns endlich aus einem der obersten Weinberge
+ein grosses volles Gefäss. So durstig ich auch war, war mir
+doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn
+ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde
+<!-- pb n="353 " facs="#f0381"/ --> den Vulkan gerade auf
+diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In
+einem grossen Sommerhause, nicht weit von der heiligen
+Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen
+Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber
+als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des ersten
+wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.</p>
+
+<p>Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen,
+und wir rollten noch in der letzten Abenddämmerung nach
+Neapel. Mit dem Museum in Portici war ich ziemlich
+unglücklich. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah
+bloss das Schloss und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit
+aus Pompeji, einige schöne Lavatische und die Statuen zu
+Pferde aus dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges
+enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige
+bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die
+Statuen selbst sind in der Lava zusammen geschmolzen. So
+viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl
+diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig
+sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich
+eine ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort gesehen,
+wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die
+bronzenen geschmolzen waren. Bekanntlich ist es hier viel
+schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist
+Stein, jene nur Aschenregen. Dort sind nur Weinberge und
+Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt
+darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum;
+und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine
+<!-- pb n="354 " facs="#f0382"/ --> Kirche. Die Dame von
+Kaserta gab mir beym Abschied am Toledo ihre Addresse; ich
+hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.</p>
+
+<p>Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein
+Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische
+Nachbarschaft doch vielleicht ein grösseres Interesse, als
+irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend
+noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz
+nach meinem Genius hatte geniessen können. Ich setzte mich
+im Geist wieder hinauf und überschaute rund umher das schöne
+blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der
+Einbildungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt
+gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.</p>
+
+<div class="poem">
+Vom Schedel des Verderbers sieht<br />
+Mein Auge weit hinab durch Flächen,<br />
+Auf welchen er in Feuerbächen<br />
+Verwüstend sich durch das Gebiet<br />
+Der reich geschmückten Schöpfung zieht.<br />
+Wo steht der Nachbar ohne Grausen,<br />
+Wenn zur Zerstörung angefacht<br />
+Aus seinem Schlund der Mitternacht<br />
+Ihm hoch die Eingeweide brausen?<br />
+Wenn donnernd er die Felsen schmelzt,<br />
+Und sie im Streit der Elemente,<br />
+Als ob des Erdballs Achse brennte,<br />
+Hinab ins Meer hoch über Städte wälzt?<br />
+Der Riese macht mit seinem Hauche<br />
+<!-- pb n="355 " facs="#f0383"/ -->
+Die schönste Hesperidenflur<br />
+Zur dürrsten Wüste der Natur,<br />
+Wenn er aus seinem Flammenbauche<br />
+Mit rother Glut und schwarzem Rauche<br />
+Die Stoffe durch die Wolken hebt,<br />
+Und meilenweit was Leben trinket,<br />
+Wo die Zerstörung niedersinket,<br />
+In eine Lavanacht begräbt.<br />
+Parthenope und Pausilype bebt,<br />
+Wenn tief in des Verwüsters Adern<br />
+Die <!-- choice><sic -->Eeuerfluthen<!-- /sic><corr>Feuerfluthen</corr></choice --> furchtbar hadern;<br />
+Und was im Meer und an der Sonne lebt<br />
+Eilt weit hinweg mit blassem Schrecken,<br />
+Sich vor dem Zorn des Tödtenden zu decken<br />
+Er kocht am Meere links und rechts,<br />
+Bis nach Surrent und bis zu Baja's Tannen,<br />
+Wo er die Bäder des Tyrannen<br />
+Aus der Verwandschaft des Geschlechts,<br />
+Indem er weit umher verheeret,<br />
+Mit seinem tiefsten Feuer nähret.<br />
+Er macht die Berge schnell zu Seen,<br />
+Die Thäler schnell zu Felsenhöhen,<br />
+Und rauchend zeigen seine Bahn,<br />
+So weit die schärfsten Augen gehen,<br />
+Die Inseln in dem Ozean.<br />
+Wer bürget uns, wenn ihn der Sturm zerrüttet<br />
+Dass er nicht einst in allgemeiner Wuth<br />
+Noch fürchterlich mit seiner Fluth<br />
+Den ganzen Golf zusammen schüttet?<br />
+<!-- pb n="356 " facs="#f0384"/ -->
+Nicht alles noch, wo jetzt sein Feuer quillt,<br />
+Aus seiner Werkstatt tiefstem Grunde<br />
+Von Stabiä bis zu dem Schwefelschlunde<br />
+Mit seinen Lavaschichten füllt?<br />
+Hier brach schon oft aus seinem Herde<br />
+Herauf hinab des Todes Flammenmeer,<br />
+Und machte siedend rund umher<br />
+Das Land zum grössten Grab der Erde.<br />
+</div>
+
+<p>Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich
+gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans
+in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin
+ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit
+dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv
+kräuselt blos zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich
+fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer
+Vorbedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er
+Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren
+zuweilen grosse Bäume gewachsen. Bey seinem künftigen
+Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der
+Heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten
+der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist nach dem äussern
+Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so
+etwas gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbändiger
+hierher setzte.</p>
+
+<p>Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung.
+Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, dass
+er sich auf seine eigenen
+<!-- pb n="357 " facs="#f0385"/ --> Soldaten nicht verlassen
+kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiss seine eigene
+Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der
+bravsten und besten Nationen, so wie überhaupt die
+Italiäner. Was ich hier und da schlimmes sagen muss,
+betrifft nur die Regierung, ihre schlechte Verfassung oder
+Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich
+sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder erkannt
+haben. Du weisst dass ich die Schulmeisterey in keinem Dinge
+verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube,
+sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht
+gebessert. Brav werden sie immer bleiben; das ist im
+Charakter der Nation: aber Paul hätte das Gute behalten und
+das Bessere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, dass sie
+besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und
+fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren
+sie gekleidet, ästhetisch und militärisch. Die steifen
+Zöpfe, die Potemkin mit vielen andern Bocksbeuteleyen
+kassiert hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz
+possierlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freylich wohl
+manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonanz
+bey der Armee war sicher gut. Paul war in seiner
+Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die
+Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen
+ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende
+Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur
+unangenehme Ausnahmen; denn man lässt im Ganzen der Ordnung
+und der Strenge des Generals Gerechtigkeit widerfahren.</p>
+
+<!-- pb n="358 " facs="#f0386"/ -->
+<p>Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig
+gemisshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise
+beschimpft: es fehlt wenig dass er nicht des Patronats
+völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr
+auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem sogar durch
+Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die Januariusfarce
+wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich
+wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge
+wenig Takt, bin also nicht dabey gewesen, ob die Schnurre
+gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde
+erzählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger
+jungen Weiber und ihrer heissen Andacht, ehe das Mirakel
+kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen
+Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den
+Menschen nicht noch hinhalten, wenn man ihm einmal seine
+Urbefugnisse genommen hat.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Rom</title>
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+
+<!-- pb n="[359]" facs="#f0387"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Rom3">
+<div class="dateline"><span class="right">Rom.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>un bin ich wieder hier in
+dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schoosse.
+Wie Schade das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur
+Katholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in
+geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute etwas
+leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Meiner ist der
+Katholicismus der Vernunft, der allgemeinen Gerechtigkeit,
+der Freyheit und Humanität; und der ihrige ist die
+Nebelkappe der Vorurtheile, der Privilegien, des eisernen
+Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen
+kommen; aber seit Bonapartes Bekehrung habe ich für mich die
+Hoffnung sinken lassen. Dank sey es der Frömmeley und dem
+Mamelukengeist des grossen französischen Bannerherrn, die
+Römer haben nun wieder Ueberfluss an Kirchen, Mönchen und
+Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert
+Jahre zurückgeworfen. <span class="italic">Homo sum</span>
+&mdash; sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was
+mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner
+Wanderschaft wieder aufnehmen.</p>
+
+<p>Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano
+und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien hatte mich gewarnt,
+ich möchte mich dort in Acht nehmen: allein im May, dachte
+ich, hat so ein Spaziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen
+war drückend schwül, und über der Solfatara und dem
+Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt
+genug; ich wollte nur aus Neugier das
+<!-- pb n="360 " facs="#f0388"/ --> Lokale sehen und weiter
+keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich ungefähr ein
+Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen
+hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und
+schwer, und ich eilte dass ich durch die Bergschlucht wieder
+heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob
+sich alle flüssigen Theile mischten und die festen sich
+auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte,
+kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine
+gewisse Schwere und Müdigkeit von der Wärme. Eine eigene
+Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als
+ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von
+Posilippo ass, dass ich mir an einer eben nicht harten
+Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen locker
+biss. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig
+zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drey
+Vorderzähne. Aber Veränderung der Luft und etwas Schonung
+haben sie bis auf einen wieder ziemlich fest gemacht; und
+dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er
+nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.</p>
+
+<p>Von Rom nach Neapel war ich zu Fusse gegangen: von Neapel
+nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem
+Neapolitanischen Kourier. Noch die Nacht fuhren wir über
+Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina.
+Anstatt einer attellanischen Fabel erzählte man uns in
+Aversa als wahre Geschichte, dass eben die Räuber vom Berge
+herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sechzig
+Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich
+<!-- pb n="361 " facs="#f0389"/ -->
+mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn
+Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte.
+Dieser Herr hatte nehmlich auf meiner Hinreise einen
+sehr grossen Gefallen an meinem Seehundstornister
+bekommen, wollte ihn durchaus haben und bot mir
+bis zu drey goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn
+nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch
+einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurück käme: und
+jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt
+nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit
+sich zurück? Durch die Pontinen ging es diessmal die
+Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der
+Morgen graute, als wir in Veletri eintrafen. Nun kam
+aber eine ächt italiänische Stelle, über der ich leicht
+hätte den Hals brechen können.</p>
+
+<p>Ich habe die Gewohnheit beständig voraus zu laufen, wo
+ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist eine schöne
+Waldgegend, durch welche die Strasse geht. Oben am Berge bat
+der Postillion, wir möchten aussteigen, weil er vermuthlich
+den Hemmschuh einlegen wollte und am Wagen etwas zu hämmern
+hatte. Der Offizier blieb bey seinen Depeschen am Wagen, und
+ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in
+den Wald hinein, und dachte wie ich Freund Reinhart in
+Aricia überraschen würde, der jetzt daselbst seyn wollte.
+Ungefähr sieben Minuten mochte ich so fort gewandelt seyn,
+da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu.
+Ihre Bothschaft erklärte sich sogleich. Einer fasste mich
+bey der Krause und setzte mir den Dolch an die Kehle; der
+andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf
+<!-- pb n="362 " facs="#f0390"/ --> die Brust; die beyden
+übrigen blieben dispositionsmässig in einer kleinen
+Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung
+sagte ich halb unwillkührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so
+nehmt denn ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte
+einer eine doppelt grässliche Pantomime mit Gesicht und
+Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stossen und
+schiessen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg
+also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines
+Geld aus den Westentaschen, welches beydes zusammen sich
+vielleicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit
+der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die
+Karabiner suchten mir durch richtige Schwenkung Willigkeit
+einzuflössen. Ich machte mich bloss so schwer als möglich,
+da weiter thätiger Widerstand zu thun der gewisse Tod
+gewesen wäre: man zerriss mir in der Anstrengung Weste und
+Hemd. Vermuthlich wollte man mich dort im Busche gemächlich
+durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man
+für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie
+das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen
+Schuss oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem
+kritischen Momente, denn das Ganze dauerte vielleicht kaum
+eine Minute, hörte man den Wagen von oben herabrollen und
+auch Stimmen von unten: sie liessen mich also los und nahmen
+die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg
+fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr sass, wie in
+Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak unter dem Arme in
+einem Rocksacke: beydes wurde
+<!-- pb n="363 " facs="#f0391"/ --> also in der
+Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen grässlich
+aus wie ihr Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter
+zwanzig und keiner über dreissig. Sie hatten sich gemalt und
+trugen falsche Bärte; ein Beweiss, dass sie aus der Gegend
+waren und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia
+nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht in
+der schönen klassischen Gegend bleiben können. Dort spielt
+ein Theil der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten
+daselbst Lausus und Euryalus ihre jugendliche
+Unbesonnenheit: nicht eben, dass sie gingen, sondern dass
+sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein
+preussischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön
+polierten glänzenden Helm aufsetzen, um versteckt zu
+bleiben? Herr Virgil hat sie bloss der schönen Episode wegen
+so ganz unüberlegt handeln lassen.</p>
+
+<p>Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nachricht,
+dass zwey von den Schurken, die mich in dem Walde geplündert
+hätten, erwischt wären, und dass ich vielleicht noch das
+Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen. Dawider habe ich
+weiter nichts, als dass es bey der jetzigen ungeheuern
+Unordnung der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier
+etwas von einem Manuscript gesehen, das in kurzem in
+Deutschland, wenn ich nicht irre bey Perthes, gedruckt
+werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom enthält.
+Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, dass fast alles
+darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle
+Fälle kompetenter Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier,
+ist ein freyer, unbefan<!-- pb n="364 " facs="#f0392"/ -->gener,
+kenntnissvoller Mann, bey dem Herz und Kopf gehörig im
+Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer
+grössten Ausdehnung eingeführt; und was das Volk eben jetzt
+darunter leiden müsse, kannst Du berechnen. Die Klöster
+nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in Besitz, die
+eingezogenen Kirchen werden wieder geheiligt, und alle
+Prälaten behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz.
+Da mästen sich wieder die Mönche, und wer bekümmert sich
+darum, dass das Volk hungert? Die Strassen sind nicht allein
+mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben wirklich
+daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiss, dass bey meinem
+Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger
+gestorben sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und
+sterben sehen. Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der
+Ausdruck ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit.
+Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit
+dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig
+eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächtiger
+gehalten werden könnten, erhob sich selbst aus dem gläubigen
+Gedränge ein Fünkchen Vernunft in dem dumpfen Gemurmel, dass
+man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten mache und die
+Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die
+Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als
+jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizey;
+auf dem Lande noch weniger als in der Stadt: und wenn die
+Menschheit nicht noch tiefer gesunken ist, als sie wirklich
+liegt, so kommt es bloss daher, weil man das Göttliche in
+der Natur durch die grösste
+<!-- pb n="365 " facs="#f0393"/ --> Unvernunft nicht
+ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein
+vernünftiger Philanthrop sich
+hier <!-- choice><sic -->nmsieht<!-- /sic><corr>umsieht</corr></choice -->.
+Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als
+ich wieder zu Borgia gehen wollte. <span class="italic">Nil
+valent apud Vos leges</span>, <span class="italic">nil
+justitia</span>, <span class="italic">nil boni
+mores</span>; <span class="italic">saginantur
+sacerdotes</span>, <span class="italic">perit
+plebs</span>, <span class="italic">caecutit
+populus</span>; <span class="italic">vilipenditur quodcunque
+est homini sanctum
+honestas</span>, <span class="italic">modestia</span>, <span class="italic">omnis
+virtus</span>. <span class="italic">Infimus et improbissimus
+quisque cum armis per oppida et agros praedabundus
+incedit</span>, <span class="italic">furatur</span>,
+<span class="italic">rapit</span>, <span class="italic">trucidat</span>,
+<span class="italic">jugulat</span>, <span class="italic">incendia
+miscet</span>. <span class="italic">Haec est illa religio
+scilicet</span>, <span class="italic">auctoris
+ignominia</span>, <span class="italic">rationis
+opprobrium</span>, <span class="italic">qua Vos homines
+liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere
+conamini</span>. So gohr es, und ich
+versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey.
+Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen,
+warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen
+machen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird
+schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu
+denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter
+gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon
+kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu
+Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute.
+Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit
+zurück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen
+Bedienten im Hause, und geben nur schlechten Sold. Jeder
+Fremde der nur die geringste Höflichkeit vom Herrn empfängt,
+wird dafür von der Valetaille in Anspruch genommen. Das
+hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch
+schicklich
+<!-- pb n="366 " facs="#f0394"/ -->
+nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel
+wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium
+nicht mehr in Auslage seyn.</p>
+
+<p>Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz
+Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch dass sie die
+Sache wieder aufgegeben haben, ist die Menschheit in
+unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiss was darüber
+gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles
+betrachtet werden muss: aber wenn man schlecht angefangen
+hat so hat man noch schlechter geendiget; das Zeugniss wird
+mit Zähneknirschen jeder rechtliche Römer und Neapolitaner
+geben. Geschichte kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren
+unbedingten nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste
+Anarchie entstanden. Die Heerstrassen sind voll Räuber; die
+niederträchtigsten Bösewichter ziehen bewaffnet im Lande
+herum. Bloss während meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind
+drey Kourier geplündert und fünf Dragoner von der Eskorte
+erschossen worden. Niemand wagt es etwas mehr mit der Post
+zu geben. Der französische General liess wegen vieler
+Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den
+Tod bestimmt und liess eine Anzahl Verbrecher vor dem
+Volksthore wirklich niederschiessen. Die Härte war Wohlthat;
+nun war Sicherheit. Jetzt trägt jedermann wieder seinen
+Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer noch in dem
+schändlichen Kredit als Beschützer der Verbrecher. Man
+erzählt jetzt noch Beyspiele mit allen Namen und Umständen,
+dass sie Mörder in ihren Wagen in Sicherheit bringen lassen.
+Ueber öffentliche Armenanstalten bey den Katho<!-- pb n="367 " facs="#f0395"/ -->liken
+ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die
+Metropolis. Jetzt sind durch die Revolution fast alle
+öffentliche Armenfonds wie ausgeplündert, und die Noth ist
+vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich. In
+ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also
+keine Sorge für Erziehung; in Rom ist sie schlecht. Der
+Kirchenstaat ist eine Oede rund um Rom herum, desswegen
+erlaubt aber kein Güterbesitzer, dass man auf seinem Grunde
+arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn er
+nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus
+an. Die Möncherey kommt wieder in ihren grassesten Flor, und
+man erzählt sich wieder neue Bubenstücke der Kuttenträger,
+die der Schande der finstersten Zeiten gleich kommen. Man
+sagt wohl, Italien sey ein Paradies von Teufeln bewohnt: das
+heisst der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der Italiäner
+ist ein edler herrlicher Mensch; aber seine Regenten sind
+Mönche oder Mönchsknechte; die meisten sind Väter ohne
+Kinder: das ist Erklärung genug. Ueberdiess ist es der Sitz
+der Vergebung der Sünde.</p>
+
+<p>Ich will nur machen, dass ich hinauskomme, sonst denkst
+Du, dass ich beissig und bösartig geworden bin. Die Parthien
+rund herum sind ohne mich bekannt genug: ich habe die
+meisten, allein und in Gesellschaft, in der schönsten
+Jahrszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl
+befinden, nur muss man die Humanität zu Hause lassen. Mit
+Uhden habe ich die Parthien von Marino, Grottaferrata,
+Fraskati und den Albaner See gesehen. Eins der ältesten
+Monumente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser
+<!-- pb n="368 " facs="#f0396"/ --> aus demselben durch den
+Berg in die Ebene hinab lässt, und der, wenn ich nicht irre,
+noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner
+Entstehung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so durch
+den Aberglauben wie damals. Wenn der Gott von Delphi den
+Ausspruch der Mathematiker nicht bestätigt hätte, wären die
+Römer schwerlich an die Arbeit gegangen. Das ganze Werk
+steht noch jetzt in seiner alten herrlichen ursprünglichen
+Grösse da und erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, dass
+Kluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter,
+sagt, es seyen nur noch Spuren da, da doch der ganze Kanal
+noch eben so gangbar ist, wie vor zwey tausend Jahren. Mich
+däucht zu Kluvers Rechtfertigung muss man annehmen, dass der
+Eingang eben damals verschüttet war, welches sich
+periodenweise leicht denken lässt; und der Antiquar
+untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr
+romantischer Platz und der Gegenstand der Zeichner:
+vorzüglich wirkt die alte perennirende Eiche an demselben.
+Das Schloss Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der
+schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier
+zeigte man mir im Promenieren einen Priester, der in einem
+Gefecht mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen
+hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden Kirche!
+Wehe der Humanität, wenn sie die triumphierende wird. Wer
+auf Hadrian eine Lobrede schreiben will, muss nicht hierher
+gehen, und die Ueberreste seiner Ville sehen: man sieht noch
+ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die
+Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Trajan
+<!-- pb n="369 " facs="#f0397"/ --> hat Monumente besserer
+Bedeutung hinterlassen. Wo bey Fraskati wahrscheinlich des
+grossen Tullius Tuskulum gestanden hat, sieht man jetzt sehr
+analog &mdash; eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr
+philosophisch; nur würde Thucydides hier
+schwerlich <span class="italic">de natura
+deo</span><span class="italic">rum</span> geschrieben haben.
+Der schönste Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch
+gesehen habe, ist unstreitig die Ville des Mecän in Tivoli.
+Man kann annehmen, dass der Schmeichler Horaz hier mehrere
+seiner lieblichsten Oden gedichtet habe, für den gewaltigen
+Mann, neben und unter dem er hier hauste. Man wollte mich
+unten am Flusse jenseits in ein Haus führen, wo noch
+Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte nicht Lust:
+es fiel mir seine Canidia ein. Virgil war ein feinerer Mann
+und ein besserer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen
+und um die Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen.
+Wenn ich Dir die Kaskadellen von unserm Reinhart mit bringen
+könnte, das würde für Dich noch Beute aus Hesperien seyn:
+ich bin nur Laie.</p>
+
+<p>Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die
+Franzosen haben allerdings vieles fortgeschafft; aber der
+Abgang wird bey dem grossen Reichthum doch nicht sehr
+vermisst. Ueberdiess haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein
+Privateigenthum angetastet. Einigen ihrer vehementesten
+Gegner haben sie gedroht; doch ist es bey den Drohungen
+geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich
+zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die
+Zeitumstände von ihren Besitzern zersplittert worden;
+vor<!-- pb n="370 " facs="#f0398"/ -->züglich die
+Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist
+kein einziges Stück entfernt. Bloss der Fechter und der
+Silen daselbst haben einen so klassischen Werth, wie ihn
+mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die
+grösste Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht
+haben, ist dass sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen
+Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese
+Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung
+auskramte, muss vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben.
+Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Knabenstatue mit der
+Bulle, die man für einen jungen Britannikus hält. Sey es wer
+man wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der
+männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit
+und Anmuth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser
+Art mehr gefunden.</p>
+
+<p>In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich
+ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das
+man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber
+erschrak ich. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich,
+unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen:
+das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat
+die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine
+Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und ich
+genoss in der Träumerey über den Kopf die schönen Salvator
+Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam,
+fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es
+sey nun ausgemacht, dass es eine gewisse Gräfin aus
+Oberitalien sey. Ich
+<!-- pb n="371 " facs="#f0399"/ -->
+freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los
+wäre.</p>
+
+<p>Auf dem Kapitol vermisste ich den schönen Brutus. Dieser
+ist nach Paris gewandelt, hiess es. Was soll Brutus in
+Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und
+jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn wie
+die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische
+Wölfin, die bey Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden seyn
+soll. Die Seltenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem
+Thurme des Kapitols übersah ich mit einem Blick das ganze
+grosse Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freunde machte mir
+ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich
+gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie
+Dir hier, weil ich glauben darf, dass Dir vielleicht die
+Ansicht einiges Vergnügen machen kann.</p>
+
+<div class="poem">
+<p> Du zürnst, dass dort mit breitem Angesichte<br /> Das
+Dunstphantom des Aberglaubens glotzt<br /> Und jedem
+Feuereifer trotzt,<br /> Der aus der Finsterniss zum
+Lichte<br /> Uns führen will; Du zürnst den Bübereyen,<br />
+Dem Frevel und dem frechen Spott,<br /> Mit dem der
+Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott<br /> Zum Unsinn
+macht; den feilen Schurkereyen,<br /> Und der Harpye der
+Mönchereyen,<br /> Dem hässlichsten Gespenst, das dem Kozyt
+entkroch,<br /> Das aus dem Schlamm der Dummheit noch<br />
+Am Leitseil der Betrügereyen<br />
+<!-- pb n="372 " facs="#f0400"/ -->
+Zehn tausend hier zehn tausend dort ins Joch,<br />
+Dem willig sich die Opferthiere weihen,<br />
+Zum Grabe der Vernunft berückt,<br />
+Und dann mit Hohn und Litaneyen<br />
+Aus seiner Mastung niederblickt:<br />
+Du zürnst, dass man noch jetzt die Götzen meisselt,<br />
+Und mit dem Geist der Mitternacht<br />
+Zu ihrem Dienst die Menschheit nieder geisselt,<br />
+Und die Moral zur feilen Dirne macht,<br />
+Bey der man sich zum Sybariten kr uselt<br />
+Und Recht und Menschenwerth verlacht.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!</span><br />
+Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung<br />
+Und Kraft und Muth zur Besserung;<br />
+Indessen lau mit seichtem Hirne<br />
+Der Schachmaschienenmensch nach den Figuren schielt,<br />
+Und von dem Busen seiner Dirne<br />
+Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Geh hin und lies, fast ist es unsre
+Schande,</span><br /> Es scheint es war das Schicksal
+Roms<br /> In Geyerflug von Land zu Lande<br /> Zu ziehn; es
+schlug die Erde rund in Bande,<br /> Und wechselt nur den
+Sitz des Doms.<br /> Was einst der Halbbarbar ins Joch mit
+Eisen sandte,<br /> Beherrschet nun der Hierofante<br /> Mit
+dem Betruge des Diploms.<br /> Jetzt thürmet sich am alten
+Vatikane<br />
+<!-- pb n="373 " facs="#f0401"/ -->
+Des Aberglaubens Burg empor,<br />
+In deren dumpfigem Arkane<br />
+Sich längst schon die Vernunft verlor,<br />
+Und wo man mit geweihtem Ohr<br />
+Und Nebelhirn zur neuen Fahne<br />
+Des alten Unsinns gläubig schwor.<br />
+Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spotte<br />
+Mit dem er Menschensinn verhöhnt;<br />
+Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,<br />
+Einst hier die Burg des Donnergottes,<br />
+Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:<br />
+Und wer bestimmt, aus welchem Schlunde<br />
+Des Wahnsinns stygischer Betrug<br />
+Der armen Welt die grösste Wunde<br />
+Zur ewigen Erinnrung schlug?</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Hier herrschten eisern die
+Katonen</span><br /> Mit einem Ungeheur von Recht<br /> Und
+stempelten das menschliche Geschlecht<br /> Despotisch nur
+zu ihren Frohnen;<br /> Als wäre von Natur vor ihnen Jeder
+Knecht,<br /> Den Zevs von seinem Kapitole<br /> Mit dem
+Gefolge der Idole<br /> Sich nicht zum Lieblingssohn
+erkohr;<br /> Und desto mehr, je mehr er kühn empor<br />
+Mit seines Wesens Urkraft strebte<br /> Und sklavisch nicht,
+wie vor dem Sturm das Rohr,<br /> Beym Zorn der Herrn der
+Erde bebte.<br /> Nur wer von einem Räuber stammte,<br />
+<!-- pb n="374 " facs="#f0402"/ -->
+Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,<br />
+Bepanzert mit dem dicksten Erz,<br />
+Den Hohn der Menschheit lodernd flammte,<br />
+Und alle Andern wie Verdammte<br />
+Zur tiefsten Knechtschaft von sich stiess<br />
+Und den Beweis in seinem Schwerte wies; &mdash;<br />
+Nur der gelangte zu der Ehre<br />
+Ein Mann zu seyn im grossen Würgerheere.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Oft treibt Verzweiflung zu dem
+Berge,</span><br /> Dem Heiligen, dem Retter in der
+Noth,<br /> Wenn blutig des Bedrückers Scherge<br /> Mit
+Fesseln, Beil und Ruthen droht:<br /> Und, was erstaunt
+jetzt kaum die Nachwelt glaubet<br /> Dem grössten Theil der
+Nation,<br /> Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet<br /> Der
+Blutgeist selbst die Rechte der Person,<br /> Und setzt ihn
+mit dem Vieh der Erde<br /> Zum Spott der Macht in eine
+Heerde.<br /> Der Wüstling warf dann in der Wuth<br /> Für
+ein zerbrochnes Glas mit wahrer Römerseele<br /> Den Knecht
+in die Muränenhöhle,<br /> Und fütterte mit dessen
+Blut<br /> Auf seine schwelgerischen Tische<br /> Die
+seltnen weitgereisten Fische:<br /> Und für die Kleinigkeit
+der Sklavenstrafe liess<br /> Mit Zorn der schlauste der
+Tyrannen,<br /> Den seine Welt Augustus hiess,<br /> Zehn
+Tage lang den Herrn von sich verbannen.<br />
+<!-- pb n="375 " facs="#f0403"/ -->
+Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies<br />
+Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;<br />
+Was ihre Zehner kühn gewannen,<br />
+Durch die man frech die Menschheit von sich stiess.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Wer zählet die
+Proskriptionen,</span><br /> Die der Triumvir
+niederschrieb,<br /> In denen er durch Henker ohne
+Schonen<br /> Die Bande von einander hieb,<br /> Die das
+Palladium der Menschlichkeit zu retten<br /> Uns brüderlich
+zusammen ketten.<br /> Durch sie ward Latium in allen Hainen
+roth<br /> Bis in die Grotten der Najaden,<br /> Und mit dem
+Grimm des Schrecklichen beladen,<br /> Des Fluchs der Erde,
+gingen in den Tod<br /> An Einem Tage Myriaden:<br /> Und
+gegen Sullas Henkergeist<br /> Ist zu der neuen Zeiten
+Ehre,<br /> Der Aftergallier, der Blutmensch
+Robespierre,<br /> Ein Genius der mild und menschlich
+heisst.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Man würgte stolz, und hatte
+man</span><br /> Mit Spott und Hohn die Unthat frech
+gethan,<br /> So stieg man hier auf diesen Hügel<br /> Und
+heiligte den Schreckenstag,<br /> Der unter seiner Schande
+Siegel<br /> Nun in der Weltgeschichte lag.<br /> Man
+schickte, ohne zu erröthen,<br /> Den Liktor mit dem Beil
+und liess<br />
+<!-- pb n="376 " facs="#f0404"/ -->
+Im Kerker den Gefangnen tödten,<br />
+Der in der Schlacht als Held sich wies,<br />
+Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte<br />
+Und nicht sie zu besiegen wagte.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Dort gegen über setzten
+sich</span><br /> Die Cásarn auf dem Palatine,<br /> Wo noch
+die Trümmer fürchterlich<br /> Herüber gähnt, und jetzt mit
+Herrschermiene<br /> Auch aus dem Schutte der Ruine,<br />
+Wie in der Vorwelt Eisenzeit,<br /> Mit Ohnmacht nur
+Gehorsam noch gebeut.<br /> Dort herrschten, hebt man kühn
+den Schleyer,<br /> Im Wechsel nur Tyrann und
+Ungeheuer;<br /> Dort grub der Schmeichler freche
+Zunft<br /> Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;<br />
+Dort starben Recht und Zucht und Ehre,<br /> Dort betete man
+einst Sejan,<br /> Narciss und sein Gelichter an,<br /> Wenn
+die Neronen und Tibere<br /> Nur schel auf ihre Sklaven
+sahn,<br /> Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,<br /> Die
+Qual und Tod mit einem Wink geboten.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Dort ragt der Schandfleck hoch
+empor,</span><br /> Wo, wenn des Scheusals Wille
+heischte,<br /> Des Tigers Zahn ein Menschenherz
+zerfleischte,<br /> Und wo der Sklaven grelles Chor<br />
+Dem Blutspektakel Beyfall kreischte,<br />
+<!-- pb n="377 " facs="#f0405"/ -->
+Und keinen Zug des Sterbenden verlor;<br />
+Wo zu des Römerpöbels Freude<br />
+Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,<br />
+Der mit dem Dolch im Eingeweide<br />
+Und Grimm im Antlitz starb.</p>
+
+<p>
+<span class="indent">Von aussen Raub und Sklaverey von
+innen,</span><br /> Bey Kato wie bey Seneka,<br /> Stehst Du
+noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,<br /> Und stellst
+sie auf des Ruhmes Zinnen?<br /> Vergleiche was durch sie
+geschah,<br /> Von dem Sabiner bis zum Gothen,<br /> Die
+Kapitolier bedrohten<br /> Die Menschheit mehr als
+Attila,<br /> Trotz allen preisenden Zeloten.<br />
+Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh<br /> Für Einen Titus
+schreibest Du<br /> Stets zehn Domitiane nieder.<br />
+Behüte Gott nur uns und unsre Brüder<br /> Vor diesem
+blutigen Geschlecht,<br /> Vor Römerfreyheit und vor
+Römerrecht!<br /> Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht
+wieder.</p>
+</div>
+
+<p>In dem Pallast Spada besuchte ich einige Augenblicke die
+Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nehmliche
+ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann
+auch vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche
+Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts Merkwürdiges
+und ist artistisch
+<!-- pb n="378 " facs="#f0406"/ --> von keinem grossen
+Werth. Unter dieser Statue sollten alle Revolutionäre mit
+wahren hellen gemässigten Philanthropen zwölf Mitternächte
+Rath halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein gut oder
+schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der
+Gesammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die
+Menschheit jetzt stehet.</p>
+
+<p>Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen
+Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das
+enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das unselige Schisma
+wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen
+Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mässigung
+hätte damals die Päbste mit Hülfe des abergläubischen
+Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit
+kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen oder
+verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist als ob man
+der stillen Grösse der alten Kunst mit diesem herkulischen
+Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon als
+den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor,
+verhältnissmässigen ungeheuern Raum, als die Area des
+Heiligentempels, zu einer grossen Höhe aufgeführt, und oben
+das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die
+Peterskirche. Das Riesenmässige hat man erreicht. Wir sassen
+in dem Knopfe der Kuppel unser drey, und übersahen die
+gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade
+die grösste Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die grösste
+Ruine der Welt ist.</p>
+
+<p>In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich
+<!-- pb n="379 " facs="#f0407"/ --> nur Raphaels Logen und
+Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt,
+dass ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein
+Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo
+in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und
+hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und
+die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben
+eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft
+und Seele.</p>
+
+<p>Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden
+und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will
+mir kein anderer mehr genug thun. So muss Sokrates gewesen
+seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da
+liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange fest, als
+Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht
+der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde
+dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vorzimmer die
+Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich
+würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender
+Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand
+seinen Parnass sähe, auf welchen er als den Apoll den
+Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt
+hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als
+eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der
+Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark
+zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und
+vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die
+Gallier nichts antasten, sie hätten denn als Vandalen
+zerstören müssen:
+<!-- pb n="380 " facs="#f0408"/ -->
+und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen
+was sie wollen. Ich müsste Dir von Rom allein ein
+Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger
+schriebe; und ich würde doch nur wenig erschöpfen.</p>
+
+<p>Zum Schluss schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art
+von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute.
+Aber ich muss Dir die Schöpfungsgeschichte erzählen, damit
+Du das Werk verstehst.</p>
+
+<p>Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte
+auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch
+ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord
+eine Ehre der Nation noch als Bischof eine Zierde der Kirche
+von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bey der
+Impertinenz des Reichthums die Marotte den Kenner und Gönner
+in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar
+so unglücklich, dass seine Urtheile in Italien hier und da
+bey Verständigen fast für Verdammung gelten. Vorzüglich
+hasst er Raphael und zieht bey jeder Gelegenheit
+seine <span class="italic">deos minorum gentium</span> auf
+dessen Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es
+geben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht
+manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittelmässigkeit
+stempelt. Viele lassen sich vieles von dem reichen Britten
+gefallen, der selten in den Gränzen der feinern Humanität
+bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern
+Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein
+Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud
+ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen
+Unge<!-- pb n="381 " facs="#f0409"/ -->zogenheiten
+gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal
+bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene
+Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord
+mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein
+Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde.
+Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu
+nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der
+gnädigen Herrn ist, und sichs wohl gar beygehen lässt
+Urbefungnisse in den Menschen zu finden, die er behaupten
+muss, wenn er Menschenwerth haben will. Dem Künstler musste
+dieser Ton missfallen, und ein Fremder suchte ihn durch
+Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn
+nach seinem Vaterlande fragte. Ey was, fiel der Lord
+polternd ein, es ist ein Mensch der kein Vaterland hat, ein
+Universalmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, Mylord,
+versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland, dessen ich
+mich gar nicht schäme; und ich hoffe mein Vaterland soll
+sich auch meiner nicht schämen: Sono
+<span class="italic">Prussiano</span>. Man sprach
+italiänisch. <span class="italic">Prussiano?
+Prus</span><span class="italic">siano?</span> sagte der
+Wirth: <span class="italic">Ma mi pare che siete
+ruffiano</span>. Das war doch Artigkeit gegen einen Mann,
+den man zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler
+machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord
+keines Blicks und verliess das Zimmer und das Haus. Nach
+seiner Zurückkunft in sein eignes Zimmer schrieb er in
+gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief:</p>
+
+<!-- pb n="382 " facs="#f0410"/ -->
+<p class="anrede">»Mylord,</p>
+
+<p>»Ganz Europa weiss, dass Sie ein alter Geck sind, an dem
+nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreyssig weniger,
+so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine
+Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern
+berechtiget sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich
+schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf
+Stand und Vermögen, nach dem was er selbst werth ist; und
+Sie sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen,
+meine Verachtung.«</p>
+
+<p>Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die
+Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der
+Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir
+gebe. Das lang gestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf
+dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das
+Glas, der Finger, der Krummstab, der grosse antike Weinkrug,
+der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch
+ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist
+Wahrheit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe lässt noch
+kein Mädchen ruhig.</p>
+
+<div class="poem">
+Auch seines Lebens letzten Rest<br />
+Beschäftigt noch Lucinde;<br />
+Wenn ihn die Sünde schon verlässt,<br />
+Verlässt er nicht die Sünde.<br />
+</div>
+
+<p>Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz
+in den guten Gesellschaften in Rom herum lief, und knirschte
+doch mit den Zähnen. Für so verwe<!-- pb n="383 " facs="#f0411"/ -->gen
+hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder
+noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der
+gewöhnlichen Regel wo man zu bösem Spiele gute Miene
+macht: <span class="italic">Il s'est venge en homme de
+genie</span>. Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein
+Bedenken sie Dir mitzutheilen. *)</p>
+
+<div class="footnote">*)Nach reiflicher Ueberlegung trage
+ich auch kein Bedenken das Ganze hier mit drucken zu lassen.
+Mich über sogenannte Personalitäten zu erklären, wäre hier
+zu weitläufig. Die Sache hat ihre Gränzen diesseits und
+jenseits. Für solche Delinquenten ist keine Strafe als die
+öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung
+nicht &mdash; öffentlich seyn und öffentlich dokumentiert
+werden? Die Parthien sind der Maler Reinhart und Lord
+Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu
+erwarten; aber Andere sollen nicht so werden wie er ist:
+desswegen wird es erzählt.
+</div>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Mailand</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[384]" facs="#f0412"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Mailand">
+<div class="dateline"><span class="right">Mailand.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Rom hierher ging ich
+halb im Wagen, halb zu Fusse; im Wagen so weit ich musste,
+zu so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts
+in Rom auf der Strasse von Florenz Kouriere geplündert,
+Soldaten erschossen und grosse Summen geraubt. Es wäre
+Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht
+geradezu ein Bettler war, und sich durch
+das <span class="italic">cantabit vacuus</span> sichern
+konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz.
+Von Ronciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den
+Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts
+hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht
+hinüber nach Nepi und Civitacastellana, bis fast nach
+Otrikoli, und weiter hin in die noch beschneyten Apenninen.
+Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten
+den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich
+doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fusse
+voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns
+eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung, die ich
+schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher
+Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen
+fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht
+erkundigen.</p>
+
+<p>Du kannst denken, dass ich auf Thümmels Empfehlung in
+Montefiaskone den Estest nicht vergass. Er ist für mich der
+erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches
+Blut: zwey Flaschen trank
+<!-- pb n="385 " facs="#f0413"/ --> ich den Manen unsers
+Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hinein zu bemühen in
+die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig einladendes hatte:
+der Wirth erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen
+Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein
+Kompliment. Es war gut, dass ich nicht hier bleiben konnte;
+ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe geworden. Aus
+dem Munde des Wirths lautete die
+Grabschrift: <span class="italic">Est est
+est</span>, <span class="italic">et propter nimium est
+dominus Fuggerus spanc mortuus est</span>. Ob nun der Herr
+Bischof, der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige
+Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht
+dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen
+Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach
+Bolsena zu, am See hin nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte
+Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist
+romantisch. Dass unten Altlorenzo so ausserordentlich
+ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint
+nur die Indolenz der Einwohner Schuld zu seyn.</p>
+
+<p>Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die
+Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich
+selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer
+durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen
+Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste
+dem Minister überreicht haben. Weiss der Himmel wie viel
+daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon
+in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien
+war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man laut sagte aus
+Furcht vor Unruhen in Neapel, und
+<!-- pb n="386 " facs="#f0414"/ --> wohnte im Pallast
+Kolonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabey in ihrem
+Ingrimm ihre gewöhnliche alte unüberlegte Strenge gebraucht.
+In Montefiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und
+zwanzig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger
+Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurück
+gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist diese ganze
+Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen.
+Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun,
+da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen
+und mein Alter in Ruhe geniessen. Der Mann sagte dieses
+alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur
+Uebersetzer.</p>
+
+<p>Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne Parthie und
+ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt.
+Was das für eine närrische Benennung der Oerter ist, sagte
+ein Engländer, Aquapendente und Montefiaskone; es muss
+heissen Montependente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an
+der Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier
+geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey
+umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des
+Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus dem Wirthshause zu
+gehen. Er ist der nehmliche Herr, der zur Zeit Josephs des
+Zweyten päbstlicher Legat in den Niederlanden war, und
+daselbst allem Guten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in
+der Revolution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft
+ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der Franzosen
+den Glauben gewonnen haben, dass sie
+<!-- pb n="387 " facs="#f0415"/ --> auch Menschen seyn, und
+sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben.
+Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu
+Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht
+und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen.
+Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein
+Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht
+ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens weigerte sich
+standhaft gegen die Zumuthungen der Menschlichkeit, und die
+Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit
+lebendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog,
+gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen
+Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.</p>
+
+<p>Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg;
+und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer
+besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem
+letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von
+Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana
+gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die
+Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in
+Rom. Der allgemeine grosse Wohlstand, der durch die
+östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden
+war, wird indess nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen
+und Fleiss zusammen. Der neue König wird nicht geachtet;
+jedermann sieht ihn als nicht existierend an: bloss der
+römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser
+Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein
+ungehorsamer Sohn,
+<!-- pb n="388 " facs="#f0416"/ --> das durch den Willen des
+heiligen Vaters und das Ansehen der
+Kirche <span class="italic">ipso jure</span> null ist. Du
+kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie
+schwach man die am Arno halten muss, dass man eine solche
+Sprache wagt. Aber sie wissen, dass sie mit dem Herrn in
+Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt
+vielleicht ihre Kühnheit. Die grösste Anzahl seufzt hier
+nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf
+Verbindung mit den Herren jenseit des Berges, oder gar mit
+den Franzosen; die jezzige Regierung hat den kleinsten
+Anhang. Der König ist nicht gemacht ihn zu vergrössern: das
+hat man sehr wohl gewusst, sonst hätte man ihn nicht zum
+Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die
+Anekdote sehr laut herum, dass er in seinem Privattheater
+den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich
+darüber.</p>
+
+<p>Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bonapartes
+Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas
+näher kennen muss, soll darüber ganz eigene Berichtigungen
+gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich
+vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war als
+Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen
+Umstand und den individuellen Charakter des korsischen
+Franzosen liess sich schon etwas bauen. Du siehst es ist
+gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst
+und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises
+noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus
+der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das
+andere. In
+<!-- pb n="389 " facs="#f0417"/ --> eine eigene Verlegenheit
+kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto,
+welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten.
+Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich
+gefürchtet, dass sie das heilige Wunderbild wegführen
+würden; desswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür
+hingestellt: hier ist das ächte. Dieses wird nun den
+Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne dass man in Rom
+sogleich etwas davon erfährt. &mdash; Ich habe es in Loretto
+selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des
+andern wenig bekümmert. &mdash; Nun unterhandelt man in Rom
+über das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue
+zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun
+fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie
+das andere, und beyde thun natürlich Wunder in die
+Wette.</p>
+
+<p>Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste in
+Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe und die
+besten Bilder; doch hat die Gallerie immer noch sehr
+interessante Sachen, vorzüglich für die Deutschen. Mit der
+Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich
+wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft auch dieses
+Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In
+Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause
+gegessen, wo oben die Schätze unter Schloss und Siegel und
+Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der
+Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte
+Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die
+Stücke zeigen. In Rom und Neapel
+<!-- pb n="390 " facs="#f0418"/ --> wusste man öffentlich
+gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich
+ausgesprengt, das Schiff, welches alles von Livorno nach
+Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sey zu
+Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen
+abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine
+gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft
+nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner
+hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl
+keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches
+Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reitzen als
+beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat
+seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk
+ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die
+Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig,
+dass es die gewöhnlichste ist, in welche sich die
+Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand
+fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich
+selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beyspiel davon,
+das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der Russische
+Hauptmann Graf Dessessarts &mdash; Gott tröste seine Seele,
+er ist wie ich höre an dem Versuche in Quiberon gestorben,
+den ich ihm nicht gerathen habe &mdash; er und ich, wir
+gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort
+fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein,
+und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von ungefähr
+sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch
+gelegenheitlich zu sehen ob Geschäfte zu machen wären. Wir
+waren beyde etwas
+<!-- pb n="391 " facs="#f0419"/ --> zu ernsthaft. Das arme
+artige Geschöpfchen dauert mich, sagte der Graf; aber der
+Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz
+verläugnen. <span class="italic">Je voudrais pourtant la
+voir toute entiere</span>, sagte er, und machte ihr den
+Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und
+bekannte, dass sie für einen Dukaten in der letzten Instanz
+gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht
+verstehen. Mein Kamerad verstand seine Logik, brachte mit
+feiner Schmeicheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab
+endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr
+Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die
+nehmliche Stellung. <span class="italic">Voilà la coquine de
+Medicis</span>! sagte der Graf. Es war ein gemeines
+pohlnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für
+ihren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte; eine
+Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den
+Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal ist mir
+bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Pohlin eingefallen
+und meine Konjunktur kam zurück; und mancher Künstler war
+nicht übel Willens meiner Meinung beyzutreten. Urania könnte
+in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken
+an diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken
+könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.</p>
+
+<p>Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze
+Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leidet durch
+die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der
+Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muss es
+brauchen: aber mich däucht, dass Sokrates sodann seine
+Grazien mit Recht
+<!-- pb n="392 " facs="#f0420"/ --> bekleidete. Kabinette
+und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte;
+denn es geht nur hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas
+über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in
+Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich
+die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist
+es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in
+unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das hässlichste
+Bild der Aphrodite Pandemos mit den hässlichsten Attributen
+zuweilen aufgestellt sieht. Das heisst die Sittenlosigkeit
+auf der Strasse predigen; und bloss ein tiefes Gefühl für
+Freyheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die
+schändlichen Missgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe
+des Flusses zu stürzen.</p>
+
+<p>Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte ich
+nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek der
+Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten
+Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger in der Kirche
+Santa Croce die Monumente einiger grossen Männer
+aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen
+Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das
+Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter auf der nehmlichen
+Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es
+verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so
+vortrefflicher Männer nahe beysammen.</p>
+
+<p>Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation
+jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preussische
+Geheime Rath Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem
+rechtlichen Charakter
+<!-- pb n="393 " facs="#f0421"/ --> und vielen feinen
+Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für
+Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er
+besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein
+anderer Privatmann. Was ich bey ihm gesehen habe, war
+vorzüglich, eine komplette alte römische Toilette von
+Silber; ein grosses altes silbernes ziemlich kubisches
+Gefäss, welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und
+Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier
+Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur
+Nachhauseführung die Scenen der römischen Hochzeitgebräuche
+abgebildet. Dieses ist vielleicht das grösste silberne
+Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er
+vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen
+Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die
+Konsuln oder vielleicht auch die andern kurrulischen
+Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel
+führten. Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt
+er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit
+Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind
+seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von
+seltenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen;
+mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze
+Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis Augustulus.
+Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst dass
+dieses eine Liebhaberey nicht für jedermann ist. Ich
+schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich
+vielleicht interessiert und Du es noch nicht in Büchern
+findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt.</p>
+
+<!-- pb n="394 " facs="#f0422"/ -->
+<p>Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an
+dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest
+gewiss nicht, dass ich als Spaziergänger Dir alle die andern
+Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir
+traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und
+Geschicklichkeit. Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die
+Amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas
+bey mir in Kredit gesetzt, dass sie diesen Kodex nicht
+genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten
+Schlosse einer Akademie der Georgophilen bey. Hier hielt man
+eine Vorlesung über die vortheilhafteste Mischung der
+Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der
+Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System.
+Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben
+meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur
+durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über
+eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut,
+dass mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist, wie
+ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in
+Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu
+werden.</p>
+
+<p>Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen
+Vetturino verdungen und fand im Wagen einen französischen
+Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine
+italiänische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schosse;
+und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit
+einem furchtbar grossen Säbel, der in Handelsgeschäf<!-- pb n="395 " facs="#f0423"/ -->ten
+seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von
+Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz
+allein mit ihrem Kinde, einem schönen sehr lieblichen Knaben
+von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren
+Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch
+Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes
+Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er
+die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft
+lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf
+dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen
+im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen
+mussten das nehmliche meinen; denn die Gruppierung fand
+Beyfall und der Junge war gern bey mir.</p>
+
+<p>Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast
+auf die grösste Höhe. Du kannst denken, dass ich viel zu
+Fusse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen
+Gesellschaft. Der Schweizer mit dem grosen Säbel kam selten
+aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem
+Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, dass man hier
+jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die
+Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas
+weniger fromm und politischer, und setzen nichts darauf;
+denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von
+Kreuzen seyn. Ich muss Dir bekennen, dass ich von dem Kreuze
+gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas besseres
+aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und
+weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um
+<!-- pb n="396 " facs="#f0424"/ --> alles kühne Emporstteben
+der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken,
+und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der
+Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Grossmuth
+und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth
+ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die
+zweydeutigste aller Tugenden. In der alten
+griechischen <!-- choice><sic -->uud<!-- /sic><corr>und</corr></choice -->
+römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die
+Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im
+Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich
+selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch
+philosophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber
+es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als
+beydes: mit Muth und Kraft verhindern, dass durchaus kein
+Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das
+Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen
+hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch
+noch etwas besser vor. Christus hat gewiss seiner Religion
+keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie
+nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat.
+Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen
+zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre
+Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, dass
+keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des
+Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen.
+Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.</p>
+
+<p>Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan
+nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den
+<!-- pb n="397 " facs="#f0425"/ --> Felsen lag und der Wagen
+nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen
+Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie
+nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf
+der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun
+wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit
+des Bergs schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein
+alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine grosse Freude
+mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel
+herum, als man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der
+Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die
+Kaffeehäuser als in die Museen. Ein pohlnischer Hauptmann
+von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, sich selbst
+einige Grade avanciert und hier geheirathet hatte, schloss
+sich geflissentlich an uns an und freute sich mit Deutschen
+deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher
+Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sey in seinem
+Leben kein Republikaner gewesen, das liess sich von einem
+pohlnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sey nun
+froh, dass die H&mdash;e von Freyheit nach und nach wieder
+abgeschaft werde. Man hatte eben das Wappen über dem
+Generalzollhause geändert, und anstatt der Freyheit die
+Gerechtigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die
+wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur
+behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerechtigkeiten.
+Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der
+Pohlen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich
+also nicht zweifelte.</p>
+
+<p>Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna
+<!-- pb n="398 " facs="#f0426"/ --> noch zu sehen genöthigt
+war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist
+nicht gross, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey
+Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren
+in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der
+Sammlung, und nach einigen die beste Arbeit von Guido Reni,
+ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses
+Urtheil der Kenner rechtfertigen; aber mich hat weit mehr
+beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den
+Mythus gefasst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern,
+nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar
+ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebietendes Weib, das
+in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der
+Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter
+seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine
+boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben
+Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen
+Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheilhaft
+auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter
+gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm
+der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit
+Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn,
+so viele Unsittlichkeiten in Beyspielen und Vorschriften,
+dass ich oft mit vieler Ueberlegung zu sagen pflege, der
+Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons
+Weisheit behüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht,
+wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein
+Gewebe menschlicher Thorheiten und
+<!-- pb n="399 " facs="#f0427"/ --> Tugenden, als einen
+Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und
+hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde
+unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der
+Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon
+nichts brauchen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen
+glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu
+entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres
+dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die
+Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind
+freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten
+Geboten der Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger
+Geist als Wahrheit stempeln.</p>
+
+<p>Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die
+Schulter und pilgerte durch die grosse schöne Ebene herüber
+nach Mailand. In Modena gefiel mirs sehr wohl, ohne dass ich
+den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und
+lebendig und lachend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind
+gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den
+Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne dass ein einziges
+Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man
+wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und
+wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena,
+der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode
+Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in
+der Gegend geplündert worden; der General liess sie
+arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war
+richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren
+<!-- pb n="400 " facs="#f0428"/ -->
+Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen
+das Geld zu ersetzen, und man liess die Fremden ziehen. Ich finde darin,
+wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht,
+keine Ungerechtigkeit.</p>
+
+<p>In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein
+Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte und
+ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen
+preussischen Pass zu sehen, den ich mir von dem preussischen
+Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht
+zu meiner Absicht für den besten hielt.</p>
+
+<p>Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder
+zwey Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe
+von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen
+gebracht wurde. Am Thore wurde ich den achten Juny mit
+vieler Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem
+Gefreyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die
+Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten Mal
+begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die
+gutaussehenden Kaffeehäuser und sass schon im Geist bey
+einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt.
+Die Parmesaner sassen gemüthlich dort und schienen viel
+Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein
+breites aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der
+Hauptwache las der Offizier meinen Pass, rief einen andern
+Gefreyten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich
+sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon
+auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Augusta in Sicilien.
+Aber der Zug dauerte mir sehr lan<!-- pb n="401 " facs="#f0429"/ -->ge;
+ich fragte und erfuhr, ich müsste zum Thore hinaus, ich
+dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs
+Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so
+entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten
+Merletons, so gross wie das Kattegat. Ich foderte, man
+sollte mich zum Kommandanten
+bringen. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>, <span class="italic">non posso mica</span>;
+sagte er. Ich drang
+darauf. <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>, <span class="italic">non
+sa</span><span class="italic">pete il
+servizio</span>; <span class="italic">questo</span>, <span class="italic">non
+posso mica</span>. Ich alter Kriegsknecht musste mir die
+Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der
+Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den
+Offizier, indem ich ihm meinen Pass wies, ob das eine humane
+Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an,
+sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich
+verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden;
+ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die
+Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres
+Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der
+Offizier war
+unschlüssig: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>,
+<span class="italic">non possiamo mica</span>, sagte der
+Gefreyte von der Hauptwache, der noch dabey stand. Der
+Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen, ich
+könne morgen wieder herein kommen und dann thun was ich
+wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der
+Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von Parma und
+den Parmesanern geben
+können: <span class="italic">Ma</span>, <span class="italic">mio
+caro</span>, <span class="italic">non possono mica</span>.
+Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine
+gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine
+aufmerksame besorg<!-- pb n="402 " facs="#f0430"/ -->liche
+Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen lassen, ein
+reines feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet.
+Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und
+Terranuova, und ihre nicht problematischen Landsleute
+zwischen Gensano und Aricia hatten zwar bey ihrer braven
+Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber
+dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter
+Gesellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich zog
+einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisdor
+Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor
+betitelt: nichts, man gestattete mir kein Quartier in der
+Stadt. Und nun denkst Du, dass ich den andern Morgen hinein
+ging und mich des fernern erkundigte? Das liess ich hübsch
+bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich
+nicht wieder: diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich
+ass gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den
+Weg nach Piacenza ein. Man merkte, dass die Leute hier in
+Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer
+Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele
+Dolche und Schiessgewehre, wie bey den ächten Italiänern
+jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herrlich und
+so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe
+eines so konfiscierten Orts noch einen Ton anschlagen
+konnten. Aber sie schlugen fort und endlich vergass ich das
+Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu.
+Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange
+über den Fluss aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler
+<!-- pb n="403 " facs="#f0431"/ --> war hier gewesen und
+hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der
+Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren.
+Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluss macht schöne
+Parthien.</p>
+
+<p>In Lodi ass ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte,
+wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm erwarb, und konnte
+gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte.
+Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten
+Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich
+das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch
+wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden:
+wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathhause
+behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches
+Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter
+andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius,
+der sehr geistreich das Mass nahm.</p>
+
+<p>Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin
+schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen
+blühn. In Rom sagte man, dass das Erdbeben vorigen Monat den
+Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein
+herunter geworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet
+vielleicht mit dem Münster in Strassburg um den Vorzug, ob
+es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie
+werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht
+alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du
+weisst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators.
+Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu
+sagen. Man scheint
+<!-- pb n="404 " facs="#f0432"/ --> hier der goldenen
+Freyheit nicht durchaus ausserordentlich hold zu seyn. Einer
+meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und
+unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen
+Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der
+geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den
+Schultern hangend. Er gilt für eine grässlich schöne
+Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete ihn einige
+Minuten: das sin<span class="spaced">d</span> wir, sagte er
+endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser
+Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade
+vor dem Pallast der Republik: nur wird es mir schwer, die
+allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa
+gezittert hat. Das alte weitläufige Schloss vor der Stadt
+wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte
+gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.</p>
+
+<p>Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte
+Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der
+heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das
+Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der
+Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall.
+Das Stück ist einige Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt
+gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der
+Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey
+euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen.
+Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen
+Zustande ist mir das Original noch weit lieber als der
+Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht
+etwas willkührlich bey
+<!-- pb n="405 " facs="#f0433"/ --> der Kopierung zu Werke
+gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe
+ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die
+Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der
+übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler
+den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die
+ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast
+schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er
+sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht
+ganz unzufriedener Finanzminister, der einen grossen Streich
+wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch
+psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein
+Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er
+glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte
+freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise
+in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht,
+weil ich nicht so viel Glauben habe als er. &mdash; Jetzt
+muss man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der
+untere Eingang ist vermauert: und nun leidet das Stück durch
+feuchte dumpfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher
+durch andere üble Behandlung.</p>
+
+<p>Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder
+das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil
+acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater
+geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater
+nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so
+schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, dass ich
+gar nicht Lust bekam eins zu su<!-- pb n="406 " facs="#f0434"/ -->chen.
+Man sagt, das Haus sey hier eben so gross, als das grosse in
+Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet und für das
+grosse Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote
+von der Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie
+Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns
+etwas ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur dass weder
+unser Missfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging als
+die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die
+Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bey
+ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so
+sehr vor ihrer Gestalt und gerieth so in Unwillen, dass man
+sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor musste
+erscheinen und es sich als eine grosse Gefälligkeit für sich
+selbst erbitten, dass man ihr nur eine einzige Scene
+erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die
+Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt und ging nun
+in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung
+des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die
+Sängerin durch einen grossen Theil der Stadt nach Hause. Es
+wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das
+aufrichtige Bekenntniss der Weiber zu hören, ob sie das
+zweyte für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat
+keine Stimme mehr über die Sache.</p>
+
+<p>Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man
+arbeitete mit einer grossen Menge Gewehr und sogar mit
+Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem grossen Raume
+sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich
+bei der Mutter. Man
+<!-- pb n="407 " facs="#f0435"/ --> hatte gute Springer,
+aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze
+nicht mit Einer Seele arbeitet. Ich habe nie wieder so gute
+Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs
+Poniatowsky. An ihm ist ein grosser Balletmeister verloren
+gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.</p>
+
+<p>In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den
+General Dombrowsky erhalten und er nahm mich mit vieler
+Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreyheit
+auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier
+fand ich mit ihm und andern von Pohlen aus Berührung. Ich
+hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und
+er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen
+noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die
+die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest
+bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen
+andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freyer
+strenger Beurtheiler militärischer Zeichnungen, fordert das
+Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche
+Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter
+Kupferstiche von den Köpfen grosser Männer; besonders ist
+darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und
+charakteristisch ist und auf den er viel hält. Eine Anekdote
+aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht
+unangenehm seyn. Dombrowsky liebt Schillers dreyssigjährigen
+Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey
+Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch
+lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet
+Ich habe das durchschlagene Exem<!-- pb n="408 " facs="#f0436"/ -->plar
+selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken
+geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des
+Generals. Er sagte mir lachend, Schiller hat mich gerettet,
+aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die
+Kugel hat eine Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort,
+die Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten: das
+ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen haben nie für
+Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen wir noch für unser
+Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren
+ist. Das gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich
+meinte, es wäre voraus zu sehen gewesen, dass für Pohlen
+keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer
+noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der
+furchtbaren Tripleallianz bloss stellen, um ein Zwitterding
+von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun
+gar kein Interesse mehr hatten. Die Eifersucht zwischen den
+grossen mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen
+vortheilhaft. Wenn die Pohlen noch unter einem einzigen
+Herrn wären, so liesse sich durch eben diese Eifersucht noch
+Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen,
+und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt
+war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu kommen. Ich
+weiss selbst, dass ich als russischer Offizier in Posen vor
+der Hauptwache vor den preussischen Kanonen von einem
+Dutzend junger Pohlen belagert wurde, die mirs nahe ans Herz
+legten, dass doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie
+sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so
+wollten
+<!-- pb n="409 " facs="#f0437"/ --> sie die Preussen
+zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe,
+warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten;
+aber die wahren verbargen sie gewiss. Sie dachten
+unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch
+irgend eine Konjunktur bald wieder politische Existenz
+gewinnen. Der General fand die Schlussfolge ziemlich bündig,
+sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache
+Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und
+edel.</p>
+
+<p>Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Organisation
+und tragen ihre alten Abzeichen, so dass man die alten
+Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im
+Kriege muss in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es
+wurde erzählt, dass einmal die Portion des Soldaten auf acht
+Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die
+Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art
+militärisch drolliger Vertraulichkeit geäussert. So sagten
+die Franzosen von den Pohlen: <span class="italic">Ah ce
+sont de braves coquins</span>;
+<span class="italic">ils mangent comme les
+loups</span>, <span class="italic">boivent
+diablement</span>, <span class="italic">et se battent comme
+les lions</span>. Die Pohlnischen Offiziere konnten den
+französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren
+Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam.
+Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiss alle Mal
+ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, dass das
+Pohlnische Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann
+stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil
+davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen,
+als ob Bonaparte alle Truppen, die
+<!-- pb n="410 " facs="#f0438"/ --> ihm zu seinen Absichten
+in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute
+kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und
+da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort
+vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als
+wohl sonst die französische Energie vermöchte.</p>
+
+<p>Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere
+Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in
+den Mussenstunden lese ich mit viel Genuss Wielands Oberon,
+den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man
+mich im Wirthshause mit einem gewissen Misstrauen wie einen
+gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich
+zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige
+Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich
+wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln liess, ward
+das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger
+ungewöhnlich artig. Noch muss ich Dir bemerken, dass ich in
+Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten
+Weiber gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenommen.
+Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich
+sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun
+vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen
+reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise
+behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft
+protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit
+behaupten, so war ich immer <span class="italic">Signor
+Inglese</span> und <span class="italic">Eccellenza</span>;
+und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man
+auch nach verjüngtem Massstabe in Mailand denken. Die
+<!-- pb n="411 " facs="#f0439"/ --> Industrie ist
+mancherley. Ich sass an einem Sonntag Morgens recht ruhig in
+meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den
+Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat
+ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne
+Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne
+Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten
+Hetärenkünste berechnet zu haben. Ich will durch ihre
+Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als
+Philosoph zu erhöhen suchen. <span class="italic">Signore
+comanda qualche cosa?</span> fragte sie in lieblich
+lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem
+Körbchen spielen liess und Miene machte es zu öffnen. Ich
+sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke,
+ehe ich etwas unschlüssig <span class="italic">No</span>
+antwortete. <span class="italic">Niente?</span> fragte sie,
+und der Teufel muss ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich
+warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im
+Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir
+schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige
+gab. <span class="italic">Niente</span>, brummte ich
+grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin
+nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiss, ob
+ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn
+die Teufelin zum dritten Mal mit der nehmlichen Stimme
+gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein
+Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so
+engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt
+haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zufrieden zum
+General.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Zürich</title>
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+
+<!-- pb n="[412]" facs="#f0440"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Zuerich">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Zürich</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">N</span>un bin ich bey den
+Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande, und
+bereite mich in einigen Tagen einen kleinen Abstecher zu den
+Galliern zu machen. Viel Erbauliches wird nach allen
+Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören
+seyn: indessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch
+an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder fest sitze
+möchte es etwas schwer halten.</p>
+
+<p>Den vierzehnten Juny ging ich aus Mailand und ging diesen
+Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so
+beträchtlich gehalten hätte als ich ihn fand. In der Gegend
+von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und alles
+war in voller Arbeit; und als ich über den Berg herüber kam,
+fing das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schossen:
+das ist merklicher Kontrast. Die grösste Wohlthat war mir
+nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von
+Mailand hatte ich die beschneyten Alpen mit Vergnügen
+gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und
+kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem
+Ticino und dem Lago maggiore herauf, bloss um die schöne
+Gegend zu geniessen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus
+Unteritalien und Sicilien und gab mir also keine grosse Mühe
+die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein
+Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also
+wohl zwey Dukaten mehr kosten. Ich sah also bey Varone links
+an der Anhöhe den gigan<!-- pb n="413 " facs="#f0441"/ -->tischen
+heiligen Karl Borromeus aus der Ferne und fuhr dann sowohl
+bey der schönen Insel als bey der Mutterinsel vorbey. Man
+hätte mir höchst wahrscheinlich dort nur Orangengärten
+gezeigt, die ich in Unteritalien besser gesehen habe, und
+hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und
+hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum
+so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem
+Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette
+schlief Friedrich der Zweyte nach der Schlacht bey Rossbach.
+Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zuweilen
+ausserordentlich gross, und wo die Gegend vor den rauheren
+Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in
+der ganzen Lombardey umsonst sucht. Es sind hier noch recht
+schöne Oelbäume, die man diesseit der Apenninen nur selten
+findet, und sogar indische Feigen in der freyen Luft. Ich
+schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin
+hinein fällt, in einem leidlichen Hause, schon zwischen
+rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem
+Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen
+über den Gotthardt herüber brachte. Zwey Tage ging ich am
+Flusse immer bergauf. Die Hitze war unten in der Schlucht
+ziemlich drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube
+zum Frohnleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der mir
+besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, obgleich für
+mich weiter nichts da war als Kirschen. Den ersten Abend
+blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen
+ist. Der Ticin stürzte unter meinem Fenster durch die Felsen
+hinunter, gegen<!-- pb n="414 " facs="#f0442"/ -->über
+lag am Abhange ein Kloster, und hinter demselben erhob sich
+eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren
+Scheitel jetzt fast zu Johannis mit Schnee bedeckt war. Die
+Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften
+erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Ticin
+köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu
+haben. Mein grösster Genuss waren hier die Alpenquellen, vor
+denen ich selten vorbey ging ohne zu ruhen und zu trinken,
+wenn auch beydes eben nicht nöthig war, und in den
+Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und
+rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt schmolz eben
+der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier
+bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den
+nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herab
+stürzten, und von denen der kleinste doch eine sehr starke
+Wassersäule gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere
+Parthien als die Reuss auf der deutschen; und nichts muss
+überraschender seyn, als hier hinauf und dort hinunter zu
+steigen. Ayrolles war mein zweytes Nachtlager. Hier sprach
+man im Hause deutsch, italiänisch und französisch fast
+gleich fertig, und der Wirth machte mit seiner Familie einen
+sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war.
+Suworow hatte einige Zeit bey ihm gestanden, und wir hatten
+beyde einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusiasmus
+für den alten General, und rühmte vorzüglich seine
+Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen
+etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe
+nicht ein, was den Wirth in
+<!-- pb n="415 " facs="#f0443"/ --> Ayrolles oben am
+Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er
+nicht sah. Suworow war nicht der einzige General, der ihm
+im Kriege die Ehre angethan hatte bey ihm zu seyn: er
+zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon
+sind allgemein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück
+gehabt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und
+ich suchte nur seinen wahren Charakter zu retten und einige
+Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In
+Prag hatte er zu einem hässlichen Gemälde gesessen. Der Löwe
+ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiss sehr wohl,
+dass das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von
+Eigenheiten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag
+und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mürrischer
+Geck von einem weggeworfenen Charakter gewesen; und der war
+er doch gewiss nicht. Sonderbarkeit war überhaupt sein
+Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen
+jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen
+ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in
+welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich
+befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische
+Hof waren mit seinem Betragen zufrieden. Er hatte ohne
+Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person
+gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines
+Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen
+Umständen sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten einiger
+seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last
+gelegt; und er selbst war freylich nicht der
+<!-- pb n="416 " facs="#f0444"/ --> Mann, der durch schöne
+Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte
+empfehlen können. Seines Werths sich bewusst, fest
+rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er
+voll Eigenheiten, von denen viele wie Bizarrerien und
+Marotten aussahen; war äusserst strenge gegen sich und dann
+auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach
+skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war
+sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so tadelhaft als
+sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke
+verläugnete ihn sein eigener Charakter nicht und gab ihr ein
+Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige
+Filzerey gezeigt haben, weggefahren seyn ohne einen Kreuzer
+zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf
+zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener
+Art aufbewahrt. Diess ist nun gewiss wieder ein barockes
+Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem Charakter als
+prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von
+wahrhaften Leuten hätte, würde ich nur den Kopf schütteln
+und sie zu den lächerlichen Erfindungen des Tages setzen.
+Aber man muss auch den Teufel nicht schwärzer machen als er
+ist, und ich bin fest überzeugt, dass Suworow durchaus ein
+ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine
+starke Dose Excentricität hatte und mit der Welt im
+Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im
+öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weisst,
+dass ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe und kannst
+also in meinen Aeusserungen nichts als meine ehrliche
+Meinung fin<!-- pb n="417 " facs="#f0445"/ -->den.
+Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren
+persönlichen Charakter ihre Glaubwürdigkeit nicht verwirkt
+haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr
+war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der
+Humanität gegen den Helden des Tages Bonaparte, der auf
+seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu
+Tausenden nieder kartätschen liess.</p>
+
+<p>Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte
+nur noch sechs Tausend Mann über den Berg hinüber nach
+Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht eben so fürchterlich
+gegen die Franzosen ausgefallen, wie nun gegen die Russen.
+Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen
+habe, gestehen das nehmliche ein und sagen, bloss die
+Entfernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen
+Manövers am Unterrhein ging, sey die Ursache ihres Glücks
+gewesen; und sie bekennen, dass sie im ganzen Kriege
+meistens nur durch die Fehler der Gegner gewonnen haben.
+Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen
+der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das
+Zeugniss einer guten Aufführung, die man doch anderwärts als
+abscheulich geschildert hat. Das thut Partheygeist. Man
+beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg
+zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muss, da sie
+selten Magazine bey sich haben und zusammen treiben was
+möglich ist. Das geht einmal und zweymal; das drittemal muss
+es gefährlich werden; welches die Schlauköpfe sehr wohl
+wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr
+subalterner Zweck.
+<!-- pb n="418 " facs="#f0446"/ -->
+Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und
+nicht der ganzen Nation zuzurechnen.</p>
+
+<p>Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und diesseit
+des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen.
+Zwey Tage war ich beständig bergauf gegangen; Du kannst also
+denken, dass der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe
+steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht
+rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges
+herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein
+majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der
+höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen
+Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal
+hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo
+hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.</p>
+
+<p>In dem Wirthshause zu Ayrolles sass ein armer Teufel, der
+sich leise beklagte, dass seine Börse ihm keine Suppe
+erlaubte. Du kannst denken, dass ich ihm zur Suppe auch noch
+ein Stückchen Rindfleisch schaffte; denn ich habe nun einmal
+die Schwachheit, dass es mir nicht schmeckt, wenn andere in
+meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder
+Schneider aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua gehen
+wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so
+viel von der Theuerung und der Unsicherheit in Italien, dass
+er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot
+sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich
+wollte auf seine Entschliessungen durchaus keinen Einfluss
+haben, er müsste seine Umstände am besten wissen, ich wäre
+gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt
+<!-- pb n="419 " facs="#f0447"/ --> wieder zurück, und ich
+trug kein Bedenken, ihn meinen Tornister umhängen zu lassen.
+Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny
+rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr
+schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern
+Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch weiter hinauf
+vor dem Schneegestöber durchaus nichts sehen; links und
+rechts blickten die beschneyten Gipfel aus der Dunkelheit
+des Sturms drohend herunter. Nach zwey starken Stunden
+hatten wir uns auf die obere Fläche hinauf gearbeitet, wo
+das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen
+Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und
+der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufgeschichtet;
+das Wirthshaus ist ziemlich wieder hergestellt und man hat
+schon wieder leidliche Bequemlichkeit. Es muss eine
+herkulische Arbeit gewesen seyn hier nur kleine
+Artilleriestücke herauf zu bringen, und war wohl nur in den
+wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt
+auf dem Wege sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die
+Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen
+würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor den Nebel
+kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den
+Annalen der Menschheit aus diesem Kriege ein neues Phänomen,
+dass man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauf
+trug: <span class="italic">coelum ipsum petimus
+stultitia</span>. Das Wasser auf der obersten Fläche des
+Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es giesst sich rund
+umher die Ausbeute des Regens und Schnee von den höchsten
+Felsen in den See,
+<!-- pb n="420 " facs="#f0448"/ --> aus dem sodann die
+Flüsse nach mehrern Seiten hinabrauschen. Es müsste das
+grösste Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander
+Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit
+der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen
+um seine Füsse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder
+umgürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluchten
+stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern, von denen die
+Flüsse nach allen Meeren herabrauschen, und das Haupt des
+Adula schwimmt in Sonnenstrahlen. Das gestrige Gewitter
+mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters
+seyn: doch war die Veränderung so schnell, dass in einer
+Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber,
+Regen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon wieder
+durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt
+hatte ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel,
+durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücken herab.
+Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich
+links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die
+Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, dass es eine
+Teufelsparthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz
+nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward das
+Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in
+den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee
+gefüllt, und die Spitzen der Berge weiss. Mein Schneider von
+Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der
+nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch keine
+Ahndung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An<!-- pb n="421 " facs="#f0449"/ -->fang
+mit dem Bekenntniss, dass er in seinem ganzen Leben nicht
+gearbeitet habe und nun in seinem acht und vierzigsten Jahre
+nicht anfangen werde. &mdash; So so, das ist erbaulich; und
+was hat Er denn gethan? &mdash; Ich habe gedient. &mdash;
+Besser arbeiten als dienen. &mdash; Nun erzählte er mir, wo
+er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine
+Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte
+die Boulewards besser als seine Hölle und hatte alle
+Weinhäuser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte
+versucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann
+Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und
+zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die
+Franzosen, die ihm seine Klosterglückseligkeit geraubt
+hatten, weil sie die Nester zerstörten. Jetzt machte er
+Miene mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen
+Beyfall über seine ewige unstete Landläuferey nicht zu
+erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl
+besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu
+halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da wir in
+einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über
+Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen
+Jahren durch den Blitz entzündet wurde und fast ganz
+abbrannte, wird jetzt recht schön aber eben so unordentlich
+wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr
+Symetrie erlauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser
+sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und konnte
+nicht schnell genug den Weg in die Reuss finden, dass wir
+eine Viertelstunde ziemlich bis an den
+<!-- pb n="422 " facs="#f0450"/ --> Gürtel auf der Strasse
+im Wasser waden mussten. Es war kein Ausweg. Gehts nicht, so
+schwimmt man, dachte ich; und mein Schneider tornisterte
+hinter mir her. Den Morgen nahm ich ein Boot herüber nach
+Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den
+Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt
+rechts ein Wasserfall von sehr hohen Felsen herab, nicht
+weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, dass oben in
+den Alpen ein beträchtlicher See von dem Wasser der noch
+höhern Berge wäre, der hier herab flösse. Schade dass man
+nicht Zeit hat hinauf zu klettern; die Parthie sieht von
+unten aus schon sehr romantisch, und oben muss man eine der
+herrlichsten Aussichten nach der Reuss und den
+Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest
+sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen
+Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren
+beklagten sich bitter, dass ihnen die Franzosen ihre
+geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem
+Wasser herab bis nach Luzern ist eine der schönsten; links
+und rechts liegen die kleinen Kantone und höher die
+Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht.
+Der Pilatusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vorhof
+der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter
+der guten Gesellschaft einige Freunde von Johannes Müller,
+die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die
+Brücken und den Fluss beschaut hatte, ging ich zum General
+Pfeiffer um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist
+bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie
+<!-- pb n="423 " facs="#f0451"/ --> wohl einige glauben. Der
+Mann hat mit Liebe viel schöne Jahre seines Lebens daran
+gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur
+wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen
+haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte
+General zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wusste
+durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des
+Greises so zu gewinnen, dass er sich als seinen Schüler
+ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird
+allgemein nicht ohne Grund behauptet, er würde den Krieg in
+den Bergen nicht so vortheilhaft gemacht haben ohne des
+Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist
+Schade, dass ihn die Jahre nicht erlauben das Uebrige zu
+vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen
+gesetzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden geschlagen,
+die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben
+Wege gemacht, die nur ihre Gemsenjäger vorher machten;
+vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf
+einmal überzeugt, dass die Schweiz bisher vorzüglich nur
+durch die Eifersucht der grossen Nachbarn ihr politisches
+Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in
+das Murter Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt.
+Die Katholicität scheint in Luzern sehr gemässigt und
+freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich war noch,
+dass mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe hier im
+See zwey und dreyssig Sorten Forellen, so dass man also bey
+der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat.
+Diejenigen welche man mir gab hätten einen Apicius in
+<!-- pb n="424 " facs="#f0452"/ -->
+Entzücken setzen können, und ich rathe Dir, wenn
+Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten,
+wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden
+solltest.</p>
+
+<p>Von Luzern liess ich mich auf dem Wasser wieder zurück
+rudern, durch die Bucht links, ging über den kleinen
+Bergrücken herab an den Zuger See, setzte mich wieder ein
+und liess mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas frömmer
+gewesen, so wäre ich zur heiligen Mutter von Einsiedel
+gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beyden Seen
+steht die bekannte andere Kapelle Tells mit der schönen
+Poesie. Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich
+fürchte, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer noch
+die Alten wären, würden sie sich doch in diesen Konjunkturen
+schwerlich retten. Man nimmt die grösseren fruchtbaren
+Kantons und lässt die Alpenjäger jagen und hungern; sie
+werden schon kommen und bitten. Bloss die Eifersucht gegen
+Oestreich gab der Schweiz Existenz und Dauer.</p>
+
+<p>Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf
+den Rücken. Der Schneider sah einige Minuten verblüfft,
+brummte und bemerkte sodann, ich müsse doch sehr furchtsam
+seyn, dass ich ihm meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle.
+Ich machte ihm begreiflich, dass hier zwischen Zug und
+Zürich gar nichts zu fürchten sey, dass mich allenfalls mein
+Knotenstock gegen ihn schütze, dass ich ihm aber keine
+Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft sey
+mir auch zu theuer, er sey unbescheiden und fast
+unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezah<!-- pb n="425 " facs="#f0453"/ -->len.
+Nun erzählte ich ihm, dass ich in Luzern für meine eigene
+Rechnung vier und dreyssig Batzen und für die seinige sechs
+und dreyssig bezahlt habe; das konveniere mir nicht. Er
+entschuldigte sich, er habe einen Landsmann gefunden und mit
+ihm etwas getrunken, und der Wirth habe zu viel
+angeschrieben. Vielleicht ist beydes, sagte ich, Er hat zu
+viel getrunken und jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir
+das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht wahrscheinlich
+vorkommt: aber, mein Freund, Er hat wahrscheinlich der
+Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich zahle gern eine
+Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber ich
+lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen. Er verliess mich
+indessen doch nicht, wir wandelten zusammen den Albis hinauf
+und herab, setzten uns unten in ein Boot und liessen uns
+über den See herab nach Zürich fahren, wo ich dem Sünder
+einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn laufen liess. Er
+wird indessen beydes schon oft umsonst bekommen haben.</p>
+
+<p>Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden
+und könnte bald bey Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas
+links abgehen wollte. In Zürich möchte ich wohl leben: das
+Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl gefallen. Ich
+trug einen Brief aus Rom zu Madam Gessner, der Wittwe des
+liebenswürdigen Dichters, und ging von ihr hinaus an das
+Monument, das die patriotische Freundschaft dem ersten
+Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem
+Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätzchen ist
+idyllisch schön und ganz in dem Geiste des
+<!-- pb n="426 " facs="#f0454"/ --> Mannes, den man ehren
+wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat die edle
+Einfalt nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde.
+Akazien, Platanen, Silberpappeln und Trauerweiden umgeben
+den heiligen Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf die
+Schlachtgegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen,
+wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten. Ich
+verschone Dich mit Beschreibungen; die Du in vielen Büchern
+vielleicht besser findest. Eine eigene Erscheinung war es
+mir hier, dass bey Vidierung des Passes zwey Batzen bezahlt
+werden mussten. Ich möchte wohl wissen wie man dieses mit
+liberaler Humanität oder nur mit Rechtlichkeit in
+Uebereinstimmung wollte.</p>
+
+<p>Nun erlaube mir noch fragmentarisch etwas über meinen
+Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen. Du hast aus
+meiner Erzählung gesehen, dass es jetzt wirklich traurig
+dort aussieht; vielleicht trauriger als es je war. Ich bin
+gewissenhaft gewesen und jedes Wort ist Wahrheit, so weit
+man historische Wahrheit verbürgen kann. Dass Brydone in
+Sicilien gewesen ist, bezweifelt niemand; aber viele haben
+vieles gegen seine schönen Erzählungen. So viel weiss ich,
+dass in Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und
+Syrakus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Barthels
+ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfahren. Mehrere
+Augen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre
+Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, dass er seiner
+poetischen Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über
+die Insel von den Neuern sind wohl Barthels und Münter.
+Dorville habe ich fast
+<!-- pb n="427 " facs="#f0455"/ -->
+durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem
+Fluge habe bemerken können.</p>
+
+<p>Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten
+Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach
+Neapel gehen soll, hält den Weg immer für gefährlicher als
+einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war
+sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner
+völligen Resignation, dass er noch lebte. Ich könnte
+sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr
+machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes.
+Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört
+haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel
+aufzuweisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten,
+haben die royalistischen Lazaronen und Kalabresen in Neapel
+zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten
+Sinne die Menschen lebendig gebraten, Stücken abgeschnitten
+und ihre Freunde gezwungen davon zu essen; der andern
+schändlichen Abscheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein
+wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit
+einer Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und
+Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer
+derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit
+und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Missbilligung zu
+zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das
+ist unter Ruffo geschehen, dessen Menschlichkeit sogar noch
+hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von
+Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die
+Exgemahlin Hamiltons, liessen im Namen der Regierung
+<!-- pb n="428 " facs="#f0456"/ --> die Kapitulation
+kassieren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese
+Weise kann man alles was heilig ist niederreissen. Man nennt
+den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit
+Abscheu und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In
+Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist
+begreiflich. Bildung ist nicht, und das Bisschen
+Christenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der
+Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Revolution;
+die Halbwilden trauten und wurden verrathen. Ruffo kam im
+Namen des Königs und versprach; die Betrogenen folgten und
+wütheten unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in
+der Hauptstadt. Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger
+betrogen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie
+Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn;
+schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und der Insel
+zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen:
+diese haben einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold
+wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen denken.
+Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich
+habe die meisten Städte des Reichs gesehen, und nach meinem
+Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen.
+Die sogenannten Patrioten schreyen über Verrätherey der
+Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung.
+Mässigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit
+fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wieder
+reformieren und behaupten, sagte mir ein eben nicht
+zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute
+<!-- pb n="429 " facs="#f0457"/ --> wurden gezwungen der
+Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach
+wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses
+Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen
+erzählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem
+Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer
+gänzlichen Vernachlässigung noch alle Mittel, die Gemüther
+noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge
+nöthig wäre, und grausam, wo weise Mässigung frommen würde.
+In Sicilien treibt das Feudalsystem in den grässlichsten
+Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte
+der Insel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuss
+lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen bearbeiten
+lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und
+geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein
+Beyspielchen von den Lazaronen in Neapel gehört. Es kam ein
+Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung
+des Königs. Unter andern wurde ein grosser schöner Maulesel
+ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich
+gedrängt umher. <span class="italic">Kischt' è il primo
+minischtro</span>, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die
+ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel
+ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde
+machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter
+Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt
+täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An
+Manufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und
+Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich
+Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war
+<!-- pb n="430 " facs="#f0458"/ --> nichts einheimisches zu
+finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden
+Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Strassen ganz
+laut, der Minister verkaufe als Halbbritte die Nation an die
+Engländer. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die
+öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der
+Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und
+Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind empörend. Der König ist
+ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind
+es auch, ohne Könige zu seyn. In der Revolution wurde eine
+Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal
+verurtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau
+appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so
+weit, dass sie zur endlichen Entscheidung ihres Schicksals
+nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer
+Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die
+strengen Strafprediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach
+Neapel zurückgeschickt und &mdash; hingerichtet. Sie
+erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem
+Blutgerüste. Das ist verhältnissmässig eben so schlimm als
+die eingesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und
+Umstände und den ganzen Prozess wiederholt genannt.</p>
+
+<p>Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen warten, und
+dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000
+neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt
+Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich
+weiss nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat?
+Jener handelt nicht als Kö<!-- pb n="431 " facs="#f0459"/ -->nig
+und dieser nicht als Republikaner. Anders that Fabricius.
+Die Räuber streifen aus einer Provinz in die andere, und
+plündern und morden, o ne dass die Justiz weiter darnach
+fragt. Man lässt die Leute so gut und so schlecht seyn als
+sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der
+Guten, zumal bey solchen Vernachlässigungen: so ist die
+Unordnung leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes
+hilft dem Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und
+Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung keine
+Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine
+militärische Patrouille gesehen, aber Haufen Bewaffnete bis
+zu fünf und zwanzig. Diese sollen Polizey seyn; aber sie
+tragen kein Abzeichen, sind nicht zu finden, und alle
+ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.</p>
+
+<p>Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drey Partheyen
+bemerkt; die Parthey des Königs und der jetzigen Regierung,
+zu welcher alle Anhänger des Königs und des Ministers
+gehören: die Parthey des Kronprinzen, von dem man sich ohne
+vielen Grund etwas besseres verspricht: und die Parthey der
+Malkontenten, die keine Hoffnung vom Vater und Sohn haben,
+und glauben, keine Veränderung könne schlimmer werden. Die
+letzte scheint die stärkste zu seyn, weiss aber nun, da sie
+von den Franzosen gänzlich verlassen worden ist, in der
+Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichtspunkt nehmen
+soll.</p>
+
+<p>In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der
+Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des
+Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizey werden schon
+<!-- pb n="432 " facs="#f0460"/ --> folgen, so weit sie sich
+mit beyden vertragen können. Die Mönche glänzen von Fett und
+segnen ihren Heiland Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt,
+oder flucht und raubt, nachdem es mehr Energie oder fromme
+Eselsgeduld hat. Es wird schon besser werden, so viel es das
+System leidet.</p>
+
+<p>In Hetrurien weiss man sich vor Erstaunen über alle die
+Veränderungen zu Hause und auswärts noch nicht zu fassen.
+Die Meisten, da die Menschen nun doch einmal beherrscht seyn
+müssen, wünschen sich das sanfte östreichische Joch, wie es
+unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch
+wohl laut über die Anmasslichkeit des römischen Hofes und
+die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen
+Polypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits der
+Berge.</p>
+
+<p>Die italische Republik windet sich, trotz den
+Eigenmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen ihrer
+Herren Nachbarn, nach und nach aus der tausendjährigen
+Lethargie. Hier war an einigen Orten viel vorgearbeitet:
+aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas
+humaner. Das Päpstliche diesseits der Apenninen scheint
+indessen nie so tief gesunken zu seyn, als in der Nähe des
+Heiligthums. Alles liegt noch im Werden und in der Krise.
+Die grossen Städte klagen über Verlust, aber das platte Land
+hebt sich doch merklich. Das lässt sich wieder sehr leicht
+erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land
+verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch noch
+kosmisch gut ist.</p>
+
+<p>Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Ita<!-- pb n="433 " facs="#f0461"/ -->lien
+gut betragen, so wie man ihnen das nehmliche Zeugniss auch
+wohl in Deutschland nicht versagen kann. Man erzählt
+Beyspiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem humanen
+Zuhörer ausserordentlich wohl thun, und seine sympathetische
+Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen
+zeigt. Einzelne Generale, Kommissäre und Offiziere machen
+oft grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat als
+Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mich däucht
+der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bey
+einem grossen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel,
+deren Richtigkeit ich mir nicht abstreiten lasse. Wer in dem
+Dienst des Staats reich wird, kann kein Mann von edelm
+Charakter seyn. Jeder Staat besoldet seine Diener nur so,
+dass sie anständig leben und höchstens einen
+Sichherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann
+es auf eine ehrenvolle Weise durchaus keiner bringen. Es
+giebt nach meiner Meinung nur zwey rechtliche Wege zum
+Reichthum, nehmlich Handel und Oekonomie; einige wenige
+Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdiener zugleich
+Handelsmann, so hört er eben dadurch auf einem wichtigen
+Posten gut vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das
+unselige Privilegium die Nationen zu betrügen, weil man
+ihnen unmöglich alles genau durchschauen kann; und die
+französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben.
+Revoltierend für mich ist es gewesen, wenn ich hörte, dass
+viele französische Offiziere frey durch alle Provinzen
+reisten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Charakter
+für sich und ihre Begleitung eine Menge Pfer<!-- pb n="434 "
+facs="#f0462"/ -->de zahlen liessen und doch allein gingen
+und knickerisch nur zwey nahmen, und das Geld für die
+übrigen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum noch
+Brot hatte, musste bey dergleichen Gelegenheiten
+exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammen bringen,
+um den fremden so genannten republikanischen Wohlthäter zu
+bezahlen. Das nenne ich Völkerbeglückung! Man muss bekennen,
+dass die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit
+fluchten; aber sie geschahe doch oft. Wo Murat als General
+kommandirt, fällt so etwas nicht auf; Moreau würde seine
+Nation von einem solchen Schandflecken zu retten wissen. So
+viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Soldaten und
+Unteroffiziere gesehen habe, und ich bin manche Meile in
+ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie alle gesittet,
+artig, bescheiden und sehr unterrichtet gefunden. Sie
+urtheilten meistens mit Bündigkeit und Bestimmtheit und
+äusserten durchaus ein so feines Gefühl, dass es mir immer
+ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das alte
+vornehme Zotenreissen im Fluchen ist sehr selten geworden,
+und sie sprechen über militärische Dispositionen mit einer
+solchen Klugheit und zugleich mit einem solchen
+Subordinationsgeist, dass sich nur ein schlechter Offizier
+andere Soldaten wünschen könnte.</p>
+
+<p>In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach
+Syrakus und zurück an den Zürcher See, wenn er auch nur
+flüchtig ist, mit vielen angenehmen Erscheinungen verbunden.
+Auf der Insel ist das lieblichste Gemisch des Reichthums
+aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung gewinnen
+kann; Oran<!-- pb n="435 " facs="#f0463"/ -->gen aller
+Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische und gemeine,
+Kastanien, Wein, Weitzen, Reiss. Bey Neapel werden die
+indischen Feigen, die Karuben und Pahnen schon selten;
+diesseits der Pontinen die Orangen; diesseits der Apenninen
+Oel und Feigen. Die südliche Seite des Bergs von Florenz aus
+hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beym Herabsteigen
+nach Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind
+Kastanienwälder. In der Lombardey ist der Trieb üppig an
+Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr nördlich. Ein
+einziger Weinstock macht noch eine grosse Laube, und auf
+einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen,
+welche Blätter pflückten: aber ein Oelbaum ist schon eine
+Seltenheit. Die südlichen Seiten der Alpenberge geben durch
+ihre Lage hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs,
+und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten,
+Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, indische
+Feigen. Am Ticino herauf trifft man noch Kastanien die Menge
+und sehr schöne und grosse Bäume, und bis Ayrolles wächst
+gutes Getreide. Dann hört nach und nach die Vegetation auf.
+An der Reuss diesseits kann man weit tiefer herab gehen, ehe
+sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als
+Ayrolles und man hat dort noch nichts von Getreide.
+Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur
+höchst selten, und der Nussbaum nimmt ihre Stelle ein.
+Weiter herab ist alles vaterländisch.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
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+
+<!-- pb n="[436]" facs="#f0464"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Paris">
+<div class="dateline"><span class="right">Paris.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">V</span>on Zürich hierher ist ein
+hübsches Stück Weges, und ich schreibe Dir davon so wenig
+als möglich, weil alles ziemlich bekannt ist. Einige Freunde
+begleiteten mich den 24sten Juny ein Stündchen von Zürich
+aus, und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter.
+Bey Eglisau begrüsste ich das erste Mal den herrlichen Rhein
+und ging von da nach Schafhausen, bloss um den Fall zu
+sehen. Er hat an Masse freylich weit mehr als der Velino;
+aber ich wäre sehr verlegen, welchen ich die grösste
+malerische Schönheit zugestehen sollte. Dort ist die Natur
+noch grösser als hier und der Sturz noch weit furchtbarer.
+Mich däucht, ich habe gehört, ein Engländer habe versucht
+den Fall herunter zu fahren: und ich glaube, die
+Donquischotterie ist allerdings nicht unmöglich, wenn der
+Fluss voll ist. Bey kleinem Wasser würde man unfehlbar
+zerschmettert. Nur müsste die Seite von Laufen gewählt
+werden; denn die von Schafhausen würde ziemlich gewisser Tod
+seyn. Ich sage nicht, dass man nicht auf der Unternehmung
+umkommen könne: aber gesetzt ich würde auf der Seite von
+Laufen oben verfolgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich
+kein Bedenken tragen mich in einem guten Boot den Fall hinab
+zu wagen und würde meine Rettung nicht ganz unwahrscheinlich
+finden. In der Krone in Schafhausen war sehr gute
+Gesellschaft von Kaufleuten, Kommissären und Engländern.</p>
+
+<p>Den 25sten stach ich in das Breisgau herüber.
+<!-- pb n="437 " facs="#f0465"/ --> Laufenburg, wo ich die
+Nacht blieb, ist ein ärmlicher Ort, wo der Rhein einen
+zweyten kleinern nicht so gefährlichen Fall bildet: doch ist
+auch dieser Schuss zwischen den Felsen sehr malerisch.
+Weiter hin stehen in den Dörfern noch Franzosen bis zum
+Austrag der Sache, und die Einwohner sind in Verzweiflung
+über den Druck von allen Seiten. Bloss unsere geringe Anzahl
+verhindert uns, sagte man mir laut, gewaltsame Mittel zu
+unserer Befreyung zu versuchen. Die Franzosen müssen hier
+sehr schlechte abscheuliche Mannszucht halten: denn ich habe
+wiederholt erzählen hören, dass sie durchreisende Weiber mit
+Gewalt hinauf in den Wald zur Misshandlung schleppen. An den
+eingebohrnen wagen sie sich nicht zu vergreifen, weil sie
+unfehlbar todtgeschlagen würden, es entstände daraus was
+wolle: diese Unordnungen fürchten sie doch. Jeder
+Einquartierte muss täglich zwey Pfund Brot, ein Pfund
+Fleisch und eine Flasche Wein erhalten. Seit einiger Zeit
+müssen die Wirthe für den Wein zehn Kreuzer täglich
+bezahlen: dafür werden dem Soldaten Kittel angeschafft. Da
+ist denn doch die grosse Nation verächtlich klein. Das ist
+heute den 26sten Juny unseres Jahres 1802; und der
+Kommandant der Truppen mag seine Ehre retten, wenn er kann:
+ich sage was ich vielfältig gehört habe.</p>
+
+<p>Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus schön, und
+besonders bey Rheinfelden. In Basel am Thore lud man mich
+zum Kriegsdienst der Spanier ein, die hier für junges Volk
+von allen Nationen freye Werbung hatten, ausgenommen die
+Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich
+<!-- pb n="438 " facs="#f0466"/ --> gleich die
+Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn es zeigt wenigstens,
+ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beissen und mit
+schlagen könne. Im Wilden Manne war die Gesellschaft an des
+Wirthstafel ziemlich zahlreich und sehr artig. Der
+französische Kommandant, zu dem ich wegen meines Passes
+ging, war freundlich und höflich. Der preussische Pass war
+in Mailand revidiert worden, und der General Charpentier
+hatte daselbst bloss darauf geschrieben, dass er durch die
+Schweiz nach Paris gültig sey. In Basel wies man mich damit
+an den ersten Gränzposten, ungefähr noch eine Stunde vor der
+Stadt. Als ich dort ankam, sahe der Offizier nur flüchtig
+hinein, gab ihn zurück und sagte: <span class="italic">Vous
+etes bien en regle. Bon voyage!</span> und seitdem bin ich
+nirgends mehr darnach gefragt worden. So wie ich in das
+französische Gebiet trat, war alles merklich wohlfeiler und
+man war durchaus höflicher und billiger. In einem Dorfe
+nicht weit von Belfort hielt ich eine herrliche
+Mittagsmahlzeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht,
+Braten, zweyerley Desert und gutem Wein und zahlte dafür
+dreyssig Sols. Dafür hätte ich jenseit der Alpen wenigstens
+dreymal so viel bezahlen müssen. Den nehmlichen Abend, vier
+Meilen von Basel, zahlte ich für ein recht gutes Quartier
+mit Zehrung nur sechs und vierzig Sols. So ging es
+verhältnissmässig immer fort; und auch nicht viel theurer
+ist es in Paris. Mir thut die Humanität und das allgemeine
+Wohlbefinden besser als der wohlfeile Preis. Man spricht
+dort noch etwas deutsch und Leute von Erziehung bemühen sich
+beyde Sprachen richtig und angenehm zu reden. Das
+<!-- pb n="439 " facs="#f0467"/ --> Dorf war ziemlich gross
+und als ich gegen Abend noch einen Gang an den Gärten und
+Wiesen hin machte, hörte ich in der Ferne an einem kleinen
+buschigen Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir
+in ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam hörte
+ich eine schöne einfache ländliche Melodie zu einem
+deutschen Texte, den ich für ein Gedicht von Matthison
+hielt. Die Sängerinnen waren drey Mädchen, die man wohl in
+der schönen Abendröthe für Grazien hätte nehmen können. Die
+Zuhörer mehrten sich und ich war so heimisch, als ob ich an
+den Ufern der Saale gesessen hätte.</p>
+
+<p>Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon
+herunter. Es war ein Vergnügen zu wandeln; überall sahe man
+Fleiss und zuweilen auch Wohlstand. Wenigstens war nirgends
+der drückende Mangel und die exorbitante Theurung, die man
+jenseits der Alpen fand: und doch hatte hier die Revolution
+gewüthet und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein
+Waffenplatz als eine Festung. Wenigstens würde bey einer
+Belagerung die Stadt bald zu Grunde gehen und der Ort sich
+kaum halten. In Auxonne wurden alle Festungswerke
+niedergerissen, und jedermann ging und ritt und fuhr
+ungehindert und ungefragt aus und ein. Das fand ich selbst
+gegen die Schweiz sehr liberal. Einen Abend blieb ich in
+Genlis, dem Gute der bekannten Schriftstellerin. Die
+Besitzung ist sehr nett, aber sehr bescheiden; und die Dame
+wird trotz allem was ihre Feinde von ihr sagen hier sehr
+geliebt.</p>
+
+<p>Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und rund um die
+Stadt einen ziemlich angenehmen Spa<!-- pb n="440 " facs="#f0468"/ -->ziergang.
+Der Ort empfindet die Folgen der Revolution vor allen
+übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute
+wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer
+Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königlich zu seyn.
+Mein Wirth, der sehr höflich mit mir herum lief, erzählte
+mir in langen Klagen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer
+Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so
+viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in den
+Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat
+freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel
+der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu
+machen: diese können allerdings bey keiner vernünftigern
+Einrichtung gewinnen. Alle grosse Städte, die nicht auf
+Handel, Fabriken und Industrie beruhen, die Kapitale
+ausgenommen, müssen durch die Veränderung nothwendig
+verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die
+reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst
+verzehren. Der Park des Prinzen Condé vor dem Petersthore
+ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belustigungsort. Im
+Ganzen ist die Stadt sehr todt.</p>
+
+<p>Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiss ward,
+mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort mit der
+Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mittelstadt, aber
+ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhafter als Dijon. Zum
+Friedensfeste hatte man an dem Boulewardskoffee der Hebe
+einen Tempel aufgeführt, der der franzö ischen Kunst eben
+keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die
+Bewirthung gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der
+alten
+<!-- pb n="441 " facs="#f0469"/ --> ächt französischen
+Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in die Gartenlaube und
+hielt mir bey Gelegenheit der Bezahlung einen langen
+Unterricht über den Geldkurs, und gab mir Warnungen, damit
+ich als Fremder mit der Münze nicht betrogen würde; welches
+indessen zur Ehre der Nation nur sehr selten geschehen ist.
+In Italien war der Fall häufiger, und auch in der
+Schweiz.</p>
+
+<p>Die Gesellschaft in der Diligence war besser als der
+einsylbige Kourier von Dijon. Ein alter General von der
+alten Regierung, ein fremder Edelmann aus der Schweiz, ein
+Landpfarrer der zugleich Mediciner war, ein Kaufmann ehmals
+Adjutant des General Lecourbe, ein Gelehrter von Auxerres,
+der vorzüglich in der Oekonomie stark zu seyn schien und
+einige andere Unbekannte machten eine sehr bunte
+Konversation. Ich sass zwischen dem Geistlichen und dem
+Gelehrten im Fond, und vor mir der General auf dem
+Mittelsitze. Der General hatte ehemals in Domingo
+kommandiert, wäre fast bey seiner Rückkehr in Brest
+guillottiniert worden, und nur die Intervention vieler
+angesehener Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner
+politischen Orthodoxie in der damaligen Zeit das beste
+Zeugniss gaben. Der Geistliche war ausgewandert gewesen und
+hatte als Arzt einige Zeit auf der Gränze gelebt, war aber
+mit vieler Klugheit zu rechter Zeit zurückgekommen und hatte
+seitdem nach dem Winde laviert. Jetzt zeigte er nun wieder
+mehr seinen eigentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen
+Kenntnissen und vielem Scharfsinn und vieler Verbindung mit
+den ehemaligen Grossen; also allerdings kein Plattkopf,
+sondern ein Spitzkopf.</p>
+
+<!-- pb n="442 " facs="#f0470"/ -->
+<p>Er erzählte, als ob das so seyn müsste, eine Menge
+heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in seinem eigenen
+Munde zwar unterhaltend aber eben nicht salbungsreich waren.
+So war er bey Sens einmal als falscher Bischof gereist und
+hatte falsche Offizialien gehalten, und man hatte sich fast
+todt gelacht als er den Spass entdeckte. Ein andermal hatte
+er einst als Chorschüler gesehen, dass ein Bauer seinem
+Beichtvater einen grossen schönen Karpfen brachte und ihn
+unterdessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der
+Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte seine
+grosse Freude, als der absolvierte Bauer kam und in und
+unter dem Weihkessel umsonst den eingesetzten Karpfen
+suchte, um ihn nun in die Küche des geistlichen Herrn
+abzuliefern. Dergleichen Schnurren hatte er zu Dutzenden,
+und erzählte sie besser als ich. Noch eine Drolerie
+zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte.
+Es lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen
+Gütern und war als sehr guter Haushalter bekannt. Einst
+kommt ein Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet,
+er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun, seyd Ihr denn
+sein Peruckenmacher? fragte der Beichtvater. &mdash; Nein;
+ich habe sie ihm nur so gekämmt. &mdash; Das sind Possen;
+die könnt ihr künftig bleiben lassen: was gehn Euch des
+Kanzlers Perücken an. &mdash; Dieser geht mit der Absolution
+fort und ein anderer kommt und beichtet, er habe dem Kanzler
+die Perücke gekämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche
+Verweis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter mit
+der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen
+<!-- pb n="443 " facs="#f0471"/ --> Herrn plötzlich auf, es
+müsse eine ganz eigene Kämmerey seyn. Die Vorhergehenden
+hielten in der Kirche noch etwas
+Andacht; <span class="italic">écoutés
+donc</span>, <span class="italic">Messieurs les
+perruquiers</span>, ruft er ihnen
+zu, <span class="italic">venés encore un peu ici</span>;
+<span class="italic">il y a encore à peigner</span>. Was hat
+das für eine Bewandtniss mit der Perücke? Nun erklärte denn
+das beichtende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne
+Heuschober draussen auf der Wiese stehen, und sie gingen
+zuweilen mit dem Rechen hinaus und zögen rund herum
+bedächtig herunter, dass es niemand merkte: das nennten sie
+des Kanzlers Perücke kämmen. Die neue Manier die Perücke zu
+behandeln wurde also nun scharf gerügt, untersagt und schwer
+verpönt.</p>
+
+<p>Nung fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu erzählen,
+was die heiligen Reliquien hier und da in der Nachbarschaft
+von Paris wieder für Wunder thäten, und dem Himmel zu
+danken, dass man endlich wieder anfange an die
+allerheiligste Religion zu denken und sie nun wieder wagen
+dürfe, ihr Haupt empor zu heben. Er erzählte wenigstens ein
+halbes Dutzend ganz nagelneue Wunder, von denen ich
+natürlich keins behalten habe. Er selbst hatte mit heissem
+heiligen Eifer <span class="italic">un abregé precis sur la
+verité de la religion chrétienne</span> geschrieben, so
+hiess glaube ich der Titel, und das Buch dem Kardinal
+Kaprara zugeschickt. Nach dem Tone zu urtheilen, kann ich
+mir die Gründe denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte,
+ein schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufgemuntert,
+in seinem Eifer muthig fort zu fahren. Einen komplettern
+Beweis für die Wahrheit in dem Buche kann man nun füglich
+nicht verlangen, als das Urtheil und den Stempel des
+Kardinals Kaprara.</p>
+
+<!-- pb n="444 " facs="#f0472"/ -->
+<p>Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die Ceremonien
+und Feyerlichkeiten des Hofs beschrieben und nicht ganz
+leise hingedeutet, dass man die glückliche Rückkehr
+derselben bald hoffe. Der geistliche Herr, der den Sprecher
+machte und wirklich gut sprach, erhob nun vorzüglich die
+Mätressen der Könige von Frankreich, von der schönen
+Gabriele bis zur Pompadour und weiter herunter. Es wurde
+dabey das Ehrengesetz der Galanterie nicht
+vergessen: <span class="italic">Les rois ne font que des
+princes, les princes font des nobles et les nobles des
+roturiers</span>. Er behauptete aus gar nicht unscheinbaren
+Gründen, dass alle diese Damen sehr gutmüthige Geschöpfe
+gewesen, und ich bin selbst der Meinung, dass sie dem Reiche
+weit weniger Schaden zugefügt haben als die Minister und die
+Könige selbst, deren Schwachheiten gegen beyde oft unerhört
+waren. Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr
+orthodoxen Geistlichen etwas drollig. Gegen Bonaparte hatte
+er weiter nichts, als dass er zu schnell gehe, dass man aber
+von dem grossen Manne noch nicht urtheilen dürfe. Da hatte
+ich denn freylich gesündigt; denn ich hatte nun leider
+einmal geurtheilt. Das Urtheil über öffentliche Männer, es
+mag wahr oder falsch seyn, kommt nie zu früh, aber oft zu
+spät. Mit frommer Andacht meinte er
+noch, <span class="italic">que Bonaparte seroit le plus
+grand homme de l'univers et de toute l'histoire, s'il
+mettoit en se retirant le vrai rejetton sur le throne</span>.
+Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem geheimen
+Rath machen. Das alles wurde ohne viele Vorsicht öffentlich
+in der Diligence geäussert: Du siehst, dass sich die Fahne
+sehr gedreht hat. Man sagte laut,
+<!-- pb n="445 " facs="#f0473"/ --> dass die Mehrheit den
+König wünsche, und ihre Zuchtmeister mögen ihnen wohl den
+Wunsch ausgepresst haben. Die Generale nannte man
+nur <span class="italic">les mangeurs de la
+republique,</span> und das ohne Zweifel mit
+Recht<span class="italic">.</span></p>
+
+<p>Unter diesen und andern Ventilationen kamen wir den 6sten
+July in Paris an, wo man mich in das
+<span class="italic">Hotel du Nord</span> in der Strasse
+Quincampoi brachte, wo, wie ich höre, der berüchtigte Law
+ehemals sein Wesen oder Unwesen trieb. Das war mir zu
+entfernt von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein
+erster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen. Ich fand mit der
+Addresse sogleich sein Haus und hörte zu meinem grossen
+Leidwesen, dass er vor sieben Tagen schon abgereist war.
+Seine Stube war noch leer, der Kolonnade des Louvers gegen
+über; ich zog also wenigstens in seine Stube: und aus dieser
+schreibe ich Dir, in der Hoffnung Dich bald selbst wieder zu
+sehen; denn meine Börse wird mich bald genug erinnern die
+väterlichen Laren zu suchen.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+
+<!-- pb n="[446]" facs="#f0474"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Paris2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Paris</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">E</span>s würde anmasslich seyn,
+wenn ich Dir eine grosse Abhandlung über Paris schreiben
+wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein
+Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin
+nur ungefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder
+fertig abzusegeln.</p>
+
+<p>Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, ausgenommen ein
+Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs
+Dreyer. Ich habe nicht das Introduktionstalent und im
+Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten grossen
+Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die
+ihrige und ist des Willkommens selten gewiss; trifft sie
+vielleicht selten zur schönen Stunde, und hätte mehr von
+ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder
+ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist
+der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht
+Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht
+auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt
+vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er
+solle in seiner persönlichen Erscheinung dem Geist und dem
+Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch
+übertreffen; und man bedenkt nicht, dass das Buch die
+Quintessenz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und dass
+die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen
+gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Geburtsnoth
+seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,
+<!-- pb n="447 " facs="#f0475"/ -->
+und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuweilen
+glückliche Geister, deren mündlicher extemporärer Vortrag
+besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber dieses kann
+nicht zur Regel dienen.</p>
+
+<p>Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden
+hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen
+Namen genannt und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich
+bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch
+ohne diess freundlich aufgenommen worden seyn. Millin ist
+für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris
+besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine grosse
+Peripherie von Kenntnissen, die ächte französische
+Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen
+Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität.
+Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen Zimmern
+zu arbeiten und sich seines Raths zu bedienen. Ich habe ihn
+oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf
+der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und
+eine beyspiellose Gefälligkeit gegen Fremde. Dass in der
+öffentlichen Gerechtigkeit grosse Lücken sind, ist bekannt,
+und dass ihre gepriesene Freiheit täglich presshafter wird,
+leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein
+Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte hatte dem
+Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen Russischen
+Goldmünzen gemacht: der Werth muss beträchtlich gewesen
+seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die
+Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen
+Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber
+dess<!-- pb n="448 " facs="#f0476"/ -->wegen sind sie
+nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach.
+&mdash; Sie sind nicht da. &mdash; Aber sie sollten da seyn.
+&mdash; Freylich. &mdash; Wer hat denn die Besorgung gehabt?
+&mdash; Man schwieg. &mdash; Der Kommissär muss doch bekannt
+seyn. Man antwortete nicht. &mdash; Warum untersucht man die
+Sache nicht? &mdash; Man zuckte die Schultern. &mdash; Aber
+das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit
+und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu
+fragen befugt ist. &mdash; Wenn die Herren an der Spitze,
+sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn
+müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen;
+wer will es wagen? &mdash; Wagen, wagen! brummte ich; so so,
+das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte
+und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und
+es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der
+nur so eine Aeusserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist,
+ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine
+Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung
+verirrt man sich, oder vielmehr sucht andere zu
+verwirren.</p>
+
+<p>In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel Inländer und
+Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem
+chinesischen Werke. Ich liess mir den Plutarch von Sankt
+Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen
+zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir
+sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von
+Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich
+alles vorgezogen ist. In der Kupferstich<!-- pb n="449 " facs="#f0477"/ -->sammlung
+hängt an den Fenstern herum eine gezeichnete Kopie von
+Raphaels Psyche aus der Farnesine; aber sie gewährt kein
+ausserordentlich grosses Vergnügen, wenn man das Original
+noch in ganz frischem Andenken hat.</p>
+
+<p>Mein erster Gang, als ich ins Museum im Louver kam, war
+zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen
+Sammlung der Abgüsse und in Florenz bey der schönen Kopie
+des Biondelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort
+nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sey so im Original;
+und das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte den
+alten grossen Künstler eines Fehlers. Die Sache war, das
+linke Bein, um welches sich an der Wade mit grosser Gewalt
+die Schlange windet, war im Abguss und in der Marmorkopie
+gar nicht eingedrückt. Ich weiss wohl, dass die grosse
+Anstrengung der Muskeln einen tiefen Eindruck verhindern
+muss: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und
+auf dem Kunstwerk ist, musste mit ihrer ganzen Kraft der
+Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich machen. Hier
+sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war
+an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte
+die Stücke zusammen gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der
+Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar.
+Beym Abguss und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet
+zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich
+gemacht, als ob sie durch einen seidenen Strumpf gezogen
+würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und
+Beurtheilung; mir kommt
+<!-- pb n="450 " facs="#f0478"/ -->
+es vor, als ob die so verschönerte Wade desswegen
+nicht schöner wäre.</p>
+
+<p>Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre,
+zum Nero dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl
+für sich, dass Nero in dieser Gestalt existiert haben könne;
+es kommt darauf an, dass man beweise, er sey es wirklich. Es
+wäre Schade um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn
+seine Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt
+haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige
+seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey, die hohen
+Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf,
+nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht
+haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben,
+den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die
+Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen
+könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige
+Geschichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und
+vor allen die beyden Brutus, die man links am Fenster in ein
+ziemlich gutes Licht gesetzt hat, welches im Ganzen nicht
+der Fall ist: denn die meisten Kunstwerke, selbst der
+Laokoon und der Belvederische Apoll, stehen schlecht. Ich
+bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und
+rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu
+den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zurück. Ich
+gestehe Dir meine Schwachheit, dass ich lieber
+Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter den Idealen
+finde ich mehr Portraite und Geschichte, als die Künstler
+vielleicht zugestehen wollen.</p>
+
+<!-- pb n="451 " facs="#f0479"/ -->
+<p>Die Gemäldesammlung oben ist verhältnissmässig noch
+reicher und kostbarer als der Antikensaal unten: ber die
+Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch ehlerhafter.
+Wenig Stücke, ausgenommen der grosse Vordersaal, haben ein
+gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bey Madonna
+Bonaparte, und die Transfiguration war verschlossen unter
+den Händen der Restauratoren: ich habe sie also nicht
+gesehen. Dafür war ich glücklich den Saal der Zeichnungen
+offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, dass Schnorr nicht
+mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen Element
+gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle
+Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Raphaels von seiner
+Schule, mich däucht, fast so gross wie das Gemälde selbst.
+Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige
+wenige Veränderungen gemacht. Ich genoss und liess die
+Andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates
+und Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah ich
+auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische
+Vase mit der doppelten griechischen Aufschrift zeichnet sich
+auch durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Dass die
+eine Inschrift &#x0394;&#x03B5;&#x03C0;&#x03B1;&#x03C2;
+heisst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die
+Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjektur des
+Gegenstandes; denn man könnte aus den Zügen eben so gut
+&#x039A;&#x03BF;&#x03F1;&#x03B1;&#x03F0;&#x03B1;&#x03C2; als
+&#x03A0;&#x03B5;&#x03C0;&#x03B1;&#x03C5;&#x03C3;&#x03BF;
+machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch
+nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine
+Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluss
+darüber.</p>
+
+<!-- pb n="452 " facs="#f0480"/ -->
+<p>Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris
+so viel problematisches über seinen Charakter, dass mir die
+Lust verging. Ich sah ihn nur ein einziges Mal in seinem
+kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht
+ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir
+leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich
+hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was
+ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll.
+Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künstler
+auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle.
+Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines
+Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches
+Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und
+ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die
+Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der
+weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des
+Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese
+Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt
+entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die
+Verwaisung seines Hauses. Diess ist nach meiner Meinung die
+ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte
+und kann, so viel ich weiss, nach der Geschichte nicht
+darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die
+Sabinerinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols
+Entre gezeigt werden. Ich weiss nicht ob David es nöthig
+hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht
+weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt,
+weil mich sein Sohn führte. Es
+<!-- pb n="453 " facs="#f0481"/ --> thut mir in seine und
+jedes guten Franzosen Seele leid, dass die Kunst hier so
+sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich,
+da ich im Ganzen der Meinung der andern deutschen
+Beurtheiler bin.</p>
+
+<p>In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um
+zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten,
+als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles
+unentgeltlich und überall war zuvorkommende Gefälligkeit: in
+Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die
+Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem
+Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber
+murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den
+ehemaligen Zimmern des Königs dreyssig Sols; dafür war er
+nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle
+Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung
+der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett
+ist sehr artig und enthält mehrere Kuriositäten, muss aber
+freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den
+botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene
+Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine
+Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des
+Erdbodens. Darunter stand auch noch das Kreuz, und mich
+wundert, dass man es nach Abschliessung des Konkordats noch
+nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst
+durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf
+den Sälen oben sind alle aus der französischen Schule, und
+es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr
+durch Geschichtsbe<!-- pb n="454 " facs="#f0482"/ -->ziehung
+interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie
+wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist
+wohl wahrscheinlich, was man sagt, dass Bäume dabey sind,
+die schon unter Heinrich dem Vierten hier gestanden haben.
+Die Parthien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön,
+als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche
+unstreitig von allen am meisten durch die Revolution
+verloren haben und bey denen das monarchische Wesen
+vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, dass
+der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht
+gänzlich zu Grunde gehen. Das ist geradezu ihre Sprache und
+ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn
+sie vom Grosskonsul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen
+Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist
+er absoluter und despotischer als irgend ein König von
+Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglücklichen
+Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.</p>
+
+<p>Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen,
+der der grossen Nation mit zehnfachem Wucher zurück giebt,
+was die grosse Nation seine kleine seit langer Zeit hatte
+empfinden lassen. Es war der vierzehnte July und ein grosses
+Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm
+herzog. Früh hielt er grosse Parade auf dem Hofe der
+Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter
+in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher
+Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frankreich zu
+sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den
+schönsten Männern, die man an Ei<!-- pb n="455 " facs="#f0483"/ -->nem
+Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir in den
+französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will,
+immer noch nicht die Sieger von Europa vorstellen. Wir sind
+mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen
+Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden.
+Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber nur der
+Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch
+gethan. Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber
+schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen
+Mann sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser als
+auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu
+liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn
+mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern
+nur der Freund der Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit.
+Neid und Herabsetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich
+nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner
+ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe
+seinen Muth, seinen Scharfblick, seine militärische und
+politische Grösse nie verkannt. Problematisch ist er in
+seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als
+jemals, wenn man ihn nicht verdammen soll. Bis auf den Tag
+von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen
+Gränzen heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen
+handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines
+Republikaners gethan.</p>
+
+<p>Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines
+Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris thut, dachte
+ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn
+<!-- pb n="456 " facs="#f0484"/ --> nicht, dass er das
+Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter
+irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und
+Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht,
+dass er so viel als möglich in der wichtigen Periode das
+Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte:
+es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige
+Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt
+an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint.
+Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern
+alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend
+etwas mehr für sich selbst zu thun, sondern alles für die
+Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich
+berechneter Klugheit vorwärts für ihn, und für die Republik
+rückwärts. Land gewinnen heisst nicht die Republik
+befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist,
+den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie
+fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe
+für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm
+die Macht in die Hände gelegt der grösste Mann der
+Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht
+Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen
+Grossen auf gleichen Fuss. Er ist grösser als die Dionyse
+und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt
+sich ihren Ruhm. Dass er nicht sah, dass die Konstitution
+die neue Republik zertrümmern würde und dem Despotismus die
+Wege wieder bahnen, das lässt sich von seinem tiefen Blick
+nicht denken; und über seine Absichten mag ich nicht Richter
+seyn. Ich habe wider
+<!-- pb n="457 " facs="#f0485"/ --> das Konsulat nichts,
+nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war
+sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr
+republikanisch. Ich gebe zu, dass die Dauer der römischen
+Magistraturen von Einem Jahre zu kurz war, zumal bey der
+Unbestimmtheit und Schlaffheit ihrer
+Gesetze <span class="italic">de ambitu</span>; aber die
+Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang.
+Der letzte Stoss war, dass der alte Konsul wieder gewählt
+werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast
+gränzenlose Gewalt in den Händen gehabt hat, müsste ein
+Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher
+Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich
+wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel die Wahl
+zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine
+Bedienungen mögen und dürfen in einer Republik
+lebenslänglich seyn; wenn es aber die grossen sind, geht der
+Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht
+geglaubt, dass es so schnell gehen würde; aber auch dieses
+zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die
+Franzosen seyen zur Despotie gemacht, so kommen sie ihr
+überall entgegen. Sie haben während der ganzen Revolution
+viel republikanische Aufwallung, oft republikanischen
+Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber
+selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie
+republikanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da
+einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der
+Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung
+freylich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth
+gepredigt worden, die
+<!-- pb n="458 " facs="#f0486"/ --> man sich vorher nur sehr
+leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen
+seyn werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser
+Ideen und der Missbrauch derselben geben den etwas
+gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände.
+Die Republik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar
+weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine
+haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt geschehen ist.
+Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel
+zugesehen und immer geglaubt und gehofft, dass aus dem wild
+gährenden Chaos endlich noch etwas vernünftiges
+hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freyheit
+entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob
+ich Republikaner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung,
+dass eine grosse Republik nicht dauern könne. Wir haben an
+der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer
+gerühmten Weisheit, schlecht genug organisiert war. Ich
+halte dafür, dass in einer wohlgeordneten Republik am
+meisten Menschenwürde, Menschenwerth, allgemeine
+Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist.
+Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen
+und hier nicht der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das
+Grab der Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt
+sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerechtigkeit,
+oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man
+klüglich die Geistlichen und Gelehrten in etwas Theil an
+manchen Privilegien nehmen lassen, damit der Begriff nicht
+so leicht unbefangen aus einander gesetzt werde, und die
+Beleuchtung Publicität ge<!-- pb n="459 " facs="#f0487"/ -->winne.
+In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem
+einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug
+gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder
+einschleichen und festsetzen, und man arbeitete selbst
+dadurch für sie, dass man auf der Gegenseite ohne Schonung
+stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch
+die freye Fischerey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz
+skoptisch in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der
+Polizey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel im
+Lande allerhand Jagd. Muss man denn bey Abstellung der
+Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frey geben? Oder ist
+dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frey seyn. In
+jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der
+Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniss
+haben das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den
+Process gegen den Nachbar, der es zum Schaden seiner
+Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in Frankreich
+abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen;
+denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach
+meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freyheit und
+Gerechtigkeit in einem Staate, dass der Staat durchaus nur
+reine Besitzungen giebt und sichert und dafür reine
+Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die
+Rechtsverhältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller
+Art aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Gesetz,
+das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint:
+dieses ist aber nicht weiter, als in so fern gar niemand ein
+Eigenthumsrecht zum Nachtheil
+<!-- pb n="460 " facs="#f0488"/ --> des Staats haben kann
+und darf. Niemand darf nehmlich die Erlaubuiss haben seine
+Grundstücke mit Lasten zu verkaufen oder auf immer zu
+vergeben, sondern muss sie durchaus rein veräussern. Nur
+durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der
+Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle
+Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen
+aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem,
+und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur
+Sklaverey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln
+Grundstücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre
+Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl
+schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu
+viele Grundstücke hat, dass er sie nicht durch sich und
+seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und
+bestellen lassen kann; so hat er für den Staat in jeder
+Rücksicht zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann
+verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer
+als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der
+Bürger kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate:
+und Bürger ist jeder, der nur einen Fuss Landes
+besitzt. <span class="italic">In detrimentum
+reipublicae</span> finden keine Besitzungen Statt. Es
+versteht sich von selbst, dass dann alle Steuerkataster nach
+der Regel Detri gemacht werden; und die erste Realimmunität
+ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten
+nicht nach diesen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir
+nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse,
+nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich
+<!-- pb n="461 " facs="#f0489"/ --> ist kein Gesetz, das den
+belasteten Verkauf der Grundstücke untersagte; die Folge ist
+voraus zu sehen.</p>
+
+<p>Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf
+Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur
+Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allgemein
+gefühlt: aber niemand hat die Macht dem Allmächtigen zu
+widerstehen, der den Bayonetten befiehlt. Die Bayonette
+sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und
+die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis
+auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung
+militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit
+gethan. Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit
+spricht wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so
+schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher
+stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde
+auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, dass vor
+einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht
+Schuld daran war dass die Esel keine Hörner haben, sich
+höchlich freute, dass nun wenigstens ein Edelmann allein an
+der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der
+Mann muss in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele
+gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen.
+Man sagt, Kaprara habe schon auf Wiederherstellung der
+Klöster angetragen, sey aber von Bonaparte zurück gewiesen
+worden. Bonaparte müsste nicht der kluge Mann seyn, der er
+ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder
+mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muss. Es ist das Glück
+des Adels und der Geistlichkeit, dass sie mit
+Modificationen, in
+<!-- pb n="462 " facs="#f0490"/ --> seine Zwecke gehören.
+Wenns Noth thut, wird sich schon alles geben. Dass die
+Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus
+Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik
+hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich
+den Katholicismus zur Staatsreligion, das heisst zur
+herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so
+fort geht, dass man in hundert Jahren das Bekehrungsgeschäft
+nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde durch die
+Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht überrascht; es
+war seine Konsequenz: er war bey der Osterceremonie der
+nehmliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest
+anfing: Im Namen des einzigen Gottes, der keinen Sohn hat!
+Er dachte, <span class="italic">mundus vult</span>
+&mdash; <span class="italic">ergo</span> &mdash;; aber das
+Sprichwort ist wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, dass
+er nicht so gedacht hätte. <span class="italic">Il est un
+peu singe, mais il est comme il faut;</span> sagte der
+geistliche Herr im Postwagen. Er ist dadurch von seiner
+Grösse herab gestiegen. Man sagt, er habe sogar die Fahnen
+weihen wollen, sey aber durch das Gemurmel der alten
+Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die
+Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und
+Petersburg entschieden republikanische Massregeln nimmt,
+gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regierung
+verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Gegentheil muss
+aus dem nehmlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich
+gelten: man müsste denn in der Berechnung etwas höher gehen;
+welches aber sodann jedem
+Revolutionär <span class="italic">in utramque partem</span>
+zu Statten kommen würde.</p>
+
+<!-- pb n="463 " facs="#f0491"/ -->
+<p>Jetzt lebt er einsam und misstrauisch, mehr als je ein
+Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade;
+der Konsul hält alle Monate nur eine einzige. Er erscheint
+selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im
+Schauspiel in seiner Loge Reverbers nach allen Seiten haben,
+die ihm alles zeigen ohne dass ihn jemand sieht. Bey andern
+Massregeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige
+Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein Name würde
+in der Weltgeschichte die Grösse aller andern
+niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder
+wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür thut er auf den
+kleinlichen Ruhm eines Aristides Verzicht. Ich könnte
+weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel
+verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft
+grossen Mann rein verehren; das kann ich nun hier nicht.</p>
+
+<p>Man sagt sich hier und da still und leise mehrere
+Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des
+ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen
+Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkordat und die
+Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer
+Republikaner in die ehemaligen Zimmer des Königs führte, die
+er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabey bedeutend
+sagte: <span class="italic">Citoyen, vous
+entr</span>é<span class="italic">s ici dans la chambre d'un
+tyran:</span> antwortete er mit schnellem
+Scharfsinn: <span class="italic">S'il avoit</span>
+été <span class="italic">tyran, il le serait encore</span>:
+Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm
+vorgestellt wurde, das Volk murre bey einigen seiner
+Schritte, er möchte bedenken; erwiederte
+er: <span class="italic">Le peuple n'est rien pour qui le
+sait me<!-- pb n="464 " facs="#f0492"/ -->ner</span>. Dem
+Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey jeder Gelegenheit
+als einen flachen sehr subalternen Kopf darstellt, soll er
+auf eine Erinnerung sehr skoptisch gesagt
+haben: <span class="italic">Si j'avois été roi en</span>
+1790<span class="italic">, je le serois encore; et si
+j'avois dit alors la messe, j'en ferois encore de
+même</span>. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich
+an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es
+niemand, weil seine <span class="italic">lettres de
+cachet</span> eben so sicher nach Bicetre führen als unter
+den Königen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das
+lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr
+unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein
+angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann
+war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzutasten nicht
+wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey alles sehr gut,
+aber jetzt nur noch etwas zu früh. Jedermann der etwas
+weiter blickte, behauptete, es sey leider etwas zu spät. Das
+Gesetzgebende Korps nennt man hier die Versammlung, durch
+welche er Gesetze giebt. Als sein Kommissär, ich glaube
+Reding, mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen
+Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand;
+sondern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er
+bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern
+geknackt und gesagt haben: <span class="italic">Ah je saurai
+les attraper</span>. Das hat er gehalten. Er schmiedete
+schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen
+und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn.
+Ueber die Stimmung werden sonderbare Anekdoten erzählt; aber
+sie ist geschehen.</p>
+
+<p>Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen,
+<!-- pb n="465 " facs="#f0493"/ -->
+<span class="italic">le premier
+consul</span>, <span class="italic">le grand
+consul</span>, <span class="italic">le consul</span>
+vorzugsweise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil
+der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ihrer wird
+weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen
+Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn
+auch <span class="italic">Sa Majesté</span>, und ich stehe
+nicht dafür, dass es nicht Ernst wird. Auch heisst er
+ziemlich öffentlich
+<span class="italic">empereur des Gaules</span>, vielleicht
+die schicklichste Benennung für seinen Charakter, welche die
+Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf
+Cäsar folgte August, und so weiter.</p>
+
+<p>Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloss ein
+Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem
+Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen
+gedrängt stand. Die ganze Nationalmusik führte es aus, und
+that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst
+gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen
+feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe
+den Meister nicht erfahren. Das erste Orchester und
+vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere
+Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe
+Magistraturen der Republik, wie sie noch heisst, in ihrem
+Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen,
+denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul liess
+sich einigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. Endlich
+fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber
+nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht
+über hundert Tausend, und kaum der hundertste Theil gab die
+Ehrenbezeugung. Der
+<!-- pb n="466 " facs="#f0494"/ --> Enthusiasmus war also
+nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde
+hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die
+Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und
+man sprach hier und da davon, dass die republikanischen
+Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreiflich.
+Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die
+Republik selbst.</p>
+
+<p>Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder
+anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe
+ich weder Lust noch Zeit noch Kenntniss. Die bunte Scene
+wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloss
+der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern,
+welcher die Hauptpromenade der Pariser in dieser Gegend
+ausmacht, gewährt täglich eine unendliche Verschiedenheit.
+Die Pressfreyheit ist hier verhältnissmässig eingeschränkter
+als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe
+jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen als
+damals und Moliere könnte wieder
+sagen: <span class="italic">Monsieur président ne veut pas,
+qu'on le joue</span>. Die Dekaden sind durch das Konkordat
+und die Einführung der römischen Religion nothwendig
+geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch
+rechnet man in Paris fast überall wieder nach dem alten
+Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen
+Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den
+Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als in
+Italien. In Italien konnte ich fast überall essen nach
+Belieben; in Dijon musste ich einigemal, sogar an der
+Wirthstafel, zur Fasten mit der
+<!-- pb n="467 " facs="#f0495"/ --> Gesellschaft
+Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war
+es einerley, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist
+doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere
+Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freylich noch keine
+Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten
+Namen der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder
+ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast
+gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie
+die neuen Namen gar nicht wüssten; so sah mich ein sehr
+wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in
+die <span class="italic">rue de la loi</span> wollte, wiess
+mich aber sehr höflich weiter, als ich
+sie <span class="italic">rue de Richelieu</span> nannte. Das
+Pantheon heisst wieder die heilige Genoveve, und wird höchst
+wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob
+sich alles so sanft wieder machen wird, weiss der Himmel.
+Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen
+Modifikationen darauf hinzuarbeiten. Die wieder
+eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten
+schon überall von neuem mit ihren Anmasslichkeiten hervor
+und finden Engbrüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie
+versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn
+man die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben will.
+Das kann in einzelnen Fällen sogar republikanische
+Gerechtigkeit seyn: aber der Missbrauch kann weit führen.
+Man erzählt viele Beyspiele, dass die französischen
+Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen gestatten. Lasst
+nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seyd
+ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich
+sonderbare Abhandlung in einem
+<!-- pb n="468 " facs="#f0496"/ --> öffentlichen Blatte, wo
+der Verfasser eine Parallele zwischen dem französischen und
+englischen Nationalcharakter zog. Man blieb ungewiss, ob das
+Ganze Ernst oder Ironie war. Er liess den Britten wirklich
+den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine
+Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack.
+Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die
+Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich,
+die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der
+Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man
+fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme
+Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig
+dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der
+Herren von der Seine.</p>
+
+<p>Die Polizey ist im Allgemeinen ausserordentlich liberal,
+wenn man sich nur nicht beygehen lässt, sich mit Politik zu
+bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das
+alte Schibolet zu brauchen,
+<span class="italic">panem et circenses</span>. Wenn ich in
+irgend einer grossen Stadt zu leben mich entschliessen
+könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr
+als eine andere Nation dafür gesorgt, dass man in der
+Hauptstadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien,
+die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der
+botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere
+andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die
+man durchaus in keiner andern grossen Stadt so trifft. Eine
+meiner sentimentalen Morgenpromenaden war die Wachparade der
+Invaliden zu sehen; in meinem Leben ist mir nichts rührender
+ge<!-- pb n="469 " facs="#f0497"/ -->wesen, als diese
+ehrwürdige Versammlung. Kein einziger Mann, der nicht für
+sein Vaterland eine ehrenvolle Wunde trug, die ihm die
+Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer
+Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füsse so
+fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine
+Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glauben
+vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit gefochten zu
+haben und verstümmelt zu seyn.</p>
+
+<p>Morgen will ich zu Fusse fort, und bin eben bloss aus
+Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewesen: denn man
+weiss doch nicht, welche Schwierigkeiten man in der Provinz
+haben kann. Meine Landsleute und Bekannten hatte mir gleich
+beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müsste mich mit
+meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von
+Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die
+Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will;
+ich weiss nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis
+hierher nicht nach meinem Passe gefragt; auch nicht hier an
+der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte
+übrigens kein Wort, dass ich etwas zu thun hätte. Wenn mich
+die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen
+lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen
+oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand.
+Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier,
+der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich
+an, besahe mich und den Pass und sagte sehr freundlich, ohne
+ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie
+<!-- pb n="470 " facs="#f0498"/ --> reisen so ab, wenn Sie
+wollen. &mdash; Der Pass war noch der Preussische von Rom
+aus. &mdash; Wenn Sie ihn allenfalls vom Grafen Luchesini
+wollen vidieren lassen, das können Sie thun; aber nöthig
+ists nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen
+thue ich nicht gern mehr als ich muss; ich ging also nicht
+zu dem Gesandten.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
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+
+<!-- pb n="[471]" facs="#f0499"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Frankfurt">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Frankfurt</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>en Himmel sey Dank, nun
+bin ich wieder diesseit des Rheins im Vaterlande. Ich werde
+Dir über meinen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen
+haben, da er so oft gemacht wird und bekannter ist als eine
+Poststrasse in Deutschland.</p>
+
+<p>Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in
+Meaux. Der Weg ist angenehm und volkreich, wenn gleich nicht
+malerisch; und die Bewirthung ist überall ziemlich gut,
+freundlich und billig. Wenn ich zwischen Rom und Paris eine
+Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der
+Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber
+in Rücksicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur
+das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen
+wie viel für Humanität und Umgang dort zu haben ist; für
+Wissenschaft ist fast nicht mehr. Alte Geschichte und alles
+was sich darauf bezieht ist das einzige, was man dort an Ort
+und Stelle gründlich und geschmackvoll studieren kann. In
+Paris sind die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen
+für jedermann, und es gehört sogar zum guten Ton, wenigstens
+zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer
+zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige
+Kupferstiche zu beschauen. Wer sie benutzen will findet in
+allen Zweigen Reichthümer; und alles wird mit Gefälligkeit
+gereicht. In Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange
+ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in
+Ita<!-- pb n="472 " facs="#f0500"/ -->lien, und es ist
+vielleicht kein Unglück, dass sie etwas geweckt und zu
+wandern gezwungen worden sind.</p>
+
+<p>Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte
+die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute
+besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten
+allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die
+Hauptwerke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch haben
+sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag
+vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als
+Paris; aber die ersten Meisterwerke der grössten Künstler,
+die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht
+weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle,
+die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel
+Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den
+ganzen Reichthum ihres Geistes niedergelegt haben, mussten
+unangetastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören
+wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze
+Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der
+Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn;
+aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die
+Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie
+unter den Pferdekennern so viel Lärm machen werden, als sie
+unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiquaren
+gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist
+mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus
+Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige
+Vorzug, den sie haben, ist, dass sie vielleicht die einzigen
+Tethrip<!-- pb n="473 " facs="#f0501"/ -->pen sind, die wir
+noch übrig haben: und auch dazu fehlt ihnen noch viel.
+Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit
+Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere
+Pferde seyn. Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern
+gegeben. Gegen das Kapitol haben diese nicht nöthig zu
+krähen, wie die Gänse gegen die Gallier schrien; wenn sie
+nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht vorbey lassen.</p>
+
+<p>Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen,
+die vatikanische und kapitolinische, in Kontribution
+gesetzt. Es ist kein Privateigenthum angegriffen worden. Die
+Privatsammlungen machen aber in Rom vielleicht den grössten
+Theil aus. In der Villa Borghese steht alles wie es war; und
+der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an
+klassischem Werth in Paris ihres gleichen suchen. Die
+schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese
+und auf dem Kapitol und sonst hier und da. Sarkophagen,
+freylich sehr untergeordnete Kunstwerke, und Badegefässe
+sind in Rom noch in grosser Menge von ausgesuchter
+Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwey ärmliche
+Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist
+die Gegend um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die
+Natur hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtragen
+kann. Man hat zwar die Namen Fraskati und Tivoli nach Paris
+gebracht und alles schön genug eingerichtet: aber Fraskati
+und Tivoli selbst werden für den Maler dort bleiben, wenn
+man auch alles umher zerstört. Der Fall, die Grotte, die
+Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt
+wer<!-- pb n="474 " facs="#f0502"/ -->den, und stehen
+noch jetzt, wie vor zwey tausend Jahren, mit dem ganzen
+Zauber des Alterthums. Das Haus des Mecän verfällt, wie die
+Häuser des Flakkus und Katullus; man zieht keine Musen mehr
+aus ihrem Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend
+Reitzungen ohne sie. Man hat in Paris keinen Albaner See,
+kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe nach
+Paris; der Künstler wird zur Vollendung immer noch nach Rom
+gehen, wenn er gleich für sein Fach auch hier an der Seine
+jetzt zehnmal mehr findet als vorher. Sobald die Franzosen
+Raphaele und Bonarotti haben werden, sind sie die Koryphäen
+der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie ins
+Vatikan.</p>
+
+<p>Füger und David scheinen mir indessen jetzt die einzigen
+grossen Figurenmaler zu seyn. Die Italiäner haben, so viel
+ich weiss, keinen Mann, den sie diesen beyden an die Seite
+stellen können. Dafür haben die andern keinen Canova. Ein
+grosser Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt
+nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten
+seines Lehrers vorziehen.</p>
+
+<p>Den zweyten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern
+Unterricht schlug ich die Strasse rechts ein, war aber
+diessmal nicht dem besten Genius gefolgt. Sie war sehr öde
+und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es
+ward nicht eher wieder konfortabel, bis die Strassen bey
+Chalons wieder zusammen fielen. Ich verlor dadurch einen
+grossen Strich von Champagne, und die schönen Rephühneraugen
+in Epernay, auf die ich mich schon beym Estest in
+Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das
+<!-- pb n="475 " facs="#f0503"/ --> man mir dort in den
+Wirthshäusern unter dem Namen Champagner gab, kann ich nicht
+empfehlen. Einige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht
+an einem Ort der Pogny heisst, und der seinem Namen nach
+vielleicht der Ort seyn kann, wo Attila sehr tragisch das
+Nonplusultra seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in
+Longchamp, dann in Ligne en Barrois. In Nancy, wo ich
+Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das Schloss und die
+Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen
+Spaziergang gewähren und ziemlich gut unterhalten werden.
+Hier hatte ich den 26sten July schon reife ziemlich gute
+Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit einem Briefe
+von Paris besuchte, macht seinem holländischen Namen durch
+wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder deutsch noch
+holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und spricht
+mit vieler Zärtlichkeit von ihm, so wie dieser oft mit
+kindlicher Dankbarkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet
+war mit der deutschen Literatur und besonders mit dem
+Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutschland sehr
+gut bekannt und schätzte die Genauigkeit und Gründlichkeit
+der deutschen Untersuchungen.</p>
+
+<p>Von da ging ich über Toul immer nach Strassburg herauf.
+Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf den
+Wirthshausschildern in französischer und deutscher Sprache
+zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug
+aussieht. Bey Zabern ist die Gegend ungewöhnlich schön und
+es muss in den Bergen hinauf romantische Parthien geben. Da
+ich den letzten Abend noch gern nach Strassburg wollte, nahm
+ich die letzte
+<!-- pb n="476 " facs="#f0504"/ --> Station Extrapost und
+liess mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir zu
+heiss und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence
+nach Mainz fahren: aber des alten wackern Oberlins
+Höflichkeit und einige neue angenehme Bekanntschaften
+hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten
+Abfahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte
+die Güte mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Unter den
+bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weiblicher Satyr
+aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die Seltenheit
+solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte
+verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der
+verstümmelten Statüen vom Münster und mit sarkastischen
+Inschriften auf die vandalischen Zerstörer aufbewahrt, wo
+Rühl und einige andere sich nicht über ihre Enkomien freuen
+würden. Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft
+über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner
+Pilgerschaft bey Kehl zuerst wieder den vaterländischen
+Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen
+Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr
+viel wieder aufgebaut. Dass ich mich etwas auf dem Münster
+umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine
+herrliche Aussicht auf die ganze grosse schöne reiche Gegend
+und den majestätischen Fluss hinauf und hinab. Es wäre
+vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder
+diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beyden Gebäude
+sind wohl auf alle Fälle die grössten Monumente gothischer
+Baukunst. Als ich in der Thomaskirche das schlechtgedachte
+und schön gearbeitete Mo<!-- pb n="477 " facs="#f0505"/ -->nument
+des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige
+französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie
+hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich musste ihnen
+von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich
+wusste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf
+der Polizey wunderte man sich, dass mein Pass nirgends
+unterschrieben war und ich wunderte mich mit und erzählte
+meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis
+Strassburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne
+Unterschrift zurück.</p>
+
+<p>Nun fuhren wir über Weissenburg, Landau, Worms und so
+weiter nach Mainz. Nach meiner alten Gewohnheit lief ich bey
+dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine
+Stunde Weges gemacht. Die Deutschen der dortigen Gegend und
+tiefer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonderbaren
+Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich
+ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu
+sprechen; desto schnurriger musste es mir vorkommen, dass
+ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden
+gehalten wurde. Ich sass unter einem Nussbaum und ass Obst,
+als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte.
+Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligence
+hier nothwendig vorbey musste; er bejahte dieses. Ein Wort
+gab das andere, und er fragte mich in seiner lieblichen
+Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz?
+&mdash; Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum
+glaubt Er dass ich ein Jude sey? &mdash; Wähl der Härr
+okkeroht sprücht wü<!-- pb n="478 " facs="#f0506"/ --> ain
+Jüd. Man hat mir zu Hause wohl manches Kompliment über meine
+Sprache gemacht; aber ein solches war nicht darunter.</p>
+
+<p>Von der Gegend von Weissenburg kann ich militärisch
+nichts sagen, da es noch ziemlich finster war, als wir dort
+durchgingen. Landau ist weiter nichts als Festung, und alles
+was in der Stadt steht, scheint bloss auf diesen einzigen
+Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen Morgen an
+und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich
+höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch
+mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen als an irgend einem
+andern Orte. Der Krieg hat verhältnissmässig weniger
+geschadet. Ich hielt mich nur einen Tag auf um einige Männer
+zu sehen, an die ich von Oberlin Addresse hatte. Auch unser
+Bergrath Werner von Freyberg war hier und geht, wie ich
+höre, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem
+Ansehen.</p>
+
+<p>Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence
+durch einen der schönsten Striche Deutschlands hierher.</p>
+
+<p>Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit
+ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und
+nahm die Nachrichten immer mit verschiedener Stimmung auf.
+Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul
+wiederholen: <span class="italic">Mais pourtant il n'est pas
+aimé</span>; besonders von Militären. Das ist begreiflich.
+Es giebt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen
+haben und die doch auch für die Republik brave Männer
+gewesen
+<!-- pb n="479 " facs="#f0507"/ -->
+sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern
+zum General, aber nicht zum Souverain, wie es das
+Ansehen gewinnt. <span class="italic">Il fait diablement des choses, ce
+petit caporal d' Italie; cela va loin!</span> sagte man; und
+ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war,
+bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck:
+<span class="italic">Bonaparte qui gloriam bene partam male
+perdit</span>. In der Gegend von Strassburg habe ich hier
+und da gehört, dass man bey seinem Namen knirscht und
+behauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder ein,
+den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein
+einziger Mann wieder einfahren kann, ist wohl eigentlich
+nicht abgeschafft. Man wollte in der ersten Konstitution
+dem König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben
+wir sogar einen fremden Abentheurer zum König, der
+willkührlicher mit uns verfährt als je ein Bourbonide: wer
+ihm missfällt ist Verbrecher und ihm missfällt jeder, der
+selbständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiss sich
+vortrefflich die ehemalige Wuth und den Hass der Partheyen
+zu Nutze zu machen.</p>
+
+<p>Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik
+und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den
+Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über
+die neue Freiheit. Den Zehnten geben wir nicht mehr, den
+behalten wir, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine
+grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch
+die neun Zehntheile eine grosse Hyperbel sind. Ein Zeichen,
+dass die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen
+verfährt, ist nach meiner Meinung im<!-- pb n="480 " facs="#f0508"/ -->mer,
+wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt
+ausschliesslich den Bürger von dem Krieger zu trennen. In
+Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein
+General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten
+Militäre nach dem Konsul bezeichnen ihren Charakter genug
+durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation
+ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die grosse
+stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends
+gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man
+nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose
+Rechtlichkeit, seine Mässigung und Humanität gepriesen
+hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der
+Ehrenlegion zu werden, die so eben errichtet werden soll,
+und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die
+Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man thut ihm
+vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffentlichen System in
+Kollision zu setzen; aber seine Unzufriedenheit wird überall
+ziemlich laut erzählt. Seine Partisane, die weniger
+Mässigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da
+laut am Ruder und sagten nur <span class="italic">Moreau
+grand consul</span>; zogen aber die Worte so sonderbar, dass
+es klang wie <span class="italic">Mort au grand
+consu</span>l. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele,
+hinter welche sich die Partheysucht versteckt.</p>
+
+<p>In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von
+Menschen und einige segneten sich wirklich ganz laut, dass
+sie aus der vermaledeyten Freiheit einmal heraus wären, in
+der man sie blutig so sklavisch behandle. Diess waren ihre
+eigenen Ausdrücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen
+Ver<!-- pb n="481 " facs="#f0509"/ -->mögen noch
+jenseit des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte
+ich in Gesellschaft eines Spaziergängers der Gegend, wie es
+schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn
+von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde
+Gelegenheit eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu
+halten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Misogyn
+nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde: denn
+alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm sein Beyspiel
+nicht bloss von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste,
+und musste tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem
+Geschlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit
+ein Gemälde, gegen welches
+Juvenals <span class="italic">lassata viris</span> noch eine
+Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der
+Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du
+weisst, ich habe eben nicht Ursache geflissentlich den
+Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muss man ihnen
+doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, dass sie &mdash;
+nicht schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer
+Sünden leiden noch etwas mehr Apologie als die Sottisen
+unseres Geschlechts.</p>
+
+<p>Frankfurt muss dem Anschein nach durch den Krieg weit
+mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich
+und momentan; der Gewinn ging fast durch alle Klassen und
+war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrath; man bauet
+und bessert und erweitert von allen Seiten: und die ganze
+Gegend rund umher ist wie ein Paradies; besonders nach
+Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien
+<!-- pb n="482 " facs="#f0510"/ -->
+zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl damit
+messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.</p>
+
+<p>Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von
+der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte
+und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der
+Börse <span class="italic">à mon aise</span> wäre, würde ich
+vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wählen. Es ist
+eine Mittelstadt, die gerade genug Genuss des Lebens giebt
+für Leib und Seele, um nicht zu fasten und sich nicht zu
+übersättigen. Im Fall eines Kriegs mit den Franzosen liegt
+es freylich schlimm: die Herren können alle Nächte eine
+Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum
+Frühstück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.</p>
+
+<p>Bey der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten
+Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des
+kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister
+in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von
+öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit
+ein so grosses reines Zutrauen gefasst hätte: so sehr trägt
+sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen
+Rechtlichkeit mit der feinsten Humanität.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+<!-- pb n="[483]" facs="#f0511"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Leipzig">
+<div class="dateline"><span class="right">Leipzig.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">M</span>eine Ronde ist vollendet
+und ich bin wieder bey unsern väterlichen Laren an der
+Pleisse. Von Frankfurt aus ging ich über Bergen in
+Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein
+freundliches Mahl zugedacht hatte. Bey Bergen und Kolin
+haben unsere Landsleute gezeigt, dass sie nicht Schuld an
+den übeln Streichen bey Pirna waren. Vor Hanau ging ich
+vorbey und hielt mich immer die Strasse nach Fulda herein.
+Die Hitze des vorzüglich heissen Sommers drückte mich zwar
+ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem
+Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern
+zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so
+schlecht gefunden als hier einige Mal in Hessen. Zwischen
+Fulda und Hünefeld drückte mich die Hitze furchtbar und der
+Durst war brennend, und auf meiner ganzen Wanderung habe ich
+vielleicht keine so grosse Wohlthat genossen, als da ich
+sodann links an der Strasse eine schöne Quelle fand. Leute
+welche einen guten Flaschenkeller im englischen Wagen haben,
+haben davon keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen
+nicht viel weniger, aber die Erquickung können sie nicht so
+fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe dieses und jenes
+versucht. In Hünefeld war Schiessen,
+<!-- pb n="484 " facs="#f0512"/ --> die Gesellschaft der
+Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich hatte
+das Vergnügen die Musik so gut zu hören, als man sie
+wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben
+können. Wenn auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft,
+thut nichts; sie können das Gute doch nicht ganz verderben,
+eben so wenig als man es in der Welt durch Verkehrtheit und
+Unvernunft ganz ausrotten kann.</p>
+
+<p>In Vach hatten mich ehemals die Handlanger des alten
+Landgrafen in Beschlag genommen und nach Ziegenhain und
+Kassel und von da nach Amerika geliefert. Jetzt sollen
+dergleichen Gewaltthätigkeiten abgestellt seyn. Doch möchte
+ich den fürstlichen Bekehrungen nicht zu viel trauen; sie
+sind nicht sicherer als die Demagogischen. Es wäre
+unbegreiflich, wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört
+willkührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum
+Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet und
+förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht
+durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände
+wurden selten gefragt, und konnten dann fast keine Stimme
+haben. Der Adel ist nicht reich und abhängig vom Hofe. Die
+Minister und Generale hatten ihren Vortheil dem Herrn zu
+Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder
+hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine
+Verwandten. Die grossen Offiziere gewannen Geld und Ehre,
+die kleinen Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen
+litten den Schlag. Das Volk selbst ist bis zum Uebermass
+treu und brav.
+<!-- pb n="485 " facs="#f0513"/ --> Hier und da war
+Verzweiflung; aber der alte Kriegsgeist half. Die Hessen
+glauben, wo geschlagen wird müssen sie dabey seyn. Das ist
+ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich
+in einem Klassiker gelesen zu haben, dass die Katten lange
+vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in
+Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden
+Verbindungen aufgegeben.</p>
+
+<p>Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem
+Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da
+nicht sogleich Postpferde zu haben waren, mich hinüber zu
+schaffen, liess sich die Posttaxe für zwey Pferde und den
+Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das
+nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich
+auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war
+schon tief Nacht als ich den Berg hinein ritt und gegen zehn
+Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen
+Oerter und Dörfer, durch die ich ging, zeichneten sich immer
+sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht
+einleuchten wollte, war, dass man überall so viel herrliches
+Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das
+sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht
+mehr als irgend ein anderes Beyspiel, dass der Mensch ein
+Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünf
+hundert Jahre Land genug hat, mag man die Pflanze auf Kosten
+der Nachbarn immer pflegen, aber bey uns ist es schlimm,
+wenn man durchaus die Oe<!-- pb n="486 " facs="#f0514"/ -->konomie
+mehr merkantilisch als patriotisch berechnet.</p>
+
+<p>Ich liess mich den andern Morgen meinem Freunde ohne
+meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt
+käme. Wir hatten uns seit neunzehn Jahren nicht gesehen und
+unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als
+der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit
+hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht
+manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wusste
+vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien
+schnell seinen ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand
+vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines
+Empfehlungsschreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger
+hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe
+war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er
+fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im
+Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder eine der schönsten
+Minuten meines Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und
+seinen Freunden, und genoss, so weit mir meine ernstere
+Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der
+Gesellschaft.</p>
+
+<p>Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das
+Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends
+einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst
+durchaus noch eine gewisse Bonhommie des Charakters, dass
+ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere
+Bekanntschaft meine Börse
+<!-- pb n="487 " facs="#f0515"/ --> hätte anvertrauen
+wollen, um sie an einem bezeichneten Ort zu bringen, wo ich
+sie sicher wieder gefunden haben würde. Ich habe in diesem
+Ländchen weniger Bekanntschaft als sonst irgend wo: Du
+kannst also glauben, dass ich nicht aus Gefälligkeit rede.
+So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung
+und Verehrung gegen den Herzog gefasst Um einen Fürsten zu
+sehen braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen,
+oder gar die Gnade zu geniessen ihm vorgestellt zu werden.
+Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und
+Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft;
+vorausgesetzt er ist kein junger Mann, der die Regierung
+erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und
+Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier
+schlecht und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo
+ich die Dörfer verfallen und elend und doch die Visitatoren
+nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als
+möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität
+sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel
+spricht und wenig thut.</p>
+
+<p>Schon in Paris hatte ich gehört die Preussen wären in
+Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier
+fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn
+etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame
+Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund.
+Hier erinnerte mich ein heimlicher Aerger, dass ich ein
+Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die
+Grossmuth
+<!-- pb n="488 " facs="#f0516"/ --> und Uneigennützigkeit
+der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des
+Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die alten,
+rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen
+konnte und machen musste. Wenn Sachsen eine Macht von
+hundert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik
+das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles seyn was Du
+willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mich däucht, dass
+man in Dresden doch wohl etwas lebendigere wirksamere
+Massregeln hätte nehmen können und sollen. Es war voraus zu
+sehen. Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freylich wird
+man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig thun;
+aber man hat doch nun die Kneipzange von beyden Seiten in
+den Händen, und kann sicher das
+<span class="italic">festina lente</span> spielen. Politisch
+muss man immer denken, was geschehen kann wird geschehen.
+Der gegenwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem
+künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in
+diesen Verhältnissen zu Dresden solche Resultate nicht
+erwartet.</p>
+
+<p>In Weimar freute ich mich einige Männer wieder zu sehen,
+die das ganze Vaterland ehrt. Der Patriarch Wieland und der
+wirklich wackere Böttiger empfingen mich mit
+freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte
+die Güte, mit vieler Theilnahme sich nach ihren Freunden
+diesseit und jenseit der Pontinen zu erkundigen und den
+unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden.
+Jedermann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdigste
+Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.</p>
+
+<!-- pb n="489 " facs="#f0517"/ -->
+<p>Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach
+Naumburg herüber wandelte, begegnete mir ein Preussisches
+Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nehmlichen
+Rocke mit der nehmlichen Chaussüre über Wien und Rom nach
+Syrakus und über Paris zurück geht, mag der Aufzug freylich
+etwas unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche
+Gewohnheit unserer deutschen Landsleute mit den Fremden
+zuweilen etwas unfein Nekkerey zu treiben. Die Soldaten
+waren ordonanzmässig artig genug; aber einige Offiziere
+geruhten sich mit meiner Personalität ein Spässchen zu
+machen. Ich ging natürlich den Fusssteg am Busche hin und
+der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte
+seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen
+Dialekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm
+nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der dort geht?
+Der andere antwortete zu meiner Bezeichnung: Er wird wohl
+gehen und das Handwerk begrüssen. Nein, hörte ich eine
+andere Stimme, ich weiss nicht was es für ein närrischer
+Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bey der Herzogin im
+Garten sitzen sehen. Uebersetze das erst etwas ins
+Pommerische, wenn Du finden willst, dass es mir ziemlich
+schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmassgeblich, die
+Herren hätten ihre Untersuchung und Beurtheilung über mich
+etwas höflicher doch wohl einige Minuten sparen können, bis
+ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem Philister macht
+bekanntlich ein Preussischer Offizier nicht viel Umstände.
+Ob das recht
+<!-- pb n="490 " facs="#f0518"/ -->
+und human ist, wäre freylich etwas näher zu bestimmen.</p>
+
+<p>Meiner alten guten Mutter in Posern bey Weissenfels war
+meine Erscheinung überraschend. Man hatte ihr den Vorfall
+mit den Banditen schon erzählt, und Du kannst glauben, dass
+sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als orthodoxe
+Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem
+Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus
+nicht, dass ich zu Fusse weiter ging, sondern liess mich
+bedächtlich in den Wagen packen und hierher an die
+Pleissenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, dass ich
+froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war
+der erste den ich aufsuchte, und das enthusiastische
+Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste
+seiner drolligen Gesichter und machte einen praktischen
+Kommentar auf Horazens Stelle, dass man bey der Rückkehr
+eines Freundes von den Cyklopen wohl ein Bisschen närrisch
+seyn könne.</p>
+
+<p>Morgen gehe ich nach Grimme und Hohenstädt, und da will
+ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mich däucht, dass ich
+nun einige Wochen ehrlich lungern kann. Wer in neun Monaten
+meistens zu Fusse eine solche Wanderung macht, schützt sich
+noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines
+Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig,
+muss ich Dir noch sagen, dass ich in den nehmli<!-- pb
+n="491 " facs="#f0519"/ -->chen Stiefeln ausgegangen und
+zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und
+dass diese noch das Ansehen haben, in baulichem Wesen noch
+eine solche Wanderung mit zu machen.</p>
+
+<p>Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir plaudern; von
+manchen mehr als ich geschrieben habe, von manchem
+weniger.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Errata</title>
+</head>
+<body>
+
+<div class="copyright">
+<p class="center"><span class="spaced">Braunschweig</span>
+gedruckt
+<span class="spaced">bei Friedrich Vieweg</span>.</p> </div>
+
+<div class="corrigenda">
+<h4> <span class="spaced">Wichtigere Druckfehler</span>. </h4>
+<p>Seite 13. Zeile 5. lese man braten.<br />
+40, 13. hat. <br />
+48, 1. wie ich mich. <br />
+53, 2. Tross. <br />
+65, 4. v. u. mit dem. <br />
+70, 18. aufwärts. <br />
+76, 5. zu Lueg. <br />
+103, 21. glaube ich. <br />
+121, 14. doutés. <br />
+145, 17. auch. <br />
+147, 8. Strettura. <br />
+163, 8. v. u. Demoxenus. <br />
+177, 5. Keiner. <br />
+183, 9. v. u. du jour. <br />
+184, 4. v. u. favorisca. <br />
+186, 4. vor dem Thor in das Haus eines seiner Bekannten am Toledo. <br />
+190, 8. v. u. Niederlassungen.<br />
+191, 1. Donat. <br />
+198, 2. v. u. Trinakrien. <br />
+201, 11. v. u. allen.<br />
+205, 8. werthsten. <br />
+206, 11. findst. <br />
+240, 1. v. u. Todtschlägen. <br />
+244, 11. noch. <br />
+266, 1. v. u. Abacchevten. <br />
+272, 8. v. u. Überzeugung. <br />
+307, 6. v. u. Barcellona. <br />
+313, 3. v. u. sahe. <br />
+315, 4. v. u. recht. <br />
+318, 7. v. u. Micias. <br />
+320, 5. v. u. dass er mir fast. <br />
+322, 5. cattolico. ibid. 11. voi. <br />
+325, 11. v. u. Corso. <br />
+352. 2. Armee. <br />
+353, 9. wir rollten. <br />
+354, 6. doch vielleicht. <br />
+362. 2. v. u. Taschenbuch. <br />
+373, 12. Wer.<br />
+375, 3. gewannen. <br />
+378, 10. v. u. verhältnissmässigen. <br />
+381, 10. Urbefugnisse. <br />
+384, 7. v. u. von Paris nach Rom. <br />
+401, 5. Merletons. <br />
+403, 11. v. u. sagte. <br />
+410, 3. v. u. war ich immer. <br />
+411, 7. Hetärenkünste. <br />
+415, 8. nur. <br />
+417, 13. v. u. nur durch die. <br />
+426, 5. v. u. Rügen. <br />
+440, 4. v. u. Boulewardskoffee. <br />
+441, 2. v. u. den. <br />
+450, 12. v. u. die beyden.<br />
+466, 10. v. u. und die Einführung. <br />
+476, 14. mit sarkastischen.<br />
+484, 6. doch. <br />
+489, 2. Naumburg.</p>
+
+<p>Die übrigen kleinern Fehler der Officin in Interpunktion,
+Grammatik und Orthographie wird der gütige Leser leicht selbst
+auffinden und verbessern.</p>
+
+<p>Jupiters goldner Mantel in Syrakus ist ein Irrthum des Verfassers.</p>
+</div>
+
+<hr class="hr5" />
+</body>
+</html>
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+ <title>INHALT</title>
+</head>
+<body>
+
+<h2>Inhalt</h2>
+<h3>Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802</h3>
+<h4 class="sub"><a href="01-vorrede.html">Vorrede</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="02-dresden.html">Dresden</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="03-budin.html">Budin</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="04-prag.html">Prag</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="05-znaym.html">Znaym</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="06-wien.html">Wien</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="07-schottwien.html">Schottwien</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="08-muerzhofen.html">Mürzhofen</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="09-graez.html">Gräz</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="10-laybach.html">Laybach</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="11-prewald.html">Prewald</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="12-triest.html">Triest</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="13-venedig.html">Venedig</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="14-bologna.html">Bologna</a></h4>
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+<h4 class="sub"><a href="16-rom.html">Rom</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="17-rom.html">Rom</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="18-terracina.html">Terracina</a></h4>
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+<h4 class="sub"><a href="22-agrigent.html">Agrigent</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="23-syrakus.html">Syrakus</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="24-syrakus.html">Syrakus</a></h4>
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+<h4 class="sub"><a href="26-messina.html">Messina</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="27-messina.html">Messina</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="28-palermo.html">Palermo</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="29-palermo.html">Palermo</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="30-kapri.html">Kapri</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="31-neapel.html">Neapel</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="32-rom.html">Rom</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="33-mailand.html">Mailand</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="34-zuerich.html">Zürich</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="35-paris.html">Paris</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="36-paris.html">Paris</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="37-frankfurt.html">Frankfurt</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="38-leipzig.html">Leipzig</a></h4>
+<h4 class="sub"><a href="39-errata.html">Errata</a></h4>
+<h3>Anhang</h3>
+<h3><a href="inhaltc.html">Inhalt &mdash; Übersicht</a></h3>
+<h3><a href="textnachweis.html">Text- und Bildnachweis und Lizenz</a></h3>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Inhalt</title>
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+
+<body>
+<h2>Inhalt</h2>
+<div class="inhalt-entry"><a href="01-vorrede.html">Vorrede</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="02-dresden.html">Dresden, den 9ten Dec. 1801</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="03-budin.html">Budin</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="04-prag.html">Prag</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="05-znaym.html">Znaym</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="06-wien.html">Wien</a></div>
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+<div class="inhalt-entry"><a href="09-graez.html">Gräz</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="10-laybach.html">Laybach</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="11-prewald.html">Prewald</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="12-triest.html">Triest</a></div>
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+<div class="inhalt-entry"><a href="14-bologna.html">Bologna</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="15-ankona.html">Ankona</a></div>
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+<div class="inhalt-entry"><a href="17-rom.html">Rom</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="18-terracina.html">Terracina</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="19-neapel.html">Neapel</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="20-neapel.html">Neapel</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="21-palermo.html">Palermo</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="22-agrigent.html">Agrigent</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="23-syrakus.html">Syrakus</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="24-syrakus.html">Syrakus</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="25-katanien.html">Katanien</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="26-messina.html">Messina</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="27-messina.html">Messina</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="28-palermo.html">Palermo</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="29-palermo.html">Palermo auf dem Paketboote</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="30-kapri.html">Bey Kapri</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="31-neapel.html">Neapel</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="32-rom.html">Rom</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="33-mailand.html">Mailand</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="34-zuerich.html">Zürich</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="35-paris.html">Paris</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="36-paris.html">Paris</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="37-frankfurt.html">Frankfurt</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="38-leipzig.html">Leipzig</a></div>
+<div class="inhalt-entry"><a href="39-errata.html">Errata</a></div>
+<p>&nbsp;</p>
+<h3>Anhang</h3>
+<div class="inhalt-entry"><a href="textnachweis.html">Textnachweis und Lizenz</a></div>
+</body>
+</html>
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+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Textnachweis und Lizenz</title>
+</head>
+<body>
+
+ <h3>Textnachweis und Lizenz</h3>
+
+ <p>Bei dem Text handelt es sich um die digitalisierte
+ Erstausgabe des »Spaziergangs«, wie sie im Deutschen
+ Textarchiv vorliegt
+ (s. <a href="http://www.deutschestextarchiv.de/book/show/seume_syrakus_1803">www.deutschestextarchiv.de/book/show/seume_syrakus_1803</a>)
+ Dieser E-Book-Fassung liegt die XML-Version des Textes
+ zu Grunde, die unter der Maßgabe, das Markup so
+ zurückhaltend wie möglich zu halten, in HTML übertragen
+ wurde. </p>
+
+ <p>Die auffälligsten Abweichungen gegenüber der Vorlage
+ bestehen zum Einen im Austausch des langen »s«
+ (»&#x017f;«, utf: x017F) gegen das heute gebräuchliche
+ runde »s«. Zum anderen wurde die seitentreue Übertragung
+ der Vorlage nicht übernommen. Die Seitenzahlen im
+ Quelltext der Vorlage wurden als HTML-Kommentar
+ übernommen. Das gleiche gilt für die in der Vorlage als
+ korrigierbar vermerkten Stellen (kenntlich durch das Tag
+ »choice«). Zwar gehören nach der Korrektur der
+ Druckvorlage m.E. auch (womöglich vermeintliche)
+ Druckfehler dem Autor, aber die Information als solche
+ kann erhalten bleiben. Um die Navigation zu
+ vereinfachen, wurde die Vorlage um eine Inhaltsübersicht
+ ergänzt.</p>
+
+ <p>Die Vorlage wurde unter der Creative-Commons-Lizenz
+ <a href="http://creativecommons.org/licenses/by-nc/3.0/de/">
+ Namensnennung-Nicht kommerziell(CC BY-NC 3.0 DE)</a>
+ veröffentlicht, dem folgt daher auch diese
+ E-Book-Fassung. </p>
+
+</body>
+</html>
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+ <title>Johann Gottfried Seume - Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802</title>
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+<body>
+
+<p class="center">
+<img src="../Images/titel.png" alt="Georg Heym - Der ewige Tag" /></p>
+
+<!--
+<table class="titlepage">
+ <tr>
+ <td valign="top">
+ <h2 class="center">Spaziergang nach Syrakus</h2>
+ <h3 class="italic center">im Jahre 1802.</h3>
+ <h3 class="center">von</h3>
+ <h3 class="center">J.G. Seume.</h3>
+ </td>
+ </tr>
+ <tr>
+ <td valign="bottom">
+ <div class="center">
+ Veritatem sequi et colere, tueri justitiam, æque omnibus<br />
+ bene velle ac facere, nil extimescere.</div>
+ <hr />
+ <div class="center">Braunschweig und Leipzig<br />
+ 1803</div>
+ </td>
+ </tr>
+</table>
+-->
+
+</body>
+</html>
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