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authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
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+
+<div class="chapter" id="Syrakus">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div>
+
+<p> <span class="initial">D</span>iess ist also das Ziel
+meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen
+Umschweifen wieder nach Hause.</p>
+
+<p>Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als
+möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel
+ward mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte
+man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich,
+etwas mehr als einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich
+ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Diess
+war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete,
+zumahl auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit
+einem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fusse auf einer
+Ronde um die Insel begleiten; dafür sollte er mit mir
+ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich
+wollte ihm täglich noch fünf Karlin, ungefähr einen
+deutschen Gulden, geben: dabey könnte er doch zusammen
+während der kurzen Zeit drey goldene Unzen Gewinn haben. Der
+Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwey Unzen voraus, um für
+die eine einige Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen und
+die zweyte unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er
+kaufte mir einen Habersack, ungefähr wie man ihn den
+Mauleseln mit dem Futter umhängt, that meine zwey Bücher,
+mein Hemde mit den übrigen Quinquaillerien und etwas
+Proviant hinein, und trug mir ihn nach oder vor. Meinen
+stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht
+
+<!-- pb n="223" facs="#f0249"/ -->
+zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo
+gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und
+Liebhaber, dass man mir einige Mahl sagte, man
+würde mich bloss meines Tornisters wegen todt
+schlagen.</p>
+
+<p>Ich muss hier noch eine Bekanntschaft nachholen, die ich
+in Agrigent machte. Als ich in meinem Zimmer ass, trat ein
+stattlich gekleideter Mann zu mir herein und erkundigte sich
+theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem
+Befinden und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so
+weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in
+einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen Wirthshause,
+bat um die Erlaubniss sein Essen zu mir zu bringen, und wir
+assen zusammen. Es fand sich, dass er eine Art Steuerrevisor
+war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer
+sind ein sehr gutmüthiges neugieriges Völkchen, die in der
+ersten Viertelstunde ganz treuherzig dem Fremden alles
+abzufragen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteckten
+zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor über Tische
+auf seine Frage, dass ich ein Ketzer war. Der dicke Herr
+legte vor Schrecken Messer und Gabel nieder, und sah mich
+an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich
+nun über unser Religionssystem, von dem ich ihm so wenig als
+möglich so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in
+Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und musste, nach
+seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur
+Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen haben; fluchte
+übrigens und zotierte auf lateinisch und
+<!-- pb n="224" facs="#f0250"/ --> italiänisch trotz einem
+Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie
+man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne.
+Dabey hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende.
+Doch entschloss er sich mit mir fort zu essen, fragte aber
+immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und
+einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb
+spasshaft das Verdammungsurtheil über uns alle
+her: <span class="italic">Siete tutti
+mincspanoni</span>, <span class="italic">siete come le
+bestie</span>. Das nenne ich mir Logik! Indessen, lieber
+Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel in der
+Welt, <span class="italic">in jure
+canonico</span>, <span class="italic">civili et
+publico</span>, die uns für Sterling verkauft wird.
+Uebrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloss sich
+brüderlich an mich an, und meinte ich ginge grossen Gefahren
+entgegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich abging, band
+er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich
+seine Addresse in Palermo und liess mich Ketzer doch unter
+dem Schutze aller Heiligen ziehen.</p>
+
+<p>So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg
+hinunter, über den kleinen Fluss hinweg nach dem Monte
+chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner
+Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel
+machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war
+das nicht lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle
+Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich
+einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die
+sich über das Margarethentempelchen von Segeste zankten.
+Diese Herren staunten
+<!-- pb n="225" facs="#f0251"/ --> über meine Verwegenheit,
+dass ich zu Fusse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein
+Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang.
+Mein Begleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten;
+er ass so viel Paste, dass ich über seine Capacität
+erstaunte. Indess ein Sicilianer dieser Art hat seine
+Talente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich
+mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen
+der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine
+halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen,
+und verursachte dem Menschen fürchterliche Passionen. Ich
+fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von
+dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier
+rührte ihn von neuem das Gewissen, und er bekannte mir, er
+habe schon furchtbare Angst gehabt, dass er mit mir in der
+Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein
+Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward
+nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor
+Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun?
+Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und
+sanft als möglich den Text über seinen unvernünftigen Frass
+gelesen hatte, nahm ich ihm meinen Sack ab, übergab ihn
+seinem Freunde und Landsmanne, überliess ihn seinen Heiligen
+und ging weiter. Es war mir lieb, dass ich ihn so gut
+versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that
+es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher
+erfahren, dass er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre,
+wäre es gewiss zum Wunder bloss darum gewe<!-- pb n="226" facs="#f0252"/ -->sen,
+weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen
+hatte, nicht wegen seines bestialischen Makkaronenfrasses.
+Ich habe vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen
+hören, dass jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an
+der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der
+gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts
+anders als Makkaronen mit Oehl.</p>
+
+<p>Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste
+hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das
+Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bey Palma ist wieder
+schöne herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und
+Thälern, die alle mit Oehlbäumen und Orangengärten besetzt
+sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als die
+übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und
+wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von
+Malta nicht ausgenommen, deren man eine Menge in Neapel
+findet. Gegen Abend kam ich in Alikata an, wo ich vor der
+Stadt zwey sehr wohlgekleidete Spaziergänger antraf, die
+mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehen
+Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir
+gingen zusammen in die Stadt, ich halte sie für die beste,
+die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen
+habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich gut; ich
+hatte also nicht Ursache, dem Marchese Frangipani, an den
+ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich
+doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit
+in seinem ziemlich grossen Hause auf, wo ich eine
+ansehnliche Gesell<!-- pb n="227" facs="#f0253"/ -->schaft
+fand. Man nöthigte mich, mit den Damen etwas
+französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige
+zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als man sich zum
+Spiel setzte &mdash; <span class="italic">c'est partout
+comme chés nous</span> &mdash; und ich daran nicht Theil
+nehmen wollte noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt
+anrühre, empfahl ich mich und befand mich in meinem
+Wirthshause einsam recht wohl. In der schönen Abenddämmerung
+machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der
+Fischerey zu. Die hiesige Rhede muss für die Schiffe nicht
+viel werth seyn, so viel ich von der Lage mit einem
+Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alikata, von Palma
+her, liegt ein sich am Meere herziehender Berg, der von den
+Gelehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehalten wird.
+Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera, denn
+der nördliche fliesst bey Termini, ist ein anderer Berg,
+dessen Name, glaube ich, Phalarius heisst: und diese beyden
+Berge paradieren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos
+soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben,
+weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen
+Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr
+auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir erlaubst eine
+Konjektur zu machen, so will ich annehmen, dass der Eknomos
+deswegen so genannt worden sey, weil er ganz allein,
+isoliert, von der ganzen übrigen Bergkette rund herum
+abgesondert liegt: die andern Berge hängen in einem grossen
+Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name, däucht
+mich, könne diess bedeuten: &#x03B5;&#x03F0;
+&#x03C4;&#x0223; &#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x0223;
+&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;
+&#x03B1;&#x03BB;&#x03BB;&#x03C9;&#x03BD;
+&#x03BF;&#x03F1;&#x03C9;&#x03BD;
+&#x03F0;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9;
+<!-- pb n="228" facs="#f0254"/ -->
+&#x03B3;&#x03B5;&#x03C9;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C6;&#x03BF;&#x03C2;.
+Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen
+Oelgärten und mehreren Landhäusern besetzt, und giebt der
+Gegend ein sehr freundliches Ansehen. Links ist an dem
+Himera hinauf eine schöne grosse Ebene mit Weitzenfeldern;
+eine der besten die ich je gesehen habe. Alikata ist der
+erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.</p>
+
+<p>Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich
+hier in Alikata, wo man sagte, dass die achtzehn Millien von
+hier nach Terra nuova die schlimmsten in der ganzen Insel
+wären. Sono cattive
+<span class="italic">gente</span>, hiess es;
+und <span class="italic">cattive</span> war der ewige
+Euphemismus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber und
+Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahrscheinlich nur
+meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am
+Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von
+Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend
+Cirkumherumschweife und blieb bey der schönen Idee stehen,
+dass ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme:
+da sah ich von weitem drey Reiter und zwar zu Pferde auf
+mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maulesels oder
+Esels ist mir in Sicilien immer lieber als eines Pferdes.
+Mir ward etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so
+ernsthaft als möglich vor ihnen vorbey zu gehen. Das litten
+sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst
+thaten. Sie waren alle drey mit Flinten bewaffnet; der Dolch
+versteht sich von selbst. Ich grüsste nicht ganz ohne
+Argwohn. Man rief mir halt! und da ich that, als ob ich es
+nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Ve<!-- pb
+n="229" facs="#f0255"/ -->hemenz auf mich zu, fasste mich
+beym Kragen und riss mich so heftig herum, dass das Schisma
+noch an meinem Rocke zu sehen ist. Wer seyd Ihr? &mdash; Ein
+Reisender. &mdash; Wo wollt Ihr hin? &mdash; Nach Syrakus.
+&mdash; Warum reitet Ihr nicht? &mdash; Es ist mir zu
+theuer; ich habe nicht Geld genug dazu. &mdash; Einer meiner
+Freunde in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge gezeichnet,
+den ich damals machte, damit ich, wie er sagte, doch sagen
+könnte, ich habe mich in Rom malen lassen. Ich schicke Dir
+die Zeichnung zur Erbauung, und Du wirst hier wenigstens
+meine Eitelkeit nicht beschuldigen, dass sie sich ins beste
+Licht gesetzt hat. Man riss meinen Sack auf und fand
+freylich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwey Bücher, ein
+Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und
+einige Orangen. Man besah mich aufmerksam von der Ferse bis
+zur Scheitel. &mdash; Ihr habt also kein Geld zum Reiten?
+&mdash; Ich kann so viel nicht bezahlen. &mdash; Meine Figur
+und mein Sack schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes
+Dokument zu seyn. Man nahm das weisse Buch, in welches ich
+einige Bemerkungen geschrieben hatte um die Reminiscenzen zu
+erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte es,
+und Einer, der etwas Ansehen über die beyden Andern zu haben
+schien, machte Miene es einzustecken. Ich sagte etwas
+betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen
+Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete
+mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke,
+gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gieb ihm
+Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das
+<!-- pb n="230" facs="#f0256"/ --> Zeichen der Hospitalität
+und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher
+reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so
+machte ich doch keine Umstände der ehrenvollen Gesellschaft
+Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der
+dargereichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr engen
+Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weisst, hier für das
+Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus
+genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr
+schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses
+und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete.
+&mdash; An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? &mdash; An den
+Ritter Landolina. &mdash; Den kenne ich; sagte Einer.
+&mdash; Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und
+geht zu Fusse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich:
+Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal
+recht verstanden: da ich aber, ausser ein wenig Schach,
+durchaus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem
+Gewissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und
+nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung
+ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier,
+Dank sey es der schlechten Regierung, eine allgemeine Seuche
+ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der
+Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen
+oder auszaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man
+wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den
+Leuten zu halten? Aus gewöhnlicher Vorsicht hatte ich die
+Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein
+Taschenbuch, in welchem
+<!-- pb n="231" facs="#f0257"/ --> ungefähr noch sieben und
+zwanzig Unzen in Gold liegen mochten, war inwendig in einer
+Tasche hoch unter dem linken Arm und wurde also nicht
+bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine
+Zeichen als Polizeyreiter: übrigens waren sie für Sicilien
+sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in
+Unteritalien zur Schande der Justiz und Polizey jedermann.
+Wenn sie ehrlich waren, so thaten sie wenigstens alles
+mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen
+Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bey uns
+in feiner Gesellschaft ein abgefeimter Schurke gerade das
+Gegentheil thut. Ich denke immer, meine anscheinende
+Armseligkeit hat mich gerettet und die Uhr und die Unzen
+hätten mir den Hals brechen können.</p>
+
+<p>Vor Terra nuova wurde ich wieder freundschaftlich
+angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren
+unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es
+einzuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich
+ein mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen; ich
+war wirklich müde und that es. Neugierigere Leute als in
+Sicilien habe ich nirgends gefunden; aber im Ganzen fehlt es
+ihnen nicht an Gutherzigkeit. Was schlecht ist kommt alles
+auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man
+fragte mich sogar ob ich eine Uhr trüge und begriff wieder
+nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch
+bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da
+ich allein war.</p>
+
+<p>In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin
+kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl
+<!-- pb n="232" facs="#f0258"/ --> war, und sagte dabey, ich
+würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf
+mich auf einen Haufen Haferspreu, die in einem Winkel
+aufgeschüttet war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht
+ein Stündchen geschlafen haben und es war gegen Abend, da
+wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen
+kann, war voll Leute aller Art, einige stattlich gekleidet,
+andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit,
+der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war
+ganz höflich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem
+Benehmen Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach
+dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, dass ich ein
+Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und endlich
+Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um
+so viel als möglich zu kapieren. Man war geneigt mich für
+einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik
+gedient habe, und so weiter: aber über ihre Stimmung gegen
+die Franzosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der
+Mann im Matrosenkleide sagte, ich müsste Franzose seyn, weil
+ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so
+vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward
+mir endlich sehr penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen
+und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen;
+ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr,
+so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich
+legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizey
+sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen
+kann. Erlauben Sie mir übri<!-- pb n="233" facs="#f0259"/ -->gens
+etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es
+ist warm und ich bin müde. Das sagte ich italiänisch so gut
+ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der
+Herren bat mich höflich um Verzeihung, ohne weiter eine
+Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich, und nach
+einigen Minuten war ich wieder allein auf meiner Haferspreu.
+Den Abend, nachdem ich bey einigen Seefischen sehr gut
+gefastet hatte, brachte man mir
+Heu<!-- choice><sic -->-<!-- /sic><corr>,</corr></choice --> und ein
+gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke
+einen grossen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein
+Bett, das man nicht haben konnte.</p>
+
+<p>Den andern Morgen ging ich über den Fluss Gela und durch
+ein herrliches Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf.
+Dieses Thal mit den Parthien an dem Flusse links und rechts
+hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe der geloischen
+Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt
+Terra nuova steht, so lag es doch gewiss nicht weit davon,
+und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach
+dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste von
+Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das Thal ist auch
+noch jetzt in der äussersten Vernachlässigung sehr schön,
+und es lässt sich begreifen, dass es ehemals bey der
+Industrie der Griechen ein Zaubergarten mag gewesen seyn.
+Hier in Niscemi ist es wahrscheinlich, wo vor mehrern Jahren
+ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina
+beschrieben hat.</p>
+
+<p>Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort
+nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien nicht bekannt ist
+und ohne Wegweiser reist, so bleibt
+<!-- pb n="234" facs="#f0260"/ --> man, wenn man nicht todt
+geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt
+nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige
+Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann
+man eigentlich gar nicht sagen, dass in Sicilien Wege sind.
+Es sind bloss Mauleseltriften, die sich oft so verlieren,
+dass man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren
+muss. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht
+weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach
+Agrigent zu im Wagen gehen: will er weiter, so muss seine
+Majestät sich gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen
+Maulesel zu besteigen. Das lässt er denn wohl bleiben, und
+desswegen geht es auch noch etwas schlechter als gewöhnlich
+anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man
+rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das
+that ich als ein Wildfremder. Aber ich war kaum ein
+Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich grossen Wald
+perennierender Eichen kam, wo ich alle Spur verlor, einige
+Stunden in Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich
+mich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem
+ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm.
+Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und
+grosse zahlreiche Heerden. Um Caltagirone herum ist die
+Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut
+nennen. Die Stadt, welche auf einer nicht unbeträchtlichen
+Höhe liegt, hat rund umher schöne angränzende Thäler, und es
+herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche
+Wohlhabenheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe
+<!-- pb n="235" facs="#f0261"/ --> mitten in der Insel. In
+der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von
+Menschen; man ass und trank, und handelte und zankte, und
+sprach überall sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste
+vorbeygetragen wurde; schnell ward alles still und stürzte
+nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe.
+Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit
+getrockneter Oliven, die mein Lieblingsgericht hier sind,
+unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus
+hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist
+sehr gut, und verhältnissmässig sehr billig.</p>
+
+<p>Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam
+immer den Weg fort, den man mir bezeichnet hatte, und war,
+ehe ich mirs versah, in Palagonia, dem Stammhause des
+seligen Patrons der Ungeheuer, barocken Andenkens. Wäre ich
+an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn
+Palagonia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von
+Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen,
+Missgeburten aufschlug. Wieland lässt den geächteten
+Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniss über Götter
+und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut
+es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia
+liegt herrlich in einem Bergwinkel des Thales Enna. Kommt
+man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare
+Felsenschluchten und steigt einen Berg herab, als ob es in
+die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade dass die
+exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser benutzt
+und geniesst. Die Stadt ist traurig schmutzig.
+<!-- pb n="236" facs="#f0262"/ --> Ueber den Namen der Stadt
+habe ich nichts gehört und gelesen; welches freylich nicht
+viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will
+annehmen, er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit
+davon rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der
+Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzählen und die
+Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein
+gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse
+nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn
+aufgesucht.</p>
+
+<p>Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der
+überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus
+Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, grosse, schöne
+Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und
+links griffen rund herum die hohen felsigen Bergketten, die
+es einschliessen und von Noto und Mazzara trennen; und in
+dem Grunde gegen über stand furchtbar der Aetna mit seinem
+beschneyten Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte
+Rauchsäule in der reinen Luft empor stieg, und sich langsam
+nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln
+Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem
+Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent vor dem
+Thore des Schulgebäudes zeigte man mir den Riesen in den
+fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug ihn
+deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich
+nahe in seiner ganzen furchtbaren Grösse vor mir. Katanien
+lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen
+können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, der der
+Athene Polias Ehre gemacht
+<!-- pb n="237" facs="#f0263"/ --> haben würde, auf die
+jungen wilden Hyacinthen nieder und genoss eine
+Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Scenen der
+Natur. Das war wieder Belohnung und ich dachte nicht weiter
+an die Schnapphähne und das Examen von Terra nuova. Ich
+würde rechts hinauf gestiegen seyn in die Berge, wo viele
+Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen
+seyn sollen; aber ich konnte dem Orientieren und der
+müssigen Neugierde in einer sehr wilden Gegend nicht so viel
+Zeit opfern. Ich verirrte mich abermals und kam anstatt nach
+Syrakus nach Lentini. Es war mir nicht unlieb die alte Stadt
+zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche
+Rolle spielt. Sie ist in dem Misskredit der schlechten Luft,
+wesswegen auf einer grössern Anhöhe Karl der Fünfte, däucht
+mich, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der
+schlechten Luft; aber freylich kann man vom Ende des März
+keinen Schluss auf das Ende des July machen. Der See giebt
+der Gegend ein heiteres lachendes Ansehen, und diese würde
+sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man
+fleissiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer
+Orangengarten; und Du kannst denken, dass ich mit den
+Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht
+hoffen durfte Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen
+in Lentini, und wenn die Leute daselbst krank werden, so
+sind sie wahrscheinlich selbst Schuld daran, nach allem was
+ich davon sehe. Ich war nun zwey mal irre gegangen, und
+hielt es daher doch für gut einen Mauleselführer zu nehmen.
+Er erschien und wir machten bald den Handel, da ich nicht
+viel mer<!-- pb n="238" facs="#f0264"/ -->kantilisches
+Talent habe und gewöhnlich gleich zuschlage. Nun wollte der
+Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas
+sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müssten
+wir theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen.
+Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger
+war sein Grund. Er meinte, wenn ich geplündert oder
+erschlagen würde, wie sollte er dann zu seinem Gelde kommen?
+Das war mir zu arg; ich schickte ihn ärgerlich fort und ging
+mit meinem Schnappsack allein.</p>
+
+<p>Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den
+Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler
+abermals irre, und kam anstatt nach Syrakus nach Augusta.
+Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut;
+aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildniss, wo
+rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen.
+Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wieder an,
+und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel.
+Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle
+Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt
+die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und
+unter diesem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnügen
+die Verschiedenheit des Weinbaues von Meissen bis nach
+Syrakus zu sehen; und wenn ich ein weingelehrter Mann wäre,
+hätte ich viel lernen können. Die Landzunge auf welcher
+Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört
+zu dem üppigsten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man
+Salz
+<!-- pb n="239" facs="#f0265"/ --> aus Seewasser, zu welcher
+Operation man einen grossen Strich todtes Erdreich brauchte.
+Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als
+in dieser Gegend. Die Stadt ist rings um vom Meere umgeben,
+und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der
+Landseite ist der Ort also gut vertheidigt und es würde eine
+förmliche Belagerung dazu gehören ihn zu nehmen. Von der
+Seeseite scheint das nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach
+dem Wasser zu wollen nicht viel sagen. Die Stadt ist nicht
+viel kleiner als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus.
+Ich wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen Pass
+besah und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler
+Höflichkeit zurück gab. Hier wurde ich, aus meinem Passe,
+Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen
+Wege durch die ganze Insel bey allen Mauleseltreibern durch
+Ueberlieferung behielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann,
+was er seyn mochte, denn ich habe mich um seinen Posten
+weiter nicht bekümmert, bewirthete mich mit dem berühmten
+syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut
+haben muss, und mit englischem Ale und Biskuit. Das Ale war
+gut und das Biskuit besser, und über den Wein habe ich keine
+Stimme. Mir war er zu stark und zu süss. Ein Perukenmacher,
+der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerade
+in sein eigenes Haus, bewirthete mich ziemlich gut und liess
+mich noch besser bezahlen. Dafür wurde ich aber so viel
+beexcellenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der
+den grossen päbstlichen Ablass auf hundert Jahre herum
+trüge.
+<!-- pb n="240" facs="#f0266"/ --> Man erzählte mir, dass
+vor einigen Monaten ein Deutscher mit seiner Frau aus Malta
+durch Sturm hier einzulaufen genöthigt worden sey, und, da
+er keinen Pass gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben
+müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche
+Guignons können eintreten.</p>
+
+<p>Um nicht noch einmal in den Bergen herum zu irren, nahm
+ich nun endlich einen Maulesel mit einem Führer hierher nach
+Syrakus. Ich hatte eine grosse Strecke Weges an dem
+Meerbusen wieder zurück zu machen. So lange ich mich in der
+Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber
+so wie wir Syrakus näher kamen, ward es immer wüster und
+leerer. Der Aetna, der über die andern Berge hervor ragte,
+rauchte in der schönen Morgenluft. Der Mauleseltreiber hatte
+mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich,
+sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen
+kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und
+dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören
+auf nichts als diesen Stachel, der ihnen statt aller übrigen
+Treibmittel am Halse appliziert wird. Wenn es nicht recht
+gehen wollte, rief der kleine Mephistophiles hinter
+mir: <span class="italic">Pungite</span>, <span class="italic">Don
+Juan</span>, <span class="italic">sempre pungite</span>.
+Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der
+Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das
+Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie der Hals des
+Staats sich bey dem Stachel befindet, was kümmert das die
+Herren? Wenn es nur geht oder wenigstens schleicht. Mein
+kleiner Führer erzählte mir hier und da Geschichten von
+Todtschlägen,
+<!-- pb n="241" facs="#f0267"/ --> so wie wir an den Bergen
+hinritten. Rechts liessen wir die Stadt Melitta liegen, die
+auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme
+Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht
+Millien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo
+der Feigen sehr wenig aber viel sehr schöne Oelbäume waren,
+fast der Halbinsel Thapsus gegen über. Nun trifft man schon
+hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der
+alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch
+einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die
+Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der
+ungeheuern Ruine, die jetzt eine Mischung von magern
+Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern
+ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den
+Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab und spazierte
+nun zu Fusse weiter fort. Der Bube war gescheidt genug mir
+einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging
+ich durch alle drey Thore der Festung als Spaziergänger,
+ohne dass man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht
+weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige
+stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den
+Spaziergänger lässt man gehen.</p>
+
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+
+</body>
+</html>