aboutsummaryrefslogtreecommitdiff
path: root/OEBPS/Text/24-syrakus.html
diff options
context:
space:
mode:
authorPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
committerPatrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc>2020-03-04 16:53:51 +0100
commit4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751 (patch)
tree623dd3478e31a1ecf03f39c8b98699d3c57d6ab7 /OEBPS/Text/24-syrakus.html
downloadjohann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.tar.gz
johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.tar.bz2
johann-gottfried-seume-spaziergang-nach-syrakus-4231a8f24da76d954d951e77a941b432399c2751.zip
initial commit
Diffstat (limited to 'OEBPS/Text/24-syrakus.html')
-rw-r--r--OEBPS/Text/24-syrakus.html762
1 files changed, 762 insertions, 0 deletions
diff --git a/OEBPS/Text/24-syrakus.html b/OEBPS/Text/24-syrakus.html
new file mode 100644
index 0000000..9d2bbef
--- /dev/null
+++ b/OEBPS/Text/24-syrakus.html
@@ -0,0 +1,762 @@
+<?xml version="1.0" encoding="utf-8" standalone="no"?>
+<!DOCTYPE html PUBLIC "-//W3C//DTD XHTML 1.1//EN"
+ "http://www.w3.org/TR/xhtml11/DTD/xhtml11.dtd">
+
+<html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml">
+<head>
+ <meta http-equiv="Content-Type" content="text/html; charset=utf-8" />
+ <link href="../Styles/style.css" rel="stylesheet" type="text/css" />
+ <title>Syrakus</title>
+</head>
+<body>
+
+<!-- pb n="[242]" facs="#f0268"/ -->
+
+<div class="chapter" id="Syrakus2">
+<div class="dateline"><span class="right"><span class="spaced">Syrakus</span>.</span></div>
+
+<div class="poem">
+Heute will ich fröhlich fröhlich seyn,<br />
+Keine Weise, keine Sitte hören;<br />
+Will mich walzen und vor Freude schreyn:<br />
+Und der König soll mir das nicht wehren.<br />
+</div>
+
+<p> <span class="initial">S</span>o singt Asmus den ersten
+May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den
+ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich
+gleich vor einigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe
+ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich
+auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt
+und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die
+Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bisschen
+Unordnung.</p>
+
+<p>So wie ich zum Thore herein war und eine Strasse herauf
+schlenderte, &mdash; wohlzumerken, mein Sack hielt keine
+grosse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt
+leicht in den Taschen bergen &mdash; so rief mir ein Mann
+aus einer Bude zu: <span class="italic">Vous etes etranger,
+Monsieur, et Vous cherchés une auberge</span>?
+&mdash; <span class="italic">Vous l'avés touché,
+Monsieur!</span> sagte ich. <span class="italic">Aiés la
+bonté d'entrer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur
+de Vous servir</span>. Ich trat ein. Der Mann war ein
+Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren
+ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich
+leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das
+beste nannte. Die Nahrung, wenig<!-- pb n="243" facs="#f0269"/ -->stens
+das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, dass mein
+Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von
+Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina
+das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer
+Fes<!-- supplied>t</supplied -->ung kann ich doch gutwillig nicht
+bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus
+an den Hafen, nehmlich an den grossen, oder an den
+Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den
+Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel
+auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich
+ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das
+Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abtheilung des
+Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief
+gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden
+gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den
+punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach
+Afrika, machte grosse Beute in Utika, und war den dritten
+Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war,
+von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Livius Bescheid
+geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, dass ich,
+wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen
+Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido
+mitmachen könnte.</p>
+
+<p>Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus,
+und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines
+Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpfgegend hielt mich
+auf; sonst wäre ich wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem
+Rückwege setzte ich
+<!-- pb n="244" facs="#f0270"/ --> mich ein Viertelstündchen
+an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel
+des Jupiter Olympius gelten. Hier liess Dionysius dem Gott
+den goldenen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den
+Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener
+schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein
+ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte
+des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber
+war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und
+so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand
+noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte
+den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka!
+An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der
+Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich
+dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte
+nun rechts umzukehren um keinen zu grossen Umweg zu machen;
+und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch
+etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich
+fürchtete man möchte das Thor schliessen; wo man denn eben
+so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich
+mich doch mit vielem Schweiss in einem nicht gar erbaulichen
+Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluss
+herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause
+wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir
+nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die
+Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer
+der Herrn verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den
+Syraka, denkt wie ich, ist aber
+<!-- pb n="245" facs="#f0271"/ --> nicht so glücklich, und
+sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht
+heraus bringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr
+um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach
+vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit
+Stricken herausziehen. Lass Dir es also nicht einfallen,
+wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber
+nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege,
+sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.</p>
+
+<hr class="hr5" />
+
+<p>Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina
+zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das
+ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er
+ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme
+mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weisst, dass er
+Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in
+meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen
+ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in
+Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke
+Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus
+bis nach Epipolä, wo wir unsere Pferde liessen und nach den
+äussersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen
+zu Fusse gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den
+Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden
+kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die
+ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey
+Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie
+<!-- pb n="246" facs="#f0272"/ --> bey ihm, Landolina
+gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten
+uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung
+nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses
+halbe Stündchen für eines der schönsten die ich genossen
+habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte,
+die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah
+man die ganze grosse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt,
+die nun halb als Ruine und halb als Wildniss da liegt.
+Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem
+Syraka und dem Hafen: links hinab ging bis ans Meer die
+gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche
+Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen
+liess. Von beyden sieht man noch den Gang durch die
+Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke
+aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das
+Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Grösse des
+ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet.
+Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen
+hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette
+des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag
+der <span class="italic">mons crinitus</span>, wo die
+Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen
+Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer,
+welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das
+Haus des Timoleon, wo man bey der kleinen Mühle noch die
+Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein,
+drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo
+der schöpferische Geist Archimeds mit dem
+<!-- pb n="247" facs="#f0273"/ --> Feuer des Himmels seine
+Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange
+nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken
+Besatzung der Aussenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter
+links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der
+Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab
+lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern
+Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem
+Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind
+vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der
+Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen
+und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde
+eine angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die
+Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an
+Solidität und Grösse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen.
+Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie
+derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren
+es durch die Lage bloss sehr feste Aussenwerke, deren
+Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt
+hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite
+des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich
+zu geringe und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr.
+Die Römer drangen durch die grosse Linie links. Wäre diese
+Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die
+Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre
+vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht
+gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen
+Schlacht zum Manöver benutzen kann.</p>
+
+<!-- pb n="248" facs="#f0274"/ -->
+<p>Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner
+Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das
+Vergnügen theilen, so würde es grösser werden. Mein eigenes
+Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo
+gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir
+mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm
+Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Geschenk von
+Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las
+nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas
+magisches. &mdash; Sey nur ruhig, ich habe jetzt zu viel
+Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du
+sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.</p>
+
+<p>Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina
+zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis,
+die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste
+enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen
+Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge
+Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage
+genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und
+besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze
+gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts
+weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser
+aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die
+jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen
+Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen
+Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf
+ist das alte grosse griechische Theater,
+<!-- pb n="249" facs="#f0275"/ --> fast rund herum in Felsen
+gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug
+hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es
+natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren
+Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich
+deutlich zu lesen. Es lässt sich viel dawider sagen, und sie
+beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin
+Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der
+aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung
+geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemahls
+auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig
+gewesen, so dass ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der
+Inschrift floss, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war.
+Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen,
+schalt den Müller und liess es auf der Stelle abändern.
+Gegen über steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das
+Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freylich
+nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, dass
+wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und dass
+vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der grosse Mann
+begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnissweg
+hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis
+fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die
+verschiedenen Gestalten der kleinen und grössern
+Begräbnisskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den
+Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius.
+Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne
+Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,
+<!-- pb n="250" facs="#f0276"/ --> das man am Eingange
+zerreisst, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man
+stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen
+Büchsenschuss, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die
+ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir
+vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber
+als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob
+sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die
+Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine
+Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl
+vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe
+ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingruben
+des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so
+vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob
+Dionysius dasselbe habe hauen lassen, liesse sich noch
+bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint;
+aber dass er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen,
+hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein
+schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in
+dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige
+durchgebrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn
+mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen
+anzuschliessen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am
+Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemahls für das
+Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel
+Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin
+zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina
+erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt
+habe. Die<!-- pb n="251" facs="#f0277"/ -->ses
+Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle
+selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade
+geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine
+eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen
+in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich;
+und es lässt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als
+eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten
+Gang in das Gefängniss geführt, durch welche der Tyrann
+selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem
+Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl
+nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir,
+er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen
+Engländern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und
+eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein
+verworrenes dumpfes Geräusch.</p>
+
+<p>Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den
+hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend
+räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche
+Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu soll
+das Kämmerchen oben gewesen seyn? Zum Anfange einer neuen
+Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an
+einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit
+bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst
+entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage
+nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts
+deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass man ehedem
+nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange
+vieles zertrümmert und ein<!-- pb n="252" facs="#f0278"/ -->gestürzt,
+also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man
+sagt, Dionysius habe hier in dieser Gegend der Stadt keinen
+Pallast gehabt. Zugegeben dass dieses wahr sey, so war
+dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen
+Gegenwart zu entfernen. Er konnte desswegen bey wichtigen
+Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu
+kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und
+Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen
+sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, dass er
+draussen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt
+haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in
+Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des
+ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem
+Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von
+Syrakus schliesst er nicht ganz übel.</p>
+
+<p>In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler
+ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der
+Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von
+Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein
+anderer Steinbruch, der einer wahren Feerey gleicht. Er ist
+von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als
+nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den
+der Besitzer hat verschliessen lassen. Von oben kann man das
+ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den
+niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen
+Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt
+in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den
+vaterländischen Baum
+<!-- pb n="253" facs="#f0279"/ --> zu finden, den ich fast
+in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier
+in dem heisseren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das
+vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch
+sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach
+vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand.
+Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen
+Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die
+Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur
+machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der
+Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu
+halten; da diese Röhren vermuthlich Luft von aussen
+empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der
+enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese
+Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte
+Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut
+erhalten ist, dass, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in
+Gang gesetzt werden könnte.</p>
+
+<p>Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen
+Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die
+furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im
+peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich
+lange darin herum gewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre
+Gärten darin angelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn
+würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf
+gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Gefahr zehn tausend
+ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege
+mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt
+haben;
+<!-- pb n="254" facs="#f0280"/ --> dieses war nun das
+grösste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit
+schönen Orangen, und bedauerten, dass die Engländer schon
+die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten
+aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür
+erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen
+Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen
+Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht
+ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem
+Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum
+spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes
+und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn
+man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze
+ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem
+Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet.
+Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die
+bekannte Anekdote, dass viele Gefangene sich aus der
+traurigen Lage bloss durch einige Verse des Euripides zogen:
+und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter
+gebracht worden.</p>
+
+<p>In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia
+ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte
+Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man
+auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute
+noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht
+giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie
+doch gewiss von dem festen Lande der Insel; und schon dieser
+Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es
+den Dichtern auf einige Grade Er<!-- pb n="255" facs="#f0281"/ -->höhung
+nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine
+ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen,
+die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus
+der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen
+Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag
+zusammen getragen hat. In Sicilien und Italien dankt niemand
+für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von
+Europa zu wünschen, dass sie bekannter würde. Vielleicht
+lässt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist
+durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine
+Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die
+mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die
+vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie
+quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen
+ganz weg, so dass man trocken tief in die Höhle hinein gehen
+kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen
+physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie
+vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu
+glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem
+Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort
+herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu
+denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht:
+das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen
+willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet
+man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem
+Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist.
+Seitdem ist das Wasser süss geblieben, heisst es. Ich fand
+eine
+<!-- pb n="256" facs="#f0282"/ --> Menge Wäscherinnen an der
+reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und
+hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich
+stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der
+hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es
+schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser
+der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muss
+also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich
+wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat
+die nehmliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich
+durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt
+Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich
+bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der
+nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es etwas
+salziger: das mag vielleicht von der grossen Tiefe und dem
+beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es
+für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen
+Tempeln fand. Sehr möglich; es lässt sich gegen die
+Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein
+gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn?
+Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse
+in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiss die Insel
+machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt
+aus. Man hatte ausser der Arethuse wenig Wasser in den
+Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr
+bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder
+zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz
+auf diesen Fall zu verschaffen und ihn
+<!-- pb n="257" facs="#f0283"/ -->
+vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich
+will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben
+so wenig hartnäckig behaupten.</p>
+
+<p>Als ich hier in der Kirche sass, die eben ausgebessert
+wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete,
+gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein
+Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen
+Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals
+mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht.
+Wenn man diesen Mann von der Regierung und der
+Kirchendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom
+Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mögen. Alles
+bestätigte seine Erzählung, und Unzufriedenheit und Murrsinn
+schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen.
+Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner
+Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten
+Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller
+Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit
+einem kleinen Ablassgelde in Ordnung gebracht und
+fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich
+der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum
+Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer
+profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet
+sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die
+ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der
+Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die
+jedermann wisse, und nannte mir mit grosser Freymüthigkeit
+zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich
+<!-- pb n="258" facs="#f0284"/ --> gern wieder vergessen
+habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die
+Glossen.</p>
+
+<p>Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz
+machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen
+Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine
+ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so
+dass nur noch von innen und aussen der griechische
+Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen
+Stil schön und gross, sticht aber gegen die alte griechische
+Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.</p>
+
+<p>Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines
+Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche
+singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war
+mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und
+ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein
+Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über
+seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen
+eigentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz
+unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine
+Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das
+entmannte Bild so in Wuth, dass er mit dem Messer auf den
+Geiger zuschoss und ihn erstochen haben würde, wäre dieser
+durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden.
+Auch der Sänger konnte die Aergerniss durchaus nicht
+verdauen und entfernte sich.</p>
+
+<p>Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem
+Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherrn gelten,
+und die ich also wohl eben so verdienst<!-- pb n="259" facs="#f0285"/ -->los
+verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft
+und halb mit gefischt. Ich fuhr nehmlich heute nach Mittage
+mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um
+das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane
+links bald in einer solchen Menge, dass wir das Boot kaum
+durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich
+nicht erreichen. Es war zu spät; wir mussten fürchten
+verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich
+etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch
+und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am
+Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir
+durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für
+meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu
+bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den
+Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus
+meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie
+weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König
+selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen
+liesse. Die Leute beguckten mich und liessen mich abziehen.
+Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zu
+zubereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich
+glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar
+keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit
+entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser
+schlechtes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste
+Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien
+gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den
+Kommentar
+<!-- pb n="260" facs="#f0286"/ -->
+des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das
+Interesse des Alterthums.</p>
+
+<p>Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen,
+welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir
+der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler
+Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem
+alten griechischen Theater sassen und ausruhten. Landolina
+machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer
+Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte,
+eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine
+Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise
+interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes
+irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise,
+die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache,
+welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und
+hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, dass man
+über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich
+und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht
+erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es
+selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich
+nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere
+ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die
+bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange
+sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar
+geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manchmal,
+setzte Landolina sehr launig hinzu.</p>
+
+<p>Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von
+denen zu Neapel. Was beyde ursprüng<!-- pb n="261" facs="#f0287"/ -->lich
+gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber
+dass beyde in der Folge zu Begräbnissplätzen gedient haben,
+ist ausgemacht. Von den syrakusischen liesse sich vielleicht
+aus dem Bau mehr behaupten, dass sie ursprünglich dazu
+gehauen wurden. Der grosse Unterschied der neapolitanischen
+und syrakusischen besteht darin, dass in den
+neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts,
+und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort
+sind unten die grössern und dann an der Wand herauf die
+kleinern Behälter; hier sind vorn die grössern und dann
+weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so dass in
+Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in
+Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist.
+Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr
+Umstände; ich weiss nicht ob ich Dir deutlich geworden bin.
+Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel
+lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf,
+unten die grösseren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus
+in den Felsen hinein, vorn grössere und hinterwärts immer
+kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als
+Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch
+zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens
+nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine
+alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten
+Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige
+Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und
+Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das
+erste Mal, als wir kamen,
+<!-- pb n="262" facs="#f0288"/ --> war er nicht zu Hause,
+sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten,
+begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder
+mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen
+Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug.
+Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig um
+seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also,
+da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von
+drey und zwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des
+Lebens konnte natürlich die grosse Tour nicht aushalten. Der
+Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die
+Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in
+angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden
+wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster
+aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf
+die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine
+abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr
+gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt;
+vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein
+Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo
+noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und
+schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen
+Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen
+; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer
+griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können:
+das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser
+verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis
+nach Ka<!-- pb n="263" facs="#f0289"/ -->tanien gehen;
+vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden
+haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der
+Baumannshöhle versichert, dass sie sich bis nach Gosslar
+erstrecke.</p>
+
+<p>Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchterlich seyn;
+denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde,
+den man <span class="italic">il ponente</span> nennt,
+welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch
+alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume
+entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein
+kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in
+einem solchen Grade alles verdorret, dass man es sogleich zu
+Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch
+der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf,
+dass er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume
+nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey
+gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die
+Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der
+vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen
+Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige
+Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest,
+besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse
+Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den
+Gipfeln ferner Berge.</p>
+
+<p>Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall; die
+Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur
+zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben
+mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr
+melancholische Viertelstunde, als
+<!-- pb n="264" facs="#f0290"/ --> ich mit Landolina oben
+auf der Felsenspitze von Euryalus sass, der würdige
+patriotisch eifernde Mann über das grosse traurige Feld
+seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und
+sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das
+kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der
+vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und
+liebenswürdigsten Charakter gefunden, und er sprach mit
+schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter
+und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und
+von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein
+hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur
+der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich
+schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und
+Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es
+durchaus. Ehemals schickte man bey der grossen Bevölkerung
+Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der
+Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget
+gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit
+die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger
+litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung
+und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der
+physischen Verschlimmerung des Landes durch die
+Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle
+fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der
+Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige
+Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden,
+wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese
+verschrieenen Ge<!-- pb n="265" facs="#f0291"/ -->genden,
+geben reichlich, wenn man fleissig ist. Sicilien ist ein
+Land des Fleisses, der Arbeit und der Ausdauer. Man will
+jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu
+arbeiten. Es sind freylich wenig grosse Striche hier, die so
+schwelgerisch fruchtbar wären wie das Kampanerthal: aber es
+könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.</p>
+
+<p>Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der
+schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium
+und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und
+hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als
+im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel
+zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht
+tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir
+unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum
+hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus
+ausser Stande zu seyn schnell zu handeln, lässt alle Kaliber
+der Kugeln durch einander werfen und die Munition in
+Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach
+Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die
+Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem
+Verdruss. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser
+verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel
+anzugreifen; mit zehn tausend Mann hätten sie dieselbe mit
+ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger
+Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere
+Maassregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre
+zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er<!-- pb n="266" facs="#f0292"/ -->griffen
+haben. &mdash; Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus.
+Bloss im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die
+Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen.
+Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der
+Ankommenden beständig wieder.</p>
+
+<p>Noch etwas literarisches muss ich Dir doch aus dem
+südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest ich sey
+ganz und gar unter die Analphabeten getreten. Landolina
+lässt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher
+er beweist, dass der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein
+der &#x03BF;&#x03B9;&#x03C5;&#x03BF;&#x03C2;
+&#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2;
+oder &#x03C0;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BF;&#x03C2; der
+Alten sey. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube
+ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in
+seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im
+Homer heisst es, dass an den Weinstöcken reife Trauben und
+grünende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich
+unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen
+nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus
+kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des
+Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur
+die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums,
+dass sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher
+Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zunächst
+aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen.
+Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit
+wichtiger seyn, als mir Abaccheveten. Er hat mir noch manche
+nicht unange<!-- pb n="267" facs="#f0293"/ -->nehme
+philologische Bemerkung über manche griechische Stelle
+gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank
+wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt
+hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser
+sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, dass
+Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu
+urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse,
+vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey,
+weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik
+gegen die Insel äussere.</p>
+
+</div> <!-- chapter -->
+
+</body>
+</html>