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author | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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committer | Patrick Goltzsch <pg (at) in-transit.cc> | 2020-03-04 16:53:51 +0100 |
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Meiner ist der +Katholicismus der Vernunft, der allgemeinen Gerechtigkeit, +der Freyheit und Humanität; und der ihrige ist die +Nebelkappe der Vorurtheile, der Privilegien, des eisernen +Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen +kommen; aber seit Bonapartes Bekehrung habe ich für mich die +Hoffnung sinken lassen. Dank sey es der Frömmeley und dem +Mamelukengeist des grossen französischen Bannerherrn, die +Römer haben nun wieder Ueberfluss an Kirchen, Mönchen und +Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert +Jahre zurückgeworfen. <span class="italic">Homo sum</span> +— sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was +mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner +Wanderschaft wieder aufnehmen.</p> + +<p>Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano +und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien hatte mich gewarnt, +ich möchte mich dort in Acht nehmen: allein im May, dachte +ich, hat so ein Spaziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen +war drückend schwül, und über der Solfatara und dem +Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt +genug; ich wollte nur aus Neugier das +<!-- pb n="360 " facs="#f0388"/ --> Lokale sehen und weiter +keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich ungefähr ein +Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen +hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und +schwer, und ich eilte dass ich durch die Bergschlucht wieder +heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob +sich alle flüssigen Theile mischten und die festen sich +auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte, +kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine +gewisse Schwere und Müdigkeit von der Wärme. Eine eigene +Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als +ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von +Posilippo ass, dass ich mir an einer eben nicht harten +Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen locker +biss. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig +zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drey +Vorderzähne. Aber Veränderung der Luft und etwas Schonung +haben sie bis auf einen wieder ziemlich fest gemacht; und +dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er +nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.</p> + +<p>Von Rom nach Neapel war ich zu Fusse gegangen: von Neapel +nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem +Neapolitanischen Kourier. Noch die Nacht fuhren wir über +Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina. +Anstatt einer attellanischen Fabel erzählte man uns in +Aversa als wahre Geschichte, dass eben die Räuber vom Berge +herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sechzig +Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich +<!-- pb n="361 " facs="#f0389"/ --> +mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn +Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte. +Dieser Herr hatte nehmlich auf meiner Hinreise einen +sehr grossen Gefallen an meinem Seehundstornister +bekommen, wollte ihn durchaus haben und bot mir +bis zu drey goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn +nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch +einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurück käme: und +jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt +nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit +sich zurück? Durch die Pontinen ging es diessmal die +Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der +Morgen graute, als wir in Veletri eintrafen. Nun kam +aber eine ächt italiänische Stelle, über der ich leicht +hätte den Hals brechen können.</p> + +<p>Ich habe die Gewohnheit beständig voraus zu laufen, wo +ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist eine schöne +Waldgegend, durch welche die Strasse geht. Oben am Berge bat +der Postillion, wir möchten aussteigen, weil er vermuthlich +den Hemmschuh einlegen wollte und am Wagen etwas zu hämmern +hatte. Der Offizier blieb bey seinen Depeschen am Wagen, und +ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in +den Wald hinein, und dachte wie ich Freund Reinhart in +Aricia überraschen würde, der jetzt daselbst seyn wollte. +Ungefähr sieben Minuten mochte ich so fort gewandelt seyn, +da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu. +Ihre Bothschaft erklärte sich sogleich. Einer fasste mich +bey der Krause und setzte mir den Dolch an die Kehle; der +andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf +<!-- pb n="362 " facs="#f0390"/ --> die Brust; die beyden +übrigen blieben dispositionsmässig in einer kleinen +Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung +sagte ich halb unwillkührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so +nehmt denn ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte +einer eine doppelt grässliche Pantomime mit Gesicht und +Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stossen und +schiessen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg +also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines +Geld aus den Westentaschen, welches beydes zusammen sich +vielleicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit +der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die +Karabiner suchten mir durch richtige Schwenkung Willigkeit +einzuflössen. Ich machte mich bloss so schwer als möglich, +da weiter thätiger Widerstand zu thun der gewisse Tod +gewesen wäre: man zerriss mir in der Anstrengung Weste und +Hemd. Vermuthlich wollte man mich dort im Busche gemächlich +durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man +für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie +das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen +Schuss oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem +kritischen Momente, denn das Ganze dauerte vielleicht kaum +eine Minute, hörte man den Wagen von oben herabrollen und +auch Stimmen von unten: sie liessen mich also los und nahmen +die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg +fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr sass, wie in +Sicilien, tief, und das Taschenbuch stak unter dem Arme in +einem Rocksacke: beydes wurde +<!-- pb n="363 " facs="#f0391"/ --> also in der +Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen grässlich +aus wie ihr Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter +zwanzig und keiner über dreissig. Sie hatten sich gemalt und +trugen falsche Bärte; ein Beweiss, dass sie aus der Gegend +waren und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia +nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht in +der schönen klassischen Gegend bleiben können. Dort spielt +ein Theil der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten +daselbst Lausus und Euryalus ihre jugendliche +Unbesonnenheit: nicht eben, dass sie gingen, sondern dass +sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein +preussischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön +polierten glänzenden Helm aufsetzen, um versteckt zu +bleiben? Herr Virgil hat sie bloss der schönen Episode wegen +so ganz unüberlegt handeln lassen.</p> + +<p>Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nachricht, +dass zwey von den Schurken, die mich in dem Walde geplündert +hätten, erwischt wären, und dass ich vielleicht noch das +Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen. Dawider habe ich +weiter nichts, als dass es bey der jetzigen ungeheuern +Unordnung der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier +etwas von einem Manuscript gesehen, das in kurzem in +Deutschland, wenn ich nicht irre bey Perthes, gedruckt +werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom enthält. +Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, dass fast alles +darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle +Fälle kompetenter Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier, +ist ein freyer, unbefan<!-- pb n="364 " facs="#f0392"/ -->gener, +kenntnissvoller Mann, bey dem Herz und Kopf gehörig im +Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer +grössten Ausdehnung eingeführt; und was das Volk eben jetzt +darunter leiden müsse, kannst Du berechnen. Die Klöster +nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in Besitz, die +eingezogenen Kirchen werden wieder geheiligt, und alle +Prälaten behaupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. +Da mästen sich wieder die Mönche, und wer bekümmert sich +darum, dass das Volk hungert? Die Strassen sind nicht allein +mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben wirklich +daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiss, dass bey meinem +Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger +gestorben sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und +sterben sehen. Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der +Ausdruck ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit. +Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit +dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig +eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächtiger +gehalten werden könnten, erhob sich selbst aus dem gläubigen +Gedränge ein Fünkchen Vernunft in dem dumpfen Gemurmel, dass +man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten mache und die +Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die +Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als +jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Polizey; +auf dem Lande noch weniger als in der Stadt: und wenn die +Menschheit nicht noch tiefer gesunken ist, als sie wirklich +liegt, so kommt es bloss daher, weil man das Göttliche in +der Natur durch die grösste +<!-- pb n="365 " facs="#f0393"/ --> Unvernunft nicht +ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein +vernünftiger Philanthrop sich +hier <!-- choice><sic -->nmsieht<!-- /sic><corr>umsieht</corr></choice -->. +Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als +ich wieder zu Borgia gehen wollte. <span class="italic">Nil +valent apud Vos leges</span>, <span class="italic">nil +justitia</span>, <span class="italic">nil boni +mores</span>; <span class="italic">saginantur +sacerdotes</span>, <span class="italic">perit +plebs</span>, <span class="italic">caecutit +populus</span>; <span class="italic">vilipenditur quodcunque +est homini sanctum +honestas</span>, <span class="italic">modestia</span>, <span class="italic">omnis +virtus</span>. <span class="italic">Infimus et improbissimus +quisque cum armis per oppida et agros praedabundus +incedit</span>, <span class="italic">furatur</span>, +<span class="italic">rapit</span>, <span class="italic">trucidat</span>, +<span class="italic">jugulat</span>, <span class="italic">incendia +miscet</span>. <span class="italic">Haec est illa religio +scilicet</span>, <span class="italic">auctoris +ignominia</span>, <span class="italic">rationis +opprobrium</span>, <span class="italic">qua Vos homines +liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere +conamini</span>. So gohr es, und ich +versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey. +Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen, +warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen +machen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird +schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu +denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter +gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon +kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu +Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. +Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit +zurück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen +Bedienten im Hause, und geben nur schlechten Sold. Jeder +Fremde der nur die geringste Höflichkeit vom Herrn empfängt, +wird dafür von der Valetaille in Anspruch genommen. Das +hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch +schicklich +<!-- pb n="366 " facs="#f0394"/ --> +nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel +wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium +nicht mehr in Auslage seyn.</p> + +<p>Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz +Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch dass sie die +Sache wieder aufgegeben haben, ist die Menschheit in +unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiss was darüber +gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles +betrachtet werden muss: aber wenn man schlecht angefangen +hat so hat man noch schlechter geendiget; das Zeugniss wird +mit Zähneknirschen jeder rechtliche Römer und Neapolitaner +geben. Geschichte kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren +unbedingten nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste +Anarchie entstanden. Die Heerstrassen sind voll Räuber; die +niederträchtigsten Bösewichter ziehen bewaffnet im Lande +herum. Bloss während meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind +drey Kourier geplündert und fünf Dragoner von der Eskorte +erschossen worden. Niemand wagt es etwas mehr mit der Post +zu geben. Der französische General liess wegen vieler +Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den +Tod bestimmt und liess eine Anzahl Verbrecher vor dem +Volksthore wirklich niederschiessen. Die Härte war Wohlthat; +nun war Sicherheit. Jetzt trägt jedermann wieder seinen +Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer noch in dem +schändlichen Kredit als Beschützer der Verbrecher. Man +erzählt jetzt noch Beyspiele mit allen Namen und Umständen, +dass sie Mörder in ihren Wagen in Sicherheit bringen lassen. +Ueber öffentliche Armenanstalten bey den Katho<!-- pb n="367 " facs="#f0395"/ -->liken +ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die +Metropolis. Jetzt sind durch die Revolution fast alle +öffentliche Armenfonds wie ausgeplündert, und die Noth ist +vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich. In +ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also +keine Sorge für Erziehung; in Rom ist sie schlecht. Der +Kirchenstaat ist eine Oede rund um Rom herum, desswegen +erlaubt aber kein Güterbesitzer, dass man auf seinem Grunde +arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn er +nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus +an. Die Möncherey kommt wieder in ihren grassesten Flor, und +man erzählt sich wieder neue Bubenstücke der Kuttenträger, +die der Schande der finstersten Zeiten gleich kommen. Man +sagt wohl, Italien sey ein Paradies von Teufeln bewohnt: das +heisst der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der Italiäner +ist ein edler herrlicher Mensch; aber seine Regenten sind +Mönche oder Mönchsknechte; die meisten sind Väter ohne +Kinder: das ist Erklärung genug. Ueberdiess ist es der Sitz +der Vergebung der Sünde.</p> + +<p>Ich will nur machen, dass ich hinauskomme, sonst denkst +Du, dass ich beissig und bösartig geworden bin. Die Parthien +rund herum sind ohne mich bekannt genug: ich habe die +meisten, allein und in Gesellschaft, in der schönsten +Jahrszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl +befinden, nur muss man die Humanität zu Hause lassen. Mit +Uhden habe ich die Parthien von Marino, Grottaferrata, +Fraskati und den Albaner See gesehen. Eins der ältesten +Monumente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser +<!-- pb n="368 " facs="#f0396"/ --> aus demselben durch den +Berg in die Ebene hinab lässt, und der, wenn ich nicht irre, +noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner +Entstehung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so durch +den Aberglauben wie damals. Wenn der Gott von Delphi den +Ausspruch der Mathematiker nicht bestätigt hätte, wären die +Römer schwerlich an die Arbeit gegangen. Das ganze Werk +steht noch jetzt in seiner alten herrlichen ursprünglichen +Grösse da und erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, dass +Kluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter, +sagt, es seyen nur noch Spuren da, da doch der ganze Kanal +noch eben so gangbar ist, wie vor zwey tausend Jahren. Mich +däucht zu Kluvers Rechtfertigung muss man annehmen, dass der +Eingang eben damals verschüttet war, welches sich +periodenweise leicht denken lässt; und der Antiquar +untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr +romantischer Platz und der Gegenstand der Zeichner: +vorzüglich wirkt die alte perennirende Eiche an demselben. +Das Schloss Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der +schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier +zeigte man mir im Promenieren einen Priester, der in einem +Gefecht mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen +hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden Kirche! +Wehe der Humanität, wenn sie die triumphierende wird. Wer +auf Hadrian eine Lobrede schreiben will, muss nicht hierher +gehen, und die Ueberreste seiner Ville sehen: man sieht noch +ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die +Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Trajan +<!-- pb n="369 " facs="#f0397"/ --> hat Monumente besserer +Bedeutung hinterlassen. Wo bey Fraskati wahrscheinlich des +grossen Tullius Tuskulum gestanden hat, sieht man jetzt sehr +analog — eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr +philosophisch; nur würde Thucydides hier +schwerlich <span class="italic">de natura +deo</span><span class="italic">rum</span> geschrieben haben. +Der schönste Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch +gesehen habe, ist unstreitig die Ville des Mecän in Tivoli. +Man kann annehmen, dass der Schmeichler Horaz hier mehrere +seiner lieblichsten Oden gedichtet habe, für den gewaltigen +Mann, neben und unter dem er hier hauste. Man wollte mich +unten am Flusse jenseits in ein Haus führen, wo noch +Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte nicht Lust: +es fiel mir seine Canidia ein. Virgil war ein feinerer Mann +und ein besserer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen +und um die Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen. +Wenn ich Dir die Kaskadellen von unserm Reinhart mit bringen +könnte, das würde für Dich noch Beute aus Hesperien seyn: +ich bin nur Laie.</p> + +<p>Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die +Franzosen haben allerdings vieles fortgeschafft; aber der +Abgang wird bey dem grossen Reichthum doch nicht sehr +vermisst. Ueberdiess haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein +Privateigenthum angetastet. Einigen ihrer vehementesten +Gegner haben sie gedroht; doch ist es bey den Drohungen +geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich +zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die +Zeitumstände von ihren Besitzern zersplittert worden; +vor<!-- pb n="370 " facs="#f0398"/ -->züglich die +Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist +kein einziges Stück entfernt. Bloss der Fechter und der +Silen daselbst haben einen so klassischen Werth, wie ihn +mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die +grösste Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht +haben, ist dass sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen +Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese +Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung +auskramte, muss vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. +Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Knabenstatue mit der +Bulle, die man für einen jungen Britannikus hält. Sey es wer +man wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der +männlichen Toga nähert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit +und Anmuth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser +Art mehr gefunden.</p> + +<p>In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich +ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das +man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber +erschrak ich. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich, +unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: +das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat +die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine +Falschspielerin. Man behauptete, es wär' ihr Bild, und ich +genoss in der Träumerey über den Kopf die schönen Salvator +Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, +fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es +sey nun ausgemacht, dass es eine gewisse Gräfin aus +Oberitalien sey. Ich +<!-- pb n="371 " facs="#f0399"/ --> +freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los +wäre.</p> + +<p>Auf dem Kapitol vermisste ich den schönen Brutus. Dieser +ist nach Paris gewandelt, hiess es. Was soll Brutus in +Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und +jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn wie +die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische +Wölfin, die bey Cäsars Tode vom Blitz beschädigt worden seyn +soll. Die Seltenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem +Thurme des Kapitols übersah ich mit einem Blick das ganze +grosse Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freunde machte mir +ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich +gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie +Dir hier, weil ich glauben darf, dass Dir vielleicht die +Ansicht einiges Vergnügen machen kann.</p> + +<div class="poem"> +<p> Du zürnst, dass dort mit breitem Angesichte<br /> Das +Dunstphantom des Aberglaubens glotzt<br /> Und jedem +Feuereifer trotzt,<br /> Der aus der Finsterniss zum +Lichte<br /> Uns führen will; Du zürnst den Bübereyen,<br /> +Dem Frevel und dem frechen Spott,<br /> Mit dem der +Plattkopf stiert, der Tugend uns und Gott<br /> Zum Unsinn +macht; den feilen Schurkereyen,<br /> Und der Harpye der +Mönchereyen,<br /> Dem hässlichsten Gespenst, das dem Kozyt +entkroch,<br /> Das aus dem Schlamm der Dummheit noch<br /> +Am Leitseil der Betrügereyen<br /> +<!-- pb n="372 " facs="#f0400"/ --> +Zehn tausend hier zehn tausend dort ins Joch,<br /> +Dem willig sich die Opferthiere weihen,<br /> +Zum Grabe der Vernunft berückt,<br /> +Und dann mit Hohn und Litaneyen<br /> +Aus seiner Mastung niederblickt:<br /> +Du zürnst, dass man noch jetzt die Götzen meisselt,<br /> +Und mit dem Geist der Mitternacht<br /> +Zu ihrem Dienst die Menschheit nieder geisselt,<br /> +Und die Moral zur feilen Dirne macht,<br /> +Bey der man sich zum Sybariten kr uselt<br /> +Und Recht und Menschenwerth verlacht.</p> + +<p> +<span class="indent">Dein Eifer, Freund, ist edel. Zürne!</span><br /> +Oft giebt der Zorn der Seele hohen Schwung<br /> +Und Kraft und Muth zur Besserung;<br /> +Indessen lau mit seichtem Hirne<br /> +Der Schachmaschienenmensch nach den Figuren schielt,<br /> +Und von dem Busen seiner Dirne<br /> +Verächtlich nur die Puppen weiter spielt.</p> + +<p> +<span class="indent">Geh hin und lies, fast ist es unsre +Schande,</span><br /> Es scheint es war das Schicksal +Roms<br /> In Geyerflug von Land zu Lande<br /> Zu ziehn; es +schlug die Erde rund in Bande,<br /> Und wechselt nur den +Sitz des Doms.<br /> Was einst der Halbbarbar ins Joch mit +Eisen sandte,<br /> Beherrschet nun der Hierofante<br /> Mit +dem Betruge des Diploms.<br /> Jetzt thürmet sich am alten +Vatikane<br /> +<!-- pb n="373 " facs="#f0401"/ --> +Des Aberglaubens Burg empor,<br /> +In deren dumpfigem Arkane<br /> +Sich längst schon die Vernunft verlor,<br /> +Und wo man mit geweihtem Ohr<br /> +Und Nebelhirn zur neuen Fahne<br /> +Des alten Unsinns gläubig schwor.<br /> +Dort steht der Dom, den Blick voll hohen Spotte<br /> +Mit dem er Menschensinn verhöhnt;<br /> +Und mächtig stand, am Hügel hingedehnt,<br /> +Einst hier die Burg des Donnergottes,<br /> +Wo noch des Tempels Trümmer gähnt:<br /> +Und wer bestimmt, aus welchem Schlunde<br /> +Des Wahnsinns stygischer Betrug<br /> +Der armen Welt die grösste Wunde<br /> +Zur ewigen Erinnrung schlug?</p> + +<p> +<span class="indent">Hier herrschten eisern die +Katonen</span><br /> Mit einem Ungeheur von Recht<br /> Und +stempelten das menschliche Geschlecht<br /> Despotisch nur +zu ihren Frohnen;<br /> Als wäre von Natur vor ihnen Jeder +Knecht,<br /> Den Zevs von seinem Kapitole<br /> Mit dem +Gefolge der Idole<br /> Sich nicht zum Lieblingssohn +erkohr;<br /> Und desto mehr, je mehr er kühn empor<br /> +Mit seines Wesens Urkraft strebte<br /> Und sklavisch nicht, +wie vor dem Sturm das Rohr,<br /> Beym Zorn der Herrn der +Erde bebte.<br /> Nur wer von einem Räuber stammte,<br /> +<!-- pb n="374 " facs="#f0402"/ --> +Dem Fluch der Nachbarn, wessen Heldenherz,<br /> +Bepanzert mit dem dicksten Erz,<br /> +Den Hohn der Menschheit lodernd flammte,<br /> +Und alle Andern wie Verdammte<br /> +Zur tiefsten Knechtschaft von sich stiess<br /> +Und den Beweis in seinem Schwerte wies; —<br /> +Nur der gelangte zu der Ehre<br /> +Ein Mann zu seyn im grossen Würgerheere.</p> + +<p> +<span class="indent">Oft treibt Verzweiflung zu dem +Berge,</span><br /> Dem Heiligen, dem Retter in der +Noth,<br /> Wenn blutig des Bedrückers Scherge<br /> Mit +Fesseln, Beil und Ruthen droht:<br /> Und, was erstaunt +jetzt kaum die Nachwelt glaubet<br /> Dem grössten Theil der +Nation,<br /> Dem ganzen Sklavenhaufen, raubet<br /> Der +Blutgeist selbst die Rechte der Person,<br /> Und setzt ihn +mit dem Vieh der Erde<br /> Zum Spott der Macht in eine +Heerde.<br /> Der Wüstling warf dann in der Wuth<br /> Für +ein zerbrochnes Glas mit wahrer Römerseele<br /> Den Knecht +in die Muränenhöhle,<br /> Und fütterte mit dessen +Blut<br /> Auf seine schwelgerischen Tische<br /> Die +seltnen weitgereisten Fische:<br /> Und für die Kleinigkeit +der Sklavenstrafe liess<br /> Mit Zorn der schlauste der +Tyrannen,<br /> Den seine Welt Augustus hiess,<br /> Zehn +Tage lang den Herrn von sich verbannen.<br /> +<!-- pb n="375 " facs="#f0403"/ --> +Nimm die zwölf Tafeln, Freund, und lies<br /> +Was zum Gesetz die Blutigen ersannen;<br /> +Was ihre Zehner kühn gewannen,<br /> +Durch die man frech die Menschheit von sich stiess.</p> + +<p> +<span class="indent">Wer zählet die +Proskriptionen,</span><br /> Die der Triumvir +niederschrieb,<br /> In denen er durch Henker ohne +Schonen<br /> Die Bande von einander hieb,<br /> Die das +Palladium der Menschlichkeit zu retten<br /> Uns brüderlich +zusammen ketten.<br /> Durch sie ward Latium in allen Hainen +roth<br /> Bis in die Grotten der Najaden,<br /> Und mit dem +Grimm des Schrecklichen beladen,<br /> Des Fluchs der Erde, +gingen in den Tod<br /> An Einem Tage Myriaden:<br /> Und +gegen Sullas Henkergeist<br /> Ist zu der neuen Zeiten +Ehre,<br /> Der Aftergallier, der Blutmensch +Robespierre,<br /> Ein Genius der mild und menschlich +heisst.</p> + +<p> +<span class="indent">Man würgte stolz, und hatte +man</span><br /> Mit Spott und Hohn die Unthat frech +gethan,<br /> So stieg man hier auf diesen Hügel<br /> Und +heiligte den Schreckenstag,<br /> Der unter seiner Schande +Siegel<br /> Nun in der Weltgeschichte lag.<br /> Man +schickte, ohne zu erröthen,<br /> Den Liktor mit dem Beil +und liess<br /> +<!-- pb n="376 " facs="#f0404"/ --> +Im Kerker den Gefangnen tödten,<br /> +Der in der Schlacht als Held sich wies,<br /> +Vor dessen Tugend man selbst in der Raubburg zagte<br /> +Und nicht sie zu besiegen wagte.</p> + +<p> +<span class="indent">Dort gegen über setzten +sich</span><br /> Die Cásarn auf dem Palatine,<br /> Wo noch +die Trümmer fürchterlich<br /> Herüber gähnt, und jetzt mit +Herrschermiene<br /> Auch aus dem Schutte der Ruine,<br /> +Wie in der Vorwelt Eisenzeit,<br /> Mit Ohnmacht nur +Gehorsam noch gebeut.<br /> Dort herrschten, hebt man kühn +den Schleyer,<br /> Im Wechsel nur Tyrann und +Ungeheuer;<br /> Dort grub der Schmeichler freche +Zunft<br /> Mit Schlangenwitz am Grabe der Vernunft;<br /> +Dort starben Recht und Zucht und Ehre,<br /> Dort betete man +einst Sejan,<br /> Narciss und sein Gelichter an,<br /> Wenn +die Neronen und Tibere<br /> Nur schel auf ihre Sklaven +sahn,<br /> Sie selbst der Schändlichkeit Heloten,<br /> Die +Qual und Tod mit einem Wink geboten.</p> + +<p> +<span class="indent">Dort ragt der Schandfleck hoch +empor,</span><br /> Wo, wenn des Scheusals Wille +heischte,<br /> Des Tigers Zahn ein Menschenherz +zerfleischte,<br /> Und wo der Sklaven grelles Chor<br /> +Dem Blutspektakel Beyfall kreischte,<br /> +<!-- pb n="377 " facs="#f0405"/ --> +Und keinen Zug des Sterbenden verlor;<br /> +Wo zu des Römerpöbels Freude<br /> +Nur der im Sand den höchsten Ruhm erwarb,<br /> +Der mit dem Dolch im Eingeweide<br /> +Und Grimm im Antlitz starb.</p> + +<p> +<span class="indent">Von aussen Raub und Sklaverey von +innen,</span><br /> Bey Kato wie bey Seneka,<br /> Stehst Du +noch jetzt entzückt vor Deinen Römern da,<br /> Und stellst +sie auf des Ruhmes Zinnen?<br /> Vergleiche was durch sie +geschah,<br /> Von dem Sabiner bis zum Gothen,<br /> Die +Kapitolier bedrohten<br /> Die Menschheit mehr als +Attila,<br /> Trotz allen preisenden Zeloten.<br /> +Betrachtest Du die Stolzen nur mit Ruh<br /> Für Einen Titus +schreibest Du<br /> Stets zehn Domitiane nieder.<br /> +Behüte Gott nur uns und unsre Brüder<br /> Vor diesem +blutigen Geschlecht,<br /> Vor Römerfreyheit und vor +Römerrecht!<br /> Wenn Peter stirbt, erwache Zevs nicht +wieder.</p> +</div> + +<p>In dem Pallast Spada besuchte ich einige Augenblicke die +Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nehmliche +ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann +auch vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche +Sachen es leiden. Die Statue hat sonst nichts Merkwürdiges +und ist artistisch +<!-- pb n="378 " facs="#f0406"/ --> von keinem grossen +Werth. Unter dieser Statue sollten alle Revolutionäre mit +wahren hellen gemässigten Philanthropen zwölf Mitternächte +Rath halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein gut oder +schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der +Gesammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die +Menschheit jetzt stehet.</p> + +<p>Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen +Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das +enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das unselige Schisma +wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen +Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mässigung +hätte damals die Päbste mit Hülfe des abergläubischen +Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit +kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen oder +verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist als ob man +der stillen Grösse der alten Kunst mit diesem herkulischen +Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon als +den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor, +verhältnissmässigen ungeheuern Raum, als die Area des +Heiligentempels, zu einer grossen Höhe aufgeführt, und oben +das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die +Peterskirche. Das Riesenmässige hat man erreicht. Wir sassen +in dem Knopfe der Kuppel unser drey, und übersahen die +gefallene Roma. Diese Kirche wird einst mit ihrer Kolonnade +die grösste Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die grösste +Ruine der Welt ist.</p> + +<p>In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich +<!-- pb n="379 " facs="#f0407"/ --> nur Raphaels Logen und +Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt, +dass ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein +Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo +in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und +hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und +die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Sibyllen haben +eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft +und Seele.</p> + +<p>Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang gestanden +und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will +mir kein anderer mehr genug thun. So muss Sokrates gewesen +seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da +liegt. Pythagoras hielt mich nicht so lange fest, als +Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht +der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde +dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vorzimmer die +Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich +würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender +Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand +seinen Parnass sähe, auf welchen er als den Apoll den +Kammerdiener des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt +hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als +eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der +Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark +zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und +vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die +Gallier nichts antasten, sie hätten denn als Vandalen +zerstören müssen: +<!-- pb n="380 " facs="#f0408"/ --> +und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen +was sie wollen. Ich müsste Dir von Rom allein ein +Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger +schriebe; und ich würde doch nur wenig erschöpfen.</p> + +<p>Zum Schluss schicke ich Dir eine ganz funkelnagelneue Art +von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute. +Aber ich muss Dir die Schöpfungsgeschichte erzählen, damit +Du das Werk verstehst.</p> + +<p>Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte +auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gesprochen, durch +ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord +eine Ehre der Nation noch als Bischof eine Zierde der Kirche +von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bey der +Impertinenz des Reichthums die Marotte den Kenner und Gönner +in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar +so unglücklich, dass seine Urtheile in Italien hier und da +bey Verständigen fast für Verdammung gelten. Vorzüglich +hasst er Raphael und zieht bey jeder Gelegenheit +seine <span class="italic">deos minorum gentium</span> auf +dessen Unkosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es +geben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht +manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittelmässigkeit +stempelt. Viele lassen sich vieles von dem reichen Britten +gefallen, der selten in den Gränzen der feinern Humanität +bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern +Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein +Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud +ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen +Unge<!-- pb n="381 " facs="#f0409"/ -->zogenheiten +gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal +bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene +Gesellschaft von Fremden und Römern, welcher er von dem Lord +mit vielem Bombast als ein Universalgenie, ein +Erzkosmopolit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. +Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu +nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der +gnädigen Herrn ist, und sichs wohl gar beygehen lässt +Urbefungnisse in den Menschen zu finden, die er behaupten +muss, wenn er Menschenwerth haben will. Dem Künstler musste +dieser Ton missfallen, und ein Fremder suchte ihn durch +Höflichkeit aus der peinlichen Lage zu ziehen, indem er ihn +nach seinem Vaterlande fragte. Ey was, fiel der Lord +polternd ein, es ist ein Mensch der kein Vaterland hat, ein +Universalmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, Mylord, +versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland, dessen ich +mich gar nicht schäme; und ich hoffe mein Vaterland soll +sich auch meiner nicht schämen: Sono +<span class="italic">Prussiano</span>. Man sprach +italiänisch. <span class="italic">Prussiano? +Prus</span><span class="italic">siano?</span> sagte der +Wirth: <span class="italic">Ma mi pare che siete +ruffiano</span>. Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, +den man zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler +machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord +keines Blicks und verliess das Zimmer und das Haus. Nach +seiner Zurückkunft in sein eignes Zimmer schrieb er in +gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief:</p> + +<!-- pb n="382 " facs="#f0410"/ --> +<p class="anrede">»Mylord,</p> + +<p>»Ganz Europa weiss, dass Sie ein alter Geck sind, an dem +nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreyssig weniger, +so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine +Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern +berechtiget sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich +schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf +Stand und Vermögen, nach dem was er selbst werth ist; und +Sie sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen, +meine Verachtung.«</p> + +<p>Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die +Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der +Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir +gebe. Das lang gestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf +dem Sattel, die leeren zerbrochenen Flaschen unten, das +Glas, der Finger, der Krummstab, der grosse antike Weinkrug, +der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch +ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist +Wahrheit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe lässt noch +kein Mädchen ruhig.</p> + +<div class="poem"> +Auch seines Lebens letzten Rest<br /> +Beschäftigt noch Lucinde;<br /> +Wenn ihn die Sünde schon verlässt,<br /> +Verlässt er nicht die Sünde.<br /> +</div> + +<p>Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz +in den guten Gesellschaften in Rom herum lief, und knirschte +doch mit den Zähnen. Für so verwe<!-- pb n="383 " facs="#f0411"/ -->gen +hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder +noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der +gewöhnlichen Regel wo man zu bösem Spiele gute Miene +macht: <span class="italic">Il s'est venge en homme de +genie</span>. Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein +Bedenken sie Dir mitzutheilen. *)</p> + +<div class="footnote">*)Nach reiflicher Ueberlegung trage +ich auch kein Bedenken das Ganze hier mit drucken zu lassen. +Mich über sogenannte Personalitäten zu erklären, wäre hier +zu weitläufig. Die Sache hat ihre Gränzen diesseits und +jenseits. Für solche Delinquenten ist keine Strafe als die +öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung +nicht — öffentlich seyn und öffentlich dokumentiert +werden? Die Parthien sind der Maler Reinhart und Lord +Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu +erwarten; aber Andere sollen nicht so werden wie er ist: +desswegen wird es erzählt. +</div> + +</div> <!-- chapter --> + +</body> +</html> |