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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Wo fange ich an? Wo höre ich +auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethuse sitzt +und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die +Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Bisschen +Unordnung.</p> + +<p>So wie ich zum Thore herein war und eine Strasse herauf +schlenderte, — wohlzumerken, mein Sack hielt keine +grosse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt +leicht in den Taschen bergen — so rief mir ein Mann +aus einer Bude zu: <span class="italic">Vous etes etranger, +Monsieur, et Vous cherchés une auberge</span>? +— <span class="italic">Vous l'avés touché, +Monsieur!</span> sagte ich. <span class="italic">Aiés la +bonté d'entrer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur +de Vous servir</span>. Ich trat ein. Der Mann war ein +Hutmacher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jahren +ansässig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich +leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das +beste nannte. Die Nahrung, wenig<!-- pb n="243" facs="#f0269"/ -->stens +das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, dass mein +Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von +Haushofmeister und Cicerone zu machen. Ich traf Landolina +das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer +Fes<!-- supplied>t</supplied -->ung kann ich doch gutwillig nicht +bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus +an den Hafen, nehmlich an den grossen, oder an den +Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den +Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel +auch Agathokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich +ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das +Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abtheilung des +Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief +gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden +gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den +punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach +Afrika, machte grosse Beute in Utika, und war den dritten +Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war, +von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Livius Bescheid +geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, dass ich, +wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen +Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido +mitmachen könnte.</p> + +<p>Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, +und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines +Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpfgegend hielt mich +auf; sonst wäre ich wohl noch etwas weiter gegangen. Auf dem +Rückwege setzte ich +<!-- pb n="244" facs="#f0270"/ --> mich ein Viertelstündchen +an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel +des Jupiter Olympius gelten. Hier liess Dionysius dem Gott +den goldenen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den +Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener +schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein +ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte +des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber +war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und +so einen etwas andern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand +noch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte +den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! +An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der +Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich +dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte +nun rechts umzukehren um keinen zu grossen Umweg zu machen; +und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch +etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich +fürchtete man möchte das Thor schliessen; wo man denn eben +so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich +mich doch mit vielem Schweiss in einem nicht gar erbaulichen +Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluss +herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause +wartete, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir +nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die +Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer +der Herrn verläuft sich auf einem kleinen Abstecher in den +Syraka, denkt wie ich, ist aber +<!-- pb n="245" facs="#f0271"/ --> nicht so glücklich, und +sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht +heraus bringen, ruft umsonst, und feuert mit seinem Gewehr +um Hülfe: darauf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach +vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit +Stricken herausziehen. Lass Dir es also nicht einfallen, +wenn Du rechts am Anapus spazieren gehest, gerade hinüber +nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege, +sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.</p> + +<hr class="hr5" /> + +<p>Eben komme ich von einem Spazierritt mit Landolina +zurück. Der Mann verdient ganz das enthusiastische Lob, das +ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er +ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme +mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weisst, dass er +Ritter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in +meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen +ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in +Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke +Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus +bis nach Epipolä, wo wir unsere Pferde liessen und nach den +äussersten Festungswerken der alten Stadt über viele Felsen +zu Fusse gingen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den +Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden +kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die +ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey +Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie +<!-- pb n="246" facs="#f0272"/ --> bey ihm, Landolina +gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten +uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung +nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses +halbe Stündchen für eines der schönsten die ich genossen +habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte, +die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah +man die ganze grosse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, +die nun halb als Ruine und halb als Wildniss da liegt. +Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem +Syraka und dem Hafen: links hinab ging bis ans Meer die +gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche +Dionysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen +liess. Von beyden sieht man noch den Gang durch die +Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke +aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das +Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Grösse des +ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. +Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen +hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette +des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag +der <span class="italic">mons crinitus</span>, wo die +Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen +Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, +welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das +Haus des Timoleon, wo man bey der kleinen Mühle noch die +Trümmer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, +drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Hafens, wo +der schöpferische Geist Archimeds mit dem +<!-- pb n="247" facs="#f0273"/ --> Feuer des Himmels seine +Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange +nicht weiter zu gehen, weil er sich hier vor der starken +Besatzung der Aussenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter +links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der +Verräther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab +lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern +Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem +Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind +vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der +Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen +und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde +eine angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die +Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an +Solidität und Grösse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen. +Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie +derselben von unendlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren +es durch die Lage bloss sehr feste Aussenwerke, deren +Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg gezeigt +hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite +des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich +zu geringe und sie hatten keinen Alcibiades zum Führer mehr. +Die Römer drangen durch die grosse Linie links. Wäre diese +Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die +Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre +vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht +gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen +Schlacht zum Manöver benutzen kann.</p> + +<!-- pb n="248" facs="#f0274"/ --> +<p>Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner +Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das +Vergnügen theilen, so würde es grösser werden. Mein eigenes +Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo +gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir +mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm +Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Geschenk von +Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las +nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas +magisches. — Sey nur ruhig, ich habe jetzt zu viel +Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du +sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.</p> + +<p>Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina +zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, +die aber wirklich das Interessanteste der alten Ueberreste +enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen +Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge +Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage +genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und +besteht jetzt meistens aus Gärten und einem offenen Platze +gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts +weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser +aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die +jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen +Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen +Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf +ist das alte grosse griechische Theater, +<!-- pb n="249" facs="#f0275"/ --> fast rund herum in Felsen +gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug +hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es +natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren +Aechtheit und Alter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich +deutlich zu lesen. Es lässt sich viel dawider sagen, und sie +beweist wohl weiter nichts als die Existenz einer Königin +Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der +aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung +geht nahe am Theater weg; vermuthlich brachte sie ehemahls +auch das Wasser hinein. Die Leute waren etwas nachlässig +gewesen, so dass ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der +Inschrift floss, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. +Landolina gerieth darüber billig in heftigen Unwillen, +schalt den Müller und liess es auf der Stelle abändern. +Gegen über steht eine Kapelle an dem Orte, wo Cicero das +Grab des Archimedes gefunden haben will. Wir fanden freylich +nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, dass +wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und dass +vermuthlich in dieser kleinen Peripherie der grosse Mann +begraben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbnissweg +hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis +fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die +verschiedenen Gestalten der kleinen und grössern +Begräbnisskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den +Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. +Akustisch genug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne +Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier, +<!-- pb n="250" facs="#f0276"/ --> das man am Eingange +zerreisst, macht ein betäubendes Geräusch, und wenn man +stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen +Büchsenschuss, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die +ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir +vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber +als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob +sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die +Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine +Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl +vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe +ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingruben +des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Methode so +vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob +Dionysius dasselbe habe hauen lassen, liesse sich noch +bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; +aber dass er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, +hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein +schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in +dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige +durchgebrochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn +mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen +anzuschliessen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am +Eingange ist das Kämmerchen, welches ehemahls für das +Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel +Maschinerie dazu, von unten hinauf oder von oben herab dahin +zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina +erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt +habe. Die<!-- pb n="251" facs="#f0277"/ -->ses +Behältniss hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle +selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade +geschehen. Gleich an dem Eingang hat Landolina eine +eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen +in den zusammengestürzten Felsenstücken sind zu deutlich; +und es lässt sich wohl etwas anders nicht daraus machen als +eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten +Gang in das Gefängniss geführt, durch welche der Tyrann +selbst Gefangene von Bedeutung hierher brachte. Mit dem +Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl +nicht so viel Umstände gemacht haben. Landolina sagte mir, +er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen +Engländern in das obere kleine Behältniss bringen lassen und +eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein +verworrenes dumpfes Geräusch.</p> + +<p>Die Spiessbürger von Syrakus lassen sich aber den +hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend +räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche +Syrakuser verfänglich genug darüber ungefähr so: »Wozu soll +das Kämmerchen oben gewesen seyn? Zum Anfange einer neuen +Steingrube, wozu man es gewöhnlich machen will, ist es an +einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit +bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst +entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage +nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts +deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, dass man ehedem +nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange +vieles zertrümmert und ein<!-- pb n="252" facs="#f0278"/ -->gestürzt, +also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man +sagt, Dionysius habe hier in dieser Gegend der Stadt keinen +Pallast gehabt. Zugegeben dass dieses wahr sey, so war +dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen +Gegenwart zu entfernen. Er konnte desswegen bey wichtigen +Vorfällen sich immer die Mühe geben von Epipolä hierher zu +kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und +Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den bequemen +sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, dass er +draussen in Epipolä noch mehrere Gefängnisse mag gehabt +haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in +Syrakus.« Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des +ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem +Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von +Syrakus schliesst er nicht ganz übel.</p> + +<p>In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler +ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der +Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vorzüglich von +Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein +anderer Steinbruch, der einer wahren Feerey gleicht. Er ist +von einer ziemlichen Tiefe, durchaus nicht zugänglich, als +nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den +der Besitzer hat verschliessen lassen. Von oben kann man das +ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den +niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen +Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt +in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den +vaterländischen Baum +<!-- pb n="253" facs="#f0279"/ --> zu finden, den ich fast +in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier +in dem heisseren Himmelsstrich den Schatten der Tiefe. Das +vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch +sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach +vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. +Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irdenen +Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die +Gelehrten durchaus keine sehr wahrscheinliche Konjektur +machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der +Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu +halten; da diese Röhren vermuthlich Luft von aussen +empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der +enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese +Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte +Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut +erhalten ist, dass, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in +Gang gesetzt werden könnte.</p> + +<p>Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen +Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die +furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im +peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich +lange darin herum gewandelt. Die Mönche haben jetzt ihre +Gärten darin angelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn +würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Behuf +gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Gefahr zehn tausend +ganz sicher bewachen. Der Gebrauch zu Gefängnissen im Kriege +mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt +haben; +<!-- pb n="254" facs="#f0280"/ --> dieses war nun das +grösste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit +schönen Orangen, und bedauerten, dass die Engländer schon +die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten +aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür +erhalten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich dergleichen +Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen +Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht +ausgeführt worden, weil man vermuthlich den Stein zu dem +Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum +spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes +und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn +man nun die alte Geschichte zurückruft, so erhält das Ganze +ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem +Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet. +Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die +bekannte Anekdote, dass viele Gefangene sich aus der +traurigen Lage bloss durch einige Verse des Euripides zogen: +und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter +gebracht worden.</p> + +<p>In dem heutigen Syrakus oder dem alten Inselchen Ortygia +ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte +Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man +auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute +noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht +giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie +doch gewiss von dem festen Lande der Insel; und schon dieser +Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es +den Dichtern auf einige Grade Er<!-- pb n="255" facs="#f0281"/ -->höhung +nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine +ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, +die er mit vieler Gelehrsamkeit und vielem Scharfsinn aus +der ganzen Peripherie der griechischen und lateinischen +Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag +zusammen getragen hat. In Sicilien und Italien dankt niemand +für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von +Europa zu wünschen, dass sie bekannter würde. Vielleicht +lässt er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist +durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine +Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die +mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die +vielleicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie +quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen +ganz weg, so dass man trocken tief in die Höhle hinein gehen +kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen +physischen Wetterberechnungen stärker quellen sollte: sie +vertreibt Sommersprossen, welches selbst Landolina zu +glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem +Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort +herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu +denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: +das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen +willkommen. Die neueste Veränderung mit der Quelle findet +man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem +Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist. +Seitdem ist das Wasser süss geblieben, heisst es. Ich fand +eine +<!-- pb n="256" facs="#f0282"/ --> Menge Wäscherinnen an der +reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und +hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich +stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der +hohlen Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es +schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser +der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muss +also durch die neueste Veränderung noch nicht gänzlich +wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat +die nehmliche Beschaffenheit, und gehört wahrscheinlich +durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt +Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich +bequemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der +nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es etwas +salziger: das mag vielleicht von der grossen Tiefe und dem +beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es +für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen +Tempeln fand. Sehr möglich; es lässt sich gegen die +Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein +gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn? +Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse +in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiss die Insel +machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt +aus. Man hatte ausser der Arethuse wenig Wasser in den +Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr +bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder +zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz +auf diesen Fall zu verschaffen und ihn +<!-- pb n="257" facs="#f0283"/ --> +vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich +will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben +so wenig hartnäckig behaupten.</p> + +<p>Als ich hier in der Kirche sass, die eben ausgebessert +wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, +gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein +Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen +Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals +mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. +Wenn man diesen Mann von der Regierung und der +Kirchendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom +Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mögen. Alles +bestätigte seine Erzählung, und Unzufriedenheit und Murrsinn +schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. +Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner +Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten +Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller +Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit +einem kleinen Ablassgelde in Ordnung gebracht und +fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich +der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum +Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer +profane Schwierigkeiten in seiner Liebschaft findet, wendet +sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die +ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der +Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die +jedermann wisse, und nannte mir mit grosser Freymüthigkeit +zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich +<!-- pb n="258" facs="#f0284"/ --> gern wieder vergessen +habe. Ich erzähle die Thatsache, und überlasse Dir die +Glossen.</p> + +<p>Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Lucilie Platz +machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen +Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine +ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so +dass nur noch von innen und aussen der griechische +Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen +Stil schön und gross, sticht aber gegen die alte griechische +Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.</p> + +<p>Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines +Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Kathedralkirche +singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war +mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und +ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein +Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über +seine Zuthulichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen +eigentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz +unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine +Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das +entmannte Bild so in Wuth, dass er mit dem Messer auf den +Geiger zuschoss und ihn erstochen haben würde, wäre dieser +durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. +Auch der Sänger konnte die Aergerniss durchaus nicht +verdauen und entfernte sich.</p> + +<p>Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem +Anapus, die hier für eine Delikatesse der Domherrn gelten, +und die ich also wohl eben so verdienst<!-- pb n="259" facs="#f0285"/ -->los +verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft +und halb mit gefischt. Ich fuhr nehmlich heute nach Mittage +mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um +das Papier zu suchen. Das Papier fand ich auf der Cyane +links bald in einer solchen Menge, dass wir das Boot kaum +durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich +nicht erreichen. Es war zu spät; wir mussten fürchten +verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich +etwas; ich hätte früher fahren müssen. Das Wasser ging hoch +und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am +Hafen wollten einige Köche der hiesigen Schmecker mir +durchaus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für +meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu +bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den +Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus +meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie +weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König +selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen +liesse. Die Leute beguckten mich und liessen mich abziehen. +Ueber das Papier selbst und des Landolina Art es zu +zubereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich +glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar +keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvollständigkeit +entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser +schlechtes Lumpenpapier ist immer noch besser als das beste +Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien +gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den +Kommentar +<!-- pb n="260" facs="#f0286"/ --> +des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das +Interesse des Alterthums.</p> + +<p>Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mittheilen, +welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir +der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler +Jovialität erzählte, als wir nach einem Spaziergange in dem +alten griechischen Theater sassen und ausruhten. Landolina +machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer +Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, +eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine +Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach seiner Weise +interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes +irgend einer alten vornehmen Familie, und brachten Beweise, +die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache, +welche sie beweisen sollten. Man sprach und stritt her und +hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, dass man +über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkundigte sich +und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht +erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es +selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich +nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere +ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die +bündige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange +sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar +geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manchmal, +setzte Landolina sehr launig hinzu.</p> + +<p>Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich wesentlich von +denen zu Neapel. Was beyde ursprüng<!-- pb n="261" facs="#f0287"/ -->lich +gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu bestimmen; aber +dass beyde in der Folge zu Begräbnissplätzen gedient haben, +ist ausgemacht. Von den syrakusischen liesse sich vielleicht +aus dem Bau mehr behaupten, dass sie ursprünglich dazu +gehauen wurden. Der grosse Unterschied der neapolitanischen +und syrakusischen besteht darin, dass in den +neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, +und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort +sind unten die grössern und dann an der Wand herauf die +kleinern Behälter; hier sind vorn die grössern und dann +weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so dass in +Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in +Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. +Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr +Umstände; ich weiss nicht ob ich Dir deutlich geworden bin. +Ein avtoptischer Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel +lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, +unten die grösseren und aufwärts immer kleinere; in Syrakus +in den Felsen hinein, vorn grössere und hinterwärts immer +kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als +Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch +zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens +nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine +alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten +Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der einzige +Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und +Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das +erste Mal, als wir kamen, +<!-- pb n="262" facs="#f0288"/ --> war er nicht zu Hause, +sondern in der Stadt nach Lebensmitteln. Als wir umkehrten, +begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder +mit ihm zurück nach Sankt Johannis. Er machte für einen +Religiosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. +Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nöthig um +seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, +da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von +drey und zwanzig Stunden zusammen. Der kleine Novize des +Lebens konnte natürlich die grosse Tour nicht aushalten. Der +Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die +Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in +angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden +wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster +aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf +die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine +abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr +gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; +vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein +Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo +noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und +schauerlich genug. Von den Gemälden in den verschiedenen +Abtheilungen der Katakomben lässt sich wohl nicht viel sagen +; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer +griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: +das ist indessen kein Beweis, dass es andere nicht besser +verstehen. Die Leute fabeln hier, dass diese Katakomhen bis +nach Ka<!-- pb n="263" facs="#f0289"/ -->tanien gehen; +vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden +haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der +Baumannshöhle versichert, dass sie sich bis nach Gosslar +erstrecke.</p> + +<p>Der Sommer muss hier zuweilen schon fürchterlich seyn; +denn Landolina erzählte mir von einem gewissen Südwestwinde, +den man <span class="italic">il ponente</span> nennt, +welcher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch +alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume +entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein +kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in +einem solchen Grade alles verdorret, dass man es sogleich zu +Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch +der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so gross und scharf, +dass er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume +nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey +gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Sicilien. Die +Winter sind gewöhnlich von keiner Bedeutung; nur der +vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen +Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige +Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, +besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr grosse +Erscheinung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den +Gipfeln ferner Berge.</p> + +<p>Syrakus kommt immer mehr und mehr in Verfall; die +Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur +zuweilen schickt sie ihre Steuerrevisoren, um die Abgaben +mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr +melancholische Viertelstunde, als +<!-- pb n="264" facs="#f0290"/ --> ich mit Landolina oben +auf der Felsenspitze von Euryalus sass, der würdige +patriotisch eifernde Mann über das grosse traurige Feld +seiner Vaterstadt hinblickte, das kaum noch Trümmer war, und +sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das +kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der +vier Tage Umgang mit ihm in ihm einen der reinsten und +liebenswürdigsten Charakter gefunden, und er sprach mit +schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter +und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und +von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus allein +hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur +der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich +schlecht. Das habe ich auf meinen Zügen gefunden, und +Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es +durchaus. Ehemals schickte man bey der grossen Bevölkerung +Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der +Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget +gewesen, Getreide aus der Levante kommen zu lassen, damit +die wenigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger +litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung +und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der +physischen Verschlimmerung des Landes durch die +Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle +fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der +Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige +Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, +wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese +verschrieenen Ge<!-- pb n="265" facs="#f0291"/ -->genden, +geben reichlich, wenn man fleissig ist. Sicilien ist ein +Land des Fleisses, der Arbeit und der Ausdauer. Man will +jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu +arbeiten. Es sind freylich wenig grosse Striche hier, die so +schwelgerisch fruchtbar wären wie das Kampanerthal: aber es +könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.</p> + +<p>Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der +schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium +und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und +hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als +im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel +zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht +tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anekdote, die mir +unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum +hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus +ausser Stande zu seyn schnell zu handeln, lässt alle Kaliber +der Kugeln durch einander werfen und die Munition in +Unordnung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach +Aegypten und es war weder Gefecht noch Ergeben nöthig; die +Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem +Verdruss. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser +verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel +anzugreifen; mit zehn tausend Mann hätten sie dieselbe mit +ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger +Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere +Maassregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre +zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er<!-- pb n="266" facs="#f0292"/ -->griffen +haben. — Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus. +Bloss im vorigen Kriege war es ein Zufluchtsort gegen die +Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. +Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der +Ankommenden beständig wieder.</p> + +<p>Noch etwas literarisches muss ich Dir doch aus dem +südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glaubest ich sey +ganz und gar unter die Analphabeten getreten. Landolina +lässt jetzt in Florenz eine Abhandlung drucken, in welcher +er beweist, dass der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein +der οιυος +πολλιος +oder πολιος der +Alten sey. Die klassischen Hauptstellen darüber sind, glaube +ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in +seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im +Homer heisst es, dass an den Weinstöcken reife Trauben und +grünende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich +unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen +nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus +kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des +Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur +die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, +dass sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher +Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zunächst +aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. +Dieses alles wird Dir, als einem weingelehrten Manne, weit +wichtiger seyn, als mir Abaccheveten. Er hat mir noch manche +nicht unange<!-- pb n="267" facs="#f0293"/ -->nehme +philologische Bemerkung über manche griechische Stelle +gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank +wissen wird, dem er sie wahrscheinlich auch alle mitgetheilt +hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser +sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, dass +Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu +urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, +vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey, +weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik +gegen die Insel äussere.</p> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |