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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Dazu ist +mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisenden von +Profession oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften +gewiss besser bekommen. Ich erzähle Dir nur +freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht +beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf +Mont Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oehlberges kommt +weiss ich nicht; er ist aber einer der besten Strassen der +Stadt, nicht weit von Toledo, mit welchem er sich oben +vereiniget. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, +die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen +zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache +zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die +<!-- pb n="187" facs="#f0213"/ --> Gesellschaft besteht +meistens aus Fremden, Engländern, Deutschen und Franzosen; +die letzten machen jetzt hier die grösste Anzahl aus.</p> + +<p>Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Genuesen, der +halb Europa kennt und hier den Lohnbedienten und ein Stück +von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte +Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute +und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon +über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Gegend umher, +und bemerkte mit censorischer Strenge, dass sie das +Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, +wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, +wer auf seinem Casino die ausgesuchtesten Vergnügen geniesse +und geniessen lasse, und weiteifere sich oft zur +Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und +Vermögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein +kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf +eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das +erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft +abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des +Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so +herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen +Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine +bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind +einige merkwürdige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. +Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen +muss; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den +Katakomben. In den Katakomben kroch ich über +<!-- pb n="188" facs="#f0214"/ --> eine Stunde herum, und +beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die +Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner +des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des +Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine +Menge Wunder, die die Heiligen Januarius und Severus hier +ganz gewiss gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen +Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da +lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und +zuweilen ganze grosse Haufen von Knochen, wie man sagte, von +der Zeit der grossen Pest. Die römischen Katakomben habe ich +nicht gesehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil +mich verständige Männer und Kenner versicherten, dass man +dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht +sey, dass das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben +gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem +Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das +wahrscheinlichste.</p> + +<p>Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der +Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die +Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen +sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre +Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen +gesucht. Mein alter Genuese, der ein grosser Hermenevte in +der Kirchengeschichte ist, erzählte mir bey dieser +Gelegenheit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine +Schande macht, und dessen Würdigung ich den Kennern +überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenossin des +heiligen Franciskus und des heiligen Domini<!-- pb n="189" facs="#f0215"/ -->kus; +und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbesondere +glauben lassen, sie sey jedem ausschliesslich mit sehr +feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in +ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Jeder der beyden +Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen +auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein +grosser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moses des +Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr +ein ätherischer sentimentaler Stutzer, der auch seine +Talente zu gebrauchen wusste. Nun sollen auch die heiligen +Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitäten +lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen +Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen +Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu körperlich vorkam; +er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein +Bratspiess war, und stiess damit so grimmig auf den +unbefugten Himmelsführer los, dass er den armen schwachen +Franz fast vor der Zeit dahin geschickt hätte. Indess der +Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung +entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen +Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich +habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt, +und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt gesehen. Mein +Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins +Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine +Glosse darüber machen, als dass ihm halb unwillkührlich +entfuhr: <span class="italic">Quelles betises on nous donne +à digerer! Chacun les prend à sa façon.</span></p> + +<!-- pb n="190" facs="#f0216"/ --> +<p>Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die umständliche +Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein +romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu +glauben, der Dichter sey hier begraben gewesen, die Urne mag +nun hingekommen seyn, wohin sie wolle. Das Gebäudchen ist +wohl nichts anders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange +der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der +schönen Gegend. Ich weiss nicht, warum man sich nun mit +allem Fleiss bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt +zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der +Vesuv nicht sein Nachbar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber +die ganze Behauptung, dass er dort drüben liege, beruht doch +wohl nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begraben +worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der +Berg ist gerade gegen über: in einigen Stunden war er dort, +wenn er zu Lande ging, und setzte er sich in ein Boot, so +ging es noch schneller. Die Entfernung eines solchen +Nachbars, wie Vesuv ist, wird nicht eben so genau genommen. +Alle übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt. +Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die +vorzüglichsten Niederlassungen der römischen Grossen, +vornehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des +Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokrators und ein +Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und +Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die +Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war +überhaupt der Spielraum seiner liebsten Phantasie. +Wahrscheinlich hat er hier gewohnt, +<!-- pb n="191" facs="#f0217"/ --> und wahrscheinlich ist er +hier begraben. Donat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst +erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte +davon Augenzeuge gewesen seyn, dass das Monument noch ganz +und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem +Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übrigen zu geben, und +dieses ist der Ort seiner Angabe; zwey Steine von der Stadt, +an dem Wege nach Puteoli, nicht weit von dem Eingange in die +Grotte. Ich will nun auch einmal glauben; man hat für +manchen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glaube +ich, dass dieses Maros Grab sey. Den Lorber suchst Du nun +umsonst; die gottlosen Afterverehrer haben ihn so lange +bezupft, dass kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich +nahm mir die Mühe hinauf zu steigen und fand nichts als +einige wild verschlungene Kräuter. Der Gärtner beklagte +sich, dass die gottlosen vandalischen Franzosen ihm den +allerletzten Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben. +Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch +wohl etwas in die Welt erschollen, dass der Lorber von dem +Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sey. +Vielleicht schlägt er dort am Grabe des Mantuaners wieder +aus. Man sollte wenigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel +das seinige beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den +Rath.</p> + +<p>Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit davon in +der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger +Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienstfertigkeit mir die +Antiquitäten erklären zu wollen, dass +<!-- pb n="192" facs="#f0218"/ --> er durchaus nicht eher +von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine +Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm. +Ich habe mich nicht enthalten können bey dieser Gelegenheit +wahres Mitleid mit dem grossen Cicero zu haben, dass sein +Name hier so erbärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen +sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer +unwissender und abenteuerlicher als der andere. Den +vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir +auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duzzend von +Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise +kommentirte.</p> + +<p>Ich versuchte es an dem Fusse des Posilippo an dem +Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es war aber +nicht möglich weiter als ungefähr eine Stunde zu kommen: +dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da +aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von +ungefähr einer Viertelstunde zwey alte Gebäude, die man für +Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr +berüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich +zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es +liesse sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient +haben könnte. Zwischen diesen beyden alten leeren Gebäuden +liegt das niedliche Casino des Ritters Hamilton, wo er +beständig den Vesuv vor Augen hatte; und man thut ihm +vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner +Vergnügungen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der +schönen Königin schliesst, die von der bösen Geschichte doch +wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als +<!-- pb n="193" facs="#f0219"/ --> sie war. Ich war +genöthigt wieder zurück zu gehen, und nicht weit von der +Villa reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, +die mich an die Spitze hinaus rudern wollten. Es schien mir +zu spät zu seyn, desswegen wollte ich nichts hören. Aber man +griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die +See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing, +und auf mich mit einer Miene, als ob man sagen wollte, das +wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, +ich bezahlte die Gefahr sogleich mit einem Piaster mehr, und +setzte mich mit meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich +erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch +mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin. +Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm +heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber und die Wogen +machten rechts eine furchtbare Brandung; das Wasser füllte +reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen +die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um +das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht +möglich: wir mussten, als wir einige hundert Schritte vor +dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere Zuflucht in +ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von +der Stadt aus zuweilen Wasserparthien macht, wo es aber +jetzt traurig genug aussah. Indessen fütterte uns doch der +Wirth mit Makkaroni und gutem Käse. Nicht weit von hier, +nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus sich +einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten +Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen +<!-- pb n="194" facs="#f0220"/ --> und die man gewöhnlich +nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl +sehr uneigentlich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr +wahrscheinlich, dass er hier oft gearbeitet haben mag. Es +ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen +Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. +Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er +hatte hier um sich her einen grossen Theil von dem Theater +seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel +und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach +Surrent.</p> + +<p>Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo +ich einkehrte, stand ehemals ein alter Tempel der Fortuna, +von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. +Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet +und es der Madonna <span class="italic">della fortuna</span> +geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in +den christlichen Ritus übergetragen, die Saturnalien, das +Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht +umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in +der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes +Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese +Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten +noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit +für die Fischhälter des Pollio annimmt, und in dieser +Meinung eine grosse marmorne Tafel an der Thür angebracht +hat, auf welcher lateinisch alle Gräuel abscheulich genug +beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn +natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen +<!-- pb n="195" facs="#f0221"/ --> ächt kardinalisch +gepriesen wird. Ich weiss nicht, ob man nicht vielleicht mit +dem brittischen Klagemann sagen +sollte: <span class="italic">A bitter change, feverer for +fevere!</span> Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den +Pollio in den Teich werfen könnte.</p> + +<p>Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht +wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden, +einen andern Weg nach der Stadt zurück zu kehren. Ich zahlte +also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des +Posilippo nach Neapel. Diese Promenade musst du durchaus +machen, wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der +schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. +Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von Neapel und Bajä +rechts und links im Gesicht, geniesst sodann die schöne +Uebersicht auf die Parthie jenseit des Berges nach Puzzuoli, +welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur +Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier +Millien des herrlichsten Weges in der Gegend von Virgils +Grabe wieder herunter auf die Strasse. Der Spaziergang ist +freylich etwas wild, aber desto schöner.</p> + +<p>Man sagte mir, die Regierung habe wollen eine Strasse +rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach +Puzzuoli führen, so dass man nicht nöthig hätte, durch die +Grotte und die etwas ungesunde Gegend jenseits derselben zu +fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das würde in der That +einer der herrlichsten Wege werden; ungefähr eine halbe +Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische +Regierung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und +<!-- pb n="196" facs="#f0222"/ --> +Polizey besorgte; das andere würde sich nach und +nach schon machen.</p> + +<p>Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter +liegenden Karthause für die schönste Parthie gehalten; und +sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den +Vesuv oder zu den Kamaldulensern bemühen wollen. Es ist ein +ziemlicher Spaziergang; auf die Karthause, den unser +schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine grosse +Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher +vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll +Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote +sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey den +Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muss vorher dazu +die Erlaubniss haben. Man sieht in der Karthause fast eben +so viel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig +Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König +ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist +jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in +Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne +Gemälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz +vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal +hat noch Stücke von guten Meistern.</p> + +<p>Um die schönste Aussicht zu haben musst Du zu den +Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution +etwas decimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer +empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige +Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde +Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die +Parthie nicht von +<!-- pb n="197" facs="#f0223"/ --> sehr vielen gemacht. Wir +verirrten uns, mein Genuese und ich, in den Feigengärten und +Kastanienwäldern, und ich musste dem alten Kerl noch mit +meiner Topographie im Orientieren helfen. Das ärgerte mich +gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht +hübsche Parthien nach allen Seiten. Es gab Stellen, wo man +bis nach Kajeta hinüber sehen konnte. Da wir uns verspätet +hatten, mussten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum +Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit nehmen. +Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge +über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu +geniessen als die Aussicht; die Kirche hat nichts +merkwürdiges. Ein Layenbruder führte mich mit vieler +Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an +eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige +perennierende Eichen, die vielleicht der schönste Punkt in +ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil +es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil +von Elmo, Belvedere und einige andere Stückchen sind +sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische +klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava +der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv +mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent, +Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, +der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend, +Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter +ihm versteckt der Avernus, die Solfatara, bey heiterm Wetter +die Berge von Kumä, der +<!-- pb n="198" facs="#f0224"/ --> Gaurus und weiter hin die +beschneyten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte, +deren Eingang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der +neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge, +ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue Städte, +Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest Du mit +Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief tief in +der Ferne sieht man noch Ponza und einige kleinere Inseln. +Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn +Du einmal hörst, dass ich unbegreiflich verschwunden bin, so +bringe mit unter Deine Muthmassungen, dass ich vielleicht +der schönsten Natur die grösste Sottise zum Opfer gebracht +habe und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer +und Virgil, den Thucydides und etwas von der attischen +Biene, abwechselnd mit Aristophanes, Lucian und Juvenal; so +könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das +Bisschen Vernunft bey sich behalten: denn diese wird jetzt +doch überall wieder konterband. Also gehe zu den +Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey +ihnen oben zu bleiben.</p> + +<p>Jetzt schliesse ich und schreibe Dir vermuthlich noch +einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrien zurückkomme; +denn eben muss ich zu Schiffe nach Palermo.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |