diff options
author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
---|---|---|
committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
commit | 4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751 (patch) | |
tree | 623dd3478e31a1ecf03f39c8b98699d3c57d6ab7 /OEBPS/Text/15-ankona.html | |
download | johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.tar.gz johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.tar.bz2 johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.zip |
initial commit
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/15-ankona.html')
-rw-r--r-- | OEBPS/Text/15-ankona.html | 499 |
1 files changed, 499 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/15-ankona.html b/OEBPS/Text/15-ankona.html new file mode 100644 index 0000000..9f0ee80 --- /dev/null +++ b/OEBPS/Text/15-ankona.html @@ -0,0 +1,499 @@ +<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?> +<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN" + "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd"> + +<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> +<head> + <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" /> + <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" /> + <title>Ankona</title> +</head> +<body> + +<!-- pb n="[119]" facs="#f0145"/ --> + +<div class="chapter" id="Ankona"> +<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Ankona</span>.</span></div> + +<p> <span class="initial">V</span>on Bologna geht es auf dem +alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr +wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Bloss von +Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. +Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren; +der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte +ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den +Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone +schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in +Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Strassen herum. +Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Männer +und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine +Erscheinung mochte für die Leute freylich etwas +hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Kleidung, ein +Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein +grosser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade +hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. +Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand +lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die +ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; +einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freylich nicht +auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den +possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mich +hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don +Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein +anderes +<!-- pb n="120" facs="#f0146"/ --> Bocksgesicht setzte sich +hinter mich, um von seinem Attribut der Klystierspritze +Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von +halb Imola vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer +Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch +nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas aus dem +Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muss ich Dir sagen, +dass mein Bart wirklich über drey Tage lang war und dass ich +von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt +war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge +zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleideter +Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte +mich durch einige Strassen in die Hölle, Nummer Fünfe. Das +war nun freylich kein erbaulicher Name; indessen ich war +ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch +einmahl durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirthshaus +zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem +ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu +dem Haufen; und nun muss ich den Farcenspielern die +Gerechtigkeit widerfahren lassen, dass sie sich, so weit es +ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig +betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich +in drey verschiedenen Sprachen, in der deutschen, +französischen und italiänischen, anredete, verliess mich mit +seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige +französische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in +ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste +Tummelplatz der Maskierten, die in +<!-- pb n="121" facs="#f0147"/ --> hundert lächerlichen +Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder +liefen. Ein siedend heisser politischer Imolait schloss sich +an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene +Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, +wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der +Wahrheit gemäss, ganz ruhig. <span class="italic">On les a +bien forcé à coups de bayonettes à être en repos</span>; +sagte er. <span class="italic">Apparemment</span>; sagte +ich. — <span class="italic">C'est toujours la +meilleure maniere de disposer les gens à se conformer à la +raison</span>. — <span class="italic">Mais oui</span>, +entgegnete ich, <span class="italic">après en avoir essayé +les autres</span>; <span class="italic">pourvù toute +fois</span>, <span class="italic">qu' il y ait de la raison +et de la justice au fond de l'affaire</span> +— <span class="italic">Estce que vous en doutés pour +la notre</span>? — <span class="italic">On ne peut pas +repondre à cela en deux mots</span>. Nun wollte er eine +Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich +entschuldigte mich mit meiner alten +Formel: <span class="italic">Quand on +commence</span>, <span class="italic">il faut toujours +commencer par le commencement</span>; da würde sich denn +ergeben das alte <span class="italic">Iliacos intra muros +peccatur et extra</span>. Der Abend rief mich zum Essen und +zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich indem er +meinte: Wenn es auf uns beyde angekommen wäre, würde wohl +kein Krieg entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für +mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle +Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft +schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum +Papst bilden kann?</p> + +<p>In Faenza sah ich die erste französische Wachparade, und +in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts zu sehen wäre: +Antiquare und Künstler finden daselbst +<!-- pb n="122" facs="#f0148"/ --> reichliche Unterhaltung +für ihre Liebslingsfächer. Aber ich dachte weder an alte +noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus, +das <span class="italic">Hotel de Naples</span>. Auf mein +ltaliänisch war man nicht ausserordentlich höflich, +vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war. +<span class="italic">Ne pourrai je pas parler au maitre de +la maison?</span> fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen +Tornister abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und +alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so +oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In +Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren +etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir +über mich mit lautem Gelächter etwas zu +erlustigen. <span class="italic">Qu'est ce qu'il y a là, +Messieurs?</span> fragte ich mit einer enrhumierten rauhen +Stimme. <span class="italic">Niente, Signore,</span> war die +Antwort; und alles trat still in eine bescheidnere +Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten +können. Ich fand in dem <span class="italic">Hotel de +Naples</span> zwey Kaufleute und drey Schiffer; der Kellner +war ein jovialischer Mensch; man begrüsste mich in einer +Minute zehn Mahl mit dem +Prädikate <span class="italic">cittadino</span>, gab mir den +Ehrenplatz und fütterte mich <span class="italic">à qui +mieux</span> mit den besten Gerichten. Es machte keinen +Unterschied als man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so +sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung. +Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war, +um den Kamin her, machten einen traulichen freundlichen +Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten +Jungen, der wie ein Toast +<!-- pb n="123" facs="#f0149"/ --> +der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den +Knien des Andern ging.</p> + +<p>Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten +<span class="italic">Forum Pompilii</span>, und die Trümmer +einer Brücke, welche auch alt zu seyn scheint. Ich sah von +allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke +gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bey den +Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in +dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt +mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und +also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde +ich von dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit +aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich +ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter +nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen +geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas +ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu +besuchen, und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen +umquartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus +versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: Man habe mich +für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität +logiert würde: nun pflegte die Munizipalität seit geraumer +Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu +bezahlen; man könnte es also nicht übel deuten, dass sie auf +diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche. +Aber ein Galantuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient +werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause +waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als +<!-- pb n="124" facs="#f0150"/ --> man in Ehren nur +verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir +Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im +mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er +bedauerte, dass es Friede sey und der Schleichhandel nicht +mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr +verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute +Bewirthung ausserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine +alte sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte +Freyheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des +fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste +muss für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde +ihm weit rühmlicher seyn, als der verunglückte Pallast für +seinen verdienstlosen Nepoten.</p> + +<p>Vor Savignano ging ich, nicht wie Cäsar, über den +Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher +hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten +entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit +seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu +eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der +Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu +bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Hass verdienen. Ich +erinnere mich, dass es mir in einem solchen moralischen +Kampfe einmahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste +Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeusserung hätte +mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät +zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus +sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz +Liebenswürdigkeit. So, so; <span class="italic">bien vous +fasse!</span> Ihr +<!-- pb n="125" facs="#f0151"/ --> seyd werth, Cäsarn mit +seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen +Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich +nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu +vertheidigen. Also hier gingen wir beyde über den Rubikon, +Cäsar und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einander +gemein, als dass wir — nach Rimini gingen.</p> + +<p>In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, +die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. +Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem +Speisehause. Er besah mich ganz misstrauisch, schaute nach +meinem Huthe und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, +ward sein Ansehen etwas grimmig und er schickte mich mit der +höflichen Formel weiter: <span class="italic">Andate al +diavolo!</span> Das war der Revers von Cesena. So gehts zu +Revolutionszeiten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt, +dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.</p> + +<p>In Rimini schlief ich gewiss ruhiger, als der mächtige +Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag. Vor der +Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem +Platze <span class="italic">della Fontana</span> steht der +heilige <span class="italic">Gaudentius</span> von Bronze, +der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, +ich weiss nicht welcher, hat hier ein Monument für eine +Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen liess. +Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der +wichtigsten Werke und für eine der grössten Wohlthaten; und +hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht +schöne wohlthätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast +vergeben, dass er Papst ist. Auf dem andern Platze stand +<!-- pb n="126" facs="#f0152"/ --> der Baum mit der Mütze +und der +Inschrift: <span class="italic">L</span>' <span class="italic">Union +des Fran</span>ç<span class="italic">ois et des +Cisalpins</span>. Aber welche Union! das mag der heilige +Bartholomäus in Mayland sagen.</p> + +<p>Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender +wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge +gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu +besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die +Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber +ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die +Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini +den Meister gespielt; desswegen gingen die rechtgläubigen +Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten +ihre muthige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht, +wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer +grossen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu +Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas +abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen. +In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher +Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten +besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir +antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann +hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, +ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich, +was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner +Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu +frieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte +selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an +oft der Fall, dass der +<!-- pb n="127" facs="#f0153"/ --> Herr Wirth sich +hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete +und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz +leise, dass die gottlosen Franzosen viere der schönsten +Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern +Morgen im Kaffeehause sass und mein Frühstück verzehrte, +liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich +einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein +Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz +sein Kreuz machte, sein Stossgebetchen sagte, seine Messe +brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen +Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen +so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in +vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre +solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und +Vernichtung für das Konsequenteste halten: denn solche +Seelen können nicht fort leben.</p> + +<p>Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend +ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den +Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden +Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel +machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus +den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluss, und hat +eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man +wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo +Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber +nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den +alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist +gewiss, dass sie hier in +<!-- pb n="128" facs="#f0154"/ --> der Gegend und am Flusse +vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte +es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau +aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italie +kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr +bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen +Konsuln selig!</p> + +<p>Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage: +vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gärten der +Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich hatte hier das +Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht zu sehen, wo die +Hunde ziemlich hoch geworfen wurden und ziemlich blutig +wegkamen, und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc +hien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich +weiter bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit des +Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war +schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungen +Weitzen und Oehlbäumen geschmückt. Vor Ankona blühten den +neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge +rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oehl und +Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ankona mag +für die Alten ausserordentlich gut gewesen seyn; für die +Neuern ist er es nicht mehr in dem Grade: und wenn nicht der +Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig +mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig grosse Schiffe +sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange des alten +Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans von weissem Marmor, +der aus den Antiquitätenbüchern +<!-- pb n="129" facs="#f0155"/ --> hinlänglich bekannt ist. +Die Schrift fängt an ziemlich zu verwittern, und man muss +schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es +müsste denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der +Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Van +Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig +da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor +demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo +hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke +decken oder wehren bloss den Eingang von der Seite von +Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man +in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die +Besatzung ziemlich stark ist. <span class="italic">Est ce +qu'il est permis de monter la tour pour voir la +contrée?</span> fragte ich. <span class="italic">Non</span>; +war die Antwort: ich musste also zurückgehen und die Berge +rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht theilweise haben +wollte, die ich hier ganz hätte haben können. Es mag +freylich wohl der beste militärische Augenpunkt seyn. Das +Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege +von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein +sehr schönes Gebäude ganz im Meere, so dass eine Brücke +hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schöner bequemer +Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch +Röhren vom Berge und ein ziemlich grosses Waarenhaus. Auch +das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges +Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung +hebt sich nur sehr langsam durch die Massregel des römischen +Hofes, dass man Ankona zu einem Frey<!-- pb n="130" facs="#f0156"/ -->hafen +erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte +Kathedralkirche, wo ausser dem unverweslichen heiligen +Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen, +deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne +prächtige, funkelnagelneue Inskription, dass Pius der +Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die +Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des +Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem +dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist +dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark +Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen +errichtet worden. +<span class="italic">O sancta!</span></p> + +<p>Die Börse ist ein grosser, schöner, gewölbter Saal mitten +in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten Gemählden +und Statüen, welche moralische und bürgerliche Tugenden +vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man +mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.</p> + +<p>Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster, +gar nicht übel; und das italiänische Talent zur Burleske mit +dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich +hier sehr vortheilhaft. Ich kann nicht umhin, Dir hier +einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne +zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, dass sie etwas von der +Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist +bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen auf den +Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, dass dieses +eine schöne ästhetische Wir<!-- pb n="131" facs="#f0157"/ -->kung +thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; wenigstens für +mich muss ich bekennen, dass mir nichts langweiliger und +peinlicher wird als eine solche Zärtlichkeitsscene. Ein Kuss +ist alles, und ein Kuss ist nichts; und hier ist er weniger +als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört +durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der +Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn +er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiss die +Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie +alle zu beantworten. Der Italiäner weiss durch die feinen +Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere +Küsse. Es versteht sich, dass seltene Ausnahmen Statt +finden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell +behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf +dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer +Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir +unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers +Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und +der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten +Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das +Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum +unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man +zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als +ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet +getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, dass ich da in +dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man +Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.</p> + +<!-- pb n="132" facs="#f0158"/ --> +<p>Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo +es so theuer wäre wie in Ankona; selbst nicht das theure +Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen +Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld +schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den +Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr +gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem +Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür wollte +er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit +Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewaltige +Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, +da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht +nicht leicht wieder zu finden glaubte. Er pflanzte sich im +Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen +Impertinenzen; und dafür musste ich ihm die Entree bezahlen +und zwey Paolo Nachschuss für die Nachtstunden. Die Barbiere +bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von +Lehrling, der das Becken trägt und das Bartscheren von dem +grossen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der +That so geräumig, dass man bequem einige Ferkel darin +abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr, +dass die erhitzte Phantasie Don Quischotts so etwas für +einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so +kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in +Ordnung gelegt hat und fodert +etwas <span class="italic">della bona mano</span>, +<span class="italic">della bona grazia</span>, und macht zu +einer Kleinigkeit kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart +hat mich bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und +<!-- pb n="133" facs="#f0159"/ --> +wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die +Bequemlichkeit der Kapuziner halten.</p> + +<p>Die Leute klagten über Noth und hielten bey hellem Tage +durch die ganze Stadt Faschingsmummereyen, dass die +Franzosen die Polizeywache verdoppeln mussten, damit das +Volk einander nur nicht todt trat, so voll waren die Gassen +gepfropft. Da gab es denn eben so possierliche Auftritte, +wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine +sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz +vorbey zog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen +weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich +eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter +den Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld +ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten +und mit den soliden Fuhrleuten in ernsthafte +Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter +den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen +Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit +Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche +zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man +in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort zum Verkauf +trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehen Scheffel +sammeln können. Freylich lesen den andern Tag die Armen auf, +was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit +entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr +närrisch lustige Art Almosen auszutheilen.</p> + +<p>Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man +trifft daselbst immer sehr angenehme unter<!-- pb n="134" facs="#f0160"/ -->haltende +Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare +Erscheinung muss die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege +gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, +Oestreicher, Engländer, Russen, Italiäner und Türken gegen +die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen +Anstrengungen der Herren endlich doch darin behaupteten, und +die nun bloss durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer +Machthaber daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiss in +jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen +Posten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am +ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lautete mein Pass +von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italiänischen +Kanzley ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber +hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Pass +zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen +besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Dawider liess +sich nun freylich kein mathematischer Beweis führen: ich +machte den guten freundschaftlichen Leuten aber deutlich, +dass meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die +sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke +suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts +schlägt man doch nirgends die Leute todt.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |