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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
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+ <title>Agrigent</title>
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+
+<div class="chapter" id="Agrigent">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Agrigent</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">S</span>iehst Du, soweit bin ich
+nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen
+nicht jedermanns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe
+ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste
+hinzustreichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn
+ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so
+würde ich mich ärgern; denn ich habe viel
+<!-- pb n="208" facs="#f0234"/ --> versehen. Ich wollte
+nehmlich von Palermo über Trapani, Alcamo und Sciakka gehen,
+um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die
+noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn
+ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre
+doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in
+Palermo mit einem neapolitanischen Offizier, einem Herrn
+Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und
+breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen
+Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu
+besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit
+keiner Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an
+den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in grösster
+Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach
+aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir einfällt, dass ich
+doch zu weit links von der See abkomme. Der Eseltreiber
+versicherte mich aber sehr ehrlich, das sey der rechte
+gewöhnliche Weg nach Agrigent. Ich bin wieder einige Millien
+zufrieden. Endlich kommen wir bei Bei Frati an, und ich
+finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und
+erklärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, dass sich
+der Eseltreiber dem Henker um meine Promenade bekümmert
+hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die
+Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da
+war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand
+wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht
+mehr als sechs goldene Unzen, um nach Palermo zurück und den
+andern Weg zu machen. Das
+<!-- pb n="209" facs="#f0235"/ --> war meiner Börse zu viel;
+ich entschloss mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so
+fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu
+überlassen, die vielleicht auch ihren Werth besser zu
+würdigen verstehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die
+Bagarie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts
+ab. Die Parthien sind angenehm und könnten noch angenehmer
+seyn, wenn die Leute etwas fleissiger wären. So wie man sich
+von der Hauptstadt entfernt, wird es ziemlich wild. Wir
+kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der
+Abfall der Kultur und des äusserlichen Wohlstandes war
+ziemlich grell. Alles war weit theurer, als in der
+Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich
+erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden
+liess. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der
+Anhöhe ein altes Schloss liegen, das man Torre di Diana
+nannte, und wo die Saracenen mit den Christen viel
+Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu
+zeitig bey den schönen Brüdern zu bleiben, zumal da das
+Wirthshaus gerade zu der Revers des Namens war; wir ritten
+also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war
+auch nicht ein Stückchen Brot, auch nicht einmal Makkaronen
+zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber
+und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte,
+fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch
+wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt Joseph nicht
+weit von einem Flusse ankamen, dessen Namen ich vergessen
+habe.</p>
+
+<p>Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber
+<!-- pb n="210" facs="#f0236"/ --> aus allen Theilen der
+Insel, und doch wenigstens Makkaronen. Aus Vorsicht hatte
+ich für mich in Palermo Brot gekauft, das beste und
+schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es
+mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den
+Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein
+Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das wenige
+Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das
+nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine
+Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte meinen Unwillen
+kaum bergen.</p>
+
+<p>Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Makkaronen.
+Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, dass ich wohl ihre
+Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in
+Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken lässt. Da erhob
+sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die
+Vorzüge ihrer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der
+Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die
+Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von
+Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der
+Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von
+Palermo hörte königlich zu und sagte &mdash; nichts. Ihr
+könnt euch auch gross machen, sagte der Treiber von Katanien
+zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen,
+der nicht einmal euer ist, und fing an auch die Alterthümer
+seiner Vaterstadt, als der ältesten Universität der Erde,
+heraus zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergass
+der in ihrem Theater geredet habe. Du musst wissen,
+Margarethe heisst bey den Siciliern durchaus ein
+gefäl<!-- pb n="211" facs="#f0237"/ -->liges feiles Mädchen:
+das war für die Mutter des frommen Mannes der Aeneide kein
+sonderlicher Weihrauch. Ohne mein Erinnern siehst Du
+hieraus, das<!-- supplied>s</supplied --> die sicilischen
+Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache
+gleich nicht immer ausserordentlich genau nehmen: denn der
+Agrigentiner rechnete den benachbarten Makaluba zu den
+Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne dass seine Gegner
+protestierten; und hätte der Streit länger gedauert, so
+hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit
+aufgezählt.</p>
+
+<p>Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumarren, einen
+heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wetter. Nie habe ich
+eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so
+entsetzlich denken können. Die Insel sieht im Innern
+furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber
+das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so
+schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause
+durchaus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler kamen in
+den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen
+auf der Treppe des <span class="spaced">spanischen</span>
+Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht,
+sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit
+Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst
+küsste man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich
+blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden,
+und hätte in diesem Augenblicke alle sicilische Barone und
+Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche
+stellen können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in
+Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei<!-- pb n="212" facs="#f0238"/ -->len,
+recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist
+so vernachlässiget, dass mir der Wein sehr willkommen war.
+Ich musste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was
+man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach
+unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen
+Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das
+beste war hier ein grosser schöner herrlicher Orangengarten,
+wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust
+hatte, ohne dass es die Rechnung vermehrt hätte, und wo ich
+die köstlichsten hochglühenden Früchte von der Grösse einer
+kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera
+traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern
+Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die
+Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich
+keinen Fuss vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht
+helfen, wenn ich auch alle Taschen leerte und mich ihnen
+gleich machte.</p>
+
+<p>Der Fluss ohne Brücke, über den ich in einem Strich von
+ungefähr drey deutschen Meilen wohl funfzehn Mahl hatte
+reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits
+gehet, ward diesen Morgen ziemlich gross; und das letzte
+Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit
+Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus
+bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme,
+trugen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und
+suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Verdienst recht
+gross zu machen: ich hätte gerade zu Fusse durchgehen
+wollen, und wäre nicht schlimmer
+<!-- pb n="113 " facs="#f0239"/ --> daran gewesen, als am
+Ende der pontinischen Sümpfe vor Terracina. Ihre Foderung
+war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich
+möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig
+würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen,
+jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder gerade zu mit
+dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die
+Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten
+nicht weiter. Der Fluss geht nun rechts durch die Gebirge in
+die See. Ich habe seinen eigentlichen Namen nicht gefasst;
+man nannte ihn bald so bald anders, nach der Gegend; am
+häufigsten nannten ihn die
+Einwohner <span class="italic">Fiume di San Pietro</span>.
+Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent
+abwechselnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich
+bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege
+ab aufsuchte, ist sie etwas mager.</p>
+
+<p>Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder vielmehr das
+Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz unbeträchtlich, und sein
+Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rund umher sind
+in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge,
+so dass ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für
+Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen,
+aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des
+Orts ist verhältnissmässig doch zu gross, und es giebt rund
+umher tiefere Gegenden, die auch wirklich Wasser halten. Am
+wenigsten liesse sich seine periodische Wuth erklären. Wo
+ich hinauf stieg fand ich einen einzelnen drey Ellen hohen
+Kegel aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben
+eine
+<!-- pb n="214" facs="#f0240"/ --> Oeffnung hatte, aus
+welcher die Masse immer heraus quoll und herab floss und so
+den Kegel vergrösserte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs
+grössere Oeffnungen, aus denen beständig die Masse hervor
+drang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse
+flüssiger war. Ich stiess in einige meinen Knotenstock
+gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die
+Seiten berührte war der Boden hart. In der Mitte und
+ziemlich auf der grössten Höhe desselben war die grösste
+Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der
+Boden nicht trug und ich befürchten musste zu versinken.
+Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll
+man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich
+sah der Oeffnungen rund umher, grössere und kleinere,
+ungefähr dreyssig. Einige waren so klein, dass sie nur ganz
+kleine Bläschen in Ringelchen ausstiessen, und ich konnte
+meinen Stock nur mit Widerstand etwas hinein zwingen. Die
+Ausbrüche und die Regenstürme ändern das Ansehen des
+Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer als
+seine grössern Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer
+Entfernung von ungefähr zwey Stunden auf einer
+beträchtlichen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich
+hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna heisst.
+Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe liegenden kleinen
+Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drey Wochen sehr in
+Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig
+gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber diessmahl bey
+dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv -Vulkan bis hierher
+<!-- pb n="215" facs="#f0241"/ -->
+sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich
+rauhe Gegend über mehrere Berge,</p>
+
+<p>Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine gewaltig
+starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als ich das Haus
+betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben
+würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich
+wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe
+ich mirs versah, schoss ein junger starker Kerl aus einer
+Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den
+höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der
+Gurgel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäusten aus
+allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden so gut
+ich konnte, und er liess den armen Teufel endlich los, der
+auch sogleich abmarschierte. Ich sagte dem Fausthelden so
+glimpflich als möglich, dass ich diese Art von Willkommen
+etwas zu handgreiflich fände; da trat er ganz friedlich und
+sanft vor mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine
+Mutter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden.
+Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es
+auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen: und
+damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich
+den Ritter Canella, den Onkel meines militärischen Freundes
+in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde waren sehr
+artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich
+sogar in meinem Gasthause. Raimondi, welcher Direktor der
+dortigen Schule ist, führte mich in die alte gothische
+Kathedrale, wo ich den antiken Taufstein sah und das
+akustische Kunststück
+<!-- pb n="216" facs="#f0242"/ --> nicht hören konnte, da er
+den Schlüssel zu der verschlossenen Stelle vergessen hatte
+und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit
+noch einmahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen.
+Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der
+Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern
+Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort desswegen
+verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden
+belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des
+Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt
+genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, dass
+Dorville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus
+ausserordentlich richtig gezeichnet hat.</p>
+
+<p>Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in
+Alikata. Mein Mauleseltreiber kam beständig und machte den
+Bedienten und Cicerone. <span class="italic">Jo saggio
+tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie,</span> sagte
+er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich
+eben so wenig einwenden liess, als wider die Infallibilität
+des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon
+ziemlich kannte, hatte ich weiter nichts gegen die
+Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr
+neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten
+Stadt schon aus den Fenstern des Herrn Raimondi übersehen,
+steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die
+Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten
+der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die
+Vergänglichkeit aller weltlichen Grösse helfen? Ich sah da
+die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters<!-- pb n="217" facs="#f0243"/ -->tempels,
+und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie
+nehmlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht etwas zu
+bestimmen. Die Trümmern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern
+Karuben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und
+gross gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem
+fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und
+sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein
+weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen
+Gebälke durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin
+und her, dass der Agrigentiner, der doch ein Mauleseltreiber
+war, vor Angst blass ward, an der Celle blieb und sich
+niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten auf dem Gesimms,
+bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus
+der Tasche und hielt ein Frühstück, das gewiss Scipio auf
+den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich
+konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht
+erwehren, als ich über die Stelle des alten grossen reichen
+Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger
+unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und jedem die
+üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlängelt sich der kleine
+Akragas, der der Stadt den Namen gab, hinunter in die See;
+und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer
+steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt
+wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des
+feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt die Stadt
+steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil der Akropolis. Nun
+ging ich noch etwas weiter hin<!-- pb n="218" facs="#f0244"/
+-->auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übrigen Resten,
+unter denen man mehrere Tage sehr eparnorthotisch hin und
+her wandeln könnte. Die systematischen Reisenden mögen Dir
+das übrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der
+jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den
+Konkordientempel schaffen lassen und dafür die schöne alte
+Front mit der pompösen Inschrift
+entstellt: <span class="italic">Ferdi</span><span class="italic">nandus
+IV. Rex Restaurauit</span>. Ich hätte den Giebel herunter
+werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.</p>
+
+<p>Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel stehen nicht
+weit von den alten Mauern, in deren solidem Felsen eine
+Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiss was
+man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es
+wahrscheinlicher vor, dass es Schlafstellen für die Wache
+sind, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur
+aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern,
+so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind
+doch als Felsen beträchtlich genug, dass man von der See aus
+die Stadt das hohe Akragas nennen konnte; und noch jetzt
+würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben
+eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht ohne
+Grund geschehen, dass man die schönsten Tempel der Mauer so
+nahe baute. Sie waren das Heiligthum der Stadt; ihre Nähe
+beym Angriff musste anfeuern, wo, die Bürger wirklich
+augenscheinlich <span class="italic">pro aris et
+focis</span> schlugen. Auch der Tempel des Herkules muss
+unten nicht weit von der Mauer gestanden
+<!-- pb n="219" facs="#f0245"/ --> haben. Dort sind aber die
+Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort
+nicht so unterstützte; eben desswegen setzte man vermuthlich
+dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der
+schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erinnern: eben
+desswegen liegen wahrscheinlich dort Tempel und Mauer in
+Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl
+eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl
+Hierons machen soll, weiss ich nicht; ich überlasse es mit
+dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt
+zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem
+Mauleseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt:
+<span class="italic">Kischt' è il lempiò di San Gregoli;
+Kischta Madonna è antica:</span> und wer es nicht glauben
+will, <span class="italic">anathema sit</span>. Der gute
+Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und
+meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft
+alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun
+interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur
+&#x03F0;&#x03B1;&#x03C4;&#x0315;
+&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B9;&#x03C6;&#x03F1;&#x03B1;&#x03C3;&#x03B9;&#x03BD;
+&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;
+&#x03F0;&#x03B1;&#x03BB;&#x03BF;&#x03F0;&#x03B1;&#x03B3;&#x03B1;&#x03D1;&#x03B9;&#x03B1;&#x03C2;;
+ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rapport halb
+unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären
+Schweinställe! Weiss der Himmel, was der fromme Kerl
+verstanden haben mochte; <span class="italic">Si si</span>,
+<span class="italic">Signore</span>, <span class="italic">dice
+bene</span>, sagte er
+treuherzig; <span class="italic">kischt' è la cosa</span>.
+Er rechnete es mir hoch an, dass er italiänisch sprach und
+nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht
+fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in
+ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der
+heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt
+nicht weit von
+<!-- pb n="220" facs="#f0246"/ --> hier nach Alcamo hinab in
+dem Gebirge, wo die Leute griechisch sprächen oder gar
+türkisch, so dass man sie gar nicht verstehen könnte, wie
+das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier
+führte er eine Menge Wörter an, die ich leider wieder
+vergessen habe. <span class="italic">Non sono cosi boni
+latini, come noi autri,</span> sagte er. Du siehst der
+Mensch hat Ehre im Leibe.</p>
+
+<p>Den musikalischen Talenten und der musikalischen Neigung
+der Italiäner kann ich bis jetzt eben keine grossen
+Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem
+Lande und in den Städten, auch noch keine einzige Melodie
+gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern
+Ländern manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch
+von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent,
+der eine Art Liebesliedchen sang und sehr emphatisch drollig
+genug immer wiederholte
+; <span class="italic">Kisch</span>t<span class="italic">a</span>
+nu<span class="italic">tte, kischta nutte in verru, iu
+verru. (Questa notte io verro.)</span></p>
+
+<p>Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier
+italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg dahin ist
+sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen und Mandelgärten.
+Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in
+Sicilien zu einer ausserordentlichen Grösse wachsen; noch
+häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September
+reif werden und von denen ich das Stück, so selten sind sie
+jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen musste,
+da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karuben oder
+Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir
+bey uns gar keine Begriffe <!-- pb n="221" facs="#f0247"/ -->
+haben. Sie sind so haufig, dass in einigen Gegenden des
+südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der
+Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem
+Fünften gebaut. Bonaparte lag einige Tage hier und auf der
+Rhede, als er nach Aegypten ging: und damahls kamen auch
+einige Franzosen hinauf in die Stadt, wo gar keine Garnison
+liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn
+der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen.
+Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona, und keiner der besten.
+Nicht weit davon sind eine Menge unterirdische
+Getreidebehälter, weil von Agrigent sehr viel ausgeführt
+wird. Die politische Stimmung durch ganz Sicilien ist gar
+sonderbar, und ich behalte mir vor Dir an einem andern Orte
+noch einige Worte darüber zu sagen.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>